Ein tiefes Geheimnis



Zweites Kapitel

Eine abermalige Überraschung

Trotz aller Eile, welche Doktor Orridge anwendete, ward es doch ein Uhr nachmittags, ehe seine Berufspflichten ihm gestatteten, sich in seiner einspännigen Chaise auf den Weg nach Mistreß Norburys Haus zu begeben. Er fuhr so rasch, daß er den halbstündigen Weg in zwanzig Minuten zurücklegte.

Der Diener, welcher das rasche Heranfahren der Chaise gehört hatte, öffnete die Haustür in demselben Augenblick, wo das Pferd angehalten ward, und kam dem Doktor mit schadenfrohem Lächeln entgegen.

„Nun“, sagte der Doktor, indem er in das Haus hineineilte, „Ihr wart wohl gestern Abend ein wenig überrascht, als die Haushälterin wiederkam ?“

„Ja, Sir, wir waren allerdings überrascht, als sie gestern Abend wiederkam“, antwortete der Diener, „aber noch mehr überrascht waren wir, als sie heute Morgen wieder fortging.“

„Fortging ? Ihr wollt damit doch nicht etwa sagen, sie sei nicht mehr hier ?“

„Freilich will ich das sagen, Sir. Sie hat ihren Dienst verloren und ist fort für immer.“

Der Diener lächelte wieder, indem er diese Bemerkung machte, und die Hausmagd, welche, während er sprach, zufällig die Treppe herunterkam und hörte, was er sagte, lächelte auch. Mistreß Jazeph hatte augenscheinlich bei dem übrigen Dienstpersonale in keiner großen Gunst gestanden. Doktor Orridge war vor Erstaunen nicht im Stande, weiter ein Wort hervorzubringen. Da der Diener keine weiteren Fragen tun hörte, so öffnete er die Tür des Frühstückszimmers und der Doktor trat herein.

Mistreß Norbury saß in der Nähe des Fensters, in starr aufrechter Haltung und beobachtete unbeugsam das Tun und Treiben ihres kranken Töchterchens über einer Schüssel Hafergrützschleim.

„Ich weiß, was Sie sagen wollen, ehe Sie noch den Mund auftun“, hob die mit der Sprache gerade herausgehende Dame an. „Aber sehen Sie erst das Kind an und sagen Sie, wie es mit diesem steht, ehe Sie auf ein anderes Thema übergehen.“

Der Zustand des Kindes ward untersucht, als ein in rasch fortschreitender Besserung begriffener erklärt und die Kleine dann von der Wärterin fortgetragen, damit sie sich ein wenig niederlegen und ausruhen möchte.

Sobald als die Tür des Zimmers sich geschlossen hatte, redete Mistreß Norbury den Doktor sofort an und unterbrach ihn zum zweiten Male, gerade als er im Begriff stand zu sprechen.

„Nun, Doktor“, begann sie, „ich will Ihnen gleich von vorn herein etwas sagen. Ich bin eine sehr gerechte Frau und zanke mich nicht mit Ihnen. Sie sind die Ursache, daß ich von drei Personen mit der kecksten Unverschämtheit behandelt worden bin – aber Sie sind die unschuldige Ursache und deshalb mache ich Ihnen keinen Vorwurf.“

„Ich weiß in der Tat nicht“, entgegnete der Doktor, „ich weiß wirklich nicht, - ich versichere Ihnen –“

„Sie wissen nicht, was ich meine ?“ unterbrach ihn Mistreß Norbury. „Ich will es Ihnen sogleich sagen. Waren Sie nicht die ursprüngliche Ursache, daß ich meine Haushälterin als Wärterin zu Mistreß Frankland schickte ?“

„Ja“, antwortete der Doktor, denn nun konnte er nicht zögern, dies zuzugestehen.

„Nun gut“, fuhr Mistreß Norbury fort, „und die Folge davon ist gewesen, daß ich, wie ich shcon vorhin sagte, von nicht weniger als drei Personen mit beispielloser Unverschämtheit behandelt worden bin. Mistreß Frankland setzt sich eine abgeschmackte Grille in den Kopf und stellt sich, als wäre sie durch die Haushälterin in Schrecken gesetzt worden. Der Gemahl dieser Dame entwickelt eine unverschämte Bereitwilligkeit, auf die Grille einzugehen, und schickt mir meine Haushälterin wieder wie einen falschen Schilling, und drittens, was das schlimmste von allen ist, meine Haushälterin selbst beleidigt mich sobald sie zurückkommt ins Gesicht – beleidigt mich, Doktor, dermaßen, daß ich ihr befehle, binnen zwölf Stunden das Haus zu verlassen. Fangen Sie nicht an, sich zu verteidigen, Doktor ! Ich weiß alles; ich weiß, daß Sie mit dem Fortschicken meiner Haushälterin nichts zu tun gehabt haben und ich habe das auch nicht behauptet. Alles Unheil, was Sie angerichtet haben, ist unverschuldetes Unheil. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, bedenken Sie das wohl, was Sie auch tun mögen, Doktor Orridge, bedenken Sie dies !“

„Ich hatte durchaus nicht die Absicht, mich zu verteidigen“, entgegnete der Doktor, als ihm endlich vergönnt war zu sprechen, „denn ich bin meinerseits ebenso fest davon überzeugt, als Sie Ihrerseits sein können, Mistreß Norbury, daß ich in keiner Weise zu tadeln bin. Ich wollte bloß sagen, daß Sie mich über alles Erwarten in Erstaunen setzen, wenn Sie mir mitteilen, daß Mistreß Jazeph Ihnen mit Unhöflichkeit begegnet ist.“

„Unhöflichkeit !“ rief Mistreß Norbury. „Sprechen Sie nicht von Unhöflichkeit – das ist nicht das richtige Wort. Unverschämtheit ist das rechte Wort – die frechste, keckste Unverschämtheit. Als Mistreß Jazeph in jener Chaise aus dem Tigerkopf zurückkam, war sie entweder betrunken oder verrückt. Reißen Sie die Augen auf wie Sie wollen, Doktor; sie war entweder das eine oder das andere, oder auch ein Gemisch von beidem. Sie haben sie gesehen ? – Sie haben mit ihr gesprochen – würden Sie wohl sagen, es sei von ihr zu erwarten gewesen, daß Sie Ihnen wild ins Gesicht sehen und in dem Augenblicke, wo Sie mit ihr sprächen, Ihnen geradezu widersprechen würde ?“

„Nein, ich würde sagen, daß sie die allerletzte Person in der Welt wäre, von der man sich eines solchen ungebührlichen Benehmens versehen könnte“, antwortete der Doktor.

„Sehr gut. Nun hören Sie, was geschah, als sie vorige Nacht zurückkam“, sagte Mistreß Norbury. „Sie kam gerade hier an, als wir die Treppe hinaufgingen, um uns zu Bett zu legen. Natürlich war ich nicht wenig erstaunt und rief sie in mein Zimmer, um mir die Sache erklären zu lassen. In diesem meinen Verfahren lag sicherlich nichts sehr Unnatürliches, sollte ich meinen. Ich bemerkte, daß ihre Augen geschwollen und rot waren, daß sie ganz auffallend verstört und sonderbar aussah, aber ich sagte nichts, sondern wartete auf die Erklärung. Sie hatte mir aber weiter nichts zu sagen, als daß etwas, was sie unabsichtlich gesagt oder getan, Mistreß Frankland erschreckt, und daß der Gatte dieser Dame sie deswegen auf der Stelle fortgeschickt habe. Ich glaubte dies anfangs nicht, was, wie ich denke, ebenfalls sehr natürlich war – sie beharrte aber auf ihrer Geschichte und beantwortete alle meine Fragen damit, daß sie erklärte, sie könne mir nichts weiter sagen. „Also“, sagte ich, „ich soll glauben, daß nachdem ich mir die Unbequemlichkeit auferlegt, Euch zu beurlauben, und nachdem Ihr Euch die Unbequemlichkeit gemacht, das Amt der Wärterin zu übernehmen, ich mich beleidigen lassen soll, und daß Ihr Euch beleidigen lassen sollt, indem man Euch von Mistreß Frankland noch an demselben Tage, wo Ihr zu ihr gekommen, wieder fortgeschickt, weil sie sich zufällig eine Grille in den Kopf setzt ?“ – „Ich habe Mistreß Frankland nicht beschuldigt, daß sie sich eine Grille in den Kopf gesetzt habe“, sagte Mistreß Jazeph und stierte mir gerade ins Gesicht, mit einem Blicke, wie ich ihn nach meiner ganzen fünfjährigen Erfahrung noch niemals in ihren Augen gesehen. – „Was meint Ihr ?“ fragte ich sie, indem ich ihr, wie sie denken konnte, ihren Blick zurückgab. „Habt Ihr so wenig Ambition, die Behandlung, die Euch widerfahren, als eine Ehre zu betrachten ?“ – „Ich bin so gerecht“, entgegnete Mistreß Jazeph blitzschnell und mich immer noch mit demlseben Blicke anstierend, „ich bin so gerecht, Mistreß Frankland nicht zu tadeln.“ – „So ? Ach, sehr doch !“ sagte ich; „dann kann ich Euch weiter nichts sagen, als daß ich die Beleidigung fühle, wenn auch Ihr sie nicht fühlt und daß ich Mistreß Franklands Handlungsweise als die Handlungsweise eines ungebildeten, unverschämten, launenhaften, gefühllosen Weibes betrachte.“ – Mistreß Jazeph kommt einen Schritt auf mich zu – sie kommt einen Schritt auf mich zu, ich gebe Ihnen mein Wort darauf – und sagt ganz deutlich und vernehmlich die Worte: „Mistreß Frankland ist weder ungezogen, noch unverschämt, noch launenhaft oder gefühllos.“ – „Habt Ihr die Absicht mir zu widersprechen, Mistreß Jazeph ?“ fragte ich. – „Ich habe die Absicht, Mistreß Frankland gegen ungerechte Beschuldigungen zu verteidigen“, entgegnete sie. – Dies waren ihre Worte, Doktor – ich versichere Ihnen auf meine Ehre, daß dies buchstäblich ihre Worte waren.“

Das Gesicht des Doktors gab das größte Erstaunen zu erkennen. Mistreß Norbury betrachtete ihn mit einem Blick ruhigen Triumphes und fuhr fort:

„Ich geriet in die heftigste Entrüstung – ich gestehe dies unumwunden, Doktor – aber ich beherrschte mich. „Mistreß Jazeph“, sagte ich, „das ist eine Sprache, an die ich nicht gewöhnt bin und die ich nicht aus Eurem Munde zu hören erwartet hätte. Warum Ihr Euch die Aufgabe stellt, Mistreß Frankland zu verteidigen, obschon sie uns beide mit Verachtung behandelt hat, und mir zu widersprechen, weil ich dies rüge, weß ich nicht und mag es auch nicht wissen. Wohl aber muß ich Euch offen sagen, daß ich von jeder Person, die in meinem Dienste steht, von der Wirtschafterin an bis zur Scheuermagd verlange, daß man ehrerbietig mit mir spreche. Jeden andern Dienstboten in diesem Hause, der sich so gegen mich benommen hätte, wie Ihr Euch benehmt, würde ich auf der Stelle den Dienst gekündigt haben.“ – Sie wollte mich hier unterbrechen, aber ich gestattete es nicht. – „Nein“, sagte ich, „jetzt habt Ihr mir noch nichts zu sagen; erst müßt Ihr mich ausreden lassen. Jeder andere Dienstbote, sage ich nochmals, hätte morgen früh dieses Haus verlassen müssen, gegen Euch aber will ich mehr als gerecht sein. Ich will auf Euer fünfjähriges gutes Verhalten in meinem Dienste Rücksicht nehmen. Ich will Euch diese Nacht Zeit lassen, Euch zu besinnen und zu bedenken, was zwischen uns stattgefunden hat. Erst morgen früh werdet Ihr Euch auf angemessene Weise bei mir entschuldigen.“ Sie sehen, Doktor, daß ich entschlossen war, gerecht und gütig zu handeln. Ich war bereit, Rücksichten zu nehmen, aber was glauben Sie wohl, was die Person mir entgegnete ? – „Ich bin bereit, Sie um Entschuldigung zu bitten, daß ich Sie beleidigt habe, Madame“, sagte sie, „und zwar sofort; mag es aber nun heute Abend oder morgen früh sein, so kann ich nicht dabeistehen und schweigen, wenn Mistreß Frankland beschuldigt wird, sich unfreundlich gegen mich oder sonst jemanden benommen zu haben.“ – „Sagt Ihr mir dies mit voller Überlegung, Mistreß Jazeph ?“ fragte ich. – „Ich sage es Ihnen aufrichtig, Madame“, antwortete sie, „und ich bedauere sehr, daß ich genötig bin es zu tun.“ – „O bitte, bemüht Euch nicht, etwas zu bedauern“, entgegnete ich, „denn Ihr könnt Euch als Eures Dienstes entlassen betrachten. Ich werde den Verwalter beauftragen, Euch morgen in aller Frühe anstatt monatlicher Kündigung den gewähnlichen Monatslohn auszuzahlen, und bitte, daß Ihr dann das Haus so bald als möglich verlasst.“ – „Ich werde Ihr Haus morgen verlassen, Madame“, sagte sie, „aber ohne erst den Verwalter zu bemühen. Ich danke Ihnen für die bewiesene Güte, muß mich aber weigern, einen Monatslohn anzunehmen, den ich nicht durch einen Monat Arbeit verdient habe.“ – Und mit diesen Worten macht sie ihr Kompliment und geht hinaus. Das ist Wort für Wort, was zwischen uns stattfand, Doktor. Erklären Sie das Benehmen dieser Frau nach Ihrer Weise, wenn Sie können. Ich sage, es ist völlig unbegreiflich, wenn Sie nicht mit mir dahin einverstanden sind, daß sie entweder betrunken oder nicht recht bei Verstande war, als sie vorige Nacht hierher zurückkehrte.“

Der Doktor begann zu denken, daß, nach dem, was er soeben gehört, Mistreß Franklands Argwohn in Bezug auf die neue Wärterin nicht ganz so unbegründet wäre, als er anfangs geneigt gewesen ihn zu betrachten. Er enthielt sich jedoch weislich, die Sache dadurch, daß er seinen Gedanken Worte liehe, noch mehr zu verwickeln, und nachdem er Mistreß Norbury einige unbestimmte höfliche Worte entgegnet, bemühte er sich, ihre Gereiztheit gegen Mr. und Mistreß Frankland dadurch zu beschwichtigen, daß er ihr versicherte, er käme als Überbringer von Entschuldigungen wegen des anscheinenden Mangels an Artigkeit und Rücksicht, dessen sich die jungen Eheleute in Folge unvermeidlicher Umstände schuldig gemacht.

Die beleidigte Dame wollte sich jedoch durchaus nicht begütigen lassen. Sie stand auf und machte mit würdevoller Miene eine stolze Handbewegung.

„Ich kann kein Wort weiter anhören, Doktor“, sagte sie. „Ich kann keine Entschuldigungen annehmen, die indirekt gemacht werden. Wenn Mr. Frankland selbst kommen und wenn Mistreß Frankland sich herablassen will, an mich zu schreiben, dann bin ich bereit, die Sache zu vergessen. Unter allen andern Umständen aber muß ich mir erlauben, meine gegenwärtige Meinung sowohl von der Dame als dem Herrn beizubehalten. Sagen Sie kein Wort weiter und haben Sie die Güte, mich zu entschuldigen, wenn ich Sie verlasse und in die Kinderstube hinaufgehe, um zu sehen, was mein Töchterchen macht. Ich freue mich zu hören, daß es Ihrem Ausspruche nach besser mit ihr geht. Ich bitte, kommen Sie morgen oder übermorgen wieder, wenn es Ihnen paßt. Guten Morgen.“

Mistreß Norburys Benehmen machte dem Doktor in gewisser Beziehung Spaß, in anderer aber berührte der kurze Ton, in welchem sie zu ihm sprach, ihn unangenehm.

Er blieb einige Minuten allein im Frühstückszimmer zurück und wußte nicht recht, was er zunächst tun sollte. Er hatte jetzt fast ebenso viel Interesse daran, das Geheimnis von Mistreß Jazephs außerordentlichem Benehmen gelöst zu sehen, als Mistreß Frankland selbst und auf alle Fälle hatte er keine Lust, in den Tigerkopf zurückzukehren und bloß zu wiederholen, was Mistreß Norbury ihm gesagt, so lange er nicht im Stande war, die Erzählung dadurch zu vervollständigen, daß er Mr. und Mistreß Frankland von der Richtung in Kenntnis setzte, welche die Haushälterin eingeschlagen, nachdem sie das Haus ihrer zeitherigen Dienstherrschaft verlassen.

Nachdem er eine Weile nachgedacht, beschloß er den Diener zu fragen, indem er von demselben zu wissen wünschte, ob seine Chaise bereit sei.

Auf den Ruf der Klingel erschien der Diener und nachdem dieser gemeldet, daß die Chaise bereit sei, fragte Doktor Orridge, während er die Hausflur durchschritt, ihn in gleichgültigem Tone, ob er wüßte, zu welcher Zeit des Vormittags Mistreß Jazeph das Haus verlassen habe.

„Gegen zehn Uhr, Sir“, antwortete der Diener, „als der Botenfuhrmann aus dem Dorfe vorbeikam, der alle Tage wegen des um elf Uhr abgehenden Zuges nach der Station fährt.“

„Dieser nahm wohl ihre Koffer mit ?“ fragte der Doktor.

„Ja und sie selbst dazu“, sagte der Diener schmunzelnd. „Sie mußte wenigstens dieses eine Mal in ihrem Leben in dem Karren eines Botenfuhrmanns fahren.“

Als der Doktor nach West Winston zurückkam, hielt er an der Eisenbahnstation an, um weitere Erkundigungen einzuziehen, ehe er nach dem Tigerkopfe zurückkehrte. Es waren gerade zu dieser Zeit keine Züge nach der einen oder andern Richtung hin zu erwarten. Der Stationsinspektor las die Zeitungen und der Portier gärtnerte an dem Abhange der Böschung.

„Geht der Zug um elf Uhr morgens nach London oder kommt er daher ?“ fragte der Doktor den Portier.

„Er geht dahin.“

„Nahm er viel Passagiere von hier mit ?“

Der Portier nannte die Namen einiger Bewohner von West Winston.

„Waren weiter keine Passagiere als diese Leute aus der Stadt ?“ fragte der Doktor weiter.

„O ja – ich glaube, es war noch eine fremde Person dabei – es war eine Frau.“

„Hat der Inspektor die Billets für diesen Zug ausgegeben ?“

„Ja, Sir.“

Der Doktor ging nun weiter zu dem Inspektor.

„Entsinnen Sie sich, heute morgen einer allein reisenden Frau ein Billet für den um elf Uhr nach London gehenden Zug verkauft zu haben ?“

Der Inspektor dachte nach.

„Ich habe heute wenigstens an ein halbes Dutzend Frauenspersonen Billets zu verschiedenen Zügen verkauft“, antwortete er zweifelhaft.

„Das glaube ich wohl, ich spreche aber bloß von dem Elfuhrzuge“, sagte der Doktor. „Sehen Sie zu, ob Sie sich besinnen.“

„Ob ich mich besinne ? Halt, jetzt fällt mirs ein ! – Ich weiß, wen Sie meinen. Es war eine Frau, die in ziemlicher Aufregung zu sein schien und eine Frage an mich richtete, die mir hier nicht oft vorgelegt wird. Ich besinne mich, daß sie ihren Schleier herabgeschlagen hatte und daß sie hierherkam, um mit dem Elfuhrzuge abzureisen. Crouch, der Botenfuhrmann, brachte ihren Koffer in die Gepäckaufgabe.“

„Das ist sie. Wohin nahm sie ihr Billet ?“

„Nach Exeter.“

„Sie sagten, Sie hätte eine Frage an Sie gestellt.“

„Ja, sie fragte, was für Gelegenheit es in Exeter gäbe, um von dort nach Cornwall weiter zu reisen. Ich sagte ihr, wir wären hier zu weit von diesem Ort entfernt, um hierüber genau unterrichtet zu sein, und empfahl ihr, sich bei den Leuten aus Devonshire zu erkundigen, wenn sie ans Ende der Reise käme. Sie schien ein schüchternes Frauenzimmer zu sein, welches sich auf der Reise nicht gut zu helfen wußte. Ist etwas nicht richtig mit ihr, Sir ?“

„O nein, durchaus nicht“, entgegnete der Doktor, indem er den Inspektor verließ und wieder zu seiner Chaise zurückeilte.

Als er einige Minuten später an der Tür des Tigerkopfes vorfuhr, sprang er aus seinem Wagen mit der zuversichtlichsten Miene eines Mannes, der Alles getan hat, was man von ihm erwarten konnte. Es war leicht, Mistreß Frankland mit der ungenügenden Nachricht von Mistreß Jazephs Entfernung gegenüberzutreten, da er ja nun auf die beste Bürgschaft hin die wichtige ergänzende Nachricht hinzufügen konnte, daß sie nach Cornwall gereist sei.


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