Mann und Weib



Zweiter Band.

Zehntes Kapitel - Bishopriggs

Das Klopfen an der Thür wurde noch lauter wiederholt.

»Sind Sie taub!« schrie Arnold hinaus. Die Thür öffnete sich ganz langsam und herein trat mit geheimnißvoller Miene Bishopriggs, ein Tischtuch über dem Arm und von dem zweiten Kellner der das Tischservice auf einem Brete trug, gefolgt.

»Was zum Teufel hatten Sie zwei Mal zu klopfen?« fragte Arnold. »Ich habe ja herein gerufen.«

»Und ich«, antwortete Bishopriggs, »ich habe Ihnen gesagt, daß ich nicht ohne anzuklopfen hereinkommen würde. O, mein verehrter Herr«, fuhr er fort, indem er den zweiten Kellner entließ und mit seinen eigenen ehrwürdigen Händen den Tisch zu decken anfing, »glauben Sie, daß ich so lange Jahre im Hotel hier bin, ohne zu wissen, wie jung verheirathete Leute ihre Zeit hinbringen, wenn sie allein sind? Zwei Mal Klopfen und ein behutsames Oeffnen der Thür ist das Wenigste, was man für sie thun kann. Was meinen Sie, wenn ich die Couverts für Sie und Ihre Frau hier legte?«

Anne trat mit unverhohlenem Widerwillen an’s Fenster. Arnold aber fand Bishopriggs ganz unwiderstehlich. Er ging auf den Scherz ein und antwortete:

»Nun, ich denke eines oben und eines unten am Tisch!«

»Eines oben und eines unten am Tisch?« antwortete Bishopriggs im Tone tiefster Entrüstung. »I, bewahre, beide müssen so dicht neben einander liegen wie möglich. Habe ich es nicht schon trotz des vielen Klopfens an der Thür erlebt, daß die junge Frau auf dem Schooße ihres Mannes dinirte und den Appetit des Mannes dadurch reizte, daß sie ihn mit ihrer Gabel fütterte, wie ein Kind. O,« seufzte der Weise von Craig-Fernie, »die Honigmonde sind kurz, aber schön. Vier Wochen kosen und girren sie und dann können sie den Rest ihres Lebens damit zubringen, darüber nachzudenken, wie sie je solche Narren sein konnten. —— Sie nehmen doch eine Flasche Sherry und nachher ein Gläschen Toddy zum Nachtisch?«

Arnold nickte und trat auf ein Zeichen von Anne zu ihr an’s Fenster. Bishopriggs sah ihnen aufmerksam nach, bemerkte, daß sie mit einander flüsterten und fand diese Art eines jung verheiratheten Paares, sich in Gegenwart von Kellnern zu Benehmen, seiner langjährigen Erfahrung gemäß ganz in der Ordnung.

»O, o«, sagte er, über die Schulter blickend, zu Arnold, »gehen Sie nur zu Ihrem Schatz und überlassen Sie mir den nüchternen Ernst des Lebens, wie es schon in der Bibel geschrieben steht: »Der Mann soll Vater und Mutter verlassen —— und Ihr Vater bin ich —— und seiner Frau anhängen —— —— Meiner Treu, »»anhängen««, ist ein etwas starkes Wort.« Er schüttelte nachdenklich mit dem Kopf und trat an einen in der Ecke stehenden Tisch, um das Brod zu schneiden. Als er das Messer ergriff, entdeckte er mit seinem einen sehenden Auge ein Stück zerknittertes Papier, das zwischen dem Tische und der Wand am Boden lag. Es war der Brief Geoffrey’s, den Anne in ihrer ersten Entrüstung über den Inhalt desselben von sich geschleudert hatte und an den weder sie noch Arnold weiter gedacht hatten. »Was liegt denn da?« murmelte Bishopriggs leise vor sich hin, »Papier auf dem Boden, den ich mit meinen eigenen Händen gesäubert habe?« Er nahm das zerknitterte Papier auf und öffnete es ein wenig. »Was ist das?« »Hier mit Dinte geschriebene Worte und da Bleistiftschrift? Wem mag das gehören!« Vorsichtig sah er sich nach Arnold und Anne um, sie kehrten ihm noch immer den Rücken zu und flüsterten angelegentlich mit einander. »Die haben das längst vergessen dachte Bishopriggs. »Wenn ich nun ein dummer Kerl wäre, so würde ich vielleicht meine Pfeife mit dem Papier anzünden und hinterdrein überlegen, ob ich nicht besser gethan hätte, es zu lesen. Was thut aber ein weiser Mann wie ich?« Er beantwortete diese Frage, indem er den Brief in die Tasche steckte. Vielleicht ist er der Aufbewahrung Werth, vielleicht aber auch nicht. Darüber konnte er sich in einem ruhigen Augenblick nach sorgfältiger Untersuchung, in fünf Minuten vergewissern. »Jetzt gehe ich, das Essen zu holen«, rief er Arnold zu, »und merken Sie wohl, wenn ich nun wieder hereinkomme, das Bret in beiden Händen und Gicht in beiden Füßen, kann ich nicht vorher anklopfen.« Mit dieser freundlichen Warnung ging Bishopriggs hinaus und begab sich in die Küche.

Arnold fuhr fort, sich mit Anne über die Frage, ob er sie verlassen solle oder nicht, zu unterhalten.

»Sie sehen, es geht nicht anders«, sagte er. »Der Kellner ist eben hinausgegangen, um das Essen zu holen. Was würden hier wohl die Leute denken, wenn ich in diesem Augenblick fortginge und meine Frau allein essen ließe?«

Für den Augenblick erschien Arnold’s Verbleiben so unzweifelhaft nothwendig, um den äußeren Anstand zu wahren, daß Anne kein Wort weiter dagegen sagte. Allerdings beging Arnold durch sein ganzes Auftreten eine große Unvorsichtigkeit, aber in diesem Augenblick hatte er doch Recht. —— —— —— —— —— ——

Anne’s Unbehagen über dieses ihr durch die Umstände abgerungene Zugeständniß entlockte ihr das erste Zeichen der Ungeduld. Sie ließ Arnold am Fenster stehen und warf sich auf’s Sopha.

»Auf mir scheint ein Fluch zu lasten«, dachte sie bei sich, »das stimmt ein schlechtes Ende und ich werde verantwortlich dafür sein.«

Inzwischen hatte Bishopriggs das Essen fertig in der Küche vorgefunden. Anstatt das Bret, auf welchem das Essen stand, sofort in das Wohnzimmer zu bringen, trug er es zunächst in seine Geschirrkammer und verschloß die Thür hinter sich.

»Da lieg’ du ruhig, bis die Zeit gekommen sein wird, dann will ich mich mit dir wieder beschäftigen«, sagte er, indem er den Brief sorgfältig in die Schublade eines Tisches verschloß. »Beschäftigen wir uns jetzt einen Augenblick mit dem Mittagessen der beiden Turteltauben im Gastzimmer«, fuhr er fort, indem er sieh dem Bret zuwandte, — »ich muß mich doch überzeugen, ob die Köchin ihre Pflicht gethan hat,«— die Liebesleute sind ja nicht im Stande, diese Frage zu entscheiden.«

Er nahm von einer der Schüsseln den Deckel ab und kostete zu verschiedenen Malen mit seiner Gabel von deren Inhalt. »Die Fleischklöße sind nicht schlecht«; dann hob er einen andern Deckel auf und schüttelte bedenklich den Kopf. »Da ist das Gemüse, ich halte nicht viel von Gemüse, das ist nichts für einen Mann in meinen Jahren.« Er setzte den Deckel wieder auf die Schüssel und kostete von einer dritten, in der sich Fische befanden. »Warum zum Henker hat die Person die Forellen gebraten, das nächste Mal soll sie den Fisch mit etwas Salz und einem Löffel voll Essig kochen.« Dann entkorkte er eine Flasche Sherry und goß den Wein in eine Krystall-Flasche. »Herrlicher Scherry«, rief er aus, indem er die Krystal-Flasche gegen das Licht hielt: »aber er könnte doch nach dem Korke schmecken, ich muß ihn doch einmal probiren! Das ist meine Pflicht als rechtschaffener Mann«, und er erfüllte diese Pflicht in so ausgiebiger Weise, daß ein ganz beträchtlicher leerer Raum in der Krystal-Flasche entstand.

Ohne eine Miene zu verziehen, füllte Bishopriggs denselben wieder mit dem Inhalt der Wasserflasche auf.

»Damit mache ich den Wein gerade um zehn Jahre älter, die Turteltauben werden sich darum nicht schlechter stehen und ich befinde mich um einen guten Schluck Sherry besser. Dem Himmel sei für alle guten Gaben gedankt.«

Nachdem er dieses fromme Dankgebet verrichtet hatte, nahm er das Bret wieder auf und entschloß sich, nun den Turteltauben ihr Mittagessen zu bringen.

Die während der Abwesenheit Bishopriggs in’s Stocken gerathene Unterhaltung war wieder in Gang gekommen. Zu ruhelos, um es lange an einem Platz auszuhalten, war Anne wieder vom Sopha ausgestanden und zu Arnold an’s Fenster getreten.

»Wo glauben Ihre Freunde in Windygates, daß Sie hingegangen sind?« fragte sie plötzlich.

»Sie glauben«, erwiderte Arnold, »daß ich nach meinem Gute gereist bin, um Besitz von demselben zu nehmen und meine Pächter kennen zu lernen.«

»Und wie wollen Sie heute Abend noch Ihr Gut erreichen?

»Ich denke mit der Eisenbahn! Beiläufig, was soll ich sagen, wenn ich Sie nach. Tische verlasse. Ganz gewiß wird die Wirthin sehr bald zu uns hereinkommen. Was wird sie sagen, wenn ich allein nach der Station gehe und meine Frau hier zurücklasse?«

»Herr Brinkworth, wenn das»ein Scherz sein soll, so ist er ein sehr unpassender.«

»Verzeihen Sie«, sagte Arnold.

»Ueberlassen Sie nur mir Ihre Entschuldigung«, fuhr Anne fort. »Gehen Sie nach Süden oder nach Norden?«

Plötzlich öffnete sich die Thür und Bishopriggs kam mit dein Essen herein.

Anne trat rasch von Arnold weg.

Bishopriggs’ sehendes Auge folgte ihr vorwurfsvoll, während er die Speisen auf den Tisch setzte. »Ich habe es Ihnen doch Beiden gesagt, daß ich dies Mal unmöglich anklopfen könne, also schelten Sie mich nicht, Madame! Mich nicht.«

»Wo wollen Sie sitzen?« fragte Arnold, um Anne’s Aufmerksamkeit von den vertraulichen Reden Bishopriggs abzulenken.

»Ganz einerlei, ganz einerlei,«« antwortete sie ungeduldig, indem sie einen Stuhl ergriff und ihn an das eine Ende des Tisches setzte.

Bishopriggs aber nahm mit einer höflichen, aber sehr entschiedenen Bewegung den Stuhl weg und stellte ihn wieder an seinen ursprünglichen Platz.

»Um’s Himmels Willen was machen Sie?« Das ist ja gegen alle Sitten und Gebrauche der Flitterwochen, sich so weit von seinem Manne wegzusetzen«, und damit wies er mit seiner Serviette auf einen der Stühle, die er so dicht wie möglich neben einander gestellt hatte.

Arnold legte sich abermals in’s Mittel und verhinderte einen wiederholten Ausbruch der Ungeduld Annes. »Was liegt daran«, sagte er, »lassen Sie den Mann doch gewähren.«

»Machen Sie der Sache, so bald wie möglich ein Ende«, erwiderte sie, »ich kann und will es»nicht länger mehr ertragen.«

Sie setzten sich an den Tisch und Bishopriggs stellte sich hinter die Stühle in der zwiefachen Eigenschaft eines major domus und eines Schutzengels.

»Hier ist eine Forelle«, rief er, indem er den Deckel mit einem Schwunge von der Schüssel nahm. »Vor einer halben Stunde hat sie noch im Wasser gezappelt und da liegt sie nun gebraten auf dem Tisch, ein Symbol des menschlichen Lebens; wenn Sie sich einen Augenblick mit etwas Anderem befassen können, als mit sich selbst, so denken Sie ein Bischen darüber nach!«

Arnold nahm einen Löffel, um Anne mit einer Forelle zu bedienen.

Bishopriggs aber setzte den Deckel plötzlich wieder mit dem Ausdruck eines frommen Schauders auf die Schüssel und fragte: »Will denn Keines von Ihnen das Tischgebet sagen?«

»Lassen Sie«, sagte Arnold, »der Fisch wird ja kalt!«

Bishopriggs schloß sein sehendes Auge in frommer Andacht und hielt den Deckel fest auf der Schüssel. »Gelobt sei Gott für Speise und Trank«, sagte er, öffnete sein Auge dann wieder und nahm den Deckel ab »Jetzt ist mein Gewissen beruhigt; nun greifen Sie zu.«

»Schicken Sie ihn doch hinaus«, sagte Arme, »seine Vertraulichkeit wird unerträglich.«

»Sie brauchen uns nicht mehr aufzuwarten«, sagte Arnold.

»O, dazu bin ich ja hier«, wandte Bishopriggs ein. »Wozu soll ich erst hinausgehen und wieder hereinkommen, um die Teller zu wechseln?« Er dachte einen Augenblick nach, musterte seine Erfahrungen und gelangte zu einem befriedigenden Schluß in Betreff der Motive Arnold’s bei seinen Wünschen, ihn los zu werden. »Nehmen Sie sie nur ruhig auf den Schooß«, flüsterte er Arnold in’s Ohr »und füttern Sie ihn nur gern mit der Gabel, wenn Sie Lust haben«, fügte er zu Anne gewandt hinzu, »ich denke an etwas Anderes und sehe zum Fenster hinaus.« Er zwinkerte mit dem Auge und trat an’s Fenster.

»Versuchen Sie doch einmal die komische Seite dieser Situation zu sehen, wie ich es thue!« flüsterte Arnold Anne zu.

Bishopriggs trat wieder vom Fenster zurück und meldete das Herannahen eines neuen, für die Situation der Beiden störenden Elements »Meiner Treu«, sagte er. »Sie sind im rechten Augenblick hergekommen, es ist ein schlechtes Reisen hier im Gewitter.«

Anne fuhr zusammen und sah sich nach ihm um. »Zieht ein Gewitter herauf?« rief sie.

»Sie sind hier gut aufgehoben, seien Sie wegen des Gewitters unbesorgt. Sehen Sie da die Wolke im Thal?« fügte er hinzu, indem er zum Fenster hinauswies, »die von einer Seite herauszieht, während der Wind aus einer andern Richtung weht, das bedeutet ein herannahendes Gewitter, Madame!«

Wieder wurde an die Thür geklopft Wie es Arnold vorausgesehen hatte, erschien dieses Mal die Wirthin. »Ich komme nur«, sagte diese, indem sie sich ausschließlich an Arnold wandte, »Um zu sehen, ob Sie Alles haben, was Sie wünschen.«

»O, Sie sind die Wirthin? Alles sehr gut, Alles sehr gut!«

Mrs. Inchbare hatte aber ihre besonderen Gründe jetzt hereinzukommen und sprach dieselben ohne alle weitere Vorrede aus. »Sie werden entschuldigen, mein Herr«, fuhr sie fort, »ich war nicht da, als Sie ankamen, sonst würde ich mir schon damals erlaubt haben die Frage an Sie zu richten, die ich jetzt thun muß; habe ich recht verstanden, daß Sie für sich und Ihre Frau, diese Dame, die Zimmer miethen?«

Anne wollte antworten, aber Arnold brachte sie durch einen sehr ausdrucksvollen Händedruck unter dem Tisch zum Schweigen. »Vollkommen richtig, vollkommen richtig«, sagte er, »ich nehme die Zimmer für mich und diese Dame, meine Frau.«

Anne versuchte zum zweiten Male zu reden. »Dieser Herr ——« fing sie an. Arnold brachte sie zum zweiten Mal zum Schweigen.

»Dieser Herr?« wiederholte Mrs. Inchbare mit Erstaunen, »verzeihen Sie einer einfältigen Frau, gnädige Frau, meinen Sie damit Ihren Mann?«

Arnold’s warnende Hand berührte Anne zum dritten Male. Mrs. Inchbare’s Augen hafteten erbarmungslos fest auf Anne. »Wenn Anne dem Widerspruch, der auf ihren Lippen schwebte, Ausdruck gegeben hätte, würde sie Arnold zum Dank für Alles, was er für sie gethan hatte, in das ihrer Erklärung unausbleiblich folgende Gerede über einen skandalösen Austritt, mit hineingezogen haben, ein Gerede, das leicht biss zu Blanches Ohren gelangen konnte. Bleich und kalt, die Augen fest auf den Tisch gerichtet, bestätigte sie die, in der Frage der Wirthin liegende Berichtigung und wiederholte mit schwacher Stimme die Worte: »Mein Mann —— —— ——?«

Mrs. Inchbare athmete erleichtert auf und wartete, was Anne noch weiter zu sagen haben werde. Aber Arnold legte sich rechtzeitig in’s Mittel und coniplimentirte die Wirthin zum Zimmer hinaus.

»Laß es gut sein, mein Kind,« sagte er zu Anne, »es wird schon vorüber gehen« —— und dann zur Wirthin gewandt: »Sie ist immer so, wenn ein Gewitter heraufzieht, ich danke Ihnen recht sehr, ich weiß schon, was ihr in solchen Fällen Noth thut, wir wollen nach Ihnen schicken, wenn wir Ihrer bedürfen.«

»Wie Sie befehlen, mein Herr« antwortete Mrs. Inchbare. Sie wandte sich der Thür zu und begleitete ihre Entschuldigung bei Anne mit einem tiefen steifen Knix.

»Nichts für ungut, gnädige Frau, Sie dürfen gefälligst nicht vergessen, daß Sie allein hergekommen sind und daß das Hotel für die Aufrechterhaltung seines guten Namens zu sorgen hat.« Nach dieser nochmaligen Rechtfertigung des Hotels ging sie endlich zur Thür hinaus.

»Ich fühle mich schwach«, flüsterte Arme, »Bitte »etwas Wasser.«

Es war keins auf dem Tisch. Arnold hieß Bishopriggs, der während der ganzen Zeit, wo die Wirthin im Zimmer gewesen war, wie das Muster eines bescheidenen Aufwärters dagestanden hatte, frisches Wasser bringen.

»Herr Brinckworth«, sagte Anne, als sie allein waren, »Sie handelten sehr unüberlegt. Die Frage war eine Impertinenz, warum haben Sie mich gezwungen ——«, unfähig, den Satz zu vollenden, hielt sie plötzlich inne.

Arnold bestand darauf, daß sie etwas Wein trinke und unternahm dann seine Vertheidigung mit der rücksichtsvollen Geduld, die er vom ersten Augenblick an gegen sie beobachtet hatte. »Ebenso gut könnten Sie mich fragen«, sagte er gutmüthig, »Warum ich es nicht ruhig zuließ, daß man Ihnen in dem Augenblick, wo ein Gewitter heraufzieht und wo Sie nirgends anders ein Unterkommen finden würden, die Thür des Gasthofes wies. Nein, nein, Miß Silvester, es fällt mir nicht ein, Ihre Bedenken ganz abweisen zu wollen, aber einer Frau wie der Wirthin gegenüber, sind solche Bedenken sehr am unrechten Orte. Ich bin Geoffrey für Ihre Sicherheit verantwortlich und Geoffrey rechnet darauf, Sie hier zu finden. Lassen Sie uns von etwas Anderem reden. Es dauert lange bis das Wasser kommt. Trinken Sie noch ein Glas Wein, wollen Sie nicht?« Er schenkte sich selbst ein Glas Wein ein; »nun, so trinke ich auf Blanche’s Gesundheit in dem schlechtesten Sherry, den ich in meinem Leben gekostet habe.«

Gerade als er sein Glas wieder niedersetzte trat Bishopriggs mit dem Wasser ein. Arnold empfing ihn mit einer satyrischen Begrüßung »Nun, bringen Sie das Wasser, oder haben Sie es schon vorher zu dem Sherry verbraucht?

Bishopriggs blieb wie angewurzelt stehen und that sehr entrüstet über den Gedanken einer Vermischung des Weins mit Wasser. »Reden Sie so von einer Flasche des ältesten Weins in Schottland?« fragte er ernst. »O, wohin ist es mit der Welt gekommen, die Ideen der jungen Leute sind für mich völlig unergründlich. Für sie sind die Gaben der Vorsehung, wie sie aus dem schönsten Weinberge Spaniens wachsen, offenbar rein weggeworfen.«

»Bringen Sie das Wasser?«

»Ich bringe das Wasser und noch mehr, Nachrichten von draußen. Da ist eine Gesellschaft von Herren zu Pferde, die hier vorüber nach dem eine Viertel Stunde entfernten sogenannten Jagdschlößchen reiten.«

»Nun was geht uns das an?«

»Warten Sie nur einen Augenblick. Einer von den Herren hat hier abgesessen und fragte nach der Dame, die hier allein angekommen sei. Ich wette sechs Pence, daß er Ihre Frau meint. Ich denke«, fügte Bishopriggs an’s Fenster tretend hinzu, »das geht Sie doch wohl etwas an!«

Arnold sah Anne an: »Erwarten Sie Jemand?«

»Kann es Geoffrey sein!«

»Unmöglich, er ist auf dem Weg nach London.«

»Da kommt er schon herein«, nahm Bishopriggs am Fenster stehend wieder auf. »Er steigt eben vom Pferd und lenkt seine Schritte hierher. Gott sei mir gnädig«, rief er mit einem Male ganz bestürzt, »was sehe ich, das ist ja der verfluchte Kerl Sir Patrick in Person!«

Aruold sprang auf. »Meinen Sie Sir Patrick Lundie?«

Anne eilte an’s Fenster. »Ja wohl ist es Sir Patrick!« sagte sie, »verstecken Sie sich, ehe er herein kommt.«

»Mich verstecken?«

»Was soll er davon denken, wenn er Sie hier findet.«

Er war Blanche’s Vormund und glaubte Arnold in diesem Augenblick auf seinem Gute. Was er also davon denken würde, war nicht schwer. vorauszusehen.

Arnold wandte sich in seiner Verlegenheit an Bishopriggs.

»Wo kann ich mich verstecken?«

Bishopriggs wies auf das Schlafzimmer. »Wo Sie sich verstecken können? In der Brautkammer?«

»Unmöglich!«

Bishopriggs gab dem tiefsten Erstaunen, das ein Mensch empfinden kann, durch ein kurzes Pfeifen Ausdruck. »Was!« So sprechen Sie jetzt schon von der Brauikammer?«

»Zeigen Sie mir ein anderes Zimmer, es soll Ihr Schaden nicht sein.«

»Wollen Sie in meine Geschirrkammer gehen? Die Thür am Ende des Vorplatzes führt Sie gerade hinein.«

Arnold eilte hinaus.

Bishopriggs, der überzeugt war, daß er hier ein entflohenes Paar vor sich habe und daß Sir Patrick sie in der Eigenschaft eines Vormundes verfolge, wandte sich mit dem Ausdruck freundschaftlicher Vertraulichkeit an Anne: »Meine liebe Madame, es ist eine schlimme Geschichte mit Sir Patrick zu thun zu haben, den täuscht man nicht leicht, wenn Sie das versucht haben sollten. Sie müssen wissen, daß ich einmal Schreiber bei ihm in Edinburg gewesen bin.«

In diesem Augenblick erscholl Mrs. Inchebar’s scharfe Stimme mit einem Ruf nach dem Oberkellner und Bishopriggs verschwand auf der Stelle.

Anne blieb jetzt am Fenster stehend allein zurück. Es war klar, daß ihr Zufluchtsort in Windygates entdeckt worden war; jetzt galt es sich zu entscheiden, ob es klug sein würde, Sir Patrick zu empfangen, um zu erfahren, ob er als Freund oder als Feind nach dem Gasthofe gekommen sei.


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