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Das Geheimnis der Abtei [The Witness]

Aus den Erinnerungen einer Erzieherin

IIII
Was für ein schrecklicher Tag der heutige gewesen ist! Kaum kann ich meine Gedanken genügend sammeln, um eine klare Schilderung davon zu geben, obgleich ich fühle, wie wichtig es ist, alles, was sich ereignet hat, schnell niederzuschreiben, um jede Entstellung oder Unvollständigkeit zu vermeiden. Der Schlaf flieht mich, deshalb will ich versuchen sämtliche Ereignisse genau so zu schildern, wie sie sich zugetragen haben. What a day this has been!—I can scarcely collect my thoughts to give a clear account of it—but I feel how important it may be to record all that has passed as soon as possible, to insure that nothing is misrepresented or omitted. Sleep is out of the question; so I will try to relate all that has happened, just as it occurred.
Mac Ivor erschien beim Frühstück zwar bleich und erschöpft, allein vollkommen ruhig und gesammelt. Er antwortete auf unsere Fragen nach seinem Befinden, dass er sich wieder ganz wohl fühle, aber sprach sehr wenig und genoss fast gar nichts. Das Wetter hatte sich leider seit dem Morgen verändert, und der Himmel war zu drohend geworden, um einen weiten Ausflug unternehmen zu können. Wir beschlossen jedoch, einen schon seit mehreren Tagen besprochenen kürzeren Spaziergang nach der Meeresküste zu machen, um dort eine eigentümliche Felsengruppe in Augenschein zu nehmen. Mr. M‘Ilvar appeared at breakfast, looking pale and harassed, but perfectly quiet and collected in manner. He answered our inquiries by saying that ho was quite well again; but he spoke seldom, and ate little. The weather had unfortunately changed since early morning, and the sky was too threatening to admit of any long expedition. We agreed, however, if it held up after luncheon, to take a walk we had been projecting for two or three days, to see some curious rocks about a mile of, on the seashore.
Mr. Davis schrieb den Brief und sandte ihn ab. Dann brachen wir sämtlich auf, obgleich die Wolken noch sehr drohend waren. Mac Ivors Stimmung heiterte sich während des Spazierganges auf. Er fand großen Gefallen an den sonderbaren Höhlen des felsigen Ufers und ihren von der See erzeugten Bewohnern, deren Natur und Eigentümlichkeit er meinen Zöglingen auf so fesselnde Weise beschrieb, dass sie ihm entzückt zuhörten. Endlich wurde der Rückweg angetreten, und schon waren wir bis in die Nähe der Abtei gelangt, als der Regen mit entsetzlicher Heftigkeit zu fallen begann. Kein anderer Zufluchtsort bot sich nun in der Nähe, als ein kleines, von einer alten Frau bewohntes Haus, gegen die der verstorbene Sir Thomas gewisse Verpflichtungen gehabt zu haben schien. Mr. Davis wrote his letter, and, with great satisfaction, I saw it myself put into the post-bag. He and I were so anxious for the walk, that we all set out soon after luncheon, although the clouds still looked dangerous. Mr. M‘Ilvar’s spirits improved as we went on. He was much interested by the curious caves in the rocks, and their beautiful marine inhabitants, and the girls were delighted by his descriptions and the information conveyed in them. At last, we turned our steps homewards, and had nearly reached one of the approaches to Greyfriars, when the rain, which we had quite forgotten, began to descend, and in a few minutes there was a regular Cornwall downfall. No shelter was near except a small house inhabited by an old woman, whom the late Sir Thomas considered to have some claim upon him.
Bei Lebzeiten hatte er ihr die Hütte nebst Garten unentgeltlich überlassen und in seinem Testamente hatte er ihr ein Legat aufgesetzt. Zweimal war ich mit meinen Zöglingen dort gewesen, um ihr Zahlungen in Gemäßheit dieser letztwilligen Bestimmung zu leisten, und hatte jedes Mal eine Tochter bei ihr angetroffen, welche die Frau eines Handwerkers in einer nahe gelegenen Stadt war, ein hübsches Weib von ungefähr vierzig Jahren, dessen Blicke und Benehmen jedoch sehr frei und dreist waren. Die Alte schien sich für eine bevorrechtete Person zu halten, aber mir erschien sie umso unangenehmer. Ihr Gesicht war hart, finster, mürrisch und hatte durchaus nichts Ehrwürdiges. Als ich sie zum erstere Male sah, blickte sie mir frech in das Gesicht und sagte nur: »Ah, Sie sind wohl die neue Gouvernante?« He had given her the cottage and garden during his lifetime, and left her an annuity in his will. I had been twice there with my pupils, both times to make some payment from the abbey, and at each visit had found with her a daughter, the wife of a tradesman in a neighboring town—a bold-looking, handsome woman of about forty, whose manner was familiar, and scarcely civil. Indeed, the mother herself seemed to think she was a privileged person, and I thought her particularly disagreeable. She had a hard, cross old face, with nothing venerable about her, and, I remember, introduced herself to me at our first meeting by staring impertinently in my face, saying: „Oh, you’re the new governess, I take it.“
In diesem Augenblicke blieb uns jedoch keine Wahl, wir mussten bei ihr Zuflucht suchen und wurden mit leidlicher Artigkeit empfangen. Sie befand sich allein, da das Mädchen, welches die häuslichen Dienste bei ihr verrichtete, sich gerade auf einem Geschäftswege im Dorfe befand. However, I was glad to run with my companions to the near shelter of her cottage, and she received us with tolerable civility. She was quite alone, the girl who waited on her being absent on some errand in the village.
Die Herren in unserer Gesellschaft wollten eine Unterhaltung mit ihr anknüpfen, aber bekamen nur sehr kurze und grobe Antworten. Inzwischen floss der Regen in Strömen herab, so dass ein kleiner Bach, welcher am Wege entlang floss und den zur Hütte gehörenden Garten von dem Gebiete der Abtei trennte, furchtbar anschwoll und dadurch unseren Rückweg unmöglich machte. Mr. Davis sagte, dass er, sobald der Regen nachlassen werde, nach Hause eilen und einen Wagen schicken wolle. Die jungen Mädchen sprachen mit der alten Frau, deren mürrische Antworten sie belustigten, und währenddessen betrachtete ich mit Mac Ivor die an den Wänden hängenden Bilder. Sie waren alt, wertlos, und manche unter ihnen sehr sonderbar, so dass die Herren verschiedene Fragen in Betreff derselben an die Frau, Mrs. Wilson, richteten. Diese Aufmerksamkeit für den Schmuck ihres Zimmers schien ihr zu gefallen, und allmälig begann sie etwas freundlicher zu werden. Unter den Bildern befand sich ein kleines Gemälde in Wasserfarben, welches so hübsch ausgeführt war, dass es augenblicklich unsere Aufmerksamkeit erregte. Es stellte die Figur eines zarten, bleichen jungen Mädchens, von ungefähr zwölf Jahren, mit lichtem Haar und kindlichen Zügen vor, und machte auf uns den eigentümlichen Eindruck, den man häufig beim Anblicke von Portraiten unbekannter Persönlichkeiten empfindet, nämlich den, dass es kein Phantasiebild, sondern das getreue Abbild irgendeines lebenden Wesens sei. The gentlemen began talking good-humoredly to her, but they got only short, rough answers. The rain continued to pour down in torrents, and a slender brooklet by the side of the road that divided the garden from the Greyfriars precinct soon became an impassable barrier between us and our home. Mr. Davis said that when the rain abated he would make his way to the abbey, and send a carriage for us. The girls talked to the old woman, and were amused by her surly answers; and Mr. M‘llvar and I began to look at some prints that were framed and hung in no very orderly fashion on the walls. They were old and somewhat curious, and the gentlemen asked Mrs. Wilson several questions about them. She seemed pleased at the notice they attracted, and, after a time, began to converse more pleasantly than she had done at first. Among the pictures was a small drawing in water-colors, so cleverly done that it immediately attracted our attention. It was a single figure, without background or any accompaniment, of a delicate-looking girl about ten or twelve years old—a little thin pale girl, with light hair and small childish features; and it at once produced that curious impression sometimes given by portraits of unknown persons; namely, that it was no fancy figure, but a likeness, and a goodone.
»Wer auch die kleine Dame gemalt haben mag,« sagte Mac Ivor, »es muss ein Künstler gewesen sein.« „Whoever drew that little lady,“ said Mr. M‘Ilvar, „was a, good artist.”
»Ja,« bemerkte die alte Frau« »ein junger Mensch aus unserem Dorfe hat es gemalt. Später ist er nach London gegangen und soll sich dort schon einen großen Ruf erworben haben,« “Ay,“ said the old woman, “that was done by a lad in our village; he has long been gone up to London, and, they say, is getting a good name by his pictures; ”
Sie nannte seinen Namen, von dem Mr. Davis schon gehört zu haben glaubte. and she mentioned a name that Mr. Davis said he thought he had heard of.
»Auf jeden Fall ist es ein gutes Portrait,« sagte er, »und wahrscheinlich eine Tochter von Ihnen, Mrs. Wilson?« “I am sure it is a good likeness,“ said he. „A daughter of yours, Mrs. Wilson?”
»Nein,« entgegnete die Frau trocken, »eine Enkelin.« “No,“ she answered dryly—“a grand-daughter.”
»Wie,« riefen meine beiden Zöglinge zu gleicher Zeit, »haben Sie denn eine Enkelin? Davon wissen wir ja nichts!« „Why, Goody,” cried out both the girls at once, “I never knew you had a grand-daughter.”
»Kann wohl sein,« erwiderte die alte Frau. „Likely not,” said the old woman.
Die jungen Mädchen bestürmten nunmehr die alte Frau mit Fragen darüber, wo ihre Enkelin sei, wie sie heiße, ob sie bei ihrer Mutter in der nächsten Stadt wohne, und dergleichen mehr. The girls were now full of questions. „Where is she?”—“We never saw her.” — „Is she Mrs. Brown’s daughter?”— „Does she live with her mother? "
»Nein,« versetzte die Frau, »sie hat nie bei ihrer Mutter gewohnt, — der Mann derselben wollte sie nicht dulden.« “No,“ at last answered the old woman; „she never lived with her. Brown wouldn’t have her."
»Wie, nicht seine eigene Tochter?« „What! not his own daughter? ”
»Er war nicht ihr Vater,« — gleichviel, wer es war!« „He warn’t her father. Never mind about her father.”
»Aber bei wem ist sie denn jetzt?« „Then whom does she live with?"
»Sie wohnte früher bei mir,« erwiderte Mrs. Wilson. »Ich musste sie behalten, denn sonst hätte Brown, mein Schwiegersohn, meine Tochter nicht geheiratet.« „She used to live here with me,“ answered she. „I was forced to have her, or Brown wouldn’t have married Hannah."
»Ist sie tot?« fragte Janet mit ernster Miene. Janet now looked very solemn, and said : „Is she dead, Goody? ”
»Niemand weiß es!« war die kurze, schroffe Antwort der Alten. “Nobody knows,” was the short, gruff answer.
Ich war von diesem Gespräche unwillkürlich angezogen worden und blickte die alte Frau bei den letzten Worten erstaunt an. I had insensibly been attracted by all these rapid questions and short, sullen answers; and when she said: “Nobody knows,” I could not help looking at her with surprise.
»Ja, sehen Sie mich nur an,« fuhr sie fort. »Niemand weiß es! Manche sagen, sie sei mit den Zigeunern davon gegangen, die sie ihrer hübschen Stimme wegen mitgenommen hätten, und ein Mann behauptete, er habe sie in einer Jahrmarktsbude tanzen sehen, aber die meisten halten sie für tot. Ich weiß es nicht und kümmere mich auch nicht darum. Ich habe sie früher nicht gemocht und möchte sie auch jetzt nicht wieder haben.« “Ah, you may look,“ said she; „but nobody does know. Some say she went with the gypsies, who took her because of her singing: one man said he was sure he saw her dancing in a booth at a fair; but most think she be dead. I know naught about it; I didn’t want her afore, and I don’t want her now.”
Einige Augenblicke hielt sie inne und fügte dann wie als Antwort auf eine Frage, die jedoch niemand von und getan hatte, hinzu: She paused, and then, as if answering us, though no one spoke, she went on :
»Wissen Sie, wir waren keine guten Freunde. Sie muss davon gelaufen sein, denn um gestohlen zu werden, war sie schon zu alt.« „You see we were not over-good friends together. She must have run away; she was too old to be stolen.”
»Wie alt war sie denn?« „How old was she?”
»Wenige Tage vor dem Tode des alten Herrn, Sir Thomas, war sie zwölf Jahre alt geworden. Seitdem sind jetzt über acht Jahre verflossen; also würde sie nunmehr zwanzig sein. Dort auf dem Bette steht das Buch, —- jenes rote, welches er ihr am letzten Geburtstage schenkte.« „Let me see—she was twelve years old just a week before Sir Thomas died; that be eight years agone, and more. She would be twenty now, I’m thinking. There’s the book he gave her on her birthday upon the shelf there—that red one.”
Davis nahm es herab und las auf der ersten Seite: Mr. Davis took it down, and read from the first page:
»Von Sir Thomas seiner lieben kleinen Grace an ihrem zwölften Geburtstage.« „From Sir Thomas Dighton to his dear little Grace on her twelfth birth-day.”
»Seiner lieben kleinen Grace?« wiederholte ich etwas erstaunt. “His dear little Grace!“ I repeated in some surprise.
»Ja, er hatte sie sehr gern, und nicht ohne Ursache,« versetzte die Alte, mich mit widerlichem Grinsen anblickend, und fuhr dann, als hätte sie sich plötzlich entschlossen, alles zu erzählen, fort: »Fast täglich ließ er sie zu sich nach der Abtei kommen. Sie war ein schlaues Ding und musste ihm vorlesen und vorsingen und endlich wurde sogar ein Bett für sie in einem Kabinett neben seinem Schlafzimmer aufgestellt, so dass sie häufig selbst die Nacht in seiner Nähe zubrachte. Nie wusste ich, ob sie bald wieder nach Hause kommen werde, oder nicht, und kümmerte mich auch nicht darum; denn am liebsten war es mir, wenn ich sie nicht sah. Das ist auch der Grund, weshalb es so lange dauerte, bis sie vermisst wurde.« „Yes, he was very fond of her,” she replied; „and he had a right to be,“ continued she, winking, and looking at me with disagreeable significance; then, as if she had at last warmed up to tell the story, she went on. “He had her up to the abbey most days. She was a cute child, and he liked her to read to him and to sing to him; and at last he had a bed put for her in a closet out of his own room; and when it rained, and many times when it was fine, he kept her there to sleep. I never knowed whether she would come back or not; and I never cared; I was just as well without her as with her—better, indeed, for she often made me cross; and that’s how it was that it was so long before she was missed.”
»Wieso — vermisst?« „Not missed?“ said I.
»Ja, fast drei Tage vergingen, ehe wir uns überzeugt halten, dass sie weder hier noch in der Abtei zu finden war.« "‘ Well, it were the best part of three days before we really made out that she were neither here nor at the abbey.”
Unsere Aufmerksamkeit schien die alte Frau zu freuen, denn sie wurde lebendiger und fuhr fort: I suppose our surprise and attention pleased the old woman, for she now quite roused herself up, and continued.
»Sehen Sie, ich hatte einen Streit mit ihr beim Frühstücke, und als es vorüber war, nahm sie ihr Tuch und sagte: »»Großmutter, ich gehe nach der Abtei.« „You see, we had a bit of a quarrel at breakfast; and when it was over, she took her bonnet and shawl, and she says: ‘Grandmother,’ says she,’I am, going to the abbey.’
»Geh nur, ich mag Dich hier so nicht haben,« erwiderte ich. »»Ja, ich weiß, Du magst mich nicht, deshalb will ich zu Sir Thomas gehen,« versetzte sie. ‘Go along!’ says I;’I don’t want you here.’ ‘I know you don’t, grandmother,’ says she, ‘and so I’m going to Sir Thomas.’
»Gehe nur, Du brauchst auch nicht wiederzukommen,« wiederholte ich. »Oh, er freut sich immer, mich zu sehen,« entgegnete sie höhnisch und den Kopf in die Höhe werfend. Noch jetzt sehe ich das weiße, kleine Gesicht dort vor mir an der Tür stehen! Aber es war das letzte Mal, seitdem habe ich sie nicht wiedergesehen.« ‘Go along with you! ’ says I again; ‘I don't want you now nor never.’’ He is always glad of me,’ says she, and she tossed her head and grinned at me. I think I see her little white face now as she stood there just by the door; but I never saw her again, though.”
»Nicht wiedergesehen?« „Never saw her again?’
»Nein. Sie kam am Abende nicht heim, doch das wunderte und kümmerte mich nicht, weil es oft geschah. Am folgenden Morgen sah ich einen von den Reitknechten in der Abtei — einen Burschen, den ich wohl kannte — den Weg herab und in mein Haus und in dieses Zimmer kommen, wo er ganz außer sich rief: »Denken Sie nur, Sir Thomas ist tot in seinem Bett gefunden worden!« „No,” she answered. „She didn’t come back that day nor night; but that I was used to, and I thought nothing about it. Next morning, I saw one of the abbey grooms, a lad I knew well, come running along our road there, and he came right into the house, and into this room, and he looked scared, and he says:’ What do you think, Goody? Sir Thomas is dead—found dead in his bed.’
Ein solcher Fall war schon lange nicht unerwartet gewesen und endlich eingetreten. Mehr konnte mir der Bursche nicht sagen. Er war abgeschickt worden, um einen Arzt zu holen, und war auf dem Rückwege zu mir gekommen. Ich sprach an jenem Abende noch andere Dienstboten, welche mir erzählten, dass der Arzt erklärt habe, der Baron müsse schon drei bis vier Stunden tot gewesen sein, als der Bediente ihn am Morgen in seinem Zimmer leblos gefunden habe, und noch viele andere Dinge von Mylady und der Trauer, die nun stattfinden werde. So wurde es Abend, ehe ich an das Kind dachte, das noch immer nicht heimgekommen war. Ich konnte mir das Ausbleiben nicht anders erklären, als dass sie in der Abtei zurückgehalten werde, um bei irgendeinem Geschäfte Hilfe zu leisten. Am folgenden Morgen kam die Haushälterin in einem Wagen zu mir. Sie wollte nach der Stadt fahren, um den Stoff zu den Trauerkleidern für die Dienstboten einzukaufen, und fragte mich nach einer Arbeiterin daselbst, welche meiner Tochter bekannt war. Von ihr hörte ich alles noch einmal, und als sie endlich gehen wollte, blieb sie plötzlich stehen und fragte: »Wo ist Grace? Vielleicht führe sie gern mit mir nach der Stadt, um ihre Mutter zu besuchen.« Ich erwiderte ihr, dass das Mädchen bereits vor zwei Tagen nach der Abtei gegangen und noch nicht zurückgekommen sei. Sie blickte mich erstaunt an und sagte: »Das wundert mich, denn seit vorgestern, wo ich ihr auf der Hintertreppe begegnete, habe ich sie in der Abtei nicht gesehen.« Grace pflegte nämlich immer durch eine kleine Seitentür, zu der sie den Schlüssel hatte, und auf einer schmalen Treppe zu dem Zimmer des Baronets hinauf zu gehen, so dass ihr Kommen und Gehen von niemand bemerkt wurde. Die Haushälterin meinte, sie werde von den Dienstboten zurückgehalten worden sein, um bei der Näherei zu helfen. »Aber diesen Abend,« fügte sie hinzu, »werde ich sie heimschicken.« »Ich brauche sie nicht,« war meine Antwort. Allein am folgenden Morgen kam die Frau wieder, sah ganz bestürzt aus und fragte sogleich: »Ist Grace hier?« und als ich verneinte, erzählte sie mir, dass die ganze Abtei durchsucht worden, aber keine Spur von ihr zu finden gewesen sei. Seit jener Zeit ist sie verschwunden. Im Zimmer des Baronet, wenn sie überhaupt dort gewesen, hat sie niemand gesehen. Manche sind der Meinung, sie sei nur bis zum Abende vor seinem Tode in der Abtei geblieben und habe sich dann zu einer alten Zigeunerin geschlichen, mit der sie viel zu verkehren pflegte. Gewiss ist, dass die Zigeuner am folgenden Tage die Gegend verließen und —« Something like this had been long looked for, and was come at last. The boy could not tell me much more. He had been sent for the doctor, and came to me in his way home. I saw several of the servants that day, and they told me the doctor said he must have been dead three or four hours, when his valet went to him in the morning, and a great deal more about my lady and the mourning; and altogether, it was quite night before I thought of the child, and then I supposed they were keeping her to help them in something or other. Well, next morning comes the housekeeper in one of the carriages; she was going to the town to buy the servants’ mourning, and she come to me about a workwoman there known to my daughter; and she told me all the story over again—how the valet had found him quite cold, and looking as if he had not moved since he lay down; and after a long talk she was going away, when all of a sudden: ‘Where’s Grace?“ says she. ’Maybe she would like to take a ride with me, and go and see her mother.’ Then told her how she had gone to the abbey, two days and nights afore, and not come back again. She looked surprised, and said:’ Well, I have never seen her since the day before yesterday, when I remember meeting her on the little back-staircase) You see she used always to go into the abbey by a little side-door she could open for herself, and go up a narrow stair close by, right up into Sir Thomas’ rooms, and come away again, just in the same way. Nobody heeded her. And the housekeeper said that very like some of the under-maids had kept her to help in the work, for she was handy at her needle. ’But I’ll send her to you this evening, when I get back again,’ says she. ’I don’t want her,’ says 1. However, next morning she comes to me looking rather strange like, and the first thing she says was: ’Is Grace here?“ and then when I said no, she told me they had hunted high and low, and she was nowheres in the abbey; and she was never found from that day to this. No one had heeded her in Sir Thomas’ room, if she was there; and some think she had only stayed till evening at the abbey the day before he died, and had slunk away to an old gypsy wife she used to talk a great deal with. It is certain that the gypsies were all gone the next morning—”
»Aber wenn sie mit den Zigeunern fortgezogen wäre,« unterbrach ich die Alte, »so würden Sie doch gewiss im Laufe so vieler Jahre einmal von ihr gehört haben.« „But surely,“ I interrupted, „if she had gone with them, you must have heard something of her during so many years.”
»Ja,« erwiderte die Frau »es ist ein Mann hier, welcher behauptet, sie vor zwei Jahren weit entfernt von hier in einer Jahrmarktsbude tanzen gesehen zu haben. Ich aber glaube, dass sie tot ist. Sie Thomas hatte sie so lieb, dass er sie wahrscheinlich mitgenommen hat, — das meinen viele. Gewiss wenigstens ist, dass sie seit jenem Tage von niemand wieder mit Bestimmtheit gesehen worden ist.« „Well,” said the old woman, „there was a man who, a year or two after, thought he saw her dressed up very fine, dancing before I show at a fair a great way off. For my part, I think she must be dead. Some say Sir Thomas was so fond of her, that he took her with him. Anyways, since the house-keeper saw her on the stairs the day before he died, she has never been seen or heard of to any certainty.”
Sie hielt inne, und ich wollte etwa antworten, als mein Auge plötzlich auf Mac Ivor fiel, infolgedessen ich unwillkürlich auf Davis blickte, um ihn durch einen Wink auf seinen Freund aufmerksam zu machen. Mac Ivor stand regungslos und wie vom Schlage getroffen da. Sein Gesicht war totenbleich und hatte einen höchst peinlichen Ausdruck, während das dünne Haar wie vom Winde aufrecht erhoben stand. Es folgte eine Pause, in der wir sämtlich vor Staunen sprach- und bewegungslos blieben. Dann trat er einige Schritte vor, starrte uns an, ohne einen zu erkennen, wie es schien, und sagte mit grauenvollem Flüstern mehrere Male: »Eine Zeugin! Eine Zeugin!« worauf er, die Arme wild in die Luft werfend und dieselben Worte wiederholend, mit unbedecktem Kopfe aus dem Zimmer und in den strömenden Regen hinaus stürzte. Wir sahen ihn über den Bach springen, den Weg nach der Abtei verfolgen und in wenigen Sekunden verschwinden. She paused and I was about to say something, when my eye suddenly fell on Mr. M‘Ilvar, and I could only catch Mr. Davis’ eye, and point towards him. He seemed as if paralyzed, and fixed to the spot on which he stood; his face was ghastly, and its expression that of a strange and wild distress, and his thin weak hair literally streamed upwards from his brow, as if lifted by the wind. A moment elapsed, during which we were too much astounded to speak or move. He then came a step or two forwards, staring at us, and yet not seeming to see any one, and saying in a fearful sort of whisper several times „A witness! a witness!” and immediately waving his arms wildly above his head, be repeated almost in a scream: „A witness! a witness! ” and rushed out of the room. The next instant we saw him bare-headed in the still pouring rain. He leaped the brook, and fleeing on towards the abbey, was out of sight in an instant.
Ich schaute Mr. Davis an. In furchtbarer Aufregung kam er zu mir und sagte: I could only look at Mr. Davis. He came to me in great agitation, saying:
»Ich muss ihm nacheilen. Der Himmel weiß, was er im Sinne hat. Ich werde Ihnen einen Wagen schicken.« „I must follow him directly. What can he be going to do? I will send a carriage for you.”
Dann nahm er seinen Hut und ging schnell fort, während ich mit nicht zu beschreibendem Staunen und Schrecken zurückblieb. Die jungen Mädchen kamen zu mir und fragten mich, was der Auftritt bedeute, und die alte Frau sagte verwundert: »Weshalb laufen denn die beiden Herren so eilig davon?« Ich konnte keine dieser Fragen beantworten und zu keinem anderen Schlusse gelangen, als dass der kranke Geisteszustand des jungen Mannes plötzlich in völligen Wahnsinn übergegangen sei. He then took his hat and went out quickly. I remained in a state of astonishment and dismay that I cannot attempt to describe. The girls came hurrying up to me, asking what was the matter. The old woman only looked puzzled, and said: „What be they both of in such a hurry for?‘ ” I could answer neither question, and my own wild and vague conjectures soon settled into the conviction that the unfortunate young man’s morbid state of mind had suddenly become positive insanity.
Mit Unruhe dachte ich daran, was er bei seiner Ankunft in der Abtei sagen oder tun könne; denn ich hielt es für unmöglich, dass Mr. Davis, ein viel älterer Mann, ihn, der überdies einen Vorsprung hatte, werde einholen können. Abgeschmackt erschien es mir, seinen plötzlichen Anfall mit der Geschichte des alten Weibes in Verbindung zu bringen, aber dennoch musste ich unwillkürlich das Portrait wieder ansehen. Es war nur das eines mageren, bleichen Kindes; nichts ließ sich daraus erklären, und verzweiflungsvoll setzte ich mich nieder. It was fearful to think of what he might do or say when he reached the abbey. I had no hope that Mr. Davis would overtake, or even arrive soon after him; he was a much older and heavier man, and M‘Ilvar had some minutes the start of him. It seemed absurd to connect his seizure with the old woman’s story, and yet I could not help looking again at the picture. It was only a little, thin, pale child. Nothing could be made of it, and I sat down in despair.
Während dessen regnete es mit ununterbrochener Heftigkeit fort, und der bereits geschwollene Bach wuchs mit jedem Augenblicke. Angstvoll zog ich meinen Stuhl an das Fenster und wartete mit peinlicher Ungeduld auf das Erscheinen des versprochenen Wagens. It continued to rain heavily; the obstacle between us and the abbey increased every moment; and drawing my chair to the window, I watched with painful eagerness for the appearance of the promised carriage.
Inzwischen kam das Hausmädchen nach Hause und begann die Vorbereitungen zum Tee zu treffen. Meine Zöglinge unterhielten sich damit, ihr beim Rösten des Brotes zu helfen. Dann ließen sie sich das Mahl wohl schmecken, und ich genoss auch eine Tasse Tee, immer noch unruhig wartend. Mehrere Stunden verstrichen, aber niemand schien sich meiner zu erinnern, und schon brach die Dämmerung an, als endlich der Wagen nahte. Verwundert sah ich, dass es eine schwere, alte Kutsche war, die seit Jahren unbenutzt in einem Schuppen gestanden hatte, und eilte deshalb an die Haustür, um den Bedienten zu befragen, warum nicht die gewöhnlich benutzte Chaise genommen worden sei. Der Mann sprang vom Bock herab und gab mir ein Schreiben mit dem Bemerken, dass Mr. Davis mich bitten lasse, es sogleich zu lesen. Er sah dabei ängstlich und verstört aus, wie es mir schien, und ohne ein Wort zu erwidern, nahm ich deshalb den Brief und trat an das Licht im Zimmer. Er enthielt folgende Zeilen: The servant-girl soon came in under a dripping umbrella, and in a few minutes began to make preparations for tea. The girls amused themselves by helping her and toasting bread at the fire. They made a hearty meal when all was ready; and I took a cup of tea, still anxiously waiting and watching. One, two, three hours passed without a sign that we had been remembered. Evening came on; and it was as dark as a June evening could be ere I saw a carriage approaching; when it reached the gate, I was greatly surprised to see that it was a heavy old-fashioned coach, which I had seen only when the coach-house doors happened to be open while I passed them. I had expected the chariot, as the other two carriages were an open barouche and a phaeton. I ran to the door. A footman was on the box; and he jumped down and gave me a note, saying: „Mr. Davis begged you would read this directly, ma’am. “The man had a scared and bewildered sort of look, I thought; but without speaking, I took the note to the candle in the cottage. It contained only the following few lines :—
»Liebe Miss Vernon! — Richten Sie keine Fragen an „DEAR MISS VERNON—
»die Dienstboten und schicken Sie die Kinder so bald Ask the servants no questions.
»als möglich zu Bett. Wenn Sie ganz allein sind, Send the children to bed as quickly as possible.
»öffnen Sie das Fach ihres Schreibpultes, in das ich When quite alone,
»ein Paket gelegt habe. Lesen Sie es diesen Abend look in the drawer of your writing-table for a packet from me. Read it tonight,
»und bleiben Sie in Ihrem eigenen Zimmer. Morgen and remain in your own apartments.
»früh werde ich zeitig zu Ihnen kommen.« I will come to you early in the morning.”
Während ich diese Zeilen las, hatten die jungen Mädchen sich zur Abreise bereit gemacht. Über das sonderbare Fuhrwerk verwundert, stiegen sie schwatzend und mich voll Fragen bestürmend ein, auf die sie jedoch nur kurze Antworten von mir erhielten, da ich zu aufgeregt und unruhig war. Unser Weg war die von der Abtei nach der Stadt führende Straße, und kaum hatten wir die Hütte zehn Minuten hinter uns, als Ellen zu ihrer Schwester sagte: »Sieh nur die Lichter dort, Janet, es muss uns ein Wagen entgegen kommen!« Janet blickte hinaus und erwiderte: »Es ist unsere Chaise, und wenn ich mich nicht täusche, so sitzt Mary, Lady Deightons Kammermädchen, auf dem Bock.« In demselben Augenblicke fuhr der Wagen an uns vorüber, und ich sah ihn deutlich. Durfte ich meinen Augen trauen? Das helle Licht der Wagenlampen zeigte mir Sinclairs totbleiches Gesicht, in eine Ecke gedrückt, um nicht, wie es schien, von mir gesehen zu werden; und neben ihm saß ein in Shawle gehülltes Frauenzimmer, mit einem Spitzentuche über dem Gesichte. Ich kannte das Tuch und die Shawle und konnte mich deshalb in der Person nicht irren; ich wusste gewiss, dass es Lady Deighton war, so unglaublich es auch erscheinen mochte. Dennoch war der Wagen kaum vorbei, als ich mir einzureden suchte, dass es Täuschung gewesen sei. Welche unerhörten Umstände mussten es sein, die ihren so lange gefassten Entschluss, die Abtei nie zu verlassen, umstoßen konnten? Meine Überzeugung, dass Mac Ivor wahnsinnig sei, erweckte sehr schreckliche Vermutungen; er konnte sich entleibt oder anderen ein Leid zugefügt und Lady Deighton, welche vielleicht Augenzeuge dabei gewesen, dadurch veranlasst haben, den Ort zu verlassen. Das erklärte auch das Schreiben des Mr. Davis; er wollte mich so schonend als möglich vorbereiten. Der kommende Morgen musste mir Aufklärung bringen, denn jedenfalls kehrte dann die Chaise zurück und führte mich mit meinen Zöglingen nach dem von ihrem Vater erwählten Zufluchtsorte. Eine andere Lösung des Rätsels konnte ich nicht finden, aber auch selbst diese erklärte nicht das Paket in meinem Schreibpulte. Ich sah jedoch ein, dass ich nichts Besseres tun konnte, als den Anordnungen des guten Mr. Davis unbedingt Folge zu leisten. By the time I had read these words, the girls were ready to go; and we entered the carriage; they chattering and wondering, and I too confused and too much troubled to give more than short answers. Our road for some distance was that leading from the neighboring town to the abbey; and we had not left the cottage more than ten minutes, when Ellen said: „Look at those lights; there must be a carriage coming.“ Janet looked out, and said : „Why, it is our own chariot; and I do believe Saunders [Lady Dighton’s maid] is on the box.” At that moment it passed, and I saw it plainly for a moment. Could I believe my eyes? The lamps shone full on the face of Captain Sinclair, pale as death, and seeming to shrink from sight in the opposite corner; and on the side next me was a female enveloped in shawls, and with a handkerchief thrown over her face; but I knew the shawl. I could not mistake the figure. However incredible it might seem, I felt certain that it was Lady Dighton. Yet the carriage had no sooner passed, than I tried to persuade myself that it could not be. What strange, what unheard-of circumstances could have so suddenly changed her long fixed resolution never to leave Greyfriars? The strong impression on my mind, that Mr. M‘Ilvar was insane, filled me with horrible conjectures that some dreadful scene had occurred at the abbey: perhaps he had destroyed himself—perhaps injured others. Lady Dighton might have been induced to quit the place if some fearful set had been committed there—perhaps before her very eyes. This would also explain Mr. Davis’ note. He wished to prepare me, and to spare me as much as possible. In the morning I should hear all; and the chariot would no doubt then be sent back to convey me and my pupils to whatever place Captain Sinclair had chosen to take refuge in. This was the only key to the mystery which I could discover; but the packet in the writing-table drawer was still unaccounted for. However, I felt that my best course was that of implicit obedience to Mr. Davis’ directions.
An einer Seitenpforte der Abtei stiegen wir aus, und ich brachte die jungen Mädchen ohne Hilfe eines Dienstboten sogleich zu Bett, indem ich ihnen sagte, dass mutmaßlich Lady Deighton plötzlich erkrankt sei, was wir am nächsten Morgen hören würden. We were set down at a side-door of the abbey; and as the girls had had their tea, and it was past their usual bedtime, I took them immediately to their chamber, and without ringing for a servant, got them to bed as speedily as possible, telling them that I believed Lady Dighton had been suddenly taken ill, and that we should hear all about it the next morning.
Nachdem ich sie verlassen und die Lichter in meinem Zimmer angesteckt hatte, verweilte ich noch eine Zeit lang zögernd, ehe ich den Mut fand, das Schreibpult zu öffnen. Endlich geschah es mit zitternder Hand, und ein großes Paket, von Mr. Davis an mich adressiert, lag vor mir. Es enthielt mehrere mit enger Schrift gefüllte Bogen Papier, deren Züge mir unbekannt waren, und zwei Briefe von Mr. Davis. Der eine mit No. 1 bezeichnet, war mit den Worten überschrieben: »Lesen Sie diesen zuerst,« und der andere, No. 2, trug die Bemerkung; »Lesen Sie dieses Schreiben nicht eher, als bis Sie das Manuskript beendigt haben.« Das erste Briefchen enthielt nur die Worte: »Lesen Sie heute Abend das Manuskript und dann mein Schreiben No. 2, ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht gestört werden.« When I left them and lighted the candles in my own sitting-room, it was some time ere I could venture to open the table-drawer. With a trembling hand, at length I pulled it forward. A large packet lay before me, directed to me in Mr. Davis’ handwriting. Within it were several sheets of closely written paper, in a band I was not acquainted with, and two notes from Mr. Davis; one numbered 1, and „Read this first ” written upon it; the other numbered 2, „Do not read this till you have finished the manuscript.“ The first note merely said: „Read this manuscript tonight; and when you have finished it, read my second note. I will take care that you shall not be interrupted."
Nach genommener Abschrift der an mich eingeschlossenen Papiere will ich jetzt die in ihnen enthaltene Erzählung mit ihren eigenen Worten folgen lassen. I passively obeyed. Having subsequently copied the papers enclosed to me, I will now introduce the story they told in its proper place.


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