Gesetz und Frau



Zehntes Kapitel.

Auf dem Wege zu Dexter.

»Ich glaube beim Himmel, Valeria, daß der Wahnsinn dieses Ungethüms Sie angesteckt hat!«

Das war Benjamins Meinung von mir, nachdem ich ihm meinen Entschluß mitgetheilt, noch einen Besuch bei Miserrimus zu wagen. Ich wandte meine mildeste Ueberredungsgabe an, um meinen alten Freund zu bitten, daß er doch ein wenig Geduld mit mir haben möge; aber diesmal ganz vergebens.

Alle meine Worte waren nur Oel in’s Feuer gegossen.

»Ihn noch einmal besuchen! Ihn wiedersehen!« rief Benjamin unwillig. »Nachdem er Sie so gröblich beleidigt, unter meinem Dach, in diesem Zimmer! Wache ich denn oder träume ich?!«

Diesem leidenschaftlichen Ausbruch seines Gefühls mußte mit Entschiedenheit entgegen getreten werden.

»Ruhe, mein alter Freund,« sagte ich.

»Wir müssen mit einem Manne Nachsicht haben, der unter so erschwerenden Umständen lebt, wie Miserrimus Dexter. Ich beginne fast zu glauben, daß auch ich an jenem Abend mich nicht ganz richtig benommen habe. Eine Frau, die sich selber achtet, und deren ganzes Herz ihrem Gatten gehört, ist wahrlich nicht sehr beleidigt, wenn ein Krüppel es wagt, seinen Arm um ihre Taille zu legen. Außerdem habe ich ihm vergeben und Sie haben dasselbe gethan. Wenn Sie mich begleiten, wird er sich nicht wieder vergessen. Sein Haus, und namentlich die Bilder in demselben, werden Sie interessiren. Ich werde ihm heute schreiben, daß wir morgen kommen.«

Er willigte, wenn auch mit Widerstreben, ein. — — —

Nachdem ich meinen Brief geschrieben, beschlich mich ein gewisses Angstgefühl über Dexters Gesundheit. Wie mochte es ihm während meiner Abwesenheit gegangen sein?

Während ich noch darüber nachdachte, trat die Haushalterin mit irgend einem Begehr in’s Zimmer. Ich fragte sie, ob sie vielleicht etwas von dem seltsamen Wesen gehört, das sie einst so erschreckt habe.

»Ungefähr eine Woche nach Ihrer Abreise, Madame,« sagte sie, mit außerordentlicher Strenge in ihrem Wesen, »hatte es die, von Ihnen erwähnte Person gewagt, Ihnen einen Brief zu schicken. Es wurde dem Boten bedeutet, daß Sie verreist seien und Briefe mit Sicherheit nicht nachgeschickt werden könnten. Nicht lange darauf, Madame, als ich gerade mit Mrs. Macallans Haushälterin Thee trank, hörte ich abermals von der Person. Er kam selbst zu Mrs. Macallan, um dort Erkundigungen über Sie einzuziehen. Wie er sitzen kann, ohne Beine zu haben, ist mir vollständig unverständlich, aber Beine oder nicht Beine, die Haushälterin sah ihn und sagt, daß sie ihn nicht vergessen werde bis zu ihrer Sterbestunde. Sie erzählte ihm von Mr. Eustaces Krankheit und daß Sie und Mrs. Macallan hingereist wären, um ihn zu pflegen. Mit dieser Nachricht fuhr er wieder fort und das ist Alles, was ich von jener Person zu berichten habe.«

Nach diesen Worten verließ sie das Zimmer.

Wieder mit mir allein gelassen, überkam mich neue Unruhe, wie das Experiment des kommenden Tages ablaufen würde. Was ich von der Haushälterin gehört, bewies mir deutlich, daß Mr. Dexter während meiner Abwesenheit in großer Unruhe gelebt, und daß ich ihn morgen wahrscheinlich in größter Aufregung vorfinden würde.

Der nächste Morgen brachte mir eine Antwort von Mr. Playmore. Er schrieb sehr kurz, indem er meinen Entschluß weder tadelte noch lobte, mir aber wiederholt ans Herz legte, jedenfalls bei meinem Besuch einen zuverlässigen Zeugen mitzunehmen. Der interessanteste Passus des Briefes stand am Ende: »Sie müssen darauf vorbereitet sein, eine Umwandlung zum Schlimmen bei Mr. Dexter wahrzunehmen. Ein Freund von mir war neulich mit ihm zusammen und erstaunte über die Veränderung, die mit ihm vorgegangen. Ihr Besuch wird jedenfalls dazu beitragen jene Erregung noch zu erhöhen. Sie müssen Ihr Benehmen gegen ihn also den Umständen anpassen und das Geständniß seines Geheimnisses auf geschickte um Gottes Willen nicht gewaltsame Art aus ihm herausziehen.« Dann kam noch ein Postscriptum: »Fragen Sie Mr. Benjamin ob er der Bibliotheksthür nahe genug war, um zu hören, was Dexter Ihnen von seinem Besuch des Schlafzimmers in der Nacht, welche Mrs. Macallans Tod sah, erzählte.«

Als wir am Frühstückstische saßen, legte ich Benjamin die Frage vor, durch die er sich abermals verletzt fühlte.

»Ich bin kein Thürenhorcher,« sagte er.

»Manche Menschen haben aber Stimmen, welche darauf bestehen, gehört zu werden. Zu diesen gehört allerdings Mr. Dexter.«

»Sie hörten ihn also?«

»Allerdings, ich hörte, daß er etwas Infames sagte.«

»Diesmal möchte ich Sie bitten, noch mehr zu thun,« wagte ich zu bemerken, »ich möchte Sie bitten, Sich Noten zu machen, während ich mit Mr. Dexter spreche.«

Benjamin sah mich über seinen Teller mit Erstaunen an.

»Das ist wieder ein starkes Verlangen von Ihnen,« sagte er.

»Vergeben Sie mirs Benjamin; trotz Ihres Widerwillens muß ich Sie dennoch ersuchen meinen Wunsch erfüllen.«

Benjamin blickte wieder auf seinen Teller hinab.

»Ich dachte eigentlich, ich hatte mich vom Geschäft zurückgezogen,« sagte er. »Es scheint mir aber beinahe, als wenn ich von Neuem Schreiber werden sollte. Gut denn! Was verlangen Sie also von mir?«

In diesem Augenblicke meldete die Haushälterin, daß der Wagen vor der Thür stehe. Ich stand auf und nahm seinen Arm.

»Nur zwei Dinge,« sagte ich. »Sich hinter Mr. Dexters Stuhl setzen, so daß er Sie nicht sehen kann, aber zu gleicher Zeit auch so, daß Sie mir in’s Antlitz blicken mögen.«

»Je weniger ich von Mr. Dexter sehe, desto lieber wird es mir sein,« entgegnete Benjamin. »Und wenn ich hinter seinem Stuhl sitze, was soll ich dann thun?«

»Auf ein von mir gegebenes Zeichen sollen Sie Dexters Worte niederschreiben, bis ich Ihnen ein anderes Zeichen gebe, wieder aufzuhören.«

»Gut,« sagte Benjamin. »Welches ist das Zeichen für den Anfang und welches ist das Zeichen für das Ende?« Ich war augenblicklich nicht auf eine Antwort vorbereitet. Nach kurzem Sinnen fand ich aber die telegraphische Verbindung zwischen mir, und ihm.

»Ich werde mich in einen Armstuhl setzen,« sagte ich. »Wenn Sie sehen, daß ich die Hand erhebe und mit einem Ohrringe spiele, schreiben Sie nieder, was er sagt. Dann fahren Sie fort, bis Sie mich meinen Stuhl rücken hören. Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen.«

Wir fuhren nach Dexters Hause.


Vorheriges Kapitel
Nächstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis für diese Geschichte