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Namenlos



V.
Francis Clare jun. an Magdalene.

Shanghai in China, den 28. April 1847.

Meine liebe Magdalene!

Ich habe die Antwort auf Deinen Brief infolge meines Gemüthszustandes, der mich unfähig machte, an Dich zu schreiben, verschoben. Ich bin noch jetzt unfähig dazu, doch ich fühle, daß ich es nicht länger verschieben darf. Mein Ehrgefühl gibt mir Kraft, und ich unterziehe mich der schmerzlichen Aufgabe, diesen Brief zu schreiben.

Mit meinen Aussichten in China ist es ganz aus. Das Handelshaus, an das ich wie ein Waarenballen abgefertigt worden bin, hat meine Geduld erschöpft durch eine ganze Reihe von kleinen Beleidigungen, und ich war es der Achtung vor mir selbst schuldig, aus dessen Diensten zu treten, nachdem ich von Anfang an nicht nach Verdienst geschätzt worden war. Meine Rückkehr nach England unter solchen Umständen kommt gar nicht in Frage. Ich bin in meinem Vaterlande zu grausam behandelt worden, als daß ich —— auch wenn ich könnte —— dahin zurückzukehren wünschte. Ich beabsichtige mich an Bord eines kleinen Kauffahrers in diesen Gewässern zu begeben, um in der Eigenschaft eines Handlungsgehilfen meinen Weg allein zu gehen, wenn ich es vermag. Wie es enden wird, oder was mir nun begegnen wird, ich vermag es nicht zu sagen. Es kommt wenig darauf an, was aus mir wird. Ich bin ein heimatloser Pilger und ein Verbannter, und zwar ganz und gar durch Anderer Schuld. Der unbarmherzige Wunsch der Meinigen, mich loszuwerden, hat seinen Zweck erreicht. Man ist mich mit guter Art losgeworden.

Es bleibt mir nur noch ein Opfer zu bringen übrig, das Opfer der theuersten Gefühle meines Herzens. Mit keinen Aussichten vor mir, mit keiner Hoffnung, nach Hause zurückkehren zu können, wie kann ich darauf rechnen, meinen Verpflichtungen gegen Dich nachzukommen? Durchaus nicht! Ein selbstsüchtigerer Mensch, als ich bin, würde Dich fort und fort durch jene Verpflichtungen gebunden halten, ein weniger überlegender Mann, als ich, wäre im Stande, Dich Jahre lang warten zu lassen und schließlich ohne allen Zweck. So grausam man auch meine Gefühle mit Füßen getreten hat, so sind dieselben doch zu zart, als daß sie mir diese Handlungsweise gestatteten. Ich schreibe Dies mit Thränen in meinen Augen nieder: Du sollst Dein Schicksal nicht an einen Ausgestoßenen knüpfen. Nimm diese Zeilen eines gebrochenen Herzens als die Worte der Lösung seines Versprechens auf. Unsere Verbindung ist zu Ende.

Der einzige Trost; der mich aufrecht erhält, Dir Lebewohl sagen zu können, ist, daß Keines von uns anzuklagen ist. Du magst unter dem Einflusse meines Vaters schwach gehandelt haben, aber gewiß hast Du in der besten Absicht von der Welt so gehandelt. Niemand außer mir wußte, welches die verhängnißvollen Folgen meiner Vertreibung aus England sein würden: aber Niemand hörte auf mich. Ich gab meinem Vater nach, ich gab Dir nach, und Dies ist nun das Ende davon!

Ich leide zu heftig, als daß ich mehr schreiben könnte. Möchtest Du nie erfahren, was mich die Auflösung unserer Verbindung gekostet hat! Ich bitte Dich, klage Dich nicht selbst an! Es ist nicht Deine Schuld, daß alle meine Thatkraft von Anderen mißleitet worden ist —— es ist nicht Deine Schuld, daß ich niemals eine gute Gelegenheit gehabt habe, im Leben vorwärts zu kommen. Vergiß den verlassenen Unglücklichen, der seine inbrünstigen Gebete für Dein Glück emporschickt und Dir alles Gute wünschen und immerdar bleiben wird Dein Freund,

Francis Clare jun.


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