Vierundsechzigstes Kapitel | CHAPTER LV - THE ADVENTURES OF A FAITHFUL MAID |
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Es war am Samstag nachmittag gegen fünf Uhr. Die Beerdigung war vorüber. Der unglückliche junge irische Edelmann schlief nun in einem Grab auf dem Friedhof von Auteuil den ewigen Schlaf. Sein Name, sein Alter und sein Stand waren vorschriftsmäßig in die Totenliste eingetragen worden, und der englische Arzt, der auf Wunsch der Familie des Verstorbenen dessen Behandlung übernommen, hatte durch seine Unterschrift die Ursache des Todes beglaubigt. Er wurde bei der Erledigung dieser Formalitäten von jener ehrenwerten Frau begleitet, die während der letzten Zeit den Kranken gepflegt hatte. Alles war in der besten Ordnung. Der Arzt war der einzige Leidtragende bei der Beerdigung gewesen. Niemand hatte den kleinen, unscheinbaren Leichenzug beachtet. Eine Beerdigung erregt ja überhaupt stets nur wenig Aufmerksamkeit. | IT was about five o'clock on Saturday afternoon. The funeral was over. The unfortunate young Irish gentleman was now lying in the cemetery of Auteuil in a grave purchased in perpetuity. His name, age, and rank were duly inscribed in the registers, and the cause of his death was vouched for by the English physician who had attended him at the request of his family. He was accompanied, in going through the formalities, by the respectable woman who had nursed the sick man during his last seizure. Everything was perfectly in order. The physician was the only mourner at the funeral. No one was curious about the little procession. A funeral, more or less, excites no attention. |
Nachdem die einfache Feierlichkeit vorüber war, gab der Doktor den Auftrag, dass zur Erinnerung an Lord Harry Norland ein einfaches Monument auf dem Grab errichtet werde. Dann kehrte er in die Villa zurück, bezahlte und entließ die Pflegerin, nachdem er vorher ihre Adresse aufgeschrieben hatte für den Fall, dass er eine Gelegenheit finden würde, wie er bestimmt hoffe, sie unter seiner zahlreichen und vornehmen Kundschaft zu empfehlen. Dann machte er sich daran, alles in der Villa in beste Ordnung zu bringen, bevor er die Schlüssel dem Hauseigentümer übergab. Zuerst entfernte er alle Medizinflaschen, die in dem Wandschrank standen, mit der größten Sorgfalt und ließ keine stehen. Die meisten derselben warf er in die Aschengrube; eine oder zwei stellte er in ein Feuer, welches er zu diesem Zweck in der Küche angezündet hatte; in kurzer Zeit waren nur noch zwei kleine Haufen geschmolzenen Glases von ihnen übrig. Diese Flaschen enthielten ohne Zweifel die verborgensten Geheimnisse der Wissenschaft. Dann ging er in jedes Zimmer und suchte an jedem nur möglichen Platz nach etwaigen Briefen oder Papieren, die vielleicht noch liegen geblieben sein konnten. Derartige Dinge sind immer indiskret, und die Folgen einer ihrer Indiskretionen können möglicherweise sehr weit reichen und unberechenbar sein. Nachdem er sich vollständig überzeugt hatte, dass nichts Derartiges liegen geblieben war, setzte er sich in das Empfangszimmer und vollendete seine geschäftliche Korrespondenz mit der Familie des Verstorbenen und den Rechtsanwälten. | The funeral completed, the doctor gave orders for a single monument to be put in memory of Lord Harry Norland, thus prematurely cut off. He then returned to the cottage, paid and dismissed the nurse, taking her address in case he should find an opportunity, as he hoped, to recommend her among his numerous and distinguished clientele, and proceeded to occupy himself in setting everything in order before giving over the key to the landlord. First of all he removed the medicine bottles from the cupboard with great care, leaving nothing. Most of the bottles he threw outside into the dust-hole; one or two he placed in a fire which he made for the purpose in the kitchen: they were shortly reduced to two or three lumps of molten glass. These contained, no doubt, the mysteries and secrets of Science. Then he went into every room and searched in every possible place for any letters or papers which might have been left about. Letters left about are always indiscreet, and the consequences of an indiscretion may be far-reaching and incalculable. Satisfied at last that the place was perfectly cleared, he sat down in the salon and continued his business correspondence with the noble family and the solicitors. |
Während er noch damit beschäftigt war, hörte er draußen Fußtritte, Fußtritte auf dem Gartenkies und dann Fußtritte im Hausflur. Ohne das leiseste Zeichen von nervöser Erregtheit stand er auf und öffnete die Thür. Lord Harry hatte recht gehabt. Da stand die Frau, welche die erste Pflegerin des Verstorbenen gewesen war - die Frau, welche ihn genau beobachtet und bewacht hatte - die Frau, die noch immer Argwohn gegen ihn hegte. Das sah er sofort, als er sie erblickte, denn der Argwohn und die Absicht, ihn zu beobachten, waren in ihren fest auf ihn gerichteten Augen zu lesen. Sie war zurückgekommen, um ihren Beobachtungsposten wieder anzutreten. | Thus engaged, he heard footsteps outside, footsteps on the gravel, footsteps on the doorstop. He got up, not without the slightest show of nervousness, and opened the door. Lord Harry was right. There stood the woman who had been his first nurse--the woman who overheard and watched--the woman who suspected. The suspicion and the intention of watching were legible in her eyes still. She had come back to renew her watch. |
In ihrer Hand hielt sie ihre Reisetasche, welche sie von dem Platz, wo sie aus dem Omnibus ausgestiegen war, bis in die Villa selbst getragen hatte. Sie wollte in die Tür eintreten, aber die dicke Gestalt des Doktors versperrte ihr den Weg. | In her hand she carried her box, which she had lugged along from the place where the omnibus had deposited her. She made as if she were stepping in; but the big form of the doctor barred the way. |
»Ah, Sie sind es!« rief er, ohne im geringsten überrascht zu sein. »Wer hat Sie denn zurückkommen heißen?« | "Oh!" he said carelessly, "it is you. Who told you to come back?" |
»Ist meine Herrin zu Hause?« - »Nein, sie ist nicht zu Hause.« | "Is my mistress at home?" "No; she is not." |
Er machte nicht die geringste Bewegung, um sie hereinzulassen. | He made no movement to let her pass. |
»Dann will ich hineingehen und auf sie warten.« | "I will come in, please, and wait for her." |
Er stand ihr immer noch im Wege. | He still stood in the way. |
»Wann wird sie zurückkehren?« | "What time will she return?" |
»Haben Sie von ihr gehört?« | "Have you heard from her?" |
»Nein.« | "No." |
»Hat sie Ihnen aufgetragen, dass Sie ihr nachkommen sollen?« | "Did she leave orders that you were to follow her?" |
»Nein. Ich habe überhaupt keine Nachricht von ihr erhalten. Ich dachte nur -« | "No; none that I received. I thought--" |
»Dienstboten sollen niemals denken. Sie sollen nur gehorchen.« | "Servants should never think. They should obey." |
»Ich kenne meine Pflicht ganz gut, Doktor Vimpany, ohne dass Sie mich erst daran zu erinnern brauchen. Wollen Sie mich vorüber lassen?« | "I know my duty, Dr. Vimpany, without learning it from you. Will you let me pass?" |
Er trat zurück, und sie schritt in das Haus hinein. | He withdrew, and she entered. |
»Kommen Sie, bitte, nur ruhig herein«, sagte er, »wenn Sie mir für einige Zeit Gesellschaft leisten wollen. Ihre Herrin werden Sie aber nicht hier finden.« | "Come in, by all means," he said, "if you desire my society for a short time. But you will not find your mistress here." |
»Nicht hier? Wo ist sie denn sonst?« | "Not here! Where is she, then?" |
»Wenn Sie in London einen oder zwei Tage gewartet hätten, so würden Sie jedenfalls, wie ich wenigstens glaube, davon unterrichtet worden sein. Wie die Sache jetzt liegt, haben Sie Ihre Reise umsonst gemacht.« | "Had you waited in London for a day or two you would, I dare say, have been informed. As it is, you have had your journey for nothing." |
»Ist sie denn nicht hier gewesen?« | "Has she not been here?" |
»Sie ist nicht hier gewesen!« | "She has not been here." |
»Doktor Vimpany«, sagte das Mädchen, zum äußersten getrieben, »ich glaube Ihnen nicht. Sie ist ganz bestimmt hier gewesen. Was haben Sie mit ihr gemacht?« | "Dr. Vimpany," said the woman, driven to desperation, "I don't believe you! I am certain she has been here. What have you done with her?" |
»Sie glauben mir nicht? Das ist traurig, aber ich kann es nicht ändern. - Sie glauben mir nicht? Das ist in der Tat sehr traurig!« | "Don't you believe me? That is sad, indeed. But one cannot always help these wanderings. You do not believe me? Melancholy, truly!" |
»Sie können sich meinetwegen, so viel Sie wollen, über mich lustig machen. Sagen Sie mir nur das eine: Wo ist Lady Harry?« | "You may mock as much as you like. Where is she?" |
»Ja, wo ist sie?« | "Where, indeed?" |
»Sie verließ London, um sich zu Lord Harry zu begeben. Wo ist er?« | "She left London to join his lordship. Where is he? |
»Das weiß ich nicht. Derjenige, der auf diese Frage eine bestimmte Antwort geben könnte, würde sicherlich ein weiser Mann sein.« | "I do not know. He who would answer that question would be a wise man indeed." |
»Kann ich ihn sprechen?« | "Can I see him?" |
»Gewiss nicht; er ist fortgegangen auf eine lange, lange Reise.« | "Certainly not. He has gone away. On a long journey. By himself." |
»Dann werde ich auf ihn warten - hier«, setzte sie mit Bestimmtheit hinzu, »hier in diesem Hause.« | "Then I shall wait for him. Here!" she added with decision. "In this house!" |
»Ganz, wie Sie wünschen.« | "By all means." |
Sie zögerte. In den Augen des Doktors lag ein zufriedener, beruhigter Ausdruck, den sie nicht gern sah. | She hesitated. There was an easy look about the doctor which she did not like. |
»Ich glaube«, sagte sie, »dass meine Herrin im Hause ist. Sie muss im Hause sein. Was haben Sie mit ihr vor? Ich glaube, Sie haben sie irgendwo eingesperrt.« | "I believe," she said, "that my mistress is in the house. She must be in the house. What are you going to do with her? I believe you have put her somewhere." |
»Jedenfalls.« | "Indeed!" |
»Sie wären zu allem fähig. Ich werde auf die Polizei gehen.« | "You would do anything! I will go to the police." |
»Ganz, wie Sie wünschen.« | "If you please." |
»O Doktor, sagen Sie mir, wo sie ist!« | "Oh! doctor, tell me where she is!" |
»Sie sind eine treue Dienerin. Es ist schön, dass man in unseren Zeiten noch hie und da ein Mädchen findet, das im Dienst ihrer Herrin so eifrig und ihr so ganz ergeben ist. Treten Sie ein, Sie braves und treues Mädchen, durchsuchen Sie das Haus von oben bis unten, treten Sie ein! Wovor fürchten Sie sich? Setzen Sie Ihre Reisetasche nieder, und suchen Sie nach Ihrer Herrin.« | "You are a faithful servant: it is good, in these days, to find a woman so zealous on account of her mistress. Come in, good and faithful. Search the house all over. Come in--what are you afraid of? Put down your box, and go and look for your mistress." |
Fanny tat, wie er sagte. Sie eilte in das Haus, öffnete die Türen zu dem Speise- und Empfangszimmer eine nach der andern; niemand war darin. Sie sprang die Treppen hinauf und sah in das Zimmer ihrer Herrin; auch darin war nichts zu sehen, nicht einmal ein Band oder eine Haarnadel, welche verraten hätte, dass eine Frau kürzlich hier gewesen. Dann blickte sie in Lord Harrys Zimmer, aber auch das war leer. Wenn Frauen Haarnadeln in ihren Zimmern liegen lassen, so lässt ein Mann seine Zahnbürste liegen; aber nichts von alledem war in den Räumen zu entdecken. Dann schloss sie die Schränke in jedem Zimmer auf, nichts Außergewöhnliches war darin enthalten. Sie stieg die Treppen langsam wieder hinunter, gespannt, wie sich das Rätselhafte aufklären werde. | Fanny obeyed. She ran into the house, opened the doors of the salon and the dining-room one after the other: no one was there. She ran up the stairs and looked into her mistress's room: nothing was there, not even a ribbon or a hair-pin, to show the recent presence of a woman. She looked into Lord Harry's room. Nothing was there. If a woman leaves hairpins about, a man leaves his toothbrush: nothing at all was there. Then she threw open the armoire in each room: nothing behind the doors. She came downstairs slowly, wondering what it all meant. |
»Darf ich in das Krankenzimmer sehen?« fragte sie, in der Erwartung, eine grobe, abschlägige Antwort zu erhalten. | "May I look in the spare room?" she asked, expecting to be roughly refused. |
»Selbstverständlich, selbstverständlich!« erwiderte der Doktor freundlich. »Sie kennen ja den Weg. Wenn darinnen etwas liegen geblieben ist, was Ihnen oder Ihrer Herrin gehört, dann, bitte, nehmen Sie es an sich.« | "By all means--by all means," said the doctor, blandly. "You know your way about. If there is anything left belonging to your mistress or to you, pray take it." |
Sie versuchte noch eine weitere Frage. | She tried one more question. |
»Wo ist mein Kranker, wo ist Mr. Oxbye?« | "How is my patient? How is Mr. Oxbye?" |
»Er ist fort.« | "He is gone." |
»Auch fort? Wohin ist er denn gegangen?« | "Gone? Where has he gone to? Gone?" |
»Er ging gestern, am Freitag, fort. Er war ein außerordentlich dankbarer Mensch. Ich wünschte, wir hätten noch mehr solche dankbare Kranke, ebenso wie noch mehr solche treue Dienstboten. Er sprach davon, dass er nach London gehen wolle, um Ihnen noch besonders seinen Dank auszudrücken. Wirklich eine gute Seele.« | "He went away yesterday--Friday. He was a grateful creature. I wish we had more such grateful creatures as well as more such faithful servants. He said something about finding his way to London in order to thank you properly. A good soul, indeed!" |
»Fort?« wiederholte sie. »Aber am Donnerstagmorgen sah ich doch, dass er -« | "Gone?" she repeated. "Why, on Thursday morning I saw him--" |
Sie hielt noch zur rechten Zeit inne. | She checked herself in time. |
»Es war am Mittwochmorgen, als Sie ihn zum letztenmal sahen; damals befand er sich auf dem Weg einer raschen Besserung.« | "It was on Wednesday morning that you saw him, and he was then recovering rapidly." |
»Aber er war damals doch noch viel zu schwach, um reisen zu können.« | "But he was far too weak to travel." |
»Sie dürfen ganz versichert sein, dass ich ihm diese Reise nicht gestattet haben würde, wenn er dazu nicht kräftig genug gewesen wäre.« | "You may be quite certain that I should not have allowed him to go away unless he was strong enough." |
Fanny gab keine Antwort. Sie hatte mit eigenen Augen den Mann blass und ganz bleich daliegen sehen, als wenn er tot wäre; sie hatte gesehen, wie die neue Pflegerin aufsprang, und hatte gehört, wie sie laut schrie: »Er ist tot!« Und jetzt wurde ihr gesagt, dass er ganz gesund und dass er fortgereist sei! In diesem Augenblick war jedoch keine Zeit, darüber nachzudenken. | Fanny made no reply. She had seen with her own eyes the man lying still and white, as if in death; she had seen the new nurse rushing off, crying that he was dead. Now she was told that he was quite well, and that he had gone away! But it was no time for thought. |
Sie stand im Begriff, zu fragen, wo sich die neue Wärterin befinde; aber sie dachte noch zur rechten Zeit daran, dass es für sie das Beste sei, nichts zu wissen und keinerlei Verdacht zu erregen. Sie öffnete die Tür des Krankenzimmers und sah hinein. Ja, der Mann war fort, tot oder lebendig, und keine Spuren seiner Anwesenheit waren zurückgeblieben. Das Zimmer war aufgeräumt; die Türen des Wandschranks standen offen; es war nichts mehr darin; das Bett war gemacht; der Vorhang war zurückgeschlagen und das Sofa wieder an seinen alten Platz an die Wand gerückt; das Fenster stand offen. Nichts in dem Zimmer zeigte an, dass dasselbe noch vor zwei Tagen bewohnt worden war. Der tote Mann war also fort. Sie starrte ratlos vor sich hin. Hatten denn alle ihre Sinne sie getäuscht? War er nicht tot gewesen, sondern hatte er nur geschlafen? Hinter ihr in dem Korridor stand der Doktor vergnügt lächelnd. | She was on the point of asking where the new nurse was, but she remembered in time that it was best for her to know nothing, and to awaken no suspicions. She opened the door of the spare room and looked in. Yes; the man was gone--dead or alive--and there were no traces left of his presence. The place was cleared up; the cupboard stood with open doors, empty; the bed was made; the curtain pushed back; the sofa was in its place against the wall; the window stood open. Nothing in the room at all to show that there had been an occupant only two days before. She stared blankly. The dead man was gone, then. Had her senses altogether deceived her? Was he not dead, but only sleeping? Was her horror only a thing of imagination? Behind her, in the hall, stood the doctor, smiling, cheerful. |
Sie erinnerte sich jetzt plötzlich daran, dass ihre Hauptaufgabe war, ihre Herrin zu finden. Sie stand in keinerlei näherer Verbindung mit dem Dänen; sie schloss daher die Tür wieder und trat in die Vorhalle zurück. | She remembered that her first business was to find her mistress. She was not connected with the Dane. She closed the door and returned to the hall. |
»Nun«, fragte der Doktor, »haben Sie irgendwelche Entdeckungen gemacht? Sie sehen, dass das Haus verlassen ist, und werden wohl auch gemerkt haben, dass es für lange Zeit verlassen ist. Was wollen Sie jetzt tun? Werden Sie nach London zurückkehren?« | "Well," asked the doctor, "have you made any discoveries? You see that the house is deserted. You will perhaps learn before long why. Now what will you do? Will you go back to London?" |
»Ich muss Mylady finden.« | "I must find her ladyship." |
Der Doktor lächelte. | The doctor smiled. |
»Wenn Sie mit anderen Gesinnungen und anderen Absichten hieher gekommen wären«, sagte er, »so würde ich Ihnen alle diese Mühe erspart haben. Sie kamen indessen mit einem Gesicht, das deutlich Ihren Argwohn zeigte. Sie waren überhaupt immer argwöhnisch und haben immer auf der Lauer gestanden. Es mag sein, dass es aus treuer Ergebenheit und Anhänglichkeit an Ihre Herrin geschah, aber solch eine Absicht ist für andere Leute nicht angenehm. Deswegen habe ich Sie das leere Haus ganz durchsuchen und so Ihren Argwohn befriedigen lassen. Lady Harry ist nicht hier verborgen, und was Lord Harry betrifft, - aber darüber werden Sie ohne Zweifel zur rechten Zeit hören. Und jetzt nehme ich auch keinen Anstand mehr, zu sagen, dass ich Myladys gegenwärtige Adresse kenne.« | "Had you come here in a different spirit," he said, "I would have spared you all this trouble. You come, however, with suspicion written on your face. You have always been suspecting and watching. It may be in a spirit of fidelity to your mistress; but such a spirit is not pleasing to other people, especially when there is not a single person who bears any resentment towards that mistress. Therefore, I have allowed you to run over the empty house, and to satisfy your suspicious soul. Lady Harry is not hidden here. As for Lord Harry--but you will hear in due time no doubt. And now I don't mind telling you that I have her ladyship's present address." |
»Bitte, sagen Sie mir, wo sich meine Herrin befindet.« | "Oh! What is it?" |
»Es hat den Anschein, als ob Lady Harry vor zwei Tagen über Paris nach der Schweiz gereist ist; sie hat ihre Adresse für die nächsten vierzehn Tage hieher geschickt. Sie wird jetzt, wie ich vermute, dort angekommen sein. Der Ort ist Bern, das Hotel - aber woher weiß ich denn, dass sie Sie haben will?« | "She appears to have passed through Paris on her way to Switzerland two days ago, and has sent here her address for the next fortnight. She has now, I suppose, arrived there. The place is Berne; the Hôtel---- But how do I know that she wants you?" |
»Natürlich will sie mich haben.« | "Of course she wants me." |
»Oder vielmehr: natürlich wollen Sie sie haben. Das bleibt sich aber ganz gleich, ich trage dafür keine Verantwortlichkeit, sondern nur Sie. Ihre Adresse ist Hotel d'Angleterre in Bern. Soll ich es Ihnen aufschreiben? Hier haben Sie die genaue Adresse: Hotel d'Angleterre in Bern. Jetzt werden Sie es nicht vergessen. Aber sie will nur vierzehn Tage dort bleiben. Wohin sie sich dann begeben wird, kann ich Ihnen nicht sagen, und da alle ihre Sachen fortgeschickt sind und ich auch im Begriff stehe, Passy zu verlassen, so werde ich es wahrscheinlich auch nicht erfahren.« | "Or of course you want her? Very good. Yours is the responsibility, not mine. Her address is the Hôtel d'Angleterre. Shall I write it down for you? There it is. 'Hôtel d'Angleterre, Berne.' Now you will not forget. She will remain there for one fortnight only. After that, I cannot say whither she may go. And, as all her things have been sent away, and as I am going away, I am not likely to hear." |
»Ich muss zu ihr gehen, ich muss sie finden«, rief das Mädchen eifrig aus, »und wenn es nur ist, um mich zu überzeugen, dass mit ihr nichts Schlimmes beabsichtigt ist.« | "Oh I must go to her. I must find her!" cried the woman earnestly; "if it is only to make sure that no evil is intended for her." |
»Das ist Ihre Sache. Ich für meinen Teil kenne niemand, der Mylady etwas Schlimmes wünscht.« | "That is your business. For my own part, I know of no one who can wish her ladyship any evil." |
»Ist Mylord bei ihr?« | "Is my lord with her?" |
»Ich weiß nicht, ob Sie das etwas angeht. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass er fortgegangen ist, weit, sehr weit fort. Wenn Sie mit Ihrer Herrin in Bern zusammentreffen, werden Sie ja bald herausbekommen, ob er sich auch dort befindet.« | "I don't know whether that is your business. I have already told you that he is gone. If you join your mistress in Berne, you will very soon find out if he is there as well." |
Etwas in dem Ton seiner Stimme ließ Fanny rasch aufblicken. Aber sein Gesicht verriet nichts. | Something in his tone made Fanny look up quickly. But his face revealed nothing. |
»Was wollen Sie also tun?« fragte der Doktor. »Sie müssen sich jetzt schnell entschließen, ob Sie nach England zurückkehren oder nach der Schweiz reisen wollen. Hier können Sie nicht bleiben, weil ich die letzten Sachen zusammenpacke und noch heute abend dem Besitzer der Villa die Schlüssel des Hauses übergeben will. Alle Rechnungen sind bezahlt, und ich beabsichtige, sobald als möglich Passy zu verlassen.« | "What shall you do then?" asked the doctor. "You must make up your mind quickly whether you will go back to England or whether you will go on to Switzerland. You cannot stay here, because I am putting together the last things, and I shall give the landlord the key of the house this evening. All the bills are paid, and I am going to leave the place." |
»Ich verstehe nichts von alledem!« flüsterte sie ratlos vor sich hin. | "I do not understand. There is the patient," she murmured vaguely. "What does it mean? I cannot understand." |
»Mein liebes Kind«, entgegnete der Doktor rauh, »was zum Teufel geht es mich an, ob Sie es verstehen oder ob Sie es nicht verstehen! Lady Harry befindet sich, wie ich Ihnen schon gesagt habe, in Bern; wenn Sie ihr nachreisen wollen, so tun Sie es; das ist Ihre Sache, nicht die meinige. Wenn Sie aber vorziehen, nach London zurückzukehren, dann gehen Sie eben wieder dahin, woher Sie gekommen sind, das ist ebenfalls Ihre Sache. Wünschen Sie sonst noch etwas zu wissen?« | "My good creature," he replied roughly, "what the devil does it matter to me whether you understand or whether you do not understand? Her ladyship is, as I have told you, at Berne. If you please to follow her there, do so. It is your own affair, not mine. If you prefer to go back to London, do so. Still--your own affair. Is there anything else to say?" |
Fanny wollte nichts weiter wissen. Sie nahm ihre Reisetasche wieder in die Hand - diesmal erbot sich der Doktor nicht, diese Tasche für sie zu tragen. | Nothing. Fanny took up her box--this time the doctor did not offer to carry it for her. |
»Wohin gedenken Sie zu reisen?« fragte er. »Wozu haben Sie sich entschlossen?« | "Where are you going?" he asked. "What have you decided?" |
»Ich kann mit der Ringbahn bis auf den Lyoner Bahnhof fahren. Von dort aus will ich dann den ersten gewöhnlichen Zug benützen und nach Bern reisen.« | "I can get round by the Chemin de Fer de Ceinture to the Lyons station. I shall take the first cheap train which will take me to Berne." |
»Dann wünsche ich Ihnen eine glückliche Reise!« rief der Doktor vergnügt und schlug die Türe zu. | "Bon voyage!" said the doctor, cheerfully, and shut the door. |
Es ist eine lange Reise von Paris nach Bern, selbst für diejenigen, welche erster Klasse und mit einem Schnellzug fahren können - soweit sechzehn Stunden eine lange Reise genannt werden dürfen. Für diejenigen aber, welche in der dritten Klasse eines Personenzugs sich zusammenschütteln lassen müssen, der an jeder kleinen Station anhält, ist es eine überaus lange und ermüdende Reise. Doch selbst die längste Reise nimmt einmal ein Ende. Der Zug fuhr langsam in den Bahnhof von Bern ein, und Fanny stieg mit ihrer Reisetasche in der Hand aus. Ihre Wanderungen waren damit für jetzt vorüber. Sie würde ihre Herrin in dieser Stadt finden und damit am Ziel angelangt sein. | It is a long journey from Paris to Berne even for those who can travel first class and express--that is, if sixteen hours can be called a long journey. For those who have to jog along by third class, stopping at all the little country stations, it is a long and tedious journey indeed. The longest journey ends at last. The train rolled slowly into the station of Berne, and Fanny descended with her box. Her wanderings were over for the present. She would find her mistress and be at rest. |
Sie fragte nach dem Weg zu dem Hotel d'Angleterre. Der Sicherheitswachmann mit dem aufgekrämpten Hut sah sie erstaunt an. Sie wiederholte daher ihre Frage. | She asked to be directed to the Hôtel d'Angleterre. The Swiss guardian of the peace with the cocked hat stared at her. She repeated the question. |
»Hotel d'Angleterre?« fragte er endlich. »Es gibt kein Hotel d'Angleterre in Bern.« | "Hôtel d'Angleterre?" he echoed. "There is no Hôtel d'Angleterre in Berne." |
»O doch, es muss ein Hotel dieses Namens hier geben. Ich bin das Kammermädchen einer englischen Dame, welche in diesem Hotel wohnt.« | "Yes, yes; there is. I am the maid of a lady who is staying at that hotel." |
»Nein, hier gibt es gewiss kein Hotel d'Angleterre«, wiederholte er. »In Bern gibt es das Hotel Bernerhof.« | "No; there is no Hôtel d'Angleterre," he reported. "There is the Hôtel Bernehof." |
»Nein!« Sie zog das Papier heraus, auf welches ihr der Doktor die Adresse geschrieben hatte, und zeigte es dem Schutzmann: »Lady Harry Norland, Hotel d'Angleterre, Bern.« | "No." She took out the paper and showed it to him--"Lady Harry Norland, Hôtel d'Angleterre, Berne." |
»Hier gibt es ein Hotel Bellevue, ein Hotel Viktoria, ein Hotel Schweizerhof, ein Hotel zum Falken, ferner das Hotel Schroedel, das Hotel Schneider, die Pension Simkin.« | "There is the Hôtel de Belle Vue, the Hôtel du Faucon, the Hôtel Victoria, the Hôtel Schweizerhof. There is the Hôtel schrodel, the Hôtel Schneider, the Pension Simkin." |
Fanny hatte jetzt noch keinen andern Argwohn, als dass der Doktor zufällig einen falschen Namen aufgeschrieben hätte. Ihre Herrin befand sich in Bern; sie würde also sicher in einem der Hotels sein. Bern ist keine große Stadt. Das war gut; sie konnte daher in kurzer Zeit alle Hotels aufsuchen und sich nach Lady Harry Norland erkundigen. Das tat sie auch. Es gibt in der Tat in Bern nicht mehr als ungefähr ein halbes Dutzend Hotels, in denen eine vornehme Dame wohnen kann. Fanny ging in jedes hinein und fragte nach Lady Harry. Niemand aber hatte von einer Dame dieses Namens gehört; man zeigte ihr überall die Listen der in dem betreffenden Hotel wohnenden Fremden. Dann ging sie auf das Postbureau, aber auch dort hatte keine Dame dieses Namens nach Briefen gefragt. Dann erkundigte sie sich, ob es noch irgendwelche Pensionen gäbe, und suchte auch diese auf, aber ebenso vergeblich. | Fanny as yet had no other suspicion than that the doctor had accidentally written a wrong name. Her mistress was at Berne: she would be in one of the hotels. Berne is not a large place. Very good; she would go round to the hotels and inquire. She did so. There are not, in fact, more than half a dozen hotels in Berne where an English lady could possibly stay. Fanny went to every one of these. No one had heard of any such lady: they showed her the lists of their visitors. She inquired at the post-office. No lady of that name had asked for letters. She asked if there were any pensions, and went round them all--uselessly. |
Jetzt blieb kein anderer Schluss übrig: der Doktor musste sie absichtlich getäuscht haben. Um sie aus dem Wege zu schaffen, schickte er sie nach Bern; er würde sie selbst nach Jericho geschickt haben, wenn ihr Geld für diese Reise gereicht hätte. Sie war also einfach betrogen worden. | No other conclusion was possible. The doctor had deceived her wilfully. To get her out of the way he sent her to Berne. He would have sent her to Jericho if her purse had been long enough to pay the fare. She was tricked. |
Sie zählte ihr Geld. Es waren genan achtundzwanzig Schillinge und zehn Pence in ihrem Geldbeutel. | She counted her money. There was exactly twenty-eight shillings and tenpence in her purse. |
Darauf ging sie wieder in die billigste und unansehnlichste der Pensionen, die sie besucht hatte, zurück. Sie setzte der Besitzerin ihre Lage auseinander. Sie hätte ihre Herrin verfehlt und müsste daher warten, bis sie Nachricht, wohin sie nachkommen sollte, und das Geld zur Reise erhielte. Würde man sie, bis das eine oder andere einträfe, hier aufnehmen? Natürlich wollte die Wirtin sie aufnehmen für fünf Franken täglich, an jedem folgenden Morgen zu zahlen. | She went back to the cheapest (and dirtiest) of the pensions she had visited. She stated her case--she had missed milady her mistress--she must stay until she should receive orders to go on, and money--would they take her in until one or the other arrived? Certainly. They would take her in, at five francs a day, payable every morning in advance. |
Sie machte sich einen kleinen Überschlag über ihre Mittel - sie hatte achtundzwanzig Schillinge und zehn Pence, das sind genau fünfunddreißig Franken - hinreichend für sieben Tage. Wenn sie sofort an Mrs. Vimpany schrieb, so konnte sie in fünf Tagen eine Antwort erhalten. | She made a little calculation--she had twenty-eight and tenpence; exactly thirty-five francs--enough for seven days. If she wrote to Mrs. Vimpany at once she could get an answer in five days. |
Sie nahm daher das Anerbieten der Wirtin an, bezahlte ihre fünf Franken und wurde in ein Zimmer geführt. Zugleich sagte man ihr, dass das Diner um sechs Uhr aufgetragen werde. | She accepted the offer, paid her five shillings, was shown into a room, and was informed that the dinner was served at six o'clock. |
So weit war alles gut. Hier hatte sie wenigstens Ruhe und konnte darüber nachdenken, was zu tun sei. Zuerst schrieb sie zwei Briefe, einen an Mrs. Vimpany und einen an Mr. Mountjoy. | Very good. Here she could rest, at any rate, and think what was to be done. And first she wrote two letters--one to Mrs. Vimpany and one to Mr. Mountjoy. |
In diesen beiden Briefen erzählte sie genau, was ihr seit ihrer Ankunft in Passy begegnet war. | In both of these letters she told exactly what she had found: neither Lord Harry nor his wife at the cottage, the place vacated, and the doctor on the point of going away. In both letters she told how she had been sent all the way into Switzerland on a fool's errand, and now found herself planted there without the means of getting home. In the letter to Mrs. Vimpany she added the remarkable detail that the man whom she had seen on the Thursday morning apparently dead, whose actual poisoning she thought she had witnessed, was reported on the Saturday to have walked out of the cottage, carrying his things, if he had any, and proposing to make his way to London in order to find out his old nurse. "Make what you can out of that," she said. "For my own part, I understand nothing." |
In dem Brief an Mr. Mountjoy fügte sie die Bitte hinzu, er möge ihr gütigst das Geld zur Rückreise schicken; ihre Herrin würde es ihm sicherlich wieder zurückerstatten. | In the letter which she wrote to Mr. Mountjoy she added a petition that he would send her money to bring her home. This, she said, her mistress she knew would willingly defray. |
Sie trug beide Briefe selbst auf die Post - es war am Dienstag - und wartete gespannt auf die Antworten. | She posted these letters on Tuesday, and waited for the answers. |
Mrs. Vimpany schrieb sofort zurück: | Mrs. Vimpany wrote back by return post. |
»Meine liebe Fanny, ich habe Ihren Brief mit dem größten Interesse gelesen. Ich fürchte nicht nur, dass irgendeine neue Schurkerei im Gang ist, sondern ich bin vollkommen davon überzeugt; wir wollen nur hoffen und Gott bitten, dass Mylady nicht darunter zu leiden hat. Sie werden erfreut sein, zu hören, dass Mr. Mountjoy sich wieder wohler befindet. Als er soweit wieder hergestellt war, dass er den Anprall einer heftigen Erregung aushalten konnte, übergab ich ihm Lady Harrys Brief. Es war gut, dass ich es nicht eher getan hatte, denn er war so außer sich über den Inhalt des Schreibens, dass ich fürchtete, er würde einen Rückfall bekommen. ,Kann eine Frau rief er aus, ,entschuldigt werden, dass sie wieder zurückkehrt zu ihrem unwürdigen Gatten, bevor er eine ernste Besserung bewiesen hat?! Was nützt es, wenn sie auch tausend Briefe mit reuevollen Versicherungen empfangen hat? Die Aufrichtigkeit seiner Reue soll sich in Handlungen, nicht in Worten zeigen; sie hätte noch warten sollen.' Er schrieb einen Brief an sie, den er mir zeigte. ,Steht in dem Brief irgend etwas', fragte er mich, ,wodurch sie sich beleidigt fühlen könnte?' Ich konnte nichts finden. Er schrieb ihr, aber ich fürchte, es ist leider zu spät, dass sie sich der Gefahr der Erniedrigung aussetze, ja, vielleicht noch etwas Schlimmerem, wenn es noch etwas Schlimmeres gäbe, wenn sie darauf bestünde, zu ihrem unwürdigen Gatten zurückzukehren. Im Fall, dass sie seinen Rat nicht mehr wünsche, so bitte er, sie möge ihm bei dieser letzten Gelegenheit, wo er sich erlaube, ihr seinen Rat anzubieten, dann nicht antworten; ihr Schweigen würde ihm Antwort genug sein. Das war in kurzem der Inhalt des Briefes. Bis heute hat er noch keine Antwort von Lady Harry erhalten und ebensowenig irgend eine Mitteilung, ob der Brief sie überhaupt erreicht hat. Wie soll man das Schweigen deuten? Doch offenbar nur so, dass sie in Zukunft auf seine Ratschläge verzichtet. | "My dear Fanny," she said, "I have read your letter with the greatest interest. I am not only afraid that some villainy is afloat, but I am perfectly sure of it. One can only hope and pray that her ladyship may be kept out of its influence. You will be pleased to hear that Mr. Mountjoy is better. As soon as he was sufficiently recovered to stand the shock of violent emotion, I put Lady Harry's letter into his hands. It was well that I had kept it from him, for he fell into such a violence of grief and indignation that I thought he would have had a serious relapse. 'Can any woman,' he cried, 'be justified in going back to an utterly unworthy husband until he has proved a complete change? What if she had received a thousand letters of penitence? Penitence should be shown by acts, not words: she should have waited.' He wrote her a letter, which he showed me. 'Is there,' he asked, 'anything in the letter which could justly offend her?' I could find nothing. He told her, but I fear too late, that she risks degradation--perhaps worse, if there is anything worse--if she persists in returning to her unworthy husband. If she refuses to be guided by his advice, on the last occasion on which he would presume to offer any device, he begged that she would not answer. Let her silence say--No. That was the substance of his letter. Up to the present moment no answer has been received from Lady Harry. Nor has he received so much as an acknowledgment of the letter. What can be understood by this silence? Clearly, refusal. |
»Sie müssen über Paris zurückkehren, obgleich die Reise weiter ist als über Basel und Lyon. Mr. Mountjoy wird Ihnen, wie ich weiß, das Geld schicken. So viel hat er mir gesagt. ,Ich bin jetzt mit Lady Harry fertig,' fügte er dann noch hinzu. ,Was sie tut, und wohin sie geht, das kümmert mich jetzt nicht weiter, aber ihrem Kammermädchen werde ich das Geld schicken, nicht als ein Darlehen, welches zurückbezahlt wird, sondern als ein Geschenk von mir.' | "You must return by way of Paris, though it is longer than by Basle and Laon. Mr. Mountjoy, I know, will send you the money you want. He has told me as much. 'I have done with Lady Harry,' he said. 'Her movements no longer concern me, though I can never want interest in what she does. But since the girl is right to stick to her mistress, I will send her the money--not as a loan to be paid back by Iris, but as a gift from myself.' |
»Deshalb, meine liebe Fanny, bleiben Sie wenigstens für eine Nacht in Paris und suchen Sie, wenn möglich, zu erfahren, was in Passy eigentlich geschehen ist. Vielleicht können Sie die Pflegerin ausfindig machen und sie darnach fragen. Mit dem, was Sie schon wissen, ist es fast unmöglich, dass wir nicht die Wahrheit herausbekommen sollten. Die Leute müssen doch aufzufinden sein, die die Nahrungsmittel und all die sonstigen zum Leben notwendigen Gegenstände in die Villa geliefert haben - der Restaurateur, der Apotheker, die Wäscherin - Sie kennen sie ja gewiss alle schon; suchen Sie sie auf; und sprechen Sie mit ihnen; wir werden dann die Ergebnisse zusammenstellen. Was die Suche nach Ihrer Herrin betrifft, so hängt der Erfolg ganz und gar von Ihnen allein ab. Ich erwarte Sie in ungefähr einer Woche hier in London. Sollte sich inzwischen hier etwas von Wichtigkeit ereignen, so werde ich es Ihnen erzählen, wenn Sie mich aufsuchen. | "Therefore, my dear Fanny, stop in Paris for one night at least, and learn what has been done if you can. Find out the nurse, and ask her what really happened. With the knowledge that you already possess, it will be hard, indeed, if we cannot arrive at the truth. There must be people who supplied things to the cottage--the restaurant, the pharmacien, the laundress. See them all--you know them already, and we will put the facts together. As for finding her ladyship, that will depend entirely upon herself. I shall expect you back in about a week. If anything happens here I shall be able to tell you when you arrive. |
Ihre ganz ergebene | "Yours affectionately, |
A. Vimpany.« | L. Vimpany." |
Der Inhalt dieses Briefes stimmte ganz mit dem überein, was sich Fanny schon selbst vorgenommen hatte. Der Doktor hatte jetzt Passy verlassen. Sie war fest überzeugt, dass er nicht allein in der Villa zu bleiben beabsichtigte, denn die Vorstadt Passy, so reizend sie auch in verschiedenen Beziehungen ist, ist nicht gerade der Ort, der einen Mann von Mr. Vimpanys Charakter fesseln könnte. Sie wollte einen oder zwei, oder wenn es notwendig wäre, auch drei Tage in Passy bleiben und dort alle die Erkundigungen einziehen, von denen Mrs. Vimpany in ihrem Brief gesprochen hatte. | This letter exactly coincided with Fanny's own views. The doctor was now gone. She was pretty certain that he was not going to remain alone in the cottage; and the suburb of Passy, though charming in many ways, is not exactly the place for a man of Dr. Vimpany's temperament. She would stay a day, or even two days or more, if necessary, at Passy. She would make those inquiries. |
Am gleichen Tag brachte ihr die Post den bereits von Mrs. Vimpany angekündigten Brief Mountjoys nebst einem Postmandat, welches auf hundertundfünfundzwanzig Franken lautete; er hoffe, schrieb Mountjoy, dass diese Summe für ihre augenblicklichen Auslagen genügen würde. | The second letter, which reached her the same day, was from Mr. Mountjoy. He told her what he had told Mrs. Vimpany: he would give her the money, because he recognised the spirit of fidelity which caused Fanny to go first to Paris and then to Berne. But he could not pretend to any right to interference in the affairs of Lord and Lady Harry Norland. He enclosed a mandat postal for a hundred and twenty-five francs, which he hoped would be sufficient for her immediate wants. |
Fanny trat ihre Rückreise noch an demselben Tag, einem Sonnabend, an. Am Sonntagabend traf sie in Passy ein mit der Absicht, dort Erkundigungen einzuziehen. | She started on her return-journey on the same day--namely, Saturday. On Sunday evening she was in a pension at Passy, ready to make those inquiries. |
Die erste Person, die sie aufsuchte, war der Besitzer der Villa, ein kleiner Rentner, der, nachdem er sich ein hübsches Vermögen durch einen Fleischhandel erworben, dasselbe in diesem Besitztum angelegt hatte. Fanny sagte ihm, dass sie das Kammermädchen von Lady Harry Norland sei, welche noch vor kurzem diese Villa bewohnt habe. Sie möchte gern die gegenwärtige Adresse der Dame wissen. | The first person whom she sought out was the rentier--the landlord of the cottage. He was a retired tradesman--one who had made his modest fortune in a charcuterie and had invested it in house property. Fanny told him that she had been lady's-maid to Lady Harry Norland, in the recent occupancy of the cottage, and that she was anxious to know her present address. |
»Mon dieu, woher soll ich die denn kennen?« antwortete er. »Die Frau des englischen Lords hatte so viel Liebe zu ihrem Gatten, dass sie ihn während seiner langen Krankheit allein ließ.« | "Merci, mon Dieu! que sais-je? What do I know about it?" he replied. "The wife of the English milord is so much attached to her husband that she leaves him in his long illness--" |
»Während seiner langen Krankheit?« | "His long illness?" |
»Gewiss, während seiner langen Krankheit. Mademoiselle ist vielleicht nicht bekannt mit dem, was sich hier ereignet hat. Mylady ist nicht einmal gekommen, um ihren verstorbenen Gatten noch einmal zu sehen, bevor er begraben wurde; sie ist eben eine Frau nach englischer Art.« | "Certainly--Mademoiselle is not, perhaps, acquainted with the circumstances--his long illness; and does not come even to see his dead body after he is dead. There is a wife for you--a wife of the English fashion!" |
Fanny atmete schwer. | Fanny gasped. |
»Ihren verstorbenen Gatten? Ist Lord Harry gestorben? Wann starb er denn?« | "After he is dead! Is Lord Harry dead? When did he die?" |
»Aber haben Sie denn das nicht gehört, Mademoiselle? Der englische Lord starb am Donnerstagmorgen - es ist jetzt zehn Tage her - an der Lungenschwindsucht, und er wurde auf dem Friedhof von Auteuil gestern vor acht Tagen begraben. Mademoiselle scheinen erstaunt!« | "But, assuredly, Mademoiselle has not heard? The English milord died on Thursday morning, a week and more ago, of consumption, and was buried in the cemetery of Auteuil last Saturday. Mademoiselle appears astonished." |
»In der Tat, Monsieur, ich bin sehr erstaunt.« | "En effet, Monsieur, I am astonished." |
»Es ist auch schon ein Grabstein zur Erinnerung an den unglücklichen jungen Mann errichtet, welcher, wie man sagt, einer sehr vornehmen irischen Familie angehören soll. Mademoiselle können sich davon mit eigenen Augen auf dem Friedhof überzeugen.« | "Already the tombstone is erected to the memory of the unhappy young man, who is said to belong to a most distinguished family of Ireland. Mademoiselle can see it with her own eyes in the cemetery." |
»Bitte, noch einen Augenblick, Monsieur. Würden Sie wohl die Güte haben, mir zu sagen, wer die Pflegerin von Mylord während der letzten Zeit war?« | "One word more, Monsieur. If Monsieur would have the kindness to tell her who was the nurse of milord in his last seizure?" |
»Aber gewiss. Jedermann kennt die Witwe La Chaise. Es war die Witwe La Chaise, welche der Doktor holen ließ. Ja, das war ein Mann, dieser Doktor! Was für eine Leuchte der Wissenschaft! Welche Aufopferung für seinen Freund! Welche bewunderungswürdige Gefühlstiefe er besaß! Es ist wahr, die Engländer können tief und wahr fühlen, so weit es ihre zur Schau getragene Kälte gestattet. Die Witwe La Chaise ist sehr leicht zu finden.« | "But certainly. All the world knows the widow La Chaise. It was the widow La Chaise who was called in by the doctor. Ah! there is a man--what a man! What a miracle of science! What devotion to his friend! What admirable sentiments! Truly, the English are great in sentiments when their insular coldness allows them to speak. This widow can be found--easily found." |
Er gab Fanny in der Tat die Adresse der Pflegerin. Damit versehen, machte sie sich, nachdem ihr der Wirt noch die Hauptsachen über Lord Harrys vorgeblichen Tod erzählt hatte, auf die Suche nach der ehrbaren Witwe. | He gave Fanny, in fact, the nurse's address. Armed with this, and having got out of the landlord the cardinal fact of Lord Harry's alleged death, the lady's-maid went in search of this respectable widow. |
Sie fand sie in ihrer Wohnung, wirklich eine ehrbare Frau, welche sogleich bereit war, alles zu erzählen, was sie wusste. Sie hatte augenscheinlich nicht den geringsten Verdacht, dass irgendetwas Unrechtes geschehen war. Sie war am Donnerstagmorgen aufgefordert worden, die Pflege eines kranken Mannes zu übernehmen; man hatte ihr gesagt, der Kranke sei ein junger irischer Lord, der gefährlich an einem Lungenleiden darniederliege. Der Doktor teilte ihr in der Tat mit, dass das Leben des Kranken nur an einem Faden hinge und dass es jeden Augenblick mit ihm zu Ende gehen könne, obgleich er andererseits auch Fälle gekannt hätte, bei denen der Tod erst nach Monaten eingetreten sei. | She found her, in her own apartments, a respectable woman indeed, perfectly ready to tell everything that she knew, and evidently quite unsuspicious of anything wrong. She was invited to take charge of a sick man on the morning of Thursday: she was told that he was a young Irish lord, dangerously ill of a pulmonary disorder; the doctor, in fact, informed her that his life hung by a thread, and might drop at any moment, though on the other hand he had known such cases linger on for many months. She arrived as she had been ordered, at midday: she was taken into the sick-room by the doctor, who showed her the patient placidly sleeping on a sofa: the bed had been slept in, and was not yet made. After explaining the medicines which she was to administer, and the times when they were to be given, and telling her something about his diet, the doctor left her alone with the patient. |
»Als ich kam«, erzählte die Pflegerin, »lag der Kranke in tiefem Schlaf.« | "He was still sleeping profoundly," said the nurse. |
»Sind Sie sicher, dass er schlief und nicht etwa schon tot war?« fragte Fanny scharf. | "You are sure that he was sleeping, and not dead?" asked Fanny, sharply. |
»Mademoiselle, ich bin viele Jahre lang Krankenpflegerin gewesen; ich kenne mein Geschäft, ich kenne meine Pflichten. In dem Augenblick, als mich der Doktor mit dem Patienten allein gelassen hatte, überzeugte ich mich von der Richtigkeit der Angaben, die er mir gemacht. Ich untersuchte, indem ich den Puls des Kranken fühlte und seinen Atem beobachtete, dass er wirklich schlief.« | "Mademoiselle, I have been a nurse for many years. I know my duties. The moment the doctor left me I verified his statements. I proved that the patient was sleeping by feeling his pulse and observing his breath." |
Fanny gab keine Antwort; sie konnte unmöglich dieser ehrbaren Frau ins Gedächtnis rufen, dass sie, sobald der Doktor sie verlassen hatte, sich zuerst damit beschäftigte, den Wandschrank, die Schubladen und andere Dinge zu untersuchen; dass sie dann ein Buch mit Bildern fand, in dem sie ungefähr eine Viertelstunde las, und dass sie darauf das Buch sinken ließ und einschlafen wollte. | Fanny made no reply. She could hardly remind this respectable person that after the doctor left her she employed herself first in examining the cupboards, drawers, armoire, and other things; that she then found a book with pictures, in which she read for a quarter of an hour or so; that she then grew sleepy and dropped the book-- |
»Dann traf ich Vorbereitungen«, fuhr die Witwe fort, »welche sein Aufwachen verhindern sollten; auch zog ich die Vorhänge auf und kehrte die Bettstücke um, um das Bett zu lüften - o Madame, Madame, das war alles unnötig! - schüttelte die Federn auf und tat alles das, was die Pflicht einer gewissenhaften Pflegerin ist, bis die Zeit herankam, wo ich meinem Patienten zum erstenmal Medizin geben sollte. Stellen Sie sich nun vor, der, den ich ruhig atmend gefunden hatte - mit der Regelmäßigkeit eines Wiedergenesenden atmend, nicht etwa so schwer, wie ein Sterbender zu atmen pflegt - den fand ich tot! Er war tot.« | "I then," continued the widow, "made arrangements against his waking--that is to say, I drew back the curtains and turned over the sheet to air the bed"--O Madame! Madame! Surely this was needless!--"shook up the pillows, and occupied myself in the cares of a conscientious nurse until the time came to administer the first dose of medicine. Then I proceeded to awaken my patient. Figure to yourself! He whom I had left tranquilly breathing, with the regularity of a convalescent rather than a dying man, was dead! He was dead!" |
»Sind Sie auch sicher, dass er tot war?« | "You are sure he was dead?" |
»Als ob ich niemals zuvor einen Toten gesehen hätte! Ich rief den Doktor; es geschah nur der Pflicht wegen, denn ich wusste ja ganz genau, dass er tot war.« | "As if I had never seen a dead body before! I called the doctor, but it was for duty only, for I knew that he was dead." |
»Und dann?« | "And then?" |
»Dann fühlte der Doktor, der doch auch gewusst haben musste, dass er tot war, seinen Puls und sein Herz und sah ihm in die Augen und erklärte hierauf, dass er wirklich tot sei.« | "Then the doctor--who must also have known that he was dead--felt his pulse and his heart, and looked at his eyes, and declared that he was dead." |
»Und dann?« | "And then?" |
»Was dann? Wenn ein Mann tot ist, dann ist er tot. Sie können ihn nicht mehr zum Leben zurückrufen. Der Doktor tat aber noch etwas. Er brachte einen photographischen Apparat herbei und photographierte den Toten für seine Freunde.« | "What then? If a man is dead he is dead. You cannot restore him to life. Yet one thing the doctor did. He brought a camera and took a photograph of the dead man for the sake of his friends." |
»So, so, er photographierte also Lord Harry Norland. Zu welchem Zweck tat er das?« | "Oh! he took a photograph of--of Lord Harry Norland. What did he do that for?" |
»Ich sagte es Ihnen ja schon: für seine Freunde.« | "I tell you: for the sake of his friends." |
Fanny war verwirrter denn je. Was in aller Welt wollte der Doktor mit einer Photographie des Dänen Oxbye? Beabsichtigte er wirklich, sie den Freunden Lord Harrys zu zeigen? Konnte er wirklich einen so groben Fehler gemacht haben, ohne dass ihn jemand dazu gezwungen hätte? Es war einfach unmöglich, dass jemand das Gesicht des armen Dänen für das Gesicht Lord Harrys halten konnte. | Fanny was more bewildered than ever. Why on earth should the doctor want a photograph of the Dane Oxbye to show the friends of Lord Harry? Could he have made a blunder as stupid as it was uncalled for? No one could possibly mistake the dead face of that poor Dane for the dead face of Lord Harry. |
Sie hatte alles erfahren, was sie wollte, in der Tat alles, was für sie von Nutzen sein konnte. Eins blieb noch übrig: sie wollte das Grab sehen. | She had got all the information she wanted--all, in fact, that was of any use to her. One thing remained. She would see the grave. |
Der Friedhof von Auteuil ist nicht so groß wie der Pèrelachaise; auf ihm ruhen auch nicht so viele berühmte Personen wie auf dem letztern, der vielleicht, wenn man die berühmten Toten in Betracht zieht, der berühmteste Friedhof in der ganzen Welt ist. Der Friedhof von Auteuil ist die letzte Ruhestätte der besseren Klassen. Seine Gräber sind nicht die Gräber von Unsterblichen, aber doch die Gräber von angesehenen Leuten. | The cemetery of Auteuil is not so large as that of Père-la-Chaise, nor does it contain so many celebrated persons as the latter--perhaps the greatest cemetery, as regards its illustrious dead, in the whole world. It is the cemetery of the better class. The tombs are not those of Immortals but of Respectables. |
Unter ihnen fand Fanny leicht, indem sie den ihr gegebenen Weisungen folgte, das Grab, welches sie suchte. | Among them Fanny easily found, following the directions given to her, the tomb she was searching after. |
Der Grabstein trug in englischer Sprache die Aufschrift: »Gewidmet dem Andenken Lord Harry Norlands, des zweiten Sohnes des Marquis of Malven«, dann folgte das Datum und das Alter; sonst nichts. | On it was written in English, "Sacred to the Memory of Lord Harry Norland, second son of the Marquis of Malven." Then followed the date and the age, and nothing more. |
Fanny ließ sich auf eine Bank nieder und betrachtete den lügnerischen Stein. | Fanny sat down on a bench and contemplated this mendacious stone. |
»Der Däne Oxbye befand sich«, sagte sie zu sich, »auf dem Weg rascher Besserung. Das war der Grund, weswegen man mich fortschickte. Am nächsten Tag vergiftete ihn der Doktor, der mich schon weit entfernt glaubte. Ich sah, wie er es tat. Der Pflegerin wurde gesagt, dass er eingeschlafen sei, und erst später entdeckte sie, dass er tot war. Ihr gegenüber wurde der Kranke für einen jungen irischen Lord ausgegeben, und er wurde dann auch unter dem Namen Lord Harrys begraben. Deshalb fand ich auch den Doktor allein. Und Mylady? Wo ist sie?« | "The Dane Oxbye," she said, "was growing better fast when I went away. That was the reason why I was sent away. The very next day the doctor, thinking me far away, poisoned him. I saw him do it. The nurse was told that he was asleep, and being left alone presently discovered that he was dead. She has been told that the sick man is a young Irish gentleman. He is buried under the name of Lord Harry. That is the reason I found the doctor alone. And my lady? Where is she?" |
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