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Antonina oder der Untergang Roms



Kapitel IV.
Die letzten Versuche der Belagerten.

Wir kehren auf die Straße, vor dem Palaste zurück. Die unheilvollen Wirkungen der Belagerung waren schwer auf die herabgesunken, welche die Nacht über dort gelegen hatten. Von der lärmendem wüthenden Menge des vorigen Abends war jetzt nicht einmal mehr ein Ton zu vernehmen. Einige, die von Erschöpfung und Bewußtlosigkeit in ihrem Hungerparoxismus ergriffen worden waren, lagen mit halb in den Mund gepreßten Händen da, als hätten sie in ihrem heißhungrigen Wahnsinne versucht, von ihrem eigenen Fleische zu zehren, Andere erhoben von Zeit zu Zeit matt ihre schweren Augen und beachteten auf dem gegenwärtigen äußersten Punkte ihrer Leiden nicht mehr das Gebäude, dessen Vernichtung zu erblicken sie sich versammelt hatten, sondern erwarteten eine phantastische Verwirklichung der Träume von reichgedeckten Tischen und schneller Hilfe; die das Delirium des Hungers und der Krankheit wie im Spotte vor ihnen heraufbeschworen hatte.

In Kurzem und ehe sich noch die Sonne hoch über den Horizont erhoben hatte, wurde die Aufmerksamkeit der Wenigen unter dem Volke, die noch einige Wahrnehmungsfähigkeit für äußere Ereignisse bewehrten, auf das Erscheinen eines unregelmäßigen Zuges gelenkt, welcher zum Theil aus Bürgern, zum Theil aus Senatsbeamten bestand und von zwei Männern angeführt wurden, die langsam von dem nach dem Innern der Stadt führenden Ende der Straße herankamen. Der Zug hielt vor Vetranio’s Palaste an, und jetzt vernahmen diejenigen Mitglieder der Menge, welche noch nicht gänzlich von der Hoffnung verlassen waren, die erfreuliche Nachricht, daß der Zug, welchen sie erblickten, ein Friedenszug und die beiden Anführer desselben der Spanier Basilius, ein Provinzialstatthalter und Johannes, der oberste kaiserliche Notar, zu Gesandten ernannt seien, um einen Vertrag mit den Gothen abzuschließen.

Als diese Nachricht erschal1te, standen Männer, die bisher der geringsten Bewegung unfähig erschienen waren, mühsam, aber entschlossen auf und drängten sich um die beiden Gesandten, wie um zwei, sie von der Knechtschaft und dem Tode zu befreien, vom Himmel herabgestiegene Engel. Mittlerweile hatten sich einige von den Senatsbeamten, da sie die vorderen Thore des Palastes verschlossen fanden, nach den Garteneingängen aus der Rückseite des Gebäudes, verfügt, um Einlaß bei dem Besitzer zu erlangen« Die Abwesenheit Vetranio’s und seiner Freunde von den Regierungsberathungen war ihrem Widerwillen über den hartnäckigen, nutzlosen Widerstand, den man noch den Gothen leistete, zugeschrieben worden. Seht, wo man sich zur Unterwerfung entschlossen hatte, war es sowohl für räthlich, wie für leicht gehalten worden, sie peremtorisch zu ihren Pflichten zurückzurufen. Außer diesem Grunde, um das Innere des Palastes aufzusuchen, hatten die Diener des Senats dort noch einen andern Auftrag zu verrichten. Der weit herumgekommene Entschluß Vetranio’s und seiner Genossen, sich in dem Delirium einer letzten Orgie durch Feuer umzubringen, der so lange man die dringenden Gefahren der Stadt hatte berücksichtigen müssem unbeachtet geblieben war, wurde jetzt zu einer Quelle von Besorgniß und Aengstlichkeit für die geschäftsführenden Mitglieder des römischen Senats, seit ihr Geist von einem Theile der Veranwortlichkeit, welche auf ihnen gelastet hatte, durch ihren Entschluß, sich um den Frieden zu bewerben, befreit worden war.

Die jetzt nach dem Palaste gesendeten Personen erhielten demnach den Auftrag, seine Zerstörung zu verhindern, wenn dies wirklich beabsichtigt worden war, so wie die darin Befindlichen auf ihre Plätze im Senatshause zurückzurufen. In wiefern sie, zu der Zeit ihres Eindringens in, den Banketsaal ihre doppelte Sendung auszuführen vermochten, kann sich der Leser leicht berechnen. Sie fanden Vetranio noch immer auf dem Platze, welchen er eingenommen hatte, seit er von Antoninen verlassen worden war. Durch ihr Kommen aus der Betäubung aufgeschreckt, welche bisher auf ihm gelastet hatte, kehrte sein verzweifelter Vorsatz wieder zurück und er machte einen Versuch, die noch schwach brennende Lampe von ihrem Orte herabzureißen, und allem Eindringen zum Trotz den Scheiterhaufen anzuzünden. Seine bereits aufs Aeußerste angespannten Kräfte verließen ihn jedoch, er fiel, ohnmächtige Drohungen des Trotzes und der Rache ausstoßend, bewußtlos in die Arme der Senatsbeamten, welche ihn zurückhielten. Einer von ihnen wurde, während seine Collegen in dem Palaste zurückblieben, augenblicklich wieder fortgeschickt, um sich mit den Anführern des Zuges auf der Straße in Vernehmen zu setzen. Nachdem er seinen Bericht abgestattet hatte, trennten sich die beiden Gesandten von dem sie begleitenden Zuge und begaben sich langsam und nur von wenigen erwählten Dienern gefolgt —— eine traurige, entwürdigte Gesandtschaft von dem Volke, welches der östlichen und westlichen Welt einst seine Herrschaft, seine Gebräuche und selbst seine Sprache aufgezwungen hatte —— hinaus, um mit den Barbaren, die von ihren Vätern geknechtet worden waren, einen schmachvollen Frieden zu erhandeln.

Nach der Entfernung der Gesandten begaben sich alle noch der Anstrengung fähigen Zuschauer nach dem Forum, um dort ihre Rückkehr abzuwarten und trafen daselbst Mitglieder der niedrigen Volksklasse aus andern Theilen der Stadt. Man wußte, daß die erste Nachricht von dem Resultate der Gesandtschaft auf diesem Platze gegeben werden würde, und in ihrer eifrigen Begier, sie zu hören, in dem peinlichen Verlangen ihrer letzten Erlösungshoffnung schien selbst der Tod auf eine Zeitlang in seinem verderblichen Gange durch die Reihen der Belagerten gehemmt worden zu sein. In Schweigen und Besorgniß zählten sie die trägen Augenblicke des Verzugs und sahen mit bangem Blicke die Schatten kürzer und kürzer werden, als sich die Sonne allmälig am Himmel bis zum Mittagspunkt erhob.

Endlich nach einer Abwesenheit, welche von endloser Dauer zu sein schien, kamen die Gesandten wieder in die Stadt. Als sie bei ihrer Rückkehr durch das Volk schritten, sprach weder der Eine noch der Andere, aber ihre Blicke des Entsetzens und der Verzweiflung waren für Jeden, der sie sah, beredt genug —— ihre Sendung war mißlungen.

Eine Zeitlang schien kein Mitglied der Regierung Entschlossenheit genug zu besitzen, um aufzutreten und das Volk über die erfolglose Gesandtschaft anzureden. Nach einem langen Zwischenraume trat jedoch der Präfekt Pompejanus selbst, theilweise von den selbstsüchtigen Bitten seiner Freunde getrieben, theilweise auch von der kindischen Prunkliebe, die bei allen seinen jetzigen Aengsten und Besorgnissen noch nicht verschwunden war, bewegt, auf einen von den unteren Balkonen des Senatshauses, um die unter ihm stehende Volksmasse anzureden.

Die erste Magistratsperson von Rom war nicht mehr die pomphafte, stattliche Person, deren Eindringen bei Vetranio zu Anfange der Belagerung, im zweiten Bande beschrieben worden ist —— das wenige überflüssige Fleisch, welches sein Gesicht noch zeigte, hing um dasselbe her, wie ein schlecht angepaßtes Gewand, sein Ton war weinerlich geworden, er hatte die rednerischen Gebärden, mit welchen er seine früheren Ansprachen reichlich auszuschmücken gewohnt gewesen, alle aufgegeben, und von dem ursprünglichen Menschen war jetzt nichts mehr vorhanden, als der Bombast seiner Sprache und die unverschämte Selbstgefälligkeit seines Eigenlobs, die jetzt im verächtlichen Kontrast mit seiner niedergeschlagenen Haltung und seiner entmuthigenden Erzählung von Entwürdigung und Niederlage hervortrat.

»Ihr Männer von Rom, möge Jeder von Euch in seiner Person die heroischen Tugenden eines Regulus oder Cato üben,« begann der Präfekt »Es steht nicht in unserer Macht, einen Vertrag mit den Barbaren zu schließen. Die Geißel des Reiches, Alarich selbst befehligt das Heer der Eroberer. Vergeblich waren die würdevollen Vorstellungen des ernsten Basilius, fruchtlos war die überredende Rhetorik des schlauen Johannes, bei dem blutdürstigen, ruhmredigen Gothen! Als die Gesandten vor ihn gelassen wurden, verbreiteten sie sich, um ihn zu einer Kapitulation zu schrecken, mit klugem und lobenswerthem Patriotismus, über die Erfahrenheit der Römer im Gebrauch der Waffen, ihre Kriegsbereitschaft und ihre ungeheure Anzahl innerhalb der Stadtmauern. Ich erröthe die Antwort des Barbaren zu wiederholen. Er lachte unmäßiger und antwortete: Je dicker das Gras steht, desto leichter läßt es sich mähen! Ohne sich schrecken zu lassen, sprachen die Gesandten mit veränderter Taktik gutmüthig von ihrer Bereitwilligkeit, einen Frieden zu erkaufen. Bei diesem Vorschlage überstieg seine Unverschämheit alle Grenzen barbarischer Anmaßung: »Ich werde die Belagerung nicht eher aufgeben,« rief er, »als bis mir alles Gold und Silber in der Stadt, alle Waaren darin und alle Sklaven aus den nördlichen Ländern ausgeliefert sind.« »Was, o König, willst Du uns denn lassen?« fragten unsere entsetzten Gesandten. »Euer Leben»antwortete der unerbittliche Gothe. Als sie dies hörten, gerieth selbst der entschlossene Basilius und der weise Johannes in Verzweiflung. Sie verlangten Zeit, um sich mit dem Senat in Vernehmen zu setzen und verließen das feindliche Lager ohne Verzug. Dies war das Ende der Gesandtschaft, dies die anmaßende Verruchtheit des barbarischen Feindes.«

Hier hielt der Präfekt aus Schwäche und Mangel an Athem inne. Seine Rede war jedoch noch nicht zu Ende. Er hatte das Volk durch seine Erzählung desjenigen, was den Gesandten zugestoßen war, muthlos gemacht, er ging jetzt daran, es durch die Mittheilung eines ihm selbst begegneten Umstandes zu trösten, und fuhr nach einiger Zeit fort.

»Aber selbst jetzt noch, ihr Bürger von Rom, brauchen wir nicht zu verzweifeln! Es bleibt uns noch eine Aussicht auf Befreiung und diese Aussicht ist von mir entdeckt worden. Ich hatte das Glück, während der Abwesenheit unserer Gesandten einige Männer, aus Toskana zu treffen, die wenige Tage vor dem Anfange der Belagerung nach Rom gekommen waren und die von einem Plane zur Befreiung der Stadt sprachen, den sie nur dem Präfekten mittheilen wollten. Da ich stets für das öffentliche Wohl besorgt bin und zum Vortheile meines Amtes von Seiten Fremder Trotz biete, gewährte ich diesen Leuten eine geheime Unterredung Sie erzählten mir ein erstaunliches, wunderbares Ereigniß. Die Stadt Neveia, die, wie Ihr alle wißt, auf der direkten Straße der Barbaren lag, als diese nach Rom marschierten, wurde vor ihren Räuberbanden durch einen furchtbaren Gewittersturm beschützt. Dieser Sturm entstand nicht, wie Ihr vielleicht denken werdet, aus einem zufälligen Kampfe der Elemente, sondern wurde durch die ausdrückliche Einmischung der Schutzgottheiten der Stadt auf die Köpfe der Feinde geschleudert, nachdem die Einwohner in ihrer Gefahr wieder zu ihrer alten Religion zurückgekehrt waren und Jene angerufen hatten. So sagten die Männer von Toskana und solche fromme Hilfsmittel, wie die von dem Volke von Neveia angewendeten, empfahlen sie dem Volke von Rom! Ich meinestheils gestehe Euch, daß ich an ihren Plan glaube. Das Alterthum unserer früheren Religion ist meinen Augen immer noch ehrwürdig; die Gebete der Priester unseres neuen Glaubens haben zu unserm Besten noch keine Wunder bewirkt, ahmen wir daher das Beispiel der Bewohner von Neveia nach und schleudern wir durch die Macht unserer Gebete die Donner Jupiters auf das barbarische Lager! Laßt uns unsere Erlösung von der mächtigen Einwirkung der Götter erwarten, welche unsere Väter verehrt haben und die das Verlassen ihrer Tempel durch unser jetziges Unglück rächen. Ich gehe, um ohne Verzug dem Bischofe Innocentius und dem Senate die öffentliche Ausübung feierlicher Opferceremonien auf dem Capitole vorzuschlagen! Ich verlasse Euch in der freudigen Ueberzeugung, daß die durch unsere zurückgekehrte Treue für ihre Altäre beschwichtigten Götter den übernatürlichen Schutz, welchen sie den Einwohnern einer Provinzialstadt gewährt haben, dem römischen Volke nicht versagen werdend!«

Dem merkwürdigen Vorschlage des Präfekten, die Stadt durch den öffentlichen Glaubensabfall der Belagerten von der Belagerung zu befreien, folgte kein Ton der Billigung oder der Mißbilligung. Als er verschwand, wendete sieh die Zuhörerschaft wortlos ab. Eine allgemeine Verzweiflung überwältigte sich ihnen selbst die letzten Kräfte der Uneinigkeit und des Verbrechens, sie fügten sich mit der düsteren Gleichgültigkeit von Wesen, in denen alle menschlichen Empfindungen, alle menschlichen Leidenschaften, die guten sowohl, wie die bösen, erloschen waren, in ihr Schicksal. Der Präfekt entfernte sich um dem Bischofe einer christlichen Kirche die Rückkehr zum Heidenthume vorzuschlagen, aber weder die Regierung noch das Volk machte einen nutzbringenden Versuch, um Hilfe zu erlangen.

Und so neigte sich auch dieser Tags trauriger und unglücklicher und noch mehr mit Gefahr, Elend und Pein beladen, als alle diesem vorhergegangenen, seinem Ende zu.

Der folgende Tag dämmerte herauf, aber auf dem Capitol waren keine Vorbereitungen zu den Ceremonien der alten Religion zu erblicken. Der Senat und der Bischof nahmen Anstand, sich der Verantwortlichkeit auszusetzen, eine öffentliche Wiederherstellung des Heidenthums zu autorisieren, während die Bürger, die alle himmlische, wie irdische Hoffnung auf Hilfe verloren hatten, gegen Alles, was um sie her vorging, so achtlos wie die Todten blieben. In Rom befand sich ein Mann, dem es vielleicht gelungen sein würde, ihre matten Kräfte zum Glaubensabfalle aufzuregen, aber wo war er und womit beschäftigte er sich?

Jetzt, wo die Gelegenheit, für welche er eine lange Existenz des Leidens, der Entwürdigung und des Verbrechens hindurch entschlossen, wenn auch vergebens, gearbeitet hatte, sich lockender und günstiger, als selbst er in seinen wildesten Träumen von Erfolg je zu hoffen gewagt, von selbst darbot —— wo war jetzt Ulpius? verborgen vor allen menschlichen Augen gleich einem giftigen Kriechthiere in seinem Verstecke in dem verlassenen Tempel, bald um seine Idole in wüthendem Wahnsinn rasend, bald in blödsinniger Anbetung vor ihnen ausgestreckt —— für die Interessen seiner Religion in der Krisis ihres Schicksals schwächer als das schwächste Kind, welches verhungernd durch die Straße kroch, —— das Opfer seiner eigenen bösartigen Machinationen gerade in dem Augenblicke, wo sie ihn zum Triumphe hätten führen können —— der Gegenstand der schlimmsten irdischen Wiedervergeltung der, durch welche die Gottlosen vermittelst ihrer eignen Sünden in ihren Plänen verhindert, verurtheilt und bestraft werden.

Es vergingen noch drei Tage. Der Senat, dessen Mitgliederzahl in der Pest schnell abnahm, verwendete die Zeit auf unnütze Berathungen oder schwieg finster. Jeden Morgen blickten die müden Wächter in der vergeblichen Hoffnung, die lange versprochenen Legionen von Ravenna auf Rom zu marschieren zu sehen, von den Mauern hinab und jeden Morgen faßten die Verheerung und der Tod unter den unglücklichen Belagerten festen Fuß. Endlich am vierten Tage gab der Senat alle Hoffnung auf fernern Widerstand auf und beschloß sich zu unterwerfen, was auch die Folgen davon sein mochten. Es wurde bestimmt, daß eine zweite Gesandtschaft aus dem ganzen geschäftsführenden Senate bestehend und von einem bedeutenden Gefolge begleitet, zu Alarich gehen solle, daß man noch einen Versuch machen wolle, ihn zu bewegen, statt seiner die Besiegten in das Verderben stürzenden Forderungen weniger härtete zu stellen, und wenn dies mißlang, die Thore zu öffnen und in Verzweiflung die Stadt und das Volk seiner Gnade anheim zu geben.

Sobald sich der Zug, dieser letzten römischen Gesandtschaft auf dem Forum bildete, vermehrte sich ihre Zahl fast augenblicklich trotz allen Widerstandes, durch diejenigen unter dem Volke, welche noch im Stande waren, ihren schwachen, kranken Körper zu bewegen und die, auf dem Gipfel der Verzweiflung angelangt, beschlossen hatten, auf jede Gefahr hin das Oeffnen der Thore zu benutzen und aus der Stadt der Pestilenz in welche sie eingemauert waren, zu fliehen, mochten sie nun unter den Schwertern der Gothen umkommen oder beistandslos im freien Felde verschmachten. Alle Fähigkeit, die Ordnung aufrecht zu erhalten, war längst schon verschwunden, die wenigen um die Senatoren versammelten Soldaten machten einen. vergeblichen Versuch das Volk zurück zutreiben und stellten dann jeden weiteren Widerstand gegen dessen Willen ein.

Schwach und schweigend bewegte sich jetzt der niedergeschlagene Zug auf den breiten Straßen hin, die so oft unter dem Schmettern kriegerischer Musik und dem Beifallsgeschrei der Menge von den Triumphzügen des siegreichen Rom betreten worden waren, und auf jeder Straße schlossen sich ihm unterwegs abgezehrte Gestalten aus dem Volke wie Gespenster an. Unter diesen befanden sich, als die Gesandtschaft dem Pincischen Thore nahte, zwei, aus deren Schicksale in der gefallenen Stadt unsere Aufmerksamkeit besonders gerichtet gewesen ist, die herbeieilten, um mit ihren Leidensgefärhrten hinauszuziehen. Zur Erklärung ihrer Anwesenheit auf dem Schauplatze —— wenn eine solche Erklärung nöthig ist —— müssen wir auf einen Augenblick von dem Fortgange der Ereignisse während der legten Belagerungstage zu dem Morgen abschweifen, wo Antonina sich aus Vetranio’s Palaste entfernte, um mit ihrem Vorrathe an Nahrung und Wein nach dem Hause ihres Vaters zurückzukehren.

Der Leser kennt bereits aus ihrer eigenen kurzen und einfachen Darstellung die Geschichte der letzten Stunden ihrer traurigen Nachtwache an der Seite ihres erliegenden Vaters und die Beweggründe, welche sie bestimmten, den Palast des Senators aufzusuchen und verzweiflungsvoll denjenigen um Beistand zu bitten, dessen sie sich nur als des ausschweifenden Vernichters ihrer Ruhe unter dem Dache ihres Vaters erinnerte. Es ist daher jetzt am geeignetsten, ihr auf ihrem Rückwege durch den Palastgarten zu folgen. Außer ihr betrat kein lebendes Geschöpf die berasten Pfade, auf welchen sie mit schwankenden Schritten hineilte, die Pfade, welche sie sich undeutlich erinnerte zuerst durchwandert zu haben, als sie sich in vergangenen Tagen herauswagte, um den fernen Klängen der Laute Vetranio’s zu folgen. Trotz ihrer unbestimmten, schwer auf ihr lastenden Gefühle der Einsamkeit und des Kummers blieb diese Erinnerung ihrem Geiste schmerzlich gegenwärtig und vermischte sich auf unerklärliche Weise mit den dunkeln traurigen Besorgnissen, die ihr Herz beim Vorwärtseilen erfüllten, bis sie wieder die Wohnung ihres Vaters betrat und jetzt, als sie sich von Neuem seinem Lager näherte, verschwand jedes andere Gefühl über der niederdrückenden Besorgniß, daß sie, aller ihrer Ausdauer und ihres Erfolges auf ihrem Wege kindlicher Liebe ungeachtet, doch zu« spät zurückgekehrt sein könne.«

Der Greis lebte noch, —— seine matten Augen öffneten sich froh gegen sie, als sie ihn aufweckte um die Schätze von dem Bankettische des Senators zu genießen. Die elende Nahrung, welche die selbstmörderischen Gäste verschmäht hatten und das einzige Gefäß mit Wein, welches sie leichtsinnig auf einen Zug geleert haben würden, wurden von dem Vater sowohl wie von dem Kinde als rettendes und stärkendes Unterhaltungsmittel für viele Tage betrachtet. Nachdem sie von ihrem geringen Vorrathe so viel verzehrt hatten, als sie wagten, wurden die Ueberbleibsel sorgfältig aufbewahrt. Es war das letzte Zeichen und Versprechen des Lebens, welches sie erwarten konnten, der geringe, aber kostbare Vorrath, in welchem sie allein das Unterpfand ihrer ferneren Bewunderung vor den Qualen des Hungers und der Trennung des Todes auf einige Tage erblickten.

Und jetzt, wo sie ihren geringen Vorrath von Speise und Wein gleich einem Leuchtthurme der Rettung vor sich sahen, breitete sich über ihren Geist eine tiefe, traumartige Heiterkeit —— der Schlaf der unterdrückten und ermatteten Kräfte. Unter ihrem geheimnißvollen, beruhigenden Einflusse verblichen alle Eindrücke der Trauer und des Elends in der Stadt, der sie umgebenden grausigen Beweise der anhaltenden Belagerung vor ihrem Wahrnehmungsvermögen, wie nebelhaft zurück weichende Gegenstände, die dem Auge in weiter Ferne entschwinden. Allmälig begannen, als sich der Tag der ersten erfolglosen Gesandtschaft neigte, ihre Gedanken sanft zu der Welt vergangener Ereignisse zurückzuströmen, welche im Laufe der Zeit in Vergessenheit versunken waren. In Antoninens Gedächtnisse lebten die ersten Erinnerungen an ihre früheste Kindheit wieder auf und vermischten sich dann seltsam mit den Tränenvollen Andenken an die letzten Worte und Blicke des jungen Kriegers, der an ihrer Seite das Leben ausgehaucht hatte und mit ruhigen feierlichen Gedanken, daß der geliebte Geist aus der Sphäre der Schatten erlöst, jetzt in der Nähe des stillen Gartengrabes schweben möge, wo sie ihre bittersten Thränen der Einsamkeit und des Kummers vergessen hatte, oder daß er sich in unsichtbarer, seliger Gegenwart um sie bewegen könne, während sie zu den Füßen ihres Vaters saß und ihre irdische Trennung beklagte.

In den so erweckten Empfindungen lag weder Bitterkeit noch Pein —— sie beruhigten und reinigten das Herz, durch welches sie hinzogen. Sie konnte jetzt dem Greise zum ersten Male ihre Tage der Abwesenheit von ihm, die kurzen Freuden und langen Schmerzen ihrer Stunden der Verbannung erzählen, ohne in ihrer traurigen Geschichte innehalten zu müssen. Zuweilen lauschte ihr Vater ihren Worten mit trüber sprachloser Aufmerksamkeit oder forderte sie, wenn sie schwieg, zum Trost und zur Hoffnung auf, wie sie ihn unter seiner Gemeinde hatte sprechen hören, als er noch stark in seinem Entschlüsse war, Alles für die Reformation der Kirche aufzuopfern. Zuweilen gab er sich dem Einflusse seiner Gedanken hin, wie sich dieselben zu vergangenen Zeiten wendeten, und enthüllte ihr wieder die wechselnden Ereignisse seines frühem Lebens, nicht wie das erste Mal mit schwankender Stimme und unstäten Augen, sondern mit einer Ruhe des Tones und einem Zusammenhange der Darstellung die ihr das Zweifeln an der seltsamen überraschenden Erzählung, welche sie hörte, verbot. Nochmals sprach er von dem Bilde seines verlorenen Bruders, welches noch so vor seinem Geiste stand, wie da, wo er sich in seiner Jugend von ihm getrennt hatte, von dem Lande, welches er in späteren Jahren verlassen, von dem Namen, den er aus Cleander in Numerian verwandelt, um seine frühem Gefährten irre zu leiten, wenn sie ihn noch verfolgen sollten, und von der glühenden Sehnsucht, wieder den Genossen seiner ersten Heimath zu erblicken, was jetzt, wo ihm seine Tochter wieder gegeben, wo keine andere irdische Bestrebung als diese, mehr unbefriedigt war, am Schlusse seines Lebens der letzte Wunsch seines Herzens blieb.

Dies war der Verkehr, in welchem Vater und Tochter die Stunden ihrer kurzen Gnadenfrist des gegen die Stadt ihrer Wohnung ergangenen Urtheils des Hungers zubrachten, so lebten sie so zu sagen in einem stillen Zwischenraume der Existenz, in einer ruhigen Pause zwischen der Mühe, die in der schweren Arbeit des Lebens vorüber ist, und derjenigen, welche noch kommen soll.

Aber das»Ziel dieser kurzen Tage der Ruhe nach langen Leiden und Kummer nahten schnell. Der kleine Speisevorrath nahm eben so eilig ab, wie diejenigen, welche vorher in banger Furcht zusammengebracht worden waren, und am Morgen der zweiten Gesandtschaft zu Alarich war sowohl das Gefäß mit Wein, als die Schüssel mit Nahrung, geleert; der kurze Traum der Sicherheit war vergangen und verschwunden, die entsetzliche Wirklichkeit des Kampfes um das Leben war, wieder in ihre Rechte getreten!

Wo oder von wem konnten sie jetzt Hilfe verlangen? Die Belagerung dauerte immer noch fort, die so eben genossenen Speisereste waren die letzte Nahrung, die sieh auf dem Tische des Senators befunden, hatte, wenn sie den Palast wieder aufgesucht hätten, so würden sie sich dem Mißlingen, vielleicht gar der Beleidigung als Resultat einer zweiten Bitte um Hilfe, wo alle Macht, dieselbe zu gewähren, jetzt nur zu sicher verschwunden war, ausgesetzt haben. Dies waren die Gedanken Antoninens, als sie die leere Schüssel wieder an ihren früheren Ort, stellte, aber sie drückte dieselbe in Worten nicht aus. Sie sah mit Grausen, daß derselbe Ausdruck der Verzweiflung, ja fast der Raserei, welcher die Züge ihres Vaters am Tage ihrer Heimkehr zu ihm entstellt hatte, wieder auf denselben herrschte. Abermals schwankte er dem Fenster zu und murrte in seiner bitteren Muthlosigkeit gegen die trügerische Sicherheit und Hoffnung, die ihn während der wenigen letzten Tage für die Interessen seines Kindes müßig erhalten hatten. Als er jetzt aber auf die belagerte Stadt hinausblickte, sah er das Volk unten auf der Straße, so schnell es die ausgemergelten Glieder tragen wollten, einhereilen, um sich der Gesandtschaft anzuschließen. Er hörte wie Einer den, Andern aufmunterte, die letzte Gelegenheit zu benutzen, um durch die geöffneten Thore dem Schrecken der Hungersnoth und Pest zu entgehen und wurde von der rücksichtslosen Verzweiflung angesteckt, welche seine Leidensgefährten von einem Ende Roms bis zum andern ergriffen hatte.

Er wendete sich augenblicklich zu seiner Tochter, erfaßte ihre Hand und zog sie aus dem Zimmer, indem er ihr befahl, mit ihm zu kommen und sich der Flucht der Bürger anzuschließen, ehe es zu spät sei. Durch seine Worte und Handlungen erschreckt, bemühte sie sich, wahrend sie gehorchte, vergebens, ihm die Furcht vor den Gothen einzuflößen, welche ihr von ihrer eigenen bitteren Erfahrung eingegeben wurde, seit ihr einziger Beschützer unter ihnen erkaltet in seinem Grabe lag. Bei Numerian wie bei dem übrigen Volke wurden alle Besorgnisse, alle Zweifel, jede Anwendung der Vernunft von der einen Idee überwältigt, dem Verderben bringenden Gebiete von Rom zu entfliehen.

So mischten sie sich unter die Menge, die sich, von Furcht getrieben, der Gesandtschaft angeschlossen hatte, und folgten ihren Reihen so gut sie konnten. Die Sonne schien hell von dem heitern blauen Himmel herab, der Wind trug die schmetterndem drohenden Töne der Trompeten aus dem gothischen Lager in die Stadt, als das Pincische Thor den Gesandten und ihrem Gefolge geöffnet wurde. Die Menge versuchte sich in Masse hinter ihnen hinaus zu drängen, jetzt aber bewegte sie sich in einem engeren Raume und fand bei einer bedeutenden Verstärkung der Stadtbesatzung Widerstand. Nach einem kurzen Ringen war sie überwältigt und die Thore wurden geschlossen. Einigen von den Kräftigsten und den Gesandten Nächsten gelang es, diesen zu folgen, der größte Theil blieb jedoch auf der inneren Seite des Thores zurück und drängte sich in seiner Ungeduld und Verzweiflung dicht an dasselbe wie Gefangene, die ihre Befreiung erwarten oder aus ihrem Gefängnisse brechen wollen.

Zu den Letzteren gehörten die Schwächsten der Schwachen —— Numerian und Antonina, die durch die sie umgebende Menge eingeengt, sowohl von der Flucht aus der Stadt, wie von der Rückkehr nach Hause abgesperrt waren.


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