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Namenlos



V.

Mrs. Lecount an Mr. De Bleriot, Generalagenten
in London.

St. Crux, den 23. October 1847.

Lieber Herr!

Ich habe lange gesäumt, Ihnen für den freundlichen Brief zu danken, der mir Ihren Beistand in Aussicht stellt, in freundlicher Erinnerung an die geschäftlichen Beziehungen, welche früher zwischen Ihnen und meinem Bruder stattgefunden haben. Die Wahrheit ist, ich habe bei meiner Genesung Von einer schweren und gefährlichen Krankheit meine Kraft überschätzt, und die letzten zehn Tage habe ich an einem Rückfall leiden müssen. Ich befinde mich nun besser und im Stande, auf das Geschäft einzugehen, das Sie so freundlich waren für mich unternehmen zu wollen.

Die Person, deren gegenwärtiger Aufenthaltsort zu entdecken für mich von der allergrößten Wichtigkeit ist, ist Mr. Noël Vanstone. Ich bin seit vielen Jahren als Haushälterin in dieses Herrn Diensten gestanden, und da ich noch nicht meine förmliche Entlassung erhalten habe, so betrachte ich mich als noch immer in seinen Diensten. Während meiner Abwesenheit auf dem Festland wurde er zu Aldborough in Suffolk am letzten achtundzwanzigsten August heimlich getraut. Er verließ Aldborough noch am selben Tage, indem er seine Frau mit sich nahm nach irgend einem Zufluchtsorte, der für Jedermann geheim gehalten wurde außer für seinen Rechtsanwalt, Mr. Loscombe von Lincoln’s Inn. Nach kurzer Zeit, am vierten September, entfernte er sich, ohne Mr Loscombe dies Mal von seinem neuen Aufenhaltsorte in Kenntniß zusetzen. Von jenem Tage bis jetzt ist der Rechtsanwalt in gänzlicher Unkenntniß geblieben —— oder gibt wenigstens vor geblieben zu sein ——, wo er jetzt wohl ist. Man hat sich unter diesen Umständen an Mr. Loscombe gewendet, daß er doch wenigstens angeben möchte, welches der frühere Aufenthaltsort war, von welchem ihn Mr. Vanstone bekanntermmaßen in Kenntniß gesetzt hatte. Mr. Loscombe hat sich geweigert, diesem Ersuchen zu willfahren, aus Mangel an ausdrücklicher Ermächtigung, seines Clienten. Schritte nach dem Weggang Von Aldborough irgend Jemandem mitzutheilen. Ich habe alle diese Einzelheiten von Demjenigen, der mit Mr. Loscombe darüber Briefe gewechselt hat, von dem Neffen des Herrn, dem dies Haus gehört und dessen Güte mir während der schweren Gefahr meiner Krankheit unter seinem Dache eine Zuflucht gewährt hat.

Ich glaube, die Gründe, welche Mr. Noël Vanstone veranlaßt haben, sich und sein Weib fortwährend verborgen zu halten, sind solche, die sich ganz und gar auf mich beziehen. In erster Linie fürchtet er, daß die Umstände, unter welchen er geheirathet hat, ganz darnach angethan sind, mir das Recht zu geben, ihn mit Unwillen anzusehen. In zweiter Linie weiß er, daß meine treuen Dienste bei seinem Vater und ihm selbst einen Zeitraum Von zwanzig Jahren hindurch, ihm schon aus Anstandsrücksichten nicht gestatten, mich hilflos in die Welt hinauszustoßen ohne eine Versorgung bis ans Ende meiner Tage. Er ist der gemeinste Mensch, welcher auf Gottes Erdboden lebt, und seine Frau ist das gemeinste Weib, das auf der Welt ist. So lange er es vermeiden kann, seine Verbindlichkeiten gegen mich zu erfüllen, wird er es thun, und man kann sich darauf verlassen, daß ihn seine Frau ermuntern und in seiner Undankbarkeit bestärken wird.

Mein Zweck, weshalb ich ihn ausfindig zu machen entschlossen bin, ist kürzlich folgender. Seine Verheirathung hat ihn Folgen ausgesetzt, welche auch ein Mann von zehn Mal mehr Muth, als er selbst besitzt, nicht ohne Schaudern ins Auge fassen würde. Von diesen Folgen weiß er noch Nichts. Seine Frau weiß davon und hält ihn in Unkenntniß. Ich weiß es und kann ihm ein Licht aufstecken. Seine Sicherheit vor der ihm drohenden Gefahr liegt lediglich in meinen Händen, und er soll den Preis seiner Rettung bis auf den letzten Heller der Schuld bezahlen, welche die Gerechtigkeit als mein Theil fordert, nicht mehr und nicht weniger.

Ich habe Ihnen nun mein gerz ohne Rückhalt eröffnet, wie Sie es wünschten. Sie wissen nun, warum ich diesen Menschen ausfindig machen muß und was ich thun werde, sobald ich ihn finde. Ich überlasse Ihrer Theilnahme gegen mich, die noch bleibende ernste Frage zu beantworten: Wie wird die Entdeckung ausgeführt werden? Wenn nur eine erste Spur von Denselben nach ihrer Wegreise von Aldborough gefunden werden könnte, so glaube ich, würde eine sorgfältige Nachforschung für das Weitere genügen. Die persönliche Erscheinung der Frau und der außerordentliche Gegensatz zwischen ihrem Gatten und ihr selbst müssen jedem Fremden, der sie steht, sicher auffallen und in Erinnerung bleiben.

Wenn Sie mich mit einer Antwort erfreuen, so richten Sie die Adresse folgender gestalt ein:

ADMIRAL BARTRAM
ST. CRUX

in der Marsch
bei Ossory
ESSEX.

Ihre ganz ergebene

Virginie Lecount.


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