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Der Wahnsinnige

II

Ungefähr fünf Monate später, nachdem Alfred Monkton die Volljährigkeit erreicht hatte, verließ ich die Universität und beschloss, sowohl zu meiner Belehrung als Erholung einige Zeit fremde Länder zu besuchen.

Als ich England verließ, lebte der junge Monkton noch in seiner abgeschlossenen Zurückgezogenheit auf der Abtei und erlag, der allgemeinen Meinung zufolge, immer mehr und mehr dem erblichen Leiden der Familie. In Betreff Miss Elmslys sagte das Gerücht, dass sie sich durch den Aufenthalt im Auslande bedeutend erholt und bereits mit ihrer Mutter den Heimweg nach England angetreten habe, um ihr früheres Verhältnis zu dem Erben von Wincot wieder anzuknüpfen. Noch ehe sie jedoch anlangten, hatte ich meine Reise schon begonnen. Ich durchwanderte halb Europa ohne Plan, bis mich endlich der Zufall auch-nach Neapel führte. Dort traf ich einen alten Schulfreund, welcher Attaché bei der englischen Gesandtschaft war, und dort nahmen die merkwürdigen, Alfred Monkton so nahe berührenden Begebenheiten ihren Anfang, welche ich in den nachfolgenden Zeilen schildern will.

An einem schönen Morgen, als ich mit meinem Freunde, dem Attaché, in den Gärten der Villa Reale umher schlenderte, begegneten wir einem jungen, einsam gehenden Manne, welcher meinen Begleiter grüßte. Ich glaubte diese dunklen, glühenden Augen, die fahlen Wangen und den ängstlich suchenden Blick schon gesehen zu haben, und Alfred Monkton in ihm zu erkennen, und war im Begriffe, meinen Freund darüber zu befragen, als er mir unaufgefordert die gewünschte Auskunft gab.

»Es ist Alfred Monkton«, sagte er, »er ist in demselben Teile von England zu Hause wie Sie. Kennen Sie ihn nicht?«

»Nur entfernt«, erwiderte ich. »Er war mit Miss Elmsly verlobt, als ich ihn zum letzten Male in der Nähe von Wincot sah. Ist er schon mit ihr vermählt?«

»Nein; es sollte auch nie-geschehen, denn er ist, wie alle seine Vorfahren — wahnsinnig.«

»Wahnsinnig?« rief ich. »Doch ich kann mich nach den Gerüchten, die ich schon in England über ihn gehört habe, eigentlich nicht wundern.«

»Ich urteile nicht nach den Gerüchten, sondern nach dem, was er in meiner Gegenwart und im Angesichte von Hunderten gesagt und getan hat. Sie müssen davon gehört haben.«

»Nie.·Seit Monaten habe ich von England durchaus keine Nachrichten erhalten, und ebenso wenig hier, in Neapel, Neuigkeiten erfahren.«

»So muss ich Ihnen eine sonderbare Geschichte erzählen. Es wird Ihnen bekannt sein, dass Alfred Monkton einen Oheim und Bruder seines Vaters namens Stephan Monkton hatte. Dieser Oheim duellierte sich vor einiger Zeit in den päpstlichen Staaten mit einem Franzosen und wurde erschossen. Die Sekundanten und der Franzose, welcher unverletzt geblieben war, entflohen, wie man vermutet, in verschiedenen Richtungen. Die näheren Umstände des Duells hörten wir hier erst einen Monat später, als nämlich ein französisches Journal einen Bericht darüber brachte, welcher den hinterlassenen Papieren eines der dabei beteiligten und bald darauf in Paris verstorbenen Sekundanten entnommen war. Es ergab sich daraus die Art und Weise, in der das Duell vor sich gegangen und beendet worden, aber weiter nichts. Der andere Sekundant und der Gegner, der Franzose, waren spurlos verschwunden, und alle bisher an gestellten Nachforschungen blieben fruchtlos. Man weiß daher nichts weiter, als dass Stephan Monkton im Duelle erschossen wurde — ein Ereignis, das niemand sehr beklagen wird, da ein größerer Schuft als er nie auf Erden gelebt hat. Allein, wie dies geschehen, und wohin sein Leichnam gebracht worden ist, sind Fragen, über denen ein bis jetzt noch unaufgeklärtes Dunkel schwebt.«

»Aber was hat alles dies mit Alfred Monkton zu tun?«

»Nur Geduld, Sie werden es gleich hören. Was glauben Sie, das Alfred tat, sobald die Nachricht vom Tode seines Oheims nach England gelangte? Er verschob seine bereits nahe bevorstehende Vermählung mit Miss Elmsly und kam hierher, um die Grabstätte seines schuftigen Oheims aufzusuchen. Er hat erklärt, nicht eher nach England und zu seiner Braut zurückkehren zu wollen, als bis er den Leichnam gefunden habe und mit sich nach England führen könne, um ihn in der Monktonschen Gruft beizusetzen. Er hat hier sein Geld verschwendet, die Polizei nutzlos gequält, sich seit drei Monaten dem Gelächter aller preisgegeben, und ist der Erreichung seines Zweckes jetzt noch ebenso fern als je. Keinem Menschen will er einen Beweggrund für diese seltsame Handlungsweise angeben. Man mag über ihn lachen, oder ihm vernünftige Vorstellungen machen, Alles ist vergeblich. Jetzt eben, als wir ihm begegneten, war er wieder auf dem Wege zum Polizeiminister, um neue Agenten durch den ganzen Kirchenstaat zu senden, die den Ort entdecken sollen, an dem sein Oheim den Tod gefunden hat. Das Sonderbarste bei der ganzen Sache ist aber, dass er dessenungeachtet versichert, die unbegrenzteste Liebe für Miss Elmsly zu empfinden, und sich wegen der Trennung von ihr unaussprechlich unglücklich zu fühlen — eine Trennung, die er sich freiwillig auferlegt hat, um die Überreste eines Elenden aufzusuchen, der ein Schandfleck für die Familie war, und den er kaum ein paarmal in seinem Leben gesehen hat. Denken Sie nur! Von allen »verrückten Monktons«, wie sie in England genannt werden, ist Alfred der Verrückteste, und macht hier den Hauptgegenstand unserer Unterhaltung aus. Wenn ich aber an das arme, verlassene Mädchen in England denke, so fühle ich mich mehr geneigt ihn zu verachten, als über ihn zu lachen.«

»Sie kennen also die Elmslysche Familie?«

»Genau. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich von meiner Mutter aus England einen Brief in Betreff Adas, welche sie besucht hatte. Alle Freunde der Familie sind empört über diesen Narrenstreich, und dringen in sie, das Verhältnis abzubrechen. Selbst ihre Mutter, so schmutzig und hochmütig sie ist, hat es des öffentlichen Anstandes halber für notwendig erachtet, auf die Seite der übrigen Verwandten zu treten, und sich ihren Wünschen anzuschließen; allein das brave Mädchen will ihn nicht aufgeben. Sie nimmt seine Tollheit in Schutz, versichert, dass er ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit einen guten Grund für sein abenteuerliches Unternehmen angegeben habe, und dass sie zuversichtlich hoffe, noch recht glücklich mit ihm zu werden. Mit einem Worte, sie liebt ihn von ganzem Herzen und schenkt ihm volles Vertrauen. Durch nichts lässt sie sich wankend machen und ist fest entschlossen, ihm ihr Leben zu opfern.«

»Weshalb gerade — opfern? So seltsam sein Benehmen auch erscheint, kann er doch einen Grund dazu haben, den wir nicht zu entdecken vermögen. Ist denn eine Störung in seinem Geiste erkennbar, wenn er von gewöhnlichen Gegenständen spricht?«

»Nicht im Geringsten; wenn man ihn überhaupt zum Reden bringen kann, was nicht leicht ist und nicht häufig geschieht, so spricht er wie ein vernünftiger, gebildeter Mann. Berühren Sie nicht den Gegenstand, welcher ihn hierher geführt hat, und er wird Ihnen als der sanfteste, ruhigste Mensch erscheinen. Sobald man aber auch nur im Entferntesten jenes Vagabunden, seines Oheims, erwähnt, so zeigt sich die Familienkrankheit augenblicklich. Vor einigen Tagen fragte ihn eine Dame scherzweise, ob er jemals den Geist seines Oheims gesehen habe. Als Erwiderung sah er sie mit wahrhaft teuflischen Blicken an und sagte, dass er und sein Oheim ihre Frage gemeinschaftlich beantworten würden, wenn sie auch aus der Hölle kommen müssten, um es zu tun. Wir lachten über seine-Antwort, allein die Dame war von seinen Blicken so erschreckt worden, dass sie in Ohnmacht sank. Jeder andere Mann würde wegen eines solchen Betragens aus der Gesellschaft verwiesen worden sein, allein der »verrückte Monkton«, wie wir ihn getauft haben, genießt in den Kreisen von Neapel das Privilegium des Wahnsinns, weil er ein Engländer, ein hübscher Mann ist, und jährlich dreißigtausend Pfund zu verzehren hat. Überall, wohin er geht, hofft er jemanden zu finden, der ihm das Geheimnis des Ortes enthüllen kann, an dem das Duell stattgefunden hat. Sobald Sie ihm vorgestellt werden, wird er Sie augenblicklich fragen, ob Ihnen nichts davon bekannt sei. Aber hüten Sie sich wohl, auf den Gegenstand näher einzugehen, wenn es nicht in Ihrer Absicht liegt, sich davon zu überzeugen, dass er wirklich wahnsinnig ist. In diesem Falle dürfen Sie nur von seinem Oheim zu reden anfangen, und der Erfolg wird Sie vollständig befriedigen.«

Wenige Tage nach dieser Unterredung mit dem Attaché traf ich Monkton in einer Abendgesellschaft. Als er meinen Namen nennen hörte, überzog hohe Röte sein Gesicht. Er ergriff meinen Arm, führte mich in eine Ecke des Zimmers, und bat mich wegen der Kälte, mit der er früher meine Annäherung zurückgewiesen hatte, um Verzeihung, nannte seine Handlungsweise eine nicht zu entschuldigende Undankbarkeit, und sprach mit einer Glut und inneren Bewegung, die mich in Erstaunen setzten. Sein nächstes Wort enthielt, wie mein Freund mir vorher gesagt hatte, die Frage nach dem Orte des geheimnisvollen Duells.

Während er davon sprach, ging eine merkwürdige Veränderung mit ihm vor. Statt mir in das Gesicht zu blicken, wie er bisher getan hatte, schweiften seine Augen umher und richteten sich dann mit fast wildem Ausdrucke auf die leere Wand vor uns. Ich war zur See von Spanien nach Neapel gekommen, und sagte ihm kurz, dass ich aus diesem Grunde unvermögend sei, die geringste Auskunft zu geben. Er verfolgte den Gegenstand auch nicht weiter, und meines Freundes Warnung gedenkend, lenkte ich das Gespräch auf andere Dinge. Sogleich fielen seine Blicke wieder auf mich und blieben in dieser Richtung, so lange wir in der Ecke des Zimmers miteinander sprachen.

Er war zwar immer mehr geneigt zu hören, als selbst zu sprechen, allein wenn er sprach, ließ seine Rede auch nicht die leisesten Spuren von Irrsinn erkennen. Er hatte viel und gründlich gelesen, und besaß die glückliche Gabe, das auf diese Weise erlangte Wissen bei jedem Gegenstande der Unterhaltung zur Anwendung zu bringen, ohne dass er dadurch prahlerisch erschien. Sein ganzes Wesen und Benehmen stand im direktesten Widerspruch mit dem Spottnamen »verrückter Monkton«. Er war ruhig, zurückhaltend, und in seinem ganzen Tun und Treiben so sanft, dass ich ihn zuweilen fast hätte weibisch nennen mögen. Wir hatten am ersten Abende unseres Zusammentreffens eine lange Unterhaltung, sahen uns später öfter, und ließen keine Gelegenheit vorübergehen, das angeknüpfte Band des Vertrauens zu befestigen. Ich sah, dass er sich zu mir hingezogen fühlte, und ungeachtet alles dessen, was ich über sein Betragen gegen Miss Elmsly gehört hatte, und des Verdachtes, zu dem die Geschichte seiner Familie sowohl wie sein eigenes Benehmen Veranlassung gab, begann ich die mir geschenkte Zuneigung in demselben Grade zu erwidern. Wir machten manchen Spazierritt in der Umgegend, und ruderten oft zusammen längs der schönen Ufer der Bai von Neapel. Wenn sich nicht zwei auffallende, mir unerklärliche Erscheinungen in seinem Wesen gezeigt hätten, so würde ich mich im Umgange mit ihm so wohl gefühlt haben, als wenn er mein Bruder gewesen wäre.

Die eine dieser Erscheinungen bestand darin, dass sich zuweilen jener sonderbare Ausdruck in seinen Augen zeigte, den ich am ersten Abende bemerkt hatte, als er mich über das Duell befragte. Er pflegte dann, gleichviel wovon wir sprachen, oder wo wir uns befanden, seine Augen plötzlich von mir abzuwenden, und bald auf diese, bald auf jene Seite zu richten, aber immer dahin, wo nichts zu sehen war, und stets mit demselben stieren, fast wilden Blicke. Das sah dem Wahnsinn so ähnlich, dass ich mich scheute, ihn darüber zu befragen, und mich stellte, als wenn ich es nicht bemerkte.

Die andere Sonderbarkeit in seinem Wesen war die, dass er nie von den über den Zweck seiner Reise in Neapel umgehenden Gerüchten, nie von Miss Elmsly und seinem Leben in der Abtei mit mir sprach. Dies setzte nicht bloß mich, sondern auch diejenigen in Erstaunen, welche unseren vertrauten Umgang beobachteten und deshalb nicht anders glaubten, als dass ich Mitwisser aller seiner Geheimnisse sei. Allein die Zeit war nahe, da er selbst alle Schleier lüften und mir Dinge mitteilen sollte, von denen ich bis dahin noch keine Ahnung hatte.

Eines Abends traf ich ihn auf einem großen Balle, den ein russischer Edelmann gab. Ich hatte das Empfangszimmer, den Ballsaal und auch das Spielzimmer verlassen, und mich in ein kleines, an dem einen Ende des Palastes gelegenes Gemach zurückgezogen, welches eine Art Gewächshaus bildete, und mit chinesischen Lampen sehr hübsch erleuchtet war. Niemand befand sich darin, als ich eintrat. Die Aussicht auf das Meer, welches im bezaubernden italienischen Mondlichte vor mir lag, war so reizend, dass ich lange am Fenster stehen blieb, das schöne Bild betrachtend und der aus dem Ballsaale herüberklingenden Musik lauschend, bis ich unwillkürlich einem anderen Gedankenzuge folgte. Ich weilte im Geiste bei meinen Blutsverwandten in England, als ich plötzlich dicht hinter mir meinen Namen von einer leisen, sanften Stimme rufen hörte.

Mich umblickend, sah ich Monkton vor mir stehen. Todesblässe bedeckte sein Gesicht, und seine Augen waren wieder mit jenem sonderbaren Ausdrucke von mir ab und auf die Seite gerichtet.

»Ist es Ihnen nicht unangenehm, wenn wir den Ball heute früh verlassen?« fragte er, ohne mich anzusehen.

»Keineswegs«, erwiderte ich. »Kann ich etwas für Sie tun? Sind Sie unwohl?«

»Nein, wenigstens ist es nicht der Rede wert. Aber wollen Sie heute Abend noch in meine Wohnung kommen?«

»Sogleich, wenn Sie es wünschen.«

»Nein, nicht sogleich. Ich muss zwar augenblicklich nach Hause gehen, aber kommen Sie erst in einer halben Stunde. Sie waren noch nie dort, doch werden Sie meine Wohnung leicht finden, denn sie ist ganz nahe. Nehmen Sie diese Karte mit meiner Adresse. Ich muss Sie heute Abend noch sprechen; mein Leben hängt davon ab. Bitte, kommen Sie — kommen Sie ja nach einer halben Stunde!«

Ich versprach pünktlich zu sein, worauf er sogleich fortging. Jedermann kann sich leicht denken, in welcher Unruhe und Spannung ich die zu erwartende Zeit nach einer solchen Äußerung zubrachte. Ehe noch die halbe Stunde ganz abgelaufen war, suchte ich bereits den Ausweg.

Auf der Treppe begegnete mir mein Freund, der Attaché.

»Wie? Sie gehen schon fort?« fragte er.

»Ja, und zu einem sonderbaren Zwecke. Ich begebe mich in Monktons Wohnung, in Folge seiner ausdrücklichen Einladung.«

»Wie, was? Bei meiner Ehre, Sie sind ein verwegener Mensch! Sie wagen es, mit dem »verrückten Monkton« in seiner Wohnung allein zu sein, wenn der Vollmond am Himmel steht?«

»Er ist krank, der Arme. Ich halte ihn nicht für so verrückt, wie Sie es tun.«

»Wir wollen darüber nicht streiten, aber merken Sie sich, was ich sage. Er hat Sie dahin, wo noch niemand Zutritt gefunden hat, gewiss nicht ohne besondere Absicht eingeladen. Ich sage Ihnen vorher, Sie werden heute Abend etwas sehen oder hören, was Sie vielleicht in Ihrem ganzen übrigen Leben nicht wieder vergessen.«

Wir trennten uns. Als ich an das Portal von Monktons Hause klopfte, fielen mir die letzten Worte meines Freundes wieder ein; und obgleich ich darüber lachte, als er sie sprach, so regte sich doch die Ahnung in mir, dass sie in Erfüllung gehen sollten.

Der öffnenden Portier führte mich bis zu dem Stockwerke, in welchem sich Monktons Zimmer befanden. Er musste mich gehört haben, denn er rief mir zu, noch ehe ich klopfen konnte.

Ich trat ein und sah ihn am Tische sitzen, mit mehreren Briefen in der Hand, die er zusammenzubinden bemüht war. Sein Gesichtsausdruck erschien mir ruhiger als vorher, obgleich die Leichenblässe noch nicht ganz verschwunden war. Er dankte mir dafür, dass ich kam, lud mich zum Sitzen ein, wiederholte, dass er mir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen habe, und brach dann plötzlich ab, augenscheinlich in Verlegenheit, wie er fortfahren solle. Ich suchte ihn durch die Versicherung zu beruhigen, dass er, wenn ihm mein Rat oder Beistand irgendwie von Nutzen sein sollte, über mich und meine Zeit völlig zu verfügen habe.

Während dieser Worte bemerkte ich, dass sich seine Augen wieder von meinem Gesichte abwandten — langsam, gleichsam Zoll für Zoll, bis sie auf einem gewissen Punkte haften blieben, und zwar mit demselben stieren Blicke, der mich schon früher oft erschreckt hatte. Dieses Mal aber veränderte sich der ganze Ausdruck seines Gesichtes so, wie ich es noch nie zuvor gesehen. Er saß vor mir wie ein Mensch im Starrkrampfe.

»Sie sind sehr gütig«, sagte er langsam und leise, nicht an mich gerichtet, sondern dahin, wo seine starren Blicke gefesselt waren. »Ich weiß, Sie können mir helfen, aber —«

Er hielt inne; sein Gesicht wurde noch bleicher als vorher, und kalter Schweiß brach daraus hervor. Vergeblich versuchte er fortzufahren, sagte einige Worte, und stockte wieder. Ernstlich beunruhigt stand ich auf, um ihm etwas Wasser von einer auf dem Seitentische stehenden Flasche zu holen. Sobald ich dies jedoch tat, sprang er gleichfalls auf. Alles, was ich bisher über seine Geisteskrankheit gehört hatte, kam mir plötzlich in das Gedächtnis, und unwillkürlich trat ich einige Schritte zurück.

»Halt!« rief er, sich schnell wieder setzend; »sorgen Sie nicht für mich! Bleiben Sie sitzen. Ich wollte nur — wenn es Ihnen recht ist — eine kleine Veränderung machen, ehe wir weiter reden. Ist es Ihnen nicht unangenehm, in einem helleren Lichte zu sitzen?«

»Nicht im Geringsten.«

Ich hatte mich bisher im Schatten seiner Studierlampe, der einzigen Beleuchtung des Zimmers, befunden. Nach meiner Antwort stand er wieder auf, ging in das anstoßende Gemach und brachte eine große Lampe herbei, nahm dann zwei Lichter von dem Seitentische, sowie zwei andere vom Kaminsimse, und stellte sie zu meiner Verwunderung sämtlich so, dass sie gerade zwischen uns standen. Dann versuchte er sie anzuzünden. Seine Hand zitterte jedoch so sehr, dass er mir das Geschäft überlassen musste. Auf sein Verlangen nahm ich auch den Schirm von der Studierlampe ab, nachdem ich die größere Lampe und die vier Lichter angezündet hatte.

Als wir unter dieser vermehrten Lichtmasse wieder einander gegenüber saßen, schien eine ruhigere und bessere Stimmung bei ihm zurückzukehren, und er sprach von nun an ohne fernere Unterbrechung oder Stockung.

»Es ist unnütz, zu fragen«, begann er, »ob Sie die hier über mich herrschenden Gerüchte gehört haben, denn ich weiß im voraus, dass sie zu Ihrer Kenntnis gelangt sind. Ich habe nur die Absicht, Ihnen eine vernünftige Erklärung meines Betragens zu geben, welches diese Gerüchte veranlasst hat. Bisher ist das Geheimnis außer mir nur einer Person bekannt gewesen; jetzt will ich es auch Ihnen anvertrauen, und zwar zu einem besonderen Zwecke, den Sie sogleich erfahren werden. Erst muss ich Ihnen jedoch umständlich erzählen, worin die große Schwierigkeit besteht, die mich nach immer von England entfernt hält. Ich bedarf Ihres Rates und Beistandes und, um nichts zu verhehlen, auch der Versicherung Ihrer Nachsicht und freundlichen Teilnahme, ehe ich wagen darf, Sie zum Mitwisser meines traurigen Geheimnisses zu machen. Werden Sie mir diesen scheinbaren Mangel an Vertrauen zu Ihrem geraden, offenen Charakter — diese scheinbare Undankbarkeit für Ihr freundliches Entgegenkommen verzeihen?«

Ich bat ihn, nicht von diesen Dingen zu reden, und in seinen Mitteilungen fortzufahren.

»Sie wissen«, sagte er darauf, »dass ich hier bin, um den Leichnam meines Oheims Stephan aufzufinden und ihn mit mir nach England zu führen; und es wird Ihnen auch bekannt sein, dass mir dies bis jetzt noch nicht gelungen ist. Lassen Sie für jetzt unbeachtet, was Ihnen in einem solchen Vorhaben sonderbar und unerklärlich erscheinen mag, und lesen Sie diesen mit roter Tinte angestrichenen Zeitungsartikel. Es ist die einzige Auskunft, die ich bis jetzt über das unglückliche Duell, in welchem mein Oheim gefallen ist, habe erlangen können, und ich möchte gern hören, welchen Weg Sie, nach Durchlesung dieses Artikels, als den zweckmäßigsten vorschlagen würden.«

Er reichte mir eine alte französische Zeitung. Der Inhalt dessen, was ich darin las, ist jetzt, nach langen Jahren, meinem Gedächtnisse noch so gegenwärtig, dass ich alle darin enthaltenen Tatsachen und Umstände, insoweit sie für den Leser von Interesse find, getreu wiedergeben kann.

Der Artikel begann mit einer Schilderung des großen Aufsehens, welchen der zwischen dem Grafen St. Lo und einem Engländer, Stephan Monkton, stattgehabte Zweikampf allgemein erregt hatte. Dann ließ sich der Schreiber über das geheimnisvolle Dunkel aus, welches über dem ganzen Hergange schwebte, und äußerte die Hoffnung, dass die Veröffentlichung eines gewissen Mannskriptes, auf das sich seine einleitenden Bemerkungen bezogen, dazu dienen möchte, mehr Licht über das eigentliche Sachverhältnis zu verbreiten. Das erwähnte Manuskript hatte sich unter den nachgelassenen Papieren eines gewissen Foulon vorgefunden, welcher Monktons Sekundant beim Duelle gewesen, und kurze Zeit nachher in Paris, seiner Heimat, plötzlich gestorben war. Die Schrift war unbeendigt und brach gerade da ab, wo der Leser am meisten eine Fortsetzung gewünscht hätte. Kein Grund ließ sich hierfür auffinden, und ebenso wenig war, trotz aller Nachforschungen, eine andere Schrift über denselben Gegenstand unter den Papieren des Verstorbenen zu entdecken.

Hierauf folgte das Dokument selbst. Es war eine zwischen Foulon, dem Sekundanten Mr. Stephan Monktons, und Dalville, dem des Grafen St. Lo, getroffene Übereinkunft, und enthielt eine Spezifikation aller zur Ausführung des Duells gemachten Vorbereitungen. Datiert war es von »Neapel, den 22. Februar« und in sieben Paragraphen eingeteilt.

Der erste beschrieb die Veranlassung zum Streite — eine für beide Teile schmachvolle, deren Erwähnung hier unnötig ist. Der zweite Paragraph sagte, der Geforderte habe Pistolen als die im Kampfe zu gebrauchende Waffe erwählt, und der Forderer seinerseits eine so kurze Schussweite verlangt, dass schon durch die ersten beiden Schüsse eine Entscheidung erfolgen müsse; weshalb die Sekundanten, den tödlichen Ausgang vorhersehend, für nötig erachtet hätten, das Duell gegen jedermann geheim zu halten, und den Ort des Kampfes selbst nicht den Duellanten vorher mitzuteilen. Es wurde hierbei bemerkt, dass diese scheinbar übertriebene Vorsicht deshalb notwendig sei, weil der Papst erst kurze Zeit vorher an die übrigen italienischen Mächte dringende Aufforderungen erlassen habe, gegen den neuerdings zunehmenden Unfug des Zweikampfes die strengsten gesetzlichen Strafen zur Anwendung zu bringen.

Der dritte Paragraph enthielt die Regeln; nach denen das Duell stattfinden sollte. Nachdem die Pistolen auf dem Platze geladen worden waren, sollten die Kämpfer in der Entfernung von zwanzig Schritten gegen einander aufgestellt werden und wegen des ersten Schusses losen. Derjenige, welcher ihn erhielt, durfte dann zehn Schritte vorgehen und seine Pistole abschießen. Fehlte er, oder machte er den Gegner nicht kampfunfähig, so konnte Letzterer seinerseits die noch übrigen zehn Schritte vorgehen und seine Waffe dicht vor der Brust des Feindes entladen. Diese Bedingungen mussten eine Entscheidung nach den ersten beiden Schüssen zur Folge haben, und die Kämpfer sowohl wie die Sekundanten verpflichteten sich, nicht davon abzugehen.

Der vierte Paragraph erwähnte, dass die Sekundanten übereingekommen seien, den Kampfplatz außerhalb des neapolitanischen Staates zu suchen, und sich in der Wahl ganz von den Umständen leiten zu lassen. Die übrigen Abteilungen waren den zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln gewidmet, um Entdeckung zu verhüten. Die Kämpfer und Sekundanten sollten getrennt Neapel verlassen, mehrmals die Wagen wechseln, und in einem an der Landstraße von Neapel nach Rom gelegenen Posthause zusammentreffen. Sie sollten ferner Zeichenbücher, Farbenkasten und Feldstühle mit sich führen, als wenn sie Künstler wären, die Skizzen sammeln wollten und sich endlich nach dem Kampfplatze zu Fuß begeben. Das waren die allgemeinen Sicherheitsmaßregeln. Noch andere folgten, welche sich auf die Erleichterung des Fliehens der Überlebenden bezogen, und den Schluss dieses seltsamen Dokumentes bildeten. Unterzeichnet war es nur mit den Anfangsbuchstaben der Namen beider Sekundanten.

Dicht unter denselben befand sich der Anfang einer Schilderung, welche, wie es schien, eine genaue Beschreibung des Duells geben sollte. Sie war von Paris datiert und in der Handschrift des verstorbenen Foulon.

Er drückte in der Einleitung die Vermutung uns, dass Umstände eintreten könnten, unter denen ein genauer, von einem Augenzeugen herrührender Bericht über den zwischen St. Lo und Monkton stattgehabten Zweikampf von großer Wichtigkeit sein würde. Als einer der Sekundanten wolle er hiermit die Erklärung niederlegen, dass das Duell unter strenger Beobachtung der vorher festgesetzten Bedingungen ausgeführt worden sei, und beide Kämpfer sich als Männer von Mut und Ehre benommen hätten. Nach dieser Vorrede erzählte Foulon, dass der Zweikampf drei Tage nach Abfassung der oben erwähnten schriftlichen Übereinkunft an einem durch den Zufall bestimmten Orte stattgefunden habe; allein weder der Name desselben, noch die Gegend, in der er gelegen, wurde erwähnt. Nachdem beide Kämpfer, den Bestimmungen gemäß, ihre Plätze eingenommen hatten, und dem Grafen St. Lo der erste Schuss durch das Los zugefallen war, ging derselbe zehn Schritte vor und schoss seinem Gegner durch den Leib. Mr. Monkton wankte noch sieben oder acht Schritte vorwärts und schoss seine Pistole ab, ohne jedoch zu treffen, worauf er tot zu Boden sank. Foulon, der Berichterstatter, riss hierauf ein Blatt Papier aus seinem Taschenbuche, vermerkte darauf mit kurzen Worten die Art und Weise, in der Monkton um das Leben gekommen war, und heftete den Zettel an die Kleider des Toten- Diese Prozedur, heißt es in der Erzählung, sei mit Rücksicht auf den Plan nötig gewesen, der Behufs sicherer Unterbringung des Leichnams von den Parteien vorher beraten und gefasst worden war. Worin jedoch dieser Plan bestand, und was mit dem Leichnam geschah, ergab sich aus der Erzählung nicht, denn gerade an dieser Stelle brach sie plötzlich ab.

Dies war alles, was das Zeitungsblatt enthielt. Als ich es an Alfred zurückgab, war er zu aufgeregt, um sprechen zu können; allein er machte mir ein Zeichen, das er mit Spannung erwarte, was ich ihm sagen werde. Die Folgen waren nicht vorauszusehen, die eine unvorsichtige Äußerung von meiner Seite haben konnte. Ich hielt es deshalb für geraten, ihn erst sorgfältig über verschiedene Punkte zu befragen, ehe ich mit meiner Meinung hervorzutreten wagte.

»Wollen Sie mir erlauben, Ihnen einige Fragen vorzulegen, bevor ich meinen Rat erteile?« sagte ich.

Er nickte ungeduldig.

»Sind Sie zu irgendeiner Zeit häufig in der Gesellschaft Ihres Oheims gewesen?«

»Ich habe ihn kaum zweimal in meinem Leben gesehen, und nur in meiner Kindheit.«

»Dann können Sie also keine persönliche Anhänglichkeit für ihn gehabt haben?«

»Anhänglichkeit für ihn? Ich würde mich deren geschämt haben, denn er machte unserer Familie überall nur Schande.«

»Darf ich Sie fragen, ob Sie besondere, auf die Verhältnisse Ihrer Familie sich beziehende Gründe haben, aus denen Sie so eifrig bemüht sind, seine Überreste aufzufinden?«

»Es sind allerdings solche vorhanden — aber wozu die Frage?«

»Weil ich gehört habe, dass Sie die Dienste der hiesigen Polizei in Anspruch nehmen, und ich deshalb wissen möchte, ob Sie den Behörden Ihre dringenden persönlichen Gründe für den ungewöhnlichen Zweck Ihres Hierseins angegeben haben, um sie vielleicht dadurch zu größerem Eifer anzuspornen.«

»Ich gebe keine Gründe; ich bezahle die mir geleisteten Dienste, und werde zur Anerkennung meiner Freigebigkeit überall mit der schändlichsten Nachlässigkeit behandelt. Als ein Fremder in diesem Lande und nur unvollkommen mit der Sprache bekannt, kann ich mir nicht selbst helfen. Die Behörden, hier sowohl wie in Rom, geben sich den Schein, als wollten sie mir Beistand leisten und die gewünschten Nachforschungen veranlassen; aber sie tun nichts. Man beleidigt mich und lacht mir fast gerade ins Gesicht.«

»Halten Sie es nicht für möglich —- beachten Sie wohl, ich bin weit entfernt, das Verfahren der Polizei zu billigen — halten Sie es nicht für möglich, dass die Behörden darüber Zweifel hegen, ob es Ihnen mit diesen Nachforschungen wirklich Ernst sei?«

»Ob es mir Ernst sei?« rief er aufspringend und sich mit wilden Blicken mir gegenüber stellend. »Nicht Ernst? Sie glauben auch, es sei mir nicht Ernst damit — ich sehe es, obgleich Sie es nicht sagen! — Halt! ehe Sie ein Wort weiter reden, sollen Ihre Augen Sie überzeugen. Kommen Sie herein —- nur eine Minute!«

Ich folgte ihm in sein anstoßendes Schlafgemach. An der einen Seite desselben stand eine mindestens sieben Fuß lange Kiste von rohem Holze.

»Öffnen Sie den Deckel und blicken Sie hinein«, sagte er, »während ich das Licht halte.«

Ich folgte seiner Anweisung und gewahrte, zu meinem nicht geringen Erstaunen einen bleiernen Sarg darin stehen, welcher mit dem Monktonschen Wappen prächtig verziert war, und eine Inschrift in gotischen Buchstaben mit dem Namen »Stephan Monkton«, der Angabe seines Alters und Art seines Todes trug.

»Ich halte diesen Sarg in Bereitschaft für ihn«, flüsterte mir Alfred ins Ohr. »Sieht das so aus, als wenn es mir nicht Ernst wäre?«

Es kam mir wie völliger Wahnsinn vor, so dass ich mich scheute, ihm gleich zu antworten.

»Ja, ja, ich sehe, Sie sind überzeugt«, fuhr er fort. »Wir können jetzt in das Zimmer zurückkehren und ohne Rückhalt miteinander beraten.«

Als wir unsere Sitze wieder einnahmen, rückte ich, ohne es zu beachten, meinen Stuhl etwas vom Tische ab. Meine Verwirrung war so groß und ich fühlte mich so ratlos rücksichtlich dessen, was ich zunächst sagen oder tun sollte, dass ich vergaß, welchen Platz er mir angewiesen hatte, als die Lichter angezündet wurden. Er aber bemerkte und rügte es augenblicklich.

»Bitte, rücken Sie nicht vom Tische ab«, sagte er mit ängstlichem Tone, »bleiben Sie im Lichte sitzen. Ich will Ihnen sogleich sagen, weshalb ich es so sehr wünsche; aber erst geben Sie mir Ihren Rat und Beistand in meiner schwierigen, bedrängten Lage. Sie wissen, ich habe Ihr Versprechen.«

Ich machte eine gewaltsame Anstrengung, meine Gedanken zu sammeln, und es gelang mir. In seiner Gegenwart die Sache anders als mit vollem Ernste zu behandeln, wäre nicht bloß nutzlos, sondern auch grausam gegen ihn gewesen.

»Sie wissen«, sagte ich deshalb, »dass der Zweikampf drei Tage nach Abfassung jener schriftlichen Übereinkunft außerhalb des neapolitanischen Staates stattgefunden hat. Dieser Umstand hat Sie wahrscheinlich zu dem Schlusse geführt, dass die Nachforschungen wegen des Kampfplatzes nur im römischen Gebiete veranlasst werden müssten, nicht wahr?«

»Allerdings. Soweit sie überhaupt geschehen, sind sie nur auf dieses Gebiet beschränkt worden. Wenn ich der Polizei glauben darf, so haben die ausgesendeten Agenten ihre Nachforschungen, unter Zusicherung einer bedeutenden Belohnung für denjenigen, der den Kampfplatz entdecken würde, längs der ganzen Straße von Neapel nach Rom angestellt. Außerdem haben sie — so ist mir wenigstens gesagt worden — überall Personalbeschreibungen der Duellanten und Sekundanten verbreitet, einen besonderen Agenten zur Verfolgung der Nachforschungen von dem in der Übereinkunft als Sammelplatz bezeichneten Posthause aus bestellt, und endlich durch Korrespondenz mit ausländischen Behörden den Aufenthalt des Grafen St. Lo und des Sekundanten Dalville zu ermitteln versucht; allein alle diese Bemühungen, wenn sie überhaupt wirklich gemacht worden sind, haben sich als fruchtlos erwiesen.«

»Meine Ansicht ist«, erwiderte ich nach kurzer Überlegung, »dass alle Nachforschungen auf der Landstraße und in der Nähe von Rom vergeblich sein müssen. Das Auffinden der Überreste Ihres Oheims ist jedenfalls gleichbedeutend mit der Entdeckung des Kampfplatzes; denn die beim Duelle Beteiligten werden sich schwerlich einer Entdeckung ausgesetzt und den Leichnam weit mit sich genommen haben. Alles, was wir zu suchen haben, ist also der Platz. Lassen Sie uns überlegen. Die Gesellschaft wechselte mehrere Male die Wagen, reiste getrennt zu zweien, machte ohne Zweifel große Umwege, hielt sich des Scheines halber in jenem Posthause auf, und ging vielleicht eine bedeutende Strecke zu Fuß. Alle diese Vorsichtsmaßregeln kosteten jedenfalls viel Zeit, und ließen ihnen deshalb wenig Zeit, um in drei Tagen eine wirklich große Entfernung zurücklegen zu können. Ich glaube daher, dass das Duell an irgendeinem Orte in der Nähe der neapolitanischen Grenze stattfand; und wenn ich der beauftragte Polizeibeamte gewesen wäre, so würde ich meine Nachforschungen nur längs derselben, in der Richtung von Osten nach Westen, bis zu den einsamen Bergen der Abruzzen verfolgt haben. Das ist meine Meinung von der Sache. Was sagen Sie dazu?«

Sein Gesicht wurde purpurrot.

»Das ist eine himmlische Eingebung!« rief er. »Keinen Tag dürfen wir verlieren; augenblicklich muss dieser Plan ausgeführt werden· Aber der Polizei dürfen wir ihn nicht anvertrauen. Morgen früh will ich selbst ausbrechen, und Sie —«

Er hielt plötzlich inne, sein Gesicht wurde bleich, ein tiefer Seufzer hob seine Brust, die Augen nahmen wieder den starren, leeren Blick an, und alle seine Züge jenen leichenhaften Ausdruck.

»Ich muss Ihnen mein Geheimnis mitteilen, ehe ich weiter von morgen spreche«, fuhr er mit schwacher Stimme fort. »Wollte ich länger zögern, Ihnen alles zu entdecken, so würde ich mich Ihrer mir bisher bewiesenen Güte und Ihres ferneren Beistandes unwürdig zeigen, auf den ich meine letzte Hoffnung baue.«

Ich bat ihn, zu warten, bis er ruhiger geworden sei, und das Sprechen ihm nicht so schwer werde; allein er beachtete meine Worte nicht. Langsam und mit innerem Kampfe wandte er sich von mir ab, neigte den Kopf über den Tisch und stützte ihn in die Hand. Das Paket Briefe, mit dem ich ihn bei meinem Eintreten beschäftigt gesehen hatte, lag gerade unter seinen Augen. Starr darauf hinabblickend, begann er seine Mitteilungen.


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