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Gesetz und Frau



Fünfzehntes Kapitel.

Mr. Dexter zu Hause.

Vor der Thüre fand ich die ganze Straßenjugend der Umgegend um die Pony-Equipage versammelt, und mancher Witz fiel über den seltsamen Kutscher, im rothen Unterrock und mit dem Männerhut. Der Ponty, welcher sich eben falls verhöhnt glaubte, begann unruhig zu werden. Ariel saß, die Peitsche in der Hand, völlig gefühllos für die Welt um sich her. Ich bot ihr einen guten Morgen, als ich einstieg, sie erwiderte denselben nur mit einem »Hü!« und es ging von dannen. Ich hatte mich selbstverständlich darauf gefaßt gemacht, die große Tour stillschweigend zurückzulegen. Was sollte ich auch mit Ariel sprechen, da Ariel nicht antwortete. Aber die Erfahrung ist nicht immer unfehlbar. Nachdem wir eine halbe Stunde gefahren waren, überraschte mich Ariel durch eine Anrede.

»Wissen Sie wohin wir nun kommen?« fragte sie, dem Pony scharf auf die Ohren sehend.

»Nein,« antwortete ich.

»Wohin kommen wir denn?«

»Wir kommen an einen Kanal.«

»Nun ?«

»Nun! Ich habe große Lust, Sie hinein zu werfen.«

Diese furchtbare Ankündigung ließ mich eine Erklärung wünschen. Ich nahm mir die Freiheit, sie zu verlangen.

»Und weshalb wollten Sie mich hineinwerfen?« erkundigte ich mich.

»Weil ich Sie hasse,« war die kalte und kurze Antwort.

»Wodurch habe ich Sie denn beleidigt?«

»Was haben Sie denn mit meinem Herrn , vor?«

»Meinen Sie Mr. Dexter?«

»Ich will mit Mr. Dexter sprechen.«

»Das ist nicht wahr! Sie wollen meine Stelle haben. Sie wollen sein Haar und seinen Bart bürsten Sie altes Scheusal!«

Nun begann ich zu verstehen. Die Idee, welche Mr. Dexter gestern Abend scherzend ausgesprochen war ihr nach 15 Stunden zum Verständniß gekommen.

»Ich will sein Haar und seinen Bart nicht anrühren« sagte ich. »Das überlasse ich Ihnen gänzlich.«

Sie blickte sich nach mir um und ihr Antlitz leuchtete.

»Sagen Sie es noch einmal,« rief sie; »aber dieses mal sagen Sie es leiser.«

Ich sagte es noch einmal und sagte es leiser.

»Schwören Sie es!« rief sie immer aufgeregter.

Da der Kanal gerade in der Nähe war, schwur ich.

»Sind Sie nun zufrieden?« fragte ich.

Ich erhielt keine Antwort. Der Vorrath ihrer Rede war erschöpft. Das seltsame Wesen stieß ein zufriedenes Grunzen aus, blickte dem Pony wieder zwischen die Ohren hindurch und sprach während der Fahrt kein Wort mehr mit mir. Wir fuhren am Ufer des Kanals dahin, ohne daß Sie daran dachte mich hinein zu werfen. Wir rasselten durch elende Straßen und über jene unbebauten Flecken deren ich mich von gestern erinnerte, die aber im hellen Tageslicht noch weit abschreckender und ärmlicher aussahen. Der Wagen fuhr eine Gasse hinunter, in welcher ein zweites Gefährt nicht hätte ausweichen können und hielt dann an einer Mauerpforte, die mir neu war. Ariel öffnete die Pforte mit einem Schlüssel und führte den Pony dann durch den hinteren Garten und auf den Hof des Mr. Dexter gehörigen baufälligen Hauses. Der Pony ging, den Wagen nach sich ziehend, sogleich in den Stall. Meine schweigende Gefährtin geleitete mich durch eine finstere Küche und eine eben solche Passage. Eine Thür rechts öffnend gelangten wir auf den bereits bekannten Flur. Hier führte Ariel ein kleines Instrument an den Mund und blies die schrillen vogelartigen Töne, mit denen ich ebenfalls schon Bekanntschaft gemacht hatte.

»Warten Sie hier, bis Sie den Herrn pfeifen hören dann gehen Sie hinauf.«

So äußerte sie sich zum letzten Mal.

Es wurde mir also gepfiffen wie einem Hunde. Und noch schlimmer, ich mußte gehorchen wie ein Hund.

Ariel kehrte mir den Rücken und verschwand in der dunklen Region der Küche.

Nachdem ich eine oder zwei Minuten gewartet hatte, ohne daß ein Signal ertönt war, trat ich auf die hellere Seite des Flurs, auf der sich eine Anzahl von Bildern befand, die von Mr. Dexter selbst gemalt waren und so wilde, grausige Gegenstände darstellten, daß meine Nerven allmälich heftig erregt wurden und ich erschrocken zusammenfuhr, als der schrille Ton der Pfeife an mein Ohr drang. Ich mußte mich setzen und es dauerte mehrere Minuten ehe ich meine Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte.

Die schrille Pfeife ertönte zum zweiten mal. Ich stand auf und stieg die Treppe zum ersten Stockwerk empor. Mein Herz klopfte noch ungestüm als ich mich der Thür des Vorzimmers näherte, und ich muß gestehen, daß ich in diesem Augenblick meine Fürwitzigkeit bereute.

Die niederhängende Tapete, welche die innere Thür bedeckte, war bei Seite gezogen. So leise meine Schritte auch waren, das feine Gehör Mr. Dexters hatte sie bereits erspäht.

»Ist das Mrs. Valeria?« hörte ich seinen schönen tönenden Tenor: »Bitte treten Sie ein.«

Ich trat ein.

Der Rollstuhl kaut mir so leise und sanft entgegen daß ich ihn kaum hörte. Miserrimus Dexter streckte mir schwach die Hand hin. Sein Haupt neigte sich gedankenvoll zur Seite, und die großen blauen Augen blickten mich wehmüthig an. Nicht eine Spur mehr von dem wilden Phantasten, der mich gestern erschreckt. Nur die Kleidung war ebenso seltsam, wenn auch anders wie am vergangenen Tage. Seine Jacke war von meergrünem Atlas und um die Handgelenke trug er massive Armbänder von Gold und in antiker Form.

»Wie liebenswürdig von Ihnen daß Sie gekommen sind,« sagte er in weichen musikalischen Tönen. »Ich habe Ihnen zu Ehren meine schönsten Kleider angelegt. Erschrecken Sie nicht. Mit Ausnahme dieses elenden materiellen Jahrhunderts kleideten sich, Männer sowohl als Frauen in kostbare Stoffe und glänzende Farben. Vor 500 Jahren schmückte man sich mit diesen goldenen Armbändern. Ich verabscheue die Misachtung der Schönheit und die Furcht vor Ausgaben, welche einen Gentleman so weit entwürdigen konnte, sich in elendes schwarzes Tuch zu kleiden. Ich liebe es schön zu sein, namentlich wenn die Schönheit mich besucht. Sie wissen nicht wie hoch ich Ihre Gesellschaft schätze. Heute ist einer von meinen melancholischen Tagen. Thränen treten ungebeten in meine Augen. Ich seufze und klage über mich selbst; ich lechze nach Mitleid. Bedenken Sie doch, was ich bin! Ein armes, elendes Wesen verflucht zur entsetzlichen Verkrüppelung. Mein liebendes Herz — welkte dahin. Meine außerordentlichen Talente kommen nicht zur Geltung. Wie traurig! Bemitleiden Sie mich.«

Er weinte in der That Thränen des Mitleids über sich selbst. Sein Ton war der eines kranken Kindes, das der Pflege bedarf. Ich war in Verlegenheit, was zu thun.

»Bitte, bedauern Sie mich doch!« fuhr er fort, »seien Sie nicht grausam. Ich verlange ja nur wenig. Schöne Mrs. Valeria, sagen Sie, daß Sie mich bemitleiden!«

Ich that es und fühlte daß ich erröthete.

»Ich danke Ihnen,« sagte Mr. Dexter wehmüthig.

»Es hat mir wohlgethan. Gehen Sie noch etwas weiter. Streicheln Sie meine Hand.«

Die Absurdität einer solchen Bitte, obgleich mit vollem Ernste vorgetragen ließ mich in helles Lachen ausbrechen.

Mr. Dexter sah mich so erstaunt an, daß sich meine Heiterkeit noch vermehrte. Hatte ich ihn beleidigt? Anscheinend nicht. Nachdem er sich von seinem Erstaunen erholt, ließ er sein Haupt an die Lehne des Stuhls zurücksinken, mit dem Ausdruck eines Kritikers, der irgend einer Vorstellung beiwohnt.

Als ich mich recht müde gelacht applaudirte er mit seinen weißen Händen und beehrte mich mit einem da capo-Ruf.

»Bitte noch einmal,« sagte er auf kindische Art. »Sie haben solch’ musikalisches Lachen Mrs. Valeria, und ich solch musikalisches Ohr. Bitte noch einmal.«

»Vergeben Sie mir, Mr. Dexter,« sagte ich, mich vor mir selber schämend.

Er antwortete mir nicht. Sein Temperament unterlag einer neuen Wandlung. Er betrachtete jetzt meine Kleidung und schien seine eigenen Gedanken darüber zu haben. Dann forderte er mich auf, mir einen bequemen Sessel zu holen, dann einen Ofenschirm zwischen mich und das Feuer zu setzen. Er beobachtete oder studirte dabei — wie er selbst eingestand — meinen Gang und verglich ihn mit dem der »Todten«. Wirklich, ich fürchtete jeden Augenblick, er würde wieder einen Anfall bekommen.

Plötzlich begann er:

»Wir sprachen gestern Abend von ihr. Was sagte ich? Was sagten Sie? Meine Erinnerung ist verschwommen. Halb weiß ich es, halb hab' ich es vergessen. Helfen Sie mir.«

»Wir sprachen,« antwortete ich, »von Mrs. Eustace Macallans Tode, und wir erwähnten —«

»Ja! Ja!« unterbrach er mich. »Und ich wunderte mich darüber, daß Sie ein Interesse zu haben schienen das Geheimniß ihres Todes aufzuklären. Vertrauen Sie es mir an. Ich sterbe vor Begier, es zu hören.«

»Nicht nur ein Interesse,« antwortete ich, »die Glückseligkeit meines ganzen Lebens hängt davon ab, der Sache auf den Grund zu kommen.«

»Großer Gott! Und weshalb!« rief er. »Halten Sie ein! Ich rege mich auf, und das thut mir nicht wohl. Ich muß meine Sinne zusammen behalten; ich darf sie nicht wandern lassen. Die Sache ist zu ernsthaft. Warten Sie eine Minute.

« An dem einen Arm seines Rollstuhls hing ein eleganter kleiner Korb. Er nahm eine an gefangene Stickerei nebst Häkelhaken heraus. Er bemerkte mein Erstaunen darüber.

»Frauen,« sagte er, »bedienen sich der Handarbeit um bei derselben ruhiger denken zu können. Weshalb sind wir Männer solche Thoren solche Weisheit nicht nachzuahmen?«

Mit diesen Worten arrangirte dies seltsame Wesen seine Stickerei und begann mit der größten Geschicklichkeit zu häkeln.

»Wenn Sie nun so gut sein wollen,« sagte er. »Ich arbeite, Sie sprechen.«


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