Armadale
Drittes Kapitel.
Nachdem er die Ankunft seines Sohnes abgewartet, um eine vorläufige Besprechung mit ihm zu halten, verfügte sich Mr. Pedgift der Aeltere zu einer Unterredung mit Allan nach dem Herrenhause.
Den Unterschied im Alter abgerechnet, war der Sohn so genau das Abbild des Vaters, daß eine Bekanntschaft mit einem der beiden Pedgifts fast so gut war wie die Bekanntschaft mit beiden. Wenn man der Größe des jüngeren Pedgift etwas hinzusetzte, seinem Humor etwas mehr Breite und Entschiedenheit und seinem Selbstvertrauen etwas mehr Solidität und Ruhe gab, so hatte man im Großen und Ganzen die Persönlichkeit und den Charakter des älteren Pedgift vor sich.
Das Vehikel, welches den Advocaten nach Thorpe-Ambrose brachte, war sein eigenes nettes Gig, das von seinem berühmten, schnell trabenden Pferde gezogen ward. Es war übrigens seine Gewohnheit, selbst zu fahren. Eine der unbedeutenden äußern Eigenthümlichkeiten, in denen Vater und Sohn sich von einander unterschieden, bestand in der Vorliebe des ersteren für einen Anflug vom Sportsmann in seiner Kleidung. Die gelblich-grauen Beinkleider des älteren Pedgift lagen eng an; seine Stiefeln hatten bei trockenem oder nassem Wetter stets dieselben dicken Sohlen; sein Rock war auf den Hüften mit großen Taschen versehen und seine Lieblings-Sommercravatte von hellem geflecktem Musselin, die er in die zierlichste und kleinste Schleife band. Gleich seinem Sohne war ihm der Tabak, jedoch in einer andern Form, Bedürfniß Während der jüngere Mann rauchte, nahm der ältere seine Prise und zwar in reichlichem Maße, und seine vertrauteren Bekannten bemerkten, daß er, wenn er im Begriff stand, ein gutes Geschäft zu machen oder etwas Gutes zu sagen, die Prise immer zögernd zwischen Dose und Nase hielt.
Wer in den niederen Zweigen der Rechtsgelehrsamkeit reussiren will, muß ein gut Stück Diplomat sein. Mr. Pedgift’s Diplomatie war sein ganzes Leben lang die nämliche gewesen, überall, wo er gefunden, daß seine Ueberredungskunst bei einer persönlichen Besprechung mit Andern erforderlich war. Sein stärkstes Argument oder seinen kühnsten Vorschlag sparte er stets bis zuletzt auf und erinnerte sich desselben immer erst nach bereits geschehener Verabschiedung an der Thür, als wäre es ein ganz zufälliger Gedanke, der ihm so eben erst eingefallen sei. Scherzhafte Freunde, die diese Gewohnheit aus Erfahrung kannten, hatten sie Pedgift’s Postscriptum getauft. In ganz Thorpe-Ambrose gab es Wenige, die nicht wußten, was es zu bedeuten hatte, wenn der Advocat plötzlich an der geöffneten Thür stehen blieb, sachte zu seinem Platze zurückging und, seine Prise zwischen Dose und Nase in der Schwebe haltend, sagte: »Beiläufig, es fällt mir eben ein ——« und damit die Sache abmachte, die er vor einer Minute noch als eine hoffnungslose aufgegeben hatte.
So war der Mann, den der Lauf der Ereignisse in Thorpe-Ambrose jetzt launenhafterweise in erste Linie gestellt hatte. Er war der einzige Freund, an den Allan sich in der Stunde seiner Noth und in seiner gesellschaftlichen Vereinsamung um Rath und Beistand wenden konnte.
»Guten Abend, Mr. Armadale. Besten Dank für Ihre schnelle Berücksichtigung meines sehr unangenehmen Briefes«, sagte Pedgift Senior, heiter die Unterhaltung eröffnend, sowie er in das Haus seines Clienten eintrat. »Ich hoffe, Sie sehen ein, Sir, daß mir unter den Verhältnissen nichts Anderes übrig blieb, als zu schreiben, wie ich geschrieben habe.«
»Ich habe sehr wenige Freunde, Mr. Pedgift,« erwiderte Allan einfach, »und ich bin überzeugt, daß Sie einer dieser wenigen sind.«
»Sehr verbunden, Mr. Armadale. Ich habe stets gesucht, mich Ihrer guten Meinung würdig zu machen, und denke sie, wenn es mir möglich, auch jetzt zu verdienen. Sie befanden sich doch behaglich in Ihrem Hotel in London, Sir? Wir nennen es unser Hotel. Man hat dort einen seltenen alten Wein im Keller, den ich Ihnen hätte vorsetzen lassen, wenn ich die Ehre genossen, in Ihrer Gesellschaft dort zu sein. Mein Sohn ist leider ganz und gar kein Weinkenner.«
Allan fühlte seine falsche Stellung in der Umgegend viel zu tief, um zu irgend etwas Anderem als dem Hauptgeschäfte des Abends aufgelegt zu sein. Die höflich umständliche Manier, in der sein Advocat sich dem peinlichen Gegenstande näherte, trug eher dazu bei, ihn zu reizen, als zu beruhigen. In der ihm eigenen unumwundenen Art und Weise ging er sofort auf die Sache los.
»Das Hotel war sehr comfortabel, Mr. Pedgift, und Ihr Sohn sehr freundlich und aufmerksam gegen mich. Aber wir sind jetzt nicht in London, und ich möchte mit Ihnen darüber sprechen, wie ich am besten den Lügen begegnen soll, die man hier über mich ausstreut. Nennen Sie mir nur einen Menschen«, rief Allan mit erhobener Stimme und erglühendem Gesicht, »nur einen einzigen Menschen, der behauptet, ich fürchte mich, mich sehen zu lassen, und ich will ihn, ehe noch ein Tag über seinem Haupte verstreicht, öffentlich auspeitschen!«
Pedgift Senior nahm eine Prise und hielt sie auf halbem Wege zwischen Dose und Nase ruhig in der Schwebe.
»Sie können wohl einen Menschen auspeitschen, Sir, nicht aber eine ganze Nachbarschaft«, sagte der Advocat in seiner höflich epigrammatischen Weise. »Wenn es Ihnen beliebt, wollen wir unsern Kampf kämpfen, doch unter keiner Bedingung unsere Waffen vom Kutscher entlehnen.«
»Aber wie sollen wir’s anfangen?« fragte Allan ungeduldig. »Wie soll ich die Schändlichkeiten, die man von mir spricht, widerlegen?«
»Es gibt zwei Wege, Sir, auf denen Sie aus Ihrer gegenwärtigen unangenehmen Lage herauskommen können, einen langen Weg und einen kurzen«, erwiderte Pedgift Senior. »Der kurze Weg, immer der beste, ist mir eingefallen, seitdem ich durch meinen Sohn von Ihrem Verhalten in London erfuhr. Ich höre, daß Sie ihm nach Empfang meines Briefes gestattet haben, mich ins Vertrauen zu ziehen. Aus dem, was er mir mitgetheilt, habe ich nun verschiedene Schlüsse gezogen, mit denen ich Sie binnen kurzem werde behelligen müssen. Inzwischen möchte ich wissen, unter was für Umständen Sie nach London gereist sind, um diese unglückseligen Erkundigungen über Miß Gwilt einzuziehen. War der Besuch bei Mrs. Mandeville Ihre eigene Idee, oder handelten Sie unter dem Einflusse irgend einer andern Person?«
Allan zögerte. »Ich kann Ihnen nicht in Wahrheit sagen, daß es mein eigener Gedanke war«, erwiderte er und sagte weiter nichts.
»Das habe ich mir wohl gedacht!« bemerkte Pedgift senior triumphierend. »Der kurze Weg aus dieser Verlegenheit, Mr. Armadale, führt gerade durch jene Person, unter deren Einflusse Sie handelten. Jene andere Person muß sofort vor die Oeffentlichkeit gebracht werden und ihre richtige Stellung einnehmen. Zuerst also gefälligst den Namen, Sir; dann wollen wir von den Umständen reden.«
»Ich bedaure, sagen zu müssen, Mr. Pedgift, daß wir, wenn Sie nichts dawider haben, den langen Weg versuchen wollen«, erwiderte AlIan ruhig. »Denn der kurze Weg ist zufällig derjenige, den ich diesmal nicht einschlagen darf.«
Der geschäftsgewandte Jurist läßt sich mit keinem Nein abfertigen. Mr. Pedgift senior war ein solcher und ließ sich diesmal mit keinem Nein abfertigen. Aber alle Hartnäckigkeit, selbst die des Juristen nicht ausgenommen, findet früher oder später ihre Grenzen, und Mr. Pedgift fand diese, trotz seiner doppelten Stärke vermöge langer Erfahrung und zahlreicher Prisen, schon beim Beginne der Unterredung. Unmöglich konnte Allan das Zutrauen ehren, das Mrs. Milroy ihm zu schenken so arglistig geheuchelt hatte, aber als redlicher Mann achtete er sein eigenes gegebenes Wort, und Mr. Pedgifts äußerste Hartnäckigkeit vermochte ihn nicht um ein Haarbreit aus dieser Position zu vertreiben. »Nein« ist das kräftigste Wort der englischen Sprache im Munde eines Mannes, der hinreichenden Muth besitzt, um es oft genug zu wiederholen, und diesen Muth hatte Allan bei der gegenwärtigen Gelegenheit.
»Sehr gut, Sir«, sagte der Advocat, ohne sich durch diese Niederlage im geringsten aufbringen zu lassen. »Sie haben die Wahl, und Sie haben gewählt. Schlagen wir den langen Weg ein. Er geht, ich muß es Ihnen sagen, von meiner Expedition aus und führt, wie ich stark vermuthe auf einer sehr schmutzigen Straße zu Miß Gwilt.«
Allan sah seinen Rechtsanwalt in sprachlosem Erstaunen an.
»Wenn Sie die Person nicht bloßstellen wollen, die eigentlich für die Nachforschungen verantwortlich ist, zu denen Sie sich unglücklicherweise hergegeben haben, Sir«, fuhr Pedgift Senior fort, »so bleibt in Ihrer gegenwärtigen Lage nichts weiter übrig, als diese Nachforschungen selbst zu rechtfertigen.«
»Und wie kann dies geschehen» fragte Allan.
»Dadurch daß wir der ganzen Nachbarschaft beweisen, Mr. Armadale, was ich entschieden für die Wahrheit halte, daß nämlich die Person, die den Lieblingsgegenstand der öffentlichen Protection bildet, eine Abenteurerin von der schlechtesten Sorte, ein unzweifelhaft verworfenes, gefährliches Frauenzimmer ist. Um noch deutlicher zu sprechen, Sir —— dadurch daß wir Zeit und Geld genug daran wenden, die Wahrheit über Miß Gwilt zu entdecken.«
Ehe Allan noch ein Wort erwidern konnte, wurden sie gestört. Es klopfte und gleich darauf erschien ein Diener.
»Ich habe Euch doch gesagt, daß ich nicht gestört sein wolle«, sprach Allan ärgerlich. »Mein Himmel! Soll ich denn noch immer nicht genug davon haben! Noch ein Brief!«
»Ja, Sir«, sagte der Mann, denselben überreichend. »Und«, fügte er mit Worten böser Vorbedeutung für das Ohr seines Herrn hinzu, »man wartet auf Antwort.«
In der begreiflichen Erwartung, den Schriftzügen der Majorin zu begegnen, sah Allan die Adresse an. Er hatte sich getäuscht Offenbar war es die Handschrift einer Dame, doch nicht die Mrs. Milroy.
»Wer kann es sein?« sagte er, indem er, das Couvert erbrechend, mechanisch Pedgift Senior anblickte.
Pedgift Senior klopfte leise auf seine Schnupftabaksdose und sagte, ohne einen Augenblick zu zögern: »Miß Gwilt.«
Allan öffnete den Brief. Die beiden ersten Worte darin waren ein Echo der beiden Worte, die der Advocat so eben ausgesprochen. Es war in der That Miß Gwilt!
Allan sah seinen Rechtsanwalt in sprachlosem Erstaunen an.
»Ich habe ihrer in meinem Leben eine ziemliche Menge kennen gelernt, Sir«, erklärte Pedgift Senior mit einer Bescheidenheit, wie sie bei einem Manne in seinem Alter ebenso selten wie wohlanständig ist. »Nicht so schön wie Miß Gwilt, das gebe ich zu, aber wahrscheinlich ganz ebenso schlecht. Lesen Sie Ihren Brief, Mr. Armadale, lesen Sie Ihren Brief!«
Allan las folgende Zeilen:
»Miß Gwilt’s Empfehlungen an Mr. Armadale und sie ersucht ihn, sie zu benachrichtigen, ob es ihm convenirt, ihr entweder heute Abend oder morgen früh eine Unterredung zu gestatten. Miß Gwilt will sich wegen dieses Gesuchs nicht entschuldigen. Sie ist überzeugt, Mr. Armadale werde die Erfüllung desselben als einen Art der Gerechtigkeit gegen ein freundloses Weib betrachten, das er unbewußterweise mit verletzt hat und dem ernstlich daran gelegen ist, sich in seinen Augen zu rechtfertigen.«
In schweigender Bestürzung und Bekümmerniß reichte Allan seinem Advocaten den Brief hin.
Das Gesicht des Rechtsgelehrten, nachdem er den Brief gelesen und dann dem Empfänger wieder eingehändigt hatte, drückte nur ein Gefühl aus, ein Gefühl der tiefsten Bewunderung. »Welch ein Advocat hätte sie sein können«, rief er aus, »wäre sie ein Mann gewesen.«
»Ich kann es nicht so leicht nehmen wie Sie, Mr. Pedgift«, sagte Allan. »Die Sache ist mir im höchsten Grade unangenehm. Ich hatte sie so lieb«, setzte er mit leiserer Stimme hinzu. »Ich hatte sie einst so lieb.«
Mr. Pedgift Senior ward seinerseits plötzlich ernst.
»Wollen Sie etwa sagen, Sir, daß Sie wirklich daran denken, Miß Gwilt zu sehen?« fragte er mit einem Ausdrucke wahrer Bestürzung.
»Ich kann sie nicht grausam behandeln«, erwiderte Allan. »Ich bin, ohne es zu wollen, das weiß Gott! das Mittel gewesen, ihr zu schaden, darum kann ich sie nicht grausam behandeln!«
»Mr. Armadale«, sagte der Advocat, »vor einer kleinen Weile erzeigten Sie mir die Ehre, mich Ihren Freund zu nennen. Ich darf mir in dieser Stellung anmaßen, Ihnen ein paar Fragen vorzulegen, ehe ich Sie gerade in Ihr Verderben rennen lasse?«
»So viele Fragen, wie Sie wollen«, versetzte Allan, die Blicke wieder auf den Brief werfend, den einzigen, den er von Miß Gwilt erhalten hatte.
»Man hat Ihnen schon eine Schlinge gelegt, Sir, und Sie sind in dieselbe gefallen. Wollen Sie sich nochmals in einer Schlinge fangen lassen?«
»Sie wissen die Antwort auf diese Frage eben so gut wie ich, Mr. Pedgift.«
»Ich will’s noch einmal versuchen, Mr. Armadale; wir Advocaten lassen uns nicht leicht entmuthigen. Glauben Sie nach dem, was Sie und mein Sohn in London entdeckt haben, daß irgend eine Angabe, die Miß Gwilt Ihnen macht, als zuverlässig zu betrachten sein dürfte?«
»Sie könnte das, was wir in London entdeckt, erklären«, meinte Allan, noch immer den Brief betrachtend und an die Hand denkend die denselben geschrieben hatte.
»Könnte es erklären! Mein bester Herr, sie wird es ganz sicherlich erklären! Ich will ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen: ich halte sie für fähig, einen Fall zu erdichten, an dem von Anfang bis zu Ende nichts Unrechtes zu entdecken sein würde.«
Diese letztere Antwort zog Allan’s Aufmerksamkeit gewaltsam von dem Briefe ab. Der unerbittliche gesunde Menschenverstand des Rechtsanwalts zeigte kein Erbarmen.
»Wenn Sie das Frauenzimmer wiedersehen, Sir«, fuhr Pedgift senior fort, »so begehen Sie damit die thörichtste Uebereilung, die mir noch in meiner gesamten Praxis vorgekommen ist. Wenn sie hierher kommt, kann sie nur einen Zweck im Auge haben, nämlich Ihre Schwäche für sie zu benutzen. Es ist gar nicht zu berechnen, zu welchem falschen Schritte Sie die Person verleiten kann, wenn Sie ihr die Gelegenheit dazu geben. Sie räumen selbst ein, daß Sie ihr zugethan gewesen sind, Ihre Aufmerksamkeiten gegen sie haben in der That den Gegenstand allgemeiner Beobachtung gebildet, wenn Sie ihr nicht wirklich die Aussicht eröffnet haben, Mrs. Armadale zu werden, so sind Sie doch sehr nahe daran gewesen —— und obschon Sie alles dies wissen, denken Sie doch noch daran, sie zu sehen und sich der Macht ihrer teuflischen Schönheit und ihrer teuflischen Schlauheit auszusetzen, wenn sie in der Rolle Ihres interessanten Opfers zu Ihnen kommt! Sie, der Sie eine der besten Partien in England sind! Sie, die natürliche Beute aller hungrigen unverheiratheten Weiber in der ganzen Umgegend. So etwas habe ich nie gehört; während meiner ganzen langjährigen Praxis habe ich so etwas nie gehört! Wenn Sie durchaus darauf bestehen, sich in Gefahr zu begeben, Mr. Armadale«, schloß Pedgift Senior, die ewige Prise zwischen Dose und Nase in der Schwebe haltend, »so kommt nächste Woche eine Menagerie in unsern Ort. Lassen Sie die Tigerin zu sich herein, Sir, aber nicht Miß Gwilt!«
Zum dritten Male sah Allan seinen Rathgeber an, und dieser erwiderte den Blick zum dritten Male, ohne die geringste Verlegenheit zu verrathen.
»Sie scheinen eine sehr schlechte Meinung von Miß Gwilt zu haben«, sagte Allan.
»Die allerschlechteste Meinung von der Welt«, entgegnete Pedgift Senior trocken. »Wir wollen darauf zurückkommen, sobald wir den Boten abgefertigt haben werden. Wollen Sie meinen Rath befolgen? Wollen Sie ablehnen, sie zu sehen?«
»Ich möchte es sehr gern ablehnen, es würde für uns beide so unendlich peinlich sein«, sagte Allan. »Sehr gern würde ich ablehnen, wenn ich nur wüßte wie.«
»Du mein Himmel, Mr. Armadale, das ist leicht genug! Compromittiren Sie sich nicht durch etwas Geschriebenes. Lassen Sie dem Ueberbringer sagen, es sei keine Antwort.«
Dieses kurze Verfahren einzuschlagen, weigerte sich Allan entschieden. »Das hieße sie ganz brutal behandeln«, sagte er, »und das kann und will ich nicht.«
Die Beharrlichkeit Pedgift des Aeltern fand abermals ihre Schranken und der weise Mann ließ sich wiederum auf das liebenswürdigste zu einem Vergleiche bereit finden. Da ihm sein Client versprochen hatte, Miß Gwilt nicht sehen zu wollen, so willigte er ein, daß Allan sich durch etwas Geschriebenes compromittire nach dem Dictate seines Rechtsanwalts. Der also fabricirte Brief war nach Allan’s eigenem Muster abgefaßt; er begann und endete in einem einzigen Satze: »Mr. Armadales Empfehlung an Miß Gwilt, und er bedauert, daß er nicht das Vergnügen haben kann, Miß Gwilt in Thorpe-Ambrose zu sehen.« Allan hatte flehentlich um einen zweiten Satz gebeten, indem er gern erklärt hätte, daß er Miß Gwilt’s Gesuch nur in der Ueberzeugung abschlage, daß die Unterredung für beide unnöthig peinlich sein würde. Aber sein Rechtsfreund verwarf diesen Zusatz mit Festigkeit. »Wenn Sie nein zu einem Weibe sagen, Sir«, bemerkte Pedgift Senior, »so sagen Sie es stets in einem einzigen Worte. Geben Sie ihm Gründe an, so glaubt es stets, Sie meinen ja.«
Nachdem er dieses kleine Weisheitsjuwel aus den reichen Schatzgruben seiner Praxis aufgetischt hatte, sandte Pedgift Senior die Antwort an Miß Gwilt zu deren Boten hinaus und empfahl dem Diener, dem Kerl, wer er immer sei, wohl aufzupassen, bis er sich aus der Nähe des Hauses entfernt habe.
»Jetzt, Sir«, sagte der Advocat, »wollen wir auf meine Ansicht von Miß Gwilt zurückkommen, wenn’s Ihnen beliebt. Dieselbe, fürchte ich, stimmt durchaus nicht mit der Ihrigen überein. Sie halten sie für einen Gegenstand des Mitleids —— bei Ihrem Alter ganz natürlich. Ich denke, sie wäre in der Zelle eines Gefängnisses ganz an ihrem rechten Platze —— in meinem Alter eine sehr natürliche Ansicht. Sie sollen sogleich hören, worauf ich meine Meinung gründe. Erlauben Sie mir, Ihnen zu beweisen, daß ich es ernstlich meine, indem ich zuvörderst diese Meinung selbst einer Prüfung unterwerfe. Halten Sie es für wahrscheinlich, daß Miß Gwilt nach der Antwort, die Sie ihr gesandt haben, noch darauf bestehen wird, Sie zu besuchen?«
»Ganz unmöglich!« rief Allan mit Wärme. »Miß Gwilt ist eine fein fühlende Dame; nach dem Briefe, den ich ihr gesandt habe, wird sie mir nie mehr zu nahe kommen.«
»Da weichen wir von einander ab, Sir«, rief Pedgift Senior. »Ich sage vielmehr, sie wird sich keinen Pfifferling um Ihren Brief kümmern, was einer meiner Gründe dafür war, daß ich wünschte, Sie sollten überhaupt nicht schreiben. Ich sage, sie erwartet in Ihren Anlagen oder in der Nähe derselben in diesem Augenblicke die Rückkehr ihres Boten. Ich sage, daß sie, noch ehe vierundzwanzig Stunden vergangen sind, sich mit Gewalt hier einzudrängen versuchen wird. Wahrhaftig, Sir,« fuhr Mr. Pedgift nach seiner Uhr sehend fort, »es ist jetzt erst sieben Uhr. Sie ist dreist und schlau genug, um Sie noch heute Abend zu überrumpeln. Erlauben Sie mir zu klingeln; gestatten Sie mir, Sie zu ersuchen, daß Sie augenblicklich den Befehl geben, zu sagen, Sie seien nicht zu Hause. Sie brauchen nicht zu zögern, Mir. Armadale Haben Sie hinsichtlich Miß Gwilt’s Recht, so ist es eben eine bloße Formel, habe ich dagegen Recht, so ist es eine weise Vorsichtsmaßregel. Handeln Sie nach Ihrer Meinung, Sir«, setzte Mr. Pedgift hinzu, indem er klingelte, »ich bleibe bei der Meinigen.«
Allan war, als er das Klingeln hörte, gehörig aufgestachelt, um zu dem Befehl bereit zu sein. Als aber der Diener kam, fühlte er sich von den Erinnerungen an die Vergangenheit überwältigt und die Worte blieben ihm im Halse stecken. »Geben Sie den Befehl«, sagte er zu Mr. Pedgift und trat schnell ans Fenster. »Du bist ein guter Junge!« dachte der alte Advocat, ihm nachsehend und augenblicklich seinen Beweggrund durchschauend. »Die Klauen jener Teufelin sollen Dich nicht kratzen, falls ich es verhindern kann.«
Der Diener wartete unerschütterlich auf seine Instructionen.
»Wenn Miß Gwilt, sei es heute Abend oder zu irgend einer andern Zeit, hierher kommt«, sagte Pedgift Senior, »so ist Mr. Armadale niemals zu Hause. Warten Sie! Fragt sie, wann Mr. Armadale zurückkehrt, so wissen Sie es nicht. Warten Sie! Will sie hereinkommen und warten, so haben Sie den Befehl, Niemand eintreten und warten zu lassen, der nicht auf vorhergegangene Verabredung mit Mr. Armadale kommt. So!« rief der alte Pedgift, sich froh die Hände reibend, sowie der Diener das Zimmer verlassen, »jetzt habe ich sie abgefertigt! Alle Befehle sind ertheilt, Mr. Armadale Wir können nun unsere Unterhaltung fortsetzen.«
Allan kam vom Fenster zurück. »Die Unterhaltung ist keine sehr angenehme«, sagte er. »Ohne Sie beleidigen zu wollen, ich wollte, sie wäre vorüber.«
»Wir wollen sie so schnell wie möglich zu Ende bringen, Sir«, sagte Pedgift Senior, indem er, wie dies nur Advocaten und Frauen können, noch immer darauf beharrte, sich allmälig seinem Ziele zu nähern. »Lassen Sie uns, wenns gefällig, auf den praktischen Vorschlag zurückkommen, den ich Ihnen machte, als der Diener mit Miß Gwilt’s Billet hereinkam. Wie ich Ihnen wiederholen muß, Mr. Armadale, gibt es nur einen Weg aus Ihrer gegenwärtigen unangenehmen Lage. Sie müssen Ihre Nachforschungen über dieses Frauenzimmer bis zum Schlusse fortsetzen, in der Aussicht, die ich fast für Gewißheit halte, daß dieser Schluß Sie in der Meinung der Nachbarschaft rechtfertigen wird.«
»Ich wollte, ich hätte überhaupt gar keine Nachforschungen angestellt!« sagte Allan. »Nichts soll mich bewegen, noch ferner weitere anzustellen, Mr. Pedgift.«
»Warum?«
»Können Sie mich, nachdem Ihr Sohn Ihnen mitgetheilt, was wir in London entdeckt haben, noch fragen, warum?« entgegnete Allan hitzig »Selbst wenn ich weniger Ursache hätte, Miß Gwilt zu —— zu bedauern, selbst wenn es sich um eine ganz andere Person handelte, glauben Sie, daß ich mich noch ferner in die Geheimnisse eines armen betrogenen Geschöpfes einzudrängen suchen oder gar es in der Nachbarschaft bloßzustellen im Stande sein würde? Könnte ich irgend etwas der Art thun, so würde ich mich für einen ebenso großen Schurken halten, wie es der Mann sein muß, der sie zuerst hilflos in die Welt hinausgestoßen hat. Es nimmt mich Wunder, daß Sie die Frage an mich richten können; auf Ehre, es nimmt mich Wunder, daß Sie die Frage an mich richten können.«
»Geben Sie mir Ihre Hand, Mr. Armadale!« rief Mr. Pedgift Senior mit Wärme; »ich ehre Sie dafür, daß Sie so zornig auf mich sind. Die Nachbarschaft mag sagen, was ihr beliebt; Sie sind ein Gentleman, Sir, und zwar im besten Sinne des Worts. Jetzt«, fuhr dann der Advocat fort, indem er Allan’s Hand losließ und augenblicklich vom Gefühl zum Geschäft zurückkehrte, »hören Sie an, was ich zu meiner Vertheidigung zu sagen habe. Gesetzt, Miß Gwilt’s wahre Lage ist weit entfernt, das zu sein, wofür Sie dieselbe so großmüthig zu halten entschlossen sind?«
»Wir haben keinen Grund, dies anzunehmen«, sagte Allan bestimmt.
»Das ist Ihre Ansicht, Sir«, erwiderte Mr. Pedgift. »Die meinige, die sich auf das gründet, was hier öffentlich von Miß Gwilt’s Benehmen bekannt ist, und auf das, was ich selbst von Miß Gwilt gesehen habe, ist die, daß sie alles Andere eher ist als das sentimentale Opfer, welches Sie gern aus ihr machen möchten. Gemach, Mr. Armadale! Erinnern Sie sich, daß ich meine Meinung einer praktischen Prüfung unterworfen habe, und warten Sie, ehe Sie dieselbe ohne weiteres verdammen, bis die Ereignisse Sie darin rechtfertigen. Lassen Sie mich meine Gründe vorbringen, Sir —— entschuldigen Sie mich als Advocaten, und lassen Sie mich meine Gründe vorbringen. Sie und mein Sohn sind junge Leute, und ich leugne nicht, daß die Umstände die Deutung zu rechtfertigen scheinen, die Sie, als junge Leute, denselben gegeben haben. Ich bin ein alter Mann; ich weiß, daß wir die Umstände nicht immer für das annehmen dürfen, als was sie uns auf der Oberfläche erscheinen, und ich habe den großen Vortheil vor Ihnen voraus, daß ich in meinem Berufe jahrelange Erfahrungen unter einigen der schlechtesten Weiber gemacht habe, die es je auf dieser Erde gab.«
Allan öffnete die Lippen, um zu protestieren, doch schloß er dieselben wieder, da er daran verzweifelte, den geringsten Eindruck zu machen. Pedgift Senior verbeugte sich in höflicher Anerkennung der Selbstbeherrschung seines Clienten und benutzte sie augenblicklich.
»Miß Gwilt’s Benehmen«, fuhr er fort, »seit Ihrer unglücklichen Correspondenz mit dem Major beweist mir, daß sie eine geübte Betrügerin ist. Sowie sie sich mit Bloßstellung bedroht sieht —— Bloßstellung irgend einer Art, daran ist nach dem, was Sie in London entdeckt haben, nicht zu zweifeln —— zieht sie aus Ihrem ehrenvollen Schweigen den bestmöglichen Nutzen und gibt die Stelle bei dem Major, die Märtyrerin spielend, auf. Was thut sie dann, sowie sie aus dem Hause ist? Frech bleibt sie in der Nachbarschaft und dient damit vortrefflich drei Zwecken. Erstens zeigt sie Jedem, daß sie sich nicht fürchtet, einem weiteren Angriffe auf ihren Ruf zu begegnen. Zweitens ist sie zur Hand, um Sie um ihren kleinen Finger zu winden und den Umständen zum Trotze Mrs. Armadale zu werden, wenn Sie und ich ihr dazu Gelegenheit bieten. Drittens ist sie, wenn Sie und ich klug genug sind, um ihr zu mißtrauem ihrerseits ebenfalls klug genug, um uns nicht die Chance zu geben, ihr nach London zu folgen und sie dort mit ihren Mitschuldigen in Verbindung zu bringen. Ist dies das Benehmen eines unglücklichen Weibes, das in einem Augenblicke der Schwachheit ihren guten Namen verloren und sich zu einer ihr Widerstrebenden Täuschung hat hinreißen lassen, um jenen wiederzugewinnen?«
»Sie entwickeln die Sache sehr geschickt,« sagte Allan mit offenbarem Widerstreben. »Ich kann nicht leugnen, daß Sie die Sache sehr geschickt darstellen.«
»Ihr eigener gesunder Menschenverstand beginnt Ihnen zu sagen, Mr. Armadale, daß ich sie richtig charakterisiere«, sagte Pedgift Senior. »Ich maße mir noch nicht an, zu sagen, welcher Art die Beziehungen sein mögen, in denen die Person, zu jenen Leuten in Pimlicon steht. Alles, was ich behaupte, ist, daß diese Beziehungen nicht der Art sind, wie Sie vermuthen. Nachdem ich so weit das Thatsächliche erörtert, habe ich nur noch von meinem eigenen persönlichen Eindrucke von Miß Gwilt zu sprechen. Ich will Sie nicht verletzen, wenn ich es vermeiden kann, ich will vielmehr versuchen, ob ich die Sache nicht abermals geschickt darzustellen vermag. Sie kam auf meine Expedition, wie ich Ihnen in meinem Briefe mittheilte, ohne Zweifel, um sich wo möglich mit Ihrem Rechtsanwalte zu befreunden, sie kam, um mir in der allerchristlichsten, versöhnlichsten Weise zusagen, daß sie Ihnen keinen Vorwurf mache.«
»Trauen Sie überhaupt jemals irgend einem Menschen, Mr. Pedgift?« unterbrach ihn Allan.
»Zuweilen, Mr. Armadale«, antwortete der ältere Pedgift so gelassen wie immer. »Ich traue so oft, als dies einem Advocaten möglich ist. Um jedoch fortzufahren, Sir. Als ich noch im Criminalfache arbeitete, war es oft mein Loos, die Instructionen für die Vertheidigung gefänglich eingezogener Frauenzimmer von deren eigenen Lippen entgegenzunehmen. Welcher sonstige Unterschied auch zwischen ihnen stattfinden mochte, mit der Zeit ward ich bei denjenigen, die besonders verdorben und zweifellos schuldig waren, auf einen Punkt aufmerksam, in dem sie alle einander glichen. Ob sie nun groß oder klein, alt oder jung, schön oder häßlich waren, alle besaßen sie eine gewisse Geistesgegenwart, die nichts erschüttern. Aeußerlich waren sie so verschieden wie möglich von einander. Einige waren in einem Zustande der Entrüstung, andere schwammen in Thränen, wieder andere waren voll frommer Zuversicht und noch andere zum Selbstmorde entschlossen, ehe noch die Nacht vergangen sein werde. Aber sowie man mit dem Finger die schwache Stelle der Geschichte berührte, die sie erzählten, hatten ihre Muth, ihre Thränen, ihre Frömmigkeit, ihre Verzweiflung plötzlich ein Ende und das wahre Weib kam zum Vorschein, im vollen Besitz all seiner Ressourcen, mit einer netten kleinen Lüge, die genau den Verhältnissen angepaßt war. Miß Gwilt schwamm in Thränen, Sir, kleidsamen Thränen, die ihre Nase nicht roth machten, da berührte ich plötzlich mit meinem Finger die schwache Stelle ihrer Geschichte. Das rührende Taschentuch sank von den schönen blauen Augen herunter und das wahre Weib kam mit seiner netten kleinen Lüge zum Vorschein, die genau den Verhältnissen angepaßt war. Auf der Stelle fühlte ich mich um zwanzig Jahre jünger, Mr. Armadale. Es war mir wahrlich, als sei ich wieder, mit meinem Notizbuche in der Hand, in Newgate, um meine Instructionen für die Vertheidigung entgegenzunehmen.«
»Nächstens können Sie noch behaupten, daß Miß Gwilt schon im Gefängniß gesessen hat, Mr. Pedgift!« sagte Mr. Allan aufgebracht.
Pedgift Senior klopfte ruhig auf seine Dose und war sofort mit seiner Antwort bereit.
»Reichlich mag sie verdient haben, das Innere eines Gefängnisses zu sehen, Mr. Armadale, aber in der Zeit, in welcher wir leben, gibt es einen vortrefflichen Grund, daß sie mit einem solchen Orte noch nie nähere Bekanntschaft gemacht hat. Bei dem jetzigen zarten Gefühle des Publikums das Gefängniß für eine reizende Dame wie Miß Gwilt! Mein bester Herr, hätte sie mich oder Sie zu ermorden versucht und ein unmenschliches Geschworenengericht sie zum Kerker verurtheilt, die erste Aufgabe unserer heutigen Gesellschaft würde dahin gehen, den Vollzug dieses Verdicts zu verhindern, und wäre dies nicht thunlich, so würde der nächste Versuch sein, sie womöglich wieder in Freiheit zu setzen. Lesen Sie die Zeitungen, Mr. Armadale, und Sie werden sehen, daß wir für die schwarzen Schafe der Heerde in herrlichen Zeiten leben, wenn sie nur schwarz genug sind. Ich bleibe bei meiner Behauptung, Sir, daß wir es in unserm Falle mit einem der allerschwärzesten zu thun haben. Ich bleibe bei meiner Behauptung, daß Sie bei diesen unglückseligen Nachforschungen das seltene Glück gehabt haben, an ein Frauenzimmer zu gerathen, das im Interesse der öffentlichen Sicherheit zufälligerweise ein passender Gegenstand für solche Nachforschungen ist. Weichen Sie von meiner Ansicht ab, so sehr Sie wollen, aber fassen Sie keine endgültige Meinung von Miß Gwilt, bis die Ereignisse unsere beiden entgegengesetzten Ansichten aus die von mir vorgeschlagene Probe gestellt haben. Nichts kann billiger sein. Ich stimme mit Ihnen überein, daß keine Dame, die dieses Namens würdig, nach dem Empfange Ihres Briefes sich noch hier einzudrängen suchen kann, aber ich bestreite eben, daß Miß Gwilt dieses Namens würdig ist, und ich sage, daß sie sich trotz Ihres Briefes mit Gewalt einzudrängen suchen wird.«
»Und ich sage, daß sie dies nicht thun wird!« entgegnete Allan fest.
Pedgift Senior lehnte sich in seinem Sessel zurück und lächelte. Beide schwiegen ein paar Augenblicke, während dieses Schweigens ward draußen geklingelt.
Advocat und Client sahen erwartungsvoll nach der Eingangshalle hin.
»Nein«, rief Allan zorniger denn je.
»Ja!« sagte Pedgift Senior, ihm mit größter Höflichkeit widersprechend.
Sie warteten, was geschehen würde. Sie hörten, wie die Hausthür geöffnet wurde, doch war das Zimmer zu weit von derselben entfernt, als daß auch die Stimme bis zu ihnen hätte dringen können. Nach einer langen Pause der Erwartung hörte man endlich, wie die Hausthür geschlossen wurde. Allan stand ungestüm auf und klingelte Mr. Pedgift Senior saß in erhabener Ruhe da und ergötzte sich in stillem Behagen an der größten Prise, die er noch bisher genommen.«
»Hat Jemand mich sprechen wollen?« fragte Allan, als der Diener eintrat.
Der Mann warf einen Blick unaussprechlicher Verehrung auf Pedgift Senior und antwortete:
»Miß Gwilt.«
»Ich will nicht über Sie frohlocken, Sir«, sagte Pedgift Senior, sobald der Diener wieder hinausgegangen, »aber was sagen Sie jetzt zu Miß Gwilt?«
Allan schüttelte in stummer Bekümmerniß und mit Mienen der Entmuthigung den Kopf.
»Die Zeit ist kostbar, Mr. Armadale. Haben Sie nach dem, was sich so eben zugetragen, noch immer etwas gegen das Verfahren einzuwenden, das ich Ihnen vorzuschlagen die Ehre gehabt habe?«
»Ich kann’s nicht, Mr. Pedgift. Ich kann mich nicht dazu hergeben, sie in der Nachbarschaft zu compromittiren. Ich will lieber selbst compromittirt sein —« wie ich es bin.«
»Lassen Sie mich’s Ihnen in einer andern Weise vorstellen, Sir. Sie sind sehr gütig gegen mich und meine Familie gewesen, und ich nehme außer dem geschäftlichen auch noch ein großes persönliches Interesse an Ihnen. Wollen Sie, wenn Sie sich nicht entschließen können, den Charakter dieses Frauenzimmers in seinen wahren Farben zu zeigen, wenigstens die gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln dagegen treffen, daß es noch weiteres Unheil stiftet? Wollen Sie gestatten, daß ich sie heimlich beobachten lasse, solange sie in der Gegend hier bleibt?«
Allan schüttelte zum zweiten Male den Kopf.
»Ist das Ihr letzter Entschluß, Sir?«
»Ja, Mr. Pedgift; aber ich bin Ihnen dessen ungeachtet sehr verbunden für Ihren Rath.«
Pedgift Senior stand mit stiller Resignation auf und nahm seinen Hut. »Gute Nacht, Sir«, sagte er und wandte sich kummervoll der Thür zu. Allan erhob sich seinerseits in der arglosen Vermuthung, daß die Unterredung zu Ende sei.
Wer mit den diplomatischen Gewohnheiten seines Rechtsfreundes besser vertraut war, würde ihm den Rath gegeben haben, sitzen zu bleiben. Der Augenblick war gekommen für Pedgift’s Postscriptum; der Advocat hielt seine bedeutungsvolle Schnupftabaksdose in der einen Hand, während er mit der andern die Thür öffnete.
»Gute Nacht«, sagte Allan.
Pedgift Senior öffnete die Thür, blieb stehen, überlegte, schloß die Thür wieder, kam geheimnißvoll mit der Prise zwischen Dose und Nase in der Schwebe zurück und nahm, die unveränderliche Formel wiederholend: »Beiläufig, es fällt mir eben ein —— den so eben verlassenen Sessel wieder ein.
Verwundert ließ sich Allan seinerseits wieder nieder. Sachwalter und Client sahen einander nochmals an, und die unerschöpfliche Unterredung ward von neuem wieder aufgenommen.
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