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Die Traumfrau



Kapitel I

Ich hatte mich nicht viel mehr als sechs Wochen in meiner Landpraxis niedergelassen, als ich nach einer Nachbarstadt gesandt wurde, um mit dem dort ansässigen Arzt einen Fall einer sehr gefährlicher Krankheit zu konsultieren.

Mein Pferd hatte mir am Ende eines langen Ritts in der Nacht zuvor eine verpasst, und hatte sich glücklicherweise viel mehr verletzt, als es seinen Herrn verletzt hatte. Nachdem ich des Dienstes des Tieres verlustig gegangen war, brach ich zu meinem Ziel mit der Kutsche (es gab damals keine Eisenbahn) auf und hoffte, gegen Mittag auf dieselbe Weise wieder zurückzukommen.

Nachdem die Besprechung vorüber war, ging ich zum ersten Gasthaus der Stadt, um auf die Kutsche zu warten. Als sie sich näherte, war sie sowohl innen als auch außen belegt. Es blieb mir nichts anderes mehr übrig, als so billig wie möglich heimzukehren, indem ich einen Einspänner mietete. Der Preis, der mir für diese Unterbringung angeboten wurde, erschien mir so unverschämt, dass ich entschied, nach einem Gasthaus von niedereren Ansprüchen Ausschau zu halten, und zu versuchen, ob ich nicht einen besseren Handel mit einem weniger florierenden Unternehmen machen konnte.

Ich fand bald ein verdächtig aussehendes Haus, schäbig und ruhig, mit einem altmodischen Schild, das offensichtlich jahrelang nicht mehr übermalt worden war. Der Gastwirt wollte in diesem Fall nicht mehr als einen kleinen Gewinn machen, und sobald wir uns einig waren, läutete er die Hofglocke, um den Wagen zu bestellen.

»Ist Robert noch nicht zurück von diesem Botengang?« fragte der Gastwirt, und wandte sich an den Kellner, der auf die Glocke antwortete.

»Nein, Sir, ist er noch nicht.«

»Nun, dann musst du Isaac aufwecken.«

»Isaac aufwecken!« wiederholte ich, »das hört sich ziemlich seltsam an. Gehen Ihre Stallknechte tagsüber ins Bett?«

»Dieser eine tut es«, sagte der Gastwirt und lächelte auf eine ziemlich seltsame Art.

»Und träumen tut er auch«, fügte der Kellner hinzu, »ich werde nie den Schock vergessen, den ich bekam, als ich ihn zum ersten Mal hörte.«

»Kümmer dich niemals darum«, entgegnete der Besitzer scharf; «geh und weck Isaac auf. Der Herr wartet auf seinen Wagen.«

Das Verhalten des Gastwirts und das Verhalten des Kellners drückte eine Menge mehr aus, als einer von ihnen sagte. Ich begann den Verdacht zu hegen, dass ich auf der Spur von etwas beruflich interessantem für mich als Mediziner war, und ich dachte, ich sollte es mögen, den Stallknecht anzusehen, bevor der Kellner ihn aufweckte.

»Warten Sie eine Minute«, warf ich dazwischen, »ich hätte ziemlich Lust, diesen Mann zu sehen, bevor sie ihn aufwecken. Ich bin Arzt; wenn dieses eigenartige Schlafen und Träumen von irgendeinem Schaden in seinem Gehirn herrührt, kann ich Ihnen vielleicht erzählen, was man mit ihm tun muss.«

»Ich glaube eher, sein Leiden ist jedes Herumdokterns überflüssig«, sagte der Gastwirt, »aber, wenn Sie ihn sehen wollen, bin ich sicher, es ist kein Problem!«

Er ging über einen Hof voraus und einen Korridor hinunter zu den Ställen, öffnete eine der Türen, und hieß mich hineinzusehen, während er selbst draußen wartete.

Ich befand mich in einem Stall mit zwei Boxen. In einem der Boxen kaute ein Pferd geräuschvoll auf seinem Getreide; in der anderen lag ein alter Mann schlafend auf dem Streu.

Ich beugte mich über ihn und betrachtete ihn aufmerksam. Es war ein welkes, kummervolles Gesicht. Die Augenbrauen waren schmerzhaft zusammengezogen; der Mund war fest zusammengepresst und die Mundwinkel nach unten gezogen.

Die hohlen, runzeligen, Wangen und das schüttere silberne Haar erzählten ihre eigene Geschichte von einem vergangenen Kummer oder einem vergangenen Leiden. Er atmete krampfhaft, als ich ihn zum ersten Mal anschaute, und in einem Augenblick begann er im Schlaf zu sprechen.

»Wach auf!« hörte ich ihn sagen, in einem lebendigen Flüstern durch seine zusammengepressten Zähne, »Wach auf dort! Mord!«

Er bewegte einen seiner mageren Arme langsam, bis er auf seiner Kehle ruhte, schauderte ein wenig, und drehte sich auf seinem Stroh. Dann verließ der Arm seine Kehle, seine Hand streckte sich aus, und griff nach der Seite, auf die er sich gedreht hatte, wie wenn er sich einbildete, nach dem Rand von etwas zu greifen. Ich sah, wie sich seine Lippen bewegten und beugte mich zu ihm weiter herunter.

»Hellgraue Augen«, murmelte er, »und ein herabhängendes Augenlid am linken Auge; flachsfarbenes Haar, mit einer goldgelben Strähne darin – ganz recht, Mutter – schöne weiße Arme, mit Flaum auf ihnen – die Hand einer kleinen Dame, mit einem rötlichen Schimmer unter den Fingernägeln. Das Messer – immer das verfluchte Messer – erst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Aha! Du Teufelin, wo ist das Messer?«

Bei den letzten Worten erhob sich seine Stimme und er wurde plötzlich unruhig. Ich sah ihn auf seinem Streu erschaudern; sein verwelktes Gesicht wurde verzerrt und er warf beide Hände mit einem flüchtigen hysterischen Keuchen hoch. Sie schlugen gegen den Boden des Futtertrogs, unter dem er lag, und der Stoß weckte ihn auf. Ich hatte gerade Zeit, durch die Tür zu schlüpfen und sie zu schließen, bevor seine Augen ganz offen waren und er wieder bei Sinnen war.

»Wissen Sie irgendetwas über das vergangene Leben des Mannes?« fragte ich den Wirt.

»Ja, Sir, ich weiß ganz gut Bescheid darüber«, war die Antwort, »und eine ungewöhnlich sonderbare Geschichte ist es. Die meisten Leute glauben sie nicht. Aber trotz allem ist sie wahr. Nun, schauen Sie ihn sich einfach an«, sagte der Wirt und öffnete wieder die Stalltür. »Armer Teufel! Er ist so erschöpft von seinen schlaflosen Nächten, dass er schon wieder in den Schlaf zurückgefallen ist.«

»Wecken Sie ihn nicht«, sagte ich; »ich habe keine Eile wegen der Kutsche. Warten wir, bis der andere Mann von seinem Botengang zurückkehrt; und in der Zwischenzeit unterstellen wir mal, dass ich ein Mittagessen und eine Flasche Sherry zu mir nehme und nehmen wir an, Sie kommen und helfen mir, es zu Ende zu bringen?«

Das Herz meines Gastgebers erwärmte sich, wie ich erwartet hatte, gegen mich über seinem eigenen Wein. Er war bald bezüglich des Themas des im Stall schlafenden Mannes gesprächig, und allmählich erfuhr ich von ihm die ganze Geschichte. So extravagant und unglaublich die Ereignisse jedem erscheinen müssen, sind sie hier doch genau so erzählt, wie ich sie gehört habe und genau so, wie sie passiert sind.



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Kapitel II

Vor einigen Jahren lebte in den Vororten einer großen Hafenstadt an der Westküste von England ein Mann in bescheidenen Umständen, namens Isaac Scatchard. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nahm er jede Arbeit, die er als Stallknecht bekommen konnte, an, und gelegentlich, wenn es die Zeit gut mit ihm meinte, hatte er vorübergehende Anstellungen im Dienst als Stallgehilfe in Privathäusern. Obwohl er ein gewissenhafter, zuverlässiger und ehrlicher Mann war, kam er in seinem Beruf schlecht voran. Sein Unglück waren im wahrsten Sinne seine Mitmenschen. Er verpasste immer gute Gelegenheiten ohne eigenes Verschulden, und lebte immer am längsten unter dem Dienst von liebenswürdigen Leuten, die die Löhne ihrer Angestellten nicht pünktlich zahlten. »Der Unglückliche Isaac« war sein Spitzname in seiner eigenen Umgebung, und keiner konnte sagen, dass er ihn nicht wohl verdiente.

Mit weit mehr als eines Mannes angemessenem Anteil von Elend, den er ertragen musste, hatte Isaac nur einen Trost und dies war einer von der trostlosesten und negativsten Art. Er hatte keine Frau und keine Kinder, um seine Sorgen zu vergrößern und sie zu der Verbitterung über seine verschiedenen Fehlschläge im Leben hinzuzufügen. Es mag bloße Gleichgültigkeit gewesen sein oder es mag von einem selbstlosen Widerwillen hergerührt haben, jemand anderen in sein unglückliches Schicksal mit einzubeziehen, aber Tatsache war unzweifelhaft die, dass er in der Mitte seines Lebens angekommen war, ohne zu heiraten und, was viel bemerkenswerter ist, ohne sich von achtzehn bis achtunddreißig einmal der wohltuenden Zuschreibung auszusetzen, jemals ein Liebchen gehabt zu haben.

Wenn er außer Dienst war, lebte er allein bei seiner verwitweten Mutter. Mrs. Scatchard war eine Frau, die überdurchschnittlich in ihrer niederen Stellung war, was Fähigkeiten und Manieren betraf. Sie hatte bessere Tage gesehen, wie man sagt, aber sie bezog sich nie auf sie in Gegenwart neugieriger Besucher; und obwohl sie vollkommen höflich gegenüber jedem war, der sich ihr näherte, pflegte sie nie irgendwelche Vertrautheiten mit ihren Nachbarn. Sie verstand es, für ihre einfachen Wünsche zu sorgen, kaum genug, indem sie rauhe Arbeit für die Schneider machte, und schaffte es immer, ein anständiges Zuhause für ihren Sohn bereitzuhalten, wenn er zurückkehrte, wann immer sein Pech ihn hilflos in die Welt hinausjagte.

Eines trostlosen Herbstes, als Isaac bald auf die vierzig zuging, und als er wie gewöhnlich aus unverschuldetem Grund keine Anstellung mehr hatte, machte er sich von der Hütte seiner Mutter auf zu einem langen Spaziergang landwärts zu dem Sitz eines Gentleman, von dem er gehört hatte, dass dort ein Stallgehilfe gesucht würde.

Es waren nur zwei Tage bis zu seinem Geburtstag und Mrs. Scatchard, ließ ihn, bevor er losging, mit ihrer üblichen Zuneigung versprechen, dass er rechtzeitig zurück sein würde, um das Jubiläum mit ihr zu feiern, so festlich, wie es ihre ärmlichen Mittel erlauben würden. Es war ihm leicht, diesem Gesuch nachzugeben, selbst wenn er annahm, dass er eine Nacht auf Hin- und Rückweg auf der Straße schlafen würde.

Er würde von daheim am Montagmorgen losgehen und, ob er die neue Stelle bekam oder nicht, würde er zu seinem Geburtstagsmittagessen am Mittwoch um zwei Uhr zurück sein.

Da er an seinem Ziel montags zu spät des Nachts ankam, um sich für die Stelle des Stallgehilfen vorzustellen, schlief er im Dorfgasthaus, und stellte sich zu früher Stunde im Haus des Gentleman vor, um die offene Stelle zu besetzen. Wieder verfolgte ihn hier sein Pech so unerbittlich wie immer. Die ausgezeichneten, geschriebenen Zeugnisse seines Charakters, die er vorzeigen konnte, nützten ihm nichts; sein langer Weg war vergeblich gewesen: gerade am Tag zuvor war die Stelle des Stallgehilfen einem anderen Mann gegeben worden.

Isaac akzeptierte seinen neuen Fehlschlag schicksalsergeben und als Selbstverständlichkeit. Von Natur aus langsam im Auffassungsvermögen, hatte er eine Veranlagung von Stumpfheit von Empfindungsvermögen und phlegmatischer Geduld, die häufig Männer mit träge-arbeitenden mentalen Kräften kennzeichnet. Er dankte dem Verwalter des Gentleman mit seiner üblichen ruhigen Höflichkeit dafür, ihm ein Gespräch gewährt zu haben, und verließ ihn ohne Anschein von der üblichen Gedrücktheit in seinem Gesicht und seinen Mienen.

Bevor er sich auf die Heimreise machte, zog er einige Erkundigungen im Gasthaus ein, und versicherte sich, dass er sich einige Meilen Weges sparen konnte auf seinem Rückweg, wenn er der neuen Straße folgte. Mit genauen Anweisungen wie zu den verschiedenen Abbiegungen, die er nehmen musste, ausgestattet, die mehrere Male wiederholt worden waren, trat er seine Heimreise an und lief den ganzen Tag in einem fort mit nur einer Unterbrechung, um Brot und Käse zu sich zu nehmen. Gerade, als es dunkel wurde, kam Regen und der Wind begann sich zu erheben, er befand sich zu allem Übel in dem Teil des Landes, mit dem er überhaupt nicht vertraut war, obwohl er wusste, dass er ungefähr fünfzehn Meilen von daheim entfernt war. Das erste Haus, das er fand, um anzufragen, war ein einsames Gasthaus am Straßenrand, das am Rand eines dichten Waldes stand. So einsam der Ort auch aussah, so war er einem verlorenen Mann, der hungrig, durstig, fußkrank und nass war, willkommen. Der Wirt war höflich und sah anständig aus und der Preis, den er für ein Bett verlangte, war ganz vernünftig. Isaac entschied daher, für diese Nacht im Gasthaus zu rasten.

Er war von Natur aus ein gemäßigter Mensch.

Sein Abendessen bestand aus zwei Speckstreifen, einer Scheibe hausgemachtem Brot und einem Pint Ale. Nach diesem bescheidenen Mahl ging er nicht sofort zu Bett, sondern blieb noch auf und saß bei dem Gastwirt, sprach über seine schlechten Aussichten und seine lange Pechsträhne und wich von diesem Thema zu dem Gegenstand von Pferdefleisch und Rennen. Weder von ihm selbst, seinem Gastgeber, oder den wenigen Arbeitern, die sich in die Schankstube verirrten, wurde etwas gesagt, was im geringsten Grade die sehr geromge und sehr schwerfällige phantasievolle Vorstellungskraft, die Isaac Scatchard besaß, anregen konnte.

Kurz nach elf Uhr wurde das Haus geschlossen. Isaac ging mit dem Wirt herum und hielt die Kerze, während die Türen und die unteren Fenster abgeschlossen wurden. Er bemerkte überrascht die Stärke der Bolzen und Riegel als auch die eisenummantelten Fensterläden.

»Sehen Sie, wir sind ziemlich einsam hier«, sagte der Wirt. »Es gab bis jetzt nie Versuche, hier einzubrechen, aber es ist immer gut, auf der sicheren Seite zu sein. Wenn hier niemand schläft, bin ich der einzige Mann im Haus. Meine Frau und meine Tochter sind ängstlich und das Dienstmädchen kommt nach ihren Herrinen. Noch ein Glas Ale, bevor Sie zu Bett gehen? Nein! Nun, dass ein so nüchterner Mann wie Sie keine Stelle mehr hat, ist mehr, als ich zum Beispiel verstehen kann. Hier ist es, wo Sie schlafen können. Sie sind unser einziger Schlafgast heute Nacht und ich denke, Sie werden sagen, meine bessere Hälfte hat ihr bestes getan, um es ihnen angenehm zu machen. Sie sind ganz sicher, dass Sie nicht noch ein Glas Ale haben möchten? Also gut. Gute Nacht.«

Es war halb zwölf auf der Uhr im Flur, als sie hinauf ins Schlafzimmer gingen, dessen Fenster zum Wald hinausging, welcher auf der Rückseite des Hauses lag.

Isaac verschloss die Tür, stellte seine Kerze müde auf die Kleiderkiste und machte sich bereit, ins Bett zu gehen.

Der trübe Herbstwind blies noch immer, und sein düsteres, monotones, wogendes Stöhnen im Wald war trostlos und schrecklich anzuhören in der Stille der Nacht. Isaac fühlte sich seltsamerweise schlaflos.

Er beschloss, die Kerze brennen zu lassen, als er sich ins Bett legte, bis er begann, sich schläfrig zu fühlen, denn es war etwas unerträglich Bedrückendes in dem bloßen Gedanken, wach in der Dunkelheit zu liegen und auf das düstere, endlose Stöhnen des Windes im Wald zu hören.

Der Schlaf kam über ihn, bevor er sich dessen bewusst war. Seine Augen schlossen sich, und er verfiel unmerklich in den Schlaf, ohne den Gedanken zu haben, die Kerze zu löschen.

Der erste Eindruck, dessen er sich bewusst war, nachdem er eingeschlummert war, war ein seltsames Frösteln, das ihn von Kopf bis Fuß durchlief, und ein furchtbarer sich absenkender Schmerz im Herzen, wie er ihn nie gefühlt hatte. Das Frösteln störte nur seinen Schlummer; der Schmerz weckte ihn auf der Stelle. In einem Augenblick ging er vom Zustand des Schlafens in den Zustand des Wachseins über – seine Augen weit geöffnet – sein geistiges Wahrnehmungsvermögen klärte sich wie durch ein Wunder auf einen Schlag.

Die Kerze war fast zum letzten Stückchen Talg heruntergebrannt, aber die Spitze des nicht ausgelöschten Dochtes war gerade abgefallen, und das Licht in dem kleinen Zimmer war für einen Moment hell und kräftig.

Zwischen dem Fuß seines Bettes und der geschlossenen Tür stand eine Frau mit einem Messer in ihrer Hand und schaute ihn an.

Er war sprachlos vor Angst, aber er verlor nicht seine außerordentliche Beobachtungsgabe, und er wandte seine Augen nicht von der Frau ab. Sie sagte kein Wort, als sie sich gegenseitig ins Gesicht starrten, aber sie begann, sich langsam auf die linke Seite des Bettes zuzubewegen.

Seine Augen folgten ihr. Sie war eine hübsche, schlanke Frau, mit flachsblondem Haar und hellgrauen Augen, mit einem herabhängendem linken Augenlid. Er bemerkte dies und prägte sich dies ein, bevor sie an der Seite des Bettes war. Schweigend, ohne Ausdruck in ihrem Gesicht, mit keinem Geräusch, das ihren Tritten folgte, kam sie näher und näher – hielt an – und erhob langsam das Messer. Er legte seinen rechten Arm über seine Kehle, um sie zu schützen; aber als er das Messer kommen sah, warf er seine Hand über das Bett auf die rechte Seite und schleuderte seinen Körper diesen Weg hinüber, gerade als das Messer auf die Matratze niederging, gerade ein Inch von seiner Schulter entfernt.

Seine Augen fixierten ihren Arm und ihre Hand, als sie langsam das Messer aus dem Bett herauszog: ein weißer, wohlgestalteter Arm, mit einem schönen Flaum, der leicht auf der schönen Haut lag – die zarte Hand einer Dame, mit der krönenden Schönheit eines Anfluges von Rot unter den Fingernägeln.

Sie zog das Messer heraus, und ging langsam zum Fuß des Bettes zurück; hielt dort für einen Augenblick, um ihn anzusehen; dann kam sie näher – noch immer schweigend, noch immer ohne Ausdruck in dem leeren, schönen Gesicht, noch immer ohne Geräusch, das den schleichenden Schritten folgte – näherte sich der rechten Seite des Bettes, auf der er nun lag.

Als sie sich näherte, erhob sie wieder das Messer und er legte sich auf die linke Seite. Sie stieß wie zuvor gerade in die Matratze, mit einer wohldurchdachten, senkrechten abwärts gerichteten Bewegung des Arms. In dem Moment wanderte sein Blick von ihr zu dem Messer. Es war wie die großen Klappmesser, von denen er oft beobachtet hatte, dass sie Arbeiter benutzten, um ihr Brot und ihren Schinken zu schneiden. Ihre zarten, kleinen Finger verbargen nicht mehr als zwei Drittel des Griffs: er bemerkte, dass es aus Hirschhorn gemacht war, sauber und schimmernd war die Klinge und es sah neu aus.

Zum zweiten Mal zog sie das Messer heraus, verbarg es in dem weiten Ärmel ihres Kleides, hielt an der Bettseite inne und betrachtete ihn. Für einen Augenblick sah er sie an dieser Stelle stehen, dann fiel der Docht der abgebrannten Kerze in deren Sockel; die Flamme schrumpfte zu einem kleinen blauen Punkt, und das Zimmer wurde dunkel.

Ein Augenblick oder, falls möglich, weniger, verging so, dann flammte der Docht rauchend zum letzten Mal auf. Seine Augen schauten noch immer begierig auf die rechte Seite des Bettes, als der letzte Lichtblitz erschien, aber sie entdeckten nichts. Die hübsche Frau mit dem Messer war weg.

Die Überzeugung, dass er wieder allein im Zimmer war, verringerte den Schrecken, der ihn bis zu diesem Moment stumm gehalten hatte. Die übernatürliche Heftigkeit, die die bloße Stärke seiner Panik seinen Nerven verliehen hatte, verließ ihn plötzlich. Sein Verstand verwirrte sich – sein Herz schlug wild – seine Ohren öffneten sich zum ersten Mal seit dem Erscheinen der Dame für das Geräusch von dem elenden, endlosen Stöhnen des Windes in den Bäumen. Mit der schrecklichen Überzeugung, die noch immer stark in ihm war, dass dies die Realität, so wie er sie gesehen hatte, war, sprang er aus dem Bett und schrie: »Mord! Aufwachen! Aufwachen!« und raste dabei kopfüber durch die Dunkelheit zur Tür.

Sie war gut verschlossen, genau so wie er sie gelassen hatte, als er zu Bett gegangen war.

Seine Schreie beim Auffahren hatten das Haus alarmiert. Er hörte die panischen, verwirrten Aufschreie der Frauen; er sah, wie sich der Herr des Hauses über den Flur mit seiner Laufkerze in der einen Hand und seinem Gewehr in der anderen näherte.

»Was ist los?« fragte der Wirt atemlos. Isaac konnte nur flüsternd antworten. »Eine Frau, mit einem Messer in ihrer Hand«, japste er, »in meinem Zimmer – eine hübsche, blonde Frau; sie hat zweimal mit dem Messer auf mich eingestochen.«

Die blassen Wangen des Wirtes wurden noch blässer. Er schaute Isaac misstrauisch durch das flackernde Licht der Kerze an und sein Gesicht begann wieder rot zu werden; auch seine Stimme änderte sich, genau so wie seine Gesichtsfarbe.

»Sie scheint Sie zweimal nicht getroffen zu haben«, sagte er.

»Ich bin dem Messer ausgewichen, als es herunterkam«, fuhr Isaac fort, im selben erschreckten Flüstern, »es hat beide Male das Bett getroffen.«

Der Wirt brachte seine Kerze sofort in das Schlafzimmer. In weniger als einer Minute kam er wieder in den Flur heraus in einer hitzigen Wut.

»Der Teufel soll Sie und Ihre Frau mit dem Messer holen! Da ist nirgendwo ein Kratzer auf der Bettwäsche. Was fällt Ihnen ein, zu jemandem nach Hause zu kommen und seine Familie wegen eines Traums zu Tode zu erschrecken?«

»Ich werde Ihr Haus verlassen«, sagte Isaac schwach. »Lieber auf der Straße im Regen und im Dunkeln, auf der Straße heimwärts, als wieder zurück in dieses Zimmer, nach dem, was ich dort drin gesehen habe. Leihen Sie mir ein Licht, um meine Kleider zu holen und sagen Sie mir, was ich zu zahlen habe.«

»Zahlen!« schrie der Gastwirt und leuchtete den Weg sauer in das Schlafzimmer. »Sie finden Ihre Rechnung auf der Schiefertafel, wenn Sie nach unten gehen. Ich würde Sie nicht für alles Geld, das Sie bei sich haben, hier aufgenommen haben, wenn ich Ihre träumende, kreischende Art vorher gekannt hätte. Sehen Sie sich das Bett an. Wo ist ein Messerschnitt in ihm? Sehen Sie nach dem Fenster – ist das Schloss aufgebrochen? Sehen Sie die Tür an (ich habe Sie sie selbst zuschließen hören) – ist sie eingebrochen? Eine mordende Frau mit einem Messer in meinem Haus! Sie sollten sich schämen!«

Isaac gab kein Wort zur Antwort. Er packte seine Kleider zusammen und dann gingen sie zusammen hinunter.

»Fast zwanzig Minuten nach zwei!« sagte der Gastwirt, als sie an der Uhr vorübergingen. »Eine schöne Zeit am Morgen, um ehrliche Leute zu Tode zu erschrecken!«

Isaac zahlte seine Rechnung und der Wirt ließ ihn zur Vordertür hinaus, wobei er mit einem verächtlichen Grinsen fragte, wie sie die starken Befestigungen aufgemacht hatte, wenn »die mordende Frau auf diesem Wege hereinkam.«

Sie trennten sich ohne ein Wort. Der Regen hatte aufgehört, aber die Nacht war dunkel, und der Wind trostloser denn je. Wenig kümmerte Isaac die Dunkelheit, die Kälte oder die Unsicherheit über den Weg nach Hause. Wenn er in einem Gewitter in der Wildnis ausgesetzt worden wäre, wäre es eine Erleichterung gewesen nach dem, was er in dem Gasthaus erlitten hatte.

Was war die hübsche Frau mit dem Messer? Ein Traumwesen oder ein Wesen aus einer unbekannten Welt, welches bei den Menschen unter dem Namen Geist bekannt ist? Er konnte das Rätsel nicht lösen – er hatte das Rätsel selbst nicht gelöst, als es Mittwochnachmittag war und er endlich, nachdem er viele Male die falsche Straße genommen hatte, an der Türschwelle seines Zuhauses war.



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Kapitel III

Seine Mutter kam freudig heraus, um ihn zu empfangen.

Sein Gesicht sagte ihr in einem Augenblick, dass etwas nicht stimmte.

»Ich habe mich verlaufen; aber das ist mein Schicksal. Ich hatte letzte Nacht einen Alptraum, Mutter – oder vielleicht sah ich einen Geist. Nimm es wie es ist, es hat mich zu Tode erschreckt und ich bin noch nicht wieder ich selbst.«

»Isaac, dein Gesicht macht mir Angst. Komm rein ans Feuer – komm rein und erzähle deiner Mutter alles davon.«

Er war so bestrebt darum, ihr die Geschichte zu erzählen, wie sie es war, diese von ihm zu hören; denn es war seine Hoffnung den ganzen Weg nach Hause gewesen, dass seine Mutter mit ihrer schnelleren Auffassungsgabe und größerem Wissen fähig sein könnte, Licht auf das Rätsel zu werfen, das er selbst sich nicht erklären konnte. Seine Erinnerung an den Traum war noch unwillkürlich lebendig, obwohl seine Gedanken völlig von ihm verwirrt waren.

Das Gesicht seiner Mutter wurde blasser und blasser, als er fortfuhr. Sie unterbrach ihn nie mit mehr als einem einzigen Wort; aber als er fertig war, bewegte sie ihren Stuhl nahe zu ihm, legte ihren Arm um seinen Nacken und sagte zu ihm:

»Isaac, du hast deinen Alptraum am Mittwochmorgen geträumt. Wieviel Uhr war es, als du die hübsche Frau mit dem Messer in ihrer Hand sahst?« Isaac überlegte, was der Gastwirt gesagt hatte, als sie an der Uhr vorübergingen, während er das Gasthaus verließ; räumte so gut er konnte, die Zeit ein, die vergangen sein musste, zwischen dem Öffnen des Schlafzimmers und dem Bezahlen seiner Rechnung, kurz bevor er wegging und antwortete:

»Ungefähr gegen zwei Uhr morgens.«

Seine Mutter ließ plötzlich von seinem Nacken ab und schlug ihre Hände zusammen mit einer Geste der Verzweiflung.

»Dieser Mittwoch ist dein Geburtstag und zwei Uhr morgens ist die Uhrzeit, als du geboren wurdest.«

Isaacs Auffassungsgabe war nicht schnell genug, um sich an der abergläubischen Furcht seiner Mutter anzustecken. Er war überrascht und auch ein wenig erschrocken, als sie plötzlich von ihrem Stuhl aufstand, ihren Schreibtisch öffnete, Feder, Tinte und Papier nahm und dann zu ihm sagte:

»Dein Gedächtnis ist schlecht, Isaac, und jetzt, da ich eine alte Frau bin, ist meines nicht viel besser. Ich will, dass alles über diesen Traum von dir uns beiden wohlbekannt ist, von jetzt an Jahre, so wie er es jetzt ist. Erzähl mir alles noch mal, was du mir vor einer Minute erzählt hast, als du davon sprachst, wie die Frau mit dem Messer aussah.«

Isaac gehorchte und wunderte sich sehr, als er sah, wie seine Mutter sorgfältig genau die Worte auf Papier niederschrieb, die er sagte.

»Hellgraue Augen«, schrieb sie, als sie zu der Beschreibung kamen, »mit einem herabhängenden Augenlid; flachsfarbenes Haar, mit einer goldgelben Strähne darin; weiße Arme, bedeckt mit einem Flaum; die kleine Hand einer Dame, mit einem rötlichen Aussehen um die Fingernägel herum; ein Klappmesser mit einem Hirschhorngriff, das aussah wie neu.« Zu diesen Einzelheiten fügte Mrs. Scatchard Jahr, Monat und Wochentag hinzu, und die Uhrzeit am Morgen, als die Frau aus dem Traum ihrem Sohn erschien. Dann verschloss sie das Papier sorgfältig in ihrem Schreibtisch.

Weder an diesem Tag noch an einem anderen folgenden Tag konnte ihr Sohn sie dazu bewegen, auf die Traumangelegenheit zurückzukommen. Sie behielt ihre Gedanken darüber hartnäckig für sich, und weigerte sich sogar, wieder von dem Papier in ihrem Schreibtisch zu sprechen. Bald wurde Isaac der Versuche, ihr entschlossenes Schweigen zu durchbrechen, müde; und die Zeit, die früher oder später alle Dinge abnutzt, nutzte allmählich auch den Eindruck ab, den der Traum auf ihn gehabt hatte. Er begann, sorglos darüber nachzudenken und dachte schließlich gar nicht mehr darüber nach.

Es ergab sich ein weiteres Arrangement durch das Auftreten einiger wichtiger Veränderungen zum Besseren in seinen Aussichten, die nicht lang nach seiner schrecklichen Nachterfahrung in dem Gasthaus begannen. Er erntete endlich den Lohn für sein langes und geduldiges Leiden unter der Not, indem er eine ausgezeichnete Stellung erhielt und sie sieben Jahre lang behielt, sie nach dem Tod seines Herrn verließ, nicht nur mit einem ausgezeichneten Charakter, sondern auch mit einer angenehmen Pension, die ihm als Belohnung dafür vermacht worden war, dass er das Leben seiner Herrin bei einem Kutschenunfall gerettet hatte. So geschah es, dass Isaac Scatchard zu seiner alten Mutter zurückkehrte, sieben Jahre nach dem Traum im Gasthaus, mit einer jährlichen Rente zu seiner Verfügung, die ausreichend war, um beide in Behaglichkeit und Unabhängigkeit für den Rest ihres Lebens zu halten.

Die Mutter, deren Gesundheit in den letzten Jahren sehr schlecht gewesen war, profitierte so sehr von der Sorge, die ihr gewidmet wurde und von der Freiheit von Geldsorgen, dass sie, als Isaacs Geburtstag wiederkam, fähig war, bequem am Tisch zu sitzen und mit ihm zu essen.

An diesem Tag, als der Abend nahte, endeckte Mrs. Scatchard, dass eine Flasche Tonikum, das sie gewöhnlich einnahm und in der sie eine oder mehr Dosen übrig geglaubt hatte, leer war. Isaac erklärte sich sofort bereit, zum Apotheker zu gehen und sie wieder füllen zu lassen. Es war eine regnerische und düstere Herbstnacht wie bei dem denkwürdigen vergangenen Ereignis, als er sich verlaufen hatte und in dem Gasthaus am Straßenrand schlief.

Als er in die Apotheke kam, ging eine ärmlich gekleidete Frau, die nach draußen schritt, hastig an ihm vorüber. Der flüchtige Eindruck, den er von ihrem Gesicht hatte, fiel ihm ins Auge, und er schaute ihr hinterher, als sie die Türstufen herunterging.

»Bemerkten Sie gerade die Frau?« sagte der Apothekerlehrling hinter dem Tresen. »Meiner Meinung nach stimmt irgendetwas nicht mit ihr. Sie hat nach Laudanum gefragt, um einen schlechten Zahn damit zu behandeln. Der Meister ist für eine halbe Stunde außer Haus und ich sagte ihr, dass ich kein Gift an Fremde während seiner Abwesenheit verkaufen darf. Sie lachte auf eine eigenartige Weise und sagte, sie würde in einer halben Stunde zurückkommen. Wenn sie erwartet, der Herr werde sie bedienen, denke ich, wird sie enttäuscht sein. Wenn es je einen Fall von Freitod gegeben hat, dann diesen, Sir.«

Diese Worte leisteten ihren Beitrag zu dem plötzlichen Interesse an der Frau, welches Isaac fühlte, als er zum ersten Mal ihr Gesicht sah. Nachdem er die Medizinflasche hatte füllen lasse, sah er sich unruhig nach ihr um, sobald er draußen auf der Straße war. Sie ging langsam auf der anderen Straßenseite auf und ab. Sehr zu seiner eigenen Überraschung klopfte sein Herz schnell und Isaac ging hinüber und sprach mit ihr.

Er fragte, ob sie in einer Notlage sei. Sie zeigte auf ihren zerschlissenen Schal, ihre notdürftige Kleidung, ihre zerbrochene, schmutzige Haube; dann begab sie sich unter eine Lampe, um so das Licht auf ihr ernstes, bleiches, aber immer noch sehr schönes Gesicht fallen zu lassen.

»Ich sehe aus wie eine zufriedene, glückliche Frau, nicht wahr?« sagte sie, bitter lachend.

Sie sprach mit einer Reinheit der Sprachmelodie, die Isaac nie zuvor von den Lippen einer Dame gehört hatte. Ihre geringsten Bewegungen schienen die leichte, fahrlässige Anmut einer hochwohlgeborenen Frau zu haben. Ihre Haut war trotz aller der durch Armut verursachten Blässe so zart, als wenn sie ihr Leben in dem Vergnügen jeder gesellschaftlichen Bequemlichkeit verbracht hätte, welche Reichtum kaufen kann. Sogar ihre kleinen, feingeformten Hände, handschuhlos, wie sie waren, hatten ihre Helle nicht verloren.

Allmählich kam durch Antworten auf seine Fragen die traurige Geschichte der Frau ans Licht. Es gibt keine Notwendigkeit, sie hier zu erzählen; sie ist immer und immer wieder erzählt worden in den Polizeiberichten und Akten über versuchte Selbstmorde.

»Mein Name ist Rebecca Murdoch«, sagte die Frau, als sie geendet hatte. »Ich habe neun Pence übrig, und ich dachte daran, sie beim Apotheker gegenüber auszugeben, um mir eine Überfahrt in die andere Welt zu sichern. Was auch immer dort ist, es kann für mich nicht schlimmer sein als hier, also warum sollte ich jetzt nicht aufhören?«

Ganz abgesehen von dem natürlichen Mitleid und der Traurigkeit, die sein Herz bewegte, als er dies hörte, fühlte Isaac die ganze Zeit über in sich einen gewissen, geheimnisvollen Einfluss, als die Frau sprach, der seine Gedanken aufs äußerste verwirrte und ihn fast der Fähigkeit zu sprechen beraubte. Alles, was er auf ihre unbesonnenen Worte antworten konnte, war, dass er sie davon abhalten würde, ihr Leben zu verwirken, und wenn er ihr die ganze Nacht dafür folgen müsse. Seine rauhe, zitternde Ernsthaftigkeit schien sie zu beeindrucken.

»Ich werde Ihnen die Mühe ersparen«, antwortete sie, als er seine Drohung wiederholte. »Sie haben mir wieder Lust zu leben gegeben, indem sie freundlich zu mir gesprochen haben. Keine Notwendigkeit, Beteuerungen und Versprechen zu machen. Sie können mir ohne diese glauben. Kommen Sie morgen um zwölf Uhr nach Fuller's Meadow und Sie werden mich lebend finden, um für mich selbst zu antworten – Nein! - kein Geld. Meine neun Pence werden mir eine gute Nachtunterkunft verschaffen, wie ich sie will.«

Sie nickte und verließ ihn. Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen – er hatte nicht den Verdacht, dass sie ihn täuschte.

»Es ist seltsam, aber ich kann nicht anders als ihr glauben«, sagte er zu sich und ging verwirrt nach Hause.

Als er das Haus betrat, waren seine Gedanken so vollständig durch den neuen Gegenstand des Interesses vereinnahmt, dass er keine Notiz davon nahm, was seine Mutter tat, als er mit der Medizinflasche hereinkam. Sie hatte ihren alten Schreibtisch in seiner Abwesenheit geöffnet und las nun aufmerksam ein Papier, das darin lag. An jedem Geburtstag von Isaac hatte sie, seit sie die Einzelheiten von seinem Traum von seinen eigenen Lippen niedergeschrieben hatte, gewohnheitsmäßig eben dieses Papier gelesen und insgeheim darüber nachgedacht.

Am nächsten Tag ging er zu Fuller's Meadow.

Er hatte recht daran getan, so bedingungslos an sie zu glauben. Sie war da, pünktlich auf die Minute, um für sich einzustehen. Die übriggebliebenen Verteidigungen in Isaacs Herz gegen die Faszination, welche ein Wort oder ein Blick von ihr unerforschlich auf ihn auszuüben begannen, sanken herab und verschwanden vor ihr an diesem denkwürdigen Morgen für immer.

Wenn ein Mann, der bisher unempfänglich gegenüber dem Einfluss der Frauen war, in der Mitte seines Lebens eine Bindung bildet, sind die Beispiele tatsächlich selten, man lasse die warnenden Umstände sein, was sie wollen, in welchen er sich fähig findet, sich selbst aus der Tyrannei der neu beherrschenden Leidenschaft zu befreien. Der Reiz, mit einer Frau vertraut, nett und dankbar zu sprechen, deren Sprache und Manieren immer noch genug von ihrer früheren Kultiviertheit behalten hatten, um die hohe gesellschaftliche Stellung, die sie verloren hatte, anzudeuten, wäre ein gefährlicher Luxus für einen Mann in Isaacs Stellung im Alter von zwanzig gewesen. Aber es war weit mehr als das – es war der sichere Ruin für ihn – jetzt, da sein Herz sich unwürdig einem neuen Einfluss in der Mitte seines Lebens öffnete, wenn starke Gefühle aller Art, die einst eingepflanzt wurden, in der moralischen Natur eines Mannes hartnäckig Wurzeln schlagen. Ein paar verstohlene Gespräche mehr nach diesem ersten Morgen in Fuller's Meadow vervollständigten seine Verliebtheit. In weniger als einem Monat von dem Zeitpunkt an, als er sie zum ersten Mal getroffen hatte, hatte Isaac Scatchard darin eingewilligt, Rebecca Murdoch eine neue Bedeutung in ihrem Leben zu geben, und eine Chance, den Charakter, den sie verloren hatte, wiederzuerlangen, indem er ihr versprach, sie zu seiner Frau zu machen.

Sie hatte nicht nur von seinen Gefühlen, sondern auch von seinem Verstand Besitz ergriffen. Alle Gedanken, die er hatte, legte er darin, sie zu behalten. Sie lenkte ihn in jeder Beziehung – sie wies ihn sogar an, wie er die Neuigkeit seiner nahenden Heirat seiner Mutter am schonendsten beibringen sollte.

»Wenn du ihr zuerst erzählst, wie du mich kennengelernt hast und wer ich bin«, sagte die durchtriebene Frau, »wird sie Himmel und Erde in Bewegung setzen, um unsere Heirat zu verhindern. Sag, ich sei die Schwester von einem deiner Stallknechtkollegen – bitte sie, mich zu empfangen, bevor du auf weitere Einzelheiten eingehst – und überlass mir den Rest. Ich will sie dazu bringen, mich gleich nach dir zu lieben, Isaac, bevor sie irgendetwas darüber weiß, wer ich wirklich bin.« Der Beweggrund für die Täuschung war ausreichend, um sie vor Isaac zu rechtfertigen. Die vorgeschlagene List befreite ihn von seiner einen großen Sorge und beruhigte sein ruheloses Gewissen bezüglich seiner Mutter. Aber noch fehlte etwas, um sein Glück zu vervollständigen, etwas, das er nicht erfassen konnte, etwas geheimnisvoll unauffindbares, und doch etwas, das sich fortwährend spüren ließ; nicht, wenn er weg von Rebecca Murdoch war, sondern seltsamerweise wenn er tatsächlich bei ihr war! Sie war die Güte selbst zu ihm. Sie ließ ihn nie seinen niedrigeren Verstand und seine niedrigeren Manieren fühlen. Sie zeigte die süßeste Sorge, um ihm bei den kleinsten Lappalien gefällig zu sein; aber, trotz all dieser Vorzüge, konnte er sich nie wohl mit ihr fühlen. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sich seiner Bewunderung ein schwaches, unwillkürliches Gefühl beigemischt, ob das Gesicht vollkommen fremd für ihn war, als er ihr ins Gesicht sah. Keine spätere Vertrautheit hatte die geringste Wirkung auf diese unerklärliche mühselige Unsicherheit.

Die Wahrheit verbergend, wie er angewiesen worden war, verkündete er seine Heiratspläne überstürzt und verwirrt seiner Mutter an dem Tag, als er sie einging. Die arme Mrs. Scatchard zeigte ihr vollkommenes Vertrauen in ihren Sohn, indem sie ihre Arme um seinen Hals schlang und ihn dazu beglückwünschte, dass er endlich in der Schwester eines seiner Stallknechtkollegen eine Frau gefunden hatte, die ihn trösten und für ihn sorgen konnte, nachdem seine Mutter nicht mehr da war. Sie war voller Ungeduld, die Frau der Wahl ihres Sohnes zu sehen und der nächste Tag wurde für eine Vorstellung festgesetzt.

Es war ein heller, sonniger Morgen, und die kleine Stube in der Hütte war voller Licht, als Mrs. Scatchard, glücklich und erwartungsvoll, für das Ereignis in ihrer Sonntagskleidung, dort saß und auf ihren Sohn und ihre zukünftige Schwiegertochter wartete.

Pünktlich zur vereinbarten Zeit führte Isaac hastig und nervös seine Verlobte in das Zimmer. Seine Mutter erhob sich, um sie zu empfangen – ging lächelnd ein paar Schritte – schaute Rebecca gerade in die Augen und stockte plötzlich. Ihr Gesicht, welches den Augenblick davor errötet gewesen war, wurde im nächsten Moment weiß, ihre Augen verloren den Ausdruck von Sanftheit und Liebenswürdigkeit und nahmen einen leeren Blick von Schrecken an; ihre ausgestreckten Hände fielen auf ihre Seiten, und sie taumelte einige Schritte zurück mit einem schwachen Aufschrei zu ihrem Sohn.

»Isaac«, wisperte sie, während sie ihn fest am Arm packte, als er erschreckt frage, ob es ihr nicht gut ginge, »Isaac, erinnert dich das Gesicht dieser Frau an nichts?«

Bevor er antworten konnte – bevor er nach dem Platz am anderen Ende des Raumes hinsehen konnte, an dem Rebecca stand, welche erstaunt und verärgert über den Empfang war, den man ihr bereitet hatte, zeigte seine Mutter ungeduldig auf den Schreibtisch und gab ihm den Schlüssel.

»Öffne ihn«, sagte sie, atemlos flüsternd.

»Was bedeutet das? Warum werde ich behandelt, als hätte ich hier nichts zu suchen? Will mich deine Mutter beleidigen?« fragte Rebecca verärgert.

»Öffne ihn, und gib mir das Papier aus der linken Schublade. Schnell! Schnell, um Himmels willen!« sagte Mrs. Scatchard, die in Angst zurückschreckte.

Isaac gab ihr das Papier. Eifrig betrachtete sie das Papier für einen Augenblick und folgte darauf Rebecca, die sich eben hastig umdrehte, um den Raum zu verlassen, und packte sie bei der Schulter. Hierbei hob sie unvermittelt den langen, losen Ärmel ihres Kleides und blickte auf ihre Hand und ihren Arm. Etwas wie Angst begann sich auf den verärgerten Ausdruck von Rebeccas Gesicht zu legen, als sie sich schüttelnd von dem Griff der alten Frau befreite. »Verrückt!« sagte sie zu sich, »und Isaac hat es mir nie erzählt.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.

Isaac wollte ihr nacheilen, als seine Mutter sich jäh umwandte und seinen weiteren Fortgang aufhielt. Es schmerzte sein Herz, als er den Schrecken und das Elend in ihrem Gesicht sah, als sie ihn ansah.

»Hellgraue Augen«, sagte sie mit leiser, sorgenvoller, verschreckter Stimme, zur Tür gewandt, »ein herabhängendes Augenlid am linken Auge; flachsfarbenes Haar, mit einer goldgelben Strähne darin, schöne weiße Arme, mit Flaum auf ihnen – die Hand einer kleinen Dame, mit einem rötlichen Schimmer unter den Fingernägeln – die Traumfrau, Isaac, die Frau aus dem Traum!«

Dieser schwache Zwiespalt, den er in Rebecca Murdochs Anwesenheit nie ganz ablegen konnte, kam auf verhängnisvolle Weise zur Ruhe. Er hatte ihr Gesicht bereits früher gesehen – sieben Jahre zuvor, an seinem Geburtstag im Zimmer des einsamen Gasthauses.

»Sei gewarnt! Oh, mein Sohn, sei gewarnt! Isaac, Isaac, lass sie gehen und bleib hier bei mir!«

Etwas verdunkelte das Empfangszimmer, als diese Worte gesprochen wurden. Ihn durchlief ein plötzlicher Schauder und er blickte seitwärts nach dem Schatten. Rebecca Murdoch war zurückgekommen. Sie spähte neugierig nach ihnen durch den geschlossenen Fensterladen.

»Ich habe versprochen, sie zu heiraten, Mutter, und ich werde mein Versprechen halten.«

Tränen traten in seine Augen, als er sprach und trübten seine Sicht, aber er konnte gerade noch das verhängnisvolle Gesicht draußen wahrnehmen, wie es sich vom Fenster wieder fortbewegte.

Der Kopf seiner Mutter sank auf ihre Brust.

»Ist dir nicht gut?« flüsterte er.

»Mein Herz ist gebrochen, Isaac.«

Er beugte sich nieder und küsste sie. Der Schatten kehrte, als er dies tat, zum Fenster zurück und das verhängnisvolle Gesicht äugte ein weiteres Mal neugierig hinein.



Kapiteltrenner 

Kapitel IV

Drei Wochen nach diesem Tag waren Isaac und Rebecca Mann und Frau. Alles, was hoffnungslos halsstarrig und eigensinnig im natürlichen Charakter des Mannes war, schien sich um seine unglückselige Leidenschaft geschlossen zu haben, und sich unangreifbar in seinem Herzen festgesetzt zu haben.

Nach diesem ersten Gespräch im Empfangszimmer des Landhauses konnte keine Betrachtung Mrs. Scatchard dazu bewegen, die Frau ihres Sohnes noch einmal zu sehen, nicht einmal dazu, von ihr zu sprechen, wenn Isaac nach ihrer Heirat noch so sehr versuchte, ihre Angelegenheiten bei ihr zu vertreten.

Diese Verhaltensweise war in keinster Weise durch die Entdeckung der Erniedrigung veranlasst, in der Rebecca gelebt hatte. Es bestand darüber zwischen Mutter und Sohn kein Zweifel. Es bestand auch sonst keine Uneinigkeit außer bei der erschreckenden Ähnlichkeit zwischen der lebenden Frau und der gespenstischen Frau aus Isaacs Traum.

Rebecca ihrerseits fühlte weder die geringste Sorge noch beklagte sie sich über die Entfremdung zwischen ihr und ihrer Schwiedermutter. Isaac hatte um des Friedens willen nie ihrem ersten Gedanken widersprochen, wonach Alter und lange Krankheit den Geist Mrs. Scatchards beeinträchtigt hatten. Er erlaubte seiner Frau sogar, ihm Vorwürfe darüber zu machen, dass er ihr zur Zeit ihrer Verlobung dies nicht gestanden hatte, weil er lieber die Wahrheit verbarg, als durch diese etwas zu riskieren. Das Opfer seiner Rechtschaffenheit für seinen alles beherrschenden Wahn schien nur wenig zu sein und kostete ihn seinen Anstand, aber wenig nach all den Opfern, die er bereits gebracht hatte.

Die Zeit des Erwachens aus seiner Täuschung – die grausame und reumütige Zeit – war nicht weit entfernt. Nach einigen ruhigen Monaten im Ehestand, als der Sommer zu Ende ging und sich die Zeit dem Monat seines Geburtstags näherte, fand Isaac seine Frau verändert gegen ihn. Sie wurde mürrisch und verachtend; sie pflegte Bekanntschaften der gefährlichsten Art trotz seiner Einwände, seines Flehens und seiner Anordnungen; und was das schlimmste war, sie lernte nach jeder neuen Streitigkeit mit ihrem Mann, die tödliche Selbstvergessenheit im Trinken zu suchen. Nach und nach, nachdem er die erste elende Entdeckung gemacht hatte, dass seine Frau mit Trinkern verkehrte, zwang sich Isaak die schockierende Gewissheit auf, dass sie selbst zu einer Trinkerin geworden war.

Er war in einem verzagten und traurigen Zustand gewesen, bevor sich diese Misere in seinem Haushalt ereignete. Um die Gesundheit seiner Mutter, wie er dies nur zu deutlich bei jedem Besuch bei ihr auf dem Hof wahrnehmen konnte, stand es zunehmend schlechter, und er machte sich selbst im geheimen Vorwürfe, dass er die Ursache für das körperliche und geistige Leiden sei, das sie ertragen musste. Als zu den Gewissensbissen, die er wegen seiner Mutter hatte, noch die Scham und das Elend kamen, die durch die Entdeckung der Erniedrigung seiner Frau hinzukam, zerbrach er unter dieser doppelten Last – sein Gesicht begann sich schnell zu verändern und er sah aus wie ein gebrochener Mann, was er auch war.

Seine Mutter, die noch immer tapfer gegen die Krankheit ankämpfte, die sie ins Grab bringen sollte, war die erste, die die traurige Änderung an ihm bemerkte und die erste, die von dem letzten schlimmsten Fehler seiner Frau hörte. Sie konnte nur bitterlich weinen an dem Tag, als er ihr dieses erniedrigende Geständnis machte, aber bei der nächsten Gelegenheit, als er sie besuchte, hatte sie einen Beschluss bezüglich seiner häuslichen Trübsal gefasst, die ihn erstaunten und ihn sogar ängstigten. Er fand sie bereit, außer Haus zu gehen und als er sie nach dem Grund fragte, erhielt er diese Antwort:

»Ich werde nicht mehr lange auf dieser Welt sein, Isaac«, sagte sie, »und ich werde mich auf meinem Totenbett nicht wohl fühlen, wenn ich nicht mein Bestes und mein letztes dafür getan habe, um meinen Sohn glücklich zu machen. Ich will meine eigenen Ängste und Gefühle nicht in Betracht kommen lassen und will mit dir zu deiner Frau gehen und versuchen, was ich kann, um sie wieder zur Besinnung zu bringen. Gib mir deinen Arm, Isaac, und lass mich das letzte tun, was ich in dieser Welt tun kann, um meinem Sohn zu helfen, bevor es zu spät ist.«

Er konnte ihr nicht widersprechen und sie gingen langsam zusammen zu seinem unglücklichen Heim.

Es war erst ein Uhr nachmittags, als sie das Landhaus erreichten, in dem er lebte. Es war ihre Mittagszeit und Rebecca war in der Küche. Er war deshalb imstande, seine Mutter leise in den Salon zu bringen und dann seine Frau auf das Gespräch vorzubereiten. Sie hatte glücklicherweise wenig zu dieser frühen Stunde getrunken und sie war weniger mürrisch und launenhaft als gewöhnlich.

Er kehrte einigermaßen beruhigt zu seiner Mutter zurück. Seine Frau folgte ihm in den Salon und das Treffen zwischen ihr und Mrs. Scatchard verlief besser, als er anzunehmen gewagt hatte, obwohl er mit geheimer Besorgnis beobachtete, dass seine Mutter, so entschlossen sie sich auch in anderen Beziehungen kontrollierte, seiner Frau nicht ins Gesicht schauen konnte, wenn sie mit ihr sprach. Es war daher für ihn eine Erleichterung, als Rebecca begann, den Tisch zu decken.

Sie deckte den Tisch, brachte den Brotkasten herein und schnitt eine Scheibe von dem Laib für ihren Ehemann ab, danach kehrte sie in die Küche zurück. In diesem Augenblick wurde Isaac, der noch immer besorgt seine Mutter beobachtete, davon aufgeschreckt, dass er dieselbe grauenhafte Veränderung an ihrem Gesicht wahrnahm, die es so schrecklich am Morgen, als Rebecca und sie zum ersten Mal aufeinandertrafen, entstellt hatte. Bevor er ein Wort sagen konnte, flüsterte sie mit dem Ausdruck des Grauens:

»Bring mich zurück – nach Hause, nach Hause, Isaac. Komm mit mir und kehre nie wieder zurück.«

Er hatte Angst davor, eine Erklärung zu verlangen; er konnte ihr nur bedeuten, still zu sein und ihr schnell zur Tür zu helfen. Als sie an dem Brotkasten vorbeiging, hielt sie an und zeigte darauf:

»Hast du gesehen, mit was deine Frau dein Brot geschnitten hat?« fragte sie, leise flüsternd.

»Nein, Mutter – ich habe es nicht bemerkt – was war es?«

»Sieh dort!«

Er sah dorthin. Ein neues Klappmesser mit Hirschhorngriff lag beim Laib im Brotkasten. Er streckte schaudernd seine Hand aus, um sich dessen zu bemächtigen; aber im selben Moment kam ein Geräusch aus der Küche und seine Mutter fasste ihn am Arm.

»Das Messer aus dem Traum! Isaac, ich bin starr vor Schreck. Bring mich weg, bevor sie zurückkommt.«

Er war kaum fähig, sie zu stützen. Die sichtbare, handfeste Existenz des Messers versetzte ihn in Panik, und zerstörte irgendwelche schwachen Zweifel vollkommen, die er je bis jetzt in Verbindung mit der rätselhaften Warnung durch einen Traum unterhalten hatte, welcher schon fast acht Jahre zurücklag. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung bot er genügend Selbstbeherrschung auf, um seiner Mutter aus dem Haus zu helfen – so still, dass die »Traumfrau« (er nannte sie nun in Gedanken bei diesem Namen) sie in der Küche nicht hörte, wie sie das Haus verließen.

»Geh nicht zurück, Isaac – geh nicht zurück!« flehte Mrs. Scatchard, als er sich umdrehte, um zurückzugehen, nachdem er sah, dass sie wieder sicher in ihrem eigenen Zimmer saß.

»Ich muss das Messer holen«, antwortete er murmelnd. Seine Mutter versuchte ihn aufzuhalten, aber er eilte ohne ein weiteres Wort hinaus.

Bei seiner Rückkehr sah er, dass seine Frau ihre heimliche Abreise entdeckt hatte. Sie hatte getrunken und war in einer leidenschaftlichen Raserei. Das Mittagessen in der Küche war unter den Rost geschleudert worden; die Tischdecke war nicht mehr auf dem Salontisch. Wo war das Messer?

Er fragte unklugerweise danach. Sie war nur zu erfreut darüber, eine Gelegenheit zu haben, ihn zu reizen, was die Frage ihr erlaubte. Er wollte das Messer, nicht wahr? Konnte er ihr einen Grund dafür geben? Nein! Dann sollte er es nicht haben – nicht wenn er nicht auf seine Knie ging, um darum zu bitten. Weitere Beschuldigungen enthüllten auch den Sachverhalt, dass sie das Messer zu einem günstigen Preis erstanden hatte und dass sie es als ihr eigenes besonderes Eigentum betrachtete. Isaac erkannte, dass der Versuch, das Messer auf anständige Weise zu erhalten, nutzlos war und entschloss sich insgeheim dazu, es nachmittags zu suchen. Die Suche war erfolglos, die Nacht brach herein und er verließ das Haus, um auf den Straßen spazierenzugehen. Er hatte nun Angst davor, im selben Raum wie sie zu schlafen.

Drei Wochen vergingen. Noch immer war sie mürrisch und aufgebracht und würde nicht von dem Messer Abstand nehmen; und noch immer hielt ihn die Furcht davor, mit ihr im selben Raum zu schlafen, ergriffen. Er streifte nachts umher, schlief im Empfangszimmer ein oder er wachte am Bett seiner Mutter. Vor Ablauf der ersten Woche im neuen Monat starb seine Mutter. Es wären nur noch zehn Tage bis zum Geburtstag ihres Sohnes gewesen. Sie hatte sich ersehnt, bis zu diesem Jubiläum zu leben. Isaac war bei ihrem Tod zugegen und ihre letzten Worte in dieser Welt an ihn waren die folgenden:

»Geh nicht zurück, mein Sohn, geh nicht zurück!« Er war aber gezwungen, zurückzugehen, und sei es nur, um seine Frau zu beobachten. Außer sich bis zum letzten wegen seines Argwohns ihr gegenüber hatte sie seinem Kummer rachsüchtig einen weiteren Stachel hinzuzufügen gesucht während der Krankheit seiner Mutter, indem sie erklärte, sie würde ihr Recht geltend machen, der Beerdigung seiner Mutter beizuwohnen. Trotz allem, was er tun oder sagen konnte, hielt sie mit boshafter Hartnäckigkeit Wort und am für das Begräbnis festgesetzten Tag zwang sie sich – wutentbrannt und schamlos betrunken – in die Gegenwart ihres Ehemanns und erklärte, sie würde im Trauerzug zum Grab seiner Mutter gehen.

Diese letzte schlimmste Schandtat, von allen am kränkendsten in Wort und Bild, machten ihn für einen Moment rasend. Er schlug sie.

Im Augenblick, als der Hieb ausgeteilt war, bereute er ihn. Sie kauerte sich still in eine Ecke des Zimmers und beäugte ihn stetig; es war ein Blick, der sein heißes Blut abkühlte und ihn erzittern ließ. Aber es war keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, wie Sühne zu leisten wäre. Ihm blieb nichts übrig, als das Schlimmste zu riskieren, bis das Begräbnis vorüber war. Es gab nur einen Weg, sich ihr zu versichern. Er schloss sie im Schlafzimmer ein.

Als er einige Stunden später zurückkam, fand er sie am Bettrand sitzend wieder, in Blick und Haltung sehr verändert, mit einem Bündel auf ihrem Schoß. Sie erhob sich, blickte ihn still an und sprach mit einer seltsamen Stille in ihrer Stimme, einer seltsamen Ruhe in ihren Augen und einer seltsamen Fassung in ihrem Benehmen.

»Kein Mann hat mich je zwei Mal geschlagen«, sagte sie. »und mein Ehemann soll keine zweite Gelegenheit haben. Öffne die Tür und lass mich gehen. Von diesem Tag an werden wir uns nie wieder sehen.«

Bevor er antworten konnte, ging sie an ihm vorüber und verließ das Zimmer. Er sah sie die Straße hinauf weggehen.

Würde sie zurückkehren?

Die ganze Nacht wachte und wartete er, aber man hörte in der Nähe des Hauses keine Fußtritte. In der nächsten Nacht legte er sich, übermächtigt von der Müdigkeit, in seinen Kleidern ins Bett, die Tür war geschlossen, der Schlüssel lag auf dem Tisch und die Kerze brannte. Sein Schlummer wurde nicht gestört. Es verging die dritte, die vierte, die fünfte und die sechste Nacht, und nichts passierte.

Er legte sich in der siebten Nacht schlafen, noch immer in seinen Kleidern, noch immer mit geschlossener Tür, dem Schlüssel auf dem Tisch und einer brennenden Kerze, aber ruhiger in seinem Geist.

Mit leichterem Geist und in vollkommener körperlicher Gesundheit schlief er ein. Aber seine Ruhe wurde gestört. Er wachte zweimal, ohne Unbehaglichkeit zu verspüren, auf. Aber beim dritten Mal war es dieses unvergessliche Schaudern aus der Nacht in dem einsamen Gasthof, dieser schreckliche ziehende Schmerz im Herzen, welcher ihn einmal mehr in einem Moment wachrüttelte.

Seine Augen öffneten sich und blickten zur linken Seite des Bettes und dort stand – wieder die Traumfrau? Nein! Seine Frau; die lebende Realität, mit dem Gesicht des Traumphantoms und der Haltung des Traumphantoms; der schöne Arm oben, das Messer ergriffen in der zierlichen weißen Hand.

Er sprang zu ihr fast im Augenblick, als er sie sah, und doch nicht schnell genug, um sie daran zu hindern, das Messer zu verbergen. Ohne ein Wort von ihm – ohne einen Schrei von ihr – fesselte er sie an einen Stuhl. Mit einer Hand tastete er ihren Ärmel nach oben ab und dort, wo die Traumfrau das Messer versteckt hatte, hatte auch seine Frau es versteckt – das Messer mit dem Hirschhorngriff, das aussah wie neu.

In der Hoffnungslosigkeit des schrecklichen Augenblicks war sein Verstand wach und sein Herz ruhig. Er schaute sie unbeweglich mit dem Messer in seiner Hand an und sagte diese letzten Worte:

»Du hast zu mir gesagt, dass wir uns nie wieder sehen werden, und du bist zurückgekommen. Die Reihe ist nun an mir zu gehen, und zwar für immer. Ich sage, dass wir uns nie wieder sehen werden und ich werde mein Wort nicht brechen.«

Er verließ sie und zog in die Nacht hinaus. Es war ein rauer Wind draußen und der Geruch von frischem Regen lag in der Luft. Die entfernte Kirchenuhr schlug die Viertelstunde, als er schnell an den letzten Häusern der Vorstadt vorüberging. Er fragte den ersten Polizisten, den er traf, welche Stunde es war, für die es die Viertelstunde gerade geschlagen hatte.

Der Mann schaute verschlafen auf seine Uhr und antwortete: »Zwei Uhr.« Zwei Uhr morgens. Welcher Tag im Monat war dieser Tag, der gerade begonnen hatte? Er zählte vom Tag der Beerdigung seiner Mutter. Die verhängnisvolle Parallele war vollständig: es war sein Geburtstag!

War er der tödlichen Gefahr entronnen, welche sein Traum vorausgesagt hatte? Oder hatte er nur eine zweite Warnung erhalten?

Als dieser beunruhigende Zweifel sich in seinem Verstand verfestigte, hielt er an, überlegte und wandte sich wieder zurück zur Stadt. Er war noch immer entschlossen, sein Wort zu halten und sie ihn nie wieder sehen zu lassen; aber es gab nun den Gedanken in seinem Knopf, sie beobachten und verfolgen zu lassen. Das Messer war in seinem Besitz; die Welt lag vor ihm; aber ein neues Misstrauen ihr gegenüber – eine unbestimmte, unsägliche, abergläubische Furcht hatte ihn überkommen.

»Ich muss wissen, wohin sie geht, nun, da sie denkt, ich hätte sie verlassen«, sagte er zu sich selbst, als er sich ermüdet zu dem Gehweg seines Hauses hinstahl.

Es war noch immer dunkel. Er hatte die Kerze im Schlafgemach brennen lassen, aber als er nun zu dem Fenster des Zimmers hinaufschaute, war dort kein Licht. Er schlich vorsichtig zur Haustür. Er erinnerte sich, dass er sie beim Weggehen geschlossen hatte; als er sie nun probierte, fand er sie geöffnet.

Bis zum Morgengrauen wartete er draußen, wobei er nie das Haus aus den Augen verlor. Dann wagte er sich hinein – er horchte und hörte nichts – schaute in die Küche, die Spülküche, das Empfangszimmer und fand nichts; er ging endlich hinauf in das Schlafzimmer – es war leer. Ein Dietrich lag auf dem Boden, welcher erkennen ließ, wie sie in der Nacht Zutritt erlangt hatte, doch dies war die einzige Spur von ihr.

Wohin war sie gegangen? Keine sterbliche Zunge konnte ihm dies sagen. Sie war im Schutz der Dunkelheit geflohen; und als der Tag anbrach, konnte niemand sagen, wo das Licht sie entdeckt hatte.

Bevor er Haus und Stadt für immer verließ, gab er einem Freund und Nachbar Anweisungen, seine Möbel für alles, was sie einbringen würden, zu verkaufen und die Erlöse dafür zu verwenden, die Polizei für die Verfolgung nach ihr einzusetzen. Den Anweisungen wurde aufrichtig Folge geleistet und das ganze Geld wurde verbraucht, jedoch führten die Ermittlungen zu nichts. Der Dietrich auf dem Schlafzimmerboden blieb die letzte, einzige Spur der Traumfrau.

An diesem Punkt stockte der Gastwirt und schaute, während er sich dem Fenster des Zimmers, an dem wir saßen, zugewandt hatte, in die Richtung der Stallungen.

»So weit«, sagte er, »habe ich ihnen erzählt, was mir erzählt wurde. Das wenige, was noch hinzuzufügen bleibt, kann ich aus eigenen Erfahrungen berichten. Zwischen zwei und drei Monaten nach den Ereignissen, die ich gerade geschildert habe, kam Isaac Scatchard zu mir, welk und vor seiner Zeit gealtert, gerade so wie Sie ihn heute sehen. Er hatte seine Empfehlungsschreiben, die ihm einen guten Leumund ausstellten und er fragte hier nach einer Anstellung. Ich wusste, dass meine Frau und er entfernt verwandt waren und machte mit ihm unter Betrachtung dieser Verwandtschaft einen Versuch und ich mochte ihn trotz seiner seltsamen Angewohnheiten. Er ist ein schlichter, ehrlicher und bereitwilliger Mann, wie man ihn in ganz England findet. Was seine Ruhelosigkeit des Nachts und das Verschlafen seiner Freizeit tagsüber betrifft, wer kann sich noch darüber wundern, nachdem man seine Geschichte gehört hat? Überdies widerspricht er nie, wenn man ihn weckt, falls er gebraucht wird, es gibt also letztlich nicht viel Unannehmlichkeiten, über die man sich beschweren könnte.«

»Ich vermute, er hat Angst vor dem schrecklichen Traum und davor, daraus im Dunkeln zu erwachen?«

»Nein«, entgegnete der Gastwirt, »Der Traum hat ihn so oft heimgesucht, dass er ihn nun ziemlich gleichgültig erträgt. Es ist seine Frau, die ihn des Nachts wachhält, wie er mir oft erzählt hat.

»Was? Hat man nie wieder etwas von ihr gehört?«

»Niemals. Isaac hat den einen beständigen Gedanken, dass sie noch lebt und nach ihm sucht. Ich glaube, er würde sich nicht mal für alles Geld in der Welt schlafen legen und bis zwei Uhr morgens schlafen. Zwei Uhr morgens, sagt er, ist die Zeit, wenn sie ihn eines Tages finden wird. Zwei Uhr morgens ist das ganze Jahr über die Zeit, wenn er sicher sein will, dass das Klappmesser sicher bei ihm ist. Es macht ihm nichts aus, allein zu sein, solange er wach ist, außer in der Nacht auf seinen Geburtstag, wenn er fest davon überzeugt ist, in Lebensgefahr zu sein. Sein Geburtstag war bis jetzt nur einmal, seit er hier ist, und damals saß er die ganze Nacht beim Nachtpförtner. ‚Sie sucht nach mir‘, ist alles, was er sagt, wenn irgendjemand mit ihm über die einzige Sorge in seinem Leben spricht; ‚sie sucht nach mir.‘ Er könnte recht haben. Sie könnte nach ihm suchen. Wer weiß?«

»Wer weiß?« sagte ich.



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