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Memoiren eines Adoptivsohns

IV Sein Abgang von der Szene

Die Natur von Poulaillers ernsteren Erfolgen in der Kunst des Raubes mag unter Bezug auf eine schreckliche Tatsache realisiert werden. In den Polizeiberichten dieser Zeit wurden einhundertfünfzig Männer und Frauen aufgezählt, welche ihrem Tod durch die Hände von Poulailler und seiner Bande entgegentraten. Es war nicht der Brauch dieses furchterregenden Räubers, Leben wie Besitz zu nehmen, wenn nicht das Leben zufällig direkt im Weg stand – in welchem Fall er sofort das Hindernis ohne Zögern und ohne Reue zunichte machte. Seine tödliche Bestimmung, zu rauben, die demnach von der Bevölkerung im allgemeinen gefühlt wurde, wurde mit seiner tödlichen Bestimmung, dass ihm gehorcht werden müsse, vereint, welche von seinen Gefolgsleuten im besonderen gespürt wurde. Zum Beispiel wurde einer von ihnen, der illoyal geworden war und danach versucht hatte, seinen Führer zu betrügen, bis zu seinem Versteck in einem Keller verfolgt und wurde lebendig in Poulaillers Gegenwart eingemauert, wobei der Räuber die Grabinschrift des unglücklichen Wesens komponierte und es auf den weichen Gips mit seiner eigenen Hand kratzte. Jahre später wurde die Inschrift bemerkt, als das Haus in den Besitz eines neuen Eigentümers überging, und wurde für nichts mehr als einer der vielen Scherze des berühmten Räubers gehalten, die er in dieser Zeit praktiziert hatte. Als die Steine entfernt wurden, fiel das Skelett heraus und bewies, dass es Poulailler völlig ernst war.

Die Verhaftung eines Mannes wie diesem war, indem man seine Gefolgsleute besticht, praktisch unmöglich. Keine Geldsumme, welche angeboten werden konnte, würde irgendeinen seiner Bandenmitglieder dazu verleiten, die unheilvolle Chance auf seine Rache zu riskieren. Andere Mittel, Besitz von ihm zu ergreifen, waren versucht worden und vergeblich versucht worden. Fünfmal hatte die Polizei ihn erfolgreich zu seinen verschiedenen Verstecken verfolgt; und bei allen fünf Gelegenheiten hatten ihm die Frauen – welche ihn für seine Galanterie, seine Großmütigkeit und sein gutes Aussehen anhimmelten – zur Flucht verholfen. Wenn er nicht unbewusst den Weg zu seiner eigenen Gefangennahme gepflastert hätte, zuerst durch die Flucht mit Mademoiselle Wilhelmina de Kirbergen und zweitens durch Misshandlungen an ihr, ist es mehr als zweifelhaft, ob der lange Arm des Gesetzes jemals weit genug gereicht hätte, um seinen Griff um ihn zu legen. So wie es war, trafen sich zuletzt die Extreme von Liebe und Hass im Busen der hingebungsvollen Wilhemina und die Rache einer vernachlässigten Frau bewältigte, was die ganze Polizeimacht von Paris ohnmächtig nicht erreichen konnte.

Poulailler war, niemals berühmt für eine lange Dauer seiner Zuneigungen, der Gesellschaft seiner Flucht aus Deutschland zu einer frühen Zeit müde geworden; aber Wilhelmina war eine dieser Frauen, deren Zuneigung, einmal erwacht, kein Nein als Antwort akzeptiert. Sie bestand darauf, sich an den Mann zu hängen, der aufgehört hatte sie zu lieben. Poulaillers Geduld wurde erschöpft; er versuchte zweimal, die unglückliche Dame loszuwerden – einmal durch das Messer, einmal durch Gift – und versagte bei beiden Gelegenheiten. Beim dritten und letzten Mal, indem er einen Versuch anderer Art machte, setzte er eine Nebenbuhlerin ein, um die deutsche Frau aus dem Haus zu treiben. Von diesem Augenblick an war sein Schicksal besiegelt. Durch rasende Eifersucht in den Wahnsinn getrieben, schrieb Wilhelmina die letzten Bruchstücke ihrer Zuneigung in den Wind. Sie verhandelte geheim mit der Polizei und Poulailler traf sein Schicksal.

Eine Nacht wurde mit den Behörden vereinbart und der Räuber wurde von seiner verschmähten Geliebten zu einem Abschiedsgespräch eingeladen. Sein verächtliches Vertrauen auf ihre Treue machte ihn sorglos ob seiner gewöhnlichen Vorkehrungen. Er nahm die Vereinbarung an und die beiden aßen zusammen abend, mit dem Einverständnis, dass sie fortan Freunde waren und nichts mehr. Gegen Ende des Essens wurde Poulailler von einem grauenhaften Wechsel im Gesicht seiner Gefährtin erschreckt.

»Was ist los mit dir?« fragte er.

»Nur eine Kleinigkeit«, antwortete sie, in ihr Glas Wein schauend. »Ich kann nicht aufhören, dich zu lieben, so schlecht du mich auch behandelt hast. Du bist ein toter Mann, Poulailler, und ich werde dich nicht überleben.«

Der Räuber sprang auf seine Füße und ergriff ein Messer auf dem Tisch.

»Du hast mich vergiftet!« rief er aus.

»Nein«, antwortete sie. »Gift ist meine Rache an mir selber; nicht meine Rache an dir. Du wirst von diesem Tisch aufstehen, wie du dich hingesetzt hast. Aber deinen Abend wirst du im Gefängnis beenden und dein Leben wird auf dem Rad beendet werden.«

Als sie diese Worte sprach, wurde von der Polizei die Tür aufgestoßen und Poulailler wurde verhaftet. In derselben Nacht verrichtete das Gift seine unheilvolle Arbeit und seine Geliebte leistete mit ihrem Leben Sühne für den ersten und letzten Akt des Betrugs, welcher sie an dem Mann gerächt hatte, den sie liebte.

Einmal sicher in den Händen der Justiz untergebracht, versuchte der Räuber, Zeit zu gewinnen, um fliehen zu können, indem er versprach, wichtige Offenbarungen zu machen. Die List nutzte ihm nichts. In jenen Tagen hatten die Gesetze des Landes noch nicht Bekanntschaft mit den Gesetzen der Menschlichkeit gemacht. Poulailler wurde der Folter ausgesetzt – ihm wurde gestattet, sich davon zu erholen – wurde öffentlich auf dem Rad gebrochen – und wurde lebendig von ihm genommen, um in ein loderndes Feuer geworfen zu werden. Durch diese mörderischen Mittel hatte die Gesellschaft sich eines mörderischen Mannes entledigt und die Müßiggänger auf den Bollwerken machten wieder ihren Abendspaziergang in wiederhergestellter Sicherheit.

***

Paris hatte die Hinrichtung von Poulailler gesehen; aber wenn den Legenden Glauben geschenkt werden kann, sahen unsere alten Freunde, die Leute aus dem Fischerdorf in der Bretagne, das Ende von ihm hinterher. Am Tag und in der Stunde, als er dahinschied, verdunkelte sich der Himmel und ein schrecklicher Sturm zog auf. Einmal mehr für einen Augenblick nur, rötete der Schimmer des unirdischen Feuers die Fenster des alten Turms. Der Donner schlug und das Gebäude zerfiel in Trümmer. Blitze leuchteten unaufhörlich über der Ruine; und im glühenden Schein davon wurde das Boot, welches in früheren Jahren in See gestochen war, wenn der Sturm am höchsten aufzog, gesehen, wie es aus der Felsenkluft in den zürnenden Ozean hinausschoss und man entdeckte bei dieser letzten Gelegenheit, dass es mit zwei Personen bemannt war. Der Teufelsfischer saß am Steuer; sein Adoptivsohn zerrte an den Rudern; und ein Geschrei teuflischer Stimmen, welche schrecklich durch den dröhnenden Sturm brüllten, wünschten dem Paar eine glückliche Reise.


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