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Gesetz und Frau



Zweites Kapitel.

Erste Frage — starb die Frau an Gift?

Die Verhandlungen begannen um 10 Uhr.

Der Gefangene erschien vor dem Schwurgericht von Edinburg. Er verbeugte sich respectvoll , vor den Richtern und beantragte mit leiser Stimme das Nichtschuldig.

Das Antlitz des Gefangenen zeigte die Spuren tiefen geistigen Leidens; er war tödtlich blaß. Sein Auge wandte sich niemals zum Publikum. Wenn gewisse Zeugen gegen ihn er schienen, blickte er dieselben mit augenblicklicher Aufmerksamkeit an. Sonst hielt er die Blicke stets zu Boden geheftet. Als die Zeugenaussagen seines Weibes Krankheit und Tod berührten war er tief ergriffen und bedeckte das Antlitz mit den Händen. Es setzte allgemein in Erstaunen daß der Gefangene, obwohl ein Mann weit weniger Selbstbeherrschung in seiner Sache zeigte, als seine Vorgängerin welche mit Zeugenaussagen gegen sich beinahe überbürdet war. Nur eine geringe Minorität der Anwesenden deutete diesen Mangel an Fassung zu Gunsten des Gefangenen. Selbstbeherrschung in einer so entsetzlichen Lage war nach ihrer Ansicht gleichbedeutend mit der Gefühllosigkeit und Herzlosigkeit eines raffinierten Verbrechers, gleichbedeutend mit Schuld anstatt mit Unschuld.

Der erste vorgerufene Zeuge war John Daviot, Esqre, Sheriff-Substitut von Mid-Lothian. Von dem Lord-Anwalt als Ankläger befragt, äußerte er folgendes:

»Der Gefangene wurde unter der schwebenden Anklage vor mich gebracht. Er entwarf und unterschrieb eine Erklärung vom 29. October. Das Schriftstück wurde aus freiem Antriebe aufgesetzt, nachdem der Gefangene pflichtmäßig gewarnt und zur Wahrheit ermahnt worden war.

Nachdem sich der Sheriff-Substitut von der Identität der Declaration überzeugt und von dem Decan der Facultät als Vertheidiger in’s Kreuzverhör genommen war, setzte er seine Aussage mit folgenden Worten fort:

»Die Anklage gegen den Gefangenen ist Mord. Dies wurde ihm mitgetheilt, ehe er die Declaration niederschrieb. Die dem Gefangenen vorgelegten Fragen geschahen theils durch mich selbst, theils durch einen andern Beamten den fiskalischen Procurator. Die Antworten wurden bestimmt und rückhaltlos gegeben.

Ein Schreiber in dem Secretariat des Sheriffs legte dann die Declaration nieder und bekräftigte die Zeugenaussage seines Vorgängers.

Das Erscheinen des nächsten Zeugen rief eine allgemeine Sensation hervor. Es war die Wärterin welche Mrs. Macallan in ihrer letzten Krankheit gepflegt hatte. Sie hieß Christina Ormsay.

Nach den ersten formellen Antworten die sie dem Lord-Anwalt gegeben hatte, ließ sie sich folgendermaßen aus:

»Am 7. October ward zu mir geschickt, da mit ich der verstorbenen Mrs. Macallan in ihrer Krankheit Hilfe leiste. Sie litt damals an einer schweren Erkältung, begleitet von einer rheumatischen Affection des linken Kniegelenks. Vor diesem Anfall sollte ihre Gesundheit nichts zu wünschen übrig gelassen haben. Sie war keine angenehme Kranke, wie man zu sagen pflegt; man mußte mit ihr umzugehen verstehen. Die Dame hatte keinen angenehmen Character. Sie war eigensinnig und heftig, sehr leicht leidenschaftlich erregt und in ihren Ausbrüchen von Zorn sowohl in Worten als Handlungen ziemlich unzurechnungsfähig. Wenn diese Stimmungen über sie kamen bin ich überzeugt, daß sie oft nicht wußte, was sie that. Nach meiner Ansicht war ihr Temperament durch häusliches Unglück ein noch erregteres geworden. Von Zurückhaltung war keine Rede bei ihr. Im Gegentheil, sie war zu mittheilend in Bezug auf sich und ihre Bekümmernisse, selbst gegen Leute, welche, wie ich, weit unter ihr standen. Sie nahm z. B. nicht den geringsten Anstand, mir zu erzählen, daß sie sich sehr unglücklich fühle, und sprach in wenig zärtlichen Ausdrücken von ihrem Gemahl. Einstmals in einer schlaflosen Nacht sagte sie zu mir: —

Der Decan der Facultät, welcher die Interessen des Gefangenen wahrnahm, unterbrach hier die Zeugin mit der Bemerkung an die Richter, ob es erlaubt sei, daß ein solch’ loses und unzusammenhängendes Zeugniß wie dieses überhaupt vom Gerichtshof angenommen werden dürfe. Der Lord-Anwalt im Interesse der Krone beanspruchte es als sein Recht, auch solche Zeugnisse zu Protokoll zu nehmen; denn es sei in diesem Fall von der größten Wichtigkeit, zu zeigen, in welchen Beziehungen Mr. und Mrs. Macallan zu einander standen. Die Zeugin wäre eine sehr achtbare Frau. Sie hatte sich das Vertrauen der unglücklichen Dame, die sie bis an ihren Tod pflegte, gewonnen und verdient.

Nach einer kurzen Berathung entschieden die Richter einstimmig dahin, daß ein solch’ ab schweifendes Zeugniß nicht zulässig sei. Nur was die Zeugin mit eigenen Augen von dem ehelichen Leben der Macallans gesehen, könne als Zeugniß vor dem Gerichtshofe gelten.

Christina Ormsay fuhr nun in ihrer Aussage fort:

»Ja meiner Stellung als Wärterin hatte ich Gelegenheit, tiefere Einblicke in das Leben der Mrs. Macallan zu thun, als es irgend einer anderen Person gestattet war.«

»Wie ich schon einmal bemerkt, sah ich deutlich genug, daß Mr. und Mrs. Macallan uneinig mit einander lebten. Ich erlaube mir, ein Beispiel aus meiner eigenen Beobachtung mitzutheilen: Als meine Beschäftigung bei Mrs. Macallan sich bereits ihrem Ende zuneigte, kam eine junge Wittwe Namens Mrs. Beanly, eine Nichte von Mr. Macallan, nach Gleninch zum Besuch. Mrs. Macallan war eifersüchtig auf die Dame, und sie zeigte es öfters in meiner Gegenwart, so auch an dem Tage vor ihrem Tode, als Mr. Macallan in ihr Zimmer kam, um sich zu erkundigen, wie sie die Nacht geschlafen. »O,« sagte sie, »bekümrnere Dich doch nicht um meinen Schlaf! Das kann Dir ja ganz gleichgültig sein! Wie hat denn Mrs. Beanly die Nacht zugebracht? Ist sie diesen Morgen noch schöner als sonst? Bitte, geh’ doch zurück zu ihr. Was verschwendest Du Deine Zeit an meinem Krankenbett?« In dieser Weise beginnend, sprach sie sich zuletzt in völlige Wuth. Ich war gerade dabei, ihr das Haar zu bürsten, und da ich sah, daß meine Anwesenheit unter diesen Umständen überflüssig sei, machte ich Miene, das Zimmer zu verlassen Sie verbot es mir. Mr. Macallan, welcher wohl von demselben Gefühl beherrscht sein mochte als ich, bat mich in milden Worten, daß ich gehen möchte. Mrs. Macallan aber bestand auf mein Bleiben und äußerte dies in einer so heftigen und insolenten Weise gegen ihren Gatten, daß dieser sagte:

»Wenn Du so wenig Selbstbeherrschung hast, muß entweder die Wärterin das Zimmer verlassen oder ich.« Mrs. Macallan opponirte noch immer. »Eine hübsche Entschuldigung,« sagte sie, »zu Mrs. Beanly zurückzukommen. Geh!« Er nahm sie beim Wort und verließ das Zimmer. Kaum hatte sich die Thür hinter ihm geschlossen, als sie in der beleidigendsten Weise über ihn herzog. Sie behauptete unter Anderem, daß alle Nachrichten der ganzen Welt ihm nicht so angenehm sein würden, als die Nachricht von ihrem Tode. Ich erlaubte mir, ganz bescheiden Einspruch dagegen zu thun. Da nahm sie die Haarbürste, warf sie mir an den Kopf und hieß mich gehen. Ich verließ das Zimmer und wartete unten, bis der Wuthanfall vorüber sein würde. Dann kehrte ich zurück, und es war wieder eine Weile ruhig.

Es mag nicht unangemessen sein, noch ein Wort hinzuzufügen, welches zur Motivirung von Mrs. Macallan’s Eifersucht gegen ihres Gatten Nichte dienlich sein könnte. Mrs. Macallan war eine durchaus unschöne Person. Sie schielte auf einem Auge, und ihr Teint war so schmutzig und sinnig, wie ich es in meinem Leben noch nicht gesehen hatte. Mrs. Beanly dagegen besaß ein sehr anziehendes Wesen. Ihren Augen wurden allgemein bewundert, und ihre Haut war von der Weiße eines Lilienblatts. Die arme Mrs. Macallan sagte immer, aber gewiß mit Unrecht, daß sie sich schminkte. Die Unvollkommenheiten in der äußern Erscheinung der verstorbenen Lady standen aber in durchaus keiner Beziehung zu ihrer Krankheit. Diese schien, so weit ich es beurtheilen kann, mehr lästig und beschwerlich als gefahrvoll. Bis zum letzten Tage hatten sich durchaus keine beunruhigenden Symptome gezeigt. Die rheumatische Anschwellung ihres Knies war natürlich schmerzhaft und das ewige Imbettbleiben unangenehm, — das war aber auch alles. Sie hatte Bücher und Schreibmaterial auf einem invaliden Tisch, der sich um seine Axe drehte und ihr daher sehr bequem war, neben dem Bette stehen. Zu Zeiten las und schrieb sie viel. Manchmal lag sie aber auch still, mit ihren Gedanken beschäftigt, oder mit mir und einigen Freundinnen sprechend, die sie tagtäglich besuchten.

Ihren Schreiberei, so weit ich es beurtheilen kann, bestand größtentheils in Verse machen, worin sie eine bedeutende Fertigkeit hatte. Ich mußte manche Gedichte lesen. Dieselben sprachen gewöhnlich Verzweiflung über sich selbst aus, Unzufriedenheit, daß sie überhaupt geboren, und was des Unsinns noch mehr war. Ihrem Gatten ertheilte sie auch manchen wuchtigen Hieb wegen seines grausamen Herzens und weil er die Verdienste seines Weibes nicht anerkannte. Mit einem Wort, sie machte ihrem Unmuth so wohl mit der Feder als mit der Zunge Luft. Es gab Stunden, in denen ein Engel hätte vom Himmel kommen können, ohne daß es ihm gelungen sein würde, Mrs. Macallan zu genügen.

Während der ganzen Dauer ihrer Krankheit bewohnte die verstorbene Lady dasselbe Zimmer. Ja! der Plan des Zimmers ist ganz richtig gezeichnet. Eine Thür führte in den großen Corridor, auf den auch alle anderen Thüren münden; eine zweite Thür (auf dem Plan mit B bezeichnet) führte in Mr. Macallan’s Schlaf zimmer, eine dritte dieser gegenüber liegende Thür (C auf dem Plan) communicirte mit dem kleinen Studir- oder Bücherzimmer, welches, wie mir erzählt wurde, Mr. Macallans Mutter bewohnte, wenn sie in Gleninch war. Sonst kam , dort selten Jemand hinein. Die Thür zwischen dem Schlafgemach und dem Studirzimmer war verschlossen und der Schlüssel abgezogen; wer den Schlüssel in Verwahrung hatte, kann ich nicht angeben. Ich habe die Thür niemals offen gesehen; nur von einer andern Seite habe ich einmal einen Blick hineingeworfen.

Nun komme ich zu dem plötzlichen Wechsel, welcher in der Krankheit der Mrs. Macallan eintrat, der mit ihrem baldigen Tode endete. Nach des Doctors Anweisung mußte ich mir in jener Zeit über verschiedene Dinge Noten machen, die mir vollständig gegenwärtig sind.

Vom 7. October an, dem Tage, wo ich zu ihr gerufen wurde, bis zum 20. desselben Monats besserte sich die Kranke langsam, aber sichtlich. Ihr Knie, obgleich noch schmerzhaft, war nicht mehr so entzündet als sonst. Eine Schwäche, vom langen Bettliegen abgerechnet, und die dadurch verstärkte schlechte Laune konnten eigentlich als der Nest ihres Unwohlseins bezeichnet werden. Ihr Schlaf wer allerdings immer schlecht, weshalb sie vom Doctor verordnete beruhigende Tränke erhielt.

Am Morgen des 21., wenige Minuten nach 6, machte ich zuerst die Entdeckung, daß es mit Mrs. Macallan nicht richtig sei.

Um die angegebene Zeit ward ich von dem Geklingel der Handglocke erweckt, die sie vor ihrem Bette stehen hatte. Ich war um 2 Uhr Morgens vor Müdigkeit auf dem Sopha eingeschlafen. Mrs. Macallan wachte zu jener Zeit; sie war wieder einmal nicht gut auf mich zu sprechen. Ich hatte sie nämlich bewegen wollen, mich ihr Toilettenkästchen vom Nachttisch nehmen zu lassen nachdem sie es gebraucht. Es nahm viel Raum ein, und sie bedurfte dessen bis zum nächsten Morgen nicht mehr. Sie wollte es aber durchaus nicht missen. Es befand sich ein Spiegel in dem Kästchen und obgleich sie so häßlich war wie die Sünde, wurde sie doch nicht müde, ihr Angesicht zu betrachten. Ich ließ ihr also das Kästchen und da ich sah, daß sie zu eigensinnig war, um mit mir sprechen und aus meiner Hand ihren Abendtrunk nehmen zu wollen, so legte ich mich auf das Sopha und schlief, wie ich bereits gesagt habe, ein.

So wie ich die Klingel hörte, war ich munter und wieder an ihrem Bett.

Ich fragte, was sie wünsche Sie klagte über Schwäche und Bedrückung und sagte, daß sie sich übel fühle. Ich erkundigte mich, ob sie während meines Schlafes etwas zu sich genommen habe; sie antwortete mir, daß vor ungefähr einer Stunde ihr Gatte hereingekommen sei und, da er sie schlaflos gefunden ihr den beruhigenden Trank gegeben habe. Mr. Macallan welcher im anstoßenden Zimmer schlief, kam herein, während sie noch sprach. Er war ebenfalls von dem Klingeln erweckt worden Er hörte, was Mrs. Macallan über den Beruhigungstrank sagte, und machte keine Bemerkung dazu. Er schien über die Schwäche seiner Frau Besorgniß zu fühlen. Ich schlug vor, daß sie etwas Wein oder Cognac in Wasser nehmen möge, sie antwortete, daß sie so scharfe Sachen nicht zu sich nehmen könne, weil sie bereits einen brennenden Schmerz im Magen empfände. Ich legte meine Hand ganz leicht auf ihre Magengegend, und sie schrie auf bei der bloßen Berührung.

Dies Symptom beunruhigte uns. Wir sandten sogleich ins Dorf zum Arzt Mr. Gale, welcher Mrs. Macallan während ihrer Krankheit behandelt hat. Der Doctor schien nicht weniger besorgt als wir. Nachdem die Kranke über Durst geklagt ließ er sie etwas Milch trinken. Nicht lange darauf folgte Erbrechen, das wohlthätig auf sie zu wirken schien. Dann wurde sie müde und schlief ein. Mr. Gale verließ uns mit der strengen Weisung, sofort nach ihm zu schicken wenn die Kranke wieder schlechter werden sollte.

In den nächsten drei Stunden oder mehr ereignete sich nichts der Art. Gegen halb zehn erwachte sie und fragte nach ihrem Gatten. Ich theilte ihr mit, daß er in sein Zimmer zurückgekehrt, und fragte, ob ich nach ihm schicken sollte. Sie verneinte. Ich fragte weiter, ob sie etwas zu essen oder zu trinken wünsche. Sie verneinte abermals und schickte mich dann hinunter, damit ich frühstücken solle. Auf der Treppe begegnete ich der Haushalterin; sie lud mich zum Frühstück in ihr Zimmer, anstatt daß ich es wie sonst mit dem übrigen Gesinde zusammen nahm. Ich blieb bei der Haushalterin ungefähr eine halbe Stunde.

Auf meinem Wege zurück traf ich das Unterhaus-Mädchen, welches die Treppe fegte.

Sie theilte mir mit daß Mrs. Macallan während meiner Abwesenheit eine Tasse Thee getrunken habe.

Mr. Macallans Diener habe den Thee im Aufträge seines Herrn für seine Herrin bestellt. Das Unterhaus-Mädchen bereitete den Thee und trug ihn selbst nach Mrs. Macallans Zimmer. Der Herr, sagte sie, öffnete auf ihr Klopfen die Thür und nahm ihr die Tasse aus der Hand. Er öffnete die Thür weit genug, um sie sehen zu lassen, daß sich Niemand weiter im Zimmer befände als er und seine Frau.

Nachdem ich noch einige Worte mit dem Unterhaus-Mädchen gewechselt kehrte ich in das Krankenzimmer zurück. Mrs. Macallan war allein und lag vollkommen ruhig mit mir abgewandtem Antlitz auf ihren Kissen. Indem ich mich dem Bett näherte, stieß mein Fuß an etwas. Es war eine zerbrochene Theetasse. Ich fragte Mrs. Macallan wodurch die Tasse zerbrochen worden sei. Sie antwortete, ohne mich anzusehen mit undeutlicher mürrischer Stimme, sie habe sie fallen lassen. »Ehe Sie den Thee tranken Madame,« fragte ich. »Nein« sagte sie, »als ich Mr. Macallan nachdem ich getrunken die Tasse zurückgab.« Ich hatte nämlich die Frage nur deshalb gethan um zu wissen ob noch mehr Thee nöthig sei, wenn sie die Tasse zerbrochen ehe sie getrunken Ich fragte weiter, ob sie lange allein gewesen sei. »Ja,« entgegnete sie kurz, »ich versuchte einzuschlafen.« Während der ganzen Zeit behielt sie ihr Antlitz nach der Wand gekehrt. In dem ich mich über sie beugte, um ihre Betttücher zu ordnen blickte ich nach dem Tisch. Sie mußte geschrieben haben, denn eine der Federn war naß von Tinte.

»Sie haben gewiß wieder gedichtet Madame?« fragte ich. Sie stieß ein kurzes, bitteres Lachen aus. »Ja,« sagte sie, »gedichtet!« »Das ist hübsch,« entgegnete ich, »da befinden Sie Sich gewiß besser.« Sie antwortete nur mit einer ungeduldigen Bewegung der Hand. Ich verstand das Zeichen und ließ sie allein.

Es verfloß ungefähr eine halbe Stunde, ohne daß die Klingel ertönte. Es war mir nicht ganz gut zu Muthe, obgleich ich mir nicht Rechenschaft geben konnte, weshalb. Der hohle Ton ihrer Stimme hatte mir nicht gefallen. Es war mir fatal, sie allein zu lassen und dennoch wagte ich nicht zurückzukehren, aus Furcht ihren Zorn zu erwecken. Endlich wagte ich mich in ein Zimmer, gewöhnlich das Morgenzimmer genannt um Mr. Macallan zu befragen.

Obgleich er sonst immer des Vormittags hier anwesend war, fand ich das Zimmer jetzt leer. Eben wollte ich die Thür schließen als ich des Herrn Stimme draußen auf der Terrasse hörte. Ich ging hinaus und fand ihn im Gespräch mit einem gewissen Mr. Dexter, einem alten Freunde von ihm, der gleich Mrs. Beanly als Gast im Hause anwesend war. Mr. Dexter, ein Krüppel, saß im Rollstuhl an einem Fenster der ersten Etage, und Mr. Macallan sprach zu ihm hinauf:

»Dexter, wo ist Mrs. Beanly? Haben Sie sie nicht gesehen?«

Mr. Dexter antwortete verneinend. Dann trat ich vor und bat meine Störung zu entschuldigen. Ich war eben im Begriff, ihm die Schwierigkeit zu schildern, in der ich mich befände, als ein Diener mit der Meldung eintrat daß Mrs. Macallan heftig klingele.

Es war nahe an elf; ich eilte in das Krankenzimmer zurück.

Ehe ich die Thür öffnete, hörte ich Mrs. Macallan stöhnen. Sie litt schreckliche Pein durch Hitze im Magen und in der Kehle; auch fühlte sie wieder die Übelkeit , von der sie schon am Morgen befallen gewesen. Der zweite Anfall trat entschieden heftiger auf als der erste. Nachdem ich nach einem Diener geklingelt den ich an Mr. Macallan senden könnte, öffnete ich in meiner Ungeduld die Thür und bemerkte auf dem Corridor Mrs. Beanly, welche, wie sie sagte, aus ihrem Zimmer kam, um sich nach Mrs. Macallan’s Befinden zu erkundigen. Ich sagte zu ihr: »Mrs. Macallan ist ernstlich krank, Madame. Wollen Sie so freundlich sein dies Mr. Macallan mitzutheilen und nach dem Doctor zu schicken?« Sie rannte sofort die Treppe hinab.

Es dauerte nicht lange, so kamen Mr. Macallan und Mrs. Beanly zusammen in’s Krankenzimmer. Mrs. Macallan warf einen seltsamen gar nicht zu beschreibenden Blick auf die Beiden und hieß sie wieder gehen Mrs. Beanly, die sich sehr zu fürchten schien zog sich augenblicklich zurück. Mr. Macallan trat einige Schritte näher an’s Bett. Seine Frau blickte noch einmal in jener unheimlichen Weise nach ihm, dann schrie sie halb drohend halb bittend: »Laß mich mit der Wärterin allein geh!« Er flüsterte mir zu, daß nach dem Doctor geschickt sei und verließ dann das Zimmer.

Ehe Mr. Gale anlangte, wurde Mrs. Macallan heftig übel. Was sie auswarf war schaumig und trüb, leicht mit Blutstreifen durchzogen. Als Mr. Gale das sah, hörte ich ihn leise sagen: »Oh, oh! was ist denn das!« Nach einem Weilchen schien Mrs. Macallan weniger zu leiden; dann kam wieder eine verstärkte Uebelkeit. Als ich sie zurecht legte, fühlte ich, daß ihre Hände und Füße kalt wurden. Der Doctor meinte vom Pulse, er sei kurz und schwach. Gleich darauf äußerte Mr. Gale, daß er die Verantwortlichkeit allein nicht langer übernehmen könne, und daß man noch einen Edinburgher Arzt zu Rathe ziehen solle.

Das schnellste Pferd aus den Ställen von Gleninch wurde in einen leichten Wagen gespannt und der Kutscher fuhr, was das Zeug halten wollte, nach Edinburgh, um den berühmten Doctor Jerôme zu holen. Während wir auf den Arzt warteten kam Mr. Macallan mit Dr. Gale in das Zimmer seiner Frau. Schwach, wie sie war, erhob sie ihre Hand und winkte ihm, daß er sie verlassen möge. Er versuchte durch einige besänftigende Worte sie zu bewegen daß sie ihm erlauben möge, bei ihr zu bleiben Sie bestand darauf, daß er das Zimmer verlasse. Mr. Macallan schien das in Gegenwart des Doctors unangenehm zu sein. Ehe die Kranke ihres Gatten ansichtig geworden war er schnell an ihr Bett getreten und hatte ihre Stirn geküßt. Sie war mit einem Schreckensruf von ihm zurückgewichen Mr. Gale legte sich darauf ins Mittel und veranlaßte Mr. Macallan sich dem Wunsch seiner Gattin zu fügen, damit die Aufregung ihr nicht schade.

Am Nachmittag kam Dr. Jerôme.

Der berühmte Arzt langte gerade an um Mrs. Macallan in einem neuen Anfall von Uebelkeit zu sehen. Er beobachtete sie, ohne ein Wort zu sprechen. Ich glaubte, er würde nie mit seinen Beobachtungen zu Ende kommen. Endlich blickte er auf und sagte mir, daß ich ihn mit Mr. Gale allein lassen möge. Er würde klingeln wenn er meiner bedürfe.

Es dauerte lange, ehe das geschah. Der Kutscher wurde gerufen ehe man mich in das Krankenzimmer zurück befahl. Der Kutscher ging mit einer zweiten Sendung nach Edinburgh, um den ersten Assistenzarzt des Dr. Jerôme zu bestellen, daß dieser für die nächsten Stunden nicht zurückkehren werde. Ich zog daraus einen Schluß zu Ungunsten der Mrs. Macallan. Andere waren wieder der Meinung, daß der Doctor sie retten aber lange Zeit dazu gebrauchen würde.

Endlich schickte man nach mir. Als ich eintrat verließ Dr. Jerôme das Zimmer, um mit Mr. Macallan zu sprechen Mr. Gale blieb zurück. Von diesem Augenblick an bis zum Ende der Kranken war ich nie mehr allein mit ihr. Einer der beiden Doctoren war stets im Zimmer. Arzneien wurden der Kranken nicht verschrieben. Daran schienen beide Aerzte gar nicht mehr zu denken, sondern nur darauf bedacht zu sein bei der Kranken Wache zu halten. Das setzte mich in Erstaunen, denn das Wache halten war doch eigentlich die Sache der Wärterin.

Als die Lampe angezündet ward, sah ich, daß das Ende nicht mehr fern war. Mit Ausnahme eines leichten Krampfgefühls in den Beinen schien sie weniger zu leiden; aber ihre Augen waren tief eingesunken die Haut fühlte sich kalt und feucht an, die Lippen erschienen bläulich blaß. Sie war gleichgültig gegen alles bis auf den letzten Versuch ihres Gatten sie zu sehen. Er trat mit Dr. Jerôme ins Zimmer, gleich einem Manne, der vom Schreck überwältigt ist. Sie war gerade im Begriff, mit mir zu sprechen. In dem Augenblick aber, als sie ihn zu Gesicht bekam, machte sie schwache Zeichen welche wiederum ihren Willen ausdrückten, daß er ihr nicht nahe kommen möge. Mr. Macallan verließ abermals das Zimmer. Keine andere Person durfte die Kranke sehen. Mr. Dexter und Mrs. Beanly baten darum, wurden aber abgewiesen. Als der Abend hereindunkelte, saßen beide Doctoren zu jeder Seite des Bettes und schienen auf ihren baldigen Tod zu warten.

Gegen acht Uhr schien sie den Gebrauch ihrer Arme und Hände verloren zu haben. Ein wenig später sank sie in einen tiefen dumpfen Schlummer. Nach und nach schwächten sich ihre schweren Athemzüge ab. Zwanzig Minuten nach neun hieß mich Dr. Jerôme die Lampe ans Bett bringen. Er blickte sie an und legte die Hand auf ihr Herz. Dann sagte er zu mir: »Sie können hinuntergehen, es ist alles vorbei.« Ehe ich seinem Verlangen willfahrte, sagte er zu Mr. Gale: »Wollen Sie nicht fragen ob Mr. Macallan uns empfangen kann?« Ich öffnete Mr. Gale die Thür und folgte ihm hinaus. Dr. Jerôme rief mich für einen Augenblick zurück und sagte mir, ich solle ihm den Schlüssel zu der Thür geben. Ich that es, obgleich ich mich darüber wunderte. Als ich in das Gesindezimmer herunterkam, fand ich eine Stimmung vor, als wenn etwas nicht ganz richtig wäre. Wir alle fühlten uns unbehaglich und wußten nicht, weshalb.

Nach einer kleinen Weile verließen die beiden Aerzte das Haus. Mr. Macallan war gänzlich unfähig gewesen sie zu empfangen und zu hören was sie ihm zu sagen hatten. In dieser unangenehmen Lage hatten sie insgeheim mit Mr. Dexter gesprochen, Mr. Macallans altem Freunde und dem einzigen Gentleman in Gleninch. Vor Schlafengehen ging ich hinauf, um die Ueberreste der verstorbenen Lady für den Sarg vorzubereiten. Das Zimmer, in welchem sie lag, war verschlossen ebenso die beiden Thüren welche zu Mr. Macallan’s Zimmer und dem Corridor führten Mr. Gale hatte die Schlüssel mit sich genommen. Zwei Diener waren vor das Sterbezimmer postiert um Wache zu halten. Sie sollten um vier Uhr Morgens abgelöst werden, war alles, was sie mir erzählen konnten.

Bei dem Mangel jeglicher Instruction für mich nahm ich mir die Freiheit an Mr. Dexter’s Thür zu klopfen. Aus seinem Munde er hielt ich zuerst die entsetzliche Nachricht. Beide Aerzte hatten sich geweigert den gebräuchlichen Todtenschein zu geben. Am nächsten Morgen sollte noch eine specielle Aufnahme über den Leichenbefund stattfinden.«

Hier endete die Aussage der Wärterin Christina Ormsay.

Unbekannt, wie ich mit den Gesetzen war, konnte ich dennoch beurtheilen, welcher Eindruck durch die vorhergegangene Zeugenaussage auf die Mitglieder des Gerichtshofes ausgeübt werden sollte. Nachdem erst dargethan war, daß sich meinem Gatten zwei Gelegenheiten boten das Gift beizubringen einmal in der Medizin, das andere Mal im Thee, führte der Syndicus der Krone den Gerichtshof zu der Folgerung, daß der Gefangene beide Gelegenheiten wahrgenommen um sich von einem häßlichen und eifersüchtigen Weibe zu befreien dessen abscheuliches Temperament er nicht länger ertragen konnte.

Nachdem der Lord-Anwalt auf diese Weise seinen Zweck erreicht hatte er vorläufig keine Frage mehr an die Zeugin zu richten. Nun erhob sich der Decan der Facultät um im Interesse des Gefangenen durch Kreuzverhör der Wärterin die günstigen Seiten im Character der verstorbenen Mrs. Macallan herauszukehren. Wenn ihm dies gelang, so war es möglich, daß der Gerichtshof seine Ansicht von neuem dahin modificirte, daß die Frau durch die Fehler ihres Temperaments ihren Gatten nicht zur Verzweiflung getrieben. Wo blieben dann in diesem Fall die Motive, sie zu vergiften und wo blieb ferner die Behauptung für des Gefangenen Schuld?

Durch den geschickten Juristen gepreßt und gedrängt wurde die Wärterin veranlaßt den Character der verstorbenen Lady von einer ganz neuen Seite zu beleuchten.

Nachstehendes zog der Decan der Facultät aus Christina Ormsay heraus:

»Ich beharre auf meiner Aussage, daß Mrs. Macallan ein sehr heftiges Temperament hatte. Sie pflegte jedoch auch gern um Entschuldigung zu bitten wenn sie Jemand wehe gethan. Das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung bezeugen. Im ruhigen Zustande konnte ihr Benehmen sogar gewinnend genannt werden. Ihre Sprache war gewählt und höflich. Nun zu ihrer äußern Erscheinung. Obgleich häßlichen Antlitzes hatte sie doch eine schöne Figur. Man erzählte mir, daß ihre Hände und Füße einem Bildhauer zum Modell gedient. Auch war sie musikalisch und hatte eine hübsche Stimme. Von ihrem Mädchen hörte ich, daß sie außerordentliche Toilette gemacht. Obgleich Mrs. Beanly in hohem Grade ihre Eifersucht erregte, hatte sie doch oft bewiesen daß sie ihr Gefühl bemeistern konnte. Mrs. Beanly befand sich übrigens auf ihren, nicht auf Mr. Macallan’s Wunsch im Hause. Mrs. Beanly hatte ihren Besuch wegen Mrs. Macallan’s Krankheit hinausschieben wollen. Mrs. Macallan aber, nicht ihr Gatte, veranlaßte sie, es beim Alten zu lassen. Trotz ihres heftigen Temperaments war Mrs. Macallan beliebt bei ihren Freunden, populär bei ihren Dienern. Im ganzen Hause war kein trockenes Auge, als sich die Nachricht von ihrem Tode verbreitete.« — Schlußfolgerung der Richter und moralischer Eindruck auf die Geschworenen: War dies die Frau welche ihren Mann dahin bringen konnte, sie zu vergiften? Und ferner: War dies der Mann, der fähig sein konnte, eine solche That zu verüben?

Nachdem der Decan der Facultät diesen Gegeneindruck hervorgebracht, setzte er sich, und die ärztlichen Sachverständigen wurden aufgerufen.

Hier gestaltete sich die Zeugenaussage noch schlagender.

Dr. Jerôme und Mr. Gale erhärteten eidlich, daß die Symptome der Krankheit identisch seien mit den Symptomen der Arsenikvergiftung. Dann folgte der Arzt welcher die Section vorgenommen hatte. Er beschwor ebenfalls, gleich lautend mit Dr. Jerôme und Mr. Gale, daß die inneren Organe der Todten auf Arsenikvergiftung schließen ließen. Endlich, um dies überwältigende Zeugniß noch zu bestätigen erschienen zwei Chemiker, welche dem Gerichtshofe das in der Leiche gefundene Arsenik in einer Quantität vorzeigten, welche hinreichend gewesen wäre, zwei Personen anstatt einer zu tödten. Einem solchen Zeugniß gegenüber war das Kreuzverhör eine leere Form. Die erste aufgeworfene Frage: Wurde die Frau vergiftet? beantwortete sich daher bejahend mit Ausschluß auch des allerleisesten Zweifels.

Die nächsten Zeugen hatten nun die neue und entsetzliche Frage zu beantworten: Wer vergiftete sie?


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