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Armadale



Siebentes Kapitel.

»Den 16. October. Zwei Tage nichts eingetragen in dies Buch! Warum, kann ich selbst kaum sagen, vielleicht weil mich Mr. Armadale über alle Begriffe ärgert. Sein bloßer Anblick versetzt mich nach Thorpe-Ambrose zurück. Ich bilde mir ein, ich muß mich vor dem gefürchtet haben, was ich im Laufe der letzten beiden Tage hätte verzeichnen können, wenn ich mir das gefährliche Vergnügen gemacht hätte, diese Seiten auszuschlagen.

Heute Morgen fürchte ich mich vor nichts und nehme demgemäß meine Feder zur Hand.

Hat die brutale Albernheit mancher Männer eine Grenze? Das möchte ich wohl wissen. Ich glaubte an Mr. Armadale diese Grenze entdeckt zu haben, als ich in Thorpe-Ambrose seine Nachbarin war, allein meine späteren neapolitanischen Erfahrungen beweisen mir, daß ich mich irrte. Er ist in unaufhörlicher Bewegung nach und von unserer Wohnung —— im Boote von dem Hotel in Santa-Lucia übersetzend, wo er Quartier genommen hat —— und hat genau gerechnet zwei Gesprächsthemata, die im Hafen zum Verkaufe liegende Yacht und Miß Milroy. Ja, mich erklärt er zur Vertrauten seiner inbrünstigen Neigung zur Majorstochter! «Es ist so hübsch, einer Frau davon zu erzählen«, so lautet seine ganze Entschuldigung, daß er es für nothwendig erachtet, fünfzigmal des Tags an meine Sympathien —— meine Sympathien! —— für seine »süße Neelie« zu appellieren. Offenbar lebt er der Ueberzeugung —— wenn er überhaupt daran denkt —— daß ich so vollständig wie er Alles vergessen habe, was während der ersten Zeit meines Aufenthalts zu Thorpe-Ambrose zwischen uns vorgefallen ist. Solch ein völliger Mangel an dem gewöhnlichsten Zartgefühl und dem gewöhnlichsten Takte an einem Geschöpfe, das mit einer Menschenhaut und nicht mit einem Thierfell begabt ist und, wenn mich meine Ohren nicht gänzlich trügen, spricht und nicht blökt, ist durchaus unglaublich, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Allein trotz alledem ist es doch wahr. Gestern Abend fragte er mich, fragte mich wirklich, wie viel hundert Pfund jährlich die Frau eines reichen Mannes auf ihre Toilette verwenden könnte. »Setzen Sie die Summe nicht zu niedrig an«, fügte der Dummkopf mit seinem unerträglichen Feixen hinzu. Neelie soll eine der elegantest gekleideten Damen in ganz England sein, wenn ich sie dereinst geheirathet Und das sagte er zu mir, nachdem ich ihn zu meinen Füßen habe liegen sehen und später durch Miß Milroy verloren habe! Das zu mir mit meinem Alpacakleide und einem Gatten, dessen Einkommen eine Zeitung auf die Beine helfen muß.

Besser, ich verweile bei dem Gegenstande nicht länger; besser, ich denke und schreibe Anderes!

Also zur Yacht! Als eine Befreiung von dem ewigen Reden von Miß Milroy erkläre ich die im Hafen liegende Yacht für einen ganz interessanten Gegenstand! Sie ist ein wunderschönes Muster von einem Fahrzeug, und ihre Topseiten, mag das nun sein, was es will, zeichnen sich dadurch besonders aus, daß sie von Mahagoni sind. Bei allen diesen Vorzügen hat sie indeß den Fehler, daß sie alt ist, natürlich ein schlimmes Gebrechen, und daß Bootsmeister und Mannschaft abgelohnt und nach England zurückgesandt worden sind. Kann jedoch hier eine neue Mannschaft samt einem neuen Bootsmeister aufgetrieben werden, so ist solch ein wunderschönes Ding mit allen seinen Mängeln nicht zu verachten. Es dürfe immerhin zweckmäßig sein, sie zu einer kleinen Seefahrt zu miethen und zu sehen, wie sie sich dabei aufführt. (Ist sie meiner Gesinnung, so dürfte ihre Ausführung ihren neuen Herrn einigermaßen in Erstaunen setzen.) Die Seefahrt wird zu Tage bringen, welche Fehler sie hat und welcher Reparaturen sie zufolge des unglücklichen Umstandes ihres Alters wirklich bedarf. Dann erst wird es Zeit sein, sich zu entscheiden, sie zu kaufen oder den Handel aufzugeben. Darum bewegt sich Armadale’s Gespräch, wenn er mich nicht von seiner süßen Neelie unterhält. Und Midwinter, der für seine Frau seiner Journalistenarbeit nicht eine Minute Zeit abstehlen kann, er findet Stunden für seinen Freund und kann sie rückhaltlos meiner unwiderstehlichen Rivalin, der Yacht, widmen.

Ich werde heute nicht mehr schreiben. Könnte eine so damenhafte Person, wie ich bin, überhaupt in allen ihren Gliedern bis in die Fingerspitzen hinab ein tigerartiges Zucken empfinden, dann dürfte ich im gegenwärtigen Augenblick fast in einem solchen Zustande sein. Allein bei meinen Manieren und meiner feinen Bildung ist so etwas natürlich außer Frage. Wir alle wissen ja, daß eine Dame keine Leidenschaften hat.

Den 17. October. Diesen Morgen kam an Midwinter ein Brief von seinen Sklavenhaltern, ich meine die Zeitungsleute in London, der ihn fester an den Schreibtisch fesselt als je. Zum Frühstück ein Besuch von Armadale und ein zweiter zum Mittagsessen. Gespräch beim Frühstück die Yacht, Gespräch beim Diner Miß Milroy. Mit Rücksicht auf diese junge Dame hat mich Armadale mit der Einladung beehrt, morgen mit ihm den Toledo zu besuchen und ihm beim Einkauf von allerhand Geschenken für seine Herzallerliebste behilflich zu sein. Ich fiel nicht über ihn her, ich entschuldigte mich blos. Sind Worte im Stande, die Verwunderung auszudrücken, die ich über meine eigene Geduld empfinde? Nein, Worte vermögen das nicht.

Den 18. October. Heute Morgen kam Armadale zum ersten Frühstück, um Midwinter’s habhaft zu werden, ehe sich dieser an die Arbeit setzte.

Gespräch ganz dasselbe wie gestern beim Frühstück. Armadale hat mit dem Agenten wegen miethweiser Ueberlassung der Yacht abgeschlossen. Der Agent, dem Armadale’s gänzliche Sprachunkenntniß leid that, hat wohl einen Dolmetscher aufgetrieben, eine Mannschaft aber kann er nicht schaffen. Der Dolmetscher ist höflich und willfährig, doch vom Meere versteht er ganz und gar nichts. Midwinter’s Beistand ist also unentbehrlich, und Midwinter wird ersucht —— er willigt auch ein! —— jetzt so viel als möglich von seiner Arbeit hinter sich zu bringen, damit er dann Zeit hat, seinem Freunde behilflich zu sein. Sobald eine Mannschaft gefunden ist, sollen Mängel und Vorzüge des Schiffs auf einem Ausfluge nach Sicilien erprobt werden, mit Midwinter am Bord, um sein competentes Urtheil abzugeben. Endlich, wenn ich mich zu Hause zu einsam fühlen sollte, wird die Damenkajüte Midwinter’s Gattin auf das verbindlichste zur Disposition gestellt. Das Alles wurde am Frühstückstische abgemacht und endete mit einem an mich gerichteten, zierlich gefaßten Complimente a la Armadale: Wenn ich verheirathet bin, denke ich, soll Neelie mit mir zu Schiffe gehen. Und Sie haben so guten Geschmack, Sie werden mir mithin angeben können, was Alles in der Damenkajüte jetzt noch fehlt?

Wenn Frauen solche Männer zur Welt bringen, sollten sie dieselben leben lassen? Es ist eine Meinungssache; ich meinerseits sage: Nein.

Was mich ganz rasend macht, ist, daß ich sehen muß, daß Midwinter in Armadale’s Gesellschaft und in Armadale’s neuer Yacht eine Zuflucht vor mir findet. Wenn Armadale bei uns ist, hat Midwinter immer bessere Laune. Mich vergißt er über Armadale fast so vollkommen, wie er mich über seiner Arbeit vergißt. Und ich —— ertrage es! Was für ein Muster von einer Frau, was für eine ausgezeichnete Christin ich bin!

Den 19. October. Nichts Neues, nichts als eine Wiederholung des gestrigen Tages.

Den 20. October. Etwas Neues. Midwinter leidet an nervösem Kopfschmerz und trotzdem sitzt er rastlos an seinem Schreibtische um für die Lustpartie mit seinem Freunde Zeit zu gewinnen.

Den 21. October. Mit Midwinter geht es schlechter. Er ist ärgerlich, verstört und unnahbar nach zwei schlimmen Nächten und zwei ununterbrochen am Sehreibtisch verbrachten Tagen. Unter allen andern Umständen würde er sich warnen lassen und die Arbeit zeitweilig einstellen. Jetzt aber läßt er sich von nichts warnen. Um Armadale’s willen arbeitet er, ohne sich umzusehen, nach wie vor. Wie lange wird meine Geduld noch währen?

Den 22. October. Letzte Nacht Symptome, daß Midwinter seinen Kopf über alles menschliche Maß hinaus anstrengt. Als er endlich einschlief, war er zum Erschrecken unruhig; er stöhnte, sprach und klapperte mit den Zähnen. Nach den wenigen Worten, die ich verstehen konnte, schien mir’s einmal, als träumte er von seinen Knabentagen, von damals, wo er mit den tanzenden Hunden im Lande umherzog. Ein andermal war er mit Armadale wieder die ganze Nacht auf dem Wrack eingesperrt. Gegen Morgen wurde er ruhiger. Ich schlief auch ein, und als ich nach kurzer Zeit erwachte, fand ich mich allein. Sowie ich mich umsah, bemerkte ich, daß in Midwinter’s Ankleidezimmer Licht brannte. Ich stand leise auf, um nach ihm zu sehen.

Er saß in dem großen, häßlichen, altmodischen Lehnstuhl, den ich, als wir hierher zogen, sofort aus dem Wohn- in das Ankleidezimmer hatte schaffen lassen. Sein Kopf war zurückgesunken, und eine seiner Hände hing starr über den Arm des Stuhls herab. Die andere Hand ruhte auf seinem Schooße. Leise schlich ich etwas näher und gewahrte, daß die Erschöpfung ihn beim Lesen oder Schreiben übermannt hatte, denn auf dem Tische vor ihm befanden sich Bücher, Federn, Tinte und Papier. Ich sah mir die Papiere genauer an. Alle waren sauber zusammengefaltet, wie er sie stets zu halten pflegt, nur eins lag offen da —— es war der Brief an Mr. Brock.

Nach dieser Entdeckung sah ich mich noch weiter im Zimmer um und bemerkte nun ein anderes Papier, welches unter der auf seinem Schooße ruhenden Hand lag. Ohne zu riskieren, daß ich ihn aufweckte konnte ich es nicht hervorziehen, indeß war ein Theil des Papieres nicht von seiner Hand bedeckt. Ich sah darauf, um zu entdecken, was er so verstohlen gelesen hatte, und fand so viel heraus, daß es die Erzählung von Armadale’s Traum war.

Diese zweite Entdeckung trieb mich sofort wieder ins Bett, mit sehr ernsten Gedanken.

Auf unserer Reise durch Frankreich sah sich Midwinter’s eigenthümliche Menschenscheu einmal von einem sehr angenehmen Manne, einem irischen Arzt, besiegt, den wir im Eisenbahncoups trafen und der während der ganzen Tagesfahrt auf das freundlichste und geselligste mit uns verkehrte. Als er hörte, daß Midwinter literarische Bestrebungen verfolgte, warnte ihn unser Reisegefährte ernstlich davor, zu viele Stunden nach einander am Schreibtische zuzubringen. »Ihr Gesicht sagt mir mehr, als Sie vielleicht glauben«, sprach der Doctor. »Wenn Sie sich je verleiten lassen, Ihren Kopf zu sehr anzustrengen, so werden Sie das eher empfinden als viele andere Männer. Finden Sie, daß Ihre Nerven Ihnen Streiche spielen wollen, so achten Sie ja auf diese Warnung und legen die Feder hin.«

Nach meiner letzten Entdeckung im Ankleidezimmer sieht es mir aus, als ob Midwinter’s Nerven bereits den Ausspruch des irischen Arztes bestätigen wollten. Besteht einer der Streiche, die sie ihm spielen, darin, daß sie ihn mit abergläubischer Furcht quälen, so wird, ehe lange Zeit vergeht, in unserm Leben eine Veränderung eintreten. Ich bin begierig zu sehen, ob die Idee, daß wir beide bestimmt sind, Armadale Gefahr und Unheil zu bringen, von neuem sich in Midwinter’s Geiste festsetzt. Ist dies der Fall, dann weiß ich, was geschieht. Er wird dann keinen Schritt thun, seinem Freunde bei Beschaffung einer Mannschaft für die Yacht behilflich zu sein, und sicherlich ablehnen, sich mit Armadale an der Lustfahrt zu betheiligen oder mich mit ihm segeln zu lassen.

Den 23. October. Offenbar hat Mr. Brock’s Brief seinen Einfluß noch nicht verloren. Heute sitzt Midwinter wieder an seinem Journalartikel und kann die Tage, die er mit seinem Freunde auf der See zuzubringen hofft, kaum erwarten.

Zwei Uhr. Armadale hier wie gewöhnlich; er möchte gern wissen, wann Midwinter ihm zu Diensten steht. Noch keine bestimmte Antwort zu geben, da Alles davon abhängt, ob Midwinter im Stande sein wird, an seinem Pulte auszuhalten. Armadale saß sehr enttäuscht da; er gähnte und steckte seine dicken, großen Hände in die Tasche. Ich nahm ein Buch zur Hand. Der Tölpel verstand nicht, daß ich gern allein sein wollte. Von neuem kam er auf sein unerträgliches Thema von Miß Milroy und von all den schönen Dingen, die sie haben sollte, sobald er sie heirathen würde. Ihr eigenes Reitpferd, ihren eigenen Ponywagen, ihr eigenes schönes Boudoir oben in der ersten Etage des Herrnhauses und so weiter. Alles, was ich einst hätte haben können, soll nun Miß Milroy bekommen —— wenn ich es zulasse!

Sechs Uhr. Immer wieder von dem unvermeidlichen Armadale! Vor einer halben Stunde kam Midwinter von seiner Schreiberei zu mir, schwindlig und erschöpft. Den ganzen Tag hatte ich mich nach etwas Musik gesehnt; ich wußte, daß Norma im Theater gegeben wurde und der Gedanke kam mir, daß ein paar Stunden in der Oper Midwinter sowohl als mir gut thun würden. Ich sagte daher: »Warum nehmen wir für heute Abend keine Loge in San-Carlo?« Düster und gleichgültig antwortete er, daß wir nicht reich genug wären, eine Loge zu nehmen. Armadale war zugegen und flunkerte mit seiner wohlgefüllten Börse in seiner gewohnten unausstehlichen Manier. »Ich bin reich genug, alter Junge, und das kommt auf, eins heraus? Mit diesen Worten nahm er seinen Hut und strampelte mit seinen großen Elephantenfüßen fort, die Loge zu besorgen. Ich sah ihm aus dem Fenster nach, wie er die Straße hinabging. »Deine Wittwe mit ihren jährlichen zwölfhundert Pfund«, dachte ich bei mir, »könnte sich jederzeit eine Loge in San-Carlo nehmen, wenn sie Lust hätte, ohne irgendwem dafür Dank schuldig zu sein.« Der strohköpfige Tölpel pfiff, während er seinen Weg zum Theater einschlug, und warf großartig jedem Bettler, der ihm nachlief, seine Silbermünzen zu.

Mitternacht. Endlich bin ich allein. Bin ich stark genug, die Geschichte dieses entsetzlichen Abends zu schreiben, wie sie sich begeben hat? Unter allen Umständen bin ich stark genug, ein neues Blatt umzuschlagen und den Versuch zu machen.


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