Mann und Weib
Zweites Kapitel - Die Gäste
Wer hatte die Umgestaltung des Garten-Pavillons angeordnet?
Der neue Miether von Windygates Und wer war dieser?
Der Leser mag sich selbst überzeugen.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Im Frühling 1868 war, wie wir gesehen haben, der Garten-Pavillon der trübselige Aufenthaltsort eines Eulenpaars gewesen. Im Herbst desselben Jahres war er der anmuthige Sammelpunkt einer aus Herren und Damen, den Gästen des Miethers von Windygates, bei einem Gartenfeste bestehenden Gesellschaft.
Die Scene war beim Beginn des Festes so lieblich anzuschauen, wie heiteres Sonnenlicht, weibliche Schönheit und muntere Bewegung es nur machen können.
Im Innern des Garten-Pavillons hob sich die anmuthige Eleganz der bunten weiblichen Sommertoiletten von dem finstern Hintergrunde trübseliger moderner Herrenkleidung leuchtend ab. Von dem Garten-Pavillon aus sah man durch drei bogenförmige Oeffnungen hindurch über einen saftig grünen Rasen hinweg auf Blumenbeete und Gebüsch, und weiterhin durch eine in den Bäumen künstlich hergestellte Lichtung auf ein großes, die Aussicht abschließendes steinernes Haus, an dessen Vorderseite eine Fontaine plätscherte, deren Wasserstrahlen im Sonnenlicht bunt erglänzten.
Die ganze Gesellschaft war eben in einem oft von hellem Gelächter unterbrochenen heiteren und lebhaften Geplauder begriffen, als eine laute, das Gesumme der Gäste übertönende Stimme, Schweigen gebot. Im nächsten Augenblick trat eine junge Dame an die Schwelle des Garten-Pavillons und überschaute die Menge der Gäste, wie ein commandirender General ein Regiment überschaut, das er Revue passiren läßt.
Die junge Dame schien nicht im Mindestens verlegen, sie war hübsch und nach der neuesten Mode gekleidet. Ihre Stirn überdeckte ein Hut in Form eines Tellers. An ihrem Hinterkopf erhob sich ein weit aufgeblähter Ballon von hellbraunem Haar. Ueber ihre Brust ergoß sich ein wahrer Wasserfall von Perlen. Iu ihren Ohren glänzten ein Paar den lebendigen Originalen zum Erschrecken ähnlich sehende Käfer. Ihre enganliegenden Röcke glänzten im schönsten Himmelblau. Ihre Fußgelenke schimmerten durch die Hülle gestreifter Strümpfe hindurch. Ihre Schuhe waren sogenannte »Watteaus,« mit Hacken von einer Höhe, bei deren Anblick Männer schaudern.
Die junge Dame, die sich so der Gesamtheit der Gäste präsentirte, war Miß Blanche Lundie. Die ehemals rosige, kleine Blanche, die der Leser bereits aus dem Vorspiel kennt, war jetzt achtzehn Jahr alt, in einer ausgezeichneten gesellschaftlichen Stellung, reich, von lebhaftem Temperament und sehr wechselnden Neigungen, mit einem Worte, ein Kind unserer Zeit, mit den Vorzügen und Fehlern unserer Tage und mit einer Grundlage von echten Gesinnungen und wahrem Gefühl.
»Ruhig lieben Leute, wenn ich bitten darf,« rief Fräulein Blanche, »wir müssen uns für das Croquet-Spiel in zwei Parteien theilen; an die Arbeit, an die Arbeit.«
Nach diesen Worten trat eine zweite Dame aus der Menge der Gäste hervor, und antwortete der jungen Dame, die eben gesprochen hatte, mit einem vorwurfsvollen Blick und in einem Tone wohlwollenden Protestes.
Diese Dame war hoch gewachsen, kräftig gebaut und etwa fünf und dreißig Jahre alt; in ihrer Erscheinung boten sich den auf sie gerichteten Blicken eine grausame Adlernase, ein eigensinniges spitzes Kinn, prächtige schwarze Haare und gleichfarbige Augen, eine glänzende, sorgfältige Toilette und eine lässige Grazie in der Bewegung, die im ersten Augenblick etwas Anziehendes, aber bei längerer Betrachtung etwas unaussprechlich Monotones und Ermüdendes hatte. Das war die zweite Lady Lundie, nach viermonatlicher Ehe jetzt die Wittwe des verstorbenen Sir Thomas Lundie, mit andern Worten die Stiefmutter Blanche’s und die beneidenswerthe Besitzerin von Haus und Garten von Windygates.
»Liebes Kind,« sagte Lady Lundie, »Worte bedeuten etwas, selbst im Munde eines jungen Mädchens, nennst Du das Croquet-Spiel eine Arbeit?«
»Sie wollen es doch wohl nicht Vergnügen nennen?« rief eine ernst ironische Stimme aus dem Hintergrunde des Garten-Pavillons.
Die Gäste traten vor diesem letzten Sprecher zurück, der inmitten der modernen Gesellschaft ein Bild vergangener Zeiten darbot.
Das Wesen dieses, Mannes zeichnete sich durch eine geschmeidige Anmuth und Höflichkeit aus, die unserm heutigen Geschlecht abhanden gekommen zu sein scheinen. Seine Toilette bestand aus einer viel gefalteten weißen Cravatte, einem dicht zugeknöpften blauen Frack und nankingenen Kniehosen nebst entsprechenden Gamaschen; einem für unsere Augen lächerlichen Anzuge. In seiner bequemen Art zu reden gab sich eine unabhängige Art zu denken und eine hochentwickelte feine Gabe satyrischer Repliken kund, die bei der heutigen Generation gleich sehr gefürchtet und unbeliebt ist; er war von kleiner und schmächtiger Gestalt, mit einem schönen weißen Kopf und funkelnden schwarzen Augen; um seine Lippen spielte ein humoristischer Zug; an dem einen Bein hatte er einen Klumpfuß, trug aber dieses körperliche Gebrechen wie seine Jahre mit heiterm Muthe. In der Gesellschaft war er bekannt als Besitzer eines elfenbeinernen Spazierstockes mit einer in der Krücke desselben angebrachten Schnupftabaksdose, und gefürchtet wegen seines Hasses der modernen Institutionen, dem er zu passender und unpassender Zeit Luft machte, indem er immer dieselbe verhängnißvolle Neigung kund gab, geschickt die schwächsten Punkte der Gegner zu treffen. Das war Sir Patrick Lundie, der Bruder des verstorbenen Baronets Sir Thomas und nach dessen Tode der Erbe der Titel und Güter desselben. ——
Blanche nahm weder von dem Vorwurf ihrer Mutter, noch von dem Commentar ihres Onkels Notiz, deutete vielmehr auf einen Tisch, auf dein Croquet-Bälle und Hämmer bereit lagen, und lenkte die Aufmerksamkeit auf das Spiel zurück. »Ich führe die eine Seite an, meine Damen und Herren,« nahm sie wieder auf und Lady Lundie führt die andere Seite. Wir wählen unsere Spieler abwechselnd.« »Mama ist die ältere und muß daher auch zuerst wählen.« Mit einem Blick auf ihre Stieftochter, der so viel bedeutete als »wenn ich nur dürfte, würde ich dich in die Kinderstube schicken« drehte sich Lady Lundie um und ließ ihre Blicke über die Gäste hinschweifen Sie war offenbar bereits mit sich einig, welchen Spieler sie berufen wollte »Ich wähle zuerst Miß Silvester,« sagte sie mit einer besonders scharfen Betonung des Namens. Bei diesen Worten theilte sich die Menge abermals und hervortrat die uns bereits bekannte Anne Silvester. —— Fremden, die sie heute zum ersten Male sahen, erschien sie als eine einfache, schmucklos in Weiß gekleidete junge Dame in der Blüthe ihrer Jahre. Langsam trat sie vor die Dame des Hauses hin.
»Das ist ja ein reizendes Mädchen,« flüsterte einer der fremden Gäste einem der Freunde des Hauses zu; »wer ist sie?« Der Freund erwiderte flüsternd »,Miß Lundies Gouvernante, weiter nichts.«
Der Fremde sah die beiden Damen an und flüsterte wieder: »Da ist etwas nicht in Ordnung zwischen der Dame und der Gouvernante.«
Der Freund sah gleichfalls auf, die beiden Frauen und antwortete mit einem sehr ausdrucksvollen Worte: »Offenbar.«
Es giebt Frauen, deren Einfluß auf die Männer ein unergründliches Geheimniß für weibliche Beobachter ist.
Die Gouvernante gehörte zu diesen Frauen. Sie hatte die Reize, aber nicht die Schönheit ihrer unglücklichen Mutter geerbt.
Wenn man sie nach dem Maßstabe berühmter weiblicher Schönheiten und Illustrationen an den Schaufenstern der Kunsthändler beurtheilth so konnte das Erkenntniß nur dahin lauten: »sie hat keinen einzigen regelmäßigen Zug im Gesicht.« Auch hatte die ganze Erscheinung nichts besonders Bemerkenswerthes, so lange sie im Zustande der Ruhe verharrte. Sie war von gewöhnlicher Größe, nicht besser gebaut, als die meisten jungen Mädchen; Haar und Teint waren weder hell noch dunkel, sondern von einer indifferenten Farbe; noch schlimmer, sie hatte in ihrer Gesichtsbildung positive Mängel, ein nervöses Zucken des einen Mundwinkels verzog die Lippen, sobald sie sich bewegten; eine nervöse Unsicherheit des Blickes an derselben Seite des Gesichts kam einem Schielen sehr nahe, und doch, trotz dieser unbestreitbaren Mängel, war sie eines jener furchtbaren weiblichen Wesen, die über die Herzen der Männer und den Frieden der Familie nach Willkür gebieten.
Sie brauchte sich nur zu rühren und sie entwickelte in jeder ihrer Bewegungen etwas so unsagbar Reizendes, daß Jedermann sich nach ihr umschaute, seine Unterhaltung mit dem Nachbar unterbrach und sie beobachtete. Wenn sie bei Einem saß und sich mit Einem unterhielt, so übten der zuckende Mundwinkel und die Unsicherheit des Blickes in dem sanften grauen Auge einen eigenthümlichen Zauber, welcher körperliche Mängel in Schönheit verwandelte, die Sinne gefangen nahm, die Nerven dessen, den sie zufällig berührte, zucken und sein Herz höher schlagen machte.
Alles das widerfuhr wohlverstanden nur Männern, die Augen der Frauen gelangten bei ihrem Anblick zu ganz ganz anderen Resultaten. Die beobachtende Dame pflegte sich an die nächste weibliche Freundin zu wenden und im Tone aufrichtigen Mitleids mit dem andern Geschlecht zu sagen: »Was können die Männer nur an ihr finden.«
Die Augen der Frau vom Hause und die Augen der Gouvernante begegneten sich mit offenbarem Mißtrauen. Wenigen Beobachtern hatte entgehen können, was jener Fremde und der Freund des Hauses Beide bemerkt hatten, daß hier etwas unter der Oberfläche gähre.
Miß Silvester ergriff zuerst das Wort.
»Besten Dank, Lady Lundie,« sagte sie, »ich möchte lieber nicht mitspielen.«
Lady Lundie erwiderte mit einem Ausdruck äußerster Ueberraschung, der die Grenzen des gesellschaftlich Erlaubten überschritt und in scharfem Ton:
»Wirklich, ich muß gestehen, da wir doch Alle hier zusammen gekommen sind, um zu spielen, finde ich das auffallend; fehlt Ihnen etwas, Miß Silvester?«
Das zarte, bleiche Gesicht Miß Silvester? erröthete, aber sie war sich ihrer Pflicht als Dame und als Gouvernante bewußt, fand sich in das unvermeidliche und hielt so für dieses Mal das gute Einvernehmen äußerlich aufrecht.
»O, mir fehlt eigentlich nichts,« antwortete sie, »ich fühlte mich nur diesen Morgen nicht ganz wohl, aber ich werde mitspielen wenn Sie es wünschen.«
»Ich wünsche es!« entgegnete Lady Lundie.
Miß Silvester trat bei Seite, stellte sich an eine der Eingangsthüren des Gartenhauses und erwartete das Weitere, indem sie ihre Blicke mit sichtlicher innerer Unruhe, die sich durch das Heben ihres Busens deutlich kundgab, über den Rasen schweifen ließ.
Jetzt war die Reihe an Blanche, den nächsten Spieler zu wählen. Mit einem etwas unsicheren Blick überschaute sie die Gäste, bis ihr Auge auf einen Herrn in der vordersten Reihe fiel. Er stand neben Sir Patrick, ein echter Repräsentant der jetzt lebenden Generation, wie Sir Patrick der Repräsentant einer vergangenen Generation war.
Der moderne junge Mann war jung und blond, hoch gewachsen und kräftig; der Scheitel seines gelockten, blonden Haares fing in der Mitte der Stirn an und ging über den Hinterkopf bis zum Nacken hinunter. Seine Züge waren so vollkommen regelmäßig und so vollkommen unintelligent, wie menschliche Züge es nur sein können. Der Ausdruck seines Gesichts war der einer wunderbar unerschütterlichen Ruhe. Die Muskeln seiner kräftigen Arme waren durch die Hülle seines leichten Sommerrockes hindurch sichtbar; er hatte eine breite Brust, eine feine Taille und stand fest auf seinen Füßen. Mit einem Wort, er war ein prachtvolles, vom Scheitel bis zur Sohle zur höchsten Entwickelung seiner physischen Kräfte gelangtes menschliches Thier. Das war Mr. Geoffrey Delamayn, gemeiniglich der »Ehrenwerthe« genannt, eine Bezeichnung, die er in mehr als einer Hinsicht verdiente. Er war erstens »ehrenwerth« als der zweite Sohn des uns aus dem Vorspiel bekannten Advocaten, der jetzt Lord Holchester hieß; er war zweitens »ehrenwerth« als der Erringer des höchsten Siegespreises, welcher bei dem gegenwärtigen Erziehungs-System des modernen Englands erreicht werden kann, er hatte bei einem »Universitäts Wettrudern« den Preis davon getragen. Wenn man hinzunimmt, daß ihn nie Jemand etwas anders als eine Zeitung lesen gesehen, und daß er niemals eine Wette refüsirt hatte, so werden diese Züge zur Schilderung dieses ausgezeichneten jungen Engländers für jetzt genügen. Blanches Augen blieben sehr natürlich auf ihm haften, und sie wählte ihn als den ersten Spieler auf ihrer Seite: »Ich wähle Mr. Delamayn.«
Kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, als die Röthe von Miß Silvester’s Gesicht verschwand und einer tödtlichen Blässe Platz machte. Sie schien den Garten-Pavillon verlassen zu wollen, hielt aber plötzlich inne und legte die eine Hand auf die Lehne einer neben ihr befindlichen Gartenbank; ein hinter ihr stehender Herr, der die Hand betrachtete, sah wie sich dieselbe so krampfhaft und gewaltsam zusammenballte, daß der Handschuh auf derselben platzte. Der Herr merkte sich das wohl und fand in diesem Zug den Beweis eines furchtbar leidenschaftlichen Temperament. Inzwischen beobachtete Mk. Delamayn sonderbarer Weise dasselbe Verfahren, zu welchem vor ihm Fräulein Silvester ihre Zuflucht genommen hatte, auch er suchte sich dem gemeinschaftlichen Spiel zu entziehen.
»Vielen Dank,« sagte er, »Sie würden mir eine noch größere Freude erweisen, wenn Sie einen andern Herrn wählen wollten, ich spiele nicht gern.«
Vor fünfzig Jahren würde man diese einer Dame ertheilte Antwort als eine nicht zu entschuldigende Impertinenz betrachtet haben, nach den gesellschaftlichen Regeln unserer Tage wurde die Antwort als ein Beweis einer liebenswürdigen Offenheit beifällig aufgenommen.
Die Gesellschaft lachte, aber Blanche wurde ungeduldig.
»Interessiren Sie sich denn für gar nichts Anderes, als für gewaltsame Körperübungen, Mr. Delamayn,« fragte sie in scharfem Ton, »muß es durchs aus ein Wettrudern oder ein Wettlaufen sein? wenn Sie etwas wie Geist besäßen, so würden Sie das Bedürfniß empfinden, sich ein wenig Ruhe zu gönnen; nun haben Sie zwar keinen Geist, aber Muskeln, warum wollen Sie diesen nicht auch ein wenig Ruhe gönnen?«
Die Spitzen von Blanche’s scharfem Witz glitten aber an Mr. Delamayn völlig ab.
»Wie es Ihnen gefällig ist,« erwiderte er mit unerschütterlichem Gleichmuth, »nehmen Sie es mir nicht übel, ich bin hier in Gesellschaft von Damen, die mich nicht rauchen lassen wollen und ich vermisse meine Pfeife schmerzlich, ich dachte ich könnte mich einen Augenblick davon machen und ein paar Züge thun, aber wenn Sie es wünschen, will ich auch spielen.«
»O bitte, rauchen Sie doch ja,« erwiderte Blanche, »ich werde einen Anderen wählen, ich will Sie gar nicht.«
Dem »ehrenwerthen« jungen Manne sah man an, wie sehr ihn diese Antwort erfreute.
Die ungestüme junge Dame wandte ihm den Rücken zu und sah sich nach den Gästen an der andern Seite des Pavillons um. »Wen soll ich wählen?« fragte sie sich selbst.
Ein junger Mann mit einer von der Sonne gebräunten Haut, der in Ausdruck und Wesen etwas von einem Seemann hatte, trat schüchtern auf sie zu und sagte flüsternd: »Wählen Sie mich.«
Auf Blanche’s Gesicht riefen diese Worte ein reizendes Lächeln hervor; allem Anschein nach war der dunkle junge Mann sehr gut bei ihr angeschrieben.
»Sie?« sagte sie kokett, »Sie verlassen uns ja in einer Stunde.«
Er wagte sich noch einen Schritt näher und sagte: Ich komme übermorgen wieder.«
»Aber Sie spielen ja so schlecht?«
»Ich könnte mich aber bessern, wenn Sie es mich lehren wollten!«
»Glauben Sie? dann will ich es mit Ihnen versuchen.«
Sie wandte sich mit heiterer Miene zu ihrer Stiefmutter und sagte: »ich wähle Mr. Arnold Brinkworth!«
Abermals schien hier in einem den Gästen unbekannten Namen etwas zu liegen, was gleichwohl einen besonderen Eindruck, dieses Mal nicht auf Miß Silvester, sondern auf Sir Patrick hervorbrachte. —— Er sah Mr. Brinkworth plötzlich mit einem Ausdruck von Interesse und Neugierde an, und würde, hätte nicht die Frau vom Hause in diesem Augenblicke seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, unfehlbar mit dem jungen Manne gesprochen haben. Die Reihe war an Lady Lundie, ihrerseits einen zweiten Spieler zu wählen. Ihr Schwager war für sie eine wichtige Person, und sie hatte ihre besonderen Gründe, sich bei dem Haupte der Familie beliebt zu machen. Sie setzte die ganze Gesellschaft in Erstaunen, als sie Sir Patrick zu ihrem Mitspieler erwählte.
»Mama,« rief Blanche, »wo denkst Du hin? Sir Patrick spielt gewiß nicht mit, Croquet war ja zu seiner Zeit noch gar nicht erfunden.«
Sir Patrick gestattete der jungen Generation nie, eine verletzende Bemerkung über seine Zeit zu machen, ohne dieser Generation mit gleicher Münze heimzuzahlen.
»Zu meiner Zeit,« sagte er zu seiner Nichte gewendet, »erwartete man von den Leuten, daß sie zu einer Gesellschaft, wie diese, einige liebenswürdige Eigenschaften mitbringen würden, in neuerer Zeit habt Ihr aber solche Anforderungen aufgegeben; das ist,« bemerkte der alte Herr, indem er einen der Croquethämmer vom Tische nahm, »eines der Erfordernisse des Erfolgs in der modernen Gesellschaft und hier,« fügte er hinzu, indem er einen Ball in die Hand nahm, »ist ein anderes; man lernt so lange man lebt, ich spiele mit.«
Lady Lundie, die gegen jede ironische Bemerkung gefeit war, lächelte anmuthig und sagte: »Ich wußte, daß Sir Patrick mir zu Gefallen mitspielen würde.«
Sir Patrick verneigte sich verbindlich.
»Lady Lundie,« antwortete er, »meine Gedanken sind für Sie kein Geheimniß und liegen offen vor Ihnen.«
Zum Erstaunen aller noch nicht vierzigjährigen Gäste gab er diesen Worten einen besonderen Nachdruck. Indem er die Hand aufs Herz legte und einen Vers citirte, sagte er: »Ich darf mit Dryden ausrufen: »Alt wie ich bin, für Frauenlieb’ nicht mehr gemacht, Fühl’ ich doch immer noch der Schönheit Macht.«
Lady Lundie war durch diese Galanterie ersichtlich beleidigt.
Mr. Delamayn ging noch einen Schritt weiter, mit der Miene eines Mannes, der sich gebieterisch berufen fühlt, eine Pflicht zu erfüllen, nahm er das Wort und sagte: »Das hat Dryden nicht gesagt, darauf lasse ich meinen Kopf.«
Mit Hilfe seines elfenbeinernen Spazierstockes drehte sich Sir Patrick rasch um und sah Mr. Delamayn scharf in’s Gesicht.
»Wollen Sie Dryden besser kennen als ich?« sagte er.
Der »ehrenwerthe« Geoffrey antwortete bescheiden: »Ich glaube wohl, denn ich habe drei Mal mit ihm um die Wette gerudert und wir haben uns zusammen auf’s Rudern eingeübt.«
Sir Patrick sah mit einem bitter triumphirenden Lächeln umher.
»Dann erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie mit einem Manne um die Wette gerudert haben, der vor ungefähr zweihundert Jahren gestorben ist.«
Mr. Delamayn wandte sich mit unverhohlenem Erstaunen an die ganze Gesellschaft.
»Was will der alte Herr,« fragte er. »Ich spreche von Tom Dryden vom Corpus-Chrifti-College, jeder Mensch auf der Universität kennt ihn.«
»Und ich,« entgegnete Sir Patrick, »spreche von dein Dichter John Dryden, den ersichtlich nicht Jeder auf der Universität kennt.«
Mr. Delamayn antwortete ganz ernsthaft: »Auf mein Ehrenwort, von dem habe ich mein Leben lang noch nichts gehört.«
Er lächelte und zog seine Rosenholzpfeife aus der Tasche.
»Haben Sie vielleicht ein Zündholz?« fragte er den alten Herrn in dem unbefangen freundlichsten Tone.
Sir Patrick aber antwortete in einem durchaus nicht freundlichen Tone: »Ich rauche nicht, Sir.«
Herr Delamayn sah ihn an, ohne im mindesten beleidigt zu sein.
»Sie rauchen nicht?« wiederholte er, »dann Begreife ich nicht, wie Sie Ihre Mußestunden hinbringen.«
Sir Patrick machte der Unterhaltung ein Ende.
»Das muß Ihnen allerdings unbegreiflich sein,« sagte er mit einer sehr leichten Verbeugung.
Während dieses»kleine Scharmützel vor sich ging, hatte Lady Lundie das Spiel arrangirt und die Gesellschaft, Spieler wie Zuschauer, fing an, sich nach dem Rasen hinzubewegen.
Sir Patrick hielt seine Nichte, die im Begriff war, sich in Gesellschaft des dunklen jungen Mannes« gleichfalls in den Garten zu begeben, zurück und sagte: »Laß Mr. Brinkworth bei mir, ich habe mit ihm zu reden.«
Blanche ertheilte demgemäß ihre Ordre Mr. Brinkworth wurde verurtheilt, bei Sir Patrick zu bleiben, bis sie seiner bei dem Spiel bedürfen würde.
Mr. Brinkworth war erstaunt, aber er gehorchte.
Während dieser Ausübung eines Actes der Autorität von Seiten Blanche’s begab sich etwas Bemerkenswerthes an der anderen Ecke des Garten-Pavillons. Mrs. Silvester benutzte die durch die allgemeine Bewegung nach dem Rasen hin verursachte Verwirrung, um dicht an Mr. Delamayn heranzutreten.
»In zehn Minuten,« flüsterte sie ihm zu, wird der Gartenpavillon leer sein, dann triff mich dort.«
»Der ehrenwerthe Geoffrey fuhr zusammen und sah sich verstohlen nach den Gästen in seiner Nähe um.
»Glaubst Du, daß wir da unbeachtet sein werden?« flüsterte er leise.
Die Lippen des Mädchens zitterten, es war schwer zu sagen, ob vor Zorn oder vor Furcht.
»Ich bestehe darauf,« antwortete sie, und verließ ihn.
Mr. Delamayn blickte ihr mit zusammengezogenen Augenbrauen nach und verließ auch seinerseits den Garten-Pavillon.
Der Rosengarten hinter dem kleinen Gebäude war in diesem Augenblick ganz leer; Geoffrey zündete seine Pfeife an und verbarg sich hinter den Rosen. Er rauchte in raschen, ungeduldigen Zügen; in der Regel war er für seine Pfeife ein äußerst milder Herr; wenn er den vertrauten Diener hetzte, so war das bei ihm ein sicheres Zeichen innerer Aufregung.
Vorheriges
Kapitel
Nächstes
Kapitel
Inhaltsverzeichnis
für diese Geschichte