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Namenlos



VIII.

Mr. Loscombe an Mrs. Noël Vanstone.

Lincoln’s Inn, den 17. November.

Verehrte Frau!

Ich bekenne mich gehorsamst zum Empfang Ihres Briefes mit der abschläglichen Antwort auf meinen Vorschlag, die sich auf Gründe stützt, die Ihnen nur allein bekannt sind. Unter diesen Umständen —— über die ich mir füglich keine Gedanken weiter mache —— führe ich mein Versprechen aus, weiter mit Ihnen betreffs des Testamentes Ihres seligen Gatten zu verhandeln.

Sehen Sie freundlich in Ihrer Abschrift der Urkunde nach. Sie werden darin finden, daß die Clausel, welche den ganzen Rest von Ihres Gatten Vermögen dem Admiral Bartram zuschreibt, mit folgenden Worten schließt:

»auf daß er davon den Gebrauch mache der ihm gut dünkt«.

So einfach diese Worte Ihnen auch erscheinen mögen, so sind sie doch sehr merkwürdig. Einmal würde kein praktischer Rechtsanwalt sie bei dem Entwurf von Ihres Gatten Testamente gebraucht haben. In zweiter Linie sind sie äußerst unnütz, um einem offenen deutlichen Zwecke zu dienen. Das Vermächtniß ist dem Admiral bedingungslos hinterlassen, und in demselben Athem wird ihm gesagt, daß er damit machen kann, was er will!

Diese Redewendung deutet offen auf zwei Schlüsse hin.

Entweder ist sie dem Schreiber aus reiner Unwissenheit aus der Feder geflossen, oder aber sie ist absichtlich dahin gesetzt, wo sie steht, um als Finte zu dienen.

Ich bin fest überzeugt, daß die letztere Erklärung die richtige ist.

Die Worte sind ausdrücklich darauf berechnet, irgend Jemand irre zu führen, —— aller Wahrscheinlichkeit nach Sie selber —— und die List, welche sie zu diesem Behufe aufgesetzt, hat, wie es regelmäßig zu geschehen pflegt, wenn unberufene Personen sich in Rechtssachen mischen, über ihr Ziel hinausgeschossen. Meine dreißigjährige Erfahrung liest jene Worte in einer dem Sinne, den sie auszudrücken bestimmt sind, ganz entgegengesetzten Tragweite. Ich sage, daß Admiral Bartram nicht freie Hand hat, sein Vermächtniß zu solchen Zwecken, als ihm gut dünkt, anzuwenden —— ich glaube vielmehr, er ist insgeheim durch eine ergänzende Urkunde in Gestalt eines geheimen Zusatzartikels gebunden.

Ich kann Ihnen leicht erklären, was ein geheimer Zusatzartikel ist. Er tritt gewöhnlich auf in Gestalt eines Briefes von einem Erblasser an seine Testamentsvollstrecker und unterrichtet sie von solchen letztwilligen Verfügungen, welche offen in seinem Testamente niederzulegen er nicht für geeignet gehalten hat. Ich vermache Ihnen z. B. hundert Pfund, schreibe aber zugleich einen geheimen Brief, der Sie verpflichtet, das Vermächtniß zwar anzunehmen, aber nicht nach Ihrem Gutdünken zu verwenden, sondern dasselbe einer dritten Person zu geben, deren Namen ich meine Gründe habe, nicht in meinem Testamente zu nennen.

Das ist ein geheimer Zusatzartikel.

Wenn ich nun Recht habe mit meiner festen Annahme, daß solch eine Urkunde, wie ich sie hier beschrieben habe, sich in diesem Augenblick in Admiral Bartrams Besitz befindet, eine Annahme, welche zunächst auf den auffallenden Worten beruht, die ich Ihnen angeführt habe, und in zweiter Linie auf rein juristischen Erwägungen, mit denen es unnöthig ist diesen Brief anzufüllen, —— wenn ich Recht habe mit dieser meiner Annahme: so würde die Entdeckung des geheimen Artikels aller Wahrscheinlichkeit nach für unsere Interessen von äußerster Wichtigkeit sein. Ich will Sie nicht belästigen mit Gründen, die aus meinem Berufe hergenommen sind, noch mit Anspielungen auf meine Erfahrung in diesen Dingen, die nur ein Mann meines Berufes verstehen würde. Ich beschränke mich darauf, Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Sache nicht unbedingt verloren gebe, bevor nicht die mir jetzt beigekommene Ansicht sich als unbegründet erwiesen hat.

Ich kann nicht mehr hinzufügen, weil diese wichtige Frage noch in Zweifel gehüllt bleibt, noch kann ich ein Mittel vorschlagen, diesen Zweifel zu lösen. Wenn das Vorhandensein eines Geheimartikels nachgewiesen wäre, und wenn die Natur der darin enthaltenen ausgemachten Dinge mir bekannt gegeben würde, dann könnte ich bestimmt sagen, was Sie für Aussichten hätten, wenn Sie es darauf wagen wollten, auf Grund und Kraft desselben einen Proceß anzufangen, und könnte Ihnen auch noch sagen, ob ich es verantworten könnte, infolge eines besonderen Uebereinkommens mit Ihnen jenen Prozeß zu führen oder nicht.

Wie die Dinge jetzt stehen, kann ich keine Anordnung treffen und keinen Rath anbieten. Ich kann Sie nur vertraulich mit meiner Ansicht bekannt machen, indem ich es Ihnen vollständig überlasse, Sich daraus Ihre eigenen Folgerungen zu ziehen, und indem ich bedaure, daß ich nicht noch zuversichtlicher und bestimmter schreiben kann. Alles, was ich nach Pflicht, bestem Wissen und Gewissen über diesen sehr schwierigen und sehr zarten Fall sagen konnte, habe ich gesagt.

Genehmigen Sie, verehrte Frau, die Versicherung meiner Hochachtung und Ergebenheit als

Ihr gehorsamer

John Loscombe.


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