Namenlos



III.

Miss Garth an George Bartram.

Westmorland-House, den 16. April.

Lieber Mr. Bartram!

Sie hatten ganz Recht, wenn Sie vermutheten, daß Ihr Brief mich betrüben würde. Wenn Sie zugleich vermuthet hätten, daß derselbe mich zugleich unwillig machen würde, so würden Sie ebenfalls das Richtige getroffen haben. Ich habe keine Geduld mit dem Stolze und der Verkehrtheit der jungen Frauenzimmer von heutzutage.

Ich habe Nachricht von Nora Es ist ein langer Brief, welcher die Einzelheiten ganz ausführlich darstellt. Ich will nun das ganze Vertrauen auf Ihre Ehre und Verschwiegenheit setzen, welches ich in der That für Sie in mir trage. Um Ihretwillen und um Noras willen will ich Sie wissen lassen, welches der Gewissenszweifel ist, der schuld daran ist, daß Dieselbe in ihrem Stolze und Wahne Sie verschmäht. Ich bin alt genug, um mich aussprechen zu können, und das kann ich Ihnen sagen, wäre sie nur gescheidt genug gewesen, sich bloß von ihren eigenen Wünschen leiten zu lassen, so würde sie gar zu gern Ja gesagt haben.

Die eigentliche Ursache von all dem Unheil ist niemand Geringeres, denn Ihr würdiger Oheim —— Admiral Bartram.

Es scheint, daß der Admiral sich in den Kopf gesetzt hatte —— vermuthlich in Ihrer Abwesenheit von St. Crux —— sich selber nach London aufzumachen und seiner eigenen Neugierde betreffs Noras nachzugehen, indem er unter dem Vorwande, seine alte Freundschaft mit den Tyrrels zu erneuern, auf Portlandsplatz einen Besuch machte. Er kam zur Zeit des zweiten Frühstücks und sah Nora Nach Allem, was ich höre, erhielt er ersichtlich von ihr einen bessern Eindruck, als er erwartete oder wohl gar wünschte, als er in das Haus kam.

Soweit ist dies bloße Vermuthung, aber es ist unglücklicherweise ganz ausgemacht, daß er und Mrs. Tyrrel nach dem Frühstück eine Unterredung unter vier Augen miteinander hatten. Ihr Name wurde nicht genannt, aber als die Rede auf Nora kam, dachten natürlich Beide an Sie. Der Admiral, der ihr selbst volle Gerechtigkeit widerfahren ließ, erklärte sich von Mitleid ergriffen über ihr hartes Lebensloos. Der ärgerliche Wandel ihrer Schwester dürfte —— wie er fürchtete —— ihrer Zukunft allezeit im Wege stehen. Wer könnte sie heirathen, ohne es erst zur Bedingung zu machen, daß sie und ihre Schwester für immer geschiedene Leute wären? Und selbst dann noch würde das Hinderniß bleiben, das ernste Hinderniß für die Familie ihres Gatten, mit einer solchen Frau wie Mrs. Noël Vanstone verschwägert zu sein. Es sei sehr traurig, es sei nicht des armen Mädchens Schuld, aber es sei nichtsdestoweniger wahr, daß ihre Schwester der Stein des Anstoßes für ihr ganzes Leben bleiben würde. —— So sprach er etwa, nicht eigentlich übelwollend gegen Nora, aber mit einem hartnäckigen Glauben an seine eigenen Vorurtheile, der wie Uebelwollen aussah und den Leute von mehr Gefühl als klarem Verstande nur zu geneigt sind, bitter zu empfinden.

Zum Unglück ist Mrs. Tyrrel von solcher Art. Sie ist eine vortreffliche Frau mit warmer Empfindung, von lebhaftem Charakter, aber sehr wenig Urtheil, Nora aufs herzlichste zugethan und für deren Wohl über alle Maßen bedacht. Nach Allem, was ich erfahre hat sie dem Admiral übel genommen und als selbstsüchtig und eitel im höchsten Grade ausgelegt, daß er seine Meinung ihr so gerade ins Gesicht sagte, und dann, als er fort war, dies als einen ihr gegebenen Wink betrachtet, die Besuche seines Neffen nicht weiter zu befördern, gedeutet, —— und das sei ein schreiendes Unrecht, gegenüber, der Herrin des Hauses in ihren eignen vier Wänden. Dies war schon thöricht genug, aber das noch Thörichtere sollte erst noch kommen.

Sobald Ihr Oheim fort war, ließ Mrs Tyrrel unkluger- und tactloserweise Nora kommen, wiederholte ihr die eben stattgefundene Unterredung und machte sie auf den Empfang aufmerksam, den sie von dem Manne zu erwarten habe, der in der Stellung eines Vaters zu Ihr stehe, falls sie einen Heiratsantrag von Ihnen annähme. Wenn ich Ihnen sage, daß Noras treue Anhänglichkeit an ihre Schwester noch unerschüttert fortbesteht und daß unter ihrer edlen Ergebung in die unglücklichen Verhältnisse ihres Lebens ein leicht verletzliches Feingefühl gegenüber Beschimpfungen jeder Art, das tief in ihrem Wesen liegt, verborgen ist, so werden Sie den wahren Beweggrund verstehen, warum dieselbe Sie verworfen hat, was Sie so natürlich und gerechtermaßen verletzen mußte. Es sind alle Drei in dieser Angelegenheit gleichmäßig anzuklagen. Ihr Oheim hatte Unrecht, daß er so unumwunden und unüberlegt seine Einwände aussprach. Mrs. Tyrrel hatte Unrecht, daß sie sich von ihrer Leidenschaft hinreißen ließ, sich selber für beleidigt anzusehen, da kein Mensch an eine Beleidigung gedacht hatte. Und Nora hatte Unrecht, daß sie einen falschen Stolz und einen hoffnungslosen Glauben an ihre Schwester, den füglich kein Dritter theilen kann, über die höheren Anforderungen stellte, die eine Neigung, die das Glück und die Wohlfahrt ihres ganzen Lebens hätte sichern können, an sie hatte.

Allein das Unheil ist nun einmal angerichtet. Die nächste Frage ist, kann der Schaden wieder gut gemacht werden?

Ich hoffe und glaube es allerdings. Mein Rath ist der: nehmen Sie das Nein als keine Antwort. Lassen Sie ihr Zeit, darüber nachzudenken, was sie gethan hat, und es im Stillen, was ich meinestheils gewiß glaube; zu bereuen. Haben Sie. Vertrauen auf meinen Einfluß über sie, um Ihre Angelegenheit in Ihrem Interesse zu betreiben bei jeglicher Gelegenheit, die ich finden kann, warten Sie ruhig den rechten Augenblick ab und fragen Sie wieder bei ihr an. Die Männer, welche gewohnt sind, selber aus Ueberlegung zu handeln, sind viel zu rasch beider Hand, zu denken, daß die Frauen ebenfalls aus Ueberlegnng handeln. Die Frauen sind weit entfernt davon. Sie handeln nach den Eingebungen des Augenblicks und bedauern es hinterher in neun Fällen unter zehn bitterlich. Inzwischen müssen Sie Ihre Interessen selber fördern, indem Sie Ihren Oheim bearbeiten, seine Meinung zu ändern oder wenigstens das Zugeständniß zu machen, seine Meinung für sich zu behalten. Mrs. Tyrrel hat sich voreilig der Ueberzeugung hingegeben, daß der von ihm angerichtete Schade ein mit Willen geschehener sei, was soviel sagen will, als ob er, als er ins Haus kam, schon im hellsehenden Geiste vorausgewußt hätte, was sie thun würde, wenn er fort wäre. Meine Erklärung der Sache ist eine viel einfachere. Ich glaube, daß die Kenntniß von Ihrer Neigung natürlich seine Neugier rege machte, den Gegenstand derselben kennen zu lernen, und daß Mrs. Tyrrels tactlose Lobeserhebungen über Nora ihn reizten, seinerseits mit seinen Einwürfen offen herauszutreten. Auf jeden Fall ist Ihnen Ihr Verfahren ebenso deutlich vorgezeichnet. Gebrauchen Sie Ihren Einfluß auf Ihren Oheim, um ihn zu überreden, die Sache wieder ins Gleiche zu bringen, vertrauen Sie meinem festen Entschlusse Nora als Ihre Gattin zu sehen, ehe sechs Monate ins Land gehen, und betrachten Sie stets als Ihre Freundin und mütterliche Beratherin

Ihre ergebene

Harriet Garth


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