Zwei Schicksalswege

Achtundzwanzigstes Kapitel

Liebe und Geld

Frau van Brandt, die die augenblickliche Verlegenheit sehr bitter empfand, sprach zuerst:

»Sie haben mir nichts über sich selbst gesagt«, begann sie. »Hat sich Ihr Leben seit unserem ersten Begegnen glücklicher gestaltet?«

»Wenn ich ehrlich sein will, kann ich das nicht sagen,« antwortete ich.

»Haben Sie irgendeine Aussicht sich zu verheiraten?«

»Die Möglichkeit einer solchen Aussicht steht nur bei Ihnen.«

»Sagen Sie es nicht!« sprach sie mit einem flehenden Blick. »Verkürzen Sie mir die Freude Sie zu sehen nicht dadurch, dass Sie über Unmöglichkeiten sprechen. Soll ich Ihnen sagen, wie es gekommen ist, dass Sie mich mit meinem Kinde hier in diesem Elende finden?«

Ich zwang mich lieber van Brandts Namen zu nennen, als ihn von ihren Lippen zu vernehmen.

»Man hat mir gesagt, dass Herr van Brandt sich im Schuldgefängnis befindet,« sagte ich. »Und dass er Sie hilflos zurückgelassen, davon habe ich mich in der vorigen Nacht selbst überzeugt.«

»Er ließ mir das wenige Geld, das er bei seiner Verhaftung besaß, zurück,« versetzte sie traurig. »Seine grausamen Gläubiger sind mehr zu tadeln als er es um der Armut willen ist, die uns befallen hat.« Selbst dass sie van Brandt durch diese Worte negativ verteidigte, verletzte mich tief.

»Ich hätte Ihnen rücksichtsvoller von ihm sprechen sollen,« sagte ich bitter. »Ich hätte bedenken sollen, dass eine Frau dem Manne, den sie liebt, jedes Unheil verzeiht, das er über sie bringt.«

Sie hielt mir ihre Hände vor den Mund und gebot mir so Schweigen, ehe ich fortfahren konnte.

»Wie können Sie in so grausamer Weise zu mir sprechen?« fragte sie. »Sie wissen, da ich es Ihnen zu meiner Schande bei unserem letzten Beisammensein selbst gestand, dass mein ganzes Herz Ihnen im Geheimen gehört. Von welchem »Unheil« reden Sie? Meinen Sie das Unheil, das van Brandt über mich brachte, als er mich heiratete, während sein rechtmäßiges Weib lebte und noch lebt? Glauben Sie, dass ich das furchtbarste Missgeschick meines Lebens je verschmerzen kann, das Missgeschick, Ihrer unwert zu sein? Obgleich ich, Gott weiß es, schuldlos daran bin, so ist die Tatsache immer nicht wegzuleugnen, dass ich nicht verheiratet bin, und dass dennoch mein kleiner Liebling, der dort draußen mit einer Puppe spielt, mein Kind ist. Und mit diesem Bewusstsein wollen Sie davon sprechen, Ihr Weib zu werden!«

»Das Kind nimmt mich als seinen zweiten Vater an,« sagte ich. »Wenn Sie ebenso wenig Stolz hätten als Ihr Kind, wäre es für uns beide besser.«

»Stolz?« wiederholte sie. »In meiner Lage Stolz? Ein hilfloses Weib, deren angeblicher Gatte im Schuldgefängnis sitzt? Wenn Sie mir sagen, dass ich noch nicht tief genug gesunken bin, um zu vergessen, was ich Ihnen schuldig bin, so würde das Kompliment, das Sie mir machen wollen, etwas mehr Anschein von Wahrheit haben. Soll ich Sie heiraten um ein Obdach und Nahrung zu haben? Soll ich Sie heiraten, weil mich kein gesetzliches Band an den Vater meines Kindes knüpft? Dieses Anrecht an mich bleibt ihm doch, wie grausam er auch gegen mich gehandelt haben mag. Er hat mich trotz seiner Schlechtigkeit doch nicht verlassen, sondern man hat ihn hinweggerissen. Ist es möglich, dass Sie, der Sie mein einziger Freund sind, mich für so undankbar halten, dass ich einwilligen könnte Ihr Weib zu werden? Ein Weib in meiner Lage müsste kein Herz haben, wenn sie im Stande wäre Ihre geachtete Stellung in der Welt und die Liebe Ihrer Freunde so zu zerstören! Die gesunkenste Bettlerin auf der Straße würde davor zurückschrecken, Ihnen das anzutun. Ach, was denken die Männer? Wie ist es Ihnen möglich davon zu mir zu sprechen!«

Ich gab ihr nach und sprach nicht mehr darüber. Jedes ihrer Worte steigerte meine Bewunderung für die Frau, die ich geliebt und verloren hatte. Welch ein Ausweg blieb mir nun noch übrig? Nur der einzige, dass ich ihr anbot mich selbst für sie zu opfern. So bitter ich den Mann auch hasste, der sich zwischen uns gestellt hatte, so war doch meine Liebe zu ihr so groß, dass ich mich stark genug fühlte ihm, um ihretwillen, zu helfen. Es war eine hoffnungslose Täuschung! Ja, ich leugne es weder, noch will ich es entschuldigen, es war eine hoffnungslose Täuschung!

»Sie haben mir vergeben,« sagte ich, »so gestatten Sie mir auch, mich Ihrer Verzeihung wert zu machen. Ihr einziger Freund zu sein ist auch ein Glück, sagen Sie mir denn rückhaltlos, welches sind Ihre Zukunftspläne und wie kann ich Ihnen helfen.«

»Vollenden Sie das gute Werk, das Sie begonnen haben,« erwiderte sie dankerfüllt. »Helfen Sie mir, dass ich meine Gesundheit wieder erlange. Stellen Sie mich insoweit her, dass ein Arzt, dessen Beurteilung ich mich unterziehe, mich für fähig halten kann, noch einige Jahre zu leben.«

»Eines Arztes Urteil über Ihre Lebensfähigkeit?« wiederholte ich. »Wie soll ich das verstehn?«

»Wie soll ich Ihnen das erklären, ohne wieder von Herrn van Brandt zu sprechen?«

»Meinen Sie damit, dass Sie mir von seinen Schulden sprechen wollen?« fragte ich. »Warum zögern Sie dann? Sie wissen, dass ich alles tun will, um Sie von Ihren Sorgen zu befreien.«

Sie blickte mich einen Augenblick lang in stummer Verzweiflung an.

»Ach! Glauben Sie, dass ich es zulassen würde, dass van Brandt Geld von Ihnen annähme?« fragte sie, sobald sie zu sprechen vermochte. »Wie könnte ich das wollen, die ich Ihnen Alles verdanke. Nein, niemals! Ich will Ihnen die volle Wahrheit sagen. Es ist dringend wünschenswert, dass er aus dem Gefängnis entlassen wird. Er muss also seine Gläubiger befriedigen und hat auch einen Weg ersonnen, wie ihm das mit meiner Hilfe möglich ist.«

»Mit Ihrer Hilfe!« rief ich aus.

»Ja! In wenigen Worten ist also das seine Lage. Er erhielt kürzlich ein glänzendes Anerbieten von einem reichen Verwandten für eine Anstellung nach außerhalb. Unglücklicherweise kehrte er hierher zurück, um mir von seinem Glücke Kunde zu bringen und wurde an demselben Tage wegen Schulden verhaftet. Sein Verwandter erbot sich die Stelle während einiger Zeit offen zu lassen und der Zeitraum, den er bestimmte, ist noch nicht abgelaufen. Wenn er seinen Gläubigern einen Teil der Schuld bezahlen kann, so wollen sie ihn freilassen und hofft er das Geld dadurch zu erlangen, dass ich darin willige mich in eine Lebensversicherung einzukaufen.«

Also ihr Leben zu versichern! Aus diesen wenigen Worten ging deutlich genug hervor, welche Falle ihr gestellt war!

In den Augen des Gesetzes war sie ja eine einzeln stehende Frau, sie war mündig und allem Anscheine nach ganz ihre eigene Herrin. Was stand im Wege, dass sie ihr Leben versicherte, wenn sie es wollte und da die Versicherung in der Weise ausgefertigt wurde, dass van Brandt ein entschiedenes Interesse daran haben musste, dass sie starb? Nach Allem, was ich über ihn wusste und da ich ihn jeder Rohheit fähig hielt, zitterte ich bei dem bloßen Gedanken, was geschehen wäre, wenn es mir erst in einer späteren Zeit gelang, sie wieder aufzufinden. Glücklicherweise lag der einzig sichere Weg sie zu schützen durch die günstige Lage, in der ich mich befand, vollkommen in meinem Bereich. Ich konnte mich erbieten dem Schurken nach einer Stunde das Geld zu geben, dessen er bedurfte - und er war ganz der Mann, der meinen Vorschlag mit derselben Leichtigkeit annahm, mit der ich ihn machte.

»Ihnen scheint unser Plan nicht zu gefallen,« sagte sie, als sie mit sichtlicher Verlegenheit wahrnahm, welchen Eindruck ihre Worte auf mich gemacht hatten. »Ich habe Sie, wie es scheint, unglücklicherweise zum zweiten Male verletzt und erregt, ohne es zu wollen.«

»Sie irren sich,« erwiderte ich. »Ich bezweifle nur, dass der Plan, durch dessen Ausführung Sie Herrn van Brandt aus seinen Verlegenheiten zu ziehen hoffen, ganz so einfach ist, wie Sie es voraussehen. Sind Sie sich auch klar, dass es sich möglicherweise lange hinzögern kann, ehe es Ihnen gelingt, aus Ihrer Lebensversicherung Geld geliehen zu bekommen?«

»Ich verstehe nichts davon,« sagte sie traurig.

»Gestatten Sie, dass ich den Rat meiner Anwälte einhole? Sie sind zuverlässige und erfahrene Männer und können Ihnen sicher von Nutzen sein.«

So vorsichtig ich mich auch ausgedrückt hatte, ihr Zartgefühl ließ sie doch Verdacht schöpfen.

»Wenn Sie mir versprechen, dass Sie mir nie anbieten wollen, von Ihnen Geld für Herrn van Brandt zu leihen,« erwiderte sie, »so will ich Ihre Hilfe dankbar annehmen.«

Das konnte ich aufrichtig versprechen. Meine einzige Hoffnung sie zu retten, lag darin, dass ich sie ganz in Unwissenheit über den Weg ließ, den ich jetzt einzuschlagen gedachte. I erhob mich um zu gehen, da mein Entschluss mir neue Kräfte gab. Ich machte sie darauf aufmerksam, dass, je eher ich meine Erkundigungen einzöge, es uns um so eher gelingen würde unsere Zweifel und Schwierigkeiten zu lösen.

Sie erhob sich mir mit tränenfeuchten Augen und geröteten Wangen.

»Küssen Sie mich ehe Sie gehen!« flüsterte sie, »und seien Sie meiner Tränen wegen unbesorgt. Nun bin ich wieder ganz glücklich. Ihre Güte überwältigte mich nur.«

Ich drückte sie mit der unbewussten Zärtlichkeit einer letzten Umarmung an mein Herz. Unmöglich konnte ich mich über die Stellung, in die ich mich nun selbst gebracht hatte, täuschen, ich hatte, so zu sagen, meinen eigenen Bannspruch gefällt. Wenn mein unwürdiger Nebenbuhler durch meine Vermittlung die Freiheit wieder erlangt hatte, konnte ich mich denn der erniedrigenden Notwendigkeit fügen sie in seiner Gegenwart zu sehen, unter seinen Augen zu ihr zu sprechen? Diese Art der Selbstaufopferung wäre unter meiner Würde gewesen, dessen war ich mir bewusst. »Zum letzten Male!« dachte ich, als ich sie noch einen Augenblick in meinen Armen hielt - »zum letzten Male!«

Das Kind lief mir mit offenen Armen entgegen, als ich auf den Flur hinaustrat. Meine Manneskraft hatte mich bei dem Abschiede von der Mutter aufrecht erhalten, aber als des Kindes volles, unschuldiges Gesichtchen sich zärtlich an das meine schmiegte, brach ich zusammen. Mir versagten die Worte - ich setzte sie still zur Erde nieder und wartete unten an der Treppe, bis ich fähig war, in die Welt hinauszutreten.


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