Die Heirat wider Willen



Dritter Zeitabschnitt in Cosways Leben

Drei Tage waren vorübergegangen. Cosway saß, bleich und erschöpft, allein in seiner Wohnung. Er war nur noch der Schatten seiner früheren Person.

Adele hatte er seit jener Entdeckung nicht gesehen. Es gab nur einen Weg, den er wagen konnte, um die unvermeidliche Eröffnung zu machen — er schrieb ihr und, Herrn Athertons Tochter trug dafür Sorge, dass der Brief in ihre Hände gelangte. Spätere, durch diese gute Freundin eingezogene Erkundigungen ergaben, dass Fräulein Restall erkrankt war.

Die Hausfrau kam herein.

»Frischen Mut, mein Herr« sagte die gute Frau.

»Heute haben wir bessere Nachrichten über Fräulein Restall.«

Er erhob den Kopf.

»Scherzen Sie nicht mit mir!« sagte er gereizt; »sagen Sie mir genau, was der Diener sagte.«

Die Frau wiederholte die Worte. Fräulein Restall hatte eine ruhigere Nacht und war imstande gewesen, für einige Stunden ihr Zimmer zu verlassen. Er fragte dann, ob eine Antwort auf seinen Brief angekommen sei. Es war keine Antwort eingegangen.

Wenn Adele es entschieden vermied, ihm zu schreiben, so war ihr Entschluss zu klar, um missverstanden zu werden. Sie hatte ihn aufgegeben — und wer konnte sie tadeln?

Man hörte ein Pochen an der Haustür; die Hausfrau blickte hinaus.

»Hier ist Herr Stein wieder zurück, Herr Cosway!« rief sie freudig aus — und eilte weg, um ihn hereinzulassen.

Cosway blickte nicht einmal auf, als sein Freund erschien.

»Ich wusste, dass es mir gelingen würde« sagte Stein. »Ich habe deine Frau gesehen.«

»Sprich mir nicht von ihr« rief Cosway. »Ich würde sie umgebracht haben, als ich ihr Gesicht sah, wenn ich nicht augenblicklich ihr Haus verlassen hätte. Die Elende wird noch von mir getötet werden, wenn du fortfährst, von ihr zu sprechen!«

Stein legte sanft seine Hand auf seines Freundes Schulter.

»Muss ich dich daran erinnern, dass du deinem alten Kameraden doch einigen Dank schuldig bist?« sagte er. »An dem Morgen, da ich deinen Brief erhielt, habe ich Vater und Mutter verlassen — und mein einziger Gedanke war, dir zu dienen. Zeige dich dafür erkenntlich. Sei ein Mann und höre, was zu erfahren dein Recht und deine Pflicht ist. Danach wollen wir, wenn du dies wünschest, nie wieder deine Frau erwähnen.«

Cosway ergriff schweigend seine Hand zum Zeichen des Zugeständnisses, dass er recht habe. Sie setzten sich zusammen nieder. Stein fing an:

»Sie ist so außerordentlich schamlos« sagte er, »dass ich keine Mühe hatte, sie zum Sprechen zu bringen. Und sie hasst dich so tiefinnerlich, dass sie ihrer eigenen Falschheit und Verräterei sich rühmt.«

»Sie lügt natürlich« sagte Cosway bitter, »wenn sie sich Fräulein Benshaw nennt?«

»Nein! sie ist wirklich die Tochter des Mannes, der das große Geschäftshaus in der City gründete.

Trotz aller Vorteile, die Reichtum und Stellung geben konnten, heiratete dieses eigensinnige Geschöpf einen der Angestellten ihres Vaters, der verdientermaßen aus seiner Stelle entlassen worden war. Von diesem Augenblicke an gab ihre Familie sie auf. Mit dem Gelde, das sie sich durch den Verkauf ihrer Juwelen verschafft hatte, erwarb ihr Gemahl den Gasthof, der uns so bittere Erinnerungen bringt — und sie führte das Geschäft auch nach seinem Tode weiter. So viel von der Vergangenheit. Gedenke nun der Zeit, da unser Schiff uns nach England zurückbrachte. Damals lag das letzte überlebende Glied der Familie deiner Frau — ihr älterer Bruder — in den letzten Zügen: Er hatte im Geschäfte seines Vaters Stelle eingenommen und außerdem dessen Vermögen geerbt. Nach einem glücklichen ehelichen Leben wurde er Witwer ohne Kinder, und er musste notwendigerweise seinen letzten Willen ändern. Er zögerte aber, dieser Verpflichtung nachzukommen, und erst zur Zeit seiner letzten Krankheit hatte er Weisungen für ein neues Testament gegeben, wonach er sein Vermögen mit Ausnahme gewisser Vermächtnisse an alte Freunde den Krankenhäusern in Großbritannien und Irland vermachte. Sein Rechtsanwalt verlor keine Zeit, die Weisungen auszuführen. Das neue Testament war bis auf die Unterschrift fertig — das alte war von seiner eigenen Hand vernichtet worden — als die Arzte erklärten, dass der Kranke nicht mehr bei Sinnen sei und wahrscheinlich in diesem Zustande sterben werde.«

»Ergab es sich, dass die Arzte recht hatten?«

»Vollkommen recht. Unsere erbärmliche Wirtin erbte als nächste Verwandte nicht allein sein Vermögen, sondern nahm auch nach dem Gesellschaftsvertrage die Stelle ihres verstorbenen Bruders im Geschäfte ein: unter der einzigen leichten Bedingung, dass sie ihren Familiennamen wieder annehme. Sie nennt sich selbst ,Fräulein Benshaw‘, aber gesetzliche Gründe machten es notwendig, sie im Vertrage als »Frau Cosway-Benshaw« zu bezeichnen. Nur ihre Geschäftsteilhaber wissen jetzt, dass ihr Gemahl noch lebt, und dass du der Cosway bist, den sie insgeheim geheiratet hat.

Willst du einen Augenblick Atem schöpfen? Oder soll ich fortfahren und die Sache zu Ende bringen?«

Cosway winkte ihm fortzufahren.

»Sie fragt nicht im geringsten« fuhr Stein fort, »nach einer Bloßstellung. ,Ich bin der Hauptteilhaber,‘ sagt sie, ,und der Reiche im Geschäft; sie dürfen nicht wagen, mir den Rücken zu kehren.« Du erinnerst dich doch der Auskunft, die ich ganz in gutem Glauben von dem jetzigen Inhaber des Gasthofes erhalten habe? Die Behauptung, dass sie einen Londoner Arzt besucht habe und krank sei, war nur ein Vorwand, um die Dame (jetzt die hochangesehene Dame!) auf gute Art von einem Berufe zu trennen, der wie der Wirtschaftsbetrieb ihrer so unwürdig war. Ihre Nachbarn im Seehafen wurden alle bis auf zwei durch diese List getäuscht Es waren dies zwei Männer — zwei Abenteurer, die beharrlich versuchten, sie, als sie noch Witwe war, zu einer Heirat zu verleiten. Sie glaubten nicht an die Krankheit und an den Besuch beim Arzte und bezweifelten die Gründe, die angeblich zu einem Verkaufe des Gasthofes unter so ungünstigen Umständen geführt hatten. Sie entschlossen sich, nach London zu gehen und waren hierbei von der niedrigen Hoffnung erfüllt, Entdeckungen zu machen, die sich als Mittel zu Gelderpressungen erweisen möchten.«

»Sie entwischte ihnen natürlich« sagte Cosway. »Wie ?«

»Mit Hilfe ihres Anwalts, der es nicht verschmähte, eine hübsche Extravergütung zu nehmen. Er schrieb dem neuen Wirte und zeigte ihm fälschlicherweise das Ableben seiner Klientin in einem Briefe an, den ich dir auf unserer Reise nach London im Eisenbahnwagen mitteilte. Noch andere Vorsichtsmaßregeln wurden getroffen, um die Täuschung aufrecht zu erhalten; doch erscheint es unnötig, sich bei ihnen aufzuhalten. Deine natürliche Folgerung, dass du frei seist, um Fräulein Restall den Hof zu machen, und des armen Mädchens unschuldiges Vertrauen in ,Fräulein Benshaws‘ Teilnahme gaben diesem gewissenlosen Weibe die Mittel, dir den herzlosen Streich zu spielen, der uns nun klar vor Augen liegt. Bosheit und Eifersucht — ich weiß es, wohlgemerkt, von ihr selbst! — waren nicht ihre einzigen Beweggründe. ,Wäre nicht dieser Cosway,‘ sagte sie — ich verschone dich mit dem Zusatz zu deinem Namen — ,mit meinem Gelde und in meiner Stellung hätte ich einen armen Lord heiraten und mich in meinen alten Tagen im vollen Glanze der Pairswürde sonnen können.’ Verstehst du nun, wie sehr sie dich hasst? Doch genug von der Sache! Die Moral davon, mein lieber Cosway, ist, diesen Ort zu verlassen und zu versuchen, was ein Ortswechsel für dich tun kann. Ich habe vollauf Zeit und will mit dir ins Ausland gehen. Wann soll es sein?«

»Lass mich noch einen oder zwei Tage warten« erklärte Cosway.

Stein schüttelte den Kopf. »Hoffst du noch, mein armer Freund, auf eine Zeile von Fräulein Restall? Du ängstigst mich.«

»Das tut mir leid, Stein. Wenn ich ein teilnehmendes Wort von ihr erhalten kann, so will ich mich dem elenden Leben unterwerfen, das vor mir liegt.«

»Erwartest du nicht zu viel?«

»Du würdest nicht so sagen, wenn du sie so liebtest, wie ich.«

Beide schwiegen. Allmählich wurde es dunkel, und die Hausfrau kam wie gewöhnlich mit der Lampe herein. Sie brachte einen Brief für Cosway mit.

Er riss ihn auf, las ihn in einem Augenblick und bedeckte ihn mit Küssen. Seine aufs höchste erregten Gefühle machten sich in einer kleinen entschuldbaren Übertreibung Luft.

»Sie hat mir das Leben gerettet!« sagte er, als er Stein den Brief überreichte.

Dieser enthielt nur folgende Zeilen:

»Meine Liebe gehört Dir, mein Versprechen Dir. Trotz aller Not, trotz aller Ruchlosigkeit, die uns bedroht, trotz der hoffnungslosen Trennung, die uns in dieser Welt bevorstehen mag, bete und sterbe ich als die Deinige. Mein Edwin, Gott segne und tröste Dich.«


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte