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Gesetz und Frau



Dreizehntes Kapitel.

Noch mehr Überraschungen.

Noch an demselben Abend überbrachte mir ein Schreiber den Kostenanschlag für die Reise des Agenten und einen flüchtigen Bericht über den Besuch bei Mr. Dexter.

Es hatte sich durchaus in seinem Zustande nichts verändert. Der Bruder war mit einem Arzte eingetroffen, welcher den Irrsinnigen in seine Obhut nehmen sollte. Der neue Arzt wollte sich jedes Urtheils enthalten, bis er den Kranken längere Zeit genau beobachtet. Es war bestimmt worden, daß Miserrimus Dexter, sobald die Vorbereitungen getroffen sein würden, in die Anstalt aufgenommen werden sollte, deren Besitzer und Vorsteher der neue Arzt war. Die einzige Schwierigkeit, welche zu überwinden war, bestand in einer Verfügung über das unglückliche Geschöpf, welches seinen Herrn nie verlassen. Ariel hatte weder Freunde noch Geld. Aber es gelang Mr. Playmore und mir, theils durch eigene Betheiligung theils durch Subscription die Mittel aufzubringen welche es Ariel möglich machten, in der Nähe Dexters zu bleiben und täglich einige Stunden unmittelbar in seiner Nähe zubringen und ihn bedienen zu können.

Am andern Tage erhielt ich von meiner Schwiegermutter einen Brief aus Spanien.

Zu meiner unnennbaren Freude las ich folgende Zeilen:

»Machen Sie Sich, meine theuerste Va-
»leria, auf eine herrliche Ueberraschung gefaßt.
»Eustace hat mein in ihn gesetztes Vertrauen
»gerechtfertigt. Wenn er nach England zu-
»rückkehrt, wird er sein geliebtes Weib auf-
»suchen.

»Dieser Entschluß ist nicht etwa durch meine
»Beeinflussung hervorgerufen worden Es ist
»der ganz natürliche Ausdruck seiner Dank-
»barkeit und Liebe. Die ersten Worte nach
»seiner Genesung waren: »Glauben Sie, daß
»mir Valeria vergeben werde, wenn ich wie-
»der zu ihr komme?« Die Antwort darauf
»müssen wir Ihnen natürlich überlassen und
»zwar, wenn Sie uns lieben, mit wendender
»Post.

»Nachdem ich Ihnen nun die erste freudige
»Nachricht mitgetheilt, will ich meinen Brief
»doch noch einige Tage zurückhalten im Fall,
»was ich jedoch nicht hoffe, er seine Entschlie-
»ßung ändern sollte.

»Drei Tage sind nun seitdem vergangen
»und es ist keine Veränderung eingetreten
»Er denkt einzig und allein an die Wieder-
»vereinigung mit seiner Frau. Ich muß Sie
»aber noch auf etwas Anderes aufmerksam
»machen, da Eustace’s Seele keine Umwan-
»delung erlitten hat.

»Obgleich Leiden und Zeit ihn in vieler
»Beziehung geändert haben, denkt er doch noch
»immer mit demselben Schrecken an Ihre Idee,
»ihn noch einmal mit einer Ausrührung seines
»Prozesses in Verbindung zu bringen. Das
»ist der große Kummer, der seine Seele be-
»drückt. Ich hielt es für meine Pflicht, be-
»ruhigend auf ihn zu wirken Ich habe ihm
»gesagt, er solle sich vorläufig die Sache aus
»dem Kopf schlagen es würde Valeria schließ-
»lich nichts Anderes übrig bleiben, als die
»Idee aufzugeben da die sich ihr entgegen
»stellenden Hindernisse bis zur Unübersteiglich-
»keit angewachsen wären Mit diesen Worten
»sprach ich ja auch nur meine eigene Ansicht
»aus, die Sie selber so oft von mir hörten.
»Hoffentlich höre ich in Ihrem nächsten Briefe,
»daß unsere beiderseitigen Wünsche in Er-
»füllung gegangen Sollten wir uns getäuscht
»haben, dann mögen Sie auch die Folgen
»verantworten. Sie könnten es dahin brin-
»gen, seine Liebe und Dankbarkeit zu verlieren
»und ihn niemals wiederzusehen Wenn Sie
»mir antworten, legen Sie einige wenige
»Zeilen für Eustace bei.

»Den Tags unserer Abreise von hier bin
»ich noch nicht im Stande bestimmen zu
»können. Eustace erholt sich sehr langsam und
»hat noch nicht das Bett verlassen dürfen.
»Wenn es so weit ist, wird die Rückreise eine
»sehr lange sein müssen. Vor 6 Wochen ist
»an einen Aufbruch nicht zu denken.

Aufrichtig
die Ihre
Catharine Macallan.«

Als ich den Brief auf den Tisch legte, fand ich nur einen Wermuthstropfen indem Becher meiner Freude. Der von uns nach New-York gesandte Bote schwamm bereits auf dem Atlantischen Ocean.

Was war zu thun?

Ich zögerte. Es war ja auch noch keine Veranlassung, meinen Entschluß zu beschleunigen. Ich hatte noch den ganzen Tag vor mir.

Ich ging ins Freie und überlegte mir die Sache ernstlich.

Wieder nach Hause gekommen setzte ich am Kamin meine Betrachtungen fort. Es lag ja fern von mir, meinen Gatten bei seiner Rückkehr in irgend einer Weise kränken oder beleidigen zu wollen. Auf der andern Seite aber war es doch auch nicht von mir zu verlangen, daß ich mein großes Unternehmen in einem Augenblick aufgeben sollte, wo selbst der kluge und vorsichtige Mr. Playmore demselben ein günstiges Resultat prophezeit und mir seinen Beistand versprochen hatte. Es war schwer, zwischen diesen beiden grausamen Alternativen zu wählen. Schließlich kehrte ich Beiden den Rücken und entschloß mich, die Mittelstraße zu gehen. Ich nahm mir vor, meiner Schwiegermutter und meinem Gatten vorläufig ihren Willen zu thun und dann abzuwarten, ob mich mein guter Stern nicht zum günstigen Resultat führen würde.

Der Rath, den ich mir gegeben war entschieden ein unwürdiger, aber ich konnte in meiner damaligen Lage nicht anders handeln. Ich schrieb an meine Schwiegermutter, daß Miserrimus Dexter in eine Anstalt gebracht worden sei, und überließ es ihr, sich selbst ihre Schlüsse daraus zu ziehen.

Meinem Gatten schrieb ich ebenfalls die Wahrheit. Ich sagte ihm, daß ich ihm von ganzem Herzen vergäbe und ihn mit offenen Armen empfangen wollte, wenn er wieder zu mir käme.

Als ich meine beiden unwürdigen Briefe expedirt hatte, verging ich vor Sehnsucht nach Veränderung. Ehe nicht 8 bis 9 Tage vergangen waren konnten wir auf kein Telegramm aus New-York hoffen. Für diese Zeit sagte ich meinem alten Freunde Benjamin Lebewohl, und machte mich auf den Weg nach dem Norden zu meinem Onkel, dem Prediger. Meine Reise nach Spanien um Eustace zu pflegen hatte mich mit meinen würdigen Verwandten wieder ausgesöhnt, und ich hatte versprochen ihr Gast sein zu wollen, sobald meine Zeit mir erlauben würde, mich von London zu entfernen.

Ich verlebte dort oben eine glückliche Zeit. Ich suchte mir alle die lieben Orte wieder auf, an denen ich mit Eustace gewesen, wo ich ihn kennen gelernt, wo ich ihn zuerst geküßt, wo ich Abschied von ihm genommen. Welche Welt von Ereignissen lag zwischen jenem Einst und diesem Jetzt!

Nachdem ich 14 Tage bei meinem Onkel und bei meiner Tante gewesen bekam ich einen Brief von Mr. Playmore, der mich gröblich enttäuschte. Ein Telegramm unseres Boten hatte gemeldet, daß die Verwalterstochter New-York verlassen habe und daß man bis jetzt noch vergebens nach einer Spur von ihr suche.

Das waren traurige Nachrichten die dennoch mit Geduld ertragen werden mußten. Auf Mr. Playmores Rath sollte ich im Norden bleiben um nöthigenfalls Edinburgh nahe zu sein. Drei lange, erwartungsvolle Wochen gingen dahin ehe ein neuer Brief eintraf. Diesmal war es unmöglich zu sagen ob die Nachrichten gut oder schlecht waren. Selbst Mr. Playmore schien in Erstaunen versetzt. Die letzten räthselhaften Worte des Telegramms aus Amerika lauteten:

»Durchsuchen Sie den Schutthaufen in Gleninch.«


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