Wilkie Collins - Logo - Klicken, um Navigationsmenü einzublenden
 

Armadale



Fünfter Band

Erstes Kapitel.

Montag früh den achtundzwanzigsten Juli langte Miß Gwilt auf dem gewohnten Umwege auf ihrem Beobachtungsposten im Park an, um Allan und Neelie zu belauschen.

Sie war etwas erstaunt, Neelie am Platze des Rendezvous allein zu finden. Noch weit mehr erstaunte sie aber, als sie den säumigen Allan zehn Minuten später mit einem großen Buche unter dem Arme die kleine Anhöhe herauskommen sah und hörte, wie er sich wegen seines Zuspätkommens damit entschuldigte, daß er mit der Jagd nach den Büchern die Zeit vergeudet und schließlich nur ein einziges gefunden habe, das einigermaßen so aussehe, als ob es Neelie sowohl als ihn für die Mühe, es anzusehen, entschädigen könne.

Hätte Miß Gwilt am letzten Sonnabend lange genug im Park gewartet, um die Scheideworte der Liebenden zu hören, so würde sie sich das Geheimniß des Buches unter Allan’s Arme leicht haben erklären können und seine Entschuldigungen wegen des Spätkommens ebenso wohl verstanden haben wie Neelie selbst.

Es gibt einen einzigen Fall im menschlichen Leben —— es ist der des Heirathens —— in dem selbst Mädchen in ihren Backfischjahren mehr oder minder hysterisch die Folgen zu bedenken vermögen. Im Augenblicke des Scheidens am letzten Sonnabend hatte Neelie sich plötzlich in die Zukunft versetzt und Allan durch die Frage ganz verdutzt gemacht, ob die beabsichtigte Entführung ein Vergehen sei, das gesetzliche Strafe nach sich ziehen könne. Sie erinnerte sich bestimmt, einst irgendwo, möglicherweise in einem Romane, von einer Entführung mit einem fürchterlichen Ende gelesen zu haben, wo die Braut unter Krampfanfällen heim geschleppt und der Bräutigam zum Kerker verurtheilt worden war, nachdem man ihm, einer Parlamentsacte zufolge, den Kopf geschoren hatte. Gesetzt, sie könne sich je zu einer solchen Entführung entschließen, was sie keineswegs versprechen wolle, so müsse sie darauf bestehen, sich vorher davon zu überzeugen, ob irgendwie Gefahr vorhanden sei, daß außer dem Geistlichen und seinem Küster auch die Polizei bei ihrer Vermählung eine Rolle spielen dürfte. Allan müsse dies wissen, da er ein Mann sei, und an ihn wende sie sich deshalb um Auskunft mit der vorläufigen Versicherung, daß sie lieber tausendmal an gebrochenem Herzen sterben, als die unschuldige Ursache sein wolle, daß ihm nach Parlamentsacte der Kopf geschoren würde und er im Gefängnisse schmachten müsse. »Es ist ganz und gar nicht zum« Lachen«, sagte Neelie zum Schlusse; »ich will an unsere Heirat selbst nicht einmal denken, bis ich nicht in Bezug auf das Gesetz beruhigt bin.«

»Aber ich weiß von dem Gesetz nichts, nicht einmal so viel wie Du«, entgegnete Allan. »Zum Kukuk! Ich mache mir nichts daraus, ob mir der Kopf geschoren wird. Laß es uns riskieren.«

»Riskieren?« wiederholte Neelie entrüstet. »Nimmst Du keine Rücksicht auf mich? Ich wills nicht riskieren! Wer den Willen hat, findet schon den Weg. Wir müssen uns selbst über das Gesetz unterrichten.«

»Mit dem größten Vergnügen, aber wie?«

»Aus Büchern natürlich! In Deiner ungeheuren Bibliothek im Herrnhause muß sich eine Masse von Auskunft darüber finden. Wenn Du mich wirklich liebst, wird es Dir nicht darauf ankommen, die Rücken von einigen tausend Büchern anzusehen.«

»Zehntausend Bücherrücken will ich ansehen!« rief Allan mit Wärme. »Willst Du mir wohl sagen, wonach ich suchen soll?«

»Nach Rechtswissenschaft versteht sich! Wenn auf dem Rücken Rechtswissenschaft steht, so mache das Buch auf und suche darin nach den Ehegesetzen, lies jedes Wort darüber und dann komme her und setze mir’s auseinander. Wie? Du meinst, in einer so einfachen Sache könne man sich nicht auf Deinen Kopf verlassen?«

»Ich bin davon überzeugt«, sagte Allan. »Kannst Du mir nicht helfen?«

»Natürlich kann ich das, wenn Du nicht ohne mich fertig werden kannst! Die Rechtswissenschaft mag schwer zu begreifen sein, aber schwerer als die Musik kann sie nicht sein, und ich muß und will mich darüber beruhigen. Bringe mir Montag früh alle die Bücher, die Du findest, in einem Schubkarrem wenn die Menge zu groß ist und Du sie nicht anders herschaffen kannst.«

Das Ergebniß dieser Unterhaltung war, daß Allan an dem unheilvollen Montagmorgen, an dem Miß Gwilt’s schriftliche Einwilligung zu ihrer Verlobung mit Midwinter in dessen Hände gegeben ward, mit einem großen Bande von Blackstone’s Commentarien unter dem Arme im Park erschien. Hier, wie immer im Leben, wurden die grell einander entgegengesetzten Elemente des Lächerlichen und des Fürchterlichen durch das feine Gesetz des Contrastes an einander gedrängt, das eins der Gesetze des irdischen Lebens bildet. Von Verwickelungen immer dichter umringt, während der Schatten des Mordes von dem Winkel aus, wo Miß Gwilt lauerte, schon an einen der Beiden heran glitt, setzte sich das Paar ahnungslos mit dem Buche nieder und beschäftigte sich; eifrig mit dem Studium der Ehegesetze und zwar mit einer ernsten Entschlossenheit, sie zu begreifen, wie sie bei zwei solchen Studirenden an sich schon eine Posse war.

»Suche die Stelle«, sagte Neelie, sobald sie sich bequem niedergelassen hatten. »Wir müssen uns in die Aufgabe theilen. Du sollst lesen, und ich will Notizen machen.«

Damit zog sie ein zierliches kleines Taschenbuch nebst Bleistift hervor und öffnete dasselbe in der Mitte, wo sieh rechts und links ein unbeschriebenes Blatt befand. Rechts oben schrieb sie das Wort »Gut« nieder und links das Wort »Schlecht«. »Gut bedeutet soviel, als daß wir das Gesetz für uns haben«, erklärte sie, »und Schlecht, wo dasselbe gegen uns ist. Wir wollen die beiden ganzen Seiten hinunter Gut und Schlecht einander gegenüberstellen und dann beide zusammenaddieren und nach dem Facit handeln. Es heißt immer, wir Mädchen hätten keinen Kopf für Geschäfte. Nicht so? Sieh mich nicht an, sieh Blackstone an und geh ans Werk.«

»Würde es Dir vie? Ausmachen, mir zuerst einen Kuß zu geben?« fragte Allan.

»Ganz außerordentlich viel würde mir’s ausmachen. Es überrascht mich, wie Du in unserer bedenklichen Lage, wo wir beide unsern Verstand aufs äußerste werden anstrengen müssen, nur so etwas verlangen kannst!«

»Deshalb eben bitte ich darum«, sagte der schamlose Allan. »Mir scheint, daß dies mich erleuchten würde.«

»O wenn es Dich erleuchtet, so ist is ein Anderes! Natürlich muß ich Dich erleuchten, wie groß auch das Opfer ist. Aber nur einen«, flüsterte sie kokett, »und bitte, gib auf Blackstone Acht, oder Du wirst die Stelle verblättern.«

Eine Pause in der Unterhaltung trat ein. Blackstone sowohl als das Taschenbuch fielen auf die Erde.«

»Wenn das noch einmal passiert«, sagte Neelie, indem sie mit erhöhter Farbe und glänzenden Augen das Taschenbuch aufhob, »so werde ich Dir für den Rest des Morgens den Rücken zukehren. Wirst Du jetzt anfangen?«

Zum zweiten Male suchte Allan die Stelle und stürzte sich kopfüber in den bodenlosen Abgrund der englischen Rechtsgelehrsamkeit.

»Seite zweihundertundachtzig«, begann er. »Gesetze bezüglich der Eheleute.« Hier ist gleich etwas, das ich nicht verstehe: »Im Allgemeinen muß bemerkt werden, daß das Gesetz die Ehen als einen Contract betrachtet.« Was soll das heißen? Ich glaubte, ein Contract sei eine Art von Schrift, die ein Baumeister unterzeichnet, wenn er die Arbeitsleute zu einer bestimmten Zeit aus dem Hause zu schaffen verspricht, die aber, wenn die Zeit kommt, wie meine liebe Mutter zu sagen pflegte, niemals gehen.«

»Ist nichts von Liebe darin?« fragte Neelie. »Sieh etwas weiter unten nach.«

»Kein Wort. Er bleibt fortwährend bei seinem verdammten Contract.«

»Dann ist er ein Ungeheuer! Geh zu etwas Anderem über, das mehr auf uns anwendbar ist.«

»Da ist etwas, das mehr für uns paßt: »Wenn Leute unter gesetzlichen Hindernissen zusammenkommen, so ist dies eine unrechtmäßige nicht eine eheliche Verbindung. Das erste dieser gesetzlichen Hindernisse ist eine frühere Heirath, aus der entweder ein Gatte oder eine Gattin am Leben ist.«

»Halt« sagte Neelie. »Das muß ich mir notieren.« Dann trug sie mit großem Ernst folgende Bemerkung unter der Rubrik Gut ein: »Ich habe keinen Gatten und Allan hat keine Gattin. Wir sind beide gegenwärtig völlig unverheirathet.«

»Soweit ganz richtig«, bemerkte Allan, über ihre Schulter blickend.

»Fahre fort«, sagte Neelie. »Was kommt weiter?«

»Das nächste Hindernis, fuhr Allan fort, »ist fehlendes Alter. Das zur Ehe erforderliche Alter ist für männliche Personen vierzehn und für weibliche Personen zwölf Jahre? Komm!« rief er vergnügt, »Blackstone fängt jedenfalls früh genug an!«

Neelie war zu geschäftsmäßig um ihrerseits andere Bemerkungen zu machen, als die, welche sie in ihr Taschenbuch eintrug. Sie schrieb unter die Rubrik Gut: »Ich bin alt genug, um meine Einwilligung zu geben, und Allan ebenfalls.« »Fahre fort«, sagte sie dann, dem Vorleser über die Schulter blickend. »All dies Gefasele über Jahre der Vernunft beim Gatten und das Alter der Gattin unter zwölf kannst Du überschlagen. Abscheuliches Geschöpf! Eine Frau unter zwölf! Geh zum nächsten Hinderniß über, wenn er von einem solchen spricht.«

»Das dritte Hinderniß«, fuhr Allan fort, ist Mangel an Verstand.«

Neelie trug augenblicklich unter Gut die Bemerkung ein: »Allan und ich sind beide vollkommen vernünftig.«

»Wende um.«

Allan wendete um. »Ein viertes Hinderniß besteht in zu naher Verwandtschaft.«

Unverzüglich folgte eine vierte Bemerkung auf der rechten Seite des Taschenbuchs: »Er liebt mich und ich liebe ihn, ohne daß wir im allergeringsten mit einander verwandt sind.« »Sonst noch etwas?« fragte Neelie, sich ungeduldig mit dem Bleistift ans Kinn klopfend.

»Noch eine Menge«, erwiderte Allan; »Alles in Hieroglyphen. Sieh her! »Ehegesetze 4 Geo. 1V. C. 76 und 6 und 7 Will. IV. C. 85 (q).« Blackstone scheint hier den Verstand zu verlieren. Wenden wir nochmals um und sehen nach, ob er ihn auf der nächsten Seite wiederfindet?«

»Warte einen Augenblick«, sagte Neelie »Was ist das, was ich da in der Mitte sehe?« Sie las einen Augenblick schweigend, indem sie über Allan’s Schulter ins Buch sah, und faltete plötzlich verzweifelnd die Hände. »Ich wußte, daß ich Recht hattet« rief sie aus. »O Himmel, hier ist es!«

»Wo?« fragte Allan »Ich sehe nichts vom Verschmachten im Kerker oder kahl geschorenem Kopfe, falls es nicht in den Hieroglyphen ausgedrückt ist. Ist »4 Gseo. IV.« etwa eine Abkürzung für: »Man sperre ihn ein?« oder sollte »C. 85 (q)« vielleicht bedeuten: »Man lasse den Haarschneider kommen?«

»Ich bitte Dich, sei ernst«, sagte Neelie dringend. »Wir sitzen beide über einem Krater. Hier!« sagte sie, auf die Stelle deutend. »Lies dies! Kann Dir irgend etwas eine klare Vorstellung von unserer Lage geben, so wird es das hier thun.«

Allan räusperte sich und Neelie setzte die Spitze ihres Bleistifts auf der fatalen, mit Schlecht überschriebenen Seite ihres Taschenbuchs zum Schreiben an.

»Und da die Weisheit unserer Gesetzgebung begann Allan, »die Heirath zwischen Personen unter einundzwanzig Jahren und ohne Einwilligung ihrer Aeltern oder Vormünder zu verhindern sucht« (Hier trug Neelie ihre erste Notiz unter Schlecht ein: »Ich werde an meinem nächsten Geburtstage erst siebzehn und bin durch die Umstände daran verhindert, dem Papa meine Zuneigung anzuvertrauen«) —— »so ist bestimmt worden, daß im Falle öffentlichen Aufgebots von Personen unter einundzwanzig, die nicht Wittwe oder Wittwer sind, welch letztere als emancipirt anzusehen« —— (Neelie trug eine zweite Notiz auf der ungünstigen Seite ein: »Allan ist kein Wittwer und ich bin keine Wittwe, folglich sind wir nicht emancipirt«) —— »wenn die Aeltern oder Vormünder zur Zeit des Aufgebots öffentlich ihr Verbot zu erkennen geben« —— (»was der Papa ganz sicherlich thun würde«) —— »ein solches Aufgebot ungültig sein soll.« Ich will hier einmal Athem schöpfen, wenn Du mir’s gütigst erlauben willst«, sagte Allan »Blackstone könnte sich wenigstens in kürzeren Sätzen expliciren, dünkt mich, selbst wenn er sich nicht zu weniger Worten entschließen kann. Muth gefaßt, Neelie! Es muß noch andere Mittel und Wege zum Heirathen geben als diese außerordentlich weitläufigen, die in Aufgebot und Ungültigkeit enden. Verwünschtes Kauderwelsch!l Ich könnte besser schreiben als das da.«

»Wir sind noch nicht am Ende«, sagte Neelie. »Die Ungültigkeit ist gar nichts im Vergleich zu dem, was noch kommt.«

»Was es auch sei«, entgegnete Allan, »wir wollen es wie Medicin behandeln, auf der Stelle hinunterschlucken, damit es überstanden ist.« Dann fuhr er zu lesen fort: »Und es soll zum Heirathen ohne Aufgebot kein Erlaubnißschein bewilligt werden, ohne daß eins der Betheiligten vorher eidlich versichert, daß kein Hindernis; in Gestalt von Blutsverwandtschaft oder früheren Bündnisses im Wege ist.« Nun, das kann ich mit gutem Gewissen beschwören! Was sonst noch? »Und eins der besagten Betheiligten muß unmittelbar vor der Bewilligung eines solchen Erlaubnißscheins für den Zeitraum von vierzehn Tagen in dem Kirchspiele oder Kapellbezirke, in dem die Ehe geschlossen werden soll, seinen Wohnsitz gehabt haben!« Kapellbezirk! Mit dem größten Vergnügen will ich vierzehn Tage in einem Hundestalle wohnen. Höre mal, Neelie, dies scheint mir Alles ganz einfach. Worüber schüttelst Du den Kopf? Ich soll weiter lesen und werde dann sehen? O, mir ist’s recht; ich will weiter lesen. Also: »Und wenn eins der besagten Betheiligten, das weder Wittwer noch Wittwe, unter einundzwanzig Jahren ist, so muß zuvor ein Eid abgelegt werden, daß die Einwilligung derjenigen Personen, von denen dieselbe erforderlich, erlangt oder daß keine Person vorhanden ist, welche eine solche Autorität besitzt. Die durch diese Acte bedingte Einwilligung ist die eines Vaters —— « Bei diesen fürchterlichen Worten stockte Allan plötzlich »Die eines Vaters«, wiederholte er mit dem nothwendigen Ernste in Miene und Wesen. »Das könnte ich kaum beschwören, wie?«

Neelie antwortete durch ein bedeutungsvolles Schweigen. Sie reichte ihm das Taschenbuch, in dem sich zum Schlusse auf der Seite Schlecht die Notiz: »Unsere Heirath ist unmöglich, ohne daß Allan einen Meineid schwört«, eingetragen fand.

Die Liebenden sahen sich über das unübersteigliche Hinderniß in der Gestalt von Blackstone in sprachloser Bestürzung an.

»Mache das Buch zu«, sagte Neelie mit Ergebung. »Ich bezweifle nicht, daß wir im Umschlagen die Polizei und das Gefängniß und das Kopfscheeren Alles richtig angegeben finden würden. Aber wir brauchen uns nicht weiter zu bemühen, wir wissen bereits mehr als genug. Es ist um uns geschehen. Ich muß am Sonnabend nach der Pension abreisen und Du mußt, so gut Du kannst, mich zu vergessen suchen. Im späteren Leben mögen wir uns vielleicht einmal wiedersehen, wenn Du etwa ein Wittwer und ich eine Wittwe und wir damit beide emancipirt sind, und wenn das uns nicht im geringsten mehr nützen kann. Bis dahin werde ich ohne Zweifel alt und häßlich sein und Du wirst natürlich mich nicht mehr lieben, und Alles wird im Grabe enden, und zwar je eher, je lieber. Lebe Wohl«, schloß Neelie, indem sie sich mit thränenvollen Augen erhob. »Wir verlängern unser Elend nur, wenn wir hier verweilen, außer —— außer Du hättest noch etwas in Vorschlag zu bringen?«

»Ich habe in der That etwas in Vorschlag zu bringen«, rief der unbesonnene Allan. »Ein ganz neuer Einfall. Hättest Du etwas dagegen, es mit dem Schmied zu Gretna-Green zu versuchen?«

»Nichts in der Welt könnte mich dazu bewegen, mich von einem Schmied verheirathen zu lassen«, entgegnete Neelie mit Entrüstung.

»Fühle Dich deshalb nicht beleidigt«, flehte Allan; »ich meinte es gut. Eine Menge von Leuten in unserer Lage haben es mit dem» Schmied versucht und ihn ebenso gut wie den Geistlichen und obendrein höchst liebenswürdig gefunden. Doch es hilft nichts, wir müssen noch etwas Anderes versuchen.«

»Es bleibt uns nichts Anderes mehr übrig«, sagte Neelie.

»Verlaß Dich auf mein Wort«, sagte Allan unverdrossen, »daß es noch Mittel und Wege geben muß, Blackstone ohne Meineid zu überlisten, wenn man sie nur wüßte. Es ist dies eine Sache, die in die Jurisprudenz schlägt, und wir müssen Jemand von Fach consultiren. Vielleicht ist es riskant, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Was meinst Du zum jungen Pedgift? Er ist ein grundguter Kerl. Ich bin überzeugt, daß wir dem jungen Pedgift unser Geheimniß anvertrauen dürften.«

»Nicht um die Welt!« rief Neelie aus. »Du bist vielleicht bereit, dem gewöhnlichen kleinen Geschöpf Deine Geheimnisse anzuvertrauen, aber die meinigen soll er nicht erfahren. Ich hasse ihn. Nein!« fuhr sie mit erhöhter Farbe und einem gebieterischen leisen Fußstampfen fort. »Ich Unterlage Dir entschieden, irgend Jemand von Thorpe-Ambrose in Dein Vertrauen zu ziehen. Ihr Verdacht würde augenblicklich auf mich fallen und die Geschichte dann in fünf Minuten im ganzen Orte bekannt sein. Meine Zuneigung mag eine unglückliche sein«, schloß Neelie mit dem Taschentuch vor den Augen, »und der Papa mag sie in der Blüte ersticken, aber ich will sie nicht durch Stadtklatsch entweiht sehen«

»Still! Still!« sagte Allan. »Ich will in Thorpe-Ambrose kein Wort davon verrathen, gewiß nicht!« Er schwieg und überlegte einen Augenblick. »Noch gibt es ein Mittel!« rief er plötzlich aus. »Wir haben die ganze Woche vor uns. Ich will Dir sagen, was ich thun will. Ich will nach London reisen!«

In dem Gebüsch hinter ihnen, in dem Miß Gwilt versteckt war, raschelte es plötzlich, was jedoch beide nicht hörten. Es schien, als ob abermals eine der Schwierigkeiten, die ihr im Wege lagen, die Schwierigkeit, Allan nach London zu bringen, durch Allan’s freiwilligen Entschluß aus dem Wege geräumt werden solle.

»Nach London?« wiederholte Neelie, indem sie erstaunt aufblickte.

»Nach London!« sagte Man. »Das ist doch sicherlich von Thorpe-Ambrose weit genug entfernt? Warte einen Augenblick und bedenke, daß es eine Rechtsfrage ist. Ganz gut! Ich kenne gewisse Advocaten in London, die meine ganzen Geschäfte leiteten, als ich dieses Vermögen erbte; sie sind die rechten Leute. Und wenn sie sich weigern, sich in die Sache einzulassen, so ist noch ihr erster Expedient da, einer der besten Kerle, die ich im ganzen Leben kennen gelernt habe. Ich erinnere mich, daß ich ihn zu einer Fahrt in meiner Yacht einlud, und obgleich er nicht kommen konnte, sagte er doch, daß er sich nichtsdestoweniger mir äußerst verbunden fühle. Er ist der Mann, der uns helfen kann. Blackstone ist ein Kind gegen ihn; Sage nicht, es sei lächerlich, sage nicht, dies sehe mir ganz ähnlich. Ich bitte Dich, laß mich zu Ende reden. Ich will Deinen Namen oder den Deines Vaters nicht aussprechen. Ich will Dich eine junge Dame, der ich innigst zugethan sei, nennen. Und wenn mein Freund, der Expedient, fragt, wo Du wohnst, so will ich sagen: im Norden von Schottland oder im Westen von Irland oder auf den Kanalinseln oder wo Du sonst willst. Mein Freund, der Expedient, kennt weder Thorpe-Ambrose noch irgend eine Seele in dem Orte, und das ist eine Empfehlung; und er wird mir in fünf Minuten sagen, was ich thun soll, und das ist die zweite. Wenn Du ihn nur kenntest! Er ist einer von jenen außerordentlichen Männern, wie sie nur ein oder zweimal in einem Jahrhundert vorkommen, der Schlag von einem Manne, der einen kein Versehen machen läßt, wie sehr man auch darauf versessen ist. Alles, was ich ihm zu sagen habe, ist kurz: »Mein lieber Junge, ich wünsche mich heimlich und ohne Meineid zu verheirathen.« Alles, was er mir zu sagen hat, ist kurz: »Sie müssen dies und das und das und dies thun und sich sorgfältig vor diesem und jenem hüten.« Ich brauche gar nichts weiter zu thun, als seinen Weisungen zu folgen, und Du hast nichts weiter zu thun als das, was die Braut gewöhnlich thut, wenn »der Bräutigam bereit ist und ihrer harrt!« Bei diesen Worten Umfaßte er Neelie sanft mit dem Arme und seine Lippen zogen mit jener stummen Beredtsamkeit, die stets so erfolgreich ist, die Frauen gegen ihren Willen zu überreden, die Moral seiner legten Rede.

Neelie’s zahlreiche vorher bedachte Einwendungen schmolzen alle zu einer einzigen kleinen Frage zusammen. »Und wenn ich Dich gehen ließe, Allan«, flüsterte sie, indem sie zitternd mit dem Knopfe an seinem Hemde spielte, »wirst Du lange wegbleiben?«

»Ich will heute mit dem Elf-Uhr-Zuge fahren«, sagte Allan, »und morgen will ich wieder hier sein, wenn mein Freund, der Expedient, und ich die Sache an einem Tage abmachen können. Wo nicht, so bin ich spätestens am Mittwoch zurück.«

»Du wirst doch jeden Tag an mich schreiben?« flehte Neelie, sich ein wenig näher an ihn schmiegend. »Ich werde vor Angst und Erwartung vergehen, wenn Du mir nicht jeden Tag schreibst.«

Allan versprach, wenn sie es wünsche, zweimal des Tags zu schreiben. Das Briefschreiben, das Andern so lästig sei, mache ihm keine Mühe.

»Und was die Leute in London Dir auch sagen mögen«, fuhr Neelie fort, »ich bestehe darauf, daß Du zu mir zurückkommst. Ich werde entschieden nicht mit Dir durchgehen, wenn Du mich nicht abzuholen versprichst.«

Abermals versprach Allan bei seinem heiligsten Ehrenworte und im vollsten Tone seiner Stimme. Aber Neelie war noch immer nicht zufrieden gestellt. Sie kehrte zum ersten Anfange zurück und wollte durchaus wissen, ob Allan sich vollkommen klar darüber sei, daß er sie liebe. Allan rief den Himmel zum Zeugen an, daß er sich darüber klar sei. Es nützte Alles nichts! Das unersättliche weibliche Verlangen nach zärtlichen Betheuerungen lechzte nach mehr. »Ich weiß, was eines Tages passieren wird«, fuhr Neelie fort. »Du wirst ein Mädchen sehen, das hübscher ist als ich, und wirst wünschen, daß Du sie statt meiner geheirathet hättest!«

Als Allan schließlich zu einem Strome von Betheuerungen die Lippen öffnete, ließ sich aus der Ferne das Schlagen der Stalluhr im Herrnhause hören. Neelie schrak schuldbewußt zusammen. Die Frühstücksstunde im Parkhäuschen war herangerückt und deshalb der Augenblick des Scheidens gekommen. Im letzten Augenblicke wandte ihr Herz sich ihrem Vater zu und ihr Haupt sank an Allans Brust, als sie diesem Lebewohl zu sagen versuchte. »Der Papa ist stets so gut gegen mich gewesen, Allan«, flüsterte sie, ihn zitternd festhaltend, als er sich abwandte, um sie zu verlassen. »Es scheint so garstig und herzlos«, ihn zu verlassen und mich heimlich zu verheirathen. O bitte, bitte, überlege wohl, ehe Du nach London fährst; gibt es gar kein Mittel, ihn ein wenig gerechter und gütiger gegen Dich zu stimmen?« Es war eine nutzlose Frage; Neelie gedachte der entschieden ungünstigen Aufnahme, die Allan’s Brief bei ihrem Vater gefunden, und diese Erinnerung antwortete ihr, ehe sie selbst noch die Lippen öffnete. Sie schob Allan, ehe er noch sprechen konnte, mit mädchenhafter Leidenschaftlichkeit von sich und hieß ihn ungeduldig gehen. Der Kampf der streitenden Gefühle, den sie bisher bemeistert hatte, machte sich, sowie Allan zum letzten Male die Hand zum Gruße geschwenkt und im Gebüsche verschwunden war, wider ihren Willen Luft. Als sie sich ihrerseits von der Stelle abwandte, strömten die lange verhaltenen Thränen unaufhaltsam über ihre Wangen.

Alsbald, nachdem sie den Platz verlassen, öffneten sich hinter ihr die Zweige und Miß Gwilt trat leise aus dem Gebüsch hervor. Sie stand triumphierend da, hoch aufgerichtet, schön, entschlossen. Ihr Gesicht erglühte, als sie Neelie’s entschwindender Gestalt nachblickte.

»Weine nur, Du kleine Närrin!« sagte sie mit ihrer ruhigen klaren Stimme und ihrem verachtungsvollen Lächeln »Weine, wie Du noch nie geweint hast! Du hast Deinen Geliebten zum letzten Mal gesehen.«


Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte