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Die Blinde



Achtes Kapitel - Spuren von Nugent

»Madame Pratolungo!«

»Herr Grosse?«

Er steckte sein Schnupftuch wieder in die Tasche und wandte sich mit wieder ruhig gewordenem Gesicht und seine Theekasten-Schnupftabaksdose in der Hand haltend, nach mir um.

»Wollen Sie es jetzt«, sagte er, indem er emphatisch auf seine Dose klopfte, »nachden Sie sich mit eigenen Augen von Lucilla’s Zustand überzeugt haben, wagem dem lieblichen Mädchen zu sagen, welcher von Beiden fortgegangen ist und sie für immer verlassen hat?«

Es ist schwer zu sagen, wie weit weiblicher Eigensinn es zu treiben im Stande ist, wenn Männer ihnen das Bekenntniß zumuthen, daß sie Unrecht gehabt haben. Nach dem, was ich gesehen, hatte ich so wenig wie er den Muth, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich war nur zu eigensinnig, um das schon jetzt einzugestehen.

»Lassen Sie es sich gesagt sein«,fuhr er fort, »daß, gleichviel ob Sie ihre Furcht erwecken oder ihren Zorn erregen oder ihr Kummer bereiten, alle solche Gemüthsbewegungen sich geradewegs aus ihre zarten, schwachen Augen werfen. Diese Augen sind so zart und so schwach, daß ich Sie abermals um ein Nachtquartier bitten muß, um morgen sehen zu können,« ob ich ihnen nicht bereits zu viel zugemutet habe. Ich frage Sie jetzt zum letzten Mal, haben Sie noch den abscheulichen Muth, ihr die Wahrheit zu sagen?«

Endlich war es ihm gelungen, meinen Eigensinn zu beugen. Ich mußte, so ungern ich es auch that, bekennen, daß für jetzt nichts übrig blieb, als ihr erbarmungvoll die Wahrheit zu verbergen. Nachdem ich soweit gegangen war, versuchte ich es demnächst, ihn darüber um Rath zu fragen, wie ich wohl Lucilla Oscar’s Abwesenheit am Besten erklären könne. Er fand es völlig überflüssig mir als einem Weibe über eire Frage der Ausflüchte und Entschuldigungen Rath zu ertheilen.

»Ich habe nicht so lange in der Welt gelebt«, sagte er, »ohne etwas zu lernen. Wo es sich darum handelt, auf Eierschalen zu gehen und zu flunkern, haben die Frauen nichts von den Männern zu lernen.

— Wollen Sie einen kleinen Gang mit mir durch den Garten machen? Ich habe Ihnen noch etwas zu sagen und mich hungert und dürstet nach Diesem da.«

Und dabei zog er seine Pfeife aus der Tasche. Wir gingen in den Garten. Nachdem er sich an den ersten Zügen aus seiner Pfeife erlabt hatte, erschreckte er ·mich durch die Mittheilung, daß er die Absicht habe, Lucilla ohne Verzug von Dimchurch an die See zu schicken. Dabei leiteten ihn zwei Beweggründe: der medicinische Grund, ihren Organismus zu stärken, und der persönliche, sie vor schmerzlichen Entdeckungen dadurch zu bewahren, daß er sie aus dem Bereich des Geschwätzes im Pfarrhause und im Dorfe entferne. Grosse hatte die schlechteste Meinung von Herrn Finch und seinem Hause. Namentlich kannten seine Abneigung und sein Mißtrauen gegen den Pfarrer keine Grenzen; er charakterissirte den Papst von Dimchurch als einen Affen mit einer langen Zunge und einer affenmenschlichen Fähigkeit, Unheil anzurichten. Der Badeort, für den er sich entschieden hatte, war Ramsgate. Es lag hinreichend entfernt von Dimchurch und nahe genug an London, um es ihm möglich zu machen, Lucilla oft zu besuchen. Nothwendig brauchte er aber meine Mitwirkung zur Ausführung dieses neuen Plans. Wenn ich bereit sei, Lucilla unter meine Obhut zu nehmen, so wolle er mit dem langzüngigen Affen reden und wir könnten dann noch vor Ende der Woche nach Ramsgate abreisen.

Es gab nichts, was mich hätte hindern können, bei der Ausführung dieses Planes behilflich zu sein. Meine einzige Sorge außer Lucilla, meine Sorge für den lieben Papa, war glücklicherweise für einige Zeit beruhigt. Jeder Brief meiner Schwestern aus Frankreich brachte mir dieselben erfreulichen Nachrichten Mein ewig junger Vater war doch endlich dahinter gekommen, daß er nicht mehr in der Blüthe der ersten Jugend stehe. Er hatte sich unter pathetischen Ausdrücken des Bedauerns resigniert, jüngeren Leuten das Verlieben und das Duelliren zu überlassen. Durch Leidenschaften verwüstet, hatte der liebe Unschuldsengel sich jetzt vor Schwertern, Pistolen und Weibern, zum Sammeln von Schmetterlingen und Guitarrespielen geflüchtet. Ich hatte Zeit, mich ganz Lucilla zu widmen und freute mich aufrichtig auf die mir eröffnete Aussicht. Wenn ich mit ihr allein und von dem Pfarrhause, wo immer Gefahr war, daß ihr geschwätziger Klatsch zu Ohren komme, entfernt war, so durfte ich zuversichtlich hoffen, sie gegenwärtig vor Schaden zu hüten und sie Oscar für die Zukunft zu erhalten. Von ganzem Herzen erklärte ich mich Grosses Vorschlag zustimmig.

Nachdem wir uns im Garten getrennt hatten, ging er nach der vom Pfarrer bewohnten Seite des Hauses, um demselben in seiner ärztlichen Eigenschaft den von ihm gesellten Entschluß mitzutheilen, während ich meinerseits wieder zu Lucilla ging, um Oscar so gut wie möglich bei ihr zu entschuldigen und sie auf unsere nahe bevorstehende Entfernung von Dimchurch vorzubereiten.

»Fort, ohne mir Lebewohl gesagt! Fort, ohne mir auch nur geschrieben zu haben?«

Das war der erste Eindruck, den ich bei ihr hervorrief, als ich mein Bestes gethan hatte, Oscar’s Abwesenheit als etwas ganz Unschuldiges zu erklären. Ich glaubte den kürzesten und einfachsten Ausweg aus den: Schwierigkeit gewählt zu haben, indem ich den Sachverhalt nur umkehrte. Mit andern Worten, indem ich ihr erzählte, Nugent sei im Ausland in eine ernste Verlegenheit gerathen und Oscar sei plötzlich abberufen worden, ihm nachzureisen und ihm aus der Verlegenheit zu helfen. Vergebens erinnerte ich sie an Oscar’s ihr wohlbekannten Abscheu vor jeder Art von Abschiednehmen; vergebens stellte ich ihr vor, daß die Dringlichkeit der Sache ihm keine andere Wahl gelassen habe, als mir seine Entschuldigung und sein Lebewohl anzuvertrauen; vergebens versprach ich ihr, er, werde ihr bei erster Gelegenheit schreiben. Sie hörte mir zu, ohne überzeugt zu sein. Je beharrlicher ich die Sache zu erklären versuchte, desto beharrlicher betonte sie Oscar’s unerklärliche Rücksichtslosigkeit gegen sie. Was unsere Reise nach Ramsgate anlangte, so war es unmöglich, sie für die Sache zu interessiren. Ich gab es verzweifelt auf.

»Gewiß hat doch Oscar eine Adresse hinterlassen, unter der ich ihm schreiben kann!« sagte sie.

Ich konnte nur antworten, daß er zu unsicher über seine eigenen Bewegungen gewesen sei, um im Stande zu sein, das vor seiner Abreise zu thun.

»Die Sache ist schlimmer, als Sie denken«, fuhr sie fort, »ich glaube, Oscar fürchtet sich, seinen unglücklichen Bruder hierher zurückzubringen. Ich weiß, ich habe mich bei dem Anblick des Blaugesichts entsetzt. Aber ich habe das jetzt völlig überwunden. Ich empfinde nichts mehr von dem albernen Entsetzen vor dem armen Menschen, das mich erfüllte, so lange ich blind war. Jetzt, wo ich selbst gesehen habe, wie er wirklich aussieht, kann ich für ihn empfinden. Das wollte ich Oscar sagen. ich wollte ihm sagen, daß er seinen Bruder, wenn er wolle, zu uns zurückbringen könne, ich wollte gerade das, was jetzt geschehen ist, verhindern, verhindern, daß er glaube mich verlassen zu müssen, wenn er seinen Bruder sehen wolle. Ihr seid sehr hart gegen mich und ich habe wohl Grund, mich darüber zu beklagen.«

Trotz dieser kränkenden Aeußerungen empfand ich doch bei dem, was sie sagte, einigen Trost. Oscar’s Entstellung würde also nicht das schreckliche Hinderniß seiner Rehabilitierung bei Lucilla sein, für das ich es gehalten hatte. Ich bedurfte des Trostes, den diese Erwägung mir gewähren konnte, gar sehr. Lucilla zeigte zwar keine offene Feindseligkeit gegen mich, aber eine Kühle welche ich schmerzlicher empfand, als wirkliche Feindseligkeit.

Am nächsten Morgen frühstückte ich im Bett und stand erst gegen Mittag auf, gerade noch zeitig genug, um Grosse vor seiner Rückkehr nach London noch Lebewohl zu sagen.

Er war in der besten Laune. Lucilla’s Augen waren trotz der Anstrengung, die er ihnen Tags zuvor zugemuthet hatte, nicht nur nicht schlimmer, sondern besser geworden. Es bedurfte nur noch der stärkenden Luft von Ramsgate, um den Erfolg der Operation zu sichern. Herr Finch hatte Einwendungen erhoben, die sich alle um den Geldpunkt drehten; aber bei einer Tochter, die ihre eigene Herrin war und die ihr eigenes Vermögen hatte, waren seine Einwendungen von keinem Belang. Am nächsten oder spätestens am nächstfolgenden Tage sollten wir nach Ramsgate abreisen. Ich versprach unserm guten Doctor, ihm zu schreiben, sobald wir installiert sein würden und er verpflichtete sich seinerseits, — uns unmittelbar nachher zu besuchen.

»Lassen Sie sie ihre Augen täglich zwei gute Stunden gebrauchen,« sagte Grosse beim Abschied, »sie kann damit thun, was sie will, nur nicht lesen und schreiben, bis ich nach Ramsgate zu Ihnen komme. Es ist höchst wunderbar, zu sehen, wie ihre Augen sich machen. Das nächste Mal, daß ich den guten Herrn Sebright wiedersehe — hei! wie will ich da über diesen funkelnagelneuen respectabeln Mann herfahren!«

Ich konnte mich eines ängstlichen Gefühls, wie der Tag vergehen würde, nicht erwehren, als Grosse mich mit Lucilla allein ließ.

Zu meinem unaussprechlichen Erstaunen kam sie mir nicht nur mit den nöthigen Entschuldigungen für ihr Benehmen am vorhergehenden Tage entgegen, sondern zeigte sich vollkommen resigniert über den zeitweiligen Verlust von Oscar’s Gesellschaft. Nicht ich, sondern sie selbst bemerkte, er habe keine bessere Zeit für seine Abwesenheit wählen,könne, als diese für sie demüthigende Zeit, wo sie rund von viereckig unterscheiden lernen müsse. Nicht ich, sondern sie hieß die kleine Reise nach Ramsgate als eine angenehme Abwechselung in ihrem einförmigen Leben, welche ihr über Oscar’s Abwesenheit hinweghelfen würde, willkommen. Kurz, wenn sie einen Brief von Oscar gehabt hätte und durch denselben jeder Sorge für ihn überhoben gewesen wäre, so hätten ihre Worte und Blicke keinen schärferen Contrast zu ihren gestrigen Worten und Blicken bilden können, als sie es jetzt thaten.

Wenn ich keine andere Veränderung an ihr bemerkt hätte, als diesen willkommenen Wechsel ihrer Stimmung, so würde ich mich jenes Tages nur als eines ungetrübt glücklichen zu erinnern haben.

Aber leider habe ich noch etwas Unerfreuliches hinzuzufügen. Während sie sich bei mir entschuldigte und sich in so verständigen und so befriedigenden Ausdrücken, wie ich sie eben wiederholt habe, aussprach, bemerkte ich in ihrem Wesen eine sonderbare geheime Verlegenheit, wie ich sie ähnlich mir gegenüber noch nie an ihr beobachtet hatte. Und, was noch ausfallender war, als Zillah in’s Zimmer trat, bemerkte ich, daß Lucilla’s Verlegenheit sich in Gesicht und Wesen ihrer alten Amme, als diese mit mir sprach, wiederspiegelte.

Ich konnte aus dem, was ich beobachtete, nur einen Schluß ziehen; Beide verbargen etwas vor mir und Beide schämten sich dessen mehr oder weniger.

An einer früheren Stelle in dieser Erzählung habe ich von mir gesagt, ich sei von Natur nicht argwöhnisch. Ebendeshalb verfalle ich auch, wenn sich mir ein Argwohn unabweislich aufdrängt, wie es eben jetzt der Fall war, leicht in das entgegengesetzte Extrem. Im vorliegenden Fall richtete sich mein Argwohn um so entschiedener gegen eine bestimmte Person, als ich früher keinen Argwohn gegen dieselbe in mir hatte aufkommen lassen wollen. »Auf eine oder die andere Art«, sagte ich mir, »steckt Nugent Dubourg dahinter.«

Stand er im Geheimen unter dem Vorgeben, Oscar zu sein, mit ihr in Verbindung?

Der bloße Gedanke trieb mich, sie sofort wissen zu lassen, daß mir die Veränderung in ihrem Wesen nicht entgangen sei.

»Lucilla«, sagte ich, »ist etwas vorgefallen?«

»Was meinen Sie damit?« fragte sie kalt.

»Es kommt mir vor, als seien Sie etwas verändert«, fing ich an.«

»Ich verstehe Sie nicht«, antwortete sie und entfernte sich dabei von mir.

Ich sagte nichts mehr. Wenn unser Verhältnis weniger vertraulich und innig gewesen wäre, so hätte ich ihr vielleicht offen gestanden, was in mir vorging. Aber wie konnte ich zu Lucilla sagen: »Sie betrügen miich!« Das wäre das Ende unseres schwesterlichen Verhältnisses unserer Freundschaft gewesen. Wenn iu dem Verhältniß zweier Menschen, die sich lieben, das Vertrauen verloren geht, so ist Alles verloren. Von dem Augenblick an stehen sie sich wie Fremde gegenüber und müssen sich gegenseitig mit äußeren Höflichkeitsbezeugungen begnügen. Feinfühlende Gemüther werden es verstehen, warum ich mir die von ihr aufgedrängte Entfremduug gefallen ließ und nichts weiter sagte.

Ich ging allein in’s Dorf. Ich wußte es so gut zu machen, daß die Sache nichts Auffälliges hatte, als ich mich erst mit Gootheridge im Gasthof und dann mit dem Diener in Browndown ein wenig über Nugent unterhielt. Wenn Nugent im Geheimen nach Dimchurch zurückgekehrt war, so war es in dem kleinen Dorf fast unzweifelhaft sicher, daß einer von den beiden Männern ihn gesehen haben mußte. Aber keiner von Beiden hatte ihn gesehen.

Ich schloß daraus, daß er es nicht versucht habe, sich persönlich mit ihr in Verbindung zu setzen. Sollte er es noch schlauer und noch sicherer, brieflich versucht haben?

Ich kehrte nach dem Pfarrhause zurück. Es war dicht vor der Stunde wo Lucilla mit meiner mir von Grosse übertragenen Genehmigung ihre Augen gebrauchen sollte. Als ich ihr die Binde abnahm, bemerkte ich einen Umstand, welcher mich in dem Schluß, zu welchem ich gelangt war, bestärkte. Ihre Augen vermieden es geflissentlich, den meinigen zu begegnen. Ich unterdrückte den Schmerz, den mir diese neue Entdeckung verursachte, so gut ich konnte, und wiederholte ihr Grosse’s Verbot jedes Versuchs zu lesen oder zu schreiben, bis er sie wieder gesehen haben werde.

»Er braucht mir das nicht zu verbieten«, sagte sie.

»Haben Sie es schon versucht?« fragte ich.

»Ich habe ein kleines Buch mit Kupferstichen besehen«, antwortete sie, »aber ich konnte nichts unterscheiden. Die Linien verschoben sich alle in einander und schwammen mir vor den Augen.«

»Haben In Sie schon versucht zu schreiben?« fragte ich weiter. Ich schämte mich meiner, daß ich ihr diese Falle stellte, wiewohl die dringende Nothwendigkeit, herauszufinden, ob sie in geheimer Correspondenz mit Nugent stehe, mein Verfahren gewiß entschuldbar erscheinen ließ.

»Nein«, erwiderte sie, »zu schreiben habe ich nicht versucht.«

Bei diesen Worten wechselt sie die Farbe.

Ich muß hier bekennen, daß ich, als ich meine Frage that, zu aufgeregt war, um an etwas zu denken, dessen ich mich in einem ruhigeren Zustand erinnert haben wurde. Selbst wenn sie wirklich eine Correspondenz führte, welche sie vor mir geheim zu halten wünschte, hatte sie nicht nöthig, sich ihrer Augen zu bedienen. ZilIah pflegte ihr die für sie anlangenden Briefe vorzulesen, ehe ich in’s Pfarrhaus kam und sie konnte, wie ich bereits erzählt habe, kurze Billete schreiben, wobei sie sich mit den Fingern auf dem Papier zurecht fand. Ueberdies wurde, da sie unter Anwendung erhabener Lettern gelernt hatte, mit dem Gefühl zu lesen, gerade wie sie schreiben gelernt hatte, selbst wenn ihre Augen schon hinlänglich wieder hergestellt gewesen wären, um sie in den Stand zu setzen, kleine Gegenstände zu unterscheiden, doch nur Uebung sie befähigt haben, sich derselben zu Correspondenzzwecken zu bedienen.

Diese Erwägungen, welche mir im ersten Augenblick nicht eingefallen waren, drängten sich mir später im Laufe des Tages auf und ließen mich bis zu einem gewissen Punkt meine Ansicht ändern. Jetzt erklärte ich mir den Wechsel der Farbe, den ich an ihr beobachtet hatte, als das äußere Anzeichen eines ihr aufsteigenden Argwohns — des Verdachts, daß ich einen besonderen Beweggrund habe, sie zu befragen. Mein Argwohn gegen Nugent blieb übrigens dadurch unberührt. Ich mochte es Versuchen, wie ich wollte, ich konnte den Gedanken nicht los werden, daß er ein falsches Spiel mit mir spiele und daß er es auf die eine oder die andere Art möglich gemacht habe, nicht nur sich mit Lucilla in Verbindung zu setzen, sondern sie zu überreden, das, was er gethan hatte, vor mir geheim zu halten.

Ich verschob jeden Versuch, weitere Entdeckungen zu machen, auf den nächsten Tag.

Unmittelbar vor dem Schlafengehen fiel mir plötzlich ein, Zillah zu befragen. Aber bei einiger Ueberlegung kam ich davon zurück. Wie ich die Alte kannte, würde sie einfach geleugnet — und dann ihrer Herrin das Vorgefallene mitgetheilt haben. Und ich kannte Lucilla gut genug, um zu wissen, daß nach dem, was bereits zwischen uns vorgefallen war, daraus ein Streit mit mir entstanden sein würde. Die Dinge standen schon so schlimm genug, ich hätte sie um keinen Preis schlimmer noch machen mögen. Am nächsten Morgen beschloß ich, ein wachsames Auge auf das Dorf-Postamt und auf die Bewegungen der Amme zu haben.

Der Morgen brachte mir einen Brief aus dem Ausland.

Die Adresse war von der Hand einer meiner Schwestern. Wir pflegten einander regelmäßig alle vierzehn Tage oder drei Wochen zu schreiben Dieser Brief aber folgte seinem Vorgänger nach Verlauf von weniger als einer Woche. Was hatte das zu bedeuten? Gute oder schlimme Nachrichten?

Ich öffnete den Brief.

Er enthielt ein Telegram mit der Meldung, daß mein armer theurer Vater gefährlich verwundet in Marseille liege. Meine Schwestern waren bereits zu ihm geeilt und beschworen mich, ihnen ohne Verzug zu folgen. Brauche ich die Geschichte dieses jammervollen Unglücksfalles noch näher zu erzählen? Natürlich fängt sie mit einem Weibe und einer Entführung an, und endigt mit einem jungen Mann und einem Duell. Papa war so ritterlich, wie er leicht entflammt war. Es war die alte Geschichte!


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