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Namenlos



Vierzehntes Capitel.

Der Morgen der Rückkehr ihres Gatten nach Nordsteinvilla war für immerdar denkwürdig in dem Familienkalender der Mrs. Wragge. Sie führte auf diese Gelegenheit die erste Anzeige zurück, die ihr von Magdalenens Verheirathung wurde.

Es war Mrs. Wragges irdisches Loos gewesen, ihr Leben in einem Zustande fortwährender Ueberraschungen hinzubringen. Indessen war sie noch nie in ein solches Staunen vor Ueberraschung versunken gewesen, als jetzt, wo der Hauptmann ihr trocken die Wahrheit sagte. Sie war so gescheidt gewesen, zu vermuthen, daß Mr. Noël Vanstone in das Haus käme als gern gesehener Liebhaber, und hatte gewisse Ausdrücke von Ungeduld, welche von Magdalenens Lippen gefallen waren, als schlechte Zeichen für den Erfolg seines Werbens angesehen. Doch ihr größter Scharfblick hatte sich nie zu einer Ahnung der bevorstehenden Vermählung verstiegen. Sie fiel von einem Erstaunen ins andere, als ihr Gemahl mit seiner Mitteilung fortfuhr. Eine Hochzeit in der Familie, den Tag vorher erst angemeldet! und diese Hochzeit die von Magdalenen! Und nicht ein einziges neues Kleid für Jemand fertig, die Braut mit eingerechnet! Und die orientalische Kaschmirrobe ganz unbrauchbar gerade bei der Gelegenheit, wo sie dieselbe zu ihrem größten Vortheil hätte tragen können! Mrs. Wragge sank zusammen gekrümmt in einen Stuhl nieder und schlug ihre der Ordnung entwöhnten Hände auf ihre ungeheuerlichen Kniee in gänzlicher Vergessenheit der Anwesenheit des Hauptmanns und des schrecklichen Auges des Hauptmanns, Es würde sie nicht in Verwunderung gesetzt haben, wenn sie weiter gehört hätte daß die Welt zu Ende ginge und daß das einzige sterbliche Wesen, das die Vorsehung bei dem gründlichen Aufräumen dieser irdischen Angelegenheiten vergessen hätte, sie selber sei!

Indem Hauptmann Wragge seiner Frau es überließ, sich mit eigener Hilfe von ihrem Erstaunen zu erholen, entfernte er sich, um Magdalenens Erscheinen in dem unteren Theile des Hauses abzuwarten. Es war nahe an ein Uhr, als das Geräusch von Schritten in dem Zimmer oben ihm anzeigte, daß sie wach und auf den Füßen sei. Er ließ noch einmal das Mädchen kommen, dessen Name, wie er erfahren, Louise war und schickte zum andern Male zu dessen Herrin hinauf.

Magdalene stand an ihrem Putztische, als ein schwaches Klopfen an der Thür sie jählings aufmerksam machte. Auf, das Klopfen folgte der Klang einer weichen Stimme, welche sich als die ihres Mädchens zu erkennen gab und frug, ob Miss Bygrave irgend eines Dienstes für den Morgen benöthigt sei.

—— Für jetzt nicht, sprach Magdalene, sobald sie sich von dem Erstaunen erholt hatte, sich unerwarteter Weise im Besitze einer Bedienung zu sehen, Ich will klingeln, wenn ich Sie brauche.

Als sie das Mädchen mit dieser Antwort entlassen, hatte, blickte sie zufällig von der Thür nach dem Fenster. Alle Betrachtungen betreffs der neuen Dienerin, welchen sie sich sonst hingegeben haben würde, wurden augenblicklich durch den Anblick des Fläschchens mit Opium unterbrochen, das noch auf dem Fensterbrete stand, wo sie es bei Sonnenaufgang gelassen hatte. Sie nahm es noch einmal in die Hand mit einem seltsam gemischten Gefühle, mit einem schwankenden Zweifel, ob der Anblick desselben sie an eine schreckliche Wirklichkeit oder an einen schrecklichen Traum erinnerte. Ihr erster Antrieb war, sich desselben auf der Stelle zu entledigen. Sie hob das Fläschchen, um den Inhalt aus dem Fenster zu gießen und hielt inne in plötzlichem Mißtrauen gegen den Antrieb, der ihr gekommen war.

——Ich habe mein neues Leben angenommen, dachte sie. Wie kann ich wissen, was dieses Leben für mich in Bereitschaft hat?

Sie wandte sich vom Fenster und ging an den Tisch zurück. Ich kann mich Vielleicht genöthigt sehen, es doch noch zu trinken, sprach sie und steckte das Opium in ihr Putzkästchen.

Ihr Geist war nicht beruhigt, als sie Dies gethan hatte, es schien irgendwelche unsagbare Undankbarkeit in dieser Handlung. Noch machte sie keinen Versuch, das Fläschchen aus seinem Versteck zu entfernen; Sie eilte an ihre Toilette, sie kürzte die Zeit ab, wo sie ihrem Mädchen klingeln und sich und ihre nächtlichen Gedanken vergessen konnte.

Nachdem sie die Klingel gezogen, nahm sie ihren Brief an Nora und ihren Brief an den Hauptmann und legte sie beide in ihr Putzkästchen zu dem Opium und verschloß es sicher mit dem Schlüssel, den sie an ihrer Uhrkette befestigt trug.

Magdalenens erster Eindruck von ihrer Dienerin war kein angenehmer. Sie konnte das Mädchen nicht mit dem erfahrenen Auge der Wirthin in dem Londoner Hotel prüfen, welche die Fremde als eine junge Person bezeichnete, die schon Viel mit Unglück zu thun gehabt und welche durch Blick und Auftreten deutlich gezeigt hätte, von welcher Art jenes Unglück vermuthlicher Weise gewesen wäre. Doch selbst bei diesem Mangel war Magdalene vollkommen urtheilsfähig, die Spuren von Krankheit und Kummer zu entdecken, welche gar nicht tief unter der Oberfläche des thätigen und höflichen Wesens des neuen Dienstmädchens verborgen lagen. Sie argwöhnte, das Mädchen sei mürrischer Art, sie konnte dessen Namen nicht leiden und war überhaupt wenig geneigt, einen Dienstboten willkommen zu heißen, welcher von Mr. Noël Vanstone in Dienst genommen war. Aber schon nach den ersten wenigen Minuten wuchs »Lonise« in ihrer Gunst. Sie beantwortete alle an sie gerichteten Fragen mit vollkommener Offenheit, sie schien ihre Obliegenheiten durchaus zu verstehen und sprach nicht eher, als bis sie angeredet wurde. Nachdem Magdalene alle die Fragen, welche ihr gerade eingefallen waren, gethan hatte, und nachdem sie sich entschlossen hatte, dem Mädchen die Probe leicht zu machen, stand sie auf und verließ das Zimmer. Die ganze Luft darin war ihr noch schwer unter dem Drucke der letzten Nacht.

—— Hast Du mir noch Etwas zu sagen? frug sie zu der Dienerin gewendet, die Hand auf dem Thürschlosse.

—— Ich bitte Sie um Entschuldigung, Miss, sagte Louise sehr höflich und sehr ruhig. Ich denke, daß mein, Herr mir sagte, daß die Trauung morgen stattfinden sollte?

Magdalene unterdrückte das Schaudern, das sie heimlich befiel bei dieser Erwähnung der Hochzeit im Munde einer fremden Person und antwortete bejahend.

—— Es ist nur kurze Zeit, Miss, um die Vorbereitungen zu treffen. Wenn Sie so gut sein wollten, mir meine Weisungen betreffs des Einpackens zu geben, bevor Sie hinunter gehen...?

—— Es sind keine solchen Vorbereitungen zu treffen, als Du vermuthest, sprach Magdalene hastig. Die wenigen Dinge, welche ich hier habe, können alle sogleich gepackt werden, wenns Dir beliebt. Ich werde morgen dasselbe Kleid tragen, das ich heute anhabe. Laß nur den Strohhut außen und den hellen Shawl, das Andere thue Alles in meine Koffer. Ich habe keine neuen Kleider einzupacken —— ich habe mir nichts Dergleichen für diese Gelegenheit bestellt.

Sie versuchte einige alltägliche Wendungen zur Erklärung vorzubringen, um den Ausfall der gewöhnlichen Ausstattung und des Brautkleides so wenig auffällig als möglich darzustellen. Allein sie brachte keine weitere Erwähnung der Hochzeit über ihre Lippen und verließ plötzlich ohne ein Wort weiter das Zimmer.

Die unterwürfige und schwermüthige Louise stand in Erstaunen versunken.

—— Da ist Etwas nicht in Ordnung hier, dachte sie bei sich. Meine neue Stelle kommt mir schon halb und halb unheimlich vor.

Sie seufzte mit Ergebung, schüttelte ihren Kopf und ging zum Kleiderschrank. Sie durchsuchte erst die Schubkasten darunter, nahm das verschiedene Leinenzeug, das darin lag, heraus und legte es auf Stühle. Indem sie dann den oberen Theil des Schrankes öffnete, breitete sie die Kleider darin neben einander aufs Bett aus. Ihr letztes Geschäft war, die leeren Koffer in die Mitte des Zimmers zu schieben und den Raum, den sie zur Verfügung hatte, mit den Kleidungsstücken zu vergleichen, die sie zu packen hatte. Sie machte ihre Voranschläge mit dem schnell fertigen Geschick einer Frau, welche durchaus ihren Dienst verstand, und begann sofort einzupacken. Eben als sie das erste Leinenzeug in den kleinen Koffer gelegt hatte, ging die Thür des Zimmers auf, und das Hausmädchen das gern Plaudern wollte, kam herein.

—— Was wünschen Sie? frug Louise ruhig.

—— Haben Sie je so Etwas gehört! sagte das Hausmädchen, indem es sofort auf ihren Gegenstand zu sprechen kam.

—— Wie was denn?

—— Wie diese Heirath natürlich. Sie sind ein Londoner Kind, sagt man mir. Haben Sie je von einer jungen Dame gehört, welche heirathet, ohne ein einziges neues Kleid auf dem Leibe zu haben? Kein Hochzeitsschleier und kein Hochzeitsmahl und keine Hochzeitstrinkgelder für die Dienerschaft! Es ist himmelschreiend, Das muß ich sagen. Ich bin nur ein armer Dienstbote, das weiß ich. Aber es ist ein Unrecht, ein schreiendes Unrecht, und mich schert es nicht, wer es hören mag!

Louise fuhr fort mit Einpacken.

—— Sehen Sie nur ihre Kleider an! redete das Hausmädchen weiter, indem es mit der Hand unwillig auf das Bett zeigte. Ich bin nur ein armes Mädchen, —— aber ich möchte den besten Mann von der Welt nicht haben, erhielt ich nicht zugleich ein nettes Kleid für mich. Sehen Sie her! nein, dies plumpe braune Stück hier! Alpaca! Sie werden doch nicht dies Alpacakleid einpacken, nicht wahr nicht? Es ist ja wahrlich kaum für ein Dienstmädchen gut genug! Schweiß nicht, ob ich es geschenkt nähme, wenn man mir es anböte. Es würde mir passen, wenn ich es unten einschlüge und in der Taille ausließe —— und es würde nicht schlecht aussehen mit ein wenig hellem Aufputz, nicht wahr?

—— Seien Sie so gut, lassen Sie das Kleid liegen, sprach Louise so ruhig, wie immer.

—— Was sagten Sie? rug die Andere, indem sie nicht recht wußte, ob sie ihren Ohren trauen durfte.

—— Ich sagte, lassen Sie das Kleid da liegen. Es gehört meiner Herrschaft, und ich habe Befehl von meiner Herrschaft, Alles im Zimmer einzupacken Sie helfen mir nicht dadurch, daß Sie bloß hereingekommen sind, —— Sie sind mir sehr im Wege.

—— Gut! sagte das Hausmädchen. Sie mögen ein Londoner Kind sein, wie man sagt. Aber wenn das Ihre Londoner Bildung ist, so lobe ich mir Suffolk!

Sie machte die Thür auf mit einem Zornigen Riß in die Klinke, schlug sie heftig zu, öffnete sie dann wieder und sah herein.

—— Und ich lobe mir Suffolk! sagte das Hausmädchen mit einem Kopfnicken zum Abschied, das die Spitze ihres Hohnes noch verschärfen sollte.

Louise fuhr mit ihrem Einpacken fort und ließ sich nicht stören.

Als sie das Leinenzeug sauber in dem kleineren Koffer untergebracht hatte, wandte sie sich dann zu den Kleidern. Erst sah sie dieselben sorgfältig der Reihe nach durch, ums herauszubekommen, welches das am wenigsten kostbare der Sammlung sei, um dies eine in der Reisetasche unten hinzulegen, damit die übrigen darauf zu liegen kämen, und traf dann ihre Wahl ohne die geringsten Schwierigkeiten. Das erste Kleid, das sie in den Koffer legte, war —— die braune Alpacarobe.

Mittlerweile hatte Magdalene den Hauptmann unten getroffen. Obgleich er unfehlbar die Ermüdung in ihren Zügen und die Langsamkeit in allen ihren Bewegungen bemerken mußte, war er doch froh, zu finden, daß sie ihm mit vollkommener Fassung entgegentrat. Sie war sogar stark genug, daß sie ihn mit keinem andern Zeichen von Aufregung, als ein vorübergehendes Wechseln der Farbe, ein kleines Zittern der Lippen, fragen konnte, wie es ihm auf der Reise ergangen.

—— Soviel über die Vergangenheit, sagte Hauptmann Wragge, als er mit seiner Erzählung von der Reise nach London über St. Crux zu Ende gekommen war. Jetzt aber zur Gegenwart. Der Bräutigam...

—— Wenn es Ihnen einerlei ist, unterbrach sie ihn, —— so nennen Sie ihn Mr. Noël Vanstone.

—— Mit dem größten Vergnügen. Mr. Noël Vanstone kommt diesen Nachmittag hierher, um bei uns zu speisen und den Abend zuzubringen. Er wird langweilig bis zum Ueberdruß sein, —— aber wie alle langweiligen Leute wird er um keinen Preis los zu werden sein. Ehe er kommt, habe ich ein paar Wörtchen zur Warnung mit Ihnen insgeheim zu sprechen. Morgen um diese Zeit werden wir fern von einander sein, ohne daß Eines von uns Beiden genau weiß, ob wir uns je wieder treffen werden. Es liegt mir daran, Ihren Interessen treulich bis zu Ende förderlich zu sein, —— es liegt mir daran, daß Sie bei unserm Abschied selber erkennen, wie ich für Ihre künftige Sicherheit Alles gethan habe, was in meinen Kräften stand.

Magdalene sah ihn mit Verwunderung an. Er sprach mit verändertem Tone. Er war aufgeregt, er meinte es wunderbar aufrichtig. Etwas in seinem Blick und Wesen führte sie im Geiste zurück zu dem ersten Abend zu Aldborough, wo sie ihm in der Stille des Abends ihr Herz, geöffnet hatte, —— wo sie Beide allein beisammen gesessen hatten auf der Halde des Wachthurmes.

—— Ich habe keinen Grund, anders als freundlich Ihrer zu gedenken, sprach sie.

Hauptmann Wragge verließ plötzlich seinen Stuhl und machte einen Gang in dem Zimmer hin und her. Magdalenens Worte schienen eine außerordentliche Verwirrung in ihm hervorgebracht zu haben.

—— Hols der Henker, brach er heraus, ich kanns nicht leiden, daß Sie so sprechen. Sie haben alle Ursache, schlecht von mir zu denken. Ich habe Sie betrogen. Sie bekamen von Anfang an nie Ihren reinen Gewinnantheil von der Dramatischen Unterhaltung. Da, nun ist der Mord heraus!

Magdalene lächelte und gab ihm ein Zeichen, daß er wieder zu seinem Stuhle zurückkehren.sollte.

—— Ich wußte, daß Sie mich betrogen, sprach sie ruhig. Sie waren eben in der Ausübung Ihres Berufs, Hauptmann Wragge. Ich sah das voraus, als ich Sie traf. Ich beklagte mich damals nicht darüber, und ich thue es auch jetzt nicht. Wenn das Geld, das Sie nahmen, eine Entschädigung ist für all die Noth, die ich Ihnen gemacht habe, so mögen Sie es von Herzen gern behalten.

—— Wollen Sie mir die Hand darauf geben? fragte der Hauptmann mit einer Ehrfurcht und einer Zurückhaltung, die ganz und gar mit seiner gewöhnlichen leichten Art und Weise im Widerspruche stand.

Magdalene gab ihm ihre Hand. Er drückte sie derb.

—— Sie sind ein wunderliches Mädchen, sprach er, indem er sich Mühe gab, einen leichten Ton anzuschlagen. Sie haben mirs dergestalt angethan, daß ich mich gar nicht darein finden kann. Ich bin halb untröstlich darüber, daß ich das Geld von Ihnen annahm, ja und doch —— nicht wahr, jetzt brauchen Sie es nicht?

Er zögerte.

—— Ich wünsche beinahe, sprach er, daß ich Ihnen nie auf den Wällen von York begegnet wäre.

—— Es ist zu spät, das zu wünschen, Hauptmann Wragge. Sagen Sie Nichts weiter. Sie betrüben mich nur, —— sagen Sie Nichts weiter. Wir haben über andere Dinge zu reden. Was waren das für Worte zur Warnung, die Sie mir insgeheim zu sagen hatten?

Der Hauptmann machte abermals einen Gang durchs Zimmer und kämpfte innerlich mit sich selber, um wieder in seinen gewöhnlichen Charakter hinein zu kommen. Er brachte aus seiner Brieftasche den Brief von Mrs. Lecount an ihren Herrn zum Vorschein und übergab ihn Magdalenen.

—— Da ist ein Brief, der uns zu Grunde gerichtet hätte, wenn er an seine Bestimmung gelangt wäre, sprach er, lesen Sie ihn genau durch. Ich habe Sie Etwas zu fragen, wenn Sie fertig sind.

Magdalene las den Brief.

—— Was ist das für ein Beweis, frug sie, auf den sich Mrs. Lecount so zuversichtlich bezieht?

—— Dieselbe Frage« möchte ich an Sie richten, sprach Hauptmann Wragge. Ziehen Sie Ihr Gedächtniß zu Rathe, was vorfiel, als Sie jenes Wagstück auf der Vauxhallpromenade aufführten. Hat Mrs. Lecount keinen andern Vortheil über Sie erlangt, als Sie mir schon angaben?

—— Sie entdeckte, daß mein Gesicht verstellt war, und hörte mich mit meiner eigenen Stimme sprechen.

—— Und weiter Nichts?

—— Weiter Nichts.

—— Sehr gut. Dann ist meine Auslegung des Briefes gewiß die richtige. Der Beweis, auf den sich Mrs. Lecount verläßt, ist meines Weibes verteufelte. Geistergeschichte, welche, geradeheraus gesagt, wieder die Geschichte von Miss Bygrave ist, die in Miss Vanstones Verkleidung gesehen wurde; der Zeuge ist dieselbe Person, die sich nachmals in Aldborough in der Rolle von Miss Bygraves Tante zeigte. Eine ausgezeichnete Aussicht für Mrs. Lecount, wenn sie nur zur rechten Zeit Mrs. Wragge habhaft werden kann —— und gar keine Aussicht, wenn sie das nicht kann. Beruhigen Sie Ihr Gemüth wegen dieses Punktes. Mrs. Wragge und meine Frau haben sich zum letzten Mal gesehen. Zugleich versäumen Sie aber die Warnung nicht, die ich Ihnen gab, indem ich Ihnen diesen Brief behändigte. Zerreißen Sie ihn, damit kein Unheil daraus entsteht, aber vergessen Sie ihn nicht.

—— Verlassen Sie sich darauf, ich werde seiner eingedenk sein, versetzte Magdalene, indem sie den Brief vernichtete, während sie sprach. Haben Sie mir noch mehr zu sagen?

—— Ich habe Ihnen noch Einiges mitzutheilen, sprach Hauptmann Wragge, was sich doch nützlich erweisen dürfte, da es sich auf Ihre künftige Sicherheit bezieht. Bedenken Sie wohl, ich will Nichts wissen von Ihren Schritten; sobald das Morgen vorüber ist: wir machten Das aus, als wir zuerst den Gegenstand besprachen. Ich thue keine Fragen und lege mich nicht aufs Errathen. Alles, was ich jetzt thun will, ist Sie von Ihrer gesetzlichen Stellung nach Ihrer Verheirathung in Kenntniß zu setzen und es Ihnen dann zu überlassen, von Ihrer Kenntniß den Gebrauch zu machen, wie Sie nach ganz eignem Ermessen für gut befinden. Ich holte das Gutachten eines Advocaten darüber ein, als ich in London war, weil ich dachte, es könnte von Nutzen für Sie sein.

—— Gewiß ist es von Nutzen. Was sagte der Advocat?

—— Um es kurz und gerade heraus zu sagen, es war Folgendes. Wenn Mr. Noël Vanstone jemals entdeckt, daß Sie ihn vorsätzlich unter einem falschen Namen geheirathet haben, so kann er sich an das geistliche Obergericht [The Ecclesiastical Court.] wenden, um seine Heirath für null und nichtig erklären zu lassen. Der Erfolg seines Antrags hängt von den Richtern ab. Wenn er aber beweisen kann, daß er absichtlich getäuscht worden ist, so würde die Auffassung des Gerichts diesen Fall als einen schweren betrachten und ahnden.

—— Wenn ich nun aber den Antrag stellte? sprach Magdalene eifrig. Was dann?

—— Sie können den Antrag stellen, versetzte der Hauptmann. Aber bedenken Sie das Eine, Sie würden vor das Gericht treten mit der Anerkenntniß Ihres eigenen Betrugs.

Ich überlasse es Ihnen, sich selbst zu sagen, was die Richter davon denken würden.

—— Sagte Ihnen der Advocat noch mehr?

—— Noch Eins außerdem, sprach Hauptmann Wragge. Was auch das Gesetz mit der Heirath bei Lebzeiten beider Parteien anfangen mag: beim Tode eines der Beiden würde kein Antrag, den der Ueberlebende stellen würde, eine rechtskräftige Wirkung erhalten und betreffs des Ueberlebenden die Ehe gültig bleiben. —— Verstehen Sie? Wenn er stirbt oder Sie sterben, und wenn kein Antrag beim Gericht gestellt worden ist, so würden der Ueberlebende, oder Sie als Ueberlebende keine Macht haben, die Ehe ungültig erklären zu lassen. Aber wenn bei Lebzeiten von Ihnen Beiden er die Ehe getrennt sehen will, so sind die Aussichten alle zu seinen Gunsten, so daß er den Proceß gewinnen wird.

Er blickte, als er diese Worte sprach mit einer heimlichen Neugier nach Magdalenen hin. Sie wandte den Kopf weg, indem sie ihre Uhrkette zerstreut in einen Knoten band und wieder auflöste und ersichtlich mit der gespanntesten Aufmerksamkeit über Alles nachdachte, was er zu ihr gesagt hatte. Hauptmann Wragge trat unruhig ans Fenster und blickte hinaus. Der erste Gegenstand, den sein Auge erblickte, war Mr. Noël Vanstone, welcher von Amsee her sich näherte. Er kehrte sofort an seinen früheren Platz im Zimmer zurück und redete Magdalenen noch einmal an.

—— Da kommt Mr. Noël Vanstone, sprach er. Eine letzte Vorsicht, bevor er eintritt. Seien Sie auf der Hut mit ihm betreffs Ihres Alters. Er stellte mir die Frage, bevor er die Erlaubniß zur Trauung einholte. Ich machte kurzen Proceß mit der heiklen Sache und sagte ihm frischweg, Sie seien einundzwanzig Jahre alt, und er machte die Angabe demgemäß. Um mich seien Sie unbesorgt: übermorgen bin ich verschwunden. Aber in Ihrem eigenen Interesse vergessen Sie nicht, wenn der Gegenstand jemals zur Sprache kommt, daß Sie das Alter haben. —— Jetzt gibt es Nichts mehr. Sie sind mit jeder nothwendigen Mittheilung versehen, die ich Ihnen geben kann. Was auch in Zukunft vorkommen möge, vergessen Sie nicht, daß ich mein Bestes gethan habe.——

Er eilte zur Thür, ohne auf eine Antwort zu warten, und ging in den Garten hinaus, um seinen Gast zu empfangen.

Mr. Noël Vanstone erschien am Thore, indem er feierlich in beiden Händen sein Brautgeschenk nach Nordsteinvilla überbrachte. Der in Frage kommende Gegenstand war ein altes Kästchen —— einer von den Einkäufen seines Vaters —— drinnen in dem Kästchen lag eine altmodische Karfunkelbroche in Silberfassung —— wieder einer von den Einkäufen seines Vaters —— beides Brautgeschenke, welche das unschätzbare Verdienst hatten, daß sie das Geld in seiner Börse nicht in Anspruch nahmen. Er schüttelte seinen Kopf wunderlich hin und her, als ihn der Hauptmann nach seiner Gesundheit und Laune frag. Er hatte eine schlaflose Nacht zugebracht; es hatte ihn eine unbezwingliche Angst vor einer plötzlichen Rückkehr der Lecount ergriffen, sobald er sich in Amsee allein befunden habe.

Villa Amsee schmeckte nach Lecount, Amsee —— so gut es auch auf Pfahlwerk gebaut und so ausgemacht es auch das festeste Haus in England war —— war von nun ab ihm verhaßt. Er hatte dies die ganze Nacht gefühlt, er hatte das Gewicht seiner Verantwortlichkeit gefühlt. Da war gleich zum Anfang die Kammerjungfer. Jetzt wo er sie angenommen hatte, begann er zu denken, daß sie nicht genügen werde. Sie konnte ihm vielleicht unter den Händen krank werden, sie konnte ihn durch Annahme eines falschen Charakters betrogen haben, sie und die Wirthin Schrecklich! Schrecklich wirklich, das zu denken! Dann war da die andere Verantwortlichkeit, vielleicht die schwerste von den beiden, die Verantwortlichkeit, sich zu entscheiden, wo er morgen hingehen und die Flitterwochen zubringen solle. Er würde am liebsten in eines der leeren Häuser seines Vaters gezogen sein. Aber mit Ausnahme des auf der Vauxhallpromenade gegen welches vermuthlich Einwendungen erhoben werden würden, und das zu Aldborough welches selbstverständlich gar nicht in Frage kam, waren alle Häuser vermiethet. Er würde sich selbst in Mr. Bygraves Hände geben. Wo hatte Mr. Bygrave seine Flitterwochen zugebracht? Wenn die britischen Inseln gegeben wären, um darin zu treffen, wo würde Mr. Bygrave sein Zelt aufschlagen bei einer sorgfältigen Erwägung aller Umstände?

Bei, diesem Punkte kamen die Fragen des Bräutigams plötzlich zu Ende, und sein Gesicht zeigte einen Ausdruck unbezwinglichen Erstaunens. Sein gescheidter Freund, dessen Rath ihm bei jeder andern Angelegenheit zur Verfügung gestanden hatte, drehte sich bei der Angelegenheit der Flitterwochen nach ihm um und lehnte trocken ab, über den Gegenstand weiter zu sprechen.

—— Nein! sagte der Hauptmann, als Mr. Noël Vanstone die Lippen öffnete, um ihn zu weiteren Auslassungen zu bewegen, Sie müssen mich wirklich entschuldigen. Mein Gesichtspunkt in dieser Sache ist wie gewöhnlich ein ganz besonderer. Seit einiger Zeit habe ich in einer wahren Atmosphäre von Betrug gelebt, um Ihnen gefällig zu sein. Diese Atmosphäre, mein lieber Herr, wird schwül, mein sittliches Selbst verlangt Lüftung. Bringen Sie die Frage der Ortswahl mit meiner Nichte in Ordnung und lassen Sie mich auf mein ausdrückliches Begehren in gänzlicher Unkenntniß betreffs der Sache. Mrs. Lecount wird sicher nach ihrer Rückkehr von Zürich hierher kommen und wird mich sicher fragen, wohin Sie gegangen sind. Sie mögen es seltsam finden, Mr. Vanstone, aber wenn ich ihr sage, ich weiß es nicht, so wünsche ich den schier entwöhnten Genuß zu haben, einmal in einer Sache die Wahrheit zu sagen!

Mit diesen Worten öffnete er die Thür des Putzzimmers, führte Mr. Noël Vanstone zu Magdalenen hinein, verbeugte sieh, ging unter diesen Verbeugungen wieder aus dem Zimmer hinaus und machte sich auf, um den Rest des Nachmittags auf einem Spaziergange zu verleben Sein Gesicht ließ deutliche Zeichen von Unruhe blicken, und seine zweifarbigen Augen sahen mißtrauisch bald hier- bald dorthin, wie er längs des Ufers hin schlenderte.

—— Die Zeit hängt schwer über uns, dachte der Hauptmann. Ich wünschte, morgen wäre da, und Alles vorbei!

Der Tag verging, und Nichts fiel vor; der Abend und die Nacht folgten friedlich und ereignißleer. Der Montag kam, ein heiterer, milder Tag. Der Montag bestätigte des Hauptmanns Versicherung, daß die Verheirathung eine fertige Thatsache sei. Gegen zehn Uhr stieg der Küster die Stufen zur Kirche hinan und zog das alte Sprichwort: »Glücklich die Braut, auf welche die Sonne scheint« [ Happy the bride on whom the sun shines. Anders der Deutsche in seinem Spruch: »Der glücklichen Braut fällt der Regen in den Schooß«. Vergl. Körte, »Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Deutschen«. 2 Auslage 1861. Leipzig.] an, als er die Kirchstuhlschließerin in der Vorhalle traf.

Eine Viertelstunde später war das Brautpaar in der Sakristei, und der Geistliche ging zum Altar voran. So sorgfältig das Geheimniß der Hochzeit verborgen gehalten worden war, so war doch das Oeffnen der Kirche am frühen Tage genug gewesen, um es zu verrathen; Eine kleine Versammlung, beinahe ausschließlich aus Frauen bestehend, war in den Kirchenstühlen hie und da vertheilt. Kirkes Schwester und ihre Kinder waren bei einer Freundin in Aldborough auf Besuch, und natürlich war daher die Erstere mit unter der anwesenden Gemeinde.

Als der Hochzeitszug in die Kirche trat, theilte sich die Gespensterfurcht vor Mrs. Lecount von Mr. Noël Vanstone auch dem Hauptmann mit. In den ersten wenigen Minuten blickten die Augen Beider unter den Frauen in der Kirche umher mit demselben suchenden Eifer und sahen mit demselben Ausdruck der Befriedigung hinweg. Der Küster begann da insgeheim Zweifel zu fühlen, ob wohl das alte Sprichwort über die Braut ein allemal zutreffendes sei. Die weiblichen Glieder der Versammlung murmelten unter einander über die unentschuldbare Vernachlässigung des Scheines, die sich in dem Anzuge der Braut aussprach: Kirkes Schwester flüsterte giftig ihrer Freundin ins Ohr:

—— Gott sei Dank für heute um Roberts willen!

Mrs. Wragge weinte still mit der Furcht irgend eines drohenden Unheils, sie wußte nicht, welches. Die einzige Person, welche äußerlich unerschüttert blieb, war Magdalene selber. Sie stand mit thränenloser Entsagung auf ihrer Stelle Vor dem Altar, stand da, als ob alle Organe der menschlichen Bewegung in ihr eingefroren wären. Was sie diesen Morgen litt, litt sie innerlich da, wo kein sterbliches Auge hineinzublicken vermag..

Der Geistliche öffnete das Buch.

*~~~~~~~~~~~~*

Es war vorüber. Die erhabenen Worte, welche von der Erde zum Himmel empor gesprochen werden, waren gefallen. Die Kinder der beiden todten Brüder, Erben der unversöhnlichen Feindschaft, welche ihre Eltern getrennt hatte, waren Mann und Frau.

Von diesem Augenblicke eilten die Ereignisse mit überstürzter Hast nach der Abschiedsseite hin. Sie waren wieder nach Hause zurück, während ihnen noch die Worte der Trauungsformel in den Ohren zu klingen schienen. Ehe sie fünf Minuten im Hause waren, fuhr der Wagen vor dem Gartenthor vor. Eine Minute später kam die Gelegenheit, welche Magdalene und der Hauptmann erspäht, hatten, die nämlich, um sich zum letzten Male insgeheim zu sprechen.

Sie bewahrte noch immer ihre eisige Entsagung, sie schien jetzt außer allem Bereich der Furcht, welche sich ihrer einst bemächtigt, der Reue, welche sie einst bis in die Seele hinein gefoltert hatte. Mit fester Hand gab sie ihm das versprochene Geld. Mit festem Blick sah sie ihn zum letzten Male an.

—— Ich bin außer Schuld, flüsterte er eifrig, ich habe nur gethan, was Sie von-mir verlangten.

Sie neigte ihr Haupt; sie beugte sich freundlich nach ihm hin und ließ in ihre Stirn mit seinen Lippen berühren.

—— Nehmen Sie sich in Acht! sagte er. Meine letzten Worte sind: um Gottes Willen nehmen Sie sich in Acht, wenn ich fort bin!

Sie wandte sich mit einem Lächeln von ihm und sagte nun seiner Frau Lebewohl. Mrs. Wragge kämpfte schwer, um ihren Verlust tapfer zu ertragen, den Verlust der Freundin, welche wie ein Strahl von Himmelslicht auf den düsteren Pfad ihres Lebens gefallen war.

—— Sie sind immer so gut gegen mich gewesen, meine Liebe, ich danke Ihnen herzlich, ich danke Ihnen von ganzer Seele...!

Sie konnte Nichts mehr sagen, sie klammerte sich fest an Magdalenen mit einem Ausbruch von Thränen, wie ihre Mutter sich an sie geklammert hätte, hätte sie diesen schrecklichen Tag erlebt.

—— Ich bin in Angst um Sie! schrie das arme Wesen mit laut jammernder Stimme. Ach mein liebes Herz, ich bin in Angst um Sie!

Magdalene riß sich mit verzweifelter Anstrengung los, küßte sie und stürzte aus dem Zimmer. Der Ausdruck dieser ungekünstelten Dankbarkeit, der Aufschrei dieser aufrichtigen Zuneigung, erschütterte sie mehr, als Alles, was an diesem Tage vorgefallen war. Es war für sie eine rettende Zuflucht, daß der Mann, den sie geheirathet hatte, da stand und an der Thür auf sie wartete.

Mrs. Wragge versuchte ihr in den Garten nachzueilen. Aber der Hauptmann hatte Magdalenens Angesicht gesehen, als sie wegeilte, und er hielt sein Weib daher in dem Hausgange fest. Aus dieser Entfernung wurde das letzte Lebewohl gewechselt. So lange der Wagen in Sicht war, sah Magdalenens Antlitz zu ihnen zuriick, sie winkte mit ihrem Taschentuche, wie sie um die Ecke herumfuhr. Einen Augenblick später war der letzte Faden, der sie mit ihnen verband, zerrissen, das vertraute Zusammenleben mancher Monate war nunmehr eine Thatsache, welche der Vergangenheit angehörte!

Hauptmann Wragge schloß die Hausthür vor den Spaziergängern, die von der Promenade herein sahen. Er führte seine Frau in das Putzzimmer zurück und sprach ihr mit einer Nachsicht zu, welche sie noch nie von seiner Seite erfahren hatte.

—— Sie ist ihren Weg gegangen, sprach er, und in einer Stunde werden wir unseres Weges gegangen sein. Weine Dich nur aus, ich habe Nichts dagegen: sie verdient beweint zu werden.

Sogar jetzt, sogar da, wo die Furcht wegen Magdalenens Zukunft in seinem Gemüthe am Düstersten Platz gegriffen hatte, hing die herrschende Gewohnheit seines ganzen Lebens ihm an. Ohne zu wissen, was er that, schloß er sein Bücherfutteral aus, zerstreut schlug er sein Contobuch auf und trug den letzten Posten, den Posten seines letzten Geschäfts mit Magdalenen, schwarz auf weiß ein.

Von Miß Vanstone___________|_____|____
erhalten . . . . . . £ | 200 |

schrieb der Hauptmann mit düsterm Angesicht.

—— Du bist doch nicht böse mit mir? sagte Mrs Wragge, indem sie furchtsam durch ihre Thränen nach ihrem Manne hinsah. Ich möchte gern ein Wort des Trostes haben, Hanptntann. Ach, sage mir doch, wann werde ich sie wiedersehen!

Der Hauptmann schlug das Buch zu und gab seine Antwort in dem einen unerbittlichen Worte:

—— Niemals!

Zwischen elf und zwölf Uhr in jener Nacht fuhr Mrs. Lecount in Zürich ein.

Ihres Bruders Haus war verschlossen, als sie dort anhielt. Mit Schwierigkeit und Zeitverlust wurde das Dienstmädchen geweckt. Dies schlug seine Hände in sprachlosem Erstaunen zusammen, als es die Thür öffnete und sah, wer die Fremde war.

—— Lebt mein Bruder noch? frug Mrs. Lecount, als sie ins Haus trat.

——Er lebt noch! gab das Mädchen zurück. Er ist zur Erholung aufs Land gegangen, um seine Genesung in der frischen Luft zu beendigen.

Die Haushälterin fuhr zurück gegen die Wand der Hausflur. Der Kutscher und das Mädchen setzten sie auf einen Stuhl. Ihr Gesicht war entfärbt, und die Zähne klapperten ihr im Munde.

—— Lassen Sie den Arzt meines Bruders holen, sagte sie, sobald sie wieder sprechen konnte.

Der Arzt kam. Sie übergab ihm einen Brief, ehe er ein Wort sagen konnte.

—— Schrieben Sie diesen Brief?

Er sah rasch darüber hin und antwortete ihr ohne Zögern.

—— Ganz gewiß nicht!

—— Es ist aber Ihre Hand.

—— Es ist eine Fälschung meiner Handschrift.

Sie erhob sich von dem Stuhle, neue Kraft in sich fühlend.

—— Wann geht die Post zurück nach Paris? frug sie.

—— In einer halben Stunde.

—— Gehe augenblicklich hin und bestelle mir einen Platz darin!

Das Mädchen zögerte, der Arzt machte Vorstellungen. Sie blieb taub für Beide.

—— Gehe fort, wiederholte sie, oder ich gehe selber.

Man gehorchte. Das Mädchen ging, um den Platz, zu bestellen, der Doctor blieb und hatte eine Unterredung mit Mrs. Lecount. Als die halbe Stunde vorüber war, half er ihr in die Post hinein und gab heimlich dem Conducteur einen Wink, auf die Reisende Acht zu geben.

—— Sie ist ohne. Unterbrechung von England her gereist, sagte der Arzt, und sie reist, ohne sich Rast zu gönnen, wieder Zurück. Nehmen Sie dieselbe daher in Acht, sonst bricht sie unter der doppelten Reife zusammen.

Die Post fuhr ab. Ehe die erste Stunde des neuen Tages abgelaufen war, war Mrs. Lecount unterwegs nach England zurück.


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