Wilkie Collins - Logo - Klicken, um Navigationsmenü einzublenden
 

Der Polizist und die Köchin

V.

Ohne es zu wollen, bin ich bei meiner Erzählung undankbar gewesen. Denn es gab zwei Personen, welche in meinem Entschlusse, die Nachforschungen auf eigene Hand fortzusetzen, nichts Lächerliches fanden. Die eine war Fräulein Mybus, die andere die Köchin Priscilla Thurlby.

Was zunächst Fräulein Mybus betraf, so war sie über die geduldige Ergebung, mit welcher die Polizei ihre Niederlage aufnahm, sehr ungehalten. Sie war ein kleines, helläugiges, lebhaftes Frauenzimmer, das seine Meinung immer freimütig aussprach. »Das geht auch mich an,« sagte sie, »denn wenn ich ein oder zwei Jahre zurückblicke, kommen mir zwei Fälle ins Gedächtnis, wo zu London Personen ermordet aufgefunden wurden und von den Mördern nie eine Spur aufgefunden worden ist. Ich bin auch eine Person und ich frage mich, ob nicht demnächst die Reihe an mich kommt. Sie sind ein netter Bursche, und Ihr Blut und Ihre Ausdauer gefällt mir. Kommen Sie hierher, so oft Sie es für gut finden, und sagen Sie, Sie wollten mich besuchen, wenn man Schwierigkeiten macht, Sie einzulassen.« »Noch etwas! Ich habe nichts Besonderes zu tun, und ich bin nicht auf den Kopf gefallen; hier in meinen Zimmern sehe ich jeden, der in das Haus kommt, und jeden, der es verlässt. Lassen Sie mir Ihre Adresse hier; ich kann vielleicht noch irgendeine Aufklärung für Sie erlangen.«

Mit dem besten Willen fand jedoch Fräulein Mybus keine Gelegenheit, mir zu helfen. Von den beiden Genannten schien Priscilla Thurlby von größerem Nutzen für mich zu sein. Zunächst war sie schlau und tätig, und sie war Herr ihrer Entschlüsse, da ihre Bemühungen, eine andere Stelle zu bekommen, bis jetzt ohne Erfolg geblieben waren. Sodann war sie ein Frauenzimmer, auf das ich mich verlassen konnte. Ehe sie ihre Heimat verließ, um in London sich im häuslichen Dienste zu versuchen, gab ihr der Pfarrer ihres Kirchspiels ein schriftliches Zeugnis, von welchem ich eine Abschrift hier beifüge. Sie lautet:

Ich empfehle Fräulein Priscilla Thurlby gerne für jede anständige Stelle, die sie zu übernehmen imstande sein sollte. Ihre Eltern sind gebrechliche alte Leute, die kürzlich eine Verminderung ihres Einkommens erlitten haben, und sie haben noch eine jüngere Tochter zu ernähren. Da sie ihren Eltern nicht zur Last sein will, geht Priscilla nach London, um einen häuslichen Dienst zu suchen und ihren Lohn zur Unterstützung ihrer Eltern zu verwenden. Dieser Umstand spricht für sich selbst. Ich kenne die Familie seit vielen Jahren, und ich bedauere nur, dass ich keine freie Stelle in meinem eigenen Haushalt habe, welche ich diesem tüchtigen Mädchen anbieten könnte.

gez. Heinrich Derrington,

Pfarrer.

Nachdem ich diese Zeilen gelesen hatte, konnte ich Priscilla ohne Bedenken bitten, mir bei der Wiederaufnahme der Nachforschungen über den geheimnisvollen Mord zu helfen, um sie zu einem guten Ende zu führen. Mein Gedanke war der, dass das Verhalten der Leute im Hause der Frau Großcapel noch nicht sorgfältig genug untersucht worden sei. Im Verlaufe meiner Nachforschungen fragte ich Priscilla, ob sie mir irgendetwas mitteilen könnte, was das Hausmädchen im Bunde mit Herrn Deluc erscheinen lasse. Sie war nicht gewillt, mir zu antworten.

»Ich könnte vielleicht Verdacht auf eine unschuldige Person werfen,« sagte sie; »außerdem war ich nur eine so kurze Zeit mit dem Mädchen im Dienste. —« »Sie schliefen in demselben Zimmer mit ihr,« bemerkte ich, »und Sie hatten deshalb Gelegenheit, ihr Verhalten gegen die Mieter zu beobachten. Wenn man Sie bei dem gerichtlichen Verhöre gefragt hätte, was ich Sie jetzt frage, würden Sie sicherlich als rechtschaffene Frau geantwortet haben.« Dieser Folgerung gegenüber gab sie nach. Ich hörte von ihr gewisse Umstände, welche neues Licht auf Herrn Deluc und auf die Angelegenheit im allgemeinen warfen. Auf diese Auskunft hin handelte ich. Infolge der Ansprüche, die der regelmäßige Dienst an mich stellte, war es zwar nur langsame Arbeit, aber mit Priscillas Hilfe rückte ich sicher gegen das Ziel vor, das ich im Auge hatte. Außerdem hatte ich noch eine Verpflichtung gegen Frau Großcapels hübsche Köchin.

Das Geständnis muss ja früher oder später gemacht werden, und ich kann es ebensogut auch jetzt machen. Durch sie erfuhr ich damals zuerst, was Liebe ist, von ihr erhielt ich köstliche Küsse; und wenn ich fragte, ob sie mich heiraten wolle, sagte sie nicht nein. Sie sah ja, ich muss es gestehen, ein wenig traurig aus und erwiderte: »Wie können zwei so arme Leute, wie wir sind, jemals hoffen zu heiraten?« Darauf antwortete ich ihr: »Es wird nicht lange dauern, so werde ich meine Hand auf den Faden legen, den mein Inspektor nicht hat finden können. Wenn diese Zeit kommt, werde ich, meine Teuere, in der Lage sein, dich zu heiraten.«

Bei unserer nächsten Zusammenkunft sprachen wir von ihren Eltern. Ich war nun ihr Verlobter. Nach den Schritten anderer Leute in meiner Lage zu urteilen, schien es mir nur richtig zu sein, nunmehr mit ihren Eltern bekannter zu werden. Sie stimmte ganz mit mir überein und schrieb an diesem Tage noch den Eltern nach Hause, dass sie uns am Ende der Woche erwarten möchten. Ich übernahm Nachtdienst und gewann so freie Zeit für den größten Teil des nächsten Tages. Ich legte einfache bürgerliche Kleidung an, und wir nahmen an der Bahn Billets nach Yateland, der nächsten Station bei dem Dorfe, in welchem Priscillas Eltern wohnten.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte