Die Heirat im Omnibus



Viertes Kapitel.

Ungefähr zu der Zeit, wo ich Mr. Mannion's Bekanntschaft machte, oder, richtiger gesagt, eben so vor wie nach dieser Zeit verursachten gewisse Eigenthümlichkeiten in dem Charakter und in dem Benehmen Margarethens, die ich zufällig bemerkte, mir ein wenig Unruhe und erweckten in mir das Gefühl getäuschter Erwartung.

Weder die eine noch die andere dieser Empfindungen dauerte jedoch lange, denn die Vorfälle, welche sie hervorriefen, hatten im Grunde genommen an und für sich eine nur geringe Bedeutung.

So wie ich schreibe, tauchen diese kleinen häuslichen Episoden wieder lebhaft in meiner Erinnerung auf. Ich will bloß zwei davon erwähnen. Der weitere Verlauf meiner Erzählung wird beweisen, daß sie hier nicht am unrechten Orte sind.

An einem schönen Herbstmorgen kam ich einige Minuten vor der verabredeten Stunde in der Nordvilla an. In dem Augenblicke, wo der Diener mir die Gartenthür öffnete, fiel mir ein, Margarethen eine Ueberraschung zu bereiten, indem ich unversehens mit einem für sie auf Ihren eigenen Beeten gepflückten Blumenstrauße in den Salon träte. Indem ich daher dem Diener befahl, mich nicht anzumelden, machte ich einen Umweg und begab mich durch eine Seitenthür in den Hintergarten. Nur mit meinen Blumen beschäftigt, gelangte ich bis an einen Rasenplatz, der sich unter den Fenstern des Salons hinzog, von welchen eins ein wenig geöffnet war.

Meine junge Gattin und ihre Mutter waren in diesem Zimmer, denn ich hörte ihre Stimmen.

Ich gestehe, daß ich horchte, was sie sprächen, und Das, was ich hörte, war Folgendes:

»Ich sage Dir aber, Mama, ich muß dieses Kleid haben, und werde es haben, mag mein Vater wollen oder nicht.«

Dies ward in einem lauten und entschlossenen Tone gesagt, den Margarethe in meiner Gegenwart noch nie angenommen hatte.

»Aber ich bitte Dich, liebe Tochter!« antwortete Mistreß Sherwins schwache Stimme, »Du weißt, daß das für Dich bestimmte Jahrgeld schon ausgegeben ist —— und Du verlangst noch mehr?«

»Aber ich will von diesem festbestimmten Jahrgelde Nichts mehr wissen. Seine Schwester bekommt auch mehr.«

»Aber, liebe Tochter, das ist ein großer Unterschied.«

»Nein, es ist keiner; wenigstens jetzt nicht, wo ich seine Frau bin. Es wird nicht lange dauern, so werde ich auch meine Equipage haben, eben so wie seine Schwester. Er läßt in allen Dingen meinen Willen entscheiden —— Ihr müßt es auch so machen.«

»Aber gieb nur mir nicht die Schuld, Margarethe. Wenn ich Etwas vermöchte, so solltest Du sicherlich Alles bekommen; aber ich getraue mir in der That nicht, Deinen Vater um dieses Kleid- anzureden, nachdem Du dieses Jahr schon so Viel gekostet haßt.«

»Das ist so Deine gewöhnliche Ausrede, Mama. Ein Mal wagst Du nicht Das zu thun, ein Mal wagst Du nicht Jenes zu thun. Ach, Du bist manch’ Mal wirklich recht langweilig. Ich muß aber dieses Kleid bekommen —— ich habe mir’s einmal vorgenommen. Er sagt, seine Schwester trage, wenn sie in Abendgesellschaft geht, ein hellblaues Kreppkleid, und Du sollst sehen, daß ich auch eins bekomme. Ich werde, wenn es nicht anders ist, Mittel und Wege»zu finden wissen, es mir selbst aus dem Kaufgewölbe mitzunehmen. Papa achtet nicht sehr darauf, was ich trage, und braucht gar nicht zu erfahren, ob ich mir aus dem Gewölbe Etwas mitnehme. Er erfährt es überhaupt auch nicht eher, als bis man ihm das Lagerbuch, oder wie es heißt, vorlegt, und wenn er dann vielleicht einen seiner Wuthanfälle bekommt, so ——«

»Ach, liebes Kind, wie kannst Du Dir erlauben, so von Deinem Vater zu sprechen? Es ist das sehr unrecht von Dir, Margarethe sehr unrecht. Was würde Mr. Sidney sagen, wenn er Dich hört.«

»Ich beschloß, sofort hinein zu gehen und Margarethen zu sagen, was ich gehört hatte. Gleichzeitig nahm ich mir vor, Festigkeit zu zeigen und Margarethen um ihres eigenen Besten willen vorstellig zu machen, wie sehr ich durch beinahe Alles, was sie gesagt, überrascht und verletzt worden war.

Bei meinem unerwarteten Eintritte erschrak Mistreß Sherwin ein wenig und schien noch schüchterner zu seien als jemals.

Margarethe kam mir mit ihrem gewohnten Lächeln entgegen und bot mir freundlich die Hand. Ich sagte nicht eher Etwas, als bis wir uns in unserm gewohnten Winkel niedergesetzt hatten, um wie gewöhnlich leise mit einander zu Plaudern. Dann begann ich meine Vorstellungen in sehr zärtlichem und möglichst gedämpftem Tone.

Sie ergriff das beste Mittel, um mich trotz all’ meiner Entschlossenheit zum Schweigen zu bringen, als ich gerade im besten Zuge war. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, die ersten, die ich sie vergießen sah, und diese Thränen flossen durch meine Schuld.

Sie murmelte einige Worte über meine Unfreundlichkeit und sagte, daß ich gar keinen Grund hätte, mich gegen sie zu erzürnen, denn sie habe mir bloß gefallen wollen und deswegen sich eben so zu kleiden gewünscht wie meine Schwester.

Binnen wenigen Augenblicken schlug sie alle festen Entschlüsse, die ich erst den Augenblick vorher gefaßt, in die Flucht. Ohne es selbst zu wollen, war ich während der noch übrigen Stunden des Morgens bemüht, sie zu beruhigen und mich zu entschuldigen.«

Brauche ich erst zu sagen, wie dieser kleine Zwist endete? Ich ließ über diesen Gegenstand kein Wort mehr fallen und schenkte ihr das gewünschte Kleid.

Nach einigen Wochen vollkommener Ruhe machte mich der Zufall zum Zeugen einer anderweiten kleinen häuslichen Scene, bei welcher Margarethe die Hauptrolle spielte.

Bei dieser Gelegenheit fand ich, als ich an dem Hause ankam —— es war abermals des Vormittags —— die vordere Hausthür offen. Ein Besen stand auf den Stufen. Augenscheinlich war die Dienerin beschäftigt gewesen zu kehren, und hatte, bei ihrer Arbeit unterbrochen, vergessen, die Thür zu schließen.

Die Ursache dieser Unterbrechung entdeckte ich sofort bei meinem Eintritte in den Saal.

»Um Gottes willen!« rief aus dem Speisezimmer eine Stimme, in welcher ich die der Dienerin erkannte, »Um Gottes willen, lassen Sie das Thier doch gehen! Ihre Mutter wird sogleich hier sein, und Sie wissen, wie Viel sie auf diese Katze hält. Lassen Sie ab —— Sie werden sie doch nicht tödten wollen!«

»Ja wohl will ich sie tödten, diese nichtswürdige Katze —- mag sie gehören, wem sie will. Mein armer Vogel! mein armer Vogel!«

Die Stimme war die Margarethens. Anfangs war ihr Ton der des Zornes ——- später wurden ihre Worte durch krampfhaftes Schluchzen unterbrochen.

»Der arme Vogel!« fuhr die Dienerin fort, indem sie ihre junge Herrin immer noch zu beschwichtigen suchte. »Er thut mir sehr leid, und Sie thun mir auch leid, Miß Margarethe Aber Sie müssen bedenken, daß Sie gewissermaßen selbst schuld sind, weil Sie den Käfig auf dem Tische hatten stehen lassen, so daß die Katze ihn erreichen konnte.«

»Schweig’, unglückliche! Wie kannst Du Dich unterstehen, mir in den Arm fallen zu wollen ——" gleich laß mich los, oder —«

»O nein, nein, das dürfen Sie nicht thun! Bedenken Sie, daß die Katze der Liebling Ihrer Mutter ist, die ja so keine andere Freude aus der Welt hat.«

»Was geht das mich an! Die Katze hat meinen Vogel erwürgt, und dafür muß sie sterben. Ich werde den ersten besten Gassenbuben herauf rufen, damit er sie mit fortnehme, um sie zu vergiften oder zu erdrosseln. Gleich laß mich gehen. —— Wirst Du mich nicht gehen lassen?«

»Nicht eher, ais bis ich der Katze fortgeholfen habe,so wahr ich Susanne heiße!«

Einen Augenblick darauf öffnete sich plötzlich die Thür und die verbrecherische Katze rannte an mir vorüber, um das Weite zu suchen. Unmittelbar hinter ihr folgte die Magd, welche, als sie mich im Zimmer stehen sah, ganz außer Athen und wie von panischem Schrecken ergriffen stehen blieb. Ich trat sofort in das Speisezimmer.

Der Käfig stand mit dem armen todten Canarienvogel auf der Diele. Es war derselbe Vogel, mit welchem ich Margarethen an jenem Tage, an welchem ich sie zum ersten Male gesehen, so fröhlich scherzen sah. Der Kopf des Vogels war durch die mörderischen Klauen der Katze beinahe ganz zwischen dem Drahtgitter hindurchgezogen.

Margarethe stand neben dem Herd, Und das Schüreisen, mit dem sie die Katze hatte erschlagen wollen, lag neben ihr aus der Diele. Noch nie vorher war sie mir so strahlend schön erschienen wie in diesem Augenblicke unter der Einwirkung des Zornes, der in ihr tobte.

Ihre großen schwarzen Augen schossen durch die Thränen hindurch Blitze, welche sie noch größer erscheinen ließen; das Blut glühte durch die dunkelrothen Wangen; ihre halb geöffneten Lippen schienen nach Luft zu keuchen, Mit der einen Hand hielt sie sich an den Kaminsims, während sie die andere krampfhaft auf die Brust drückte.

Schmerzlich berührt durch die Kundgebung dieses heftigen Zornes, bei welcher sie sich durch mich hatte überraschen lassen, konnte ich nichtsdestoweniger ein unfreiwilliges Gefühl von Bewunderung nicht unterdrücken, und mein Blick heftete sich mit vielsagendem Ausdrücke auf sie. Selbst der Zorn war bezaubernd auf diesem bezaubernden Antlitze.

Zwei oder drei Minuten lang betrachtete sie mich, ohne sich zu rühren. Dann, als ich mich ihr näherte, sank sie neben dem Käfig auf die Kniee nieder, schluchzte mit äußerster Heftigkeit, und während ein förmlicher Strom von Verwünschungen über die unglückliche Katze sich aus ihrem Munde ergoß, trat Mistreß Sherwin ein und machte durch ihren gänzlichen Mangel an Tact und Geistesgegenwart die Sache noch weit schlimmer. Kurz, der Auftritt endete mit Nervenkrämpfen.

An diesem Tage so mit Margarethen zu sprechen, wie ich gern mit ihr gesprochen hätte, war unmöglich, und selbst in der Folge gewann ich Nichts, wenn ich das Gespräch auf den Tod des Kanarienvogels brachte. Wenn ich auf die sanfteste und für den Vogel mitleidigste Weise nur anzudeuten wagte, daß ich ein wenig erstaunt gewesen sei, gesehen zu haben, daß sie sich von einem solchen Zorne habe hinreißen lassen, so bekam ich weiter keine Antwort, als daß sie in Thränen ausbrach, und von allen Entgegnungen war dies gerade die, welche am Besten geeignet war, mir den Mund zu verschließen.

Wenn ich eben so so de facto, wie ich es dem Namen nach war, ihr Gatte oder ihr Bruder oder ihr Freund gewesen wäre, so hätte ich erst ihrer Gemüthsbewegung freien Spielraum gelassen, um dann ernsthaft mit ihr zu sprechen. Aber ich war ja noch ihr Geliebter, und in meinen Augen wurden selbst Margarethens Fehler durch ihre Thränen in Tugenden umgewandelt.

Abenteuer wie diese, die sich aber in weit getrennten Zwischenräumen ereigneten, waren die einzige Abwechselung in dem friedlichen und größtentheils sehr glücklichen Einerlei unseres Umganges. Die Wochen vergingen eine nach der andern, ohne daß ein heftiges oder unfreundliches Wort unsere Harmonie gestört hätte.

Seitdem der vorhin erwähnte kleine Zwist beigelegt worden, hatte keine weitere Veruneinigung zwischen Mr. Sherwin und mir stattgefunden.

Was jedoch dieses letzte Element der häuslichen Ruhe in der Nordvilla betraf, so war dasselbe weniger Mr. Sherwins Besonnenheit oder meiner persönlichen Klugheit, als vielmehr der geschickten Vermittelung Mr. Mannion's zuzuschreiben.

Seit meiner Unterredung mit ihm in seiner Wohnung waren mehrere Tage vergangen, während welcher ich mich enthalten hatte, die mir so freundlich angebotenen Dienste in Anspruch zu nehmen, und ich wußte, indem ich dies that, selbst nicht recht, von welchem Beweggrund ich geleitet ward. Es war ein starker, obschon unklarer Eindruck in mir von Dem zurückgeblieben, was an jenem Abende des Gewittersturmes gesprochen worden.

So seltsam es auch scheinen mag, so wußte ich doch nicht recht, ob die kurze, aber außerordentliche Studie, die ich über meinen neuen Freund gemacht, mir Zuneigung zu ihm eingeflößt hatte oder nicht.

Es widerstrebte mir —- dies fühlte ich wohl —- ihm für einen mir geleisteten Dienst verpflichtet zu sein. Es war das nicht eine Folge von Stolz oder von falschem Zartgefühl oder von Mißtrauen, sondern vielmehr ein unerklärlicher Widerwille, der seinen Grund in der Furcht hatte, mir irgend eine Verantwortlichkeit aufzubürden, obschon ich nicht wußte, von welcher Art dieselbe sein würde. Instinctartig suchte ich Zeit zu gewinnen. Ich fürchtete, einen Schritt vorwärts zu thun, und Mr. Mannion that seinerseits eben so wenig einen. Er bewahrte fortwährend dieselbe Haltung, und sein Benehmen in der Familie richtete sich unausgesetzt nach denselben Prinzipien oder denselben Gewohnheiten, die ich vor jenem Abende des Gewittersturmes an ihm bemerkt hatte.

Seitdem wir uns wiedergesehen, hatte er nicht die mindeste Anspielung auf unsere damalige Unterredung fallen lassen.

Margarethens Benehmen, als ich ihr den von Mr. Mannion zu erkennen gegebenen Wunsch mittheilte, uns Beiden nützlich zu sein, war eher geeignet, meine Ungewißheit zu steigern als zu mindern. Ich konnte sie nicht bewegen, zu zeigen, daß sie an irgend Etwas, was ihn betraf, auch nur das mindeste Interesse nähme. Weder seine Wohnung, noch sein Aeußeres, noch seine eigenthümlichen Gewohnheiten, noch die Verschwiegenheit, weiche er im Bezug auf sein früheres Leben beobachtete, schienen im Stande zu sein, ihre Aufmerksamkeit oder ihre Neugier auch nur im Mindesten zu erwecken.

Am Abende seiner Rückkehr vom Continente hatte sie allerdings eine gewisse Aufmerksamkeit für ihn an den Tag gelegt. jetzt jedoch schienen ihre Gedanken über diesen Punct eine vollständige und unbegreifliche Umwandlung erlitten zu haben. Sie ward, so oft ich in unserem Gespräche nur ein wenig bei Mr. Mannion verweilte, sofort zerstreut und sprach von anderen Dingen. Es war, als ob es sie unangenehm berühre, zu sehen, daß er sich mit ihr in meine Gedanken theilte.

Was die schwierige Frage betraf, ob wir ihn für unser Interesse gewinnen sollten oder nicht, so schien sie so wenig Gewicht darauf zu legen, daß sie es verschmähte, sich darüber auszusprechen.

Wie dem jedoch auch sein mochte, so traten bald Umstände ein, welche mich bestimmten, Mr. Mannion gegenüber einen Entschluß zu fassen.

Ein reicher Kaufmann und Freund von Mr. Sherwin gab einen Ball, auf welchen er auch Margarethen mitnehmen wollte. Ich ward eifersüchtig darüber, und meine Eifersucht war eine ganz natürliche, wenn man die eigenthümliche Situation erwog, in welcher ich mich befand.

Wie konnte ich meine junge Gattin unter dem Namen Miß Sherwin sich in Gesellschaft produciren lassen, um hier wie eine unverheirathete junge Dame mit den jungen Herren zu tanzen, die ihr vorgestellt werden würden!

Zweitens lag mir auch unendlich Viel daran, Margarethen noch vor Ablauf des Prüfungsjahres von dem Umgange mit ihren eigenen Standesgenossen zu entfernen, weil ich hoffte, sie in der Folge in die Gesellschaft meines Standes einzuführen. Ich hatte ihr meine Ideen hierüber unter vier Augen mitgetheilt und sie vollkommen geneigt gefunden, meinen Absichten zu entsprechen. Der Ehrgeiz, sich auf die höchsten Staffeln der socialen Stufenleiter zu erheben, äußerte seine Macht über sie, und schon hatte sie begonnen, die Gesellschaft, die ihr durch die Personen ihres Standes geboten ward, mit Gleichgültigkeit zu betrachten.

Was Mr. Sherwin betraf, so konnte ich ihm hiervon Nichts anvertrauen. Ich machte ihm bloß Vorwürfe über seine Manie, Margarethen fortwährend in Gesellschaft führen zu wollen, während dies doch weder ihrem Geschmack, noch dem meinigen entsprach. Er erklärte, sie liebe solche Gesellschaften, alle junge Mädchen liebten dergleichen; sie heuchele bloß Abneigung dagegen, um mir damit einen Gefallen zu thun, und er habe durchaus nicht die Verpflichtung auf sich genommen, sie ein ganzes Jahr lang zu Hause schmachten zu lassen, bloß um meinen Eigensinn zu befriedigen.

Bei Gelegenheit des Balles, von dem ich so eben gesprochen, erhob sich wieder derselbe Streit. Dies Mal war Mr. Sherwin entschlossen, seinem Kopfe zu folgen, und wagte, mir dies ohne Umschweife zu erklären. »

Erbittert durch seine Hartnäckigkeit und den Mangel an Rücksicht, den er für meine Gefühle und meinen wehrlosen Zustand an den Tag legte, vergaß ich alle meine Zweifel und Bedenklichkeiten, und wendete mich insgeheim an Mr. Mannion, damit er den Einfluß aufböte, den er mir, wenn ich es wünschte, versprochen hatte, zu meinen Gunsten geltend zu machen.

Das Resultat war ein eben so schnelles als bündiges.

Am nächstfolgenden Abende erschien Mr. Sherwin vor uns mit einem zusammengefalteten Papier in der Hand und theilte uns mit, es sei dies ein Brief, durch welchen er anzeige, daß er die Einladung seines Freundes für seine Tochter nicht annehmen könne. Mr. Mannion's Name kam dabei nicht über seine Lippen, sondern er sagte bloß in schmollendem und ziemlich kurzem Tone, er habe sich die Sache nochmals überlegt und sei aus gewissen Gründen von seinem anfänglichen Entschlusse zurückgekommen.

Nachdem ich in dieser neuen Richtung einmal einen ersten Schritt gethan, ging ich ohne zu zögern weiter und that noch viele ähnliche.

Jedes Mal, wo ich die Nordvilla öfter zu besuchen wünschte, brauchte ich es bloß Mr. Mannion zu sagen, und den nächstfolgenden Morgen ward mir von der regierenden Gewalt die gewünschte Erlaubniß unverlangt ertheilt.

Mit Hilfe desselben geheimen Mechanismus konnte ich Mr. Sherwins Kommen und Gehen, wenn Margarethe und ich beisammen waren, nach meinem Belieben regeln. Ich war jetzt so ziemlich sicher, außer Mistreß Sherwin Niemanden weiter in unserer Nähe zu finden, wenn ich es nämlich so wünschte, und man kann sich leicht denken daß dies meistentheils der Fall war.

Die günstige Vermittlung meines neuen Freundes war stets bereit, ruhig und in aller Stille für mich thätig zu sein.

Niemals erfuhr ich, wann oder wie er seinem Chef seine Anschauungsweise aufzwang, und Mr. Sherwin ließ seinerseits niemals ein Wort über diesen Einfluß fallen, dem er sich unterwarf. Er gewährte mir alle ausnahmsweisen Vergünstigungen, die ich von ihm verlangte, als ob es sich einzig und allein um seinen freien Entschluß handelte, ohne, wie es schien, auch nur zu ahnen, daß ich den Beweggrund seines Entschlusses so gut kannte.

Ich gewöhnte mich an diese vermittelnde Thätigkeit Mr. Mannion’s um so eher, als dieser dabei das größte Zartgefühl an den Tag legte.

Er selbst schien nicht zu denken, daß er mir dadurch nur die mindeste Verbindlichkeit auflege. Er affectirte nicht eine plötzliche Vertrautheit mit mir, und in seinen Manieren war nicht die mindeste Aenderung wahrzunehmen. Er bestand darauf, unsere Gesellschaft des Abends nur dann aufzusuchen, wenn ich ihn ausdrücklich dazu aufforderte, und wenn ich ihm nur zu verstehen gab, daß ich mir zu seinem Eifer für mein Interesse Glück wünschte, antwortete er stets in demselben kurzen Tone und mit seiner männlichen Festigkeit, daß er vielmehr sich als den begünstigten Theil betrachte, weil er dadurch Gelegenheit erhalte, Personen gefällig zu sein, an welchen er ein so aufrichtiges und so natürliches Interesse nähme.

Ich hatte Mr. Mannion, als ich an jenem Gewitterabende von ihm Abschied nahm, gesagt, daß ich seine Anerbietungen wie die eines Freundes aufnehmen würde, und jetzt fand sich, daß ich mein Wort viel früher und mit weit weniger Zurückhaltung gelöst als ich ohne Zweifel in dem Augenblicke beabsichtigte, wo wir uns an der Schwelle seiner Thür trennten.


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