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Armadale



Fünftes Kapitel.

Ozias Midwinter an Mr. Brock.

Thorpe-Ambrose, 15. Juni 1851.

Lieber Mr. Brock!

Wir sind seit kaum einer halben Stunde hier angelangt, und zwar in dem Augenblicke, wo die Diener das Haus für die Nacht zu schließen im Begriff waren. Allan ist, von der langen Tagereise ermüdet, zur Ruhe gegangen und hat mich in dem Zimmer, das man hier die Bibliothek nennt, allein gelassen, um Ihnen einen Bericht über unsere Reise nach Norfolk abzustatten Da ich besser an Strapazen jeder Art gewöhnt bin als er, so fühle ich mich noch munter genug, um einen Brief zu schreiben, obgleich die Stehuhr auf dem Kaminsims Mitternacht zeigt und wir seit zehn Uhr morgens auf der Reise waren.

Die letzten Nachrichten, die Sie von uns empfingen, kamen von Allan’s Hand und zwar von der Insel Man. Wenn ich nicht irre, erzählte er Ihnen von der Nacht, die wir auf dem Wrack zubrachten. Verzeihen Sie mir, lieber Mr. Brock, wenn ich mich über diesen Gegenstand nicht eher gegen Sie ausspreche, als bis ich desselben mit etwas mehr Fassung werde gedenken können. Der schwere Kampf gegen mich selbst muß wieder ganz von vorn durchgefochten werden; aber ich will mit Gottes Hilfe endlich dennoch siegen.

Es ist unnöthig, Sie mit einer Schilderung unserer Streifzüge in den nördlichen und westlichen Gegenden der Insel oder der kurzen Seefahrten zu langweilen, die wir machten, als die Ausbesserungen an der Jacht endlich beendet waren. Es wird besser sein, daß ich sogleich beim gestrigen Morgen —— dem Morgen des Fünfzehnten —— anfange. Wir waren mit der Nachtfluth in den Hafen von Douglas eingelaufen, und sowie das Postamt geöffnet war, sandte Allan auf meinen Rath ans Land, um die Briefe holen zu lassen. Der Bote kehrte nur mit einem einzigen Briefe zurück, und die Schreiberin desselben war die frühere Herrin von Thorpe-Ambrose, Mrs. Blanchard.

Ich halte es für recht, daß Sie von dem Inhalte dieses Briefes unterrichtet werden, denn derselbe hat beträchtlichen Einfluß auf Allan’s Pläne geübt. Er hat, wie Sie wissen, die Gewohnheit, alle seine Sachen zu verlieren, und hat natürlich auch diesen Brief bereits verloren. Deshalb muß ich Ihnen das Wesentliche desselben mittheilen, so gut es mir möglich ist.

Die erste Seite meldete die Abreise der Damen von Thorpe-Ambrose. Sie verließen den Ort vorgestern, den Dreizehntem mit dem Entschluß, ins Ausland zu reisen und gewisse alte Bekannte zu besuchen, die in Italien, in der Umgegend von Florenz, ansässig sind. Es scheint sehr wohl möglich, daß Mrs. Blanchard und ihre Nichte sich ebenfalls dort niederlassen werden, falls sie ein passendes Wohnhaus mit Grundstück zu finden im Stande sind. Sie haben beide eine große Vorliebe für das italienische Volk und Land und sind wohlhabend genug, um hierin ganz ihrer Neigung zu folgen. Die ältere Dame hat ihr Wittthum und die jüngere ist im Besitz des ganzen väterlichen Vermögens.

Der Inhalt der nächsten Seite war, Allan’s Ansicht nach, nichts weniger als angenehm. Nachdem sie in den dankbarsten Ausdrücken von der Güte gesprochen, mit der Allan ihr und ihrer Nichte gestattet, ihre Abreise von ihrer alten Heimath so lange zu verschieben, wie es ihnen beliebte, fügte Mrs. Blanchard hinzu, daß sein rücksichtsvolles Benehmen einen so außerordentlich günstigen Eindruck bei den Freunden und Untergebenen der Familie hervorgebracht habe, daß diese ihn bei seiner Ankunft auf dem Gute feierlich zu empfangen wünschten. Es sei bereits eine vorläufige Zusammenkunft der Gutspächter und bedeutendsten Leute der benachbarten Stadt zu diesem Zwecke gehalten worden und Allan dürfe binnen kurzem einen Brief von dem Geistlichen erwarten, worin dieser anfragen werde, wann Mr. Armadale persönlich von seinen Gütern in Norfolk Besitz zu nehmen gedenke.

Sie werden jetzt die Ursache unserer eiligen Abreise von der Insel Man errathen. Der erste Gedanke Ihres ehemaligen Zöglings, nachdem er Mrs. Blanchard’s Bericht von den Verhandlungen bei jener Zusammenkunft gelesen, war der, daß er sich diesem öffentlichen Empfange entziehen müsse, und der einzige sichere Ausweg schien ihm der zu sein, daß er nach Thorpe-Ambrose abreiste, ehe noch der Brief des Geistlichen an ihn gelangte. Ich that mein Möglichstes, ihn zu bestimmen, daß er sich die Sache ein wenig überlege, ehe er handle; aber er ließ sich nicht stören, sondern fuhr fort, seinen Mantelsack zu packen In zehn Minuten war sein Gepäck in Ordnung, und in weiteren fünf Minuten hatte er seiner Mannschaft Befehl gegeben, mit der Jacht nach Sommersetshire zurückzukehren. Der Dampfer nach Liverpool lag neben uns im Hafen, und es blieb mir wirklich nichts weiter übrig, als entweder mit ihm an Bord zu gehen oder ihn allein reisen zu lassen. Ich verschone Sie mit dem Berichte von unserer stürmischen Ueberfahrt, von der Art und Weise, wie wir in Liverpool aufgehalten wurden und dann auf unserer Landreise jedes mal die Abfahrt der Züge versäumten. Sie wissen, daß wir sicher hier angelangt sind, und dies wird Ihnen genügen. Was die Dienerschaft darüber denkt, daß ihr neuer Squire ohne ein Wort der Meldung unter ihnen erscheint, hat wenig auf sich. Wie aber das Empfangscomité darüber denken mag, wenn unsere Ankunft morgen bekannt wird, ist, wie ich fürchte, eine ernstere Sache.

Da ich bereits der Dienerschaft erwähnt habe, kann ich Ihnen sogleich sagen, daß der letzte Theil von Mrs. Blanchard’s Briefe ausschließlich von dem zum Haushalt gehörigen Personale handelte. Es scheint, daß alle Diener, sowohl die im Hause, als die außerhalb desselben beschäftigtem mit Ausnahme von dreien, hier warten, in der Hoffnung, daß Allan sie behalten wird. Zwei dieser Ausnahmen sind leicht zu erklären: Mrs. Blanchards und Miß Blanchard’s Kammerjungfern begleiten die Damen auf ihrer Reise. Die dritte Ausnahme betrifft das erste Stubenmädchen, und in diesem Falle hat die Sache einen kleinen Haken. Um mich kurz zu fassen, das Stubenmädchen ist wegen einer »Leichtfertigkeit mit einem Fremden«, wie Mrs. Blanchard sich etwas geheimnißvoll ausdrückt, über Hals und Kopf fortgeschickt worden.

Ich fürchte, daß Sie über mich lachen werden, aber ich muß die Wahrheit bekennen. Ich bin nach dem, was uns auf der Insel Man begegnete, selbst gegen die unbedeutendsten Widerwärtigkeiten, die in keiner Weise mit Allan’s Einführung in seine neue Lebensbahn oder mit seinen neuen Aussichten in Verbindung stehen können, so argwöhnisch geworden, daß ich bereits einen der Diener über diese dem Anscheine nach so unwichtige plötzliche Entlassung des Stubenmädchens befragt habe. Alles, was ich in Erfahrung bringen kann, ist, daß man einen fremden Mann in verdächtiger Weise in den Anlagen hatte umherlauern sehen; daß das Stubenmädchen eine so häßliche Person ist, um fast mit Gewißheit annehmen zu können, der Mann habe einen geheimen Zweck gehabt, indem er sich angenehm bei ihr machte; und daß er seit dem Tage ihrer Entlassung nicht mehr in der Gegend gesehen worden ist. So viel über die einzige Person, die in Thorpe-Ambrose aus dem Dienste entlassen worden ist. Ich hoffe nun, daß aus dieser Angelegenheit nicht etwa Unannehmlichkeiten für Allan erwachsen. Was die übrige dagebliebene Dienerschaft betrifft, so sagt Mrs. Blanchard von dem männlichen sowohl als dem weiblichen Theile derselben, daß sie vollkommen zuverlässige Leute sind; sie werden deshalb ohne Zweifel alle ihre gegenwärtigen Stellen behalten.

Da ich jetzt mit Mrs. Blanchards Briefe zu Ende bin, liegt mir zunächst die Pflicht ob, Ihnen Allan’s herzlichste Grüße auszurichten und Sie in seinem Namen zu bitten, daß Sie sobald als möglich hierher kommen und ihm einen längeren Besuch machen. Obgleich ich mir nicht anmaßen darf zu glauben, daß meine Wünsche viel dazu beitragen werden, Sie zur Annahme dieser Einladung zu bestimmen, so muß ich dennoch bekennen, daß ich meine eignen Gründe habe, um Ihre Anwesenheit dringend zu wünschen. Allan hat mir unschuldigerweise in Bezug auf unsere künftigen Beziehungen zu einander eine neue Sorge verursacht; ich bedarf daher Ihres Rathes sehr, um zu sehen, in welcher Weise ich diese Sorge beseitigen kann.

Was mich augenblicklich in Verlegenheit setzt, ist nämlich die Verwalterstelle zu Thorpe-Ambrose. Bis heute wußte ich blos, daß Allan seine eigenen Pläne hierüber gefaßt habe, die unter Anderem sich seltsamerweise auch auf das Vermiethen des ehemaligen Verwalterhäuschens bezogen, da der neue Verwalter im Herrenhause wohnen sollte. Ein von mir aus der Reise hierher zufällig hingeworfenes Wort bewog Allan, sich deutlicher über den Gegenstand auszusprechen als er bisher gethan, und ich erfuhr zu meinem unaussprechlichen Erstaunen, daß der Mann, den er zu dieser Verwalterstelle ausersehen, Niemand anderes sei als ich!

Es ist unnöthig, Ihnen zu sagen, wie tief ich diesen neuen Beweis von Allan’s Güte gegen mich empfand. Die erste Freude darüber, daß er mir versicherte, ich verdiene den stärksten Beweis des Vertrauens, den er mir zu geben im Stande sei, ward bald durch den Schmerz verbittert, der sich in alle Freude mischt —— wenigstens in alle Freude, die ich je gekannt habe. Meine frühere Lebensweise ist mir noch nie in einem so betrübenden Lichte erschienen wie jetzt, da ich fühle, wie vollkommen untauglich dieselbe mich für die Stelle gemacht hat, die ich lieber als jede andere im Dienste meines Freundes bekleiden möchte. Ich fand den Muth, ihm zu sagen, daß ich nichts von der Geschäftskenntniß und Erfahrung besitze, die sein Verwalter haben müsse. Diesem Einwande begegnete er durch die großmüthige Erklärung, ich könne lernen; und er versprach, den Mann aus London kommen zu lassen, der bereits eine Zeit lang das Amt eines Verwalters dort versehen habe und deshalb ganz geeignet sei, mir die nöthige Anweisung zu geben. Glauben auch Sie, daß ich es lernen kann? Falls Sie es glauben, will ich Tag und Nacht arbeiten, um mich zu unterrichten .

Sollten aber, wie ich es fürchte, die Pflichten eines Verwalters zu ernster Natur sein, um von einem so jungen und unerfahrenen Menschen wie ich aus dem Stegreif erlernt zu werden, dann bitte ich Sie, Ihre Reise nach Thorpe-Ambrose zu beschleunigen und Ihren Einfluß auf Allan geltend zu machen. Er wird sich durch nichts Geringeres bewegen lassen, von meiner Person abzusehen und einen Verwalter anzustellen, der wirklich für die Stelle taugt. Ich bitte Sie dringend, in dieser Angelegenheit genau in der Weise zu handeln, die Ihnen als die beste für Allan’s Interesse erscheint. Wie sehr ich mich immer enttäuscht fühlen mag, er soll dies niemals gewahr werden.

Ich verbleibe, lieber Mr. Brock,
Ihr dankbarer

Ozias Midwinter.

P.S. Ich öffne dieses Couvert wieder, um noch ein Wort hinzuzufügen. Sollten Sie seit Ihrer Rückkehr nach Sommersetshire irgendetwas von der Frau im schwarzen Kleide und rothen Shawl gehört oder gesehen haben, so bitte ich Sie, mich, wenn Sie schreiben, davon zu benachrichtigen. O. M.

Mrs. Oldershaw an Miß; Gwilt.
Damen-Toiletten-Niederlage, Diana-Street, Pimliw.

Meine liebe Lydia!

Damit mein Brief nicht zu spät auf die Post komme, schreibe ich Dir in meinem Geschäftslocale und auf einem Geschäfts-Briefbogen, da ich, seit ich Dich zuletzt gesehen, Neuigkeiten für Dich habe, die ich Dir ohne Zeitverlust mitzutheilen für rathsam halte.

Fangen wir also beim Anfange an. Nachdem ich die Sache sorgfältig überlegt, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß Du dem jungen Armadale gegenüber wohl thun wirst, über Madeira und alles was sich dort zutrug, den Mund zu halten. Der Mutter gegenüber war Deine Stellung ohne Zweifel eine vortreffliche. Du warst ihr heimlich behilflich gewesen, ihren Vater zu hintergehen; Du warst, sobald Du ihrem Zwecke gedient, in einem jämmerlich zarten Alter auf das undankbarste von ihr entlassen worden —— und als Du nach einer Trennung von mehr als zwanzig Jahren plötzlich mit ihr zusammenkamst, fandest Du sie in sinkender Gesundheit und als Mutter eines erwachsenen Sohnes, den sie in vollkommener Unwissenheit über die wahre Geschichte ihrer Heirath gelassen hatte. Hast Du dem jungen Herrn gegenüber irgendwelche derartige Vortheile? Wenn er nicht ein geborener Einfaltspinsel ist, wird er Dich mit Deinen empörenden Verleumdungen gegen das Andenken seiner Mutter ungläubig abweisen und, da Du ihm nach so langer Zeit keine Beweise von der Sache vorzulegen im Stande bist, ist damit Deine goldene Armadale-Geldgrube eingestürzt. Ich will damit nicht gesagt haben, daß die schwere Schuld der Verpflichtung der alten Dame nach dem, was Du auf Madeira für sie gethan, bereits getilgt sei, und stelle durchaus nicht in Abrede, daß, da die Mutter Dir entwischt ist, zunächst der Sohn an der Reihe ist, Dich zu belohnen. Nur mußt Du ihn in der rechten Weise bearbeiten, meine Liebe. Der Vorschlag, den ich Dir zu machen wage, geht dahin: Bearbeite ihn in der rechten Weise!

Und welche ist die rechte Weise? Dies bringt mich auf meine Neuigkeiten. Hast Du Dir Deinen Plan, mit Hilfe Deiner Schönheit und Deines Scharfsinnes Dein Glück bei diesem jungen Herrn zu versuchen, wohl überlegt? Die Idee verfolgte mich, nachdem Du mich verlassen, in so seltsamer Weise, daß ich schließlich ein Billet an meinen Advokaten sandte und ihn ersuchte, das Testament, vermöge dessen der junge Armadale in den Besitz der Güter gelangte, sorgfältig in Doctor’s Commons zu prüfen. Das Resultat erweist sich als ein bei weitem ermuthigenderes als wir beide, Du und ich, zu hoffen gewagt haben würden. Nach dem Berichte des Advokaten bleibt kein Schatten von Zweifel mehr über das, was Du thun mußt. In zwei Worten, Lydia, ergreife den Stier bei den Hörnern —— und heirathe ihn!!

Ich rede im vollen Ernste. Dieses Wagniß verlohnt sich weit besser als Du glaubst. Bringe ihn nur dahin, daß er Dich zur Mrs. Armadale macht, und dann kannst Du allen künftigen Entdeckungen Trotz bieten. Solange er lebt, kannst Du mit ihm anfangen, was Du willst; und wenn er stirbt, berechtigt das Testament Dich, ungeachtet alles dessen, was er thun oder sagen mag —— ob Du Kinder hast oder nicht —— zu einem aus den Gütern zu entnehmenden Einkommen von zwölfhundert Pfund das Jahr, solange Du lebst. Es unterliegt dies keinem Zweifel —— der Advokat hat das Testament selbst gelesen. Mr. Blanchard hatte natürlich, als er diese Verfügung traf, seinen Sohn und dessen Wittwe im Auge. Da dieselbe jedoch sich nicht auf einen bestimmten, mit Namen genannten Erben beschränkt oder später irgendwo widerrufen ist, so ist sie bezüglich des jungen Armadale ebenso gültig, wie sie dies für den Sohn von Mr. Blanchard gewesen sein würde. Welch eine Aussicht für Dich. nach all dem Elend und den Gefahren, die Du überstanden: Herrin von Thorpe-Ambrose zu sein, solange er am Leben bleibt, und wenn er stirbt, eine lebenslängliche Jahresrente! Erangele ihn Dir, mein armes, liebes Geschöpf; erangele ihn Dir um jeden Preis!

Du wirst, wenn Du dies liest, vermuthlich denselben Einwand erheben, den Du machtest, als wir vor kurzem über den Gegenstand sprachen —— ich meine Dein Alter. Jetzt höre mich an, mein gutes Geschöpf. Es handelt sich nicht darum, ob Du mit Deinem letzten Geburtstage Dein fünfunddreißigstes Jahr erreicht hast —— wir wollen die fürchterliche Wahrheit eingestehen und nichts weiter darüber sagen —— sondern darum, ob Du so alt aussiehst wie Du bist, oder nicht. Meine Ansicht über diesen Gegenstand sollte wohl die maßgebendste in ganz London sein —— und sie ist es. Ich habe eine zwanzigjährige Erfahrung im Verjüngen verwitterter alter Gesichter und abgenutzter alter Gestalten unseres reizenden Geschlechts —— und ich versichere Dir mit Entschiedenheit, daß Du nicht um einen Tag älter als dreißig Jahre aussiehst, wenn überhaupt so alt. Wenn Du meinen Rath annehmen und insgeheim ein paar von meinen Schönheitsmitteln anwenden willst, so will ich Dir noch drei Jahre weniger garantieren. Ich will all das Geld verlieren, das ich Dir in dieser Sache vorzustrecken genöthigt sein werde, wenn Du, nachdem ich Dich in meiner Wundermühle wieder jung gemacht habe, irgendeinem Manne älter als siebenundzwanzig Jahre erscheinst —— ausgenommen natürlich, wenn Du in den frühen Morgenstunden sorgenvoll aus dem Schlafe erwachst; und dann meine Liebste, wirst Du in der Zurückgezogenheit Deines Privatgemachs alt und häßlich sein, und dies wird nichts auf sich haben.

Aber, wirst Du vielleicht einwenden, nehmen wir alles dies an, so bin ich doch im besten Falle immer noch sechs Jahre älter als er, und dies steht mir von vornherein entgegen. Meinst Du? Ueberlege Dir’s noch einmal. Deine eigenen Erfahrungen werden Dich sicherlich gelehrt haben, daß die aller gewöhnlichste Schwäche von jungen Leuten im Alter des jungen Armadale die ist, daß sie sich in Frauen verlieben, die älter sind als sie. Welche Art von Männern schätzt uns wirklich in der Blüthe unserer Jugend —— ich habe in Wahrheit alle Ursache, Gutes von der Blüthe der Jugend zu sprechen, denn ich habe heute funfzig Guineen dadurch verdient, daß ich dieselbe aus den fleckigen Schultern einer Frau hervorbrachte, die Deine Mutter sein könnte —— also, welche Art von Männern, sage ich, ist bereit, uns anzubeten, wenn wir bloße Kinder von siebzehn Jahren sind? Die munteren jungen Herren etwa, die selber in der Blüthe der Jugend stehen? Nein! Sondern die schlauen alten Gesellen, die hoch in den Vierzigen sind.

Und was ist die Moral von alledem? Daß Du, im Besitze eines Kopfes, wie Du ihn zwischen den Schultern trägst, alle Chancen auf Deiner Seite hast. Wenn Du Deine gegenwärtige verlassene Lage fühlst, was ich sehr wohl glaube; wenn Du weißt, welch eine charmante Frau Du in den Augen der Männer noch immer sein kannst, sobald es Dir beliebt; wenn Du wirklich nach jenem abscheulichen Anfalle von Verzweiflung an Bord des Dampfbootes Deine ganze ehemalige Entschlossenheit wiedergefunden hast, so wirst Du keiner ferneren Ueberredung von mir bedürfen, um dieses Experiment zu versuchen.

Wenn man bedenkt, wie die Ereignisse in dieser Welt sich drehen! Wäre jener andere junge Einfaltspinsel nicht ins Wasser gesprungen, um Dich zu retten, so würde dieser junge Einfaltspinsel nimmer die Güter erhalten haben. Es hat wirklich das Ansehen, als ob das Schicksal bestimmt habe, daß Du Mrs. Armadale von Thorpe-Ambrose werden sollst —— und wer kann seinem Schicksal entgehen, wie der Dichter sagt?

Sende mir, liebstes Wesen, eine einzige Zeile, um Ja oder Nein zu sagen, und glaube an die aufrichtige Liebe

Deiner alten Freundin

Maria Oldershaw.

Miß Gwilt an Mrs. Oldershaw.

Richmond, Donnerstag.

Du altes Geschöpf, ich will nicht eher Ja oder Nein sagen, als bis ich einen langen Blick in meinen Spiegel gethan habe. Wenn Du für irgendein Wesen, außer Deinem gottlosen alten Selbst, die geringste Rücksicht zu fühlen fähig wärst, so würdest Du wissen, daß nach allem, was ich gelitten habe, der bloße Gedanke an eine abermalige Heirath genügt, um mich schaudern zu machen.

Doch kann es nicht schaden, wenn Du, während ich zu einer Entscheidung zu kommen versuche, mir noch ein wenig weitere Auskunft zukommen läßt. Es bleiben Dir aus dem Verkauf meiner Sachen noch zwanzig Pfund übrig; sende mir eine Postanweisung von zehn Pfund für meine eigenen Ausgaben und verwende die andern zehn zu heimlichen Nachforschungen in Thorpe-Ambrose. Ich wünsche zu wissen, wann die beiden Blanchardschen Frauenzimmer fortziehen und wann der junge Armadale die kalte Asche des Familienherdes aufzurühren kommt. Bist Du Dir vollkommen sicher darüber, daß er so leicht zu regieren sein wird, wie Du sagst? Falls er nach seiner heuchlerischen Mutter artet, so kann ich Dir Eins sagen —— Judas Ischariot ist wieder lebendig geworden.

Ich fühle mich in dieser Wohnung sehr behaglich. Im Garten sind reizende Blumen und die Vögel wecken mich morgens auf das angenehmste aus dem Schlafe. Ich habe ein ziemlich gutes Klavier gemiethet. Der einzige Mann, an dem mir im aller mindesten gelegen ist —— habe keine Angst, er hat seit vielen Jahren im Grabe gelegen und zwar hieß er Beethoven —— leistet mir in meinen einsamen Stunden Gesellschaft. Die Wirthin würde mir ebenfalls Gesellschaft leisten, wenn ich es ihr gestatten wollte. Ich hasse die Weiber. Der neue Hilfsprediger machte gestern meiner andern Hausgenossin einen Besuch und kam, wie er heraus und über den Rasen ging, an mir vorüber. Meine Augen haben, trotz meiner fünfunddreißig Jahre, jedenfalls noch nichts von ihrer Macht verloren! Der arme Mann erröthete förmlich, wie ich ihn ansah! Welche Farbe würde wohl sein Gesicht überzogen haben, wenn einer der kleinen Vögel im Garten ihm die wahre Geschichte der reizenden Miß Gwilt ins Ohr gezwitschert hätte?

Adieu, Mutter Oldershaw. Ich bezweifle eigentlich, ob ich mit aufrichtiger Liebe die Deine oder sonst irgend Jemandes bin; aber wir lügen alle am Fuße unserer Briefe, nicht wahr? Falls Du daher mit aufrichtiger Liebe meine alte Freundin bist, bin ich natürlich

mit aufrichtiger Liebe die Deine,

Lydia Gwilt.

P.S. Behalte Deine abscheulichen Pulver und Schmieren und Schminken für die fleckigen Schultern Deiner Kunden; keine Spur derselben soll je meine Haut berühren, das verspreche ich Dir. Wenn Du Dich wirklich nützlich zu machen wünschst, so versuche mir ein Beruhigungsmittel zu verschaffen, das mich davon heilt, im Schlafe die Zähne zu fletschen. Ich werde mir nächstens einen derselben ausbrechen, und ich möchte wissen, was dann aus meiner Schönheit werden soll?

Mrs. Oldershaw an Miß Gwilt.

Damen-Toiletten-Niederlage, Dienstag.

Meine liebe Lydia —— Es ist außerordentlich schade, daß Dein Brief nicht an den jungen Armadale gerichtet war; Deine anmuthige Keckheit würde ihn entzückt haben. Mich rührt dieselbe nicht; ich bin so sehr daran gewöhnt, wie Du weißt. Wozu vergeudest Du Deinen funkelnden Witz an Deine unerschütterliche Oldershaw, meine Liebste? Sowie die Funken desselben aufsprühen, erlöschen sie schon wieder. Willst Du diesmal versuchen, ernst zu sein? Ich habe Neuigkeiten aus Thorpe-Ambrose für Dich, die kein Scherz sind und mit denen nicht gespielt werden darf.

Eine Stunde nachdem ich Deinen Brief erhalten, brachte ich die Nachforschungen in Gang. Da ich nicht wußte, zu welchen Folgen dieselben führen dürften, hielt ich es für das Sicherste, im finsteren anzufangen. Anstatt irgend Jemand von den Leuten zu verwenden, die in meinem eigenen Dienste stehen und welche Dich und mich kennen, ging ich nach dem geheimen Nachforschungs-Comptoir auf dem Shadyside-Platz und übergab die Sache, als eine Fremde, den Händen des Inspectors, ohne Deiner irgendwie dabei zu erwähnen. Dies hieß allerdings nicht, die Sache in der wohlfeilsten Weise anfangen, das gestehe ich, aber es war die sicherste Weise, und dies ist bei weitem wichtiger.

Der Inspector und ich verstanden einander in zehn Minuten, und es kam augenblicklich die rechte Person für den Zweck zum Vorschein —— ein junger Mann von so harmlosem Aussehen, wie Dir nur einer im Leben vorgekommen sein mag. Er reiste eine Stunde darauf nach Thorpe-Ambrose ab. Ich traf das Uebereinkommen, daß ich mir an den Nachmittagen von Sonnabend, Montag und heute auf dem Comptoir die Nachrichten abholen wolle. Aber ich fand deren keine vor bis heute, wo unser vertrauter Agent soeben nach der Stadt zurückgekehrt war und mich erwartete, um mir einen vollen Bericht über seinen Ausflug nach Norfolk abzustatten.

Vor allem laß mich Dich über Deine beiden Fragen beruhigen; ich kann Dir beide beantworten. Die Blanchardschen Frauenzimmer reisen am dreizehnten nach dem Auslande ab, und der junge Armadale segelt in diesem Augenblicke in seiner Jacht irgendwo auf dem Meere umher. Es geht in Thorpe-Ambrose ein Gerede von einem öffentlichen Empfange den man ihm zugedacht, und von einer Zusammenberufung der Orts-Magnaten, um sich hierüber zu berathen. Mit den Reden und dem ganzen Aufheben wird bei solchen Gelegenheiten meistens eine Menge Zeit vergeudet und es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der öffentliche Empfang dem neuen Squire viel vor Ende des Monats zu Theil wird.

Ich denke, daß unser Bote, wenn er nicht mehr als dies für uns gethan hätte, schon sein Geld verdient haben würde. Aber der harmlose junge Mann ist ein wahrer Jesuit im heimlichen Nachforschen —— wobei er vor all den papistischen Pfaffen, die ich gesehen habe, den Vorzug voraus hat, daß seine Schlauheit nicht in seinem Gesichte geschrieben sieht. Da er sich seine Auskunft durch die weibliche Dienerschaft des Hauses zu verschaffen genöthigt war, wandte er sich mit bewundernswerther Discretion an die häßlichste Person im ganzen Hause. »Wenn die Mädchen hübsch sind und die Wahl haben«, sagte er zu mir, »vergeuden sie viel kostbare Zeit in ihrer Wahl eines Liebhabers. Sind sie aber häßlich und haben keinen Schatten von Aussicht auf eine Wahl, so stürzen sie sich auf den ersten besten Liebhaber, der ihnen in den Weg läuft, wie ein verhungernder Hund sich auf einen Knochen stürzt.« Es gelang unserm vertrauten Agenten, da er nach diesen vortrefflichen Grundsätzen handelte, nach einigem unvermeidlichen Verzuge, sich mit dem Oberstubenmädchen zu Thorpe-Ambrose in Verbindung und schon beim ersten Zusammenkommen in den Besitz ihres vollen Vertrauens zu setzen. Der erhaltenen Instructionen eingedenk, brachte er die Person zum Plaudern und ward natürlich umständlich mit dem ganzen Bedientengeschwätze bekannt gemacht. Der größere Theil desselben war ohne die allergeringste Wichtigkeit. Doch hörte ich geduldig zu und wurde endlich durch eine werthvolle Entdeckung entschädigt Dieselbe ist folgende:

Wie es scheint, steht in den Parkanlagen von Thorpe-Ancbrose ein hübsches Häuschen Aus irgendeinem nicht bekannten Grunde hat es dem jungen Armadale beliebt, dasselbe zu vermuthen, und der neue Bewohner ist bereits eingezogen. Dieser ist ein armer Major außer Diensten, Namens Milroy —— eine bescheidene Art von Mann, wie es heißt, der eine Liebhaberei von Beschäftigungen in der Mechanik, außerdem aber ein häusliches Mißgeschick in der Gestalt einer bettlägerigen Gattin hat, die noch von Niemandem erblickt worden ist. Nun, und was soll alles dies? wirst Du mit jener sprühenden Ungeduld fragen, die Dir so vortrefflich steht. Meine liebe Lydia, sprühe nicht! Die Familienangelegenheiten dieses Mannes sind für uns beide von der größten Wichtigkeit, denn zum großen Unglück hat der Mann eine Tochter!

Du wirst Dir denken können, wie ich unsern Agenten ausfragte, und wie dieser sein Gedächtniß durchstöberte, als ich im Verlauf der Unterhaltung plötzlich eine solche Entdeckung machte. Wenn der Himmel für die geschwätzigen Zungen der Weiber verantwortlich ist, so sei der Himmel gelobt! Der Redefluß tröpfelte von Miß Blanchard’s Zunge zu der von Miß Blanchard’s Jungfer, von Miß Blanchard’s Jungfer zur Jungfer von Miß Blanchard’s Tante, von der Jungfer von Miß Blanchards Tante zu dem häßlichen Oberstubenmädchen, von dem häßlichen Oberstubenmädchen zu dem harmlos aussehenden jungen Manne und ergoß sich endlich in das richtige Behältniß —— und die durstige Mutter Oldershaw hat alles aufgeschlürft. Mit deutlichen Worten, meine Liebste, verhält sich die Sache also folgendermaßen. Die Tochter des Majors ist ein Mädchen von kaum sechzehn Jahren; lebhaft und hübsch —— das hassenswerthe kleine Ungeheuer —— unordentlich in ihrer Kleidung —— dem Himmel sei Dank —— und in ihren Manieren noch nicht ausgefeilt genug —— dem Himmel sei nochmals Dank! Sie ist zu Hause erzogen worden. Die Erzieherin, der sie zuletzt anvertraut war, verließ sie, ehe ihr Vater nach Thorpe-Ambrose kam. Ihre Ausbildung bedarf durchaus der letzten Politur, und der Vater weiß nicht, was er jetzt deshalb thun soll. Unter seinen Bekannten weiß ihm Niemand eine neue Erzieherin zu empfehlen und er kann sich nicht entschließen, das Mädchen in eine Schule zu senden. Und so steht jetzt die Sache, nach des Majors eigener Angabe —— denn dahin sprach er sich bei einem Morgenbesuche aus, den Vater und Tochter im großen Hause abstatteten.

Damit hast Du jetzt meine versprochene Neuigkeit, und ich denke mir, daß Du leicht mit mir darin übereinstimmen wirst, daß diese Armadalesche Angelegenheit sofort auf die eine oder andere Weise arrangiert werden muß. Falls Du —— bei Deinen hoffnungslosen Aussichten und bei dem Anrechte, daß Du, wie ich wohl sagen darf, an diesen jungen Menschen hast —— Dich entschließest, ihn aufzugeben, werde ich das Vergnügen haben, Dir den Ueberschuß zu senden, den Du noch bei mir gut hast, nämlich siebenundzwanzig Schillinge und so frei sein, mich ferner nur meinen eigenen Angelegenheiten zu widmen. Solltest Du Dich aber im Gegentheil dazu entschließen, in Thorpe-Ambrose Dein Glück zu versuchen, dann möchte ich, da es durchaus keinem Zweifel unterliegen kann, daß das Aeffchen des Majors den jungen Squire zu fangen versuchen wird, wohl wissen, in welcher Weise Du der doppelten Schwierigkeit, den jungen Armadale zu entflammen und Miß Milroy auszustechen, zu begegnen gedenkst

Aufrichtig die Deine

Maria Oldershaw.

Miß Gwilt an Mrs. Oldershaw.

Richmond, Mittwoch Morgen.

Mrs. Oldershaw —— Senden Sie mir meine siebenundzwanzig Schillinge und widmen Sie sich Ihren eigenen Angelegenheiten.

Die Ihre,

L.G.

Miß Gwilt an Mrs. Oldershaw.

Richmond, Mittwoch Abend.

Du liebe Alte, behalte die siebenundzwanzig Schillinge und verbrenne meinen letzten Brief. Ich bin andern Sinnes geworden.

Ich schrieb das erste Mal nach einer schauerlichen Nacht; diesmal nach einem Spazierritte, einem großen Glase Bordeaux und seiner gebratenen Hühnerbrust. Ist dies eine hinreichende Erklärung? Bitte, sage Ja —— denn ich wünsche, zu meinem Klavier zurückzukehren.

Doch nein, ich kann noch nicht dorthin zurück —— ich muß zuvor Deine Frage beantworten. Aber bist Du wirklich so einfältig, Dir einzubilden, daß ich Dich und Deinen Brief nicht durchschaue? Du weißt ebenso wohl wie ich, daß die Schwierigkeit, in der der Major sich befindet, die beste Gelegenheit für uns ist; aber Du wünschest, daß ich die Verantwortlichkeit des ersten Vorschlags auf mich nehme, nicht wahr? Gesetzt, ich thäte dies nach Deiner weitschweifigen Weise? Gesetzt ich sagte: Bitte, frage mich nicht, in welcher Weise ich den jungen Armadale zu entflammen und Miß Milroy auszustechen gedenke; die Frage ist wirklich eine so abscheulich schroffe, daß ich sie nicht beantworten kann. Frage mich lieber, ob der bescheidene Ehrgeiz meines Daseins dahin geht, Miß Milroy’s Erzieherin zu werden? —— Ja, wenn ich bitten darf, Mrs. Oldershaw —— und wenn Sie mir dazu behilflich sein wollen, indem Sie mir Ihre Empfehlung geben.

Da hast Du’s! Wenn sich irgendein großes Unglück ereignet, was vollkommen wohl möglich ist, da wirst Du großen Trost in der Erinnerung finden, daß dies alles meine Schuld war!

Willst Du jetzt, da ich dies für Dich gethan habe, auch etwas für mich thun?

Es verlangt mich, die kurze Zeit, die mir noch hier bleibt, auf meine eigene Weise zu verträumen. Sei eine barmherzige Mutter Oldershaw und verschone mich mit den Widerwärtigkeiten des ganzen Manövers und dem Dafür und Dawider bezüglich meiner Aussichten in diesem neuen unternehmen. Kurz, denke für mich, bis ich für mich selber zu denken gezwungen bin.

Ich will lieber nichts weiter schreiben, da ich sonst leicht etwas Wüthendes sagen dürfte, das Dir nicht behagen möchte. Ich habe heute Abend einen meiner Wuthanfälle. Ich sehne mich nach einem Gatten, den ich ärgern, oder nach einem Kinde, das ich schlagen könnte. Ergötzest Du Dich zuweilen daran, die Sommerinsecten sich in den Kerzenflammen tödten zu sehen? Ich thue dies oft. Gute Nacht, Madame Jesabel. Je länger Du mich hier lassen kannst, desto besser. Die Luft sagt mir zu und ich sehe charmant aus.

L. G.

Mrs. Oldershaw an Miß Gwilt.
Meine liebe Lydia!

Manche Leute an meiner Stelle würden sich durch den Ton Deines letzten Briefes ein wenig beleidigt fühlen. Aber ich bin Dir so innig zugethan! Und wenn ich ein Wesen liebe, ist es schwer für dieses Wesen, mich zu beleidigen! Mache das nächste Mal keinen so langen Spazierritt und trinke nur ein kleines Glas Bordeaux. Mehr sage ich nicht.

Wollen wir unser Wortgefecht jetzt aufgeben und einmal ernstlich reden? Wie außerordentlich schwer es den Frauen zu werden scheint, einander zu verstehen —— namentlich wenn sie die Feder in der Hand haben! Doch wollen wir’s versuchen.

Zum ersten also entnehme ich aus Deinem briefe, daß Du den weisen Entschluß gefaßt hast, das Thorpe-Ambrosesche Experiment zu versuchen —— und Dir gleich beim Beginn eine vortreffliche Stellung zu sichern, indem Du ein Mitglied von Major Milroy’s Familienkreise wirst. Sollten die Umstände Dir ungünstig sein und eine andere Person die Gouvernantenstelle erhalten, so wird Dir nichts übrig bleiben, als in einer andern Rolle Mr. Armadales Bekanntschaft zu tauchen. In jedem Falle wirst Du meines Beistandes bedürfen, und der erste Punkt, der zwischen uns entschieden werden muß, ist deshalb die Frage in Bezug auf das, was ich zu thun bereit und zu thun im Stande bin, um Dir zu helfen.

Eine Frau von Deinem Aussehen, meine liebe Lydia, Deinen Manieren, Deinen Talenten und Deiner Erziehung kann fast jede ihr beliebige Stellung in der Gesellschaft erlangen, wenn sie Geld in der Tasche und für den Nothfall achtbare Empfehlungen aufzuweisen hat. Erstens, was das Geld betrifft. Ich verpflichte mich, dasselbe zu verschaffen, unter der Bedingung, daß Du Dich meiner Hilfe mit entsprechender Pecuniärer Dankbarkeit erinnerst, falls Du den Armadaleschen Preis erringst. Dein Versprechen, in dieser Weise meiner gedenken zu wollen, soll in Verbindung mit deutlichen Zahlen von meinem eigenen Advokaten zu Papier gebracht werden, damit wir die Sache sofort abmachen und unterschreiben können, wenn ich Dich in London sehe.

Dann, was die Empfehlung betrifft. Hier stehen Dir meine Dienste abermals zu Gebote —— unter einer andern Bedingung. Dieselbe ist folgende: Du führst Dich unter dem Namen in Thorpe-Ambrose ein, den Du seit jener fürchterlichen Angelegenheit bezüglich Deiner Heirath wieder angenommen hast —— ich meine Deinen Mädchennamen Gwilt. Ich habe hierbei nur einen einzigen Zweck im Auge; ich wünsche keine unnöthige Gefahr zu laufen. Meine Erfahrung als vertraute Rathgeberin meiner Kunden in mancherlei romantischen Fällen geheimer Verlegenheiten hat mich gelehrt, daß ein falscher Name in neun Fällen unter zehn eine sehr unnöthige und sehr gefährliche Art von Betrug ist. Deine Annahme eines falschen Namens könnte durch nichts gerechtfertigt werden als durch die Furcht, von dem jungen Armadale erkannt zu werden —— eine Furcht, von der wir glücklicherweise durch das Verfahren seiner Mutter befreit sind, die ihre frühere Bekanntschaft mit Dir vor ihrem Sohne wie vor allen andern Leuten geheim gehalten hat.

Die nächste und letzte Schwierigkeit, meine Liebste, betrifft Deine Aussichten, in Major Milroy’s Familie als Gouvernante Aufnahme zu finden. Sobald Du einmal im Hause bist, kannst Du mit Deinen Talenten für Musik und Sprachen, vorausgesetzt, daß Du Deine Heftigkeit zu beherrschen im Stande bist, Deine Stelle zu behalten sicher sein. Wie die Sachen jetzt stehen, ist der einzige Zweifel nur der, ob Du dieselbe erlangen wirst.

Bei der Schwierigkeit, in der der Major sich augenblicklich befindet, spricht alles dafür, daß er durch Zeitungsannoncen eine Gouvernante sucht. Nehmen wir an, er thut dies —— wohin wird er dann die Bewerberinnen bestellen? Darin liegt die wahre Schwierigkeit für uns. Giebt er eine Adresse in London an, so mögen wir nur sofort jeder Chance zu Deinen Gunsten Lebewohl sagen, und zwar aus dem Grunde, weil wir seine Annonce nicht unter allen ähnlichen Annoncen von Leuten herauszuerkennen im Stande sein werden, die ebenfalls Gouvernanten suchen und ebenfalls Adressen in London angeben. Falls aber unser Glück uns nicht im Stiche läßt und er seine Correspondenten an einen Kaufladen oder ein Postamt oder was sonst immer in Thorpe-Ambrose verweist, so ist uns unsere Annonce dadurch so deutlich bezeichnet, wie wir es nur wünschen können. In diesem Falle hege ich wenig oder gar keinen Zweifel darüber, daß Du —— mit Hilfe einer Empfehlung von mir —— Deinen Weg in den Familienkreis des Majors finden wirst. Wir haben einen großen Vorzug vor den andern Personen voraus, die sich ebenfalls um die Stelle bewerben werden. Vermöge meiner Nachforschungen am Orte selber wissen wir, daß Major Milroy ein armer Mann ist, und wir wollen einen so niedrigen Gehalt fordern, daß der Major sich sicherlich dadurch verlocken läßt. Was den Stil des Briefes betrifft, so möchte ich wissen, wer uns beide in der Abfassung einer bescheidenen und interessanten Bewerbung um die Stelle zu übertreffen im Stande wäre?

Alles dies liegt indessen noch in der Zukunft. Für jetzt geht mein Rath dahin, daß Du bleibst, wo Du bist, und nach Herzenslust fort träumst, bis Du wieder von mir hörst. Ich halte die Times regelmäßig, und Du magst Dich darauf verlassen, daß die Annonce meinem scharfen Auge nicht entgehen wird. Wir können dem Major glücklicherweise Zeit lassen, ohne dadurch unserm eigenen Interesse zu schaden, denn es steht für jetzt noch nicht zu befürchten, daß das Mädchen Dir zuvorkommen wird. Der öffentliche Empfang wird, wie wir wissen, nicht vor Ende des Monats stattfinden können, und wir dürfen uns mit Sicherheit darauf verlassen, daß die Eitelkeit des jungen Armadale ihn vom Hause fern halten wird, bis alle seine Schmeichler zu seiner Bewillkommnung versammelt sind. Laß uns noch wenigstens zehn Tage warten, ehe wir die Gouvernanten-Idee aufgeben und die Köpfe zusammenstecken, um einen neuen Plan ausfindig zu machen.

Ist es nicht merkwürdig, wie viel von der Entscheidung dieses pensionierten Offiziers abhängt? Was mich betrifft, so werde ich jetzt jeden Morgen mit einem und demselben Gedanken erwachen. Welche Adresse wird der Major angeben, wenn er eine Annonce in die Zeitung setzt —— Thorpe-Ambrose oder London?

Immer von Herzen die Deine

Maria Oldershaw.


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