Viertes Kapitel | IV |
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Als Miss Henleys Pate genoss Sir Giles gewisse Vorrechte. Er legte seine dicht behaarte Hand auf ihre Schulter und küsste sie auf beide Wangen. Nach dieser zärtlichen Begrüßung begann er sie auszufragen. Welches außerordentliche Zusammentreffen von Ereignissen hatte Iris bestimmt, London zu verlassen, und sie in sein Bankhaus nach Ardoon geführt? | BEING Miss Henley's godfather, Sir Giles was a privileged person. He laid his hairy hands on her shoulders, and kissed her on either cheek. After that prefatory act of endearment, he made his inquiries. What extraordinary combination of events had led Iris to leave London, and had brought her to visit him in his banking-house at Ardoon? |
»Ich wollte von Hause fort«, antwortete sei, »und da ich niemand habe als meinen Paten, zu dem ich gehen könnte, so bin ich hieher gekommen zu Ihnen.« | "I wanted to get away from home," she answered; "and having nobody to go to but my godfather, I thought I should like to see You." |
»Allein?« rief Sir Giles. | "Alone!" cried Sir Giles. |
»Nein, ich habe mein Mädchen als Begleiterin mitgenommen.« »Nur Ihr Mädchen, Iris? Sie haben doch sicherlich unter den jungen Damen, die mit Ihnen gleichalterig sind, Bekannte!« »Bekannte - ja! Freundinnen - nein!« | "No--with my maid to keep me company." "Only your maid, Iris? Surely you have acquaintances among young ladies like yourself?" "Acquaintances--yes. No friends." |
»Hat denn Ihr Vater zu Ihrem Unternehmen seine Zustimmung gegeben?« »Wollen Sie mir einen Gefallen erweisen?« | "Does your father approve of what you have done?" "Will you grant me a favour, godpapa?" |
»Wenn ich kann - ja.« | "Yes--if I can." |
»Verlangen Sie von mir keine Antwort auf Ihre letzte Frage.« Die bleiche Farbe, welche ihr Gesicht bedeckt hatte, als sie das Zimmer betrat, war verschwunden. Ebenso änderte sich der Ausdruck um ihren Mund. Die Lippen schlossen sich krampfhaft und verrieten einen unabänderlichen Entschluss, hervorgerufen durch das bestimmte Gefühl erlittenen Unrechts. Sie sah älter aus, als sie in Wirklichkeit war; wie sie einmal in zehn Jahren sein mochte, so war sie jetzt. Sir Giles verstand sie. Er stand auf und wanderte im Zimmer umher. Eine alte Gewohnheit, die er mit unendlicher Schwierigkeit, als er Baronet geworden war, unterdrückt hatte, kam von neuem zum Vorschein; er steckte seine Hände in die Taschen. | "Don't insist on my answering your last question." The faint colour that had risen in her face, when she entered the room, left it. At the same time, the expression of her mouth altered. The lips closed firmly; revealing that strongest of all resolutions which is founded on a keen sense of wrong. She looked older than her age: what she might be ten years hence, she was now. Sir Giles understood her. He got up, and took a turn in the room. An old habit, of which he had cured himself with infinite difficulty when he was made a Knight, showed itself again. He put his hands in his pockets. |
»Sie und Ihr Vater haben sich wieder einmal veruneinigt«, sagte er, vor Iris stehen bleibend. | "You and your father have had another quarrel," he said, stopping opposite Iris. |
»Ich leugne es nicht«, antwortete sie. | "I don't deny it," she replied. |
»Wer ist daran schuld?« | "Who is to blame?" |
Sie lachte bitter. | She smiled bitterly. |
»Die Frau ist immer der schuldige Teil.« | "The woman is always to blame." |
»Hat das Ihnen Ihr Vater gesagt?« | "Did your father tell you that?" |
»Mein Vater erinnerte mich daran, dass ich an meinem letzten Geburtstag einundzwanzig Jahre alt geworden sei, und sagte mir, ich könnte tun, was mir beliebte. Ich verstand ihn und verließ das Haus.« | "My father reminded me that I was twenty-one years old, last birthday--and told me that I could do as I liked. I understood him, and I left the house." |
»Sie werden doch wohl zurückkehren?« | "You will go back again, I suppose?" |
»Ich weiß nicht.« | "I don't know." |
Sir Giles begann wiederum das Zimmer zu durchschreiten. Seine markierten Züge, die von Unglück und Kampf im früheren Leben erzählten, zeigten Spuren von Missvergnügen und Trauer. | Sir Giles began pacing the room once more. His rugged face, telling its story of disaster and struggle in early life, showed signs of disappointment and distress. |
»Hugh versprach mir«, sagte er, »zu schreiben, hat es aber nicht getan. Ich weiß, was das bedeutet, und weiß auch, wodurch Sie Ihren Vater erzürnt haben. Mein Neffe hat Sie schon zum zweitenmale gebeten, seine Frau zu werden. Und zum zweiten Male haben Sie ihm eine abschlägige Antwort gegeben.« | "Hugh promised to write to me," he said, "and he has not written. I know what that means; I know what you have done to offend your father. My nephew has asked you to marry him for the second time. And for the second time you have refused." |
Ihr Gesicht erhellte sich und erhielt seinen besseren und jüngeren Ausdruck wieder. | Her face softened; its better and younger aspect revived. |
»Ja«, sagte sie traurig und niedergeschlagen, »ich habe ihn zum zweiten Male abgewiesen.« Sir Giles verlor seine Ruhe. | "Yes," she said, sadly and submissively; "I have refused him again." Sir Giles lost his temper. |
»Was in aller Welt haben Sie denn an Hugh auszusetzen?« brach er los. | "What the devil is your objection to Hugh?" he burst out. |
»Mein Vater sagte dasselbe zu mir«, entgegnete sie, »fast mit den nämlichen Worten. Ich erzürnte ihn, als ich versuchte, ihm meine Gründe auseinanderzusetzen. Ich habe keine Lust, Sie auch noch böse zu machen.« | "My father said the same thing to me," she replied, "almost in the same words. I made him angry when I tried to give my reason. I don't want to make you angry, too." |
Er nahm keine Notiz von diesen letzten Worten. | He took no notice of this. |
»Ist Hugh nicht ein guter Junge?« fuhr er zu fragen fort. »Ist er nicht freundlich und gutherzig und ehrenhaft? Ist er nicht ein hübscher Mensch, wenn wir auch darauf kommen wollen?« | "Isn't Hugh a good fellow?" he went on. "Isn't he affectionate? and kindhearted? and honourable?--aye, and a handsome man too, if you come to that." |
»Hugh ist alles das, was Sie sagen. Ich habe ihn gern, ich bewundere ihn, ich verdanke seiner Güte einige der glücklichsten Tage meines traurigen Lebens und bin ihm dankbar - o, von ganzem Herzen bin ich Hugh dankbar!« | "Hugh is all that you say. I like him; I admire him; I owe to his kindness some of the happiest days of my sad life, and I am grateful--oh, with all my heart, I am grateful to Hugh!" |
»Wenn das wahr ist, Iris -« | "If that's true, Iris----" |
»Jedes Wort davon ist wahr.« | "Every word of it is true." |
»Wenn das wahr ist, sage ich - dann gibt es für Sie keine Entschuldigung, Iris. Ich hasse bei einem jungen Mädchen Eigensinn. Warum heiraten Sie ihn dann nicht?« | "I say, if that's true--there's no excuse for you. I hate perversity in a young woman! Why don't you marry him?" |
»Versuchen Sie es, wie ich zu fühlen«, antwortete sie sanft; »ich kann ihn nicht lieben.« Der Ton ihrer Stimme sagte dem Bankier mehr, als ihre Worte hätten ausdrücken können. Den geheimen Kummer ihres Lebens, der ihrem Vater bekannt war, kannte auch Sir Giles. | "Try to feel for me," she said gently; "I can't love him." Her tone said more to the banker than her words had expressed. The secret sorrow of her life, which was known to her father, was known also to Sir Giles. |
»Jetzt sind wir endlich auf das Richtige gekommen«, sagte er. »Sie können also meinen Neffen Hugh nicht lieben. Und Sie wollen mir den Grund dafür nicht sagen, weil Ihr empfindliches, zartes Gemüt davor zurückschreckt, mich zu erzürnen. Soll ich Ihnen den Grund nennen, mein Kind? Ich kann es mit zwei Worten - Lord Harry.« | "Now we have come to it at last!" he said. "You can't love my nephew Hugh. And you won't tell me the reason why, because your sweet temper shrinks from making me angry. Shall I mention the reason for you, my dear? I can do it in two words--Lord Harry." |
Sie antwortete darauf nicht und gab überhaupt durch kein Zeichen zu erkennen, dass sie seine Worte verstanden hatte. Sie neigte den Kopf ein wenig und faltete die Hände auf ihrem Schoß; das hartnäckige Stillschweigen, das alles ertragen kann, machte ihr Gesicht hart und ihre Gestalt steif - das war aber auch alles. | She made no reply; she showed no sign of feeling at what he had just said. Her head sank a little; her hands clasped themselves on her lap; the obstinate resignation which can submit to anything hardened her face, stiffened her figure--and that was all. |
Der Bankier war entschlossen, ihr nichts zu ersparen. | The banker was determined not to spare her. |
»Es ist leicht ersichtlich«, fuhr er fort, »dass Sie in Ihrer törichten Verblendung für diesen Lump noch immer befangen sind. Er mag gehen, wohin er will, an die verrufensten Orte und unter die gemeinsten, schlechtesten Menschen, er zieht Ihr Herz stets mit sich. Ich bin erstaunt, dass Sie sich nicht einer solchen Neigung schämen.« | "It's easy to see," he resumed, "that you have not got over your infatuation for that vagabond yet. Go where he may, into the vilest places and among the lowest people, he carries your heart along with him. I wonder you are not ashamed of such an attachment as that." |
Diese Worte trafen sie doch. Sie erhob sich lebhaft und antwortete ihm. | He had stung her at last. She roused herself, and answered him. |
»Harry hat ein wildes Leben geführt«, sagte sie; »er hat sich schwere Vergehen zu schulden kommen lassen, und er mag es auch jetzt noch toller treiben, als er bisher getan hat. Zu welcher Erniedrigung, in welche schlechte Gesellschaft und Schulde dies ihn bringen mag, das sich auszumalen überlasse ich seinen Feinden. Ich sage Ihnen aber dies eine: er besitzt Eigenschaften, die das alles vergessen machen, die Sie und Leute Ihrer Art indessen niemals entdecken werden, weil Sie dazu viel zu wenig gute Christen sind. Er hat Freunde, die ihn noch würdigen können. - Ihr Neffe Arthur Mountjoy ist unter ihnen. O, ich weiß es durch Arthurs Briefe an mich! Verdammen Sie Lord Harry, so viel Sie wollen, er hat noch die Fähigkeit zu bereuen, sage ich Ihnen, und eines Tages - wenn auch wahrscheinlich zu spät, wie ich leider hinzusetzen muss - wird er es beweisen. Ich kann niemals seine Frau werden. Wir sind getrennt für immer; niemals wird es für uns wieder einen Anknüpfungspunkt geben. Aber er ist der einzige Mann, den ich jemals geliebt habe, und er wird auch der einzige sein, den ich in Zukunft lieben werde. Wenn Sie glauben, dass diese Liebe den Beweis liefert, dass ich ebenso schlecht bin wie er, ich werde Ihnen nicht widersprechen. Weiß denn überhaupt einer von uns, wie schlecht er ist? Haben Sie neuerdings etwas von Harry gehört?« | "Harry has led a wild life," she said; "he has committed serious faults, and he may live to do worse than he has done yet. To what degradation, bad company, and a bad bringing-up may yet lead him, I leave his enemies to foresee. But I tell you this, he has redeeming qualities which you, and people like you, are not good Christians enough to discover. He has friends who can still appreciate him--your nephew, Arthur Mountjoy, is one of them. Oh, I know it by Arthur's letters to me! Blame Lord Harry as you may, I tell you he has the capacity for repentance in him, and one day--when it is too late, I dare say--he will show it. I can never be his wife. We are parted, never in all likelihood to meet again. Well, he is the only man whom I have ever loved; and he is the only man whom I ever shall love. If you think this state of mind proves that I am as bad as he is, I won't contradict you. Do we any of us know how bad we are----? Have you heard of Harry lately?" |
Der plötzliche Übergang von der so ernsten und warmen Verteidigung des Mannes zu einer so gewöhnlichen, bedeutungslosen Frage nach ihm überraschte Sir Giles. | The sudden transition, from an earnest and devoted defence of the man, to an easy and familiar inquiry about him, startled Sir Giles. |
Er wusste im Augenblick nichts darauf zu erwidern; Iris hatte ihm zu denken gegeben. Sie hatte bewiesen, dass sie ihre heftigsten Gefühle zu beherrschen verstand gerade in dem Moment, wo sie sie zu überwältigen drohten, und das findet man selten bei jungen Mädchen. Wie man sie beeinflussen und leiten könnte, das war eine Aufgabe, deren Lösung ruhiger Überlegung bedurfte. Sein Eigensinn mehr noch als seine Überzeugung hatten den Bankier immer noch an der Hoffnung einer schließlichen Heirat seines Neffen mit Iris festhalten lassen, selbst dann noch, als Hughs Werbung zum zweiten Male einen abschlägigen Bescheid erhalten hatte. Sein ebenso starrköpfiges Patenkind war gekommen aus eigenem Antrieb, ihn zu besuchen. Sie hatte die Tage ihrer Kindheit nicht vergessen, in denen er einigen Einfluss auf sie gehabt und sich ihr liebevoller gezeigt hatte, als ihr Vater jemals gewesen war. Sir Giles erkannte, dass er gegen Iris einen falschen Ton angeschlagen. Sein Ärger hatte sie nicht beunruhigt, seine Meinung nicht beeinflusst. In Hughs Interesse beschloss er, zu versuche, was Überlegung und Nachsicht tun könnten, um sein Ansehen bei ihr zu vergrößern. Nachdem er gehört, dass ihr Mädchen und ihr Gepäck im Gasthof zurückgeblieben waren, bestand er darauf, dass sie in seinem Hause Wohnung nehme, und ließ das Mädchen samt den Sachen holen. | For the moment, he had nothing to say; Iris had made him think. She had shown a capacity for mastering her strongest feelings, at the moment when they threatened to overcome her, which is very rarely found in a young woman. How to manage her was a problem for patient resolution to solve. The banker's obstinacy, rather than his conviction, had encouraged him to hold to the hope of Hugh's marriage, even after his nephew had been refused for the second time. His headstrong goddaughter had come to visit him of her own accord. She had not forgotten the days of her childhood, when he had some influence over her--when she had found him kinder to her than her father had ever been. Sir Giles saw that he had taken the wrong tone with Iris. His anger had not alarmed her; his opinion had not influenced her. In Hugh's interests, he determined to try what consideration and indulgence would do towards cultivating the growth of her regard for him. Finding that she had left her maid and her luggage at the hotel, he hospitably insisted on their removal to his own house. |
»So lange Sie in Ardoon bleiben, Iris, sind Sie mein Gast«, sagte er. | "While you are in Ardoon, Iris, you are my guest," he said. |
Sie machte ihm die Freude, seine Einladung bereitwillig anzunehmen, ärgerte ihn aber gleich nachher durch die nochmalige Frage, ob er nichts von Lord Harry gehört habe. | She pleased him by readily accepting the invitation--and then annoyed him by asking again if he had heard anything of Lord Harry. |
Er antwortete kurz und scharf: | He answered shortly and sharply |
»Ich habe nichts gehört. Was sind denn Ihre letzten Nachrichten über ihn?« »Nachrichten«, sagte sie, »die, wie ich zuversichtlich hoffe, sich als unwahr erweisen werden. Eine irische Zeitung wurde mir zugesandt, welche meldete, er sei der geheimen Gesellschaft beigetreten, die, wie ich fürchte, nichts Besseres ist als eine Mörderbande. Sie ist bekannt unter dem Namen der ,Unüberwindlichen'.« Gerade als sie diese furchtbare Verbindung erwähnte, kehrte Dennis Howmore von dem Polizeiamt zurück. Er brachte die Meldung, dass ein Sergeant da sei, um die Befehle Sir Giles' zu empfangen. | He answered shortly and sharply: "I have heard nothing. What is your last news of him?" "News," she said, "which I sincerely hope is not true. An Irish paper has been sent to me, which reports that he has joined the secret society--nothing better than a society of assassins, I am afraid--which is known by the name of the Invincibles." As she mentioned that formidable brotherhood, Dennis Howmore returned from the police-office. He announced that a Sergeant was then waiting to receive instructions from Sir Giles. |
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