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Gesetz und Frau



Zwölftes Kapitel.

Das schottische Verdict.

Wir gingen bis zu dem entferntesten Winkel der Halle. Major Fitz-David öffnete die Thür eines langen schmalen Zimmers, das einen Seitenflügel des Hauses bildete und als Rauchzimmer benutzt wurde.

Mein Gatte befand sich allein in dem Gemach. Er saß in Gedanken versunken am Kamin. Als ich eintrat, sprang er auf und blickte mich schweigend an. Der Major machte leise die Thür wieder zu und entfernte sich. Eustace kam mir keinen Schritt entgegen. Ich rannte auf ihn zu, schlang meine Arme um seinen Hals und küßte ihn.

Die Umarmung wurde nicht erwidert, der Kuß nicht zurückgegeben. Er duldete meine Liebkosung, weiter nichts.

»Eustace!« sagte ich. »Ich liebte Dich niemals mehr, als ich Dich in diesem Augenblick liebe!«

Er befreite sich sanft aus meiner Umarmung. Dann deutete er, wie ein Fremder es gethan haben würde, aus einen Stuhl.

»Ich danke Dir, Valeria,« antwortete er mit kaltem, gemessenem Ton; »nach dem, was geschehen, konntest Du mir weder weniger sagen, noch mehr; ich danke Dir.«

Wir standen vor dem Kamin. Er verließ mich und ging mit gesenktem Haupt durch das Zimmer, wahrscheinlich in der Absicht, mich noch ein Mal zu fliehen. Ich folgte ihm und stellte mich zwischen ihn und die Thür.

»Weshalb verläßt Du mich?« sagte ich. »Weshalb sprichst Du zu mir in dieser grausamen Art? Habe ich Dich beleidigt, Eustace? Wenn dem so ist, bitte ich Dich, mir zu vergeben.«

»Es ist an mir, Dich um Vergebung zu bitten,« entgegnete er; »verzeihe mir, Valeria, daß ich Dich zu meinem Weibe machte.«

Er sprach diese Worte mit einer so hoffnungslosen demüthigen Stimme, daß sie Einem das Herz brechen konnte.

»Eustace, sieh mich an!« sagte ich, die Hand auf seine Brust legend.

Langsam hob er die Augen zu meinem Antlitz empor, Augen, kalt und klar und thränenlos, die mich in trauriger Resignation in unwandelbarer Verzweiflung anblickten. Mein Blut erstarrte ebenfalls unter diesem Blick.

»Ist es möglich,« sagte ich, »daß Du meinen Glauben an Deine Unschuld bezweifelst?«

Er ließ die Frage unbeantwortet und stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Armes Weib!« sagte er, wie ein Fremder gesagt haben könnte, der mich bemitleidete. »Armes Weib!«

Mein Herz schwoll mir, als wenn es bersten wollte. Ich nahm meine Hand von seiner Brust und legte sie ihm auf die Schulter, um einen Stützpunkt zu gewinnen.

»Ich verlange nicht Dein Mitleid, Eustace, sondern Deine Gerechtigkeit. Du läßt mir keine Gerechtigkeit widerfahren. Wenn Du mir in den Tagen, wo wir einander unsere Liebe gestanden Dein volles Vertrauen geschenkt, ja wenn Du mir mehr gesagt hättest, als ich jetzt erfahren so wahr der Himmel mein Zeuge, ich hätte Dich dennoch geheirathet! Bezweifelst Du nun noch, daß ich Dich für unschuldig halte?«

»Ich bezweifle es nicht,« sagte er. »Alle Deine Eingebungen sind groß und ehrenwerth, Valeria. Du fühlst und sprichst edel. Tadle mich nicht, wenn ich weiter sehe, als Du es thust, mein Kind, wenn ich in die grausame Zukunft blicke.«

»Die grausame Zukunft?« wiederholte ich. »Was meinst Du damit?«

»Du glaubst an meine Unschuld, Valeria. Der Gerichtshof, vor dem ich in Untersuchung stand, bezweifelte diese Unschuld und machte seine Meinung identisch mit der des Publikums. Welchen Grund hast Du dem Verdict gegenüber für Deine Ansicht, daß ich unschuldig sei?«

»Ich bedarf keines Grundes! Ich glaube an Dich trotz des Gerichtshofes und trotz des Verdicts.«

»Und werden Deine Freunde mit Dir übereinstimmen? Wenn Dein Onkel und Deine Tante früher oder später das Geschehene erfahren was werden sie dazu sagen? Sie werden sagen es hat einen schlechten Anfang genommen er verbarg es vor unserer Nichte, daß er schon ein Mal verheirathet gewesen, er ehelichte sie unter falschem Namen. Er mag behaupten daß er unschuldig ist; wir haben keinen Beweis dafür als sein anzuzweifelndes Wort. Der Gerichtshof hat das Verdict »Nicht bewiesen« abgegeben. »Nicht bewiesen« kann uns nicht genügen. Wenn der Gerichtshof ihm Unrecht gethan, wenn Eustace unschuldig ist, möge er es beweisen. Das ist es, was Deine Verwandten denken und sagen würden. Die Zeit wird kommen, Valeria wo Du selbst Du, fühlen wirst, daß Jene Recht hatten und daß Du Dich in einer Täuschung befandest.«

»Die Zeit wird niemals kommen!« entgegnete ich warm. »Du thust mir Unrecht, Du beleidigst mich, indem Du das für möglich hältst.«

Er nahm meine Hand von seiner Schulter und trat mit bitterem Lächeln einen Schritt zurück.

»Wir sind nur wenige Tage verheirathet gewesen Valeria. Deine Liebe für mich ist noch neu und jung. Die Zeit, welche alles abschwächt, wird auch die Gluth dieser Liebe mildern.«

»Niemals, niemals!«

Er zog sich noch weiter von mir zurück.

»Blicke um Dich in der Welt!« sagte er.

»Selbst bei den glücklichsten Ehepaaren findet man Stunden Minuten in denen eine Wolke über den klaren Himmel zieht. Diese Stunden und Minuten sind unausbleiblich und wenn sie auch für uns kommen dann werden die Zweifel und Befürchtungen denen Du jetzt noch fern stehst, den Weg in Dein Herz und in Deine Seele finden. Wenn die Wolken sich auch über unserem Eheleben aufthürmen, wenn mein erstes hartes Wort gefallen ist, das Deine schnelle Entgegnung hervorrief, dann in der Einsamkeit Deines Zimmers, in der Stille der schlaflosen Nacht wirst Du an meines ersten Weibes elendes Ende denken. Es wird Dir vorschweben daß ich dafür zur Verantwortung gezogen und daß meine Unschuld nicht bewiesen wurde. Du wirst Dir sagen: bei der Ersten begann er auch vielleicht nur mit harten Worten welche eine rasche Entgegnung hervorriefen. Wird es eines Tages mit mir enden wie der Gerichtshof fürchtete, daß es mit Jener geendet? Schlimme Fragen für ein junges Weib! Im Anfang wirst Du vor deren Beantwortung zurückschrecken, Du wirst einzuschlafen versuchen; aber wenn der nächste Morgen kommt, wirst Du auf Deiner Hut sein und ich werde es bemerken und in meinem innersten Herzen wissen was es bedeutet. Erbittert durch diese Kenntniß, wird mein nächstes hartes Wort ein noch härteres sein und Deine zu Boden gedrückten Zweifel werden erst leise, dann immer mehr und mehr ihre giftigen Häupter erheben. Dein Gatte war angeklagt, sein Weib vergiftet zu haben und seine Unschuld hat niemals bewiesen werden können. Da mischt sich schon das Material für die Hölle im häuslichen Leben. Kann ich jemals an Deinem Bett sitzen wenn Du Dich krank oder unwohl befindest, ohne Dich selbst bei den unschuldigsten Dingen daran zu erinnern was sich an jenem andern Bett ereignete, mit jener andern Frau, die ich vor Dir geheirathet? Wenn ich Dir einen Löffel Medizin eingieße, begehe ich eine verdächtige Handlung, denn sie sagten ich hätte sie vergiftet in ihrer Medizin. Wenn ich Dir eine Tasse Thee bringe, belebe ich die Erinnerung eines entsetzlichen Zweifels; denn sie sagten ich hätte Arsenik in ihre Tasse geschüttet. Küsse ich Dich, wenn ich das Zimmer verlasse, gebe ich Dir Gelegenheit, daran zu denken daß man mich beschuldigte, sie ebenfalls geküßt zu haben, um auf mich ein gutes, auf die zurückbleibende Pflegerin ein schlechtes Licht zu werfen. Können wir unter solchen Bedingungen mit einander leben? Kein Sterblicher würde im Stande sein das Elend eines solchen Daseins zu ertragen. Erst heute sagte ich Dir: wenn Du noch einen Schritt weiter in dieser Sache thust, dann ist es mit unserem Glück zu Ende für den Rest des Lebens. Du hast diesen Schritt gethan und das Ende unseres Glückes ist gekommen. Der tödtliche Wurm sitzt in unserm Herzen und wird es langsam oder schnell zu Tode nagen.«

Soweit hatte ich ihm gezwungen zugehört. Bei den letzten Pinselstrichen die er an dem Gemälde unserer Zukunft machte, konnte ich es nicht länger ertragen.

»Du sprichst entsetzliche Worte,« sagte ich.

»Noch so jung an Jahren sollten wir Beide schon mit Liebe und Hoffnung abgerechnet haben? Es heißt Liebe und Hoffnung schmähen wenn man diesen Ausspruch thut!«

»Warte, bis Du den Prozeß gelesen hast,« antwortete er. »Denn Du wirst ihn doch lesen?«

»Jedes Wort!«

»Du wirst aus dem Prozeß ebenso wenig Trost schöpfen wie das ganze Publikum gethan. Meine erste Frau starb vergiftet, und der Gerichtshof sprach mich nicht von dem Verdacht frei, die That begangen zu haben. So lange Du mein Geheimniß nicht kanntest, so lange lag das Glück noch in unserm Bereich. Jetzt, da Du es weißt, ist es uns für immer entschwunden.«

»Nein,« sagte ich. »Jetzt, seit ich weiß, hat unser Eheleben erst begonnen begonnen mit einem neuen Grunde für die Ergebenheit Deiner Frau, mit einem neuen, edlen Reizmittel für Deines Weibes Liebe!«

»Was meinst Du damit?«

Ich trat zu ihm und nahm seine Hand.

»Was hast Du mir von dem Urtheil der Welt erzählt?« fragte ich, »was hast Du mir erzählt von dem Urtheil meiner Freunde? Der Urtheilsspruch »Nicht bewiesen« wurde ihnen nicht genügen. Wenn der Gerichtshof ihm Unrecht gethan wenn Eustace nicht schuldig ist, möge er es beweisen. Das waren die Worte, die Du meinen Freunden in den Mund legtest. Ich adoptire sie als die meinigen Ich sage: »Nicht bewiesen« genügt auch mir nicht. Mache Dein Recht klar, Eustace, an dem Verdict »Nichtschuldig!« Deshalb hast Du drei Jahre vergehen lassen ohne es zu thun? Soll ich Dir sagen weshalb? Du wartetest auf Dein Weib, Dir zu helfen Hier ist sie jetzt, zu jedem Beistand bereit mit Herz und Seele. Hier ist sie, von nur einer Lebensaufgabe durchdrungen der Welt und dem schottischen Gerichtshofe zu zeigen, daß Eustace Macallan unschuldig ist!«

Die Worte hatten mich sehr erregt; meine Pulse klopften meine Stimme hallte laut durch den Raum. Hatte ich ihn ebenfalls erwärmt?

»Lies den Prozeß,« das war seine ganze Antwort.

Ich ergriff ihn beim Arm. In meiner Indignation und Verzweiflung schüttelte ich ihn mit meiner ganzen Kraft. Gott vergebe es mir, ich hätte ihn schlagen können für den Ton, in dem er zu mir gesprochen für den Blick, den er mir zugeworfen.

»Ich glaube Dir gesagt zu haben daß ich den Prozeß lesen werde,« sagte ich. »Ich werde ihn mit Dir zusammen lesen Zeile für Zeile. Ein nicht zu entschuldigender Irrthum wird vorgefallen sein. Zu Deinen Gunsten sprechende Umstände sind nicht aufgefunden worden. Das Zeugenverhör ist ein mangelhaftes gewesen. Zu Deinen Ungunsten sprechende Umstände wurden zu leicht genommen Eustace! In meiner Seele lebt die feste Ueberzeugung, daß von Dir oder von Anderen irgend ein schwer ins Gewicht fallendes Versehen begangen ist. Als ich das fatale Buch in die Hand bekam, war es mein erster Entschluß, das Verdict des Gerichtshofes zu corrigiren. Wir wollen das zusammen thun wir müssen es thun um unseretwillen, um unserer Kinder willen wenn wir mit ihnen gesegnet werden sollten O sieh mich nicht mit diesen kalten Augen an! Sprich nicht zu mir in diesem harten Ton!«

Ich hatte ihn noch immer nicht erwärmt. In seine nächsten Worte war ein wenig Mitleid gemischt, das war alles.

»Meine Vertheidigung wurde von den größten Juristen des Landes geführt,« sagte er. »Nachdem diese Männer vergebens ihre Schuldigkeit gethan meine liebe Valeria was bleibt uns da noch zu thun übrig? Wir können uns nur unterwerfen und dulden!«

»Niemals!« rief ich. »Die größten Rechtsgelehrten sind auch nur Sterbliche; die größten Rechtsgelehrten haben auch schon Irrthümer begangen, weshalb sollten sie es nicht jetzt gethan haben?«

»Lies den Prozeß.«

Zum dritten Mal sprach er die entsetzlichen Worte und keines mehr.

Verzweifelnd über das Mißlingen meiner Versuche, ihn zu rühren ihn von meiner grenzenlosen Liebe und Ergebenheit zu überzeugen, fielen meine Gedanken auf den letzten Bundesgenossen den Major Fitz-David. In der Aufregung, in der ich mich befand, nahm ich keine Rücksicht darauf, daß der Major ebenfalls schon einen Mißerfolg gehabt. Dem entsetzlichen Factum gegenüber setzte ich noch immer eine große Hoffnung in seinen alten Freund.

»Warte einen Augenblick auf mich,« sagte ich. »Ich will noch ein anderes Urtheil hören.«

Ich verließ ihn und begab mich in das andere Zimmer. Major Fitz-David war nicht anwesend. Ich klopfte an die Verbindungsthür mit dem Vordergemach. Sie wurde sofort vom Major selbst geöffnet. Der Arzt war bereits gegangen Benjamin noch da.

»Wollen Sie mit Eustace sprechen?« begann ich. Bevor ich noch etwas hinzufügen konnte, hörte ich die Hausthür öffnen und sich wieder schließen. Der Major und Benjamin hörten es ebenfalls und blickten einander schweigend an.

Ehe mich der Major daran verhindern konnte, rannte ich zu dem Zimmer, in welchem ich Eustace zurückgelassen Es war leer. Mein Gatte hatte das Haus verlassen.


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