Die Brille des Teufels

I Erinnerungen eines Arktisreisenden

»Sir, er sagt, es geht mit ihm zu Ende und er würde Sie gerne sehen, bevor er geht.«

»Meinst du, bevor er stirbt?«

»Davon redet er, Sir.«

Ich hatte keine Lust (aus Gründen, die ich nachher erwähnen werde) irgend jemanden zu sehen, unter welch schrecklichen Umständen auch immer; aber die Person, die mir sagen ließ, dass es »mit ihr zu Ende gehe«, hatte besondere Ansprüche auf meine Aufmerksamkeit.

Er war ein alter Seemann, der das blaue Wasser zum ersten Mal unter dem Schutz meines Vaters gesehen hatte und dann ein Postkapitän in der Marine war. Auf unserem Besitz geboren, und der einzige männliche Überlebende unserer Hauptwildhüterfamilie von sieben Kindern, hatte er eine gute Erziehung durch meines Vaters Fürsorge erhalten und er sollte es zu etwas gebracht haben in der Welt; aber er war einer dieser geborenen Vagabunden, die Erziehung missachteten. Sein Dienst war ausgelaufen und er verschwand für mehrere Jahre. Während dieser Zeit vermutete man, dass er bei der Handelsmarine angestellt war. Am Ende dieser langen Zeit tauchte er eines Tages bei unserem Landhaus wieder auf, als Invalide, ohne einen Penny in seiner Tasche. Mein guter Vater, der damals nahe dem Ende seines Lebens war, war ebenfalls invalid.

Ob er nun ein Kameradschaftsgefühl für die hilflose Kreatur entwickelt hatte, die ihm einst ein Freund war, oder ob es nur

ein Ausbruch seiner eigenen freigebigen Natur war, ist nun nutzlos zu fragen. Er stellte Septimus Notman als Torwächter am zweiten unserer beiden Parktore an, und er vertraute mir Septimus zur persönlichen Fürsorge auf seinem Totenbett an.

»Ich fürchte, er ist ein alter Schurke«, gestand mein Vater, »aber jemand muss, solange er lebt, auf ihn aufpassen, und wenn du das nicht tust, Alfred, wird es niemand tun.«

Danach nahm Septimus seinen Platz am Tor ein, während wir auf dem Land waren. Wenn wir zu unserem Haus in London zurückkamen, war das zweite Tor verschlossen. Der alte Seemann logierte (durch meine starke Einflussnahme) in einem Raum über einem unbenutzten Stall, von dem unser Kutscher vorgeschlagen hatte, ihn in einen Heuboden umzuwandeln. Jeder konnte Septimus Notman nicht leiden. Man sagte, er war verrückt; ein Lügner, Heuchler, ein teuflisches Wesen und ein unangenehmer Wilder.

Es gab Leute, die sogar berichteten, er sei während der Zeit, die wir ihn nicht gesehen hatten, Pirat gewesen, und die erklärten, seine Verbrechen stünden ihm ins Gesicht geschrieben, wenn sie nach einem Beweis gefragt wurden.

Er war nicht im mindesten berührt von den Meinungen seiner Nachbarn; er kaute seinen Tabak und trank seinen Grog und um es mit den Worten eines alten Liedes zu sagen: »Er kümmerte sich um niemanden, nein, er doch nicht!«. Nun hatte mein armer Vater gesagt, dass niemand seinen Teil übernehmen würde, wenn ich es nicht tun würde. Und soll ich Ihnen ein Geheimnis verraten?

Obwohl ich strikt meines Vaters Wünsche erfüllte und obwohl Septimus mir in seiner eigenen rauhen Weise dankbar zu sein schien, konnte ich ihn auch nicht leiden.

So ging ich mit trockenen Augen zu dem Zimmer über dem Stall (wir waren damals in London) und setzte mich neben sein Bett, schnitt ein Stück Tabak für ihn ab und sagte: »Nun, was gibt‘s«, so kühl, als wenn er mir mitgeteilt hätte, dass er denke, er habe sich eine Erkältung zugezogen. »Ich werde weggerufen«, antwortete Septimus, »und bevor ich gehe, muss ich ein Geständnis machen und Ihnen etwas Nützliches anbieten. Unter den Dienern wird berichtet, Mr. Alfred, dass Sie sich jetzt gerade zwischen zwei Damen entscheiden müssen. Sie werden Ihren Weg in diesem Fall klar sehen, Sir, wenn der Tod mir noch lange genug lässt, um ein paar letzte Worte zu sagen.«

»Mach dir keine Sorgen um mich, Septimus. Hat dich ein Doktor gesehen?«

»Der Doktor weiß nicht mehr über mich als ich selbst. Den Doktor soll doch –«

»Hast du irgendwelche letzten Wünsche, die ich für dich tun kann?«

»Keine, Sir.«

»Soll ich einen Priester holen?«

Septimus Notman schaute mich so gerade an, wie er konnte – er war mit einem schrecklichen Schielen geschlagen. Andererseits war er ein gutgebauter, kräftiger Mann mit rotem Gesicht, übermäßig umkreist von weißem Haar und Backenbart, einer heiseren, tiefen Stimme, und er hatte die größten Hände, die ich je gesehen hatte. Er legte eine seiner riesigen Hände unter sein Kopfkissen, bevor er mir antwortete.

»Wenn Sie denken«, sagte er, »dass ein Priester zu einem Mann kommt, der die Brille des Teufels hier unter seinem Kopfkissen hat und der nur diese Brille aufsetzen muss, um durch die Kleider, das Fleisch und was nicht alles, des Geistlichen zu sehen, und alles zu lesen, was in seinem tiefsten Inneren wie geschrieben steht, holen Sie ihn, Master Alfred – holen Sie ihn!«

Ich dachte, dass der Geistliche dies nicht angenehm finden würde und zog meinen Vorschlag mit ihm übereinstimmend zurück. Das mindeste, was ich aus Höflichkeit tun konnte, nachdem ich die Idee mit dem Geistlichen verworfen hatte, war, zu fragen, ob ich die Brille des Teufels sehen dürfte.

»Hören Sie zuerst, wie ich dazu gekommen bin«, sagte Septimus.

»Wird es lange dauern?« fragte ich.

»Es wird lange dauern und es wird Sie gruselig machen.«

Ich erinnerte mich an das Versprechen meinem Vater gegenüber und setzte mich und mein Fleisch der Gnade von Septimus Notman aus. Aber er war noch nicht bereit, anzufangen.

»Sehen Sie diesen weißen Krug?« sagte er und zeigte auf den Waschtisch.

»Ja, wollen Sie Wasser?«

»Ich will Grog. In dem weißen Krug ist Grog. Und auf dem Kaminsims ist ein Zinnbecher. Ich muss gestärkt werden, Master Alfred, ich muss gestärkt werden.«

In dem weißen Krug waren grob geschätzt mindestens eine halbe Gallone Rum und Wasser. Ich stärkte ihn. Im Falle einer anderen sterbenden Person hätte ich vielleicht gezögert. Aber ein Mann, der die Brille des Teufels besaß, war sicher eine Ausnahme von der Regel und er mochte seine Karriere und seinen Grog zu ein und derselben Zeit beenden.

»Nun bin ich bereit«, sagte er, »Was denken Sie, habe ich in der Zeit gemacht, als ihr mich aus den Augen verloren hattet? Den letzten Teil der Zeit, meine ich.«

»Man sagt, du warst ein Pirat«, antwortete ich.

»Schlimmer als das. Raten Sie noch einmal.«

Ich versuchte, mich davon zu überzeugen, dass es eine Absonderheit wie einen barmherzigen Piraten geben könnte und riet noch einmal.

»Ein Mörder«, schlug ich vor.

»Schlimmer als das. Raten Sie noch einmal.«

Ich weigerte mich, noch einmal zu raten.

»Sag mir, was du warst«, sagte ich.

Er antwortete, ohne dass er im mindesten verwirrt oder verlegen schien: »Ich war ein Kannibale.«

Vielleicht war es schwach von mir. Aber ich starrte zweifellos auf meine Füße und ging zur Tür.

»Hören Sie die Umstände«, sagte Septimus. »Kennen Sie das Sprichwort, Sir? Umstände ändern Fälle.«

Es gab keinen Widerspruch zu dem Sprichwort. Ich setzte mich wieder. Ich war ein junger und sanfter Mann, was in meiner gegenwärtigen Position natürlich gegen mich sprach. Aber ich hatte sehr wenig Fleisch auf den Knochen, was für mich sprach.

»Es geschah, als ich mit der Arktisexpedition unterwegs war. Alles, was ich gelernt habe, habe ich vergessen und mein Gedächtnis für Daten habe ich verloren. Das Jahr ist mir entfallen, ebenso wie Länge und Breite mir entfallen sind. Aber ich kann Ihnen den Rest davon erzählen. Sie müssen wissen, wir waren eine Expeditionsmannschaft mit Schlitten. Es schritt nahe auf das Ende der Sommermonate in diesen Teilen zu und wir waren näher an den Nordpol gekommen, als jemand vor uns zuvor. Wir sollten unseren Weg dorthin gefunden haben – zweifellos – wenn nicht drei unserer besten Männer dem Skorbut verfallen wären. Der zweite Leutnant, der das Kommando hatte, ließ Halt machen, wie die Soldaten sagen.

»Mit dieser Schwächung der Mannschaft«, sagte er, »ist es meine Pflicht, euch zurück zum Schiff zu bringen. Wir müssen den Nordpol den Nordpol sein lassen und Gott darum bitten, dass wir nicht noch mehr kranke Männer schleppen müssen. Ich gebe euch eine halbe Stunde Pause, ehe wir zurückkehren.« Der Zimmermann war einer unserer gesunden Männer. Er sprach als nächstes. Er berichtete, dass einer der beiden Schlitten nicht mehr fahrtüchtig sei.

»Wie lange wirst du brauchen, um ihn zu reparieren?« fragte der Leutnant.

»In einem wärmeren Klima«, sagte der Zimmermann, »würde ich sagen, zwei oder drei Stunden, Sir. Hier mindestens doppelt so lange.«

Sie werden sagen, warum nicht ohne Schlitten weitergehen? Ich werde Ihnen sagen, warum. Aufgrund der kranken Männer, die getragen werden mussten. »Beeil dich damit und mach so schnell, wie du kannst«, sagte der Lieutenant. »Zeit bedeutet in unserer schlimmen Lage Leben.«

Die meisten der Männer waren recht froh, eine Pause zu machen. Nur zwei von uns murrten, weil wir nicht weitergingen. Der eine war der Bootsmannsmaat, der andere war ich.

»Denkt ihr, der Nordpol ist auf der anderen Seite dieser Erhebung dort?« sagte der Leutnant. Der Bootsmannsmaat war jung und eingebildet.

»Ich will es versuchen, Sir«, sagte er, »wenn ein anderer Mann Mut genug hat, mit mir zu gehen.« Er schaute mich an, als er dies sagte. Ich hatte nicht vor, meinen Mut öffentlich in Frage gestellt zu sehen, durch die Aufforderung eines Burschen, und mehr noch, ich hatte die Einbildung, ebenfalls den Nordpol erreichen zu können. Ich meldete mich, um mit ihm zu gehen. Unsere Absicht war es, einen Kompass und etwas Essen mitzunehmen; zu sehen, wie weit wir einen Stundenmarsch weiter gelangen könnten und rechtzeitig zu unserem Dienst auf der Rückreise zurückzukehren. Der Leutnant wollte es nicht hören.

»Ich bin verantwortlich für jeden Mann unter meinem Kommando«, sagte er. »Ihr seid Dummköpfe. Bleibt, wo ihr seid.« Wir waren Dummköpfe. Wir sahen unsere Gelegenheit, als sie den kaputten Schlitten abluden und zogen rasch aus, um unser Glück zu versuchen und die Belohnung für die Entdeckung des Nordpols zu kassieren.«

Hier hörte er auf und zeigte auf den Grog. »Trockene Arbeit, dieses Sprechen«, sagte er. »Geben Sie mir einen Tropfen mehr.«

Ich füllte den Zinnbecher wieder. Und wieder leerte Septimus Notman ihn.

»Wir setzten unseren Kurs Nordwest Nord«, fuhr er fort, »und nach einer Weile (als wir sahen, dass der Weg leichter wurde) änderten wir ihn wieder nach Norden. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange wir gingen (wir beide hatten keine Uhren) – aber das eine schwöre ich Ihnen. Gerade als das letzte Tageslicht erstarb, kamen wir auf der Spitze eines kleinen Hügels an, und dort sahen wir den Schimmer des offenen Polarmeers! Was hätten Sie an unserer Stelle getan? Ich werde Ihnen sagen, was wir taten. Wir setzten uns auf etwas trockenem Schnee nieder und nahmen unser Gebäck und unseren Grog heraus. Eine kalte Arbeit, sagen Sie? Sie werden es in den Büchern finden, wenn Sie mir nicht glauben – je nördlicher Sie gehen in diesen Teilen, desto weniger kalt ist es dort, und desto mehr offenes Wasser findet man dort. Fragen Sie Captain McClure , in was für einem Bett er schlief in der Nacht des 13. Oktobers 1851. Also, und was denken Sie, was wir taten, als wir gegessen und getrunken hatten? Unsere Pfeifen anzünden. Und danach? Schliefen wir nach unserem langen Weg schnell auf dem angenehmen trockenen Schnee ein. Und was für eine Aussicht erwartete uns, als wir aufwachten? Dunkelheit, Nieselregen und Nebel. Ich hatte den Kompass und ich versuchte, unseren Kurs auf den Weg zurück zu setzen. Ich konnte den Kompass nicht mehr sehen, als wenn ich blind gewesen wäre. Wir hatten keine Mittel, Licht zu machen, außer meine Streichholzschachtel. Ich hatte sie auf dem Schnee an meiner Seite liegen lassen, als ich eingeschlafen war. Nicht ein Streichholz würde brennen. Auf irgendeine Hilfe war nicht zu hoffen. Wir konnten nicht mehr als fünf Meilen von dem Ort weg sein, an dem wir unsere Kumpanen verlassen hatten. So waren wir also dort, der Bootsmannsmaat und ich, allein in der Einöde, verloren am Nordpol.«

Es begann, mich zu interessieren. »Ihr versuchtet, zurückzukehren, nehme ich an, so dunkel es auch war?« sagte ich.

»Wir gingen, bis wir hinfielen«, antwortete Septimus, »und dann riefen und schrien wir, bis wir keine Stimmen mehr hatten, dann gruben wir ein Loch im Schnee und warteten auf das Tageslicht.«

»Was habt ihr erwartet, als das Tageslicht kam?«

»Ich erwartete gar nichts, Master Alfred. Der Bootsmannsmaat (der anfing, etwas leichtsinnig zu werden, wissen Sie) erwartete, dass der Leutnant nach uns suchen ließ oder wartete, bis wir zurückkehrten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Offizier im Dienst das tut, wenn die Leben der Schlittenmannschaft auf ihm lasten, da er sie zu den Schiffen zurückbringen muss und wenn er nur zwei Männer vermisst, die Befehle verweigert hatten und ihre Posten verlassen hatten. Ein Glück, dass wir den Abschaum los sind – das ist es, was er von uns gesagt hat, als wir vermisst gemeldet wurden, da wette ich. Als das Tageslicht kam, versuchten wir zurückzukehren; und wir setzten unseren Kurs schlau genug. Aber ach Gott, wir hatten nichts mehr zu essen oder zu trinken übrig! Als das Licht uns wieder verließ, waren wir erledigt. Wir fielen auf den Schnee, auf dem Lee (der windgeschützten Seite) eines Baumes und gaben auf. Der Bootsmannsmaat sprach seine Gebete und ich sprach Amen. Nicht der mindeste Nutzen! Im Gegenteil, als die Nacht kam, wurde es kälter und kälter. Wir waren beide nahe genug beieinander, um uns gegenseitig warm zu halten. Ich weiß nicht mehr, wie lange es war, ich weiß nur noch, dass es immer noch stockdunkel war, als ich den Bootsmannsmaat hörte, wie er ein schwaches Stöhnen hervorstieß und darauf nichts mehr. Ich öffnete seine Kleider und legte meine Hand auf sein Herz. Tot, durch Kälte und Erschöpfung, kein Zweifel. Ich sollte nicht lange nach ihm hinterher gegangen sein, wenn ich nicht meine Geistesgegenwart behalten hätte.«

»Deine Geistesgegenwart? Was tatest du?«

»Ich streifte ihm jeden Fetzen Stoff ab, den er an hatte und zog alles selbst an. Wovor schaudert Sie? Er konnte es nicht fühlen, oder? Ich sage Ihnen, er wäre steif gefroren, bevor das nächste Tageslicht kam – hätte ich nicht wieder meine Geistesgegenwart behalten. So gut, wie meine ersterbenden Kräfte mich ließen, vergrub ich ihn unter dem Schnee. Man sagt, Tugend, Master Alfred, belohnt sich selbst. Diese gute Tat erwies sich als die Rettung meines Lebens.«

»Was meinst du damit?«

»Sagte ich Ihnen nicht, dass ich ihn vergrub?«

»Ja und?!«

»Nun, in dieser gefrorenen Luft hielt ihn das Begräbnis essbar. Verstehen Sie nicht?«

»Du Barbar!«

»Versetzen Sie sich in meine Lage und beschimpfen Sie mich nicht. Ich hielt aus, bis ich vor Hunger verrückt war. Und dann öffnete ich mein Messer mit meinen Zähnen. Und ich grub solange in den Schnee hinunter, bis ich ihn fühlte –«

Ich konnte nichts mehr davon hören. »Komm zum Ende!« sagte ich. »Warum bist du am Nordpol nicht gestorben?«

»Weil mir jemand half, wegzukommen.«

»Wer half dir?«

»Der Teufel.«

Er zeigte seine gelben alten Zähne in einem schrecklichen Grinsen. Ich konnte nur einen Schluss ziehen – sein Geist hatte ihn vor seinem Tod verlassen. Alles, was mir sein abscheuliches Geständnis des Kannibalismus ersparte, war mir willkommen. Ich fragte, wie die übernatürliche Rettung geschah.

»Zuerst mehr Grog«, sagte er. »Mir kommen die Schrecken, wenn ich daran denke.« Er war offensichtlich dabei, zu sterben. Ohne den Grog bezweifle ich, dass er viel mehr gesagt hätte.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wieviele Tage vergingen«, fuhr er fort. »Ich weiß nur, dass es nahe der Zeit war, wenn es ganz dunkel ist und kein Licht da ist. Je dunkler es wurde, desto tiefer räumte ich die Art Höhle aus, die ich für mich unter dem Schnee gemacht hatte. Ob es Nacht oder ob es Tag war, weiß ich nicht mehr als Sie. Plötzlich hörte ich in der schrecklichen Stille und Einsamkeit eine Stimme, hoch oben, wie es schien, auf dem Felsen hinter mir.

Es war eine heitere und angenehme Stimme und sie sprach: »Nun, Septimus Notman, ist gerade noch viel übrig vom Bootsmannsmaat? Hast Du lange auf ihm rumgekaut, als er zu Ende ging?«

Vor Schreck schrie ich aus: »Wer zum Teufel –« Die Stimme unterbrach mich, bevor ich den Rest sagen konnte. »Du hast es getroffen«, sagte die Stimme, »ich bin diese Person; und es ist Zeit, dass der Teufel dir hier raushilft.«

»Nein«, sagte ich, »ich würde lieber durch Kälte zugrunde gehen als jeden Tag durch Feuer.«

»Beruhige dich«, sagte er, dies aufnehmend, »ich will dich noch nicht an meinem Platz haben. Ich erwarte, dass du ein weiteres Geschäft erledigst, indem du deine Menschlichkeit herabsetzt, bevor du zu mir kommst und ich biete dir eine sichere Fahrt zur nächsten Siedlung. Freund Septimus, du bist ein Mann nach meinem Geschmack.«

»Inwiefern, Sir«, fragte ich.

»Weil du ein vollkommenes Tier bist«, antwortete er. »Ein menschliches Wesen, welches sich erhebt und höher und höher zu seinem unsterblichen Schicksal emporsteigt, ist eine Kreatur, die ich hasse. Es steht über mir, sogar zu seiner Lebzeit auf Erden. Aber du bist gefallen – du lieber guter Kumpel – zur Stufe eines ausgehungerten Wolfs. Du hast deinen toten Kameraden hinuntergeschlungen; und wenn du je so etwas wie eine Seele hattest – ha, Septimus! – hat sie dich mit dem ersten Bissen verlassen, den du von dem Bootsmannsmaat gekostet hast. Denkst du, ich lasse solch ein Prachtexemplar einer menschlichen Bestie, wie du eine bist, verlassen am Nordpol zurück? Nein, nein; ich gebe dir einen freien Ritt mit meiner Eisenbahn; Dunkelheit und Entfernung sind für mich keine Hindernisse. Bist du bereit?«

Sie werden mir nicht glauben; aber ich fühlte, wie ich hochgehoben wurde, und das gegen meinen eigenen Willen.

»Gib uns ein Licht«, sagte ich, »Ich kann im Dunkeln nicht reisen.«

»Nimm meine Brille«, sagte er, »sie wird dir helfen, mehr zu sehen, als du glauben magst. Schau durch sie hindurch auf deine sterblichen Mitmenschen und du siehst ihre Gedanken so klar wie ich sie sehe, und wenn man deine Natur dabei bedenkt, Septimus, wird dich das zu einer Ebene unterhalb eines Wolfs sinken lassen.«

»Angenommen, ich will nicht hindurchsehen«, sagte ich, »kann ich die Brille wegwerfen?«

»Sie wird zu dir zurückkommen«, sagte er.

»Kann ich sie kaputtschlagen?«

»Sie wird sich selbst wieder zusammenfügen.«

»Was soll ich mit ihr machen?«

»Gib sie einem anderen Mann. Nun dann! Eins, zwei, drei – und hinfort!«

Sie werden mir wieder nicht glauben; ich verlor meine Sinne, Master Alfred. Stützen Sie mich; ich verliere sie gerade wieder. Mehr Grog – das ist es – mehr Grog. Ich kam in Upernavik wieder zu mir, mit der Brille des Teufels in meiner Tasche. Nehmen Sie sie, Sir. Und lesen Sie die Herzen der beiden Damen. Und handeln Sie dementsprechend. Still! Ich höre ihn wieder zu mir sprechen. Hinter meinem Kopfkissen. Genauso wie er auf dem Felsen sprach. Sehr höflich und aufheiternd. Er spricht zu mir ungefähr das: »Komm, Kannibale, Komm!« Wie ein Lied, nicht wahr? »Komm, Kannibale, Komm!«

Er sang die letzten Worte schwach und starb mit einem Lächeln auf seinem Gesicht. Fieberphantasien oder Lügen? Mit der Brille tatsächlich in meiner Hand war ich geneigt, an Lügen zu glauben. Sie war von der altmodischen Sorte, mit großen, runden Gläsern und Schildpatteinfassung; sie roch moderig, aber nicht schwefelig. Ich besitze glücklicherweise Humor und als sie gründlich geputzt war, beschloss ich, die Brille des Teufels an den zwei Damen auszuprobieren und mich den Folgen zu unterwerfen, was immer sie sein mochten.


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