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Namenlos



Dreizehntes Buch.

Auf St. Crux.

Erstes Capitel.

—— Dies ist das Zimmer, wo Du schlafen wirst. Leg Dich zeitig nieder und komm dann wieder in mein Zimmer herunter. Der Admiral ist zurück, und Du wirst ihn heute zum ersten Male bei Tisch zu bedienen haben.

Mit diesen Worten machte Mrs. Drake, die Haushälterin, die Thür zu, und das neue Stubenmädchen war auf seinem Schlafzimmer zu St. Crux allein.

Dieser Tag war der ereignißvolle fünfundzwanzigste —— Februar. In knapp vier Monaten von der Zeit an, wo Mrs. Lecount die Weisung ihres Herrn seinem Testamentsvollstrecker in die Hand gegeben hatte, war gerade die Fügung von Umständen, der vorzubeugen dessen erster und vornehmster Zweck gewesen war, jetzt eingetreten. Mr. Noël Vanstones Wittwe und Admiral Bartrams geheimer Artikel waren unter ein und demselben Dache. Soweit hatten sich die Verhältnisse ohne alle Ausnahme zu Gunsten Magdalenens gestaltet. Soweit war der Weg, der sie nach St. Crux geführt hatte, ohne Hindernisse gewesen. Louise, deren Namen sie jetzt angenommen hatte, war vor drei Tagen mit ihrem Manne und ihrem Kinde nach Australien abgesegelt. Sie war das einzige lebende Wesen, dem Magdalene ihr Geheimniß anvertraut hatte, und sie war jetzt nicht mehr in Sieht der englischen Küste. Das Mädchen war bis zuletzt aufmerksam, pünktlich und auf das Interesse seiner Herrin aufrichtig bedacht gewesen. Sie hatte die Pein ihrer Unterredung mit der Haushälterin überstanden und keine von den Weisungen vergessen, durch die sie darauf vorbereitet war. Sie hatte selbst vorgeschlagen, den durch den Todesfall in der Familie des Admirals verursachten Aufschub sich zu nutze zu machen, indem sie mit dem äußerst wichtigen Unterricht in den häuslichen Verrichtungen fortfuhr, von deren vollkommener Aneignung das Gelingen des kühnen Wagnisses ihrer Herrin abhing. Dank der so gewonnenen Zeit hatte Magdalene, als Louisens Hochzeit vorbei und der Tag der Abreise gekommen war, bis auf die kleinste Einzelheit Alles gelernt und sich zu eigen gemacht, was ihre frühere Jungfer ihr lehren konnte. An dem Tage, wo sie über die Schwelle von St. Crux schritt, begann sie ihr verzweifeltes Wagstück, ausgerüstet mit rascher Geistesgegenwart unter allen Anforderungen, die ihr späteres Leben ihr gelehrt hatte, noch mehr gerüstet durch die angelernte Fähigkeit, die sie besaß, zur Annahme von Rollen, die nicht ihre eigenen waren, am meisten aber gerüstet durch ihre acht Wochen hindurch täglich fortgesetzte Vertrautheit mit den praktischen Erfordernissen der Stellung, welche sie auszufüllen übernommen hatte.

Sobald sie nach dem Weggang von Mrs. Drake allein war, packte sie ihren Koffer aus und zog sich für den Abend an.

Sie zog ein lavendelfarbenes Taffetkleid an, halber Traueranzug um Mrs. Girdlestone, wie es nach den Weisungen des Admirals für alle Mädchen im Hause vorgeschrieben war, dazu eine weiße Musselinschürze, eine hübsche weiße Mütze und ein Kragen mit Bändern wie das Kleid.

In dieser Dienstbotentracht, in dem einfachen glatten Kleide, das bis an den Hals hinauf ging, in dem hübschen kleinen weißen Häubchen hinten auf dem Kopfe, in dieser für alle Männeraugen, nur nicht für die Leinwandkenner einfachen Tracht, welche aber die bescheidenste und reizendste ist, die ein Weib tragen kann, entzogen sich die traurigen Veränderungen, welche innere Leiden in ihrer Schönheit hervorgebracht hatten, beinahe gänzlich der Wahrnehmung. In dem Abendanzuge einer Dame, mit ausgeschnittenem Kleide, mit ihrer in steifen Seidenstoff eher gewappneten, denn gekleideten Gestalt würde sie der Admiral in seinem Staatszimmer unbeachtet gelassen haben. In dem Abendanzuge eines Dienstmädchens konnte kein Verehrer des Schönen sie ein einzig Mal anschauen, ohne gar bald wieder den Blick auf sie zu lenken und sie zum zweiten Male anzusehen.

Als sie die Treppe herunterstieg, um nach der Stube der Haushälterin zu gehen, kam sie an den Thüren zu zwei langen Corridors vorüber, in welche sich lange Reihen von Zimmern öffneten, der eine Corridor im zweiten, der andere im ersten Stock des Hauses.

—— Viele Zimmer! dachte sie, als sie die Thüren erblickte. Eine saure Arbeit für mich, hier zu suchen, was ich zu finden im Sinne habe!

Als sie das Erdgeschoß erreichte, begegnete ihr ein wettergebräunter alter Mann, der stehen blieb und sie mit anscheinend großem Interesse ansah. Es war derselbe Mann, den Hauptmann Wragge in dem Hintergarten auf St. Crux mit dem Schnitzen eines Schiffsmodells beschäftigt gesehen hatte. In der ganzen Nachbarschaft war er weit und breit als »des Admirals Bootsmann« bekannt. Er hieß Mazey. Sechzig Jahre hatten ihre Geschichte tüchtiger Arbeit zu Wasser und tüchtigen Trinkens zu Lande auf des Veteranen dunkles runzliges Gesicht geschrieben. Sechzig Jahre hatten seine Treue ersprobt und sein leckes altes Gerippe am Ende der Reise in seines Herrn Hause in sichern Port geführt.

Da Magdalene niemand Anderes erblickte, den sie fragen konnte, ersuchte sie den Alten, ihr den Weg zu zeigen, welcher auf das Zimmer der Haushälterin führte.

—— Ich will ihn Dir zeigen, mein Täubchen, sprach der alte Mazey, indem er mit der lauten und hohlen Stimme redete, welche den Schwerhörigen eigen zu sein pflegt. Du bist das neue Mädchen, he? Weiß Gott, ein schön gewachsenes Dirnchen! Seine Gnaden der Admiral haben ein Stubenmädchen gern mit sauberm Steuerbord und Bug. Du wirst ihm recht sein, wirst ihm recht sein.

—— Du darfst nicht darauf achten, was Mr. Mazey zu Dir sagt, bemerkte die Haushälterin, die ihre Thür aufmachte, als der alte Matrose mit jenen Worten Magdalenens Lob verkündigte. Er hat die Erlaubniß zu reden, wie es ihm gefällt, und er ist sehr langweilig und derb in seinen Gewohnheiten; aber er meints nicht böse.

Mit dieser Entschuldigung des Veteranen führte Mrs. Drake Magdalenen erst zu dem Speiseschranke und dann in die Wäschekammer, indem sie dieselbe mit aller sich ziemenden Förmlichkeit in ihre häuslichen Gebiete einführte. Als diese Feierlichkeit vorüber war, wurde das neue Stubenmädchen mit herausgenommen, und ihr das Speisezimmer gezeigt, das auf den Corridor im ersten Stock führte. Hier wurde sie angewiesen, zu decken und den Tisch vorzurichten für eine einzige Person —— da Mr. George Bartram noch nicht mit seinem Oheim auf St. Crux zurückgekehrt war. Mrs. Drakes scharfe Augen beobachteten Magdalenen aufmerksam, wie sie diese ihre erste Obliegenheit verrichtete, und sie mußte sich, als die Tafel fertig war, überzeugt fühlen, daß das neue Mädchen sich auf seinen Dienst vollkommen verstand.

Eine Stunde später wurde die Suppenterrine auf den Tisch gestellt, und Magdalene stand allein hinter des Admirals leerem Stuhle, ihres Herrn erster Aeußerung gewärtig, wenn er ins Speisezimmer treten würde.

Eine große Glocke erschallte in den unteren Räumen, schnelle schleifende Schritte raschelten auf den Steinen des Corridors draußen, die Thür ging plötzlich auf, und ein großer, hagerer alter Herr mit scharfem Auge, verbissenen Lippen, lärmend unruhigen Bewegungen trat ins Zimmer mit zwei stattlichen Labrado-Hunden hinter sich und nahm seinen Platz an der Tafel in heftiger Eile ein. Die Hunde folgten ihm und setzten sich mit der äußersten Gemessenheit und Ruhe links und rechts neben seinen Stuhl.

Dies war Admiral Bartram, und dies waren seine Gesellschafter bei seinem einsamen Mahl.

—— Ei, ei, ei! Das ist gewiß das neue Stubenmädchen! begann er, indem er Magdalenen scharf, aber durchaus nicht unfreundlich ansah. Wie ist Dein Name, liebes Kind? —— Louise also? Ich werde Dich Lucie rufen, wenn Dirs recht ist. Nimm den Deckel ab, meine Gute —— ich bin heute eine oder zwei Minuten zu spät gekommen; sei Du deßwegen morgen nicht unpünktlich; ich bin gewöhnlich genau auf den Schlag da, wie ein Uhrwerk —— Wie ist Dir die Reise bekommen? Hat Dich mein Federwagen bei der Fahrt von dem Haltepunkt bis hierher sehr umhergestoßen? —— Eine capitale Suppe das! heiß wie Feuer —— erinnert mich an die Suppe, die wir in Westindien Anno Drei gewöhnlich hatten. —— Hast Du Deine halbe Trauer an? Stell Dich her und laß mich sehen! — Ach ja, recht hübsch und nett und fein. —— Arme Mrs. Girdlestone! Ach, liebe, liebe, liebe, arme Mrs. Girdlestone! —— Du fürchtest Dich doch nicht vor Hunden, Lucie? —— Wie? Was? Du hast Hunde gern? Das ist recht! Sei immer freundlich gegen diese armen einfältigen Thiere. Diese beiden Hunde speisen täglich bei mir, ausgenommen, wenn Gesellschaft da ist. Der Hund mit der schwarzen Nase da ist Brutus, und der mit der weißen Nase ist Cassius. —— Hast Du je gehört, wer Brutus und Cassius waren? —— Alte Römer? Richtig, Du gutes Kind. Vergiß nicht Dein Buch und Deine Nadel; Du sollst auch ein Mal einen guten Ehemann haben. —— Nimm die Suppe weg, mein Kind, nimm die Suppe weg.

Dies war der Mann, dessen Geheimniß zu erhaschen jetzt das einzige Dichten und Trachten Magdalenens war! Das war der Mann, dessen Name den ihrigen in Noël Vanstones Testament ersetzt hatte!

Der Fisch und der Braten folgten, und das Geplauder des Admirals hatte seinen Fortgang, bald als Selbstgespräch, bald zum Stubenmädchen gewandt, bald an die Hunde gerichtet, so vertraulich und unzusammenhängend, wie immer. Magdalene bemerkte mit einigem Erstaunen, daß die Gesellschafter des Admirals bis jetzt keinen Bissen Von dem Teller ihres Herrn erhalten hatten. Die beiden prächtigen Thiere saßen auf ihre Pfoten gekauert, mit ihren großen Köpfen über dem Tische, den Fortgang der Mahlzeit mit der größten Aufmerksamkeit beobachtend, aber ersichtlich ohne Erwartung, Etwas davon zu erhalten. Der Braten wurde entfernt, der Teller des Admirals gewechselt, und Magdalelte nahm die silbernen Deckel von den zwei Schüsseln auf beiden Seiten der Tafel ab. Als sie die erste der duftigen Schüsseln ihrem Herrn reichte, gaben die Hunde plötzlich ein athemloses persönliches Interesse an den Dingen zn erkennen. Brutus lief der Speichel aus dem Rachen, und die Zunge des Cassius, welche vor unaussprechlicher Erwartung zum Vorschein kam, bewegte sich zwischen den ungeheuren Kinnbacken hin und her.

Der Admiral langte sich selbst reichlich aus der Schüssel zu, schickte Magdalenen an den Nebentisch, um ihm etwas Brod zu holen, und als er dachte, daß ihr Auge nicht auf ihn gerichtet sei, schob er heimlich den ganzen Inhalt seines Tellers in Brutus Rachen. Cassius winselte leise, als sein glücklicher Kamerad dies würzige Zwischengericht mit einem Schluck hinunterschlang.

—— Ruhig, du dummer Kerl, flüsterte ihm der Admiral zu, du kommst das nächste Mal dran!

Magdalene reichte die zweite Schüssel. Noch ein Mal langte sich der Admiral reichlich zu, noch ein Wink schickte er sie an das Seitentischchen, noch ein Mal schob er den ganzen Inhalt des Tellers in die Kehle des Hundes, indem er dies Mal Cassius erwählte, wie es sich für ihn als aufmerksamen Herrn und als Unparteiischen Mann geziemte Als der nächste Gang folgte, der in einem einfachen Pudding und in einem ungesunden Cream bestand, wurde Magdalenens Vermuthung über die Thätigkeit der Hunde bei der Tafel bestätigt. Während der Herr den einfachen Pudding zu sich nahm, verschlangen die Hunde den kunstvollen Cream. Der Admiral fürchtete offenbar, auf der einen Seite seiner Köchin zu nahe zu treten und auf der andern sich selbst Schaden zu thun, und Brutus und Cassius waren die beiden abgerichteten Mitschuldigen, welche ihm jeden Tag halfen, über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen.

—— Sehr gut, sehr gut! sagte der alte Herr mit dem offenbarsten Doppelsinne. Sage der Köchin, mein Kind, ein capitaler Cream!

Als Magdalene nun Wein und Nachtisch auf die Tafel gestellt hatte, war sie im Begriff, sich zurückzuziehen. Ehe sie das Zimmer Verlassen konnte, rief sie ihr Herr zurück ins Zimmer.

—— Halt, halt! sagte der Admiral. Du kennst noch nicht die Sitte des Hauses, Lucie. Stell noch ein Glas hierher, zu meiner Rechten, das größte, das du finden kannst. Ich habe einen dritten Hund, der beim Nachtisch hereinkommt, einen trunkenen alten Seehund, welcher zu Land und zu Wasser mein Schicksal getheilt hat wohl fünfzig Jahre und drüber. —— Ja, ja; das ist die Art Gläser, die wir brauchen. Du bist ein gutes Kind. —— Du bist ein hübsches, gescheidtes Kind. Ruhig, mein Schatz, Du brauchst Dich nicht zu fürchten!

Ein plötzliches Pochen außen an der Thüy worauf ein mächtiges Anschlagen von Seiten der beiden Hunde erfolgte, hatte Magdalenen erschreckt.

Herein! rief der Admiral.

Die Thür ging auf, Brutus und Cassius wedelten fröhlich mit den Schwänzen, und der alte Mazey marschierte in gestreckter Haltung rechts vom Stuhle seines Herrn auf.

Der Veteran stand da mit weit gespreizten Beinen und sorgfältig gewahrtem Gleichgewicht, als ob das Speisezimmer eine Cajüte und das Haus ein seine Straße ziehendes Schiff auf hoher See gewesen wäre.

Der Admiral füllte das große Glas mit Portwein, füllte sein eigenes Glas mit Rothwein und erhob es an seine Lippen.

Gott segne die Königin, Mazey! sprach der Admiral.

—— Gott segne die Königin, Euer Gnaden, sprach der alte Mazey, indem er seinen Portwein hinunterwarf, wie die Hunde die Tunke.

—— Wie ist der Wind, Mazey?

—— West und bei Nord, Euer Gnaden.

—— Guten Abend, Mazey.

—— Guten Abend, Euer Gnaden.

Als diese feierliche Nachtischhandlung dergestalt beendigt war, machte der alte Mazey einen Diener und schritt wieder zum Zimmer hinaus. Brutus und Cassius streckten sich auf ihren Bauch, um die Pilze und feinen Saucen in der Alles ausgleichenden Hitze des Feuers zu verdauen.

—— Für Das, was uns bescheeret worden, mache der Herr uns dankbar im Herzen, sprach der Admiral. —— Gehe hinunter, gutes Kind, und nimm Dein Abendbrod ein. Eine leichte Speise, Lucie, wenn Du meinen Rath hören willst, eine leichte Speise, sonst wirst Du den Alp bekommen. Frühzeitig zu Bett, meine Liebe, und frühzeitig auf, das macht ein Stubenmädchen gesund und wohlhabend und gescheidt. Das ist die Weisheit Deiner Vorgängerinnen, —— Du mußt nicht darüber lachen. —— Gute Nacht.

Mit diesen Worten wurde Magdalene entlassen, und so endete ihre Bekanntschaft des ersten Tages mit Admiral Bartram.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen enthielten die Anweisungen für das neue Stubenmädchen unter Andern einen merkwürdigen Befehl, der für sie in ihrer Lage ganz besonders von Interesse war. Während der Abwesenheit des alten Herrn vom Hause, welche diesen Tag über wegen Geschäften an Ort und Stelle, die ihn nach Ossory führten, stattfand, erhielt sie die Weisung, sich mit dem ganzen bewohnten Theil des Hauses bekannt zu machen und die Lage der verschiedenen Zimmer kennen zu lernen, um dann zu wissen, wohin die Klingeln sie riefen, wenn sie dieselben hörte. Mrs. Drake wurde mit der Pflicht betraut, die Entdeckungsreise des neuen Ankömmlings zu leiten, wenn sie nicht etwa anderweitig beschäftigt wäre, in welch letzterem Falle auch eine von den untergeordneten Dienstboten ebenfalls berechtigt sein sollte, Magdalenen als Führerin zu dienen.

Nachmittags fuhr der Admiral nach Ossory, und Magdalene stellte sich im Zimmer von Mrs. Drake ein, um im Hause herumgeführt zu werden. Mrs. Drake war zufällig anderweitig beschäftigt und wies sie an das erste Hausmädchen. Das erste Hausmädchen war zufällig in derselben Lage, als Mrs. Drake und verwies sie an die unteren Hausmägde. Die unteren Hansmägde erklärten, sie seien alle behindert und hätten keinen Augenblick Zeit übrig; sie schlugen in nicht eben sehr höflicher Art und Weise den alten Mazey vor, der Nichts auf Gottes Welt zu thun habe und das Haus so gut, oder noch besser kenne, als das ABC. Magdalene nahm den Wink mit geheimer Empörung und Verachtung hin, welche zu verbergen ihr einen harten Kampf kostete. Sie hatte den Abend vorher gemerkt und wußte nun ganz bestimmt, daß alle Dienstmädchen im Hause Merkwürdigerweise mit derselben mürrischen Einhelligkeit des Mißtrauens sie schon mit scheelen Augen unter sich sahen. Mrs. Drake war, wie sie sich mit eigenen Augen überzeugt hatte, diesen Morgen wirklich mit ihren Abrechnungen beschäftigt. Allein von allen den Mädchen unter ihr, die sich entschuldigten, hatte keines vorgegeben, mehr als gewöhnlich beschäftigt zu sein. Ihre Blicke sagten deutlich:

—— Wir können Dich nicht leiden und mögen Dich darum auch nicht im Hause herumführen.

Sie fand sich nicht nach den ihr gegebenen dürftigen Winken, sondern nach dem Klange der knarrenden und zitternden Stimme des Veteranen zum alten Mazey, wie er in seiner Abgeschiedenheit einen Vers aus dem unsterblichen Seemannsliede: »Tom Bowling« sang. Gerade als sie die steinernen Gänge im Erdgeschoß des Hauses dahin schritt, ungewiß, wohin sie sich zunächst wenden sollte, hörte sie die tonlose Stimme des Alten in der Ferne die folgenden Worte singen:

Sein’ Gestalt war von der männlichsten Schö———ö—önheit
Sein Herz war mild und sanft;
Treulich that hienieden Tom seine Pflichten,
Aber jetzt ist er gangen fo———o—o——o—ort,
Aber jetzt ist er ga—a———a-angen fort!

Magdalene ging in der Richtung der zitternden Stimme und befand sich alsbald in einem kleinen Zimmer, das nach dem Hinterhof ging. Da saß der alte Mazey mit seiner Brille weit unten auf der Nase, mit seinen knorrigen alten Händen am Takelwerk seines Schiffsmodells herumfahrend. Da lagen auch wieder Brutus und Cassius und verdauten am Feuer und schnarchten, als ob sie sich ganz wohlig dabei fühlten. Da hing Lord Nelson an der einen Wand in grellen Wasserfarben und dort an der andern eine Abbildung von Admiral Bartrams letztem Flaggenschiff unter vollen Segeln auf einer See, die wie Schiefer aussah, darüber ein Himmel in der Farbe des Lachses, um die Täuschung vollkommen zu machen.

—— Was, sie wollen Dich nicht im Hause herumweisen, wirklich? sagte der alte Mazey. Dann will ich es thun! Das erste Hausmädchen ist ein sauertöpfiges Ding, ja, mein Kind, wie es je eines gab. Du bist zu jung und gutaussehend, als daß Du ihnen gefallen könntest —— Das ist es nur.

Er stand anf, nahm seine Brille ab und schürte das Feuer ein wenig.

—— Sie ist schlank wie eine Pappel, sagte der alte Mazey in schläfrigem Selbstgespräch vor sich hin und betrachtete Magdalenens Gestalt.

—— Sie ist kerzengerade, wie eine Pappel, und Seine Gnaden der Admiral sagt es auch!

—— Komm mit, mein Kind, fuhr er fort und wandte sich wieder zu Magdalenen. Ich will Dir erst Deine Compaßgegenden lehren. Wenn Du Deinen Compaß hast, mag es drüber oder drunter gehen, so wirst Du auch eine glatte Fahrt haben durchs ganze Haus.

Er ging nach der Thür voraus, blieb stehen und ging, plötzlich seines Schiffes im verjüngten Maßstabe gedenkend, wieder zurück, um sein Schifflein in einen leeren Wandschrank zu stellen, —— schritt wieder nach der Thür voraus, blieb abermals stehen, erinnerte sich, daß einige von den Zimmern etwas kalt waren, und polterte nun fluchend und brummend umher und suchte seinen Hut. Magdalene setzte sich ruhig nieder, um auf ihn zu warten. Sie verglich mit dankbarem Herzen seine Behandlung mit derjenigen, welche sie von Seiten der Frauenzimmer erfahren hatte.

Man mag sich so fest, als man wolle, dessen erwehren, mag sich so stolz, als man will, darüber hinwegsetzen: alle grundsätzliche Unfreundlichkeit —— gleichviel wie wenig man darauf zu geben hat —— hat einen bittern Stachel in sich, der uns bis aufs Leben trifft.

Magdalene erfuhr an sich den Grad, in dem sie die kleine Bosheit der Mägde gefühlt hatte, nur an dem Eindruck, welchen hinterher die rauhe Freundlichkeit des Matrosen auf sie machte. Der stumme Willkommen der Hunde, als die Bewegungen im Zimmer sie aus ihrem Schlafe erweckt hatten, rührte sie noch mehr. Brutus schob seine mächtige Schnauze zutraulich in ihre Hand, und Cassius legte ihr eine seiner Vorderpfoten freundschaftlich auf den Schooß. Ihr Herz empfand Heimweh, als sie die beiden Thiere streichelte und liebkoste. Es war ihr, als ob es erst gestern geschehen sei, wo sie und die Hunde auf Combe-Raven zusammen im Garten sich getummelt und sie die Sommermorgen auf dem schattigen grünen Rondel vor dem Hause fröhlich hinweg gespielt hatte. ——

Der alte Mazey fand endlich seinen Hut, und sie brachen nun mit den Hunden hinter sich zu ihrer Entdeckungsreise auf.

Indem sie das Erdgeschoß des Hauses verließen, welches ganz und gar von Gesindestuben eingenommen war, stiegen sie ins erste Stock hinauf und traten in den langen Corridor, mit welchem Magdalene sich bereits den Abend vorher bekannt gemacht hatte.

—— Stell Dich ’mal mit dem Rücken hierher, sagte der alte Mazey und zeigte auf die lange Wand, welche in unregelmäßigen Zwischenräumen von Fenstern unterbrochen wurde, die aus einen Hofgarten und Fischteich hinaus gingen, und auf die rechte Seite des Ganges, wo Magdalene jetzt stand. ——

—— Stell Dich ’mal mit dem Rücken gegen diese Wand, sagte der alte Veteran, und sieh geradeaus. Was siehst Du da?

—— Die andere Wand des Ganges, sagte Magdalene.

—— So, so? Was denn noch?

—— Die Thüren, welche in die Zimmer führen.

—— Was sonst noch?

—— Weiter sehe ich Nichts.

Der alte Mazey kicherte, blinzelte und drohte Magdalenen mit seinem knorrigen Zeigefinger bedeutungsvoll.

—— Du siehst eine von den Gegenden des Compasses, mein Kind. —— Wennst Du Deinen Rücken gegen diese Wand gekehrt hast und wennst Du geradeaus siehst, so siehst Du Norden. [Der alte Mazey spricht im Original Noathe statt North. W.]

—— Wennst Du Dich jemals hier verlaufen solltest, so stell Dich mit dem Rücken gegen die Wand, sieh geradeaus und sage zu Dir:

—— Ich sehe nach Norden!

—— So machst Du’s, wenn Du ein gutes Kind bist und nicht vergissest, was man Dir gesagt hat!

Nachdem der alte Mazey diese vorläufige Belehrung gespendet, öffnete er die Thür linker Hand auf dem Gange. Sie führte in das Speisezimmer, mit dem Magdalene bereits vertraut war. Das zweite Zimmer war für die Bibliothek hergerichtet, und das dritte als ein Morgenzimmer.

Die vierte und fünfte Thür, beide zu ausgeräumten und unbewohnten Zimmern führend und beide verschlossen, brachten sie an das Ende des nördlichen Flügels des Hauses und an den Eingang zu einem zweiten und kürzeren Gange, welcher im rechten Winkel auf den ersten stieß.

Hier kam der alte Mazey, welcher während der Besichtigung der Zimmer seine Zeit hübsch gleichmäßig in Plaudereien von Seiner Gnaden dem Admiral und Signalpfiffen für die Hunde getheilt hatte, mit aller möglichen Schnelligkeit auf die Gegenden des Compasses zurück und wies Magdalenen mit schauerlichem Ernst an, sich abermals mit dem Rücken an die Wand zu stellen. Sie versuchte«diese Anstellung abzukürzen, indem sie ganz richtig angab, daß ihre gegenwärtige Stellung, wie sie wüßte, nach Osten wäre.

—— Sprich Du doch nicht von Osten, mein Kind, sagte Mazey, indem er unerschütterlich nach seinem eigenen Lehrplane fortfuhr, —— bis Du erst Osten kennst. Stell Dich mit dem Rücken gegen die Wand und sieh geradeaus. Was siehst Du?...

Und so ging der Unterricht durch Frage und Antwort fort.

Als das Ende erreicht war, war Magdalenens Lehrmeister befriedigt. Er lachte und blinzelte wieder wie vorher.

—— Jetzt kannst Du von Osten sprechen, mein Kind, sagte der Veteran, denn jetzt kennst Du ihn.

Der östliche Flügel brachte sie nur einige Fuß vorwärts und endigte in einen Vorsaal mit einer hohen Thür, die ihnen, als sie vorwärts gingen, entgegenstand. Die Thür führte sie in ein großes, hohes Wohnzimmer, das wie die übrigen Zimmer, mit kostbaren altmodischen Möbeln ausgestattet war. Aber durch Dieses Zimmer schreitend schob Magdalenens Führer eine schwere Schiebethür gegenüber der Eingangsthür hinweg.

—— Deck Deine Schürze auf den Kopf, sagte Mazey. Wir kommen jetzt in die Banquethalle. Der Boden ist verteufelt kalt, und die Feuchtigkeit steckt an dem Orte fest wie Rußflocken in einem Meiler. Seine Gnaden der Admiral nennt es die nordwestliche Durchfahrt. Ich habe auch einen Namen dafür. Ich nenne es: Satans Knochenkälter. [ Dachte der alte Trinker dabei zugleich an die Kelter?]

Magdalene ging durch den Vorsaal und befand sich in in der alten Banquethalle von St. Crux.

Zu ihrer Linken sah sie eine Reihe hoher Fenster mit tiefen Nischen, auf eine Wandfläche von mehr als hundert Fuß Länge vertheilt. Rechts von ihr hing in einer langen Reihe von einem Ende zum andern an der gegenüberliegenden Wand eine abscheuliche Sammlung schauriger nachgedunkelter alter Bilder in morschen Rahmen, Schlachtscenen zu Wasser und zu Lande darstellend. Unter den Gemälden in der Mitte der Wand gähnte der gräuliche Schlund eines Kamins mit einem hohen Mantel von schwarzem Marmor. Das einzige Möbel, wenn man es Möbel nennen kann, —— das man in der öden Leerheit des Raumes weit und breit zu sehen bekam, war ein hagerer aIter Dreifuß von merkwürdiger getriebener Arbeit, der ganz allein inmitten der Halle dastand und ein weites rundes Becken trug, das tief mit der Asche eines erloschenen Kohlenfeuers angefüllt war. Die hohe Decke, einstmals schön geschnitzt und vergoldet, war von Schmutz und Spinneweben entstellt, die nackten Wände an jedem Ende des Gemaches waren von Feuchtigkeit fleckig, und die Kälte des Marmorbodens drang durch den schmalen Streifen einer Matte, die gleichlaufend mit den Fenstern, als Fußpfad für Diejenigen gelegt war, welche die Wildniß des Raumes betraten. Man hätte keinen bessern Namen dafür erfinden können, als der ihm vom alten Mazey gegebene war. »Knochenkälter« war in der That die genaue Beschreibung in zwei Worten von der Banquethalle zu St. Crux.

—— Steckt Ihr niemals Feuer an diesem abscheulichen Orte an? frug Magdalene.

——Es kommt ganz darauf an, auf welcher Seite des »Knochenkälter« Seine Gnaden der Admiral wohnt —— sagte der alte Mazey. Seine Gnaden liebt sein Quartier manchmal auf die eine, manchmal auf die andere Seite des Hauses zu verlegen. Wenn er im Norden des Knochenkälters wohnt, woher Du just kommen bist, so verschwenden wir unsere Kohlen hier nicht. Wohnt er aber südwärts des Knochenkälters, wohin wir demnächst uns wenden, so stecken wir das Feuer in dem Kamin und die Kohlen auf dem Becken an. Jede Nacht, wenn wir das thun, wird die Feuchtigkeit über uns Herr, jeden Morgen kommen wir wieder und werden der Feuchtigkeit Herr.

Mit dieser merkwürdigen Erklärung gings der alte Mazey an das untere Ende der Halle voran, machte noch mehrere Thüren auf und führte Magdalenen durch eine neue Folge von Zimmern, vier an der Zahl, alle von mäßiger Größe und allesamt in derselben Weise ausgestattet, als die Gemächer in dem nördlichen Flügel. Sie sah zu den Fenstern hinaus und erblickte die vernachlässigten Gartenanlagen von St. Crux, die von Unkraut und Brombeersträuchern überwuchert waren. Hier und da in nicht großer Entfernung in den Fluren wandte sich die sanftgebogene Linie eines der kleinen Rinnsale, wie sie der Gegend eigenthümlich waren, im Sonnenschein glitzernd, durch einzelne Blößen des Baumschlags und Brombeergesträuchs. Die weitere Ferne über dem flachen Lande im Osten war hier und da mit kleinen Dörfern besäet, von dem Netzwerk der »Hinterwasser« durchschnitten und wieder durchschnitten und plötzlich durch die lange gerade Linie des Seedammes abgeschlossen, welcher die schutzlose Küste von Essex gegen das Hereinbrechen des Meeres sicher stellt.

—— Haben wir noch mehr Zimmer zu sehen? frug Magdalene, nachdem sie nach den Gärten sich umgesehen hatte, und schaute sich nach einer andern Thür um.

—— Nein, keine weiter, mein Kind, wir sind hier auf den Grund gekommen, und wir können uns nun wenden und wieder umkehren, sprach der alte Mazey. Es ist noch eine andere Seite vom Hause, genau südlich von Dir, wie Du jetzt stehst, die uns bald auf den Kopf fällt. Du mußt in den Garten gehen, wenn Du sie sehen willst, sie ist an der andern Seite dieser Wand hier durch eine Ziegelsteinmauer von uns getrennt. Die Mönche wohnten genau südlich von uns, mein Kind, hunderte von Jahren, bevor Seine Gnaden der Admiral geboren wurde, oder auch nur an ihn gedacht wurde, und eine schöne Zeit dazu hatten sie, wie ich gehört habe. Sie sangen alle Morgen in der Kirche —— und jeden Nachmittag, da tranken sie Grog in dem Obstgarten. Sie schliefen ihre Grogräuschchen auf den besten Federbetten aus und wurden von der Nachbarschaft dick und fett, Jahr auf, Jahr ein. Glückliche Bettler, glückliche Bettler! ——

Dergestalt die Mönche anredend und offenbar bedauernd, daß er selbst nicht in jenen guten alten Zeiten gelebt hatte, führte sie der Alte wieder durch die Zimmer zurück. Auf dem Rückwege durch »Satans Knochenkälter« ging Magdalene voran.

— Sie ist so schlank wie eine Pappel, murmelte der alte Mazey vor sich hin, indem er hinter seiner jugendlichen Gefährtin drein humpelte und sein ehrwürdiges Haupt wohlgefällig hin- und herwiegte.

—— Ich war nie wählerisch, welchem Volke sie angehörten, aber ich habe sie immer gern schlank und schön gewachsen gehabt und werde sie auch immer schlank und schön gewachsen gern haben bis an mein letztes Stündlein.

—— Sind noch mehr Zimmer oben im zweiten Stock zu sehen? frug Magdalene, als sie zu dem Punkte zurückkehrten, von wo sie ausgegangen waren.

Der ihr von der Natur gegebene helle klare Ton der Stimme hatte sich für das schwere Gehör des alten Seemannes bisher ziemlich leicht verständlich gemacht. Zu ihrem Erstaunen wurde er plötzlich stocktaub gegen ihre letzte Frage.

—— Weißt Du Deine Compaßgegenden noch? frug er. Wenn Du sie nicht mehr weißt, so stelle Dich wieder mit dem Rücken gegen die Wand, und wir wollen sie noch Mal durchgehen, von Norden angefangen.

Magdalene versicherte ihm, daß sie sich jetzt mit alle Gegenden, Norden mitgerechnet, ganz vertraut fühlte, und wiederholte sodann ihre Frage in lauterem Tone. Der Alte wich ihr eigensinnig wieder aus und wurde noch tauber als zuvor.

—— Ja, mein Kind, sagte er. Du hast Recht, es ist kalt in diesen Räumen und, wenn, ich nicht zu meinem Feuer zurückkehre, wird mein Feuer ausgehen, nicht wahr? —— Wennst Du in Deinen Compaßgegenden nicht mehr sicher bist, so komme nur zu mir, und ich will Dich denn wieder zurecht weisen.

Er blinzelte ihr freundlich zu, pfiff den Hunden und humpelte ab. Magdalene hörte ihn über seinen Erfolg vergnüglich kichern, den er gehabt hatte, als es galt, ihrer Neugierde betreffs des zweiten Stockes auszuweichen.

—— Ich weiß, wie ich sie zu nehmen habe! sprach der alte Mazey für sich mit hohem Selbstbewußtsein. Groß oder klein, einheimisch oder fremd, Liebste oder Frau: ich weiß schon mit ihnen fertig zu werden!

Sich selbst überlassen machte Magdalene von der trefflichen Art des Seemanns seine Leute zu behandeln, für sich ihre besondere Nutzanwendung, indem sie sofort die Treppe hinaufging, um auf eigene Hand im zweiten Stock ihre Nachforschungen anzustellen er mit Steinen ausgelegte Gang war hier ganz genau ebenso, wie der im ersten Stock, nur mit dem Unterschiede, daß noch mehr Thüren sich auf denselben öffneten. Sie machte aufs Geradewohl die beiden nächsten Thüren eine nach der andern auf und entdeckte, daß beide Zimmer Schlafstuben waren. Die Besorgniß, von einem der Dienstmädchen in einem Theil des Hauses, mit welchem sie Nichts zu schaffen hatte, überrascht zu werden, verbot ihr, ihre Forschungen in dem Stockwerk der Schlafgemächer nicht gleich zu weit zu treiben. Sie eilte rasch ans Ende des Ganges, um zu sehen, wo er endigte, entdeckte, daß er in eine Rumpelkammer auslief, welche der Lage des Vorsaales eine Treppe tiefer entsprach, und wandte ihre Schritte augenblicklich wieder zurück.

Auf dem Rückwege bemerkte sie einen Gegenstand, der vorher ihrer Aufmerksamkeit entgangen war. Es war ein niederes Rollbett, das gleichlaufend mit der Wand dicht an einer der Thüren auf der Seite der Kammern stand. Trotz dieser seiner wunderlichen und unbehaglichen Stellung war das Bett offenbar Nachts von einem Schläfer benutzt, die Bettwäsche war darauf, und der Zipfel einer dicken rothen Fischermütze guckte unter dem Kopfkissen hervor. Sie wagte die Thür zu öffnen, an welche das Bett gerückt war, und befand sich, wie sie aus gewissen Zeichen und Merkmalen richtig geschlossen hatte, im Schlafgemach des Admirals. Eine Durchsicht des Zimmers von der Dauer eines Augenblicks war Alles, was sie zu wagen das Herz hatte, und sie kehrte darauf, die Thüre leise schließend, in die Küchengegend zurück.

Das Rollbett und die seltsame Stellung desselben blieben ihr den ganzen Nachmittag in Sinn und Gedanken. Wer konnte in aller Welt darin schlafen? Die Erinnerung an die rothe Fischermütze und die Kenntniß, welche sie bereits von Mazeys wahrer Hundetreue gegen seinen Herrn erlangt hatte, verhalfen ihr zu dem Schlusse, daß nur der alte Seemann der Insasse des Rollbettes sein könnte. Aber warum sollte er, da es doch Kammern vollauf und genug gab, jene kalte und trostlose Lage in der Nacht einnehmen? Warum sollte er als Wache vor seines Herrn Thüre schlafen? Gab es für die Nacht irgend eine Gefahr im Hause, vor welcher der Admiral sich fürchtete? —— Die Frage schien lächerlich, und doch nöthigte die Stellung des Bettes sie ihr immer wieder unwiderstehlich auf.

Angereizt durch ihre unbezwingliche Neugierde über diesen Punkt, wagte Magdalene eine Frage an die Haushälterin. Sie bekannte, auf dem Gange im zweiten Stock von einem Ende zum andern gewandert zu sein, nur um zu sehen, ob er eben solang sei, als der im ersten Stock und erwähnte, mit Erstaunen die seltsame Stellung des Rollbettes bemerkt zu haben. Mrs Drake antwortete auf ihre versteckte Frage kurz und scharf.

—— Ich will es einem jungen Mädchen, wie Du, nicht zu hoch anrechnen, sprach die alte Dame, daß es ein wenig neugierig ist, wenn es zum ersten Male in ein seltsames Haus wie dieses ist, kommt. Aber merke Dir für die Zukunft, daß Deine Arbeit nicht indem Stockwerk mit den Kammern ist. Mr. Mazey schläft in dem Bette, das Du bemerkt hast. Es ist seine Gewohnheit in der Nacht, vor seines Herrn Thüre zu schlafen.

Nach dieser magern Erklärung schlossen sich Mrs. Drakes Lippen und thaten sich nicht wieder auf.

Später am Tage fand Magdalene eine Gelegenheit, sich an den alten Mazey selbst zu wenden. Sie fand den Alten bei sehr guter Laune, wie er seine Pfeife schmauchte und sich an seinem Feuer einen Zinnkrug mit Ale wärmte.

—— Mr. Mazey, frug sie kühnlich, warum stellt Ihr Euer Bett in jenen kalten Gang hinaus?

—— Was, Du bist oben gewesen, Du junger Gelbschnabel? sagte der alte Mazey und sah von seinem Krug mit einem Seitenblicke auf.

Magdalene lächelte und nickte.

—— Macht, hin, sagt es mir, sprach sie schmeichelnd, warum schlaft Ihr vor des Admirals Thür?

—— Warum scheitelst Du Dein Haar mitten über der Stirn, mein Kind, frug der alte Mazey, mit einem zweiten Seitenblick.

—— Nun ich denke, weil ich gewohnt bin, es zu thun, antwortete Magdalene.

—— So, so? sagte der Alte. Also darum, he? Gut, mein Kind, der Grund, warum Du Dein Haar in der Mitte scheitelst, ist der nämliche, warum ich vor des Admirals Thür schlafe.

—— Ich weiß schon, mit ihnen fertig zu werden! schmunzelte der alte Mazey, indem er wieder in sein Selbstgespräch verfiel und sein Ale mit großem Triumph rührte. Lang oder kurz, fremd oder einheimisch, Liebste oder Frau: ich weiß mit’s Frauenzimmer fertig zu werden!

Magdalenens dritter und letzter Versuch, das Geheimniß des Rollbettes zu lösen, wurde gemacht, als sie den Admiral bei Tische bediente. Die Fragen des alten Herrn gaben ihr Gelegenheit, ohne den geringsten Schein von Anmaßung oder Mißachtung auf den Gegenstand zurückzukommen. Allein derselbe erwies sich auf seine Art gerade so verschlossen, wie der alte Mazey und Mrs. Drake auf ihre Art gewesen waren.

—— Das geht Dich Nichts an, mein Kind, sagte der Admiral etwas derb. Sei nicht neugierig. Guck in Dein Altes Testament, wenn Du hinunter gehst und siehe, was in dem Paradiesgarten durch Neugierde angerichtet worden ist. —— Sei ein gutes Mädchen und mach es nicht, wie Deine Mutter Eva.

Als Magdalene spät am Abend am Ende des Ganges des zweiten Stockwerks vorbeikam, indem sie allein auf ihr Zimmerlein hinaufgehen wollte, blieb sie stehen und lauschte. Ein Schrank stand am Eingange des Corridors, um denselben den Blicken der auf der Treppe vorbeikommenden Personen zu verbergen. Das Schnarchen, das sie auf der andern Seite des Schrankes hörte, ermuthigte sie, um denselben herum zu schlüpfen und ein paar Schritte vorwärts zu schreiten. Indem sie das Licht ihres Leuchters mit der Hand verhüllte, wagte sie sich dicht an die Thür des Admirals heran und sah zu ihrem Erstaunen, daß das Bett, seit sie es am Tage gesehen hatte, so gerückt worden war, daß es quer vor der Thür stand und Jedwedem, der in des Admirals Zimmer eindringen wollte, den Weg versperrte. Nach dieser Entdeckung war der alte Mazey selbst, wie er wacker schnarchend dalag, die rothe Fischermütze tief in die Augen gedrückt und das Deckbett bis an die Nase herausgezogen, —— ein Gegenstand von im Vergleich mit seinem Bett geringerer Wichtigkeit für sie. Daß der Alte wirklich als Wache vor seines Herren Thür schlief und daß er und der Admiral und die Haushälterin in das Geheimniß dieser räthselhaften Maßregel eingeweiht waren, war nun außer allem Zweifel.

—— Ein seltsames Ende, dachte Magdalene, indem sie über ihre Entdeckung auf ihrem Wege nach ihrem Schlafgemach hinauf nachgrübelte. Ein seltsames Ende für einen seltsamen Tag!


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