Fräulein Minna und der Reitknecht
V.
„Du gedenkst wohl nicht den Mann anzunehmen?“ sagte frau Claudia, als die Tür sich schloss.
„Warum nicht?“ fragte mein Oheim.
„Ich habe eine Abneigung gegen ihn gefasst.“
Diese kurze Antwort widersprach so vollständig dem Charakter meiner Tante, dass der General sie freundlich bei der Hand nahm und sagte:
„Ich fürchte, dass du nicht wohl bist.“
Sie zog gereizt ihre Hand zurück.
„Ich fühle mich nicht wohl, aber es hat nichts zu sagen.“
„Es hat etwas zu sagen, Claudia. Was kann ich für dich tun?“
„Schreibe dem Manne“ - sie unterbrach sich und lächelte verächtlich. „Denke dir einen Reitknecht, der Widerwillen gegen Katzen hat!“ sagte sie, sich an mich wendend. „Ich weiß nicht, was du darüber denkst, Minna. Aber ich selbst habe ein ernstes Bedenken gegen Dienstboten, die sich über ihre Stellung im Leben erheben.“
„Schreibe“, wiederholte sie, sich an ihren Gemahl wendend, „und sage ihm, dass er sich um eine andere Stelle umsehen möge.“
„Welches Bedenken kann ich ihm gegenüber geltend machen?“ fragte der General verlegen.
„Guter Himmel! Kannst du keine Entschuldigung finden? Sage ihm doch, dass er zu jung sei.“
Mein Oheim blickte in bedeutsamem Schweigen nach mir – schritt langsam zum Schreibtische – und warf einen Blick auf seine Frau in der schwachen Hoffnung, dass sie noch ihre Meinung ändern möchte. Ihre Augen begegneten sich – und sie schien die Herrschaft über ihr Gemüt wiederzuerlangen. Sie legte schmeichelnd die Hand auf die Schulter des Generals.
„Ich erinnere mich der Zeit“, sagte sie sanft, „da eine Laune von mir dir ein Befehl war. Ach, ich war damals noch jünger!“
Durchaus bezeichnend für ihn. Er küsste zuerst die Hand seiner Frau und alsdann schrieb den Brief. Meine Tante belohnte ihn mit einem Blicke und verließ die Bibliothek.
„Was zum Henker ist mit ihr los?“ sagte mein Oheim zu mir, als wir allein waren. „Missfällt dir der Mann auch?“
„Gewiss nicht. Soweit ich es beurteilen kann, scheint er mir gerade der Mann zu sein, den wir brauchen.“
„Und er versteht sich gründlich auf die Behandlung von Pferden, meine Liebe. Was mag nur deine Tante gegen ihn einzuwenden haben?“
Als diese Worte über seine Lippen kamen, öffnete Frau Claudia die Tür der Bibliothek.
„Ich schäme mich über mich selbst“, sagte sie zärtlich. „in meinem Alter habe ich mich noch wie ein verwöhntes Kind betragen. Wie gut bist du gegen mich! Lass mich versuchen, mein schlechtes Verhalten wieder gut zu machen. Willst du mir erlauben?“
Damit ergriff sie den Brief des Generals, ohne auf eine Erlaubnis zu warten, zerriss ihn, freundlich lächelnd, in Stücke, und warf die Fetzen in den Papierkorb. „Als wenn du es nicht besser verstündest als ich!“ sagte sie, indem sie ihn auf die Stirn küsste. „Nimm den Mann doch ja in Dienst.“
Sie verließ das Zimmer zum zweiten Mal. Zum zweiten Mal blickte mein Oheim in vollständiger Fassungslosigkeit nach mir – und ich nach ihm in derselben Stimmung. Der Ton der Frühstücksglocke brachte uns beiden die gleiche Erleichterung. Nicht ein Wort wurde mehr von dem neuen Reitknechte gesprochen. Seine Zeugnisse wurden durch die eingeholte Auskunft bestätigt, und nach drei Tagen trat er in den Dienst des Generals ein.
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