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Armadale



Vierter Band

Erstes Kapitel.

Der Morgen, an dem die Unterredung zwischen Mrs. Milroy und ihrer Tochter im Parkhäuschen stattfand, war für den Squire im Herrenhause ein Morgen ernstlicher Ueberlegung.

Selbst Allan’s leichtherzige Natur war von dem beunruhigenden Einflusse der Ereignisse während der letzten drei Tage nicht unberührt geblieben. Midwinter’s unerwartete Abreise hatte ihn verdrossen, und die Art und Weise; wie Major Milroy seine Erkundigungen in Bezug auf Miß Gwilt aufgenommen hatte, erhöhte nur sein Unbehagen. Seit seinem Besuche im Parkhäuschen war er zum ersten Male in seinem Leben gegen Jeden, der mit ihm in Berührung kam, gereizt und verdrießlich gewesen; gereizt über den jungen Pedgift, der am vorigen Abend erschienen »war, um ihm seine folgenden Tags bevorstehende Abreise nach London zu melden und seinem Clienten seine Dienste zur Verfügung zu stellen; verdrießlich Miß Gwilt gegenüber bei einer geheimen Zusammenkunft, die er am Morgen mit ihr im Park gehabt hatte; Verdrießlich in seiner eigenen Gesellschaft, währender rauchend in seinem Zimmer allein saß. »Diese Art von Leben kann ich nicht lange mehr ertragen«, dachte Allan »Wenn mir Niemand behilflich sein will, Miß Gwilt diese unangenehme Frage vorzulegen, so muß ich irgend einen Weg ausfindig machen, wie ich es selber thun kann.«

Welchen Weg? Die Antwort auf diese Frage war so schwer wie nur je eine. Allan versuchte seine träge Phantasie durch einen Spaziergang im Zimmer aufzustacheln, in welchem er, als er zum ersten Male das Ende des letzteren erreicht hatte, durch das Eintreten des Dieners unterbrochen ward.

»Nun, was gibt’s?« fragte er ungeduldig.

»Ein Brief, Sir; der Ueberbringer wartet auf Antwort.«

Allan betrachtete die Adresse Sie war von fremder Hand. Er öffnete den Brief, und ein in denselben eingelegtes kleines Billet fiel auf den Boden. Das Billet war in derselben fremden Handschrift an »Mrs. Mandeville, 18 Kingsdown-Crescent, Bayswater. Durch Güte des Mr. Armadale« adressiert. In immer größerer Verwunderung suchte Allan nach der Unterschrift des Briefes. Sie lautete: »Anna Milroy.«

»Anna Milroy!« wiederholte er. »Das muß die Frau des Majors sein. Was in aller Welt kann sie von mir wollen?«

Um sich darüber aufzuklären, that Allan schließlich, was er gleich zu Anfange hätte thun können. Er setzte sich hin, den Brief zu lesen.

»Parkhäuschen. Montag.
( Privatim.)

Geehrter Herr! Der Name am Schlusse dieser Zeilen wird Sie, wie ich fürchte, an eine große Unhöflichkeit erinnern, mit der ich vor kurzem eine große Freundlichkeit Ihrerseits zurückwies. Ich kann zu meiner Entschuldigung nur sagen, daß ich schwer leidend bin und, wenn ich unter dem Einflusse heftiger Schmerzen in einem Augenblicke von Gereiztheit und übler Laune Ihr gütiges Obstgeschenk zurücksandte, dies seitdem von Herzen bereut habe. Ich bitte Sie, diesen Brief meinem aufrichtigen Wunsche zuzuschreiben, jene Unhöflichkeit wieder gut zu machen und womöglich unserm geschätzten Freunde und Hauswirthe einen Dienst zu leisten.

Ich weiß, welche Frage Sie vorgestern hinsichtlich Miß Gwilt’s an meinen Gatten gerichtet haben. Nach Allem, was mir von Ihnen bekannt ist, bin ich fest überzeugt, daß Ihr Verlangen, etwas Näheres über diese anziehende Person zu erfahren, als Sie bis jetzt von ihr wissen, nur den ehrenvollsten Beweggründen zugeschrieben werden muß. In dieser Ueberzeugung fühle ich ein frauenhaftes Interesse —— wiewohl ich eine unheilbare Kranke bin —— Ihnen behilflich zu sein. Wenn Sie Miß Gwilt’s Familienangelegenheiten kennen lernen wollen, ohne sich deshalb direct an sie selbst zu wenden, so liegt es nur an Ihnen, sich diese Auskunft zu verschaffen, und ich will Ihnen sagen, wie Sie dabei zu Werke gehen müssen.

Der Zufall hat es gefügt, daß ich vor wenigen Tagen über diesen selben Gegenstand an die Dame geschrieben, die Miß Gwilt empfohlen hatte. Ich hatte längst die Bemerkung gemacht, daß Miß Gwilt ein eigenthümliches Widerstreben verrieth, von ihrer Familie und ihren Angehörigen zu sprechen, und ohne ihr Schweigen etwas Anderem als den schicklichsten Beweggründen zuzuschreiben, hielt ich es doch meiner Tochter gegenüber für meine Pflicht, einige fernere Erkundigungen darüber einzuziehen. Die Antwort, die ich erhalten, ist so weit befriedigend. Meine Correspondentin unterrichtet mich, daß Miß Gwilt’s Geschichte eine sehr traurige und ihr Benehmen bei all ihrem Mißgeschick im höchsten Grade lobenswerth gewesen sei. Die Umstände —— häuslicher Art, wie ich entnehme —— seien sämtlich in einer Reihe von Briefen auseinandergesetzt, die sich augenblicklich im Besitze der Dame befanden, welche Miß Gwilt empfohlen. Diese Dame sei vollkommen bereit, mir die Briefe zu zeigen, doch da sie keine Abschriften derselben besitze und für die Sicherheit der Documente persönlich verantwortlich sei, würde sie dieselben nur ungern der Post anvertrauen, und sie bittet mich deshalb zu warten, bis entweder sie oder ich eine zuverlässige Person finden könne, welche das Paket aus ihren Händen empfange, um es in die meinigen zu geben.

Unter diesen Umständen ist mir der Gedanke gekommen, daß Sie, bei Ihrem persönlichen Interesse an der Sache, vielleicht bereit sein würden, die Papiere für mich in Empfang zu nehmen. Sollte ich mich in dieser meiner Annahme täuschen und Sie nach dem, was ich Ihnen mitgetheilt, nicht geneigt sein, sich der Mühe und den Kosten einer Reise nach London zu unterziehen, so brauchen Sie nur meinen Brief und dessen Einlage zu verbrennen und nicht weiter an die Sache zu denken. Entschließen Sie sich aber, als mein Abgesandter zu handeln, so versehe ich Sie mit Vergnügen mit dem nothwendigen Einführungsbillet für Mrs. Mandeville. Sie haben nichts weiter zu thun, als die Briefe in einem versiegelten Paket entgegenzunehmen, dies bei Ihrer Rückkehr nach Thorpe-Ambrose mir zu übersenden und dann einer baldigen Mittheilung von mir über das Ergebniß gewärtig zu sein.

Zum Schlusse will ich nur noch hinzufügen, daß ich in dem Verfahren, welches ich Ihnen vorschlage, nichts erblicke, was Ihnen als unschicklich ausgelegt werden könnte. Die Art und Weise, in der Miß Gwilt Winke aufgenommen, wie ich sie hinsichtlich ihrer Familienverhältnisse habe fallen lassen, hat es mir peinlich gemacht und würde es Ihnen geradezu unmöglich machen, die Auskunft zuerst bei ihr selbst zu suchen. Gewiß bin ich gerechtfertigt, wenn ich mich an die Dame wende, die sie empfohlen hat, und sicherlich kann es Ihnen nicht zum Vorwurf gereichen, wenn Sie die Beförderung einer versiegelten Correspondenz von einer Dame zur andern vermitteln. Finde ich in dieser Correspondenz Familiengeheimnisse, die ehrenhaftenweise keiner dritten Person mitgetheilt werden können, so werde ich Sie natürlich warten lassen müßten, bis ich zuvor mit Miß Gwilt gesprochen habe. Entdecke ich dagegen nichts Anderes darin, als was ihr Ehre macht und sie in Ihrer Achtung nur noch höher stellen kann, so erzeige ich ihr unzweifelhaft einen Dienst, wenn ich Sie in mein Vertrauen ziehe. Dies ist meine Ansicht von der Sache, doch bitte ich Sie, sich nicht von mir beeinflussen zu lassen.

Jedenfalls muß ich eine Bedingung stellen, die Sie, wie ich überzeugt bin, als unerläßlich betrachten werden. Die harmlosesten Handlungen sind in dieser bösen Welt oft den übelsten Auslegungen ausgesetzt. Ich muß Sie deshalb ersuchen, diese Mittheilung als eine ganz vertrauliche ansehen zu wollen. Was ich Ihnen geschrieben, muß durchaus unter uns bleiben, bis die Umstände nach meinem Dafürhalten ein weiteres Bekanntmachen desselben rechtfertigen.

Aufrichtig die Ihre
Anna Milroy.«

Das war die verlockende Form, in welcher die Gattin des Majors ihre Falle gelegt hatte. Wie gewöhnlich, folgte Allan, ohne einen Augenblick zu zögern, seinem Impulse, indem er gerade auf die Sache losging und sofort seine Antwort schrieb, wobei er sich in höchst charakteristischer Aufregung seinen eigenen Gedanken überließ.

»Beim Jupiter, das ist außerordentlich freundlich von Mrs. Milroy!« (»Verehrte Frau!«) »Gerade, was mir noth that und zwar in dem Augenblicke, wo mir am meisten. daran gelegen wart« (»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen meine Dankbarkeit für Ihre Güte ausdrücken soll, wenn nicht durch die Versicherung, daß ich mit dem größten Vergnügen nach London reisen werde, um die Briefe zu holen.«) »Sie soll den ganzen Sommer hindurch regelmäßig jeden Tag einen Korb mit frischem Obst haben« (»Ich werde sofort abreisen, verehrte Frau, und morgen wieder hier sein.«) »Ah, nichts wie die Frauen, wenn man verliebt ist und der Hilfe bedarf! Genau so würde meine liebe Mutter an Mrs. Milroy’s Stelle gehandelt haben.« (»Ich gebe Ihnen mein feierliches Ehrenwort, daß ich hinsichtlich der Briefe mit der größten Vorsicht zu Werke gehen Und die Sache streng geheim halten werde, wie Sie es wünschen.«) »Mit Vergnügen hätte ich Jedem, der mir den rechten Weg gezeigt, wie ich mit Miß Gwilt zu sprechen habe, fünfhundert Pfund gegeben, und diese liebe herrliche Frau hier thut es umsonst.« (»Ich verbleibe, verehrte Frau, dankbarst der Ihre, Allan Armadale.«)

Nachdem er seine Antwort Mrs. Milroy’s Boten hatte behändigen lassen, blieb Allan in momentaner Verlegenheit stehen. Er hatte mit Miß Gwilt verabredet, sie andern Morgens im Park zu treffen. Es war also durchaus nothwendig, sie wissen zu lassen, daß er abgehalten sei, sich einzustellen; sie hatte ihm zu schreiben verboten und er keine Aussicht, sie an diesem Tage noch allein zu sprechen. In dieser Verlegenheit beschloß er, sie auf indirectem Wege, durch ein Billet an den Major, von dieser Abhaltung in Kenntniß zu setzen, indem er diesem seine in Geschäften beabsichtigte Reise nach London meldete und anfragte, ob irgend ein Mitglied seiner Familie ihm Aufträge für die Stadt zu geben habe. Sowie er in dieser Weise das einzige Hinderniß aus dem Wege geräumt, das sich seiner Abreise entgegenstellte, zog Allan den Eisenbahnfahrplan zu Rathe und fand zu seinem Verdrusse, daß er bis zum Abgang des nächsten Zuges noch eine gute Stunde übrig habe. In seiner augenblicklichen Gemüthsverfassung würde er es bei weitem vorgezogen haben, schleunigst nach London aufzubrechen.

Als der Augenblick endlich kam, trommelte Allan, an dem Verwaltungsbureau vorbeikommend, an die Thür desselben und rief Mr. Bashwood zu: »Reise nach London —— komme morgen zurück.« Keine Antwort erfolgte drinnen und der Diener theilte seinem Herrn mit, daß Mr. Bashwood, da er heute nichts Besonderes daselbst zu thun gehabt, das Bureau geschlossen habe und schon vor einigen Stunden fortgegangen sei.

Als Allan auf dem Bahnhof anlangte, war die erste Person, die er hier traf, der junge Pedgift, der, wie er am vorigen Abend im Herrenhause gemeldet, in Geschäftsangelegenheiten nach London reiste. Nach gegenseitigem Austausch der nothwendigen Erklärungen beschlossen beide zusammen zu reisen. Allan war froh, einen Gefährten zu haben, und Pedgift, wie immer entzückt, sich seinem Clienten nützlich machen zu können, eilte, die Billets zu nehmen und das Gepäck zu besorgen. Auf dem Perron auf und ab gehend und die Rückkunft seines getreuen Anhängers abwartend, stieß Allan plötzlich auf keine geringere Person als Mr. Bashwood, der in einem Winkel dem Schaffner des Zuges heimlich einen Brief übergab, welchem er, allem Anscheine nach, ein Geldgeschenk beifügte.

»Hollah!« rief Allan in seiner herzlichen Art und Weise. »Etwas Wichtiges da, nicht wahr, Mr. Bashwood?«

Wäre Mr. Bashwood bei einem Mord ertappt worden, so hätte er kaum eine größere Bestürzung verrathen können, als er jetzt über Allan’s Entdeckung an den Tag legte. Seinen abgetragenen alten Hut vom Kopfe ziehend, verbeugte er sich tief, wobei er an allen Gliedern zitterte. »Nein, Sir, nein; nichts als ein kleiner Brief —— ein kleiner Brief —— ein kleiner Brief«, sagte der Mann, hinter der Wiederholung seiner Worte seine Verlegenheit verbergend und eiligst rückwärts aus der Nähe seines Herrn retirirend.

Allan wandte sich gleichgültig um. »Ich wollte, ich könnte den Menschen leiden«, dachte er, »aber ich kanns nicht; er ist ein gar zu serviles Geschöpf! Weshalb, zum Henker, brauchte er so zu zittern? Glaubt er etwa, ich wolle mich in seine Gheimnisse eindrängen?«

Mr. Bashwoods Geheimniß berührte Allan diesmal näher, als dieser es ahnte. Der Brief, den er so eben dem Schaffner übergeben hatte, war nichts Anderes als eine Warnung für Mrs. Oldershaw, geschrieben von Miß Gwilt.

»Wenn Du Dein Geschäft beschleunigen kannst«, schrieb die Erzieherin des Majors, »so thue dies und kehre augenblicklich nach London zurück. Die Sachen gehen hier nicht, wie sie sollten, und Miß Milroy ist die Urheberin des Unheils. Sie bestand heute Morgen darauf, ihrer Mutter das Frühstück selbst hinaufzutragen, das sonst stets von der Wärterin gebracht wird. Dann hatten sie eine lange geheime Unterredung mit einander, und eine halbe Stunde später sah ich die Pflegerin mit einem Briefe hinausschlüpfen und den Weg nach dem Herrenhause einschlagen. Der Uebersendung dieses Schreibens folgte Mr. Armadale’s plötzliche Abreise nach London trotz einer verabredeten Zusammenkunft, die er morgen mit mir im Park haben wollte. Das sieht ernsthaft aus. Das Mädchen ist offenbar verwegen genug, für die Stellung der Mrs. Armadale auf Thorpe-Anibrose einen Kampf zu wagen, und hat irgend ein Mittel ausfindig gemacht, um sich den Beistand ihrer Mutter zu verschaffen. Denke nicht etwa, daß ich im mindesten ängstlich oder entmuthigt bin, und nimm nichts eher vor, als bis Du wieder von mir gehört hast. Kehre nur nach London zurück, denn es kann wohl kommen, daß ich im Verlauf der nächsten Tage Deines Beistandes ernstlich bedarf.

Um Zeit zu gewinnen, sende ich diesen Brief durch den Schaffner mit dem Mittagszuge ab. Da Du darauf bestehst, von jedem meiner Schritte in Thorpe-Ambrose unterrichtet zu werden, so will ich zugleich hinzufügen, daß mein Bote —— denn ich kann nicht selbst nach der Station gehen —— jenes merkwürdige alte Geschöpf ist, dessen ich in meinem ersten Briefe erwähnt habe. Er hat sich seitdem beständig hier herumgetrieben, um mich zu sehen. Ich weiß nicht gewiß, ob ich ihn ängstige oder bezaubere —— vielleicht thue ich Beides. Alles, was Du zu wissen brauchst, ist, daß ich ihm mit Sicherheit meine kleinen Aufträge und möglicherweise nach und nach sogar noch Weiteres anvertrauen kann.

L. G.«

Inzwischen hatte der Zug die Station Thorpe-Ambrose verlassen, und der Scuire befand sich mit seinem Gefährten auf dem Wege nach London.

Wohl Mancher, der sich unter den obwaltenden Umständen in Allan’s Gesellschaft gesehen, würde vielleicht neugierig gewesen sein, was denselben nach London führe. Pedgift junior in seiner Eigenschaft als Weltmann durchschaute mit untrüglichem Instinct das Geheimniß ohne die geringste Mühe. »Die alte Geschichte«, dachte das schlaue alte Haupt, sich still auf den rüstigen jungen Schultern wiegend »Wie immer handelt es sich um ein Weib. Jedes andere Geschäft wäre mir übertragen worden.« Mit dieser Schlußfolgerung vollkommen zufrieden, begann Mr. Pedgift, sein geschäftliches Interesse im Auge habend, sich, wie gewöhnlich, seinem Clienten angenehm zu machen. Er nahm sämtliche Reiseangelegenheiten auf sich, wie er schon die ganze Administration des Picknicks in den Breiten übernommen hatte. Auf dem Bahnhofe in London angelangt, war Allan bereit, nach jedwedem Hotel zu gehen, das man ihm empfehlen würde. Sein unschätzbarer Rechtsanwalt führte ihn unverzüglich nach einem Gasthofe, in dem die Familie Pedgift schon seit drei Generationen abgestiegen war.

»Sie haben doch keine Antipathie gegen Gemüse, Sir?« sagte der heitere Pedgift, als der Fiaker vor einem Hotel auf dem Covent-Garden-Markte hielt. »Sehr gut, das Uebrige dürfen Sie meinem Großvater, meinem Vater und mir überlassen. Ich weiß, welcher von den Dreien in diesem Hause am beliebtesten und geschätztesten ist. Wie geht’s, William? —— Unser Oberkellner, Mr. Armadale —— Ist Ihre Frau von ihrem Rheumatismus geheilt, und macht Ihr Kleiner Fortschritte in der Schule? Ihr Herr ist ausgegangen, nicht wahr? Thut nichts, Sie werden schon für uns sorgen. Das hier, William, ist Mr. Armadale von Thorpe-Ambrose. Ich habe Mr. Armadale bewogen, es mit unserm Hause zu versuchen. Haben Sie das Schlafzimmer bereit, das ich bestellte? Sehr gut. Dann geben Sie es nicht mir, sondern Mr. Armadale. —— Das Lieblingszimmer meines Großvaters, Sir; Nummer fünf in der zweiten Etae. Bitte, nehmen Sie es; ich kann in jedem beliebigen Zimmer schlafen. Wünschen Sie die Matratze über dem Federbette? —— Hören Sie, William? Sagen Sie Mathilden, daß sie die Matratze oben aufs Federbett legt. Wie geht es Mathilden? Hat sie wie gewöhnlich Zahnschmerzen? —— Das Stubenmädchen oben, Mr. Armadale, und ein ganz außerordentliches Frauenzimmer; sie will sich durchaus nicht von einem hohlen Zahne in ihrer unteren Kinnlade trennen. Mein Großvater sagt ihr: »Lassen Sie ihn ausziehen"; mein Vater sagt ihr: »Lassen Sie ihn ausziehen; und ich sage ihr: »Lassen Sie ihn ausziehen —— Mathilde ist taub gegen alle drei. —— Ja wohl, William, ja; wenn es Mr. Armadale genehm, so ist mir dies Wohnzimmer recht. —— Was das Diner betrifft, Sir, so möchten Sie Ihr Geschäft wohl erst abmachen und dann zum Speisen zurückkommen. Wollen wir also sagen: um halb acht Uhr? —— William, um halb acht Uhr. —— Durchaus nicht nöthig, etwas zu bestellen, Mr. Armadale. Der Oberkellner braucht nur dem Koche meine Empfehlung zu machen, und pünktlich auf die Minute wird unfehlbar das beste Diner in ganz London zu uns heraufgesandt werden. —— Bitte, sagen Sie: Mr. Pedgift junior, William. —— Sonst, Sir, dürfte man meines Großvaters oder meines Vaters Diner herrichten, und diese möchten für Sie und mich ein wenig zu schwer und altmodisch ausfallen —— Und den Wein anlangend, William, beim Essen Champagner und den Sherry, den mein Vater abscheulich findet. Zum Nachtisch den Rothwein mit dem blauen Siegel —— ein Wein, von dem mein unschuldiger Großvater behauptete, die Flasche sei keinen Sixpence werth. Ha, ha! der arme alte Junge! —— Sie werden wie gewöhnlich die Abendzeitungen und Theaterzettel herausschicken und —— das ist Alles, glaube ich, für jetzt, William. —— Ein unschätzbarer Diener, Mr. Armadale; die Diener in diesem Hause sind alle unschätzbar. Es ist hier vielleicht nicht vornehm, Sir, aber beim Lord Harry, es ist gemüthlich! Einen Fiaker? Sie wünschen einen Fiaker? Bemühen Sie sich nicht! Ich habe zweimal geschellt; das bedeutet: Schnell einen Fiaker. Darf ich fragen, Mr Armadale, nach welcher Richtung Ihr Geschäft sie führt? Nach Bayswater? Hatten Sie nichts dagegen, mich im Park abzusetzen? Ich Pflege jedes mal, wenn ich in London bin, unter der Aristokratie die frische Luft zu genießen. Ihr ergebener Diener versteht sich auf ein schönes Weib und ein schönes Pferd, und wenn er in Hyde-Park ist, befindet er sich in seinem Element.« In dieser Weise plauderte der gewandte Pedgift weiter und empfahl sich durch diese kleinen Künste der guten Meinung seines Clienten.

Als die Speisestunde die Reisegefährten wieder in ihrem Wohnzimmer im Hotel zusammengeführt, hätte ein weit minder scharfer Beobachter als der junge Pedgift die auffallende Veränderung wahrnehmen müssen, die sich in Allan’s Wesen zeigte. Er sah ärgerlich und consternirt aus und saß, mit den Fingern auf die Tafel trommelnd, ohne ein Wort zu sagen, da.

»Ich fürchte, es hat sich, seitdem wir im Parke von einander schieden, etwas ereignet, was Ihnen Verdruß verursacht, Sir? sagte Pedgift junior. »Verzeihen Sie die Frage; ich thue sie nur für den Fall, daß ich Ihnen irgendwie von Nutzen sein könnte.«

»Allerdings ist etwas passiert, was ich nicht im entferntesten erwartet habe«, erwiderte Allan; »ich weiß nicht, was ich daraus machen soll. Ich möchte gern Ihre Ansicht hören«, fügte er nach einigem Zögern hinzu, »das heißt, vorausgesetzt, Sie entschuldigten, wenn ich nicht in Einzelheiten eingehe?«

»Ganz gewiß!« erwiderte der junge Pedgift. »Skizzieren Sie mir die Sache nur in leichten Umrissen, Sir. Der kleinste Wink genügt; ich bin ja nicht von gestern.« Im Stillen aber sprach er zu sich! »O, diese Weiber!«

»Nun«, begann Allan, »Sie wissen, was ich sagte, als wir hier im Hotel anlangten; ich sagte; ich müsse nach Bayswater gehen« —— Pedgift machte sich im Geiste eine Notiz: Vorstadtfall Bayswater —— »und nach einer —— das heißt —— nein —— wie ich schon sagte, mich nach einer Person erkundigen.« Pedgift notierte den nächsten Punkt: Person in Frage. Weibliche oder männliche Person? Weibliche Person, sonder Zweifel. —— »Also, ich begab mich nach dem Hause, und als ich nach ihr fragte —— ich meine die Person —— war sie —— das heißt, die Person —— o zum Henker! ich werde noch verrückt und Sie ebenfalls, wenn ich die Geschichte so weitschweifig erzähle. Da haben Sie die Sache mit zwei Worten. Ich fuhr nach Nummer 18 Kingsdown-Crescent, um dort eine Dame Namens Mandeville aufzusuchen, und als ich nach ihr fragte, sagte mir das Mädchen, Mrs. Mandeville sei ausgegangen, ohne irgend Jemand zu sagen, wohin, und ohne selbst nur eine Adresse zu hinterlassen, unter welcher ihr Briefe nachgesandt werden könnten. So, jetzt ist es endlich heraus. Was meinen Sie dazu?«

»Sagen Sie mir zuvor, Sir«, antwortete der kluge Pedgift, »welche Fragen Sie thaten, als Sie fanden, daß die bewußte Dame verschwunden war?«

»Fragen?« wiederholte Allan. »Ich war gänzlich consternirt; ich sagte gar nichts. Welche Fragen hätte ich thun sollen?«

Der junge Pedgift räusperte sich und schlug vollkommen geschäftsmäßig die Beine über einander.

»Ich will durchaus nicht Ihre Angelegenheit bei Mrs. Mandeville ausforschen, Mr. Armadale«, begann er.

»Nein«, unterbrach ihn Allan ohne alle Umstände, »ich hoffe, Sie werden dies nicht versuchen. Meine Angelegenheit bei Mrs. Mandeville muß ein Geheimniß bleiben.«

»Aber«, fuhr Pedgift fort, indem er in richterlicher Weise den Zeigefinger der einen in die ausgestreckte Fläche der andern Hand legte, »Sie werden mir vielleicht im Allgemeinen zu fragen gestatten, ob Ihre Angelegenheit bei Mrs. Mandeville der Art ist, daß Sie es der Mühe werth erachten, ihre Spur von Kingsdow-Crescent nach ihrem gegenwärtigen Aufenthalte zu verfolgen?«

»Gewiß!« sagte Allan. »Ich habe ganz besondere Gründe, sie sehen zu wollen.«

»Ja dem Falle, Sir«, erwiderte Pedgift junior, »waren es zwei bestimmte Fragen, die Sie hätten thun sollen, nämlich, an welchem Tage Mrs. Mandeville abreiste, und wie. Hiervon unterrichtet, hätten Sie sich zunächst erkundigen sollen, in welchen häuslichen Verhältnissen sie fortging, ob sie mit irgend Jemand eine Differenz gehabt, etwa eine Differenz is Geldsachen; ferner, ob sie allein oder in Begleitung irgend einer andern Person abreiste; sodann, ob das Haus ihr eigenes war, oder ob sie nur dort wohnte. In letzterem Falle ——«

»Halt! Halt! Sie machen mir den Kopf schwindeln«, rief Allan. »Ich verstehe mich nicht auf alle diese Mittel und Wege, mit dergleichen bin ich nicht vertraut.«

»Ich meinerseits bin seit meiner Kindheit damit vertraut, Sir«, bemerkte Pedgift »Und wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, so bitte ich Sie nur, es zu sagen.«

»Sie sind sehr freundlich«, erwiderte Allan, »Wenn Sie mir helfen könnten, Mrs. Mandeville zu finden, und wenn es Ihnen nichts ausmacht« die Sache dann gänzlich in smeinen Händen zu lassen ——«

»Mit dem größten Vergnügen von der Welt werde ich sie in Ihren Händen lassen, Sir«, sagte Pedgift junior, zu selbst aber: »Und ich Will fünf gegen eins wetten, daß Du, wenn der Augenblick kommt, sie in den meinigen lassen wirst! —— Wir wollen morgen früh zusammen nach Bayswater fahren, Mr. Armadale. Inzwischen —— kommt hier die Suppe. Der Fall, der augenblicklich vor Gericht schwebt, ist: Vergnügen gegen Geschäft. Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, Sir, aber ich gebe mein Urtheil, ohne nur einen Augenblick zu zögern, zu Gunsten des Klägers ab. Lassen Sie uns die Rosen pflücken, eh’ sie verblühen. Entschuldigen Sie meine Heiterkeit, Mr. Armadale Obgleich in der Provinz begraben, ward ich doch zum Londoner Leben geschaffen.« Mit diesem Bekenntnisse reichte der unwiderstehliche Pedgift seinem Gönner einen Stuhl und ertheilte munter seine Befehle an seinen Vicekönig, den Oberkellner »Punsch in Eis, William, nach der Suppe. —— Ich bürge für den Punsch, Mr. Armadale; er wird nach einem Recept meines Großonkels gebraut. Er hielt eine Taverne und war der Gründer des Glücks unserer Familie. Ich mache mir nichts daraus, Ihnen zu sagen, daß die Pedgifts einen Schenkwirth in ihrer Familie gehabt haben; es ist keine Spur von falschem Stolze an mir. Der Werth macht den Mann, wie Pope sagt. Ich cultivire die Poesie sowohl als die Musik, Sir, in meinen Mußestunden; in der That, ich stehe mit allen neun Musen auf mehr oder minder vertraulichem Fuße. Aha! Da ist der Punsch! Das Andenken meines Großonkels, des Schenkwirths, Mr. Armadale —— ein Toast, den wir in feierlicher Stille trinken wollen!«

Allan gab sich alle Mühe, der Heiterkeit und guten Laune seines Gefährten nachzueifern, jedoch nur mit mittelmäßigem Erfolge. Während der ganzen Mahlzeit und während all der Ergötzlichkeiten, zu denen ihn sein Gefährte später am Abend hinführte, kam ihm fortwährend sein Besuch in Kingsdown-Crescent ins Gedächtniß zurück. Als Pedgift junior in der Nacht sein Licht auslöschte, schüttelte er sein kluges Haupt und apostrophierte zum zweiten Male bedauernd die Weiber.

Andern Morgens um zehn Uhr befand sich der unermüdliche Pedgift bereits auf dem Schauplatze. Zu Allan’s großer Erleichterung schlug er vor, die Erkundigungen in Kingsdown-Crescent in eigener Person einzuziehen, während sein Client in der Droschke, die sie vom Hotel gebracht, in der Nähe wartete. In wenig mehr als fünf Minuten war er im Besitz aller erreichbaren Einzelheiten wieder bei Allan. Das Erste, was er that, war, daß er Allan ersuchte, auszusteigen und den Kutscher zu bezahlen. Dann bot er ihm höflich den Arm und führte ihn um die Ecke des Crescent über einen Square und in eine kleine Nebengasse, die durch eine Fiakerstation ausnahmsweise belebt wurde. Hier blieb er stehen und fragte scherzend, ob Mr. Armadale jetzt seinen Weg vor sich sehe, oder ob es nothwendig sein werde, seine Geduld durch eine Erörterung auf die Probe zu stellen.

»Ob ich meinen Weg vor mir sehe?« wiederholte Allan. »Ich sehe nichts als die Fiakerstation.«

Pedgift der Jüngere lächelte mitleidsvoll und begann seine Erklärung. Er müsse zuerst bemerken, daß das Haus in Kingsdon-Crescent ein Kosthaus sei. Er habe darauf bestanden, die Hauswirthin selbst zu sprechen. Eine charmante Person, mit allen Anzeichen, daß sie vor fünfzig Jahren ein hübsches Mädchen gewesen; ganz Pedgift’s Genre Aber Mr. Armadale ziehe vielleicht vor, etwas über Mrs. Mandeville zu hören. Unglücklicherweise gebe es nichts zu erzählen. Keine Differenz habe stattgefunden und kein Heller sei unbezahlt geblieben. Die Dame sei fortgegangen, ohne daß sich nur ein Schatten von Erklärung dafür finden lasse. Entweder sei es Mrs. Mandevilles Art und Weise zu verschwinden, oder etwas für jetzt noch völlig Unentdeckbares sei dabei mit im Spiele. Pedgift hatte sich von Datum, Tageszeit und der Art und Weise ihrer Abreise in Kenntniß gesetzt. Möglicherweise könne diese letztere ihnen auf die Spur helfen. Sie war in einem Cab fortgefahren, welches dass Mädchen von der nächsten Station geholt hatte. Diese Station liege eben vor ihren Augen, und der Wassermann sei die erste Person, an die sie sich wenden müßten; sie gingen —— Mr. Armadale möge ihm den Scherz verzeihen —— damit direct an die Quelle. In dieser lustigen Weise behandelte Pedgift die Geschichte, sagte Allan, er wolle in einem Augenblicke wieder bei ihm sein, schlenderte nachlässig die Straße hinunter und winkte den Wassermann vertraulich in die nächste Restauration.

In einer kleinen Weile kamen beide wieder heraus, und der Wassermann führte Pedgift der Reihe nach zu dem ersten, zweiten, dritten, vierten und sechsten Fiakerkutscher, deren Wagen sich auf der Station befanden. Die längste Unterredung fand mit dem sechsten Manne statt und endete damit, daß der Fiaker plötzlich der Stelle zufuhr, wo Allan wartete.

»Steigen Sie ein, Sir«, sagte Pedgift, die Wagenthür öffnend. »Ich habe den Mann gefunden. Er erinnert sich der Dame, und obgleich er den Namen der Straße vergessen, glaubter doch das Haus, nach dem er sie gefahren, wiederfinden zu können, sowie er in dessen Nachbarschaft kommt. Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß wir bis hierher vom Glück begünstigt gewesen sind, Mr. Armadale Ich bat den Wassermann, mir die regelmäßigen Droschkenkutscher der Station anzugeben, und es zeigte sich, daß eines derselben Mrs. Mandeville gefahren hatte. Der Wassermann steht für ihn; er ist eine Ausnahme von der Regel, ein respectabler Fiakerkutscher, fährt mit seinem eigenen Pferd und ist nie in Ungelegenheiten gewesen. Das ist der Schlag von Leuten, Sir, der unsern Glauben an die menschliche Natur lebendig erhält. Ich habe mir unsern Freund angesehen und bin mit dem Wassermanne einverstanden —— ich denke, wir dürfen ihm trauen.«

Die Nachforschungen erforderten anfangs einige Geduld. Erst nachdem die Strecke zwischen Bayswater und Pimlico zurückgelegt war, begann der Kutscher langsamer zu fahren und sich umzublicken. Nachdem er ein- oder zweimal wieder umgekehrt, bog er in eine stille Nebenstraße ein, an deren Ende sich eine blinde Mauer mit einer Thür befand, und hielt dann vor dem letzten Hause auf der linken Seite still, das der Mauer zunächst stand.

»Hier ist’s, meine Herren«, sagte der Mann, die Wagenthür öffnend.

Allan und sein Rathgeber stiegen aus und betrachteten beide mit demselben Gefühle des Mißtrauens das Haus. Häuser haben ihre Physiognomie, namentlich Häuser in großen Städten, und das Gesicht dieses Hauses hatte in seinem Ausdruck etwas wesentlich Verstohlenes. Die Fenster der Fronte waren sämtlich geschlossen und die Jalousien heruntergelassen. Von vorn gesehen, erschien es nicht größer als alle andern Häuser der Straße, aber es zog sich arglistig nach der Hinterseite hinaus und gewann durch seine Tiefe an räumlicher Bequemlichkeit. Es that so, als sei es im Erdgeschoß ein Laden, allein es zeigte durchaus gar nichts in dem Zwischenraume vom Fenster bis zu einem rothen Vorhange, der das ganze Innere den Blicken entzog. Auf der einen Seite befand sich die Ladenthür, deren Glasfenster aus der Hinterseite ebenfalls mit rothen Vorhängen versehen war und auf deren Holzwerk ein Messingschild mit der Inschrift: Mrs. Oldershaw angebracht war. Auf der andern Seite war die Thür des Privateingangs mit einer Klingel, unter der geschrieben stand: Geschäftlich und noch ein Messingschild welches anzeigte, daß diese Seite des Hauses von einem Arzte bewohnt werde, denn der Name auf demselben lautete: Doktor Downward. Haben jemals Ziegel und Mörtel gesprochen, so sagten Ziegel und Mörtel hier deutlich: »Wir haben drinnen unsere Geheimnisse und wollen sie für uns behalten.«

»Dies kann nicht das Haus sein«, sagte Allan. »Hier muß ein Irrthum obwalten.«

»Sie wissen es am besten, Sir«, versetzte Pedgift mit seiner sardonischen Gemessenheit. »Sie kennen Mrs. Mandeville’s Gewohnheiten.«

»Ich!« rief Allan »Sie werden es vielleicht mit Erstaunen hören, aber Mrs. Mandeville ist mir durchaus fremd.«

»Das überrascht mich nicht im geringsten, Sir; die Wirthin in Kingsdown-Crescent theilte mir mit, daß Mrs. Mandeville eine alte Frau sei. Ich denke, wir erkundigen uns«, setzte der unerschütterliche Pedgift hinzu, während er die rothen Vorhänge mit dem starken Argwohn betrachtete, Mrs. Mandeville’s Enkelin möge hinter denselben versteckt sein.

Zuerst ward die Ladenthür versucht. Sie war verschlossen. Man klingelte. Ein hageres und gelbliches junges Frauenzimmer, mit einem zerlesenen französischen Romane in der Hand, öffnete.

»Guten Morgen, Miß«, sagte der junge Pedgift. »Ist Mrs. Mandeville zu Hause?«

Das gelbe junge Frauenzimmer stierte ihn verwundert an. »Hier wohnt keine Person dieses Namens«, antwortete sie mit fremdem Accent.

»Man kennt sie vielleicht am Privateingange«, meinte Pedgift Junior.

»Kann sein«, sagte die gelbe Person und schlug ihm die Thür vor der Nase zu.

»Ein etwas reizbares junges Wesen das, Sir«, sagte Pedgift. »Ich wünsche Mrs. Mandeville Glück, daß sie nicht mit ihr bekannt ist.« Mit diesen Worten ging er Allan voran nach Doctor Downwards Seite des Hauses und klingelte.«

Diesmal ward die Thür von einem Manne in einer schäbigen Livree geöffnet. Auch er stierte, als Mrs. Mandeville’s Name genannt wurde, und auch er wußte von keiner solchen Person im Hause.

»Seht merkwürdig«, sagte Pedgift zu Allan.

»Was ist merkwürdig?« fragte ein leise austretender, leise sprechender Herr in Schwarz, der plötzlich aus der Schwelle der Stubenthür erschien.

Pedgift junior erklärte höflich, um was es sich handle, und bat um die Erlaubniß, fragen zu dürfen, ob er das Vergnügen habe, mit Doctor Downward zu sprechen.

Der Doctor verbeugte sich. Er war —— wenn man den Ausdruck verzeihen will —— einer von jenen sorgsam construirten Aerzten, in welche das Publikum —— namentlich das weibliche —— ein unbedingtes Zutrauen zu setzen pflegt. Er hatte den erforderlichen kahlen Kopf, die erforderliche doppelte Lorgnette, den erforderlichen schwarzen Anzug und das erforderliche freundliche Benehmen. Seine Stimme war einnehmend, sein Wesen ruhig und sein Lächeln vertraulich. Welchem besonderen Zweige seines Berufs Doctor Downward sich widmete, war auf dem Messingschilde nicht angegeben; war er aber kein Damenarzt, so hatte er seinen Beruf ganz verfehlt.

»Sind Sie ganz sicher, daß Sie sich nicht im Namen irren?« fragte der Doctor mit lauernder Besorgniß in seinem Wesen. »Ich habe sehr ernstliche Unannehmlichkeiten aus Irrthümern in Namen entstehen sehen. Also wirklich kein Versehen? In dem Falle, meine Herren, kann ich nur wiederholen, was mein Diener Ihnen bereits gesagt. Bitte, keine Entschuldigung. Guten Morgen.« Der Doctor verschwand ebenso geräuschlos wieder, wie er erschienen war; der Mann in der schäbigen Livree öffnete schweigend die Thür, und Allan und sein Gefährte sahen sich wieder auf der Straße.

»Mr. Armadale«, sagte Pedgift, »ich weiß nicht, was Sie fühlen. Ich fühle mich consternirt.«

»Das ist sehr fatal«, sagte Allan. »Eben wollte ich Sie fragen, was wir nun anfangen sollen.«

»Mir gefällt weder das Aussehen des Hauses, noch das der Ladenmamsell, noch das des Doctors«, fuhr der Andere fort. »Und dennoch kann ich nicht sagen, daß ich glaube, sie hintergehen uns; ich kann nicht sagen, daß ich glaube, sie kennen dennoch Mrs. Mandevilles Namen.«

Pedgift’s Eindrücke täuschten ihn selten, und auch diesmal hatten sie ihn nicht irre geleitet. Die Vorsicht, welche Mrs. Oldershaw zu ihrem spurlosen Verschwinden aus Bayswater bestimmt, war der Art, die sich meistens selbst beträgt. Dieselbe hatte sie bewogen, Niemand in Pimlico den Namen anzuvertrauen, unter dem sie Miß Gwilt empfohlen, ohne sie im geringsten auf die Eventualität vorzubereiten, welche nun wirklich eingetreten war. Mit einem Worte, Mrs. Oldershaw hatte für Alles ihre Maßregeln getroffen, nur, nicht für die rein undenkbare Möglichkeit einer späteren Erkundigung über Miß Gwilt’s Charakter.

»Irgend etwas muß geschehen«, sagte Allan; »es scheint mir nutzlos, hier noch länger zu warten.«

Noch Niemand hatte Pedgift’s Auskunftsmittel erschöpft gesehen, auch Allan sah ihn jetzt noch nicht am Ende derselben. »Ich bin ganz Ihrer Ansicht, Sir«, sagte er. »Wir müssen etwas thun. Wir wollen den Kutscher ins Kreuzverhör nehmen.«

Der Kutscher erwies sich unerschütterlich. Da man ihn beschuldigte, sich im Hause geirrt zu haben, deutete er auf das leere Ladenfenster. »Ich weiß nicht, was Sie vielleicht gesehen haben, meine Herren«, bemerkte er, »aber das ist das einzige Ladenfenster, das ich je gesehen habe, worin nichts zur Schau gestellt war. Dieser Umstand prägte mir das Haus fest ins Gedächtniß, und ich erkenne es daher wieder, so wie ich es sehe.« Eines Irrthums betreffs der Person oder des Tags oder des Hauses beschuldigt, aus dem er erstere abgeholt, zeigte der Mann sich abermals unangreifbar. Das Dienstmädchen, das ihn geholt, war eine auf der Fiakerstation wohlbekannte Person. Der Tag war ihm als der unglücklichste Arbeitstag im ganzen Jahre erinnerlich und die Dame durch den Umstand, daß sie zu rechter Zeit seinen Fahrlohn bereit gehabt, was unter Hunderten kaum eine ältliche Dame gewöhnlich habe, und nicht mit ihm über denselben gestritten, was ebenfalls unter Hunderten kaum eine ältliche Dame unterlasse. »Nehmen Sie meine Nummer, meine Herren«, schloß der Kutscher, »und bezahlen Sie mir meine Zeit, dann will ich, was ich angegeben, beschwören, wo Sie wollen.«

Pedgift notierte sich die Nummer des Mannes in seinem Taschenbuche. Nachdem er zu derselben noch den Namen der Straße und die Namen auf den beiden Messingplatten hinzugefügt, öffnete er ruhig den Wagenschlag. »So weit befinden wir uns völlig im Dunkeln«, sagte er. »Wollen wir nach dem Hotel zurückkehren?«

Er sprach und sah ernster aus als gewöhnlich. Der bloße Umstand, daß Mrs. Mandeville ihre Wohnung verändert, ohne eine Adresse zu hinterlassen, nach der man ihr etwaige Briefe nachsenden könne —— ein Umstand, den Mrs. Milroy’s eifersüchtige Bosheit als an sich unzweifelhaft verdächtig ausgelegt —— hatte auf das unparteilichere Urtheil von Allan’s Rechtsfreund keinen großen Eindruck gemacht. Gar manche Leute verlassen ihre Wohnungen ganz ebenso und zwar mit völlig triftigen Gründen dafür. Aber das Aussehen des Hauses, nach dem der Kutscher Mrs. Mandeville gefahren zu haben beharrlich behauptete, ließ den Charakter und das Benehmen dieser geheimnißvollen Dame für Pedgift in einem neuen Lichte erscheinen. Sein persönliches Interesse an den Nachforschungen wuchs plötzlich, und er begann hinsichtlich der wirklichen Natur von Allan’s Angelegenheit eine Neugierde zu fühlen, von der er bisher unberührt geblieben.

»Es ist mir gar nicht klar, Mr. Armadale«, sagte er, während sie nach dem Hotel zurückführen, »was unser nächster Schritt sein muß. Denken Sie, daß Sie mir noch einige weitere Einzelheiten anvertrauen könnten?«

Allan zögerte, und Pedgift junior sah, daß er etwas zu weit gegangen sei. »Ich darf es nicht erzwingen«, dachte er; »ich muß ihm Zeit und ihn von selbst damit herauskommen lassen. —— Was meinen Sie dazu, Sir, wenn ich in Ermangelung anderer Auskunft einige Nachforschung über jenen merkwürdigen Laden und über die Namen auf den Thürschildern anstellte? Mein Geschäft in London ist juristischer Art und führt mich, wenn ich Sie verlassen werde, in das rechte Viertel für derlei Nachforschungen, wenn diese überhaupt thunlich sind.«

»Es kann wohl kein Arg darin liegen, wenn wir weiter nachforschen«, erwiderte Allan.

Auch er sprach ernster als gewöhnlich, auch er begann eine Alles üherwältigende Neugier, mehr zu erfahren, zu empfinden. Eine unbestimmte Verbindung, deren Spur er nicht zu folgen vermochte, zwischen der Schwierigkeit, sich über Miß Gwilt’s Familienangelegenheiten zu unterrichten, und der Schwierigkeit, der Dame zu nahen, die sich für Miß Gwilt verbürgt hatte, schien ihm obzuwalten. »Ich will aussteigen und zu Fuße weiter gehen und Sie Ihren Geschäften überlassen«, sagte er. »Ich muß mir die Sache ein wenig überlegen, und ein Spaziergang und eine Cigarre werden mir dabei behilflich sein.«

»Mein Geschäft wird zwischen ein und zwei Uhr abgemacht sein, Sir«, sagte Pedgift, als das Cab gehalten hatte und Allan ausgestiegen war. »Wollen wir um zwei Uhr wieder im Hotel zusammentreffen?«

Allan nickte und der Wagen fuhr von dannen.


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