Gesetz und Frau



Dreizehntes Kapitel.

Miserrimus Dexter! Zweite Begegnung.

»Ich hatte Unrecht und Sie hatten Recht,« flüsterte ich erschreckt meiner Schwiegermutter zu.

»Lassen Sie uns gehen.«

»Nein!« rief Mr. Dexter, der es gehört hatte »Eustace Macallans zweite Frau soll hier bleiben. Ich bin ein Gentleman ich muß sie um Entschuldigung bitten. Ich bin ein Kenner weiblicher Charactere ich wünsche sie zu sehen.«

Der Mann schien wie mit einem Zauberschlage verändert. Er sprach so weich, wie ein Weib, das eben Thränen vergossen. War es neubelebter Muth oder war es neubelebte Neugierde? Als Mrs. Macallan mich fragte: »Wollen Sie noch gehen? Der Anfall ist jetzt vorüber« — antwortete ich: »nein, lassen Sie uns wieder eintreten.«

»Es thut mir leid, Sie erschreckt zu haben,« sagte die sanfte Stimme am Kamin. »Es giebt Menschen, die mich für periodisch wahnsinnig halten. Wenn jene Leute Recht haben, kamen Sie gerade zu einer solchen Zeit. Meine Einbildungskraft läuft manchmal mit mir fort und ich sage seltsame Dinge. Wenn man bei diesen Gelegenheiten jenes entsetzlichen Prozesses erwähnt, werde ich in die Vergangenheit zurück geworfen und bekomme Nervenschmerzen. Ich bin ein sehr gefühlvoller Mensch. Nehmen Sie also meine Entschuldigung an, treten Sie näher und haben Sie Mitleid mit mir.«

Er würde jetzt kein Kind mehr erschreckt haben. Das Zimmer wurde dunkler und dunkler. Wir konnten nichts unterscheiden als die hockende Figur am Kamin.

»Wollen Sie kein Licht anzünden lassen?« fragte Mrs. Macallan.

»Und soll diese Dame wenn das Zimmer erleuchtet ist, Sie außerhalb Ihres Stuhles sehen?«

Er nahm etwas Glänzendes, das um seinen Hals hing und blies eine Reihenfolge schriller, vogelartiger Töne hinein. Eine kurze Pause und der Ruf bekam ein entferntes, abgeschwächtes Echo.

»Ariel kommt schon« sagte er. »Gedulden Sie Sich nur noch ein wenig Mama Macallan, Ariel wird mich sofort kurfähig machen.«

Er hüpfte auf seinen Händen in die tiefe Dunkelheit an das Ende des Zimmers.

»Noch ein wenig Geduld,« sagte Mrs. Macallan; »dann kommt eine andere Ueberraschung, die zarte Ariel.«

Wir hörten schwere Fußtritte in dem Vorzimmer.

»Ariel!« seufzte Miserrimus Dexter aus der Dunkelheit heraus, in seinen sanftesten Worten.

»Hier!« rief die heisere Stimme der Cousine mit dem Männerhut.

»Meinen Stuhl, Ariel!«

Die gerufene Person zog die herunterhängende Tapete etwas bei Seite indem sie einen Lichtstrom einließ und den Rollstuhl vor sich herschob. Dann hielt sie still und hob Miserrimus Dexter wie ein Kind vom Boden auf. Ehe sie ihn noch auf den Stuhl setzen konnte sprang er mit einem fröhlichen Schrei von ihrem Arm auf seinen Sitz, wie ein Vogel, der von einem Zweig zum anderen flattert.

»Die Lampe,« sagte Miserrimus Dexter.

»Und den Spiegel. Verzeihen Sie mir, meine Damen daß ich Ihnen den Rücken kehre. Sie dürfen mich nicht eher sehen, bis mein Haar in Ordnung ist. Ariel! den Kamm, die Bürste und die Pomaden.«

Die Lampe in der einen Spiegel, Bürste und Pomade in der anderen Hand und den Kamm zwischen den Zähnen erschien Mr. Dexter’s Cousine zum ersten mal im vollen Licht. Ich sah nun des Frauenzimmer’s fleischiges, ausdrucksloses Gesicht, die stieren glanzlosen Augen die plumpe Nase, das schwere Kinn. Ein nur halb lebendes Wesen; ein unvollkommen entwickeltes Thier, gekleidet in eine Matrosenjacke einen rothen Flanellunterrock und ein paar Stulpenstiefeln. In dem wirren sandblonden Haar trug sie einen zerbrochenen Kamm. Diese wundervolle Erscheinung gab ihrem Herrn den kleinen Spiegel in die Hand und machte sich dann an das Werk des Frisirens.

Sie kämmte sie bürstete sie ölte und parfümirte die wallenden Locken und den langen seidigen Bart Mr. Dexters mit einem seltsamen Gemisch von Schlechtlaunigkeit und Geschick. Nachdem das Werk künstlerisch und zur vollen Zufriedenheit Dexter’s vollendet, blieb er dennoch eine Weile mit dem Antlitz uns abgewendet.

»Mama Macallan; sagte er, »welches ist der Vorname Ihrer zweiten Schwiegertochter?«

»Weshalb wollen Sie ihn wissen?« fragte Mrs. Macallan.

»Weil ich sie nicht Mrs. Eustace Macallan anreden kann.«

»Und weshalb nicht?«

»Weil es mich an die andere Mrs. Eustace Macallan erinnert. Weil ich dann wieder an jene entsetzlichen Tage in Gleninch denken muß.«

»Ich heiße Valeria,« antwortete ich für mich selber.

»Ein römischer Name,« bemerkte Dexter. »Ich finde ihn hübsch. Ich würde den Körper eines Römers gehabt haben, wenn ich mit Beinen auf die Welt gekommen wäre. Wenn Sie erlauben werde ich Sie also Mrs. Valeria nennen. Mrs. Valeria darf ich Sie zunächst fragen ob Sie das Gesicht dieses Geschöpfes sehen können?«

Er deutete bei diesen Worten mit dem Spiegel auf seine Cousine ungefähr wie er auf einen Hund gedeutet haben würde, und die Cousine ihrerseits nahm nicht mehr Notiz davon wie ein Hund der beleidigenden Aeußerung geschenkt hätte.

»Ist das nicht das Gesicht einer Blödsinnigen?« fuhr Dexter fort. »Sehen Sie sie an! Ein Kohlkopf in meinem Garten hat in diesem Augenblick mehr Leben und Ausdruck als dieses Frauenzimmer. Würden Sie glauben daß in diesem nur halb entwickelten Wesen Intelligenz, Zuneigung, Stolz und Treue wohne?«

Ich wußte nicht, was ich ihm darauf antworten sollte.

»Ich habe diese Zuneigung, diesen Stolz, diese Treue in meiner Hand,« sprach Dexter weiter. »Ich besitze den Schlüssel zu dieser schlafenden Intelligenz. Jetzt sehen Sie sie an, während ich spreche. Sie kennt ihren Namen den ich ihr gegeben wie ein Hund den seinigen. Nun sehen Sie und hören Sie Ariel!«

Des Frauenzimmers ausdrucksloses Gesicht begann sich zu erleuchten.

»Ariel! Hast Du gelernt mich zu frisiren?«

»Ja! Ja! Ja!« antwortete sie mit noch strahlenderen Zügen. »Und Sie sagen daß ich es gut mache.«

»Das sage ich. Würdest Du es gerne einen Anderen thun lassen?«

Ihre Augen wurden schmelzend und sanft. Ihre seltsame unweibliche Stimme sank zu leisen Tönen herab.

»Niemand Anderes darf es thun,« sagte sie mit Stolz und Zärtlichkeit. »So lange ich lebe soll Sie kein Anderer berühren als ich.«

»Auch nicht die Dame dort?« fragte Mr. Dexter, auf mich deutend.

Ihre Augen flammten plötzlich auf, und ihre Hand schüttelte in drohender Eifersucht den Kamm gegen mich.

»Daß sie es nicht versuche!« schrie das arme Geschöpf.

Dexter brach in Lachen aus.

»Nun entlasse ich wieder Deine Intelligenz,« sagte er. »Kehre zu Deinem eigenen Selbst zurück.«

Der Glanz ihrer Augen erlosch allmälich, der Ausdruck ihrer Züge verhärtete sich und er starb. Eine Minute später und das Gesicht war wieder starr und stumpfsinnig wie zuvor.

»Ich dachte mein kleines Experiment würde Sie interessiren,« sagte Mr. Dexter. »Die schlafende Intelligenz in meiner seltsamen Cousine gleicht dem schlafenden Ton in einem musikalischen Instrument. Ich spiele darauf und es antwortet meiner Berührung. Ihr größtes Vergnügen ist, mich Geschichten erzählen zu lassen. Sie müssen das einmal mit anhören.«

Dexter warf noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel.

»Verschwinde!« rief er dann seiner Cousine zu, und diese tappste mit ihren schweren Stiefeln aus dem Zimmer, ohne die geringste Notiz von uns zu nehmen.

Während ich der Abgehenden nachblickte hatte Mr. Dexter seinen Stuhl umgewandt und das Licht der Lampe fiel jetzt voll auf seine Gestalt. Ich sah deutlich das schöne intelligente Antlitz und die großen blauen Augen das wallende kastanienbraune Haar, die schmalen weißen Hände und den schön gebauten Oberkörper. Die Verkrüppelung der fehlenden Glied maßen war durch eine bunte orientalische Decke verhüllt welche über seinem Rollstuhl lag. Er trug eine Jacke von schwarzem Sammet mit großen Malachit-Knöpfen und die Wäsche nach der Mode des verflossenen Jahrhunderts. Ich konnte auch nicht das Geringste Seltsame mehr an ihm wahrnehmen. Das Einzige was mir nicht ganz gefallen wollte, war beim Lachen und Lächeln ein fremdartiges Faltenziehen in den äußeren Augenwinkeln welches zu dem jugendlichen Antlitz unschön contrastirte. Der Mund, soweit der Bart ihn zu sehen erlaubte war klein und schön geformt: die Nase nach griechischem Modell im Vergleich zu der breiten Stirn und den vollen Wangen vielleicht etwas , zu dünn. Im Ganzen aber war er ein schöner Mann. Ein Maler würde ihn als Modell zum heiligen Johannes gebraucht haben und ein junges Mädchen unbekannt mit seiner Verkrüppelung, hätte beim ersten Anblick ausgerufen: »Das ist das Ideal meiner Träume!«

Er hielt seine großen blauen Augen fest auf mich gerichtet und ein seltsam abwechselnder Ausdruck lag auf seinen Zügen der mich theils interessirte theils mich bestürzt machte.

»Nun Mrs. Valeria,« sagte er ruhig, er schrecke ich Sie noch?«

»Gewiß nicht Mr. Dexter«

Zuerst lag Zweifel in seinem Blick, dann strahlte derselbe so bewundernd, daß ein eitles Weib gedacht haben könnte sie habe seine Eroberung gemacht. Dann kam sofort wieder eine neue Veränderung. Die Augen senkten sich, der Kopf fiel auf die Brust herab, und er erhob beide Hände mit einer Geste des Bedauerns. Er murmelte vor sich hin indem er einem trüben Gedankengange zu folgen schien, der ihn weiter und weiter zu ferner liegenden Erinnerungen führte. Hier und da hörte ich eins der Worte. Nach und nach versuchte ich schon die dunklen Vorgänge in der Seele des seltsamen Mannes in lose Verbindung zu bringen.

»Ein weit reizenderes Gesicht,« hörte ich ihn sagen. »Aber keine schönere Figur. Eine schüttete Figur, als die ihre es war, ist nicht zu denken. Worin besteht die Aehnlichkeit die mir ihr Bild zurückführt? Vielleicht in der Stellung? In der Bewegung? Armer unglücklicher Engel! Welches Leben! Und welcher Tod! Und welcher Tod!«

Sollte er mich mit dem Opfer des Giftes, mit meines Gatten erster Frau vergleichen? Seine Worte schienen den Schluß zu rechtfertigen. Die vergiftete Frau hatte sich jedenfalls seiner Bewunderung zu erfreuen gehabt. Er beklagte sie noch nach ihrem Tode. Wenn ich es versuchte dies seltsame Wesen in mein Vertrauen zu ziehen, welches würde das Resultat werden? Würde ich bei dem Vergleich mit ihr gewonnen oder verloren haben? Fühlte er sich durch meinen Anblick getröstet oder niedergedrückt? Ich hätte gerne noch mehr von jener ersten Frau gehört; aber kein Wort über dieselbe entfloh seinen Lippen. Eine neue Veränderung kam über ihn. Er hob entsetzt das Haupt und blickte um sich, wie ein müder Mann der aus tiefem Schlaf erwacht.

»Was habe ich gethan?« sagte er, »habe ich meine Gedanken wieder wandern lassen?« Er schauderte und seufzte. »O, dieses Haus in Gleninch!« murmelte er traurig vor sich hin. »Werde ich nimmer meine Gedanken davon ab bringen können?«

Zu meinem großen Bedauern unterbrach ihn Mrs. Macallan in seiner Weiterbetrachtung. Etwas in seinem Ton und Wesen als er über ihres Sohnes Landhaus gesprochen schien sie verletzt zu haben.

»Ich glaube Sie wissen nicht was Sie sprechen,« sagte sie unwillig.

Sein großes blaues Auge flammte sie stolz an. Mit einer Bewegung seiner Hand brachte er den Stuhl dicht an ihre Seite. Im nächsten Augenblick faßte er ihren Arm und beugte sie zu sich nieder, damit er ihr in’s Ohr flüstern könne. Er war heftig erregt. Sein Flüstern klang laut genug, um es mir hörbar zu machen.

»Ich weiß nicht was ich spreche?« wieder holte er, indem er seine Augen nicht auf meine Schwiegermutter, sondern auf mich richtete. »Sie kurzsichtige, alte Frau! Wo haben Sie Ihre Brille? Sehen Sie sie an! Bemerken Sie keine Aehnlichkeit — die Figur — das Antlitz. Sehen Sie keine Aehnlichkeit zwischen ihr und der ersten Frau?«

»Reine Einbildung!« entgegnete Mrs. Macallan.

Er schüttelte sie ungeduldig.

»Nicht so laut!« flüsterte er. »Sie kann uns hören.«

»Ich habe allerdings gehört,« sagte ich. »Sie können dreist vor mir sprechen Mr. Dexter. Ich weiß, daß mein Mann schon einmal verheirathet war, und ich weiß auch, wie elend die erste Frau ums Leben kam. Ich habe den Prozeß gelesen.«

»Sie haben das Leben und den Tod einer Märtyrerin gelesen?« rief Dexter, und mit einer schnellen Bewegung rollte er seinen Stuhl zu mir. Die Augen waren mit Thränen gefüllt.

»Niemand schätzte sie nach ihrem wahren Werth, wie ich,« sagte er.

Mrs. Macallan ging ungeduldig an das Ende des Zimmers.

»Wollen wir nun wieder fahren Valeria?« sagte sie.

Mein Interesse für die ferneren Mittheilungen des Mr. Dexter waren derartig, daß ich noch keine Lust hatte ihn jetzt zu verlassen. Ich that also, als wenn ich Mrs. Macallan nicht gehört hätte und legte die Hand auf Dexter’s Stuhl, um ihn bei mir zu behalten.

»Schon in Ihrer Aussage beim Prozeß gaben Sie die hohe Achtung zu erkennen, welche Sie der Dahingeschiedenen bezeigten,« sagte ich. »Ich glaube daß Sie Ihre eigenen Ideen über ihren Tod haben, Mr. Dexter.«

Bei dieser Frage hob er plötzlich den gesenkten Kopf und blickte mich mißtrauisch an.

»Wie kommen Sie zu dieser Vermuthung?« fragte er sehr ernst.

»Ich weiß es aus der Lesung des Prozesses. Ich hatte nicht die Absicht Sie zu beleidigen, Mr. Dexter.«

Sein Antlitz klärte sich eben so schnell auf, wie es sich bewölkt hatte. Er lächelte und legte seine Hand auf die Meine. Seine Berührung durchschauerte mich, und ich mußte schnell meine Hand zurückziehen.

»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie mißverstand,« sagte er. »Ich habe auch meine eigenen Ideen über jene unglückliche Dame.«

Dann blickte er mich wieder eine Weile schweigend an.

»Haben Sie ebenfalls Ihre Ideen über ihr Leben und ihren Tod?«« fragte er.

»Ja,« antwortete ich, um mehr aus ihm herauszulocken.

»Ideen die Sie schon Jemand mitgetheilt?« fuhr er fort.

»Nein.«

»Das ist sehr seltsam,« sagte er, noch immer mein Antlitz studirend. »Welches Interesse können Sie an einer Todten haben die Sie niemals gekannt? Haben Sie irgend einen Grund gehabt mich aufzusuchen?«

Ich antwortete bejahend.

»Und steht dieser Grund mit der verstorbenen Lady Macallan im Zusammenhange?«

»Ja.«

»Mit irgend einem Ereigniß ihres Lebens?«

»Nein.«

»Mit ihrem Tode?«

Er faltete plötzlich seine Hände dann schlug er sie mit einer wilden Geste der Verzweiflung vor seine Stirne als wenn ein heftiger Schmerz ihn durchzuckt hätte.

»Ich kann es heute nicht hören« sagte er, »ich würde Welten darum geben es zu vernehmen, aber ich darf nicht. Ich würde alle Herrschaft über mich selbst verlieren. Ich besitze nicht Muth genug, das Grab der todten Märtyrerin zu öffnen. Ich besitze eine zu lebhafte Einbildungskraft. Ich spiele die Rolle aller Helden die je gelebt haben. Ich denke mich in ihr innerstes Wesen hinein und dann bin ich der Mann, der ich mir einbilde zu sein. Wenn ich jene Phantasien zurückdrängen wollte, würde ich wahnsinnig werden. Die Bilder verlassen mich erst wenn ich zu erschlaffen beginne. In solchen Momenten darf ich keine neuen Aufregungen haben. Wollen Sie morgen am Tage wiederkommen? Ich habe eine Chaise und einen Pony. Ariel kann Sie von Mama Macallan abholen. Ich sterbe vor Verlangen, Sie zu hören. Ich werde auch recht höflich, unterhaltend und liebenswürdig gegen Sie sein. Doch nun genug davon. Ich muß mich jetzt beruhigen oder mir platzt das Gehirn. Die Musik ist meine beste Trösterin. Meine Harfe! Meine Harfe!« Er rollte sich zu dem entferntesten Winkel des Zimmers.

Währenddessen trat wieder Mrs. Macallan zu mir heran.

»Kommen Sie!« sagte die alte Dame. »Sie haben ihn gesehen nun wird er langweilig.«

Der Stuhl rollte jetzt langsam zu uns zurück. Mr. Dexter leitete ihn diesmal nur mit einer Hand, in der anderen hielt er eine Harfe wie ich sie bis jetzt nur auf Bildern gesehen. Es war die schmale Harfe der walisischen Barden.

»Gute Nacht, Dexter,« sagte Mrs. Macallan. « Er hob befehlend eine Hand empor.

»Noch nicht!« sagte er. »Sie soll mich erst singen hören.«

Dann wandte er sich zu mir.

»Ich improvisire nämlich Text und Musik,« sagte er. »Lassen Sie mich nur einen Moment nachdenken.«

Er schloß die Augen und lehnte das Haupt an das Holz der Harfe. Die Finger irrten auf den Saiten umher. Dann blickte er plötzlich auf und präludirte den Gesang. Es war eine wilde monotone Musik, die manchmal in eine Art orientalischen Tanzes hinüber klang. Die Worte die er in Musik kleidete waren ebenso wild und regellos. Er fang sein Lied mit einer der schönsten Tenorstimmen, die ich je gehört:

Weshalb ist sie gekommen?
Sie erinnert mich an die Todte;
Sie erinnert mich an die Todte:
Ihre Gestalt wie die Andere,
Ihr Gang wie die Andere.
Weshalb ist sie gekommen?

Brachte sie mir das Schicksal?
Sollen wir zusammen
Die Vergangenheit durchstreifen?
Sollen wir zusammen
Geheimnisse ergründen?
Sollen wir zusammen
unsere Gedanken auswechseln?
Brachte sie mir das Schicksal?

Die Zukunft wird es zeigen.
Laßt nur die Nacht vorüber,
Laßt nur den Tag kommen;
Dann werde ich in ihre Seele blicken
Und sie in die Meine.
Die Zukunft wird es zeigen.

Seine Stimme sank, die Finger liefen schwächer durch die Saiten. Das überangestrengte Gehirn bedurfte der Ruhe der Kopf sank zurück, und er schlief ein.

Wir stahlen uns leise aus dem Zimmer und überließen Miserrimus Dexter, den Dichter, Componisten und Narren seinem friedlichen Schlummer.


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