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Memoiren eines Adoptivsohns

Die kuriose Legende, welche mit der Geburt dieses Adoptivsohnes verbunden ist, und die Tatsachen, die mit seiner außergewöhnlichen Laufbahn in seinem Leben zusammenhängen, sind von den Akten der französischen Polizei zu dieser Zeit entnommen. In diesem Fall und im Fall von den anderen Papieren in der vorhandenen Sammlung, welche von den ausländischen Geschehnissen und Personen handeln, ist die Erzählung in dieser Form, während jedoch die Tatsachen jeder Erzählung schwarz auf weiß existieren, meine eigene Erfindung. Wenn diese Tatsachen bereits dem Leser im allgemeinen zugänglich gewesen wären, wären die besagten Papiere jedoch nicht wiedergedruckt worden. Aber die seltenen und merkwürdigen Bücher, aus welchen meine Materialien entnommen sind, sind lange Zeit nicht mehr gedruckt worden und werden aller menschlichen Wahrscheinlichkeit nach wohl nie mehr veröffentlicht werden.

I Umstände vor seiner Geburt

Gegen Anfang des achtzehnten Jahrhunderts stand auf einem Felsen im Meer in der Nähe eines Fischerdorfes an der Küste der Bretagne eine Turmruine mit einem sehr schlechten Ruf. Kein lebender Mensch wusste von einem Sterblichen, der diesen Turm bewohnt hatte. Der einzige Bewohner, den die Überlieferung mit der Behausung des Ortes zu einer fernen Zeit in Verbindung brachte, war aus den höllischen Gegenden dorthin gezogen – warum er dort einzog, wie lange er dort lebte und wann er seinen Besitz wieder verließ, wusste niemand. Unter solchen Umständen war nichts natürlicher, als dass dieses unirdische Individuum dieser Behausung einen Namen geben sollte; aus diesem Grund wurde das Gebäude danach in der ganzen Nachbarschaft unter dem Namen Teufelsturm bekannt.

Im Frühjahr des Jahres 1700 wurden die Einwohner des Dorfes eines Nachts davon erschreckt, dass sie das rote Glühen eines Feuers im Turm sahen und von derselben Richtung einen außerordentlich starken Geruch von Bratfisch rochen. Am nächsten Morgen waren die Fischer, die in ihren Booten an dem Gebäude vorbeifuhren, überrascht zu sehen, dass ein Fremder sein Lager darin aufgeschlagen hatte. Von weitem betrachtet schien er ein großer, stämmiger Kerl zu sein; er hatte eine Fischerkluft an und er hatte ein neues Boot, welches behaglich in einer Felsenkluft vertäut war. Wenn er einen Ort von anständigem Ruf bezogen hätte, hätten seine Nachbarn sofort seine Bekanntschaft gemacht; aber so wie die Dinge lagen, war alles, was sie wagen konnten, ihn still zu beobachten.

Der erste Tag verging und obwohl es gutes Wetter war, benutzte er sein Boot nicht. Der zweite Tag kam, wieder mit schönem Wetter, und immer noch war er so untätig wie zuvor. Am dritten Tag, als ein gewaltiger Sturm alle Boote des Dorfes auf dem Strand zurückhielt – am dritten Tag, mitten im Gewitter, ging der Mann aus dem Turm fort, um sein erstes Fischerexperiment in fremden Gewässern zu machen! Er und sein Boot kamen wohlbehalten während einer Pause des Sturms zurück; und die Dorfbewohner, die ihn von der Klippe herab beobachteten, sahen, wie er körbeweise Fische in seinen Turm hinauftrug. Kein solcher Fang war einem von ihnen je zugefallen und der Fremde hatte ihn in einem Orkan gemacht!

Daraufhin beriefen die Dorfbewohner eine Versammlung ein. Die Auseinandersetzung wurde von einem cleveren, jungen Kerl, einem Fischer namens Poulailler, der handfest erklärte, dass der Fremde im Turm höllischen Ursprungs sei, angeführt. »Der Rest von euch kann ihn nennen, wie er will«, sagte Poulailler; »Ich nenne ihn den Teufelsfischer!«

Die so ausgesprochene Meinung erwies sich als die Meinung der gesamten Zuhörerschaft – mit der einen Ausnahme des Dorfpfarrers. Der Pfarrer sagte: »Sachte, meine Söhne. Urteilt nicht vorschnell über den Mann im Turm. Wartet bis Sonntag und seht, ob er zur Kirche kommt.«

»Und wenn er nicht zur Kirche kommt?« fragten alle Fischer in einem Atemzug.

»In diesem Fall«, antwortete der Pfarrer, »werde ich ihn exkommunizieren; und dann, meine Kinder, könnt ihr ihn nennen, wie ihr wollt.«

Der Sonntag kam und kein Zeichen des Fremden verdunkelte die Kirchentüren. Er wurde folglich exkommuniziert. Das ganze Dorf adoptierte unverzüglich Poulaillers Idee und nannte den Mann aus dem Turm bei dem Namen, welchen Poulailler ihm gegeben hatte – »Der Teufelsfischer.«

Diese Vorkommnisse erzeugten nicht die kleinste sichtbare Wirkung auf die diabolische Person, welche sie verursacht hatte. Er beharrte darauf, untätig zu sein, wenn das Wetter schön war und hinaus zum Fischen zu gehen, wenn kein anderes Boot am Ort es wagte, in See zu stechen, und zu seinem abgelegenen Wohnsitz mit vollen Netzen, unbeschädigtem Boot und ihm selbst gesund und munter zurückzukommen. Er machte keinen Versuch, mit jemandem zu handeln und er hielt sich stets fern vom Dorf, lebte von Fisch mit dessen eigenem übernatürlichem Bratgeruch, und sprach nie mit einer lebenden Seele – mit der alleinigen Ausnahme von Poulailler. Eines schönen Abends, als der junge Mann am Turm vorbei nach Hause ruderte, stürzte der Teufelsfischer hinaus zum Felsen und sagte: »Danke, Poulailler, dass du mir einen Namen gegeben hast«, verbeugte sich höflich und sauste wieder hinein. Der junge Fischer fühlte die Worte kalt seinen Rücken hinunterrinnen; und wann immer er nach diesem Tag wieder auf See war, machte er einen großen Bogen um den Turm.

Die Zeit verging und ein wichtiges Ereignis fand in Poulaillers Leben statt. Er würde bald heiraten. Am Tag, als seine Verlobung öffentlich bekannt gemacht wurde, drängten sich seine Freunde laut um ihn auf dem Anlegesteg des Dorfes, um ihm zu gratulieren. Als sie alle zu Höchstform aufliefen, machte sich plötzlich eine seltsame Stimme durch all das Stimmengewirr hörbar, welche alle auf einen Schlag zur Ruhe brachte. Die Ansammlung wich zurück und gab den Teufelsfischer frei, der den Steg hinaufschlenderte. Es war das erste Mal, dass er je seinen Fuß – einen paarhufigen Fuß – in den Dorfbezirk gesetzt hatte.

»Gentlemen«, sagte der Teufelsfischer, »wo ist mein Freund Poulailler?« Er stellte die Frage mit vollkommener Höflichkeit; er schaute in seiner Fischerkluft außergewöhnlich gut aus; er atmete einen würzigen Geruch von gebratenem Fisch aus; für die Männer hatte er ein freundliches Kopfnicken, für die Frauen ein süßes Lächeln übrig; aber trotz all dieser persönlichen Vorzüge wich jeder vor ihm zurück und niemand beantwortete seine Frage. Die Kälte des öffentlichen Empfangs brachte ihn jedoch in keiner Weise in Verlegenheit. Er hielt mit suchenden Augen nach Poulailler aus, entdeckte den Platz, wo er stand und redete ihn in der freundlichsten Weise an.

»Du wirst also heiraten?« bemerkte der Teufelsfischer.

»Was geht das dich an?« rief Poulailler. Innerlich war er voller Angst, aber äußerlich schroff – keine ungewöhnliche Kombination von Gefühlen bei Männern seiner Klasse in seiner Gemütsverfassung.

»Mein Freund«, fuhr der Teufelsfischer fort. »Ich habe deine höfliche Aufmerksamkeit nicht vergessen, mir einen Namen zu geben und ich komme hierher, um dies zu belohnen. Du wirst eine Familie haben, Poulailler, und dein erstes Kind wird ein Junge sein. Ich schlage vor, dass ich diesen Jungen als meinen Adoptivsohn nehme.«

Das Mark von Poulaillers Rücken wurde schrecklich kalt; aber trotz seines Rückens wurde er schroffer denn je.

»Du wirst nichts dergleichen tun«, antwortete er. »Und wenn ich die größte Familie in Frankreich hätte, so würde keines meiner Kinder dir jemals nahe kommen.«

»Trotz alledem werde ich deinen Erstgeborenen adoptieren«, beharrte der Teufelsfischer. »Poulailler, ich wünsche dir einen guten Morgen. Ladies und Gentlemen, Ihnen ebenfalls.«

Mit diesen Worten zog er sich vom Steg zurück und das Rückenmark von Poulailler gewann wieder an Temperatur.

Der nächste Morgen war stürmisch und das ganze Dorf erwartete, wie gewöhnlich das Boot vom Turm in See stechen zu sehen. Kein Zeichen davon erschien. Später am Tag wurde der Felsen, auf dem das Gebäude stand, aus der Ferne untersucht. Weder Boot noch Netze waren an ihrem üblichen Platz. Nachts wurde zum ersten Mal das rote Schimmern des Feuers vermisst. Der Teufelsfischer war weg! Er hatte sein Vorhaben auf dem Steg geäußert und war verschwunden. Was hatte dies zu bedeuten? Niemand wusste es.

An Poulaillers Hochzeit brachte ein unheilvoller Umstand die Erinnerung an den teuflischen Fremden zurück und selbstverständlich beunruhigte dieser in ernsthafter Weise den Rücken des Bräutigams. In dem Moment, als die Zeremonie beendet war, stahl sich ein würziger Geruch von gebratenem Fisch in die Nasen der Gesellschaft und eine Stimme von unsichtbaren Lippen sprach: »Verliere nicht den Mut, Poulailler; ich habe mein Versprechen nicht vergessen!«

Ein Jahr später war Madame Poulailler in den Händen der Hebamme des Dorfes und eine Wiederholung des unheilvollen Umstands ereignete sich. Poulailler wartete gerade in der Küche, um zu erfahren, wie es oben ausgegangen sei. Die Krankenschwester kam mit einem Baby herein. »Was ist es?« fragte der glückliche Vater, »Mädchen oder Junge?« Bevor die Krankenschwester eine Antwort geben konnte, füllte ein übernatürlicher Geruch von gebratenem Fisch die Küche und eine Stimme von unsichtbaren Lippen antwortete: »Ein Junge, Poulailler, und er gehört mir!«

Dies waren die Umstände, unter welchen das Subjekt dieser Memoiren in die Sorgen und Freuden der sterblichen Existenz eingeführt wurde.

II Seine Kindheit und sein frühes Leben

Wenn ein Junge unter Zeichen geboren wird, welche seine Eltern dazu verleiten, anzunehmen, dass der geistliche Teil von ihm von einem Kurs höllischen Unterrichts irgendwo beansprucht wird, während der leibliche Teil von ihm sicher zu Hause ist, was werden sein Vater und seine Mutter mit ihm tun? Sie müssen das beste tun, was sie können – was genau das war, was Poulailler und seine Frau mit dem Helden dieser Seiten taten.

Zuerst ließen sie ihn sofort taufen. Es wurde mit Schrecken beobachtet, dass dabei sein kindliches Gesicht von Grimassen entstellt wurde, und dass seine kindliche Stimme mit einem übernatürlich rüstigen Ton brüllte, als der Priester ihn berührte. Das erste, worum er bat, als er lernte zu sprechen, war »Bratfisch«; und der erste Ort, wo er hin wollte, als er gehen gelernt hatte, war der teuflische Turm auf dem Felsen. »Er wird nichts lernen«, sagte der Lehrer, als er alt genug war, zur Schule zu gehen. »Verdresch ihn«, sagte Poulailler; und der Lehrer drosch ihn. »Er wird nicht zu seiner Erstkommunion kommen«, sagte der Priester. »Verprügel ihn«, sagte Poulailler; und der Priester verprügelte ihn. Das Obst des Bauern wurde gestohlen; das nachbarliche Kaninchengehege wurde entvölkert; Wäscheleinen wurden aus den Gärten gestohlen und Netze wurden am Strand zerrissen. »Der Teufel hole Poulaillers Jungen«, lautete die öffentliche Meinung. »Der Teufel hat ihn bereits«, lautete Poulaillers Antwort. »Und doch ist er ein gutaussehender Junge«, sagte Madame Poulailler. Und das war er – so groß, so stark, so gutaussehend, wie ein junger Kerl in ganz Frankreich nur gefunden werden konnte. »Lass uns für ihn beten«, sagte Madame Poulailler. »Lass ihn uns verprügeln«, sagte ihr Ehemann. »Unser Sohn wurde verprügelt, bis alle Stöcke in der Nachbarschaft zerbrochen waren«, flehte seine Mutter. »Wir werden es als nächstes mit dem Seilende versuchen müssen«, erwiderte sein Vater; »er wird zur See gehen und in einer Umgebung von Prügeln leben. Unser Sohn wird Schiffsjunge werden.« Für Poulailler junior war alles einerlei; er wusste genauso gut wie sein Vater, wer ihn adoptiert hatte; er war sich von Kindheit an instinktiv über das Interesse des Teufelsfischers an seinem Wohlergehen bewusst; er kümmerte sich um keine irdische Wissenschaft; und er wurde mit zehn Jahren Schiffsjunge.

Nach zwei Jahren mit dem Seilende (welches völlig wirkungslos angewandt worden war), beraubte das Subjekt dieser Memoiren seinen Kapitän und rannte in einem englischen Hafen davon. London wurde die nächste Szene seiner Abenteuer. Mit zwölf Jahren überzeugte er die Gesellschaft in der Metropole, dass er der im Stich gelassene Sohn eines französischen Herzogs war.

Nachdem britische Güte blindlings für ihn vier Jahre lang gesorgt hatte, öffnete sie ihre Augen und kam ihm auf die Schliche, als er sechzehn war; darauf kehrte er nach Frankreich zurück und trat als Trommler in die Armee ein. Mit achtzehn desertierte er und hatte darauf eine Begegnung mit Zigeunern. Er legte Karten, er zauberte, er tanzte auf dem Hochseil, er schauspielerte, er verkaufte Quacksalbereien, er änderte wieder seinen Sinn und kehrte zur Armee zurück. Hier verliebte er sich in die Marketenderin seines neuen Regiments. Der Oberstabsfeldwebel, der unter derselben reizenden Schwäche litt, ärgerte sich über dessen Aufmerksamkeiten der Dame gegenüber. Poulailler setzte sich (vielleicht ungerechterweise) durch, indem er den Offizier ohrfeigte. Von beiden Seiten blitzten die Schwerter auf und Poulaillers Klinge durchbohrte das empfindliche Herz des Oberstabsfeldwebels. Die Grenze war ganz in der Nähe. Poulailler wischte sein Schwert ab und überschritt sie.

In Abwesenheit wurde er zum Tode verurteilt. Wenn die Gesellschaft uns dazu verdammt hat, zu sterben, welchen Glaubens wir auch sind, wie werden wir diese Ehrbezeugung erwidern? Indem wir die Gesellschaft dazu verdammen, uns am Leben zu lassen – oder, in anderen Worten, mit beiden Händen zu rauben, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Poulaillers Schicksal war nun besiegelt. Er wurde als der größte Dieb seiner Zeit erwählt; und wenn das Schicksal ihn dazu aufrief, seinen Platz in der Welt einzunehmen, schritt er vor und setzte sich. Sein bisheriges Leben war lediglich das eines jungen Spitzbuben gewesen; nun war es daran, seinem teuflischen Adoptivvater Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die Verhältnisse auf die eines ausgewachsenen Räubers auszudehnen.

Seine ersten Raubzüge wurden in Deutschland durchgeführt. Sie zeigten eine solche Neuheit von Kombination, solchen Wagemut, solche Gewandtheit und, sogar in seinen gemeingefährlichsten Momenten, solch unwiderstehliche Fröhlichkeit und gute Laune, dass eine Bande sinnesverwandter Geister sich in kurzer Zeit um ihn versammelte. Als Oberbefehlshaber der Diebesarmee geriet seine Beliebtheit bei ihr nie ins Wanken. Seine Schwächen – und welcher berühmte Mann hat keine? – waren drei an der Zahl. Erste Schwäche: er war in übertriebener Weise dem Reiz des schwachen Geschlechts erlegen. Zweite Schwäche: er war allzu gern auf lebensgefährliche Streiche aus. Dritte Schwäche (geerbt von seinem Adoptivvater): sein Appetit war bezüglich Bratfisch unersättlich. Was die Verdienste angeht, die gegen diese Nachteile entgegengesetzt werden können, wurde einiges schon bemerkt, andere werden sofort erwähnt werden. Man lasse sich an dieser Stelle nur sagen, dass er einer der bestaussehenden Männer seiner Zeit war, dass er sich hervorragend kleidete und dass er der überschwenglichsten Großzügigkeit fähig war, wo immer auch eine hübsche Frau im Spiel war – man lasse dies zu Beginn verstanden sein: und möge nun mit der Geschichte seines letzten Raubzugs in Deutschland, bevor er nach Frankreich zurückkehrte, beginnen. Dieses Abenteuer ist etwas mehr als ein bloßes Beispiel seiner Handwerksmethoden; es erwies sich in der Zukunft als das verhängnisvolle Ereignis seines Lebens.

Am Montag der Woche hatte er auf der Hochstraße angehalten und einen italienischen Adligen – den Marquis Petrucci von Siena – all seiner Wertsachen und Papiere beraubt. Am Dienstag war er bereit, einen weiteren Schlag auszuführen. Postiert auf der Spitze eines steilen Hügels, beobachtete er die Straße, die sich auf der einen Seite den Gipfel hochwand, während seine Gefolgsleute sich auf der Straße niedergelassen hatten, die auf der anderen Seite wieder hinunterführte. Die Beute, die in diesem Fall erwartet wurde, war die Reisekutsche des Barons De Kirbergen (mit einer großen Geldsumme darin).

Schon lange vorher nahm Poulailler die Kutsche von weitem am Fuße des Hügels wahr und ihr voraus zwei Damen zu Fuß, die die Erhebung hinaufstiegen. Es waren des Barons Töchter – Wilhelmina, eine blonde Schönheit; Frederica, eine Brünette – beide lieblich, beide würdevoll, beide zart, beide jung. Poulailler schlenderte den Hügel hinunter, um die bezaubernden Reisenden zu treffen. Er erblickte sie, verneigte sich, stellte sich vor und verliebte sich auf der Stelle in Wilhelmina. Beide reizvollen Mädchen gaben in der einfachsten Weise zu, dass das Eingesperrtsein in der Kutsche sie nervös und unruhig gemacht habe und dass sie den Hügel hinaufspazierten, um das Heilmittel nicht allzu anstrengender sportlicher Betätigung zu probieren. Poulaillers Herz war gerührt und Poulaillers Großzügigkeit zum schwachen Geschlecht war gerade noch rechtzeitig erwachsen. Mit einer höflichen Entschuldigung den Damen gegenüber rannte er über eine Abkürzung zurück zu dem Hinterhalt auf der anderen Seite des Hügels, wo seine Männer postiert waren.

»Gentlemen!« schrie der edle Dieb, »im reizenden Namen von Wilhelmina de Kirbergen ersuche ich euch: lasst die Kutsche des Barons passieren!«

Die Bande war nicht willens; die Bande murrte. Poulailler kannte sie. Vergeblich hatte er an ihre Herzen appelliert; jetzt appellierte er an ihre Taschen.

»Gentlemen!« fuhr er fort, »entschuldigt mich für meine kurze Fehleinschätzung eurer Gefühle. Hier ist die Hälfte meines Anteils am Eigentum von Marquis Petrucci. Wenn ich es unter euch aufteile, werdet ihr die Kutsche dann passieren lassen?«

Die Bande kannte den Wert des Geldes und akzeptierte die Bedingungen. Poulailler eilte den Hügel hinauf zurück und kam am Gipfel gerade rechtzeitig an, um den jungen Damen in die Kutsche zu helfen.

»Ein reizender Mann!« sagte die blonde Wilhelmina zur brünetten Frederica, als sie davonfuhren. Unschuldige Seele! Was würde sie gesagt haben, wenn sie gewusst hätte, dass ihre persönlichen Vorzüge das Eigentum ihres Vaters gerettet hatten? Würde sie den reizenden Mann jemals wiedersehen? Ja; sie würde ihn am nächsten Tag sehen; und mehr als das, das Schicksal sollte sie zukünftig fest mit dem Leben und dem Schicksal des Räubers verbinden. Poulailler vertraute die Aufsicht über die Bande seinem Oberleutnant an, folgte der Kutsche zu Pferd und stellte den Ort der Residenz des Barons noch in dieser Nacht fest. Am nächsten Morgen klopfte ein superb angekleideter Fremder an die Tür.

»Wen darf ich melden, Sir?« fragte der Diener.

»Den Marquis Petrucci von Siena«, antwortete Poulailler, »wie befinden sich die jungen Damen nach ihrer Reise?«

Der Marquis wurde hereingeführt und dem Baron vorgestellt. Der Baron war natürlich hocherfreut, einen anderen Adligen zu empfangen; Miss Wilhelmina war insgeheim glücklich, den reizenden Mann wiederzusehen; Miss Frederica freute sich zärtlich für ihre Schwester. Da Poulailler nicht die Art hatte, Zeit zu verlieren, wo seine Zuneigung im Spiel war, drückte Poulailler seine Gefühle dem geliebten Wesen noch an diesem Abend aus. Am nächsten Morgen hatte er ein Gespräch mit dem Baron, bei welchem er die Papiere hervorholte, die ihn als den Marquis auswiesen. Nichts konnte das Gemüt des besorgten Vaters mehr beruhigen – die zwei Edelmänner umarmten sich. Sie lagen sich noch in den Armen, als ein zweiter Fremder an die Tür klopfte.

»Wen darf ich melden, Sir?« fragte der Diener.

»Den Marquis Petrucci von Siena«, antwortete der Fremde.

»Unmöglich!« rief der Diener, »Seine Lordschaft ist bereits im Haus.«

»Führe mich hinein, Halunke!« schrie der Besucher.

Der Diener unterwarf sich und die beiden Marquis standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Poulailler verlor nicht im mindesten die Fassung; er war zuerst zum Haus gekommen und er hatte die Papiere.

»Du bist der Bandit, der mich beraubt hat!« rief der echte Petrucci.

»Du bist betrunken, verrückt oder ein Hochstapler!« erwiderte der falsche Petrucci scharf.

»Schickt nach Florenz, wo man mich kennt!« rief einer der Marquis, an den Baron gewandt.

»Schickt unbedingt nach Florenz!« wiederholte der andere, sich ebenfalls an den Baron wendend.

»Gentlemen«, antwortete der noble Kirbergen, »Ich werde mir die Ehre erweisen, Ihren Rat anzunehmen« und er sandte dementsprechend nach Florenz.

Bevor der Bote zehn Meilen auf seiner Reise zurückgelegt hatte, hatte Poulailler zwei private Worte mit der zierlichen Wilhelmina gewechselt und das Paar brannte zusammen aus der baronialen Residenz in dieser Nacht durch. Einmal mehr überschritt das Subjekt dieser Memoiren die Grenze und betrat wieder Frankreich. Da sie keinerlei Interesse an den Vorzügen des ländlichen Lebens hatten, ließ er sich unverzüglich mit dem geliebten Wesen in Paris nieder. In dieser superben Stadt erlebte er seine seltsamsten Abenteuer, feierte seine kühnsten Erfolge, beging seine gewaltigsten Raube und in einem Wort, ließ sich und seinem höllischen Patron die vollste Gerechtigkeit im Wesen des vom Teufelsfischer adoptierten Sohnes widerfahren.

III Seine Karriere in Paris

Nachdem er sich einmal in der französischen Metropole niedergelassen hatte, plante und baute Poulailler dieses weite System von fortwährendem Raub und gelegentlichen Morden aus, welches ihn zum Schrecken und Erstaunen von ganz Paris machte. Drinnen wie draußen war ihm sein Glück behilflich. Keine häuslichen Sorgen beunruhigten seinen Geist und lenkten ihn von der Verfolgung seiner hervorragenden öffentlichen Laufbahn ab. Die Zuneigung des reizenden Wesens, mit dem er aus Deutschland geflohen war, überlebte die Entdeckung, dass der Marquis Petrucci in Wahrheit Poulailler der Räuber war. Dem Mann ihrer Wahl treu ergeben, teilte die hingebungsvolle Wilhelmina sein Schicksal und führte seinen Haushalt. Und warum auch nicht, wenn sie ihn liebte – im alles erobernden Namen von Amor, warum nicht?

Umgeben von ausgewählten Männern aus seinen deutschen Anhängern und von neuen Rekruten, die er in Paris um sich geschart hatte, trotzte Poulailler verächtlich der Gesellschaft und ihren Sicherheitsvorkehrungen. Cartouche selbst war ihm in Kühnheit und Gerissenheit unterlegen. Im Laufe der Zeit war die ganze Stadt von Panik erfasst ob des neuen Räubers und seiner Bande – die letzten Bollwerke waren nach dem Einbruch der Dunkelheit verlassen. Monsieur Herault, zu jener Zeit Polizeileutnant, bot, da er daran verzweifelte, durch andere Mittel Hand an Poulailler zu legen, eine Belohnung, welche aus hundert Pistolen und einer Stelle in seinem Amt, welche zweitausend Livres im Jahr ausmachte, bestand, demjenigen, welcher den Räuber lebendig zu fassen wüsste. Die Plakate wurden in ganz Paris ausgehängt und am nächsten Morgen bewirkten sie das allerletzte Ergebnis in der Welt, welches der Polizeileutnant möglicherweise erwarten konnte.

Während Monsieur Herault in seinem Arbeitszimmer frühstückte, wurde der Graf de Villeneuve angemeldet, der ihn zu sprechen wünsche. Da er den Grafen nur dem Namen nach kannte und nur wusste, dass er zu einer alten Familie aus der Provence oder dem Languedoc gehörte, befahl er, ihn hereinzuführen. Ein vollkommener Gentleman erschien, mit einer bewundernswerten Mischung von Pracht und gutem Geschmack gekleidet. »Ich habe etwas, das nur für ihre Ohren bestimmt ist, Sir«, sagte der Graf. »Werden Sie anweisen, dass niemand uns stören darf?«

Monsieur Herault gab den Befehl.

»Darf ich fragen, Graf, in welcher Angelegenheit Sie kommen?« fragte er, als die Tür verschlossen war.

»Ich komme, die Belohnung zu verdienen, die Sie anbieten, um Poulailler zu fassen«, antwortete der Graf. »Ich bin Poulailler.«

Bevor Monsieur Herault seine Lippen öffnen konnte, holte der Räuber einen schönen kleinen Dolch und ein Stück roten Seidenstrick. »Die Dolchspitze ist vergiftet«, bemerkte er, »und ein Kratzer damit, mein lieber Sir, würde Ihr Tod sein.« Mit diesen Worten fesselte Poulailler den Polizeileutnant, band ihn mit dem roten Seil an seinen Stuhl und erleuchtete das Schreibpult im Wert von tausend Pistolen. »Ich nehme das Geld anstatt der Stelle im Amt, welche Sie mir freundlicherweise anbieten«, sagte Poulailler. »Machen Sie sich keine Umstände, mich zur Tür zu begleiten. Guten Morgen.«

Ein paar Wochen später, als Monsieur Herault immer noch der beliebte Gegenstand des Gespötts von ganz Paris war, brachten Geschäfte Poulailler auf die Straße nach Lille und Cambrai. Der einzige Passagier in der Kutsche neben ihm selbst war der ehrwürdige Dekan Potter aus Brüssel. Sie gerieten ins Gespräch über das einzig interessante Thema dieser Zeit – nicht das Wetter, sondern Poulailler.

»Es ist eine Schande für die Polizei, Sir«, sagte der Dekan, »dass ein solcher Schurke noch frei herumläuft. Ich werde auf dieser Straße in zehn Tagen nach Paris zurückkehren und ich werde Monsieur Herault einen von mir erdachten Plan vorschlagen, um den Schuft zu fassen.«

»Darf ich fragen, was dieser Plan ist?« fragte Poulailler.

»Entschuldigen Sie mich«, antwortete der Dekan »Sie sind ein Fremder, Sir, und darüber hinaus wünsche ich die Belohnung für meinen Vorschlag für mich zu behalten.«

»Denken Sie, der Polizeileutnant wird Sie empfangen?« fragte Poulailler. »Er ist nicht zugänglich für Fremde, seit der Schurke, von dem Sie sprechen, ihm diesen Streich an seinem eigenen Frühstückstisch gespielt hat.«

»Er wird Dekan Potter aus Brüssel empfangen«, war die Antwort, die er mit dem geringsten möglichen Farbton von verletzter Würde ablieferte.

»Oh, zweifellos!« meinte Poulailler. »Bitte verzeihen Sie.«

»Gerne, Sir«, sagte der Dekan; und die Konversation floss in andere Bahnen.

Neun Tage später wurde der verletzte Stolz von Monsieur Herault durch einen sehr bemerkenswerten Brief gemildert. Er war von einem aus Poulaillers Bande unterzeichnet, der sich als Kronzeuge anbot, in der Hoffnung, eine Begnadigung zu erhalten. Der Brief berichtete, dass dem ehrwürdigen Dekan Potter aufgelauert worden war und dieser von Poulailler ermordet worden war und dass der Räuber mit seiner gewöhnlichen Kühnheit dabei war, Paris wieder mit der Kutsche aus Lille zu betreten, verkleidet mit den Kleidern des Dekans und mit den Papieren des Dekans ausgestattet. Monsieur Herault traf ohne einen Moment zu verlieren seine Vorkehrungen. Ausgesuchte Männer wurden mit ihren Befehlen an der Grenze postiert, durch welche die Kutsche passieren musste, um Paris zu betreten, während der Polizeileutnant in seinem Büro wartete, in Gegenwart zweier französischer Herren, die die Identität des Dekans bestätigen konnten, im Falle, dass Poulailler unverschämt auf der Annahme des Namens seines Opfers bestand.

Zur vereinbarten Stunde erschien die Kutsche und aus ihr stieg ein Mann in den Kleidern des Dekans. Er wurde trotz seiner Proteste verhaftet; die Papiere des ermordeten Potter wurden bei ihm gefunden und er wurde voller Triumph ins Polizeibüro weggeschleppt. Die Tür öffnete sich und der posse comitatus trat mit seinem Gefangenen ein. Augenblicklich brachen die zwei Zeugen in einen Schrei von Wiedererkennung aus und wandten sich entrüstet an den Polizeileutnant. »Gütiger Himmel, Sir, was haben Sie getan!« riefen sie voll Schrecken aus; »das ist nicht Poulailler – es ist unser ehrwürdiger Freund; es ist der Dekan selbst!« Im selben Moment trat ein Diener mit einem Brief ein. »An Dekan Potter. Per Adresse Monsieur Herault, Polizeileutnant.« Der Brief äußerte sich in folgenden Worten: »Ehrwürdiger Sir – Lernen Sie aus der Lektion, die ich Ihnen gegeben habe. Seien Sie in Zukunft ein Christ und versuchen Sie nie wieder, einen Mann zu verletzen, wenn er nicht versuchte, Sie zu verletzen. Ganz der Ihre – Poulailler.«

Diese Kunststücke von kühlem Wagemut kamen anderen gleich, in welchen sich seine Großzügigkeit gegenüber dem schwachen Geschlecht großmütig wie je durchsetzte.

Als er eines Tages hörte, dass eine große Summe Geld im Hause einer großen Dame gehalten wurde, einer Madame De Brienne, deren Tür bewacht war in Erwartung eines Besuchs des berühmten Diebes, von einem Pförtner von bewährter Vertrauenswürdigkeit und Mut, nahm sich Poulailler vor, sie trotz ihrer Vorkehrungen zu berauben und hatte Erfolg. Mit einem starken Paar Lederriemen und Schnallen in seiner Tasche und mit zwei seiner Bande verkleidet als Kutscher und Diener, folgte er Madame De Brienne eines Nachts zum Theater. Kurz vor dem Ende der Vorstellung wurde der Kutscher der Dame und der Diener für fünf Minuten von Poulaillers verkleideten Untergebenen fortgelockt, um ein Glas Wein zu trinken. Es wurde kein Versuch gemacht, sie gefangenzuhalten oder ihre Getränke zu vergiften. Aber während ihrer Abwesenheit war Poulailler unter die Kutsche gerutscht, hatte seine Lederriemen um die Achse gewickelt – einen, um sich daran festzuhalten, den anderen, um seine Füße darauf zu stützen – und war jetzt nach diesen einfachen Vorkehrungen bereit, um auf Ereignisse zu warten. Madame De Brienne stieg in die Kutsche – der Lakai stellte sich dahinter – Poulailler hängte sich waagerecht unter die Stange und wurde mit ihnen unter diesen einzigartigen Umständen heimgefahren. Er war stark genug, um seine Stellung zu halten, nachdem die Kutsche in das Kutschenhaus gebracht worden war, und er verließ sie erst, als die Türen für die Nacht geschlossen wurden. Da er sich vorher mit Essen versorgt hatte, hielt er geduldig im Kutschenhaus versteckt zwei Tage und Nächte aus, wobei er auf eine Gelegenheit wartete, um in Madame De Briennes Boudoir zu gelangen.

In der dritten Nacht ging die Dame zu einem großen Ball; die Diener wurden in ihrer Wachsamkeit schlaff, sobald ihnen der Rücken zugedreht wurde und Poulailler schlüpfte in das Zimmer. Er fand zweitausend Louisdor, die der erwarteten Summe nicht im mindesten entsprachen und einen Geldbeutel, welchen er mitnahm, um ihn zu Hause zu öffnen. Er enthielt einige Aktienoptionen über einen vergleichsweise unbedeutenden Betrag. Poulailler war viel zu wohlhabend, um daran zu denken, sie zu behalten, und viel zu höflich, wo eine Dame betroffen war, sie unter diesen Umständen nicht zurückzusenden. Folglich erhielt Madame De Brienne ihre Optionen mit einer Notiz der Entschuldigung des höflichen Diebs.

»Bitte verzeihen Sie meinen Besuch in Ihrem reizenden Boudoir«, schrieb Poulailler, »wobei mich allein die fehlerhaften Berichte über Ihr Vermögens dazu veranlassten, es zu betreten. Wenn ich gewusst hätte, was Ihre pekuniären Umständen wirklich waren, bei der Ehre eines Gentleman, Madame, wäre ich unfähig gewesen, Sie zu berauben. Ich kann Ihnen Ihre zweitausend Louisdor nicht per Post schicken, wie ich Ihnen Ihre Optionen schickte. Aber wenn Sie tatsächlich in Zukunft in Geldnöten sein sollten, werde ich stolz sein, einer so würdevollen Dame beizustehen, indem ich ihr von meinen eigenen üppigen Mitteln die doppelte Summe leihe, von welcher ich bedauere, sie Ihnen bei der gegenwärtigen Gelegenheit entzogen zu haben.« Dieser Brief wurde dem Adel in Versailles gezeigt. Er erregte die höchste Bewunderung des Hofes – besonders die der Damen. Wann immer der Name des Räubers erwähnt wurde, bezeichneten sie ihn nachsichtig als den Chevalier De Poulailler. Ah! Was für eine Zeit der Höflichkeit, als gute Manieren noch bemerkt wurden, selbst bei einem Dieb. Wer würde diese unter ähnlichen Umständen heute bemerken? O tempora! O mores!

Bei einer anderen Gelegenheit war Poulailler eines Nachts draußen, um Luft zu schnappen und seine Möglichkeiten auf den Dächern der Häuser auszuloten, wobei er ein Mitglied seiner Bande unten auf der Straße postierte, um ihm falls nötig beizustehen. Als er in dieser Position war, hörten seine Ohren Schluchzer und Ächzen von einer hinteren Dachstube kommend. Eine Fensterbrüstung erhob sich vor dem Fenster, welche es ihm ermöglichte, hinunterzuklettern und hineinzuschauen. Hungernde Kinder, die eine hilflose Mutter umringten und um Essen schrien, war das Bild, das seine Augen sahen. Die Mutter war jung und schön und Poulaillers Hand ergriff als eine notwendige Folge impulsiv seine Börse. Bevor der wohltätige Dieb durch das Fenster eintreten konnte, eilte ein Mann durch die Tür herein und warf eine Handvoll Gold in den Schoß der hübschen Mutter.

»Meine Ehre ist dahin«, rief er, »aber unsere Kinder sind gerettet! Höre die Umstände. Ich traf einen Mann unten auf der Straße; er war groß und dünn; er hatte eine grüne Augenklappe über einem Auge; er schaute misstrauisch auf dieses Haus, wobei er anscheinend auf jemanden wartete. Ich dachte an dich – ich dachte an die Kinder – ich packte den misstrauischen Fremden am Kragen. Angst überwältigte ihn auf der Stelle. »Nimm meine Uhr, mein Geld und meine zwei wertvollen goldenen Schnupftabakdosen«, sagte er, »aber verschone mein Leben.«

»Edelmütiger Mann!« rief Poulailler und erschien am Fenster.

Der Ehemann erschrak; die Frau schrie; die Kinder versteckten sich.

»Ich bitte Sie inständig, sich zu fassen«, fuhr Poulailler fort. »Sir! Ich betrete die Szene zum Zwecke, Ihr ruheloses Gewissen zu besänftigen. Durch ihre anschauliche Beschreibung erkenne ich den Mann, dessen Eigentum nun im Schoße ihrer Frau liegt. Gewinnen Sie Ihre seelische Ruhe wieder. Sie haben einen Räuber beraubt – in anderen Worten, Sie haben die Gesellschaft verteidigt. Nehmen Sie meinen Glückwunsch zu Ihrer wiederhergestellten Unschuld an. Der elende Feigling, dessen Kragen Sie packten, ist einer von Poulaillers Bande. Er hat sein gestohlenes Eigentum verloren als gerechte Strafe für sein schändliches Bedürfnis nach Leben.«

»Wer sind Sie?« rief der Ehemann aus.

»Ich bin Poulailler«, antwortete der berühmte Mann mit der Schlichtheit eines antiken Helden. »Nehmen Sie diese Börse und gründen Sie ein Geschäft mit dem Inhalt. Es gibt ein Vorurteil bezüglich der Ehre. Geben Sie diesem Vorurteil eine Chance. Es gab eine Zeit, als ich es noch in mir fühlte; ich bedaure, es nicht länger zu fühlen. Bei allen Arten von Unglück besitzt ein ehrlicher Mann immer noch seinen Trost. Wo ist dieser Trost? Hier!« Er schlug auf sein Herz und die Familie fiel vor ihm auf die Knie.

»Wohltäter deiner Art!« rief der Mann. »Wie kann ich meine Dankbarkeit zeigen?«

»Sie können mir erlauben, die Hand von Madame zu küssen«, antwortete Poulailler.

Madame sprang auf ihre Füße und umarmte den spendablen Fremden. »Was kann ich noch für Sie tun?« rief die hübsche Frau eifrig, »beim Himmel! Was?«

»Sie können Ihren Mann bitten, mir die Treppen hinabzuleuchten«, antwortete Poulailler. Er sprach, drückte ihre Hände, ließ eine großmütige Träne fallen und ging. Bei diesem berührenden Augenblick hätte ihn nicht einmal sein eigener Adoptivvater wiedererkannt.

Mit dieser letzten Anekdote schließen die Berichte von Poulaillers Laufbahn in Paris. Die helleren und angenehmeren Gesichtspunkte wurden bisher mit Absicht vorgestellt, in stillem Gedenken an den Gegensatz, welchen die tragische Seite der Geschichte nun darstellen muss. Komödie und Tragödie, Zwillingsschwestern der französischen Erziehung, lebt wohl! Horror betritt als nächstes die Bühne und verlangt Einlass, im Namen des Teufelsfischers Adoptivsohns.

IV Sein Abgang von der Szene

Die Natur von Poulaillers ernsteren Erfolgen in der Kunst des Raubes mag unter Bezug auf eine schreckliche Tatsache realisiert werden. In den Polizeiberichten dieser Zeit wurden einhundertfünfzig Männer und Frauen aufgezählt, welche ihrem Tod durch die Hände von Poulailler und seiner Bande entgegentraten. Es war nicht der Brauch dieses furchterregenden Räubers, Leben wie Besitz zu nehmen, wenn nicht das Leben zufällig direkt im Weg stand – in welchem Fall er sofort das Hindernis ohne Zögern und ohne Reue zunichte machte. Seine tödliche Bestimmung, zu rauben, die demnach von der Bevölkerung im allgemeinen gefühlt wurde, wurde mit seiner tödlichen Bestimmung, dass ihm gehorcht werden müsse, vereint, welche von seinen Gefolgsleuten im besonderen gespürt wurde. Zum Beispiel wurde einer von ihnen, der illoyal geworden war und danach versucht hatte, seinen Führer zu betrügen, bis zu seinem Versteck in einem Keller verfolgt und wurde lebendig in Poulaillers Gegenwart eingemauert, wobei der Räuber die Grabinschrift des unglücklichen Wesens komponierte und es auf den weichen Gips mit seiner eigenen Hand kratzte. Jahre später wurde die Inschrift bemerkt, als das Haus in den Besitz eines neuen Eigentümers überging, und wurde für nichts mehr als einer der vielen Scherze des berühmten Räubers gehalten, die er in dieser Zeit praktiziert hatte. Als die Steine entfernt wurden, fiel das Skelett heraus und bewies, dass es Poulailler völlig ernst war.

Die Verhaftung eines Mannes wie diesem war, indem man seine Gefolgsleute besticht, praktisch unmöglich. Keine Geldsumme, welche angeboten werden konnte, würde irgendeinen seiner Bandenmitglieder dazu verleiten, die unheilvolle Chance auf seine Rache zu riskieren. Andere Mittel, Besitz von ihm zu ergreifen, waren versucht worden und vergeblich versucht worden. Fünfmal hatte die Polizei ihn erfolgreich zu seinen verschiedenen Verstecken verfolgt; und bei allen fünf Gelegenheiten hatten ihm die Frauen – welche ihn für seine Galanterie, seine Großmütigkeit und sein gutes Aussehen anhimmelten – zur Flucht verholfen. Wenn er nicht unbewusst den Weg zu seiner eigenen Gefangennahme gepflastert hätte, zuerst durch die Flucht mit Mademoiselle Wilhelmina de Kirbergen und zweitens durch Misshandlungen an ihr, ist es mehr als zweifelhaft, ob der lange Arm des Gesetzes jemals weit genug gereicht hätte, um seinen Griff um ihn zu legen. So wie es war, trafen sich zuletzt die Extreme von Liebe und Hass im Busen der hingebungsvollen Wilhemina und die Rache einer vernachlässigten Frau bewältigte, was die ganze Polizeimacht von Paris ohnmächtig nicht erreichen konnte.

Poulailler war, niemals berühmt für eine lange Dauer seiner Zuneigungen, der Gesellschaft seiner Flucht aus Deutschland zu einer frühen Zeit müde geworden; aber Wilhelmina war eine dieser Frauen, deren Zuneigung, einmal erwacht, kein Nein als Antwort akzeptiert. Sie bestand darauf, sich an den Mann zu hängen, der aufgehört hatte sie zu lieben. Poulaillers Geduld wurde erschöpft; er versuchte zweimal, die unglückliche Dame loszuwerden – einmal durch das Messer, einmal durch Gift – und versagte bei beiden Gelegenheiten. Beim dritten und letzten Mal, indem er einen Versuch anderer Art machte, setzte er eine Nebenbuhlerin ein, um die deutsche Frau aus dem Haus zu treiben. Von diesem Augenblick an war sein Schicksal besiegelt. Durch rasende Eifersucht in den Wahnsinn getrieben, schrieb Wilhelmina die letzten Bruchstücke ihrer Zuneigung in den Wind. Sie verhandelte geheim mit der Polizei und Poulailler traf sein Schicksal.

Eine Nacht wurde mit den Behörden vereinbart und der Räuber wurde von seiner verschmähten Geliebten zu einem Abschiedsgespräch eingeladen. Sein verächtliches Vertrauen auf ihre Treue machte ihn sorglos ob seiner gewöhnlichen Vorkehrungen. Er nahm die Vereinbarung an und die beiden aßen zusammen abend, mit dem Einverständnis, dass sie fortan Freunde waren und nichts mehr. Gegen Ende des Essens wurde Poulailler von einem grauenhaften Wechsel im Gesicht seiner Gefährtin erschreckt.

»Was ist los mit dir?« fragte er.

»Nur eine Kleinigkeit«, antwortete sie, in ihr Glas Wein schauend. »Ich kann nicht aufhören, dich zu lieben, so schlecht du mich auch behandelt hast. Du bist ein toter Mann, Poulailler, und ich werde dich nicht überleben.«

Der Räuber sprang auf seine Füße und ergriff ein Messer auf dem Tisch.

»Du hast mich vergiftet!« rief er aus.

»Nein«, antwortete sie. »Gift ist meine Rache an mir selber; nicht meine Rache an dir. Du wirst von diesem Tisch aufstehen, wie du dich hingesetzt hast. Aber deinen Abend wirst du im Gefängnis beenden und dein Leben wird auf dem Rad beendet werden.«

Als sie diese Worte sprach, wurde von der Polizei die Tür aufgestoßen und Poulailler wurde verhaftet. In derselben Nacht verrichtete das Gift seine unheilvolle Arbeit und seine Geliebte leistete mit ihrem Leben Sühne für den ersten und letzten Akt des Betrugs, welcher sie an dem Mann gerächt hatte, den sie liebte.

Einmal sicher in den Händen der Justiz untergebracht, versuchte der Räuber, Zeit zu gewinnen, um fliehen zu können, indem er versprach, wichtige Offenbarungen zu machen. Die List nutzte ihm nichts. In jenen Tagen hatten die Gesetze des Landes noch nicht Bekanntschaft mit den Gesetzen der Menschlichkeit gemacht. Poulailler wurde der Folter ausgesetzt – ihm wurde gestattet, sich davon zu erholen – wurde öffentlich auf dem Rad gebrochen – und wurde lebendig von ihm genommen, um in ein loderndes Feuer geworfen zu werden. Durch diese mörderischen Mittel hatte die Gesellschaft sich eines mörderischen Mannes entledigt und die Müßiggänger auf den Bollwerken machten wieder ihren Abendspaziergang in wiederhergestellter Sicherheit.

***

Paris hatte die Hinrichtung von Poulailler gesehen; aber wenn den Legenden Glauben geschenkt werden kann, sahen unsere alten Freunde, die Leute aus dem Fischerdorf in der Bretagne, das Ende von ihm hinterher. Am Tag und in der Stunde, als er dahinschied, verdunkelte sich der Himmel und ein schrecklicher Sturm zog auf. Einmal mehr für einen Augenblick nur, rötete der Schimmer des unirdischen Feuers die Fenster des alten Turms. Der Donner schlug und das Gebäude zerfiel in Trümmer. Blitze leuchteten unaufhörlich über der Ruine; und im glühenden Schein davon wurde das Boot, welches in früheren Jahren in See gestochen war, wenn der Sturm am höchsten aufzog, gesehen, wie es aus der Felsenkluft in den zürnenden Ozean hinausschoss und man entdeckte bei dieser letzten Gelegenheit, dass es mit zwei Personen bemannt war. Der Teufelsfischer saß am Steuer; sein Adoptivsohn zerrte an den Rudern; und ein Geschrei teuflischer Stimmen, welche schrecklich durch den dröhnenden Sturm brüllten, wünschten dem Paar eine glückliche Reise.


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