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Die Frau in Weiß

Die Aussage Walter Hartrights in Clement's Inn zu London.

XIII.

Eine halbe Stunde später war ich wieder im Hause angelangt und unterrichtete Miß Halcombe von Allem, was sich zugetragen hatte.

Sie hörte mir von Anfang bis zu Ende mit einer ununterbrochenen Aufmerksamkeit zu, die bei einem Weibe ihres Temperaments und ihrer Gemüthsbeschaffenheit der größte Beweis davon war, daß die Erzählung einen ernstlichen Eindruck auf sie mache.

»Mein Herz erfüllt sich mit bangen Zweifeln,« war Alles, was sie sagte, nachdem ich geendet. »Mein Herz erfüllt sich mit bangen Zweifeln für die Zukunft.«

»Die Zukunft,« meinte ich, »mag von dem Gebrauchs abhängen, den wir von der Gegenwart machen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Anna Catherick weniger zurückhaltend in ihrer Unterhaltung mit einer Dame sein würde, als sie es gegen mich war. Wenn Miß Fairlie – –«

»Daran ist keinen Augenblick zu denken,« unterbrach mich Miß Halcombe auf ihre entschiedenste Weise.

»Dann lassen Sie mich vorschlagen,« fuhr ich fort, »daß Sie selbst mit Anna Catherick sprechen und ihr Vertrauen zu gewinnen suchen, was mich betrifft, so mag ich nicht daran denken, das arme Geschöpf zum zweiten Male so zu erschrecken, wie ich es leider schon einmal gethan. Haben Sie irgend etwas dagegen, mich morgen nach dem Gehöfte zu begleiten?«

»Durchaus Nichts. Ich will gehen, wohin es sei, und thun, was es sei, um Laura zu dienen. Wie nannten Sie den Ort?«

»Sie müssen ihn ganz gut kennen. Er heißt Todd’s Ecke.«

»Allerdings. Todd’s Ecke ist eins von Mrs. Fairlie’s Gehöften. Unsere Milchmagd hier ist die zweite Tochter des Pächters. Sie geht sehr häufig nach dem Gehöfte und mag vielleicht etwas gehört oder gesehen haben, das uns von Nutzen sein dürfte zu wissen. Soll ich mich gleich versichern, ob sie da ist?«

Sie klingelte und befahl dem Diener, nachzusehen, ob sie da sei. Er kam mit der Nachricht zurück, daß die Milchmagd nach dem Gehöfte gegangen sei. Sie sei seit drei Tagen nicht dort gewesen und die Haushälterin habe ihr Erlaubniß gegeben, den Abend auf ein paar Stunden nach Hause zu gehen.

»Ich kann morgen mit ihr sprechen,« sagte Miß Halcombe, als der Diener das Zimmer verlassen hatte. »Inzwischen lassen Sie mich wohl verstehen, welchen Zweck wir bei meiner Unterredung mit Anna Catherick im Auge haben. Hegen Sie selbst keinen Zweifel darüber, daß es Sir Percival Glyde war, der sie in die Irrenanstalt schaffte?«

»Auch nicht den Schatten eines Zweifels. Das einzige Geheimniß, was uns noch zu lösen übrig bleibt, ist das Geheimniß seines Beweggrundes dazu. Wenn man den großen Unterschied zwischen seiner Stellung im Leben und der ihrigen bedenkt, welcher jeden Gedanken selbst an die entfernteste Verwandtschaft zwischen ihnen ausschließt, so ist es von der größten Wichtigkeit – gesetzt sogar, daß ihr Zustand wirklich Aufsicht und Haft erheischte – zu wissen, warum er die ernstliche Verantwortlichkeit auf sich geladen haben sollte, sie in Gewahrsam bringen zu lassen –«

»In eine Privatirrenanstalt, glaube ich, sagten Sie?«

»Ja, in eine Privatirrenanstalt, wo eine Summe für ihre Aufnahme und ihren Unterhalt bezahlt werden mußte, welche eine arme Person nicht erschwingen konnte.«

»Ich sehe, wo der Zweifel liegt, Mr. Hartright, und verspreche Ihnen, daß derselbe gelöst werden soll, gleichviel ob Anna Catherick uns morgen dazu behilflich ist oder nicht. Sir Percival Glyde soll nicht lange im Hause sein, ohne Mr. Gilmore sowohl wie mich zufrieden zu stellen. Die Zukunft meiner Schwester ist die höchste Sorge meines Lebens, und ich habe hinreichenden Einfluß auf sie, um die Macht zu besitzen, dieselbe in Bezug auf ihre Heirat zu bestimmen.«

Wir trennten uns für diese Nacht.

Nach dem Frühstück folgenden Morgens stellte sich unserem sofortigen Aufbrechen nach dem Gehöfte ein Hinderniß entgegen, das mir in den Ereignissen des Abends gänzlich entfallen war. Es sollte dies mein letzter Tag in Limmeridge House sein und es war daher nothwendig, sowie die Briefe ankamen, Miß Halcombe’s Rath zu befolgen und Mr. Fairlie zu bitten, mein Engagement einen Monat verkürzen zu dürfen in Rücksicht auf unvorhergesehene Umstände, welche meine Rückkehr nach London nothwendig machten.

Glücklicherweise, um dieser Entschuldigung wenigstens äußerlich den Anschein der Wahrheit zu geben, brachte die Post mir diesen Morgen zwei Briefe von Freunden in London. Ich nahm sie sofort mit auf mein Zimmer, schickte den Diener mit meiner Empfehlung an Mr. Fairlie und ließ ihn fragen, wann ich ihn in einer Geschäftsangelegenheit sprechen dürfte.

Ich erwartete des Mannes Rückkehr, ohne mich im Allergeringsten darüber zu beunruhigen, wie sein Herr möglicherweise mein Ersuchen aufnehmen werde. Ich mußte fort – ob nun mit Mr. Fairlie’s Bewilligung oder ohne dieselbe. Das Bewußtsein, jetzt den ersten Schritt auf diesem öden Wege gethan zu haben, der hinfort mein Leben von Miß Fairlie’s Leben trennen sollte, schien mich gegen Alles Andere, was mich betraf, abgestumpft zu haben. Ich war fertig mit meinem empfindlichen Armenmannesstolz – fertig mit allen kleinen Künstlereitelkeiten. Reine Impertinenz von Mr. Fairlie – falls es ihm gefallen sollte, impertinent zu sein – konnte mich jetzt verletzen.

Der Diener kehrte mit einer Botschaft zurück, auf die ich nicht unvorbereitet war. Mr. Fairlie bedauerte, daß der Zustand seiner Gesundheit gerade an diesem Morgen derart sei, daß er ihn aller Hoffnung beraube, das Vergnügen zu haben, mich zu sehen. Er bitte mich daher, seine Entschuldigungen entgegen zu nehmen und ihm gütigst meine Wünsche brieflich mitzutheilen. Ich hatte während der drei Monate meines Aufenthaltes im Hause in verschiedenen Zwischenräumen ähnliche Botschaften erhalten, während dieser ganzen Zeit war Mr. Fairlie hoch erfreut gewesen, mich zu »besitzen«, aber niemals wohl genug, um mich ein zweites Mal zu sehen. Der Diener trug jedes neue Paket beendeter Zeichnungen mit einer »achtungsvollen Empfehlung« zu seinem Herrn und kehrte mit leeren Händen und Mr. Fairlie’s »bester Empfehlung«, »freundlichem Danke« und »aufrichtigem Bedauern« zurück, daß der Zustand seiner Gesundheit ihn noch immer zum einsamen Gefangenen auf seinem Zimmer mache. Die Sache hätte nicht befriedigender für beide Theile eingerichtet werden können. Es wäre schwer zu entscheiden, wer von uns Beiden Mr. Fairlie’s gefälligen Nerven die größte Dankbarkeit schuldete.

Ich setzte mich sofort und schrieb den Brief, indem ich mich so höflich, deutlich und kurz wie möglich ausdrückte. Mr. Fairlie übereilte sich nicht mit der Antwort. Es verging beinahe eine Stunde, ehe mir dieselbe überbracht wurde. Sie war mit sehr schöner, regelmäßiger und zierlicher Handschrift, mit veilchenfarbener Tinte auf Briefpapier geschrieben, das so glatt wie Elfenbein und beinahe so steif wie Pappe war, und lautete wie folgt:

»Mr. Fairlie’s Empfehlungen an Mr. Hartright.

Mr. Fairlie fühlt sich durch Mr. Hartright’s Anliegen mehr überrascht und getäuscht, als er (in seinem gegenwärtigen Gesundheitszustande) zu beschreiben vermag. Mr. Fairlie ist kein Geschäftsmann, aber er hat seinen Haushofmeister – der ein Geschäftsmann ist – befragt und derselbe bestätigt seine Ansicht, daß Mr. Hartright’s Wunsch, seinen Contract zu brechen, durch keine Art von Notwendigkeit zu rechtfertigen ist, außer etwa in einem Falle von Leben und Tod. Wenn Mr. Fairlie’s hohe Schätzung der Kunst und ihrer Jünger, die ihm in seinem leidenden Dasein Trost und Glück gewähren, leicht zu erschüttern wäre, so würde Mr. Hartright’s gegenwärtiges Verfahren sie erschüttert haben. Doch ist dies nicht der Fall – außer in Bezug auf Mr. Hartright selbst.

Nachdem Mr. Fairlie seine Meinung ausgesprochen – das heißt, insoweit sein heftiges nervöses Leiden ihm erlaubt, überhaupt irgend etwas auszusprechen – bleibt ihm Nichts weiter hinzuzufügen übrig, als seinen Entschluß in Bezug auf das an ihn ergangene höchst irreguläre Ersuchen mitzutheilen. Da Mr. Fairlie’s Zustand die vollkommenste Ruhe des Körpers und Gemüthes fordert, so will er Mr. Hartright nicht erlauben, diese Ruhe dadurch zu stören, daß er unter Verhältnissen in seinem Hause bliebe, welche für beide Theile im höchsten Grade aufregend sein wurden. Demzufolge leistet Mr. Fairlie Verzicht auf sein Recht der Verweigerung, ausschließlich in Rücksicht auf die Erhaltung seiner eigenen Ruhe – und benachrichtigt Mr. Hartright, daß er gehen mag.«

Ich legte den Brief zusammen und zu meinen übrigen Papieren. Es hatte eine Zeit gegeben, wo ich ihn als eine Beleidigung geahndet hatte; jetzt nahm ich ihn als eine geschriebene Entlassung auf. Ich hätte ihn mir aus dem Sinne geschlagen, ja fast aus dem Gedächtnisse verloren, als ich ins Frühstückszimmer hinunter ging, um Miß Halcombe zu sagen, daß ich bereit sei, mit ihr nach dem Gehöfte zu gehen.

»Hat Mr. Fairlie Ihnen eine befriedigende Antwort gegeben?« frug sie, als wir das Haus verließen.

»Er hat mir zu gehen erlaubt, Miß Halcombe.«

Sie schaute schnell zu mir auf und nahm dann zum ersten Male, seit ich sie kannte, von selbst meinen Arm. Keine Worte, die sie hätte sprechen können, hätten mir auf so zartfühlende Weise ihr Verständniß der Manier, wie man mir die erbetene Erlaubniß gestattet, ausgedrückt und zugleich, daß sie mir ihre Theilnahme nicht aus Herablassung, sondern aus Freundschaft bot. Ich hatte des Mannes impertinenten Brief nicht gefühlt, aber des Weibes abbittende Güte fühlte ich tief.

Auf unserem Wege nach dem Gehöfte kamen wir überein, daß Miß Halcombe allein ins Haus gehen und ich in einer Entfernung draußen warten sollte, so daß man mich nöthigenfalls rufen könne. Wir nahmen dies Verfahren aus Besorgniß an, daß meine Gegenwart nach dem, was sich gestern Abend auf dem Kirchhofe ereignet hatte, vielleicht die nervöse Furcht in Anna Catherick wieder erwecken und sie doppelt argwöhnisch gegen das Entgegenkommen einer ihr völlig fremden Dame machen möge.

Miß Halcombe verließ mich in der Absicht, zuerst mit der Frau des Pächters zu sprechen (deren Bereitwilligkeit, ihr auf jede mögliche Weise zu helfen, sie sich versichert hielt), während ich unfern des Hauses auf sie wartete.

Ich war ganz darauf vorbereitet, ziemlich lange warten zu müssen. Zu meinem Erstaunen aber waren kaum fünf Minuten verflossen, als Miß Halcombe schon wieder zurückkehrte.

»Weigert sich Anna Catherick, Sie zu sehen?« frug ich erstaunt.

»Anna Catherick ist fort,« erwiderte Miß Halcombe.

»Fort!«

»Fort mit Mrs. Clements. Beide verließen das Gehöfte heute Morgen um acht Uhr.«

Ich konnte kein Wort sagen – ich konnte nur fühlen, daß unsere letzte Aussicht auf Entdeckung des Geheimnisses mit ihnen geschwunden war.

»Alles, was Mrs. Todd über ihre Gäste weiß, habe ich erfahren,« fuhr Miß Halcombe fort, »und es läßt mich, wie Sie, im Dunkeln. Sie kamen Beide gestern Abend nachdem sie Sie verlassen, wohlbehalten zurück und brachten den ersten Theil des Abends, wie gewöhnlich, mit Mrs. Todd’s Familie zu. Aber gerade vor dem Nachtessen erschreckte Anna Catherick sie alle, indem sie ohnmächtig wurde. Sie hatte an dem Tage ihrer Ankunft auf dem Gehöfte einen Anfall ähnlicher Art gehabt, und Mrs. Todd hatte es damals auf etwas geschoben, was sie in unserer Ortszeitung gelesen, welche sie einen Augenblick vorher vom Tische genommen hatte.«

»Weiß Mrs. Todd, welche besondere Stelle in der Zeitung sie so erregte?« frug ich.

»Nein,« entgegnete Miß Halcombe. »Sie hatte sie durchgesehen und Nichts darin gefunden, was irgend Jemand erregen könnte. Ich bat indessen um die Erlaubniß, die Zeitung ebenfalls zu sehen, und schon auf der ersten Seite sah ich, daß der Redacteur Stoff zu seinen Neuigkeiten aus unseren Familienangelegenheiten geschöpft und unter anderen Tagesneuigkeiten die Verlobung meiner Schwester bekannt gemacht hatte, welche er den Londoner Zeitungen und ›Vermählungen in der vornehmen Welt‹ entlehnte. Ich schloß demnach sogleich, daß dies die Stelle gewesen, die einen so heftigen Eindruck für Anna Catherick gemacht hatte, und es schien mir außerdem hierin die Veranlassung des Briefes zu liegen, den sie am folgenden Tage nach unserem Hause schickte.«

»In beiden Fällen liegt nicht der geringste Zweifel vor. Aber was hörten Sie über ihren gestrigen Ohnmachtsfall?«

»Nichts. Die Ursache desselben ist ein vollkommenes Geheimniß. Es war niemand Fremdes im Zimmer. Der einzige Besuch war der unserer Milchmagd, die, wie ich Ihnen schon sagte, eine Tochter von Mr. Todd ist, und die Unterhaltung war die gewöhnliche, über Ortsneuigkeiten. Sie hörten sie, anscheinend ohne die geringste Ursache, einen Schrei ausstoßen, und sahen sie dann bis zum Tode erbleichen. Mrs. Todd und Mrs. Clements brachten sie oben hinauf, und Mrs. Clements blieb bei ihr. Man hörte sie bis spät nach der gewöhnlichen Schlafenszeit zusammen sprechen, und ganz früh heute Morgen nahm Mrs. Clements Mrs. Todd bei Seite und überraschte sie über alle Beschreibung mit der Ankündigung, daß sie sie verlassen müßten. Die einzige Erklärung, welche Mrs. Todd aus ihrer Freundin herausbringen konnte, war, daß sich etwas ereignet habe, woran Niemand auf dem Gehöfte die Schuld trage, das aber so ernster Art sei, daß Anna Catherick in Folge dessen Limmeridge zu verlassen beschlossen habe. Es war nutzlos, auf deutlichere Erklärung zu dringen. Mrs. Clements schüttelte nur den Kopf und bat, daß man sie um Anna Catherick’s willen nicht ferner befragen wolle. Alles, was sie wiederholen konnte – wobei man sah, daß sie selbst ernstlich bewegt war – bestand darin, daß Anna abreisen und sie dieselbe begleiten und der Ort, nach dem sie sich jetzt hinwenden würden, jedermann ein Geheimniß bleiben müsse. Ich verschone Sie mit der Erzählung von Mrs. Todd’s gastfreundlichen Vorstellungen und Weigerungen. Dieselben endeten damit, daß sie mit Beiden vor mehr als drei Stunden nach der Eisenbahnstation fuhr. Sie versuchte unterwegs Alles Mögliche, um Mrs. Clements zu bewegen, sich deutlicher auszusprechen, aber ohne allen Erfolg. Und sie fühlte sich so verletzt und beleidigt durch die rücksichtslose Hast ihrer Abreise und den unfreundlichen Mangel an Vertrauen zu ihr, daß sie Beide vor der Station absteigen ließ, ohne ihnen Adieu gesagt zu haben. Das ist genau, was sich zugetragen hat. Suchen Sie in Ihrem Gedächtnisse, Mr. Hartright, und sagen Sie mir, ob sich gestern Abend auf dem Begräbnißplatze irgend etwas ereignet hat, daß diese sonderbare Abreise der beiden Frauen heute Morgen erklären konnte.«

»Ich möchte mir erst die seltsame Veränderung in Anna Catherick erklären, welche die Leute auf dem Gehöfte erschreckte, mehrere Stunden nachdem sie und ich auseinander gegangen waren und nachdem Zeit genug verflossen, um sich von irgend einer Aufregung, die ich das Unglück hatte, ihr zu verursachen, zu erholen. Haben Sie besonders gefragt, worüber man sich eben im Zimmer unterhielt, als sie ohnmächtig wurde?«

»Ja. Aber Mrs. Todd’s Aufmerksamkeit scheint gestern Abend während der Unterhaltung in ihrem Wohnzimmer zum Theil durch ihre häuslichen Angelegenheiten in Anspruch genommen gewesen zu sein. Sie konnte mir blos sagen, daß es ›eben die Neuigkeiten‹ waren, womit sie vermutlich meinte, daß sie sich Alle wie gewöhnlich unterhielten.«

»Das Gedächtniß der Milchmagd mag besser sein als das ihrer Mutter,« sagte ich. »vielleicht wäre es gut, Miß Halcombe, wenn Sie mit dem Mädchen redeten, sobald wir nach Hause kommen.«

Miß Halcombe handelte, sowie wir im Hause anlangten, nach meinem Vorschlage. Sie führte mich nach den Nebengebäuden herum, und wir fanden das Mädchen in der Milchkammer, wo sie mit bis an die Achseln aufgestreiften Aermeln eine Milchschale ausspülte und fröhlich bei ihrer Arbeit sang.

»Ich bringe diesen Herrn, um ihm Deine Milchkammer zu zeigen, Hanna,« sagte Miß Halcombe, »sie ist eine von den Sehenswürdigkeiten des Hauses und macht dir alle Ehre.«

Das Mädchen erröthete, machte einen Knix und sagte verlegen, sie hoffe, daß sie immer ihr Möglichstes thue, um Alles hübsch sauber und ordentlich zu halten.

»Wir kommen eben von Deines Vaters Hause her,« fuhr Miß Halcombe fort. »Du warst gestern Abend dort, wie ich höre, und fandest Besuch vor?«

»Ja, Miß.«

»Eine der Anwesenden wurde ohnmächtig, wie man mir erzählt hat? Wurde irgend etwas erzählt oder gethan, das sie erschrecken konnte? Du erzähltest doch nicht etwa irgend etwas Fürchterliches, wie?«

»O nein, Miß,« sagte das Mädchen lachend, »wir sprachen nur von den Neuigkeiten.«

»Deine Schwestern erzählten dir die Neuigkeiten von Todd’s Ecke, vermuthlich?«

»Ja, Miß.«

»Und Du erzähltest ihnen dafür die Neuigkeiten in Limmeridge House?«

»Ja, Miß. Und ich weiß es ganz gewiß, daß Nichts gesagt wurde, was das arme Geschöpf erschrecken konnte, denn ich sprach gerade in dem Augenblicke, wo ihr unwohl wurde. Mir wurde ganz schlecht zu Muthe, als ich es sah, Miß, da ich noch niemals Jemanden habe ohnmächtig werden sehen.«

Ehe Miß Halcombe dem Mädchen noch fernere Fragen vorlegen konnte, wurde dieses abgerufen, um an der Thür einen Korb mit Eiern entgegenzunehmen. Als sie uns verließ, flüsterte ich Miß Halcombe zu:

»Fragen Sie sie, ob sie gestern Abend zufällig erwähnte, daß Besuch in Limmeridge House erwartet werde.«

Miß Halcombe bedeutete mich mit einem Blicke, daß sie mich verstanden, und that die Frage, sowie das Milchmädchen zurückkehrte.

»O ja, Miß, ich erwähnte das,« sagte dieses ganz einfach. »Die Neuigkeiten von dem erwarteten Besuch und von dem Falle mit der scheckigen Kuh waren Alles, was ich ihnen zu erzählen hatte.«

»Hast Du Namen genannt? Hast Du gesagt, daß wir Sir Percival Glyde am Montag erwarten?«

»Ja, Miß – ich erzählte, daß Sir Percival Glyde am Montag kommen werde. Ich hoffe, es war Nichts Böses darin, und daß ich kein Unheil damit angerichtet habe?«

»O nein, Nichts Böses. Kommen Sie, Mr. Hartright, wir werden Hanna im Wege sein, wenn wir sie noch länger bei der Arbeit stören.«

Sowie wir wieder allein waren, standen wir stille und sahen einander an.

»Zweifeln Sie jetzt, Miß Halcombe?«

»Sir Percival Glyde soll meinen Zweifel entweder beseitigen, – oder Laura Fairlie niemals seine Frau werden.«


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