Armadale
Drittes Kapitel.
Als die halbe Stunde verstrichen, stellte sich Mr. Bashwood pünktlich auf die Minute in Mr. Pedgift’s Expedition ein, wo er angab, daß er speciell von Mr. Pedgift herbeschieden sei.
Mit verdrossener Miene sah der Advocat von seinen Papieren auf, als ihm der alte Mann gemeldet wurde. Er hatte die Begegnung auf der Landstraße schon völlig vergessen. »Sieh nach, was er will«, sagte der ältere zum jüngeren Pedgift, welcher in demselben Zimmer arbeitete. »Und ist es nichts von Wichtigkeit, so verschiebe es bis zu einer andern Gelegenheit.«
Mit großer Geschwindigkeit verschwand Pedgift’s Sohn und kehrte mit ebenso großer Geschwindigkeit wieder zurück.
»Nun?« fragte der Vater.
»Nun«, antwortete der Sohn, »er ist womöglich noch wackliger und unzusammenhängender als gewöhnlich. Ich kann ihn durchaus nicht verstehen, außer daß er Dich durchaus sehen will. Meine Ansicht«, fuhr der jüngere Pedgift mit seinem spöttischen Ernste fort, »ist die, daß er daran ist, einen Anfall zu haben, und gern Dir seine Erkenntlichkeit für Deine vielfache Freundlichkeit gegen ihn ausdrücken möchte.«
Pedgift begegnete gewöhnlich allen Leuten, seinen Sohn nicht ausgenommen, mit ihren eigenen Waffen. »Erinnere Dich gefälligst, Augustus«, erwiderte er, »daß mein Bureau kein Gerichtssaal ist. Ein schlechter Witz wird hier nicht allemal durch schallendes Gelächter belohnt. Laß Mr. Bashwood hereinkommen.«
Mr. Bashwood ward hereingeführt, und Pedgift der jüngere zog sich zurück. »Du mußt ihm nicht zur Ader lassen, Vater«, flüsterte der unverbesserliche Spaßmacher, als er hinter seinem Vater vorbei aus dem Zimmer ging. »Heiße Flaschen unter die Füße und ein Senfpflaster auf den Magen, das ist die neueste Behandlung.«
»Setzen Sie sich, Bashwood«, sagte Pedgift der ältere, sobald sie allein waren. »Und vergessen Sie nicht, daß Zeit Geld ist. Heraus damit, was es auch sei, und zwar so schnell und mit so wenig Worten wie möglich.«
Diese kurz, doch keineswegs unfreundlich gesprochenen vorläufigen Ermahnungen dienten eher dazu, die peinliche Aufregung, an der Mr. Bashwood litt, zu erhöhen, als zu beruhigen. Er stammelte verlegener und ununterbrochener als gewöhnlich, während er seine kleine Dankesrede hielt und mit der Entschuldigung schloß, daß er seinen Gönner während der Geschäftsstunden gestört habe.
»Jeder hier im Orte weiß, wie kostbar Ihre Zeit ist, Mr. Pedgift, Sir. O mein Himmel, ja, das versteht sich, ja, höchst kostbar, höchst kostbar! Verzeihen Sie, Sir, ich fange schon an. Ihre Güte oder vielmehr Ihre Geschäftsthätigkeit, nein, Ihre Güte gewährte mir eine halbe Stunde Zeit, und ich habe das, was ich zu sagen habe, wohl überlegt und vorbereitet und kurz gefaßt.« Hier angelangt, schwieg er plötzlich mit einem leidenden, verlegenen Gesichte. Sorgfältig hatte er sich die Sache in seinem Gedächtnisse zurechtgelegt und war nun, da der Augenblick gekommen, zu verwirrt, um sie zu finden. Und dort, stumm harrend, saß Mr. Pedgift, dessen Gesicht und Wesen deutlich jenes Bewußtsein von dem Werthe seiner Zeit ausdrückten, mit dem jeder Patient, der einen großen Arzt, oder jeder Client, der einen bedeutenden Rechtsgelehrten consultirt, so wohl bekannt ist.
»Haben Sie die Neuigkeit gehört, Sir?« stammelte Bashwood, sich verzweifelt Bahn brechend und die in seinem Geiste vorherrschende Idee entschlüpfen lassend, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es die einzige Idee war, die er herausbringen konnte.
»Betrifft die Neuigkeit mich?« fragte Mr. Pedgift, mit unbarmherziger Kürze gerade aus die Sache losgehend.
»Sie betrifft eine Dame, Sir, nein, nicht eine Dame, ich sollte vielmehr sagen, einen jungen Mann, an dem Sie einst einiges Interesse nahmen. O Mr. Pedgift, was denken Sie wohl! Mr. Armadale und Miß Gwilt sind heute allein zusammen nach London gereist —— allein, Sir, allein in einem Coupe, das für sie beide reserviert worden war. Meinen Sie, daß er sie heirathen wird? Glauben Sie wirklich, was alle Welt sagt, daß er sie heirathen werde?«
Er that diese Frage mit plötzlich erglühendem Gesicht und plötzlich energischem Wesen. Obwohl er sich des Werthes, den die Zeit für den Advocaten hatte, und der Herablassung dieses letzteren bewußt war, wich doch dieses Gefühl sowohl als seine natürliche Schüchternheit und Aengstlichkeit der übermächtigen Begierde, Mr. Pedgift’s Antwort zu hören. Zum ersten Male in seinem Leben sprach er laut, als er diese Frage that.
»Nach meiner Erfahrung über Mr. Armadale«, sagte der Advocat mit augenblicklich härter werdendem Gesicht und Wesen, »halte ich ihn für verblendet genug, um Miß Gwilt ein Dutzendmal zu heirathen, wenn Miß Gwilt dies von ihm verlangte. Ihre Neuigkeit überrascht mich nicht im allergeringsten, Mr. Bashwood. Er thut mir leid. Ich kann dies in aller Aufrichtigkeit sagen, trotzdem daß er meinem Rathe geradezu entgegen gehandelt hat. Und ich fühle noch mehr«, fuhr er weicher fort, indem er seiner Unterredung mit Neelie unter den Bäumen des Parks gedachte, »für eine andere Person, die ich nicht nennen will. Aber was geht dies Alles Sie an, und was in aller Welt fehlt Ihnen?« sagte er, da er zum ersten Male den bodenlosen Jammer in Mr. Bashwood’s Wesen und die grenzenlose Verzweiflung in dessen Gesicht bemerkte, welche diese Antwort bewirkt hatte. »Sind Sie krank? Steckt etwa noch etwas Anderes dahinter, womit herauszukommen Sie sich fürchten? Ich verstehe es nicht. Sind Sie hierher gekommen, um mir während meiner Geschäftsstunden nichts weiter mitzutheilen, als daß der junge Armadale thöricht genug gewesen ist, auf Lebenszeit seine Aussichten zu ruinieren? Mein Gott, das habe ich Alles schon seit Wochen vorausgesehen, ja noch mehr, ich habe es ihm ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, als ich mich zum letzten Mal mit ihm in seinem Hause unterhielt.«
Bei diesen letzten Worten raffte Mr. Bashwood sich plötzlich zusammen. Die flüchtige Erwähnung des Herrnhauses brachte ihn in einer Secunde auf den Zweck, der ihn hergeführt hatte.
»Das ist’s, Sir!« sagte er eifrig. »Davon wollte ich eben mit Ihnen sprechen, das ist es, was ich mir überlegt habe. Mr. Pedgift, als Sie das letzte Mal im Herrnhause gewesen, da —— da holten Sie mich auf dem Heimwege in ihrem Gig ein.«
»Sehr wohl möglich«, sagte Mr. Pedgift resigniert. »Mein Pferd ist zufällig etwas flinker auf den Beinen als Sie, Bashwood. Nur weiter, nur weiter, mit der Zeit werden wir wohl zu dem kommen worauf Sie hinauswollen.«
»Sie hielten still, Sir, und sprachen mit mir«, fuhr Mr. Bashwood, sich immer schneller seinem Ziele nähernd, fort. »Sie sagten, Sie hätten mich im Verdachte einiger Neugierde wegen Miß Gwilt, und Sie sagten mir —— ich erinnere mich genau der Worte, Sir —— Sie sagten mir, ich solle auf jeden Fall meine Neugierde zu befriedigen suchen, Sie hätten durchaus nichts dagegen.«
Pedgift der ältere begann plötzlich aufmerksamer auszusehen.
»Ich erinnere mich, etwas der Art gesagt zu haben«, erwiderte er; »und außerdem erinnere ich mich, es ziemlich auffallend gefunden zu haben, daß Sie sich zufälligerweise, wir wollen uns nicht beleidigender ausdrücken, gerade unter Mr. Armadale’s offenem Fenster befanden, während ich mit ihm sprach. Natürlich konnte dies Zufall sein, aber es hatte mehr das Ansehen von Neugierde. Ich konnte nur nach dem Scheine urtheilen«, schloß Mr. Pedgift, seinen bitteren Hohn durch eine Prise Schnupftabak bekräftigend; »und der Schein war entschieden gegen Sie, Bashwood.«
»Ich leugne es nicht, Sir. Ich erwähnte des Umstandes nur, weil ich gestehen möchte, daß ich hinsichtlich Miß Gwilt neugierig war und bin.«
»Warum?« fragte Mr. Pedgift, der hinter Mr. Bashwood’s Gesicht und Wesen etwas erblickte, aber noch völlig im Dunkeln war, was dieses Etwas sein könne.
Eine kurze Pause trat ein. Dann suchte Mr. Bashwood seine Zuflucht in dem, worin ängstliche Leute, wenn sie um eine Antwort verlegen sind, ihre Zuflucht zu suchen pflegen. Er wiederholte einfach seine vorherige Bemerkung. »Ich fühle«, sagte er mit einer seltsamen Mischung von Trotz und Schüchternheit, »einige Neugierde in Bezug aus Miß Gwilt.«
Eine abermalige Pause erfolgte. Trotz seiner Schlauheit und Menschenkenntniß war Mr. Pedgift noch immer ebenso sehr im Dunkeln wie zuvor. Mr. Bashwood’s Fall enthielt das menschliche Räthsel, das er am wenigsten lösen konnte. Die Ideenverbindung von Liebe mit Gebrechlichkeit und grauem Haar bewirkt einmal in der ganzen Welt keinen andern Gedanken als den der äußersten Unwahrscheinlichkeit und Abgeschmacktheit. Hätte die gegenwärtige Unterhaltung, anstatt in Mr. Pedgift’s Geschäftszimmer, an dessen Mittagstafel stattgefunden, nachdem der Wein ihn für humoristische Eindrücke empfänglich gemacht, so würde er wohl die Wahrheit geahnt haben. Aber in seinen Geschäftsstunden pflegte Mr. Pedgift die Beweggründe der Leute nur vom ernsten geschäftlichen Gesichtspunkte aufzufassen, und deshalb war es ihm geradezu unmöglich, auf eine so erstaunliche Unwahrscheinlichkeit, eine so ungeheure Abgeschmacktheit zu verfallen, wie das Factum, daß Wir. Bashwood verliebt sei.
»Nun«, sprach Pedgift weiter, »nehmen wir an, Sie fühlen Neugierde hinsichtlich Miß Gwilt’s. Was dann?«
Mr. Bashwood’s Hände begannen unter dem Einflusse seiner Aufregung zu transpirieren, wie damals, als er Midwinter im Herrnhause die Geschichte seiner Leiden erzählt hatte. Er knetete sein Taschentuch wieder zu einem Balle zusammen und nahm diesen sachte von einer Hand tn die andere.
»Darf ich fragen, Sir«, begann er, »ob ich Recht habe, wenn ich annehme, daß Sie eine sehr ungünstige Meinung von Miß Gwilt hegen? Sie sind, wenn ich nicht irre, völlig überzeugt ——«
»Mein guter Bashwood«, unterbrach ihn Mr. Pedgift, »Warum sollten Sie hierüber noch irgend einen Zweifel haben? Sie befanden sich, während ich mit Mr. Armadale sprach, unter dessen Fenster, und ich nehme an, daß Sie sich nicht gerade die Ohren zuhielten.«
Mr. Bashwood nahm keine Notiz von der Unterbrechung. Der kleine Stich ging spurlos in dem edlem Schmerze der Wunde unter, die Miß Gwilt ihm geschlagen hatte.
»Wenn ich nicht irre, sind Sie völlig überzeugt, Sir«, wiederholte er, »daß im frühem Leben dieser Dame Dinge vorgekommen sind, die ihr, würden sie jetzt bekannt, im höchsten Grade nachtheilig werden dürften.«
»Das Fenster im Herrnhause war offen, Bashwood, und Sie hielten sich jedenfalls nicht gerade die Ohren zu.«
Mr. Bashwood blieb, unempfindlich gegen den Stich, noch immer hartnäckig bei derselben Frage.
»Wenn ich nicht sehr irre«, sagte er, »so hat Ihre langjährige Erfahrung in dergleichen Dingen sogar den Verdacht in Ihnen erweckt, daß Miß Gwilt vielleicht der Polizei nicht unbekannt sein dürfte.«
Mr. Pedgift verlor die Geduld. »Sie sind jetzt über zehn Minuten hier in diesem Zimmer«, sagte er ungeduldig, »können Sie mir mit deutlichen Worten sagen, was Sie wollen, oder ist das Ihnen unmöglich?«
Unter dem Einflusse der Leidenschaft, die ihn verwandelt, der Leidenschaft, die, wie Miß Gwilt sich ausgedrückt, einen Mann aus ihm gemacht hatte, entsprach Bashwood dieser Aufforderung endlich mit deutlichen Worten, indem er sich- wie ein gehetztes Schaf gegen den Hund, gegen den Advocaten wandte.
»Ich möchte sagen, Sir«, antwortete er, »daß Ihre Ansicht über diese Sache auch die meinige ist. Ich glaube, daß in Miß Gwilt’s Vergangenheit etwas nicht ist, wie es sein soll, etwas, das sie vor aller Welt geheim hält, und ich wünsche der Mann zu sein, der dies entdeckt.«
Mr. Pedgift ersah sich seine Gelegenheit und kam augenblicklich auf seine Frage zurück.
»Warum?« fragte er zum zweiten Male.
Mr. Bashwood zögerte abermals. Konnte er bekennen, daß er toll genug gewesen war, sich in sie zu verlieben, und schwach genug, ihr als Spion zu dienen? Konnte er sagen: »Sie hat mich von Anfang an hintergangen, und jetzt, da sie ihren Zweck erreicht, hat sie mich im Stich gelassen. Nachdem sie mir mein Glück und meine Ehre, ja meine letzte Lebenshoffnung geraubt, hat sie mich aus immer verlassen, und mir bleibt nichts übrig als das brennende Verlangen, das Verlangen eines Greises, das langsam und listig, aber stark und unerschütterlich Rache fordert, eine Rache, die ich haben werde, wenn ich ihr Glück dadurch vergiften kann, daß ich ihre Fehltritte vor die Oeffentlichkeit bringe, eine Rache, die ich mir mit dem letzten Heller meiner Ersparnisse, mit dem letzten Tropfen meines Blutes erkaufen will, denn was ist mir Gold oder Leben werth!« Konnte er dies zu dem Manne sagen, der hier vor ihm saß und auf seine Antwort wartete? Nein, er konnte es nur in sich ersticken und schweigen.
Das Gesicht des Advocaten begann wieder einen harten Ausdruck anzunehmen.
»Einer von uns muß mit der Sprache heraus«, sagte er; »und da Sie es offenbar nicht wollen, so will ich’s thun. Ich kann mir diese Ihre außerordentliche Begierde, hinter Miß Gwilt’s Geheimnisse zu kommen, nur auf zweierlei Art erklären. Ihr Beweggrund ist entweder ein unbeschreiblich niedriger, ohne alle Beleidigung sei’s gesagt, Bashwood, ich setze nur den Fall, oder ein höchst edler. Nach meiner Kenntniß Ihres Charakters und nach Ihrer lobenswerthen Ausführung ist es nicht mehr als billig, wenn ich Sie sofort von dem niedrigen Beweggrunde freispreche. Ich halte Sie für ebenso unfähig, wie ich es selbst bin —— mehr kann ich unmöglich sagen —— die Entdeckungen, die Sie in Miß Gwilt’s Vergangenheit zu ihrem Nachtheile machen dürften, zu eigennützigen Zwecken zu heutigen. Soll ich noch weiter fortfahren, oder werden Sie es jetzt vorziehen, sich offen gegen mich auszusprechen?«
»Ich möchte Sie lieber nicht unterbrechen, Sir«, sagte Mr. Bashwood.
»Wie Sie wollen«, fuhr Mr. Pedgift fort. »Da ich Sie von dem niedrigen Beweggründe freigesprochen, komme ich zunächst auf den edlen. Möglich daß Sie ein ungewöhnlich dankbarer Mensch sind, und es unterliegt keinem Zweifel, daß Mr. Armadale ganz außerordentlich gütig gegen Sie gewesen ist. Nachdem er Sie unter Mr. Midwinter im Administrationsbureau angestellt, hat er Ihnen, als ihn sein Freund verlassen, ein hinlängliches Vertrauen auf Ihre Rechtlichkeit und Fähigkeit bewiesen, dadurch daß er seine Angelegenheit gänzlich und rückhaltlos in Ihre Hände gab. Meinen Erfahrungen nach liegt es nicht in der menschlichen Natur, ist aber dessen ungeachtet nicht unmöglich, daß Sie sich dieses Vertrauens so dankbar bewußt sind und ein so dankbares Interesse an dem Wohlergehen Ihres Brodherrn nehmen, daß Sie ihn in seiner gegenwärtigen freundlosen Lage nicht geradezu in seine Schande und sein Verderben rennen sehen können, ohne zu versuchen, ihn zu retten. Um mich kurz zu fassen, glauben ;Sie, daß Mr. Armadale, wenn er von Miß Gwilt’s wahrem Charakter unterrichtet würde, verhindert werden könnte, sie zu heirathen? Und möchten Sie der Mann sein, der ihm die Augen öffnet? Ist dies Fall ——«
Er hielt erstaunt in seiner Rede inne. Mr. Bashwood war, einem unbezwinglichen Impulse weichend, plötzlich aufgesprungen. Nach Athem ringend und mit beiden Händen flehentlich gestikulierend stand er vor dem Advocaten, und auf seinem verwelkten alten Gesicht strahlte ein eigenthümliches Licht, sodaß er wenigstens zwanzig Jahre jünger aussah.
»Sagen Sie’s noch einmal, Sir!« sagte er eifrig, nach Athem ringend, ehe; Mr. Pedgift sich noch von seinem Erstaunen erholt hatte. »Die Frage hinsichtlich Mr. Armadale’s, Sir! Nur noch einmal, Mr. Pedgift, bitte!«
Mr. Pedgift bedeutete ihn, scharf und argwöhnisch Bashwood’s Gesicht fixierend, sich wieder zu setzen, und wiederholte dann die Frage.
»Ob ich glaube«, sagte Mr. Bashwood, den Sinn, doch nicht die Worte derselben wiederholend, »daß Mr. Armadale von Miß Gwilt geschieden werden könnte, wenn sie ihm gezeigt würde, wie sie wirklich ist? Ja, Sir! Und ob ich der Mann sein möchte, der dies thut? Ja, Sir! Ja, Sir! Ja, Sir!«
»Einigermaßen seltsam«, bemerkte der Advocat, indem er ihn immer mißtrauischer anblickte, »daß Sie in eine so gewaltige Aufregung gerathen, blos weil ich zufällig das Rechte getroffen habe.«
Mr. Pedgift ließ sich wenig träumen, wie er mit seiner Frage das Rechte getroffen hatte. Sie befreite Mr. Bashwood’s Gemüth augenblicklich von dem Drucke des einen vorherrschenden Rachegedankens und hatte ihm in der Entdeckung von Miß Gwilt’s Geheimnissen ein Ziel gezeigt, an das er in diesem Augenblicke noch nicht gedacht hatte. Die Heirath, die ihm als unvermeidlich erschienen, konnte noch verhindert werden, nicht etwa in Allan’s Interesse, sondern in seinem eigenen, und das Weib, das er verloren zu haben geglaubt, konnte trotz aller entgegenstehenden Umstände noch gewonnen werden! Sein Gehirn wirbelte, als er daran dachte. Seine Entschlossenheit erschreckte ihn fast durch den fürchterlichen Abstand zwischen ihr und all seinen früheren Gewohnheiten und dem ganzen Verhalten während seines bisherigen Lebens.
Da seine letzte Bemerkung unbeantwortet blieb, überlegte Mr. Pedgift ein wenig, ehe er weiter sprach.
»Eins ist klar«, dachte der Advocat »Sein wahrer Beweggrund in dieser Angelegenheit ist der Art, daß er sich scheut, ihn zu verrathen. Meine Frage gab ihm offenbar eine Gelegenheit, mich irre zu leiten, und er benutzte diese augenblicklich. Das genügt mir. Wäre ich Mr. Armadale’s Anwalt, so dürfte es sich vielleicht der Mühe verlohnen, das Geheimniß zu ergründen. So aber hat es durchaus kein Interesse für mich, den Mann von einer Lüge zur andern zu hetzen, bis ich ihn endlich fange. Mich geht die Sache nichts an, ich werde ihm überlassen, in seiner eigenen weitschweifigen Weise seinen Zweck zu erreichen.«
Zu diesem Schlusse gelangt, schob Mr. Pedgift seinen Sessel zurück und stand rasch auf, um der Unterredung ein Ende zu machen.
»Erschrecken Sie nicht, Bashwood«, begann er. »Der Gegenstand unserer Unterhaltung ist. soweit er mich betrifft, erschöpft. Ich habe nur noch ein paar Worte hinzuzufügen, und wie Sie wissen, ist es meine Gewohnheit, meine letzten Worte stehend zu sprechen. Worüber ich auch sonst im Unklaren sein mag, eine Entdeckung habe ich jedenfalls gemacht. Ich bin endlich dahinter gekommen, was Sie eigentlich von mir wollen. Sie wollen, daß ich Ihnen helfe.«
»Wenn Sie die außerordentlich große Güte haben wollten, Sir?« stammelte Bashwood »Wenn Sie mir den großen Vortheil Ihrer Ansicht und Ihres Rathes ——«
»Warten Sie ein wenig, Bashwood. Wir wollen diese beiden Dinge von einander sondern, wenn’s beliebt. Ein Advocat darf ebenso gut wie jeder Andere eine Meinung aussprechen, aber wenn’s zum Rathen kommt, Sir, so wird die Geschichte zu einer Geschäftssache! Meine Ansicht von der Angelegenheit steht Ihnen gern zu Diensten; ich habe sie Niemand verhehlt. Ich glaube, daß in Miß Gwilt’s Carriere Dinge vorgekommen sind, die, wenn sie aufgedeckt werden könnten, selbst Mr. Armadale, trotz seiner Verblendung, von der bewußten Verbindung zurückschrecken dürften, vorausgesetzt, daß er sie wirklich heirathen will. Was aber die Mittel und Wege betrifft, um die Flecken auf dem Charakter dieses Frauenzimmers mit der Zeit ans Tageslicht zu bringen —— wenn es ihr beliebt, kann sie vermittelst eines Dispensscheines in vierzehn Tagen verheirathet sein so ist dies ein Theil der Frage, auf den ich entschieden nicht eingehen kann. Das hieße als Rechtsanwalt reden und Ihnen meinen amtlichen Rath geben, was ich zu thun geradezu ablehne.«
»O Sir, sagen Sie das nicht!« flehte Mr. Bashwood. »Versagen Sie mir nicht die große Gunst, den unschätzbaren Vortheil Ihres Rathes! Ich habe einen so schwachen Kopf, Mr. Pedgift! Ich bin so alt und so langsam, Sir, und ich werde so unsicher und verwirrt, wenn ich aus meiner gewohnten Weise herausgeworfen werde. Es ist sehr natürlich, daß Sie ein wenig ungeduldig sind, weil ich Ihre Zeit in Anspruch nehme; ich weiß, daß Zeit Geld ist für einen gescheidten Mann, wie Sie. Wollen Sie mir verzeihen, bitte, wollen Sie mir verzeihen, wenn ich zu erwähnen wage, daß ich eine Kleinigkeit, ein paar Pfund erspart habe, Sir, und da ich ganz allein in der Welt stehe und für Niemand als mich selbst zu sorgen habe, darf ich dies Geld doch gewiß ausgeben, wie mir’s beliebt?«
Gegen Alles blind, nur von dem Verlangen beseelt, Mr. Pedgift zu gewinnen, zog er ein schmutziges, zerrissenes kleines Taschenbuch hervor und suchte es mit zitternden Händen auf dem Arbeitstische des Advoeaten zu öffnen.
»Stecken Sie augenblicklich ihr Taschenbuch wieder ein«, sagte Mr. Pedgift. »Reichere Leute als Sie haben dieses Argument bei mir versucht und die Entdeckung gemacht, daß es nicht blos auf der Bühne Advocaten gibt, die sich nicht bestechen lassen. Unter den obwaltenden Umständen will ich nichts mit der Sache zu thun haben. Wollen Sie wissen warum, so lassen Sie sich sagen, daß ich an dem Tage, wo ich Mr. Armadale’s Rechtsanwalt zu sein aufhörte, alles geschäftliche Interesse für Miß Gwilt verlor. Außerdem könnte ich noch andere Gründe haben, die zu erwähnen ich nicht für nothwendig erachte. Der bereits angeführte Grund ist völlig ausreichend. Gehen Sie nach eigenem Ermessen zu Werke und laden Sie die Verantwortung auf Ihre eigenen Schultern. Vielleicht dürfen Sie sich innerhalb des Bereichs von Miß Gwilts Krallen wagen, ohne zerkratzt zu werden. Die Zeit wird’s lehren. Inzwischen wünsche ich Ihnen einen guten Morgen und gestehe zu meiner Schande, daß ich bis auf den heutigen Tag keine Ahnung davon hatte, welch ein Held Sie seien.«
Diesmal fühlte Mr. Bashwood den Stich. Ohne noch ein Wort der Gegenvorstellung oder der Bitte hinzuzufügen, ohne selbst nur den Gruß zu erwidern, ging er zur Thür, öffnete dieselbe leise und schritt hinaus.
Sein Gesichtsausdruck beim Hinausgehen und seine plötzliche Stille gingen nicht unbemerkt an Mr. Pedgift vorüber. »Bashwood wird ein schlechtes Ende nehmen«, sagte der Advocat, seine Papiere zurechtlegend und völlig unerschüttert zu seiner unterbrochenen Beschäftigung zurückkehrend.
Die Veränderung in Mr. Bashwood’s Gesicht und Wesens, in denen sich jetzt etwas Trotziges und Zuversichtliches verrieth, war so sehr seinem Charakter zuwider, daß sie sogar die Aufmerksamkeit des jüngeren Pedgift und der Schreiber erregte, als er durch das äußere Expeditionszimmer hinausging. Gewohnt, den alten Mann zur Zielscheibe ihrer Scherze zu machen, faßten sie die auffallende Veränderung in ihm mit lauter Heiterkeit vom komischen Gesichtspunkte auf. Völlig taub gegen die unbarmherzigen Neckereien, mit denen er von allen Seiten bestürmt wurde, blieb Bashwood vor dem jungen Pedgift stehen und sagte, ihm aufmerksam ins Gesicht blickend, ruhig zerstreut, wie ein laut Denkenden »Ob Sie mir wohl helfen würden?«
»Eröffnen Sie augenblicklich ein Conto auf Mr. Bashwood’s Namen«, sagte der jüngere Pedgift zu den Schreibern. »Geben. Sie Mr. Bashwood einen Sessel und einen Schemel daneben, für den Fall, daß er desselben bedürfte. Reichen Sie mir ein Buch extra feinen Briefpapiers und ein Gros Federn, damit ich mir Notizen über Mr. Bashwood’s Angelegenheit machen kann, und unterrichten Sie augenblicklich meinen Vater, daß ich von ihm abgehe und mich, auf Mr. Bashwood’s Gönnerschaft hin, auf eigene Hand etabliere. Nehmen Sie Platz, Sir, bitte, nehmen Sie Platz und machen Sie Ihren Gefühlen Luft.«
Mr. Bashwood wartete, noch immer gegen die Neckereien taub, deren Gegenstand er war, bis Pedgift der jüngere zu Ende war, und wandte sich dann ruhig ab.
»Ich hätte es besser wissen sollen«, sagte er mit demselben zerstreuten Wesen wie zuvor. »Er ist der echte Sohn seines Vaters; noch auf meinem Sterbebette würde er seinen Scherz mit mir treiben.« Einen Augenblick blieb er an der Thür stehen, glättete mit der Hand mechanisch seinen Hut und ging dann auf die Straße hinaus.
Der helle Sonnenschein blendete ihn, die vorüber kommenden Fuhrwerke und Fußgänger erschreckten und verwirrten ihn. Er drückte sich in eine Nebengasse und bedeckte die Augen mit der Hand.
»Besser wird es sein, ich gehe nach Hause«, dachte er, »wo ich mich einschließen und mir die Sache ungestört überlegen kann.«
Seine Wohnung befand sich in einem kleinen Häuschen im ärmlichsten Theile der Stadt. Das eine kleine Zimmer, welches er bewohnte, mahnte ihn überall, wohin er sich wandte, aufs grausamste an Miß Gwilt. Auf dem Kaminsimse standen die Blumen, die sie ihm bei verschiedenen Gelegenheiten gegeben, alle längst verwelkt, aber sorgfältig in einer kleinen porzellanenen Vase unter einer Glasglocke aufbewahrt. An der Wand hing ein jämmerliches buntes Gemälde von einer Dame, das er sauber hatte einrahmen lassen, weil etwas in dem Gesichte ihn an sie erinnerte. In seinem plumpen alten Mahagonischreibpulte lagen die wenigen kurzen und gebieterischen Briefe, die sie ihm damals geschrieben, als er ihr zu Liebe in Thorpe-Ambrose das niedrige Amt eines Spähers übernommen hatte. Und als er, diesen Gegenständen den Rücken wendend, sich müde aus sein altes Schlafsopha niedersetzte, hing dort über das eine Ende desselben das prachtvolle Halstuch von blauem Atlas, welches er gekauft, weil sie ihm gesagt hatte, sie liebe bunte Farben, und das er noch nie sich zu tragen getraut, obgleich er es einen Morgen wie den andern zu diesem Zwecke herausgenommen hatte. Wiewohl von Natur ruhig in seinen Handlungen und in seinen Ausdrücken gemäßigt, ergriff er doch jetzt diese Cravatte, als ob sie ein lebendes, mit Gefühl begabtes Wesen sei, und schleuderte sie mit einem Fluche in eine Ecke des Zimmers.
Die Zeit verging, und obschon sein Entschluß, sich zwischen Miß Gwilt und ihre Heirath zu stellen, noch so fest stand wie vorher, war er doch nach wie vor noch immer ebenso weit von den Mitteln entfernt, diesen seinen Zweck zu erreichen. Je mehr er darüber nachsann, um so dunkler lag die Zukunft vor ihm.
Er stand wieder auf, noch ebenso müde, wie er sich niedergesetzt hatte, und ging an seinen Schrank. »Ich fühle mich fiebernd und durstig«, sagte er; »eine Tasse Thee kann mir vielleicht gut thun!« Er öffnete die Theebüchse und maß seine kleine Portion weniger sorgfältig als gewöhnlich ab. »Selbst meine eigenen Hände versagen mir heute den Gehorsam!« dachte er, indem er die wenigen Theeblättchen zusammenstrich die er verschüttet hatte, und vorsichtig wieder in die Büchse that.
Bei dem schönen Sommerwetter brannte im Hause nur ein Feuer, das in der Küche. Er ging daher mit dem Theetopfe in der Hand hinunter, um kochendes Wasser aufzugießen.
Blos die Hauswirthin war in der Küche Sie war eine von jenen Frauen, deren Pfad durchs Leben ein Dornenpfad ist und die, sowie sich nur eine Gelegenheit dazu darbietet, ein trübseliges Vergnügen daran finden, die Füße ihrer irdischen Mitpilger ebenso zerkratzt und blutend wie die ihrigen zu erblicken. Ihr einziges Laster war geringerer Art, es war das der Neugier, und zu den vielen Tugenden, die demselben das Gegengewicht hielten, gehörte die einer großen Achtung für Mr. Bashwood, als einen Miethsmann, der regelmäßig seine Miethe zahlte und dessen Benehmen vom Anfang bis zum Ende des Jahres das eines gesetzten und höflichen Mannes blieb.
»Was belieben Sie zu wünschen, Sir?« fragte die Wirthin. »Kochendes Wasser, nicht wahr? Ist es Ihnen jemals vorgekommen, Mr. Bashwood, daß das Wasser gekocht hat, wenn Sie desselben bedurften? Haben Sie je ein widerspenstigeres Feuer gesehen als dies hier? Ich will ein paar Holzstücke unterlegen, wenn Sie ein Weilchen warten wollen. Du meine Güte, ich hoffe, Sie werden mir die Bemerkung verzeihen, Sir, aber Sie sehen heute außerordentlich elend aus!«
Der Druck auf Mr. Bashwood’s Gemüth begann auf ihn zu wirken. Die Hilflosigkeit, die sich auf dem Bahnhofe an ihm bemerkbar gemacht, verrieth sich abermals in seinem Gesicht und seinem Wesen, als er den Theetopf auf den Küchentisch stellte und sich niedersetzte.
»Ich habe Sorgen, Madame«, sagte er ruhig« »und finde, daß sich dieselben, je älter man wird, immer schwerer ertragen lassen.«
»Ah, das dürfen Sie wohl sagen!« stöhnte die Wirthin. »Ich halte mich gern für den Todtengräber bereit, Mr. Bashwood, wenn meine Zeit kommt. Sie leben zu einsam, Sir. Wenn man in Noth ist, so hilft es immer ein wenig, obgleich nicht viel, wenn man einen Theil derselben einem Andern zuschieben kann. Wäre nur Ihre liebe Frau jetzt noch am Leben, Sir, würde sie nicht ein großer Trost für Sie gewesen sein?«
Ein Ausdruck von Schmerz glitt über Mr. Bashwood’s Gesicht. Ohne es zu wissen, hatte ihn die Wirthin an die Leiden seines ehelichen Lebens erinnert. Längst hatte er ihre Neugier über seine Familienangelegenheiten befriedigen und ihr sagen müssen, daß er ein Wittwer wäre und daß seine häuslichen Verhältnisse keine glücklichen gewesen seien, weiter aber hatte er ihr keinen Zutritt zu seinem Vertrauen gestattet. Die traurige Geschichte, welche er Midwinter von seiner trunksüchtigen Frau erzählt, die ihr jämmerliches Leben in einem Irrenhause beschlossen, hatte er sich gescheut, dem geschwätzigen Weibe mitzutheilen, das sie unfehlbar jedem Inwohner des Hauses anvertraut haben würde.
»Wenn mein Mann traurig ist, Sir«, fuhr die Wirthin, das Sieden des Kessels beaufsichtigend, fort, »so sage ich ihm stets: »Was würdest Du jetzt wohl ohne mich angefangen haben, Sam?« Und wenn er dann nicht eben schlechter Laune ist —— es wird gleich kochen, Mr. Bashwood —— so antwortet er: »Elisabeth, ich wüßte nicht, was ich anfangen sollte? Wenn er sich aber von seiner üblen Laune fortreißen läßt, sagt er: »Ich würde es mit den Schnapsläden versuchen, Frau, und ich will es jetzt sogleich versuchen.« O, ich habe auch meine Noth! Einen Mann mit erwachsenen Söhnen und Töchtern, der in den Schenken umherliegt! Ich entsinne mich nicht, Mr. Bashwood, ob Sie jemals Söhne und Töchter hatten, und doch ist mir’s seht, wie ich daran denke, als ob Sie gesagt, Sie hätten welche. Töchter, nicht wahr, Sir? Und du mein Himmel, ja, ja, versteht sich, alle todt!«
»Ich hatte eine Tochter, Madame«, sagte Mr. Bashwood geduldig, »nur eine, und sie starb, ehe sie ein Jahr alt war.«
»Nur eine einzige!« wiederholte die Wirthin theilnehmend. »Es wird jetzt gleich kochen, Sir; geben Sie mir den Theetopf. Nur eine! Ah, es ist um so bitterer, wenn’s ein einzig Kind ist, nicht wahr? Sie sagten, es sei ein einziges Kind gewesen, wenn ich nicht irre, nicht wahr, Sir?«
Mr. Bashwood sah die Frau einen Augenblick mit leeren Blicken an, ehe er einen Versuch machte, ihr zu antworten. Hatte sie vorher ahnungslos die Erinnerung an das Weib, das ihn entehrt, in ihm wachgerufen, so that sie jetzt dasselbe mit der Erinnerung an den Sohn, der ihn zu Grunde gerichtet und im Stiche gelassen hatte. Zum ersten Male seit jener Unterhaltung im Herrnhause in welcher er Midwinter seine Geschichte erzählt hatte, dachte er an die bitteren Enttäuschungen und Leiden der Vergangenheit. Er gedachte jener Zeit, wo er für seinen Sohn gut gesagt und die Unehrlichkeit dieses Sohnes ihn gezwungen hatte, Alles zu verkaufen, was er besaß, um seiner Bürgschaft ledig zu werden.
»Ich habe einen Sohn, Madame«, sagte er, sich bewußt werdend. daß die Wirthin ihn mit stummem und traurigem Erstaunen ansah. »Ich habe mein Möglichstes gethan, ihm in der Welt fortzuhelfen, aber er hat sich sehr schlecht gegen mich benommen.«
»Was Sie sagen!« erwiderte die Wirthin mit der Miene der größten Theilnahme. »Benahm sich schlecht gegen Sie, brach Ihnen fast das Herz, nicht wahr? Ah, früher oder später wird’s ihm kommen. Fürchten Sie nichts! Du sollst Vater und Mutter ehren, war nicht um nichts und wieder nichts auf Moses Steintafeln geschrieben, Mr. Bashwood. Wo mag er wohl sein, und was treibt er jetzt, Sir?«
Die Frage war fast dieselbe, die Midwinter an ihn gerichtet, als ihm die Geschichte erzählt worden war, und Mr. Bashwood beantwortete sie fast mit denselben Worten wie damals.
»Mein Sohn ist in London, Madame, soviel ich weiß. Als ich zuletzt von ihm hörte, war er in nicht sehr ehrenvoller Weise beschäftigt, bei dem geheimen Nachfragecomptoir ——«
Bei diesen Worten hielt er plötzlich inne. Sein Gesicht erglühte, seine Augen leuchteten; er schob die Tasse von sich, die so eben für ihn gefüllt worden, und stand auf. Die Wirthin trat einen Schritt zurück. Im Gesichte ihres Miethsmannes lag etwas, was sie nie zuvor darin gesehen hatte.
»Ich hoffe, daß ich Sie nicht beleidigt habe, Sir«, sagte die Frau, ihre Fassung wiederfindend und mit einer Miene, als ob sie selbst auf den leisesten Wink bereit sei, sich beleidigt zu fühlen.
»Ganz im Gegentheil, Madame, ganz im Gegentheilt« erwiderte er mit eigenthümlicher Hast. »Ich habe so eben an etwas gedacht, etwas sehr Wichtiges. Ich muß hinaufgehen, ich habe einen Brief, ja, einen Brief zu schreiben. Ich werde dann wieder herunterkommen, um meinen Thee zu trinken, Madame. Verzeihen Sie, Madame, ich bin Ihnen sehr verbunden, Sie sind stets sehr gütig gegen mich gewesen, für jetzt will ich mich von Ihnen verabschieden, wenn Sie’s erlauben.« Und zum größten Erstaunen der Wirthin drückte er ihr herzlich die Hand und eilte zur Thür hinaus, Thee und Theetopf ihrem Schicksal überlassend.
Auf seinem Zimmer angelangt, schloß er sich dort ein. Eine kleine Weile blieb er, sich an dem Kaminsimse festhaltend, stehen, bis er wieder zu Athem kam. Sobald er sich wieder rühren konnte, öffnete er das auf dem Tische stehende Schreibpult. »So diel scher’ ich mich um Euch, Mr. Pedgift und Sohn!« sagte er, mit den Fingern ein Schnippchen schlagend. »Ich habe auch einen Sohn.«
An der Thür ließ sich ein Klopfen hören, ein leises, rücksichtsvolles, vertrauliches Klopfen. Die besorgte Wirthin wollte wissen, ob Mr. Bashwood krank sei, und drückte zum zweiten Male ihre ernstliche Hoffnung aus, daß sie ihn nicht beleidigt habe.
»Nein, nein!« rief er ihr durch die geschlossene Thür zu. »Ich befinde mich ganz wohl, ich schreibe, Madame, ich schreibe; bitte, entschuldigen Sie mich. Sie ist eine gute Frau, sie ist eine vortreffliche Frau«, dachte er, als die Wirthin sich wieder entfernt hatte. »Ich will ihr ein kleines Geschenk machen. Ich fühle mich so verstört, daß ich ohne sie nimmer daran gedacht haben würde. Ach wenn nur mein Sohn noch auf jenem Comptoir ist! Ach wenn ich ihm nur einen Brief schreiben kann, der sein Mitleid für mich erweckt!«
Er ergriff die Feder und saß lange ängstlich nachsinnend da, ehe er sie zum Schreiben ansetzte Langsam und unter vielen Pausen zu wiederholtem Nachsinnen und mit mehr als gewohnter Sorgfalt, seine Schrift klar und leserlich zu machen, schrieb er dann folgende Zeilen:
»Mein lieber James! Wie ich fürchte, wirst Du erstaunt sein, meine Handschrift zusehen. Bitte, denke nicht, daß ich Dich um Geld bitten oder Dir Vorwürfe machen will, daß Du mich um Haus und Hof gebracht hast, als ich meine Bürgschaft für Dich einlösen mußte. Ich bin bereit und willig, das Geschehene zu verzeihen und Vergangenes zu vergessen.
Wenn Du noch bei dem geheimen Nachfragecomptoir angestellt bist, liegt es in Deiner Macht, mir einen großen Dienst zu leisten. Ich bin in großer Sorge und Unruhe um eine Person, an der ich Interesse nehme. Es ist dies eine Dame. Bitte, spotte nicht, daß ich dies bekenne, wenn Du irgend umhin kannst. Hättest Du eine Vorstellung von dem, was ich leide, so würdest Du gewiß mich eher bemitleiden als verspotten.
Ich würde mich auf Einzelheiten einlassen, doch ich kenne Deine Ungeduld und fürchte sie zu erregen. Vielleicht wird es genügen, wenn ich sage, ich habe Grund zu glauben, daß die Vergangenheit der Dame keine sehr ehrenvolle gewesen ist, und daß ich ein großes, ein unbeschreiblich großes Interesse daran nehme, zu erfahren, welcher Art ihre Lebensweise in Wirklichkeit gewesen, daß ich auch diese Aufklärung innerhalb vierzehn Tagen zu erlangen wünsche.
Obgleich mir von der Geschäftspraxis in einem Comptoir wie dem Deinigen wenig oder nichts bekannt ist, kann ich doch leicht begreifen, daß ohne die gegenwärtige Adresse der Dame nichts auszurichten ist. Leider ist mir dieselbe noch nicht bekannt. Ich weiß nur, daß sie heute in Begleitung eines Herrn nach der Hauptstadt gereist ist, in dessen Diensten ich stehe und der, wie ich vermuthe, ehe noch viele Tage vergehen, um Geld an mich schreiben wird.
Ist dieser Umstand von einer Beschaffenheit, uns nützen zu können? Ich wage mich des Wortes »uns« zu bedienen, weil ich bereits aus Deinen freundlichen Rath und Beistand rechne, mein lieber Sohn. Laß Dich durch etwaige Kosten nicht abschrecken, ich habe ein Weniges erspart und das soll Dir ganz zur Verfügung stehen. Bitte, schreibe mir mit umgehender Post! Wenn Du nur Dein Möglichstes thun willst, um der fürchterlichen, Ungewißheit ein Ziel zu setzen, die mich jetzt quält, so wirst Du dadurch all den Kummer wieder gut machen, den Du mir in der Vergangenheit verursacht hast, und außerdem zu ewigem Danke verpflichten
Deinen Dich liebenden Vater
Felix Bashwood.«
Nach einer kleinen Pause, während welcher er sich die Augen getrocknet, fügte Mr. Bashwood seine Adresse und das Datum hinzu und adressirte den Brief an seinen Sohn auf dem »Geheimen Nachfragecomptoir, Shadyside-Place, London«. Darauf machte er sich sofort auf, den Brief selbst auf die Post zu tragen. Es war dies am Montag, und wurde die Antwort umgehend gesandt, so mußte sie am Mittwoch Morgen eintreffen.
Den dazwischenliegenden Tag, den Dienstag, brachte Mr Bashwood in seiner Expedition im Herrnhause zu. Er hatte einen doppelten Beweggrund, sich so sehr als möglich in die mannichfachen Beschäftigungen zu vertiefen, die mit der Gutsverwaltung in Verbindung standen. Erstens half unausgesetzte Beschäftigung ihm die verzehrende Ungeduld zügeln, mit der er dem folgenden Tage entgegensah, und zweitens würde er, je mehr er in den Verwaltungsgeschäften vorarbeitete, um so ungehinderter seinen Sohn in London aufsuchen können, ohne durch offene Vernachlässigung der ihm anvertrauten Interessen Verdacht auf sich zu lenken.
Am Dienstag, gegen Nachmittag, fanden unbestimmte Gerüchte daß sich im Parkhäuschen etwas ereignet habe, durch Major Milroy’s Leute den Weg zur Dienerschaft des Herrnhauses und suchten vermittelst dieses letzteren Kanals Mr. Bashwood’s Aufmerksamkeit zu erregen, die jedoch unerschütterlich auf andere Dinge gerichtet blieb. Der Major und Miß Neelie waren, so hieß es, zu geheimnißvoller Besprechung mit einander eingeschlossen gewesen, und Miß Neelie’s Gesicht hatte am Schlusse der Unterredung deutliche Spuren von Thränen gezeugt. Dies hatte sich am Montag Nachmittag begeben und am folgenden Tage, dem gegenwärtigen Dienstage, hatte der Major den ganzen Haushalt durch die kurze Ankündigung in Erstaunen gesetzt, daß seine Tochter der Seeluft bedürfe und er selbst sie mit dem nächsten Zuge nach Lowestoft zu begleiten gedenke. Sie waren zusammen abgereist, beide sehr ernst und schweigsam, dem Anscheine nach aber nichtsdestoweniger im besten Vernehmen mit einander. Die Meinung im Herrnhause schrieb diese häusliche Umwälzung den Gerüchten zu, die über Allan und Miß Gwilt im Umlauf waren. Das Publikum im Parkhäuschen verwarf aber diese Lösung des Geheimnisses aus praktischen Gründen. Miß Neelie war vom Montag Nachmittag bis zum Dienstag Morgen, wo ihr Vater mit ihr abreiste, allein in ihrem Zimmer eingeschlossen geblieben. Während dieser Zeit war der Major nicht aus dem Hause gegangen und hatte Niemand gesprochen. Und Mrs. Milroy hatte, sowie ihre neue Wärterin den Versuch gemacht, ihr den neuesten Stadtskandal mitzutheilen, bei der ersten Nennung von Miß Gwilt’s Namen der Dienerin die Lippen geschlossen, indem sie einen ihrer fürchterlichen Wuthanfälle bekommen hatte. Natürlich mußte etwas, vorgefallen sein, das Major Milroy veranlaßt, so plötzlich mit seiner Tochter abzureisen, aber dieses Etwas war sicherlich nicht Mr. Armadale’s empörendes Durchgehen mit Miß Gwilt.
Der Nachmittag verging, der Abend verging, und es geschah weiter nichts als das Familienereignis im Parkhäuschen. Nichts fiel vor, denn nach der Natur der Dinge konnte gar nichts der Art vorfallen, was die Täuschung auf die Miß Gwilt gerechnet hatte, die Täuschung, die jetzt ganz Thorpe-Ambrose mit Mr. Bashwood theilte, daß sie nämlich als Allan’s künftige Gattin heimlich mit Allan nach London gereist sei, hätte beseitigen können.
Am Mittwoch früh, als der Briefträger in die Straße einbog, in der Mr. Bashwood wohnte, begegnete er diesem selbst, der in seiner Begierde zu erfahren, ob ein Brief für ihn da sei, ohne seinen Hut aus dem Hause gekommen war. In der That war ein Brief für ihn da, der Brief, den er von seinem landstreicherischen Sohne ersehnt hatte.
Der jüngere Bashwood beantwortete seines Vaters Flehen um Hilfe, nachdem er zuvor seinen Vater lebenslänglich zu Grunde gerichtet hatte, in folgenden Ausdrücken:
»Shadyside-Place,
Dienstag den 29. Juli.
Mein lieber Alter! Wir haben auf unserm Comptoir einige Praxis in Geheimnissen, allein das Geheimniß Deines Briefes geht ganz über meine Begriffe. Speculirst Du etwa auf die interessanten verborgenen Schwächen eines reizenden Weibes? Oder gedenkst Du, nach Deinen ehelichen Erfahrungen, wirklich in Deinen Jahren noch daran, mich mit einer Stiefmutter zu beschenken? Was es auch sei, ich gebe Dir mein Wort, daß Dein Brief mich interessiert.
Ich scherze nicht, obwohl es nicht leicht ist, der Versuchung dazu zu widerstehen. Im Gegentheil, ich habe Dir bereits eine Viertelstunde meiner kostbaren Zeit geopfert. Der Ort, von dem Du Deinen Brief datierst, schien mir bekannt. Ich sah in unserm Memorandumbuche nach und fand, daß ich vor nicht langer Zeit nach Thorpe-Ambrose gesandt worden war, um heimliche Nachforschungen anzustellen. Meine Auftraggeberin war eine lebhafte alte Dame, die zu pfiffig war, um uns ihren richtigen Namen und Wohnort anzugeben. Wie sich’s von selbst verstand, machten wir uns unverzüglich ans Werk und erfuhren richtig, wer sie war. Sie heißt Mr. Oldershaw, und gedenkst Du sie zu meiner Stiefmutter zu machen, so rathe ich Dir aufrichtig, Dir’s noch einmal zu überlegen, ehe Du sie mit dem Namen Bashwood beglückst.
Ist es nicht Mrs. Oldershaw, so kann ich für jetzt nichts weiter thun, als Dir sagen, wie es Dir vielleicht gelingt, die Adresse der unbekannten Dame zu erfahren. Komme, sowie Du den erwarteten Brief von dem Herrn erhalten, mit dem sie fortgelaufen sein soll —— ich hoffe um Deinetwillen, daß er kein schöner junger Mann ist —— nach London und suche mich hier auf. Ich will Dir Jemand mitgeben, der Dir behilflich ist, sein Hotel oder seine Wohnung zu beobachten, und wenn er mit der Dame oder die Dame mit ihm irgendwie verkehrt, so magst Du Dich von dem Augenblicke an ihrer Adresse versichert halten. Laß mich sie nur einmal identificiren und wissen, wer sie ist, und Du sollst alle ihre charmanten kleinen Geheimnisse so klar und deutlich vor Dir sehen wie dieses Blatt Papier, auf dem Dein liebevoller Sohn jetzt an Dich schreibt.
Noch ein Wort in Bezug auf die Bedingungen. Ich bin ebenso sehr geneigt wie Du, wieder auf freundschaftlichem Fuße mit Dir zu stehen, doch kann ich, wiewohl ich zugebe, daß Du einst etwas durch mich verloren hast, unmöglich durch Dich verlieren. Es muß feststehen, daß Du für alle Ausgaben der Nachforschungen verantwortlich bist. Ist Deine Dame zu schlau oder zu hübsch, als daß man einen Mann gegen sie anwenden könnte, so müßten wir eine der zu diesem Comptoir gehörigen Frauen verwenden. Das wird Fiakerlohn, Briefmarken, Billets zu öffentlichen Vergnügungsorten, falls sie hierzu neigt, Schillinge für Kirchstuhlschließerinnen kosten, wenn sie in Frömmigkeit macht und unsere Leute mit in die Kirchen nimmt, um beliebte Prediger zu hören, und so weiter. Meine eigenen Dienste sollst Du gratis haben; aber außerdem kann ich nicht noch durch Dich verlieren. Behalte nur dies im Auge, und Du sollst haben, was Du verlangst. Das Geschehene sei geschehen und die Vergangenheit vergessen.
Dein zärtlicher Sohn
James Bashwood.«
In seinem Entzücken, endlich Hilfe nahe zu sehen, drückte der Vater den abscheulichen Brief des Sohnes an die Lippen. »Mein guter Junge!« murmelte er liebevoll. »Mein lieber, guter Junge!«
Er legte den Brief nieder und versank in neues Nachdenken. Die nächste Frage war die sehr ernstliche betreffs der Zeit. Mr. Pedgift hatte ihm gesagt, Miß Gwilt könne in vierzehn Tagen verheirathet sein. Ein Tag von diesen vierzehn war bereits verstrichen und ein zweiter dem Ende nahe. Ungeduldig schlug er mit der Hand auf den Tisch, indem er dachte, wie bald der Geldmangel Allan wohl von London an ihn zu schreiben nöthigen werde. »Morgen vielleicht?« fragte er sich. »Oder übermorgen?«
Der folgende Tag verging und es kam nichts. Der nächste Tag kam und brachte den Brief. Derselbe handelte von Geschäften, wie er erwartet hatte, und forderte Geld, wie er ebenfalls erwartete, und am Schlusse in einer Nachschrift war die Adresse hinzugefügt, worauf der Brief mit den Worten: »Sie mögen bis auf weitere Nachricht darauf rechnen, daß ich hier bleibe«, schloß.
Bashwood that einen tiefen Athemzug der Erleichterung und beschäftigte sich, obschon bis zum nächsten Zuge nach London noch zwei Stunden vergehen mußten, augenblicklich mit dem Einpacken seiner Reisetasche. Das Letzte, was er in diese hinein that, war die blaue Atlascravatte. »Sie liebt bunte Farben«, sagte er, »und sie soll mich doch noch darin zusehen bekommen!«
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