Zwei Schicksalswege

Der Ausspruch des ArztesTHE PHYSICIAN'S OPINION
Sechs Monate sind vergangen und es ist wiederum Sommer geworden.SIX months have elapsed. Summer-time has come again.
Der letzte Abschied ist überstanden. Das Leben meiner Mutter ist abgelaufen, so sehr meine Sorge für sie auch bemüht war es zu verlängern. Sie starb in meinen Armen; mir galten ihre letzten Worte, ihr letzter Blick auf Erden war auf mich gerichtet. In des Wortes traurigster und vollster Bedeutung, stehe ich nun allein in der Welt.The last parting is over. Prolonged by my care, the days of my mother's life have come to their end. She has died in my arms: her last words have been spoken to me, her last look on earth has been mine. I am now, in the saddest and plainest meaning of the words, alone in the world.
Durch diesen Trauerfall sind mir gewisse Pflichten auferlegt, die meine Anwesenheit in London erheischen und da ich mein Haus vermietet habe, wohne ich in einem Hotel. Neben mir wohnt mein Freund, Sir James, den auch Geschäfte nach London riefen. Wir frühstücken und dinieren in meinem Wohnzimmer gemeinschaftlich. So furchtbar mir die Einsamkeit augenblicklich auch ist, so kann ich mich doch nicht entschließen Gesellschaft aufzusuchen, der Gedanke an Menschen, die mir nur bekannt sind, widerstrebt mir. Auf Sir James' Wunsch haben wir indessen einen Mitbewohner unseres Hotels zu Mittag zu uns eingeladen, dem mehr Auszeichnung als einem gewöhnlichen Gaste gebührt. Der Arzt, der mich zuerst von dem bedenklichen Gesundheitszustande meiner Mutter in Kenntnis setzte, wünscht dringend von mir Näheres über ihre letzten Augenblicke zu hören. Da seine kostbare Zeit in den früheren Tagesstunden zu besetzt ist, wird er unser Mittagsmahl mit uns teilen, wenn seine Patienten ihm die Zeit gönnen werden, seine Freunde aufzusuchen.The affliction which has befallen me has left certain duties to be performed that require my presence in London. My house is let; I am staying at a hotel. My friend, Sir James (also in London on business), has rooms near mine. We breakfast and dine together in my sitting-room. For the moment solitude is dreadful to me, and yet I cannot go into society; I shrink from persons who are mere acquaintances. At Sir James's suggestion, however, one visitor at the hotel has been asked to dine with us, who claims distinction as no ordinary guest. The physician who first warned me of the critical state of my mother's health is anxious to hear what I can tell him of her last moments. His time is too precious to be wasted in the earlier hours of the day, and he joins us at the dinner-table when his patients leave him free to visit his friends.
Unsere Mahlzeit ist fast beendet. Ich bemühte mich meine Selbstbeherrschung zu erhalten und habe ihm in wenigen Worten die einfache Geschichte von den letzten Lebenstagen meiner Mutter erzählt. Darauf wendet sich das Gespräch zu gleichgültigen Gegenständen, so dass ich von der Anstrengung, die ich gemacht hatte, ausruhen kann und in gewohnter Weise Muße zu meinen Beobachtungen finde. Währen des Gesprächs entdecke ich allmälig etwas in dem Benehmen des berühmten Arztes, was mich zuerst stutzig macht und was dann in mir den Argwohn erweckt, dass seine Anwesenheit einen Grund hat, den er nicht aussprach, der aber in irgend einer Beziehung zu mir stand. Ich bemerke immer wieder, dass seine Augen heimlich mit einem Interesse und einer Aufmerksamkeit auf mir ruhen, die er mir ängstlich zu verbergen sucht. Immer wieder nehme ich wahr, wie er die Unterhaltung von allgemeinen Gegenständen abzulenken sucht und mich veranlassen will von mir selbst zu sprechen und Sir James, obgleich er ihm ganz fremd ist, versteht und ermutigt ihn. Man befragt mich unter den verschiedensten Vorwänden über meine vergangenen Leiden und über meine Zukunftspläne. Unter anderen Gegenständen, die für mich von persönlichem Interesse waren, wurde das Gespräch auch auf übernatürliche Erscheinungen gelenkt. Man befragt mich, ob ich an geheime, geistige Beziehungen und an Geistererscheinungen von gestorbenen oder entfernten Personen glaube. Ich werde in geschickter Weise dazu veranlasst, dass ich durchblicken lasse, wie meine Ansichten über diese schwierige und vielfach angefochtene Frage einigermaßen durch eigene Erfahrungen beeinflusst sind. Aber Winke genügen nicht, um des Arztes harmlose Neugierde zu befriedigen, er versucht mich zu veranlassen, dass ich ganz genau erzähle, was ich in Bezug darauf gesehen und empfunden habe. Jetzt aber bin ich auf meiner Hut, ich mache Ausreden und vermeide standhaft meinen Freund in mein Vertrauen zu ziehen. Mir wird klarer und klarer, dass man mit mir ein Experiment machen will, bei dem Sir James und der Arzt gleich beteiligt sind. Indem ich mir nun äußerlich den Anschein gebe, als wäre ich in Bezug auf das, was um mich her vorgeht, frei von jedem Argwohn, beschließe ich innerlich den wahren Grund für den Besuch des Arztes, an diesem Abende, zu ermitteln und zu erforschen, was Sir James veranlasste ihn in meinem Namen einzuladen.The dinner is nearly at an end. I have made the effort to preserve my self-control; and in few words have told the simple story of my mother's last peaceful days on earth. The conversation turns next on topics of little interest to me: my mind rests after the effort that it has made; my observation is left free to exert itself as usual. Little by little, while the talk goes on, I observe something in the conduct of the celebrated physician which first puzzles me, and then arouses my suspicion of some motive for his presence which has not been acknowledged, and in which I am concerned. Over and over again I discover that his eyes are resting on me with a furtive interest and attention which he seems anxious to conceal. Over and over again I notice that he contrives to divert the conversation from general topics, and to lure me into talking of myself; and, stranger still (unless I am quite mistaken), Sir James understands and encourages him. Under various pretenses I am questioned about what I have suffered in the past, and what plans of life I have formed for the future. Among other subjects of personal interest to me, the subject of supernatural appearances is introduced. I am asked if I believe in occult spiritual sympathies, and in ghostly apparitions of dead or distant persons. I am dexterously led into hinting that my views on this difficult and debatable question are in some degree influenced by experiences of my own. Hints, however, are not enough to satisfy the doctor's innocent curiosity; he tries to induce me to relate in detail what I have myself seen and felt. But by this time I am on my guard; I make excuses; I steadily abstain from taking my friend into my confidence. It is more and more plain to me that I am being made the subject of an experiment, in which Sir James and the physician are equally interested. Outwardly assuming to be guiltless of any suspicion of what is going on, I inwardly determine to discover the true motive for the doctor's presence that evening, and for the part that Sir James has taken in inviting him to be my guest.
Gleich nachdem das Dessert aufgetragen ist, fördert eine günstige Gelegenheit meine Wünsche.Events favor my purpose soon after the dessert has been placed on the table.
Der Kellner überbringt mir einen Brief und meldet mir, dass der Überbringer auf Antwort wartet. Ich öffne das Kuvert und finde einliegend einige Zeilen von meinen Rechtsbeiständen, die mich von der Vollziehung irgend eines Geschäftsabschlusses benachrichtigen. Sofort ergreife ich die gebotene Gelegenheit. Statt dem Boten einen mündlichen Bescheid zu überschicken, entschuldige ich mich und benutze den Brief als Vorwand um das Zimmer zu verlassen.The waiter enters the room with a letter for me, and announces that the bearer waits to know if there is any answer. I open the envelope, and find inside a few lines from my lawyers, announcing the completion of some formal matter of business. I at once seize the opportunity that is offered to me. Instead of sending a verbal message downstairs, I make my apologies, and use the letter as a pretext for leaving the room.
Nachdem ich den Boten, der unten wartet, abgefertigt habe, gehe ich in den Korridor, an dem meine Zimmer liegen und öffne leise die Tür meines Schlafzimmers. Eine zweite Tür, die in das Wohnzimmer führt, hat in ihrem oberen Teil ein Luftloch. Unter diese Stelle brauche ich mich nur zu begeben, damit jedes Wort, das zwischen Sir James und dem Arzte gewechselt wird, mein Ohr erreicht.Dismissing the messenger who waits below, I return to the corridor in which my rooms are situated, and softly open the door of my bed-chamber. A second door communicates with the sitting-room, and has a ventilator in the upper part of it. I have only to stand under the ventilator, and every word of the conversation between Sir James and the physician reaches my ears.
»So geben Sie mir also Recht?« waren die ersten Worte, die ich Sir James sagen hörte."Then you think I am right?" are the first words I hear, in Sir James's voice.
»Vollkommen,« antwortete der Doktor."Quite right," the doctor answers.
»Ich habe mein Möglichstes getan, um ihn von dieser einförmigen Lebensweise abzubringen,« fährt Sir James fort. »Ich habe ihn zu mir nach Schottland eingeladen, habe ihm vorgeschlagen mit mir den Kontinent zu bereisen, habe ihn gebeten mich auf meiner nächsten Reise in der Yacht zu begleiten. Für alles das hat er nur eine Antwort - er sagt zu allen meinen Vorschlägen »Nein.« Nun haben Sie von seinen eigenen Lippen gehört, dass er gar keine Zukunftspläne hat. Was soll da aus ihm werden? Was sollen wir mit ihm anfangen?«"I have done my best to make him change his dull way of life," Sir James proceeds. "I have asked him to pay a visit to my house in Scotland; I have proposed traveling with him on the Continent; I have offered to take him with me on my next voyage in the yacht. He has but one answer--he simply says No to everything that I can suggest. You have heard from his own lips that he has no definite plans for the future. What is to become of him? What had we better do?"
»Das ist schwer zu sagen,« höre ich den Arzt erwidern. »Ehrlich gesagt finde ich das Nervensystem des Mannes ernstlich erschüttert. Als er mich zum ersten Male besuchte, um sich über den Zustand seiner Mutter bei mir Rat zu holen, bemerkte ich schon etwas Seltsames in seinem Wesen. Die Trauer über den Tod seiner Mutter hat also nicht allein das Unheil angerichtet. Nach meiner Ansicht ist sein Gemütszustand schon seit längerer Zeit - wie soll ich mich ausdrücken? - in Unordnung gewesen. Er ist ein sehr verschlossener Mensch und ich fürchte, dass ihn Sorgen bedrückt haben, die er zu niemand ausgesprochen hat. In seinem Alter sind die unaussprechbaren Lebenssorgen meist durch Frauen veranlasst. Seinem Charakter nach fasst er die Liebe von der romantischen Seite auf und da mag irgend eine der praktischen Frauen unserer Tage ihn bitter enttäuscht haben. Was nun auch die Veranlassung sein mag, der Erfolg ist leider klar genug - dass seine Nerven zugrunde gerichtet sind und natürlich leidet sein Gehirn mit, wenn seine Nerven leiden. Ich habe Menschen in demselben Zustande gekannt, die ein sehr trauriges Ende genommen haben. Wenn er seine Lebensweise nicht ändert, kann eine Geistesstörung daraus entstehen. Hörten Sie seine Äußerung, als wir über Geister sprachen?""It is not easy to say," I hear the physician reply. "To speak plainly, the man's nervous system is seriously deranged. I noticed something strange in him when he first came to consult me about his mother's health. The mischief has not been caused entirely by the affliction of her death. In my belief, his mind has been--what shall I say?--unhinged, for some time past. He is a very reserved person. I suspect he has been oppressed by anxieties which he has kept secret from every one. At his age, the unacknowledged troubles of life are generally troubles caused by women. It is in his temperament to take the romantic view of love; and some matter-of-fact woman of the present day may have bitterly disappointed him. Whatever may be the cause, the effect is plain--his nerves have broken down, and his brain is necessarily affected by whatever affects his nerves. I have known men in his condition who have ended badly. He may drift into insane delusions, if his present course of life is not altered. Did you hear what he said when we talked about ghosts?"
»Reiner Unsinn!« bemerkt Sir James."Sheer nonsense!" Sir James remarks.
»Reiner Sinnes-Wahn würde der richtigere Ausdruck sein,« erwidert der Doktor, »und daraus können in jedem Augenblick weitere Störungen entstehn.«"Sheer delusion would be the more correct form of expression," the doctor rejoins. "And other delusions may grow out of it at any moment."
»Aber was ist zu tun,« beharrt Sir James; »ich muss Ihnen aufrichtig gestehn, Doktor, dass ich ein väterliches Interesse an dem armen Jungen nehme. Seine Mutter war eine meiner ältesten und liebsten Freundinnen und er hat viele ihrer gewinnenden, liebenswürdigen Eigenschaften geerbt. Hoffentlich halten Sie den Fall doch nicht für so schlimm, dass er in Gewahrsam genommen werden muss?«"What is to be done?" persists Sir James. "I may really say for myself, doctor, that I feel a fatherly interest in the poor fellow. His mother was one of my oldest and dearest friends, and he has inherited many of her engaging and endearing qualities. I hope you don't think the case is bad enough to be a case for restraint?"
»Für jetzt sicher noch nicht,« antwortet der Doktor. »Augenblicklich ist noch keinerlei Veranlassung ihn in Gewahrsam zu bringen. Er ist in der Tat ein schwieriger, bedenklicher Fall. Lassen Sie ihn von einem zuverlässigen Menschen im Stillen beaufsichtigen und hindern Sie ihn in nichts, so lange es Ihnen irgend möglich ist. Die geringste Kleinigkeit könnte seinen Verdacht erregen und, wenn wir den erweckten, würden wir damit jede Macht über ihn verlieren.«"Certainly not--as yet," answers the doctor. "So far there is no positive brain disease; and there is accordingly no sort of reason for placing him under restraint. It is essentially a difficult and a doubtful case. Have him privately looked after by a competent person, and thwart him in nothing, if you can possibly help it. The merest trifle may excite his suspicions; and if that happens, we lose all control over him."
»Sie meinen doch nicht etwa, Doktor, dass er uns jetzt schon beargwöhnt?«"You don't think he suspects us already, do you, doctor?"
»Das hoffe ich nicht. Ich sah, wie er mich ein oder zwei Mal verwundert anblickte und jetzt ist es schon recht lange her, seit er das Zimmer verlassen hat.«"I hope not. I saw him once or twice look at me very strangely; and he has certainly been a long time out of the room."
Damit hatte ich nun genug gehört. Ich kehre durch den Korridor in mein Wohnzimmer zurück und nehme meinen Platz am Tische wieder ein.Hearing this, I wait to hear no more. I return to the, sitting-room (by way of the corridor) and resume my place at the table.
Zum ersten Male in meinem Leben werde ich durch den Unwillen, der sich unter diesen Umständen natürlich in mir regt, zum guten Schauspieler. Ich erfinde die nötige Entschuldigung für meine lange Abwesenheit und beteilige mich wieder an der Unterhaltung, bei der ich aber jedes Wort ehe ich es ausspreche wohl erwäge, ohne in meinem Benehmen die geringste Rückhaltung merken zu lassen. Der Doktor verließ uns sehr früh am Abend, um einer wissenschaftlichen Versammlung beizuwohnen. Sir James bleibt noch eine halbe Stunde länger in meiner Gesellschaft. Wohl um meinen Gemütszustand noch einer weiteren Prüfung zu unterwerfen, wiederholt er mir seine Einladung nach Schottland. Ich tue, als ob ich mich durch seine beharrliche Aufforderung sein Gast zu sein, sehr geschmeichelt fühle und verspreche die Gründe für meine ablehnende Antwort noch einmal zu prüfen und ihm meinen Entschluss am nächsten Morgen beim Frühstück mitzuteilen. Sir James ist entzückt, wir schütteln uns herzlich die Hände und wünschen uns gegenseitig eine gute Nacht. Endlich nun bin ich allein.The indignation that I feel--naturally enough, I think, under the circumstances--makes a good actor of me for once in my life. I invent the necessary excuse for my long absence, and take my part in the conversation, keeping the strictest guard on every word that escapes me, without betraying any appearance of restraint in my manner. Early in the evening the doctor leaves us to go to a scientific meeting. For half an hour or more Sir James remains with me. By way (as I suppose) of farther testing the state of my mind, he renews the invitation to his house in Scotland. I pretend to feel flattered by his anxiety to secure me as his guest. I undertake to reconsider my first refusal, and to give him a definite answer when we meet the next morning at breakfast. Sir James is delighted. We shake hands cordially, and wish each other good-night. At last I am left alone.
Ohne einen Augenblick zu zögern ist mein Entschluss über das, was ich zunächst zu tun habe, gefasst. Ich nehme mir vor, am nächsten Morgen, ehe Sir James sich erhoben hat, das Hotel im Stillen zu verlassen.My resolution as to my next course of proceeding is formed without a moment's hesitation. I determine to leave the hotel privately the next morning before Sir James is out of his bedroom.
Auch die Frage über meinen nächsten Bestimmungsort, die sich natürlich demnächst erhebt, ist bald beantwortet. Ich hatte mit meiner Mutter in ihren letzten Lebenstagen oft von den glücklichen Tagen gesprochen, die wir an den Ufern des Grünwassersees verlebten. Seit ihrem Tode nun hat die Sehnsucht, die alte Gegend noch einmal wiederzusehen, noch einmal wieder eine Zeitlang in den alten Umgebungen zu leben, die durch diese Gespräche genährt wurde, sich immer gesteigert. Zum Glück habe ich weder zu Sir James noch zu irgend jemand Anderem dieses Verlangen ausgesprochen, wenn ich also in dem Hotel vermisst werde ist es unmöglich, dass man eine Vermutung darüber hegt, wohin ich meine Schritte lenkte. Ich beschließe also am nächsten Morgen nach der alten Heimat in Suffolk abzureisen. Während ich die Umgebungen meiner Jugendzeit durchwandre, kann ich mit mir zu Rate gehen, wie ich die Last des Lebens, die vor mir liegt, am leichtesten zu tragen versuche.To what destination I am to betake myself is naturally the next question that arises, and this also I easily decide. During the last days of my mother's life we spoke together frequently of the happy past days when we were living together on the banks of the Greenwater lake. The longing thus inspired to look once more at the old scenes, to live for a while again among the old associations, has grown on me since my mother's death. I have, happily for myself, not spoken of this feeling to Sir James or to any other person. When I am missed at the hotel, there will be no suspicion of the direction in which I have turned my steps. To the old home in Suffolk I resolve to go the next morning. Wandering among the scenes of my boyhood, I can consider with myself how I may best bear the burden of the life that lies before me.
Nach den Erfahrungen dieses Abends traue ich niemand mehr. Vielleicht wird morgen mein eigener Diener, so genau ich ihn auch von der entgegengesetzten Seite kenne, als Spion angestellt, der meine Handlungen überwachen soll. Wenn er heute Abend erscheint, um meine Befehle für die Nacht einzuholen, so sage ich ihm nur, dass er mich morgen früh um sechs Uhr wecken solle und dass ich seiner nicht weiter bedürfe. Dann schreibe ich zwei Briefe. Ich werde sie auf dem Tische zurücklassen, dort mögen sie nach meiner Abreise für sich selber reden.After what I have heard that evening, I confide in nobody. For all I know to the contrary, my own servant may be employed to-morrow as the spy who watches my actions. When the man makes his appearance to take his orders for the night, I tell him to wake me at six the next morning, and release him from further attendance. I next employ myself in writing two letters. They will be left on the table, to speak for themselves after my departure.
Durch den ersten Brief benachrichtige ich Sir James ganz ruhig, dass ich den wahren Grund entdeckt habe, weshalb er den Doktor zum Diner eingeladen. Indem ich ihm für die Teilnahme danke, die er an meiner Wohlfahrt nimmt, verweigere ich es entschieden, noch ferner hinsichts meines Gemütszustandes zum Gegenstande ärztlicher Beobachtungen gemacht zu werden. Ich werde ihm versprechen, ihm seiner Zeit meine Zukunftspläne mitzuteilen, bis dahin soll er ohne Sorgen über meine Sicherheit sein. Es ist eine meiner krankhaften Einbildungen, dass ich mich völlig im Stande glaube, für mich selber zu sorgen. Mein zweiter Brief ist an den Wirt des Hotels gerichtet und enthält einfach meine Bestimmungen über mein Gepäck und den Betrag meiner Rechnung.In the first letter I briefly inform Sir James that I have discovered his true reason for inviting the doctor to dinner. While I thank him for the interest he takes in my welfare, I decline to be made the object of any further medical inquiries as to the state of my mind. In due course of time, when my plans are settled, he will hear from me again. Meanwhile, he need feel no anxiety about my safety. It is one among my other delusions to believe that I am still perfectly capable of taking care of myself. My second letter is addressed to the landlord of the hotel, and simply provides for the disposal of my luggage and the payment of my bill.
Dann betrete ich mein Schlafzimmer und verpacke in meiner Reisetasche die wenigen Sachen, die ich mitnehmen kann. In meinem Toilettenkasten habe ich mein Geld aufbewahrt und als ich ihn öffne, finde ich meinen lieben Talisman - die grüne Flagge. Wäre es möglich, dass ich zu der Grünwasserfläche zurückkehrte und des Vogtes Häuschen wiedersähe, ohne das einzige Andenken bei mir zu haben, das ich von der kleinen Mary besitze? Habe ich nicht außerdem Miss Dunroß versprochen, dass mich Marys Gabe überall hinbegleiten soll und ist mein Versprechen, jetzt wo sie tot ist, nicht doppelt heilig? Ich setze mich nieder und betrachte müßig eine Zeit lang das Sinnbild auf der Flagge - die auf grünem Grunde gestickte weiße Taube mit dem goldenen Olivenzweig im Schnabel. Meine Erinnerung kehrt zu der unschuldigen Liebesgeschichte meiner Kinderjahre zurück und führt mir den furchtbaren Kontrast zwischen jener Zeit und dem Leben, das ich jetzt führe, vor Augen. Ich wickle die Flagge zusammen und lege sie sorgfältig in meine Reisetasche. Damit ist nun Alles getan und ich kann bis zu Tagesanbruch der Ruhe pflegen.I enter my bedroom next, and pack a traveling-bag with the few things that I can carry with me. My money is in my dressing-case. Opening it, I discover my pretty keepsake--the green flag! Can I return to "Greenwater Broad," can I look again at the bailiff's cottage, without the one memorial of little Mary that I possess? Besides, have I not promised Miss Dunross that Mary's gift shall always go with me wherever I go? and is the promise not doubly sacred now that she is dead? For a while I sit idly looking at the device on the flag--the white dove embroidered on the green ground, with the golden olive-branch in its beak. The innocent love-story of my early life returns to my memory, and shows me in horrible contrast the life that I am leading now. I fold up the flag and place it carefully in my traveling-bag. This done, all is done. I may rest till the morning comes.
Doch nein! Ich bemerke bald, nachdem ich mich niedergelegt habe, dass ich in dieser Nacht keine Ruhe finden kann.No! I lie down on my bed, and I discover that there is no rest for me that night.
Meine Gedanken kehren, nun ich keine Beschäftigung mehr habe, die sie in Anspruch nimmt und nun das erste Triumphgefühl über die Niederlage, die ich den Freunden bereite, die ein Komplott gegen mich schmiedeten, verrauscht ist, zu der Unterredung zurück, die ich belauschte und zeigen sie mir plötzlich in einem ganz neuen Lichte. Zum ersten Male tritt die furchtbare Frage an mich heran, ob ich denn sicher sein kann, dass der Arzt nicht Recht hat, der seine Meinung doch so ganz entschieden aussprach?Now that I have no occupation to keep my energies employed, now that my first sense of triumph in the discomfiture of the friends who have plotted against me has had time to subside, my mind reverts to the conversation that I have overheard, and considers it from a new point of view. For the first time, the terrible question confronts me: The doctor's opinion on my case has been given very positively. How do I know that the doctor is not right?
Dieser berühmte Mann hat sich nur durch seine Geschicklichkeit zu einem der ersten Ärzte emporgearbeitet. Er ist nicht einer von den Ärzten, die nur durch einnehmende Manieren und geschickte Benutzung gegebener Gelegenheiten Erfolge erzielen. Selbst seine Feinde räumen ihm ein, dass er bei Feststellung seiner Diagnose unerreicht in der Kunst dasteht, die wahren Symptome von den unwichtigeren zu unterscheiden und unbeirrt die Wirkungen auf ihre tief verborgenen Ursachen zurückzuführen weiß. Soll sich solch ein Mann grade über mich täuschen? Ist es nicht vielmehr wahrscheinlicher, dass ich mich über mich selbst täusche?This famous physician has risen to the head of his profession entirely by his own abilities. He is one of the medical men who succeed by means of an ingratiating manner and the dexterous handling of good opportunities. Even his enemies admit that he stands unrivaled in the art of separating the true conditions from the false in the discovery of disease, and in tracing effects accurately to their distant and hidden cause. Is such a man as this likely to be mistaken about me? Is it not far more probable that I am mistaken in my judgment of myself?
Blicke ich zurück in die verflossenen Jahre und gedenke der wunderbaren Ereignisse, die ich zeitweise zu erleben glaubte, wie kann ich sicher sein, dass sie nicht statt der Wirklichkeiten, für die ich sie hielt, nur ein eingebildetes Erzeugnis meines kranken Gehirns waren und von jedem Anderen dafür gehalten wurden? Was sind die Träume von Frau van Brandt, was ihre Geistererscheinungen, die ich mir einbilde gesehn zu haben? Sind sie nicht heimlich mit den Jahren herangewachsene Täuschungen? Täuschungen, die mich ganz allmälig dem endlosen Wahnsinn näher und näher bringen? Ist es nicht etwa krankhafter Argwohn, der mich gegen die treuen Freunde, die meine Vernunft retten wollen, so bitter macht? Ist es nicht krankhaftes Entsetzen, das mich treibt aus dem Hotel zu entfliehen, wie ein Verbrecher aus seinem Kerker flieht?When I look back over the past years, am I quite sure that the strange events which I recall may not, in certain cases, be the visionary product of my own disordered brain--realities to me, and to no one else? What are the dreams of Mrs. Van Brandt? What are the ghostly apparitions of her which I believe myself to have seen? Delusions which have been the stealthy growth of years? delusions which are leading me, by slow degrees, nearer and nearer to madness in the end? Is it insane suspicion which has made me so angry with the good friends who have been trying to save my reason? Is it insane terror which sets me on escaping from the hotel like a criminal escaping from prison?
Diese Fragen quälen mich in der Stille der Nacht, während ich einsam wache. Mein Bett wird mir zur unerträglichen Folterbank. Ich stehe auf und kleide mich an und erwarte, indem ich aus dem geöffneten Fenster auf die Straße sehe, den Anbruch des Tages.These are the questions which torment me when I am alone in the dead of night. My bed becomes a place of unendurable torture. I rise and dress myself, and wait for the daylight, looking through my open window into the street.
Die Sommernacht ist kurz. Wie eine Erlösung begrüße ich das graue Dämmerlicht, die Glut des herrlichen Sonnenaufgangs erhellt und erheitert meine Seele wiederum. Warum soll ich in dem Zimmer verweilen, das noch von den düsteren Zweifeln der Nacht erfüllt ist? Ich nehme meine Reisetasche zur Hand, lege meine Briefe im Wohnzimmer auf den Tisch und gehe die Treppe hinab nach der Haustür. Der Portier, der den Nachtdienst hat, schläft in seinem Stuhl. Er erwacht, als ich an ihm vorübergehe und sieht mich, Gott steh mir bei! auch an, als ob er mich für wahnsinnig hielte.The summer night is short. The gray light of dawn comes to me like a deliverance; the glow of the glorious sunrise cheers my soul once more. Why should I wait in the room that is still haunted by my horrible doubts of the night? I take up my traveling-bag; I leave my letters on the sitting-room table; and I descend the stairs to the house door. The night-porter at the hotel is slumbering in his chair. He wakes as I pass him; and (God help me!) he too looks as if he thought I was mad.
»Wollen Sie uns schon verlassen, mein Herr?« sagt er, indem er die Reisetasche in meiner Hand erblickt."Going to leave us already, sir?" he says, looking at the bag in my hand.
Ob toll oder vernünftig, meine Antwort habe ich bereit.Mad or sane, I am ready with my reply.
Ich sage, dass ich eine Landpartie für den Tag vorhabe und dass ich früh ausbrechen müsse, um den Tag recht auszunutzen.I tell him I am going out for a day in the country, and to make it a long day, I must start early.
Der Mann starrt mich noch immer an. Er fragt, ob er jemand rufen soll, der mir meine Tasche trägt. Ich wünsche nicht, dass jemand um meinetwillen gestört werde. Er fragt, ob ich irgend etwas an meinen Freund zu bestellen habe. Ich teile ihm mit, dass ich auf meinem Zimmer einige Zeilen für Sir James und den Wirt zurückgelassen habe. Darauf hin zieht er endlich die Riegel zurück und öffnet die Tür und blickt mir schließlich noch nach, als ob er mich für wahnsinnig hält.The man still stares at me. He asks if he shall find some one to carry my bag. I decline to let anybody be disturbed. He inquires if I have any messages to leave for my friend. I inform him that I have left written messages upstairs for Sir James and the landlord. Upon this he draws the bolts and opens the door. To the last he looks at me as if he thought I was mad.
Hätte er Recht oder Unrecht? Wer kann für sich selber einstehn? Wie kann ich das entscheiden?Was he right or wrong? Who can answer for himself? How can I tell?


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