Fünfundzwanzigstes Kapitel.CHAPTER XIV - THE LADY'S MAID
Es war nicht leicht, sich eine bestimmte Meinung über das junge Mädchen zu bilden, welches jetzt in Miss Henleys Zimmer erschien. Wenn es richtig ist, was von dem Geschmack der Türken erzählt wird, dass sie nämlich die Schönheit der weiblichen Gestalt höher schätzen als die des weiblichen Gesichtes, so würde die persönliche Erscheinung von Fanny Mere in Konstantinopel die Anerkennung gefunden haben, die ihr in London nicht zuteil wurde. Von schlanker, aber kräftiger und wohlgebauter Gestalt, zog sie die Augen der Männer und zuweilen auch der Frauen, mit denen sie zusammentraf, auf sich, so lange diese hinter ihr hergingen. Wenn sie aber ihre Schritte beschleunigten und im Vorbeigehen einen Blick in ihr Gesicht warfen, war bei ihnen sofort alles Interesse für Fanny verloren. Maler würden den Mangel in ihrem Gesicht als »Fehlen jeder Farbe« bezeichnet haben. Sie war eine der blondesten hübschen Frauen. Hellblonde Haare, mattblaue Augen ohne jeden Ausdruck und eine Hautfarbe, welche aussah, als ob sie vollständig blutlos wäre, riefen einen Eindruck hervor, welcher ihre Mitmenschen meistens unempfindlich für die Schönheit ihrer Figur machte. Trotzdem war diese eigentümliche Blässe kein Zeichen von schlechter Gesundheit, sie ließ im Gegenteil seltene physische Kraft vermuten. Durch ihre ruhige, höfliche Art und Weise schimmerte, wenn man so sagen darf, ein zu Grund liegendes Selbstbewusstsein durch, welches fähig zu sein schien, in bedenklichen Augenblicken des menschlichen Lebens rasch und furchtlos zu handeln. Im übrigen war jedoch der Ausdruck, den ihr Charakter in ihrem Gesicht fand, ein wesentlich passiver. Da war also ein ruhiges, energisches, junges Weib im Besitz von Eigenschaften, welche sich nicht an der Außenseite zeigten - ob von guten Eigenschaften oder schlechten, das konnte allein die Erfahrung lehren.IT was not easy to form a positive opinion of the young woman who now presented herself in Miss Henley's room. If the Turkish taste is truly reported as valuing beauty in the female figure more than beauty in the female face, Fanny Mere's personal appearance might have found, in Constantinople, the approval which she failed to receive in London. Slim and well balanced, firmly and neatly made, she interested men who met her by accident (and sometimes even women), if they happened to be walking behind her. When they quickened their steps, and, passing on, looked back at her face, they lost all interest in Fanny from that moment. Painters would have described the defect in her face as "want of colour." She was one of the whitest of fair female human beings. Light flaxen hair, faint blue eyes with no expression in them, and a complexion which looked as if it had never been stirred by a circulation of blood, produced an effect on her fellow-creatures in general which made them insensible to the beauty of her figure, and the grace of her movements. There was no betrayal of bad health in her strange pallor: on the contrary, she suggested the idea of rare physical strength. Her quietly respectful manner was, so to say, emphasised by an underlying self-possession, which looked capable of acting promptly and fearlessly in the critical emergencies of life. Otherwise, the expression of character in her face was essentially passive. Here was a steady, resolute young woman, possessed of qualities which failed to show themselves on the surface--whether good qualities or bad qualities experience alone could determine.
Da Iris es unmöglich fand, nach dem ersten Eindruck ein Urteil zu fällen und dadurch zu einem unmittelbaren Entschlusse zu kommen, mochte er nun günstig oder ungünstig für die Fremde ausfallen, begann sie das Gespräch mit der ihr eigenen Freimütigkeit ohne jeden Rückhalt.Finding it impossible, judging by a first impression, to arrive at any immediate decision favourable or adverse to the stranger, Iris opened the interview with her customary frankness; leaving the consequences to follow as they might.
»Nehmen Sie sich einen Stuhl, Fanny,« sagte sie, »und lassen Sie uns den Versuch machen, ob wir uns verstehen können. Ich denke, Sie werden mit mir darüber übereinstimmen, dass zwischen uns keine Unklarheit  herrschen  darf. Sie  müssen  daher auch wissen, dass Ihre frühere Herrin mir erzählte, warum sie Sie entlassen hat. Es war ihre Pflicht, mir die Wahrheit zu sagen, und es ist meine Pflicht, nicht gegen Sie in ungerechter Weise voreingenommen zu sein nach dem, was ich gehört habe. Bitte, glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich nicht weiß und auch nicht zu wissen wünsche, von welcher Art die Versuchung gewesen ist, der Sie -«"Take a seat, Fanny," she said, "and let us try if we can understand each other. I think you will agree with me that there must be no concealments between us. You ought to know that your mistress has told me why she parted with you. It was her duty to tell me the truth, and it is my duty not to be unjustly prejudiced against you after what I have heard. Pray believe me when I say that I don't know, and don't wish to know, what your temptation may have been--"
»Ich bitte sehr um Entschuldigung, Miss, dass ich Sie unterbreche! Mein Unglück war meine Eitelkeit!« Ob ihr dieses Bekenntnis schwer wurde oder nicht, war nicht möglich, zu erkennen. Ihre Stimme klang ruhig, ihr Verhalten war bescheiden und höflich wie immer, die Blässe ihres Gesichtes zeigte nicht den geringsten Farbenwechsel. Hatte das Mädchen überhaupt kein Gefühl? Iris fing schon wieder an, zu fürchten, daß sie einen Missgriff getan hätte."I beg your pardon, Miss, for interrupting you. My temptation was vanity." Whether she did or did not suffer in making that confession, it was impossible to discover. Her tones were quiet; her manner was unobtrusively respectful; the pallor of her face was not disturbed by the slightest change of colour. Was the new maid an insensible person? Iris began to fear already that she might have made a mistake.
»Ich erwarte nicht, dass Sie jetzt näher auf die Sache eingehen,« sagte sie, »und ich frage Sie auch nicht, um Sie irgendwie zu kränken und zu beschämen.«"I don't expect you to enter into particulars," she said; "I don't ask you here to humiliate yourself."
»Als ich Ihren Brief empfing, Miss, da versuchte ich zuerst, mir klar zu werden, wie ich mich Ihrer Güte würdig zeigen könnte,« antwortete Fanny. »Der eine Weg dazu, der sich mir darbot, war: ich durfte es nicht geschehen lassen, dass Sie besser von mir dächten, als ich verdiente. Wenn einem Mädchen, wie ich bin, zum erstenmale gesagt wird, dass ihre Figur sie für ihr Gesicht entschädige, so fühlt sie sich natürlich durch dieses erste Kompliment, was ihr überhaupt in ihrem ganzen Leben gemacht wurde, sehr geschmeichelt. Meine Entschuldigung, Miss, - und ich habe eine Entschuldigung - ist eine sehr gewöhnliche - ich konnte der Schmeichelei nicht widerstehen. Das ist alles, was ich zu sagen habe.«"When I got your letter, Miss, I tried to consider how I might show myself worthy of your kindness," Fanny answered. "The one way I could see was not to let you think better of me than I deserve. When a person, like me, is told, for the first time, that her figure makes amends for her face, she is flattered by the only compliment that has been paid to her in all her life. My excuse, Miss (if I have an excuse) is a mean one---I couldn't resist a compliment. That is all I have to say."
Iris fing an, ihre Meinung über Fanny zu ändern. Dieses junge Mädchen war jedenfalls keine gewöhnliche Erscheinung.    Es  gewann in ihren Augen  den Anschein, und mehr noch als bloß den Anschein,  dass Fanny eine helfende Hand verdiene, denn sie schien wahrheitsliebend und aufrichtig zu sein. »Ich verstehe Sie und fühle mit Ihnen.« Nachdem Iris diese Worte als Entgegnung gesagt hatte, änderte sie zartfühlend den Gegenstand des Gespräches.Iris began to alter her opinion. This was not a young woman of the ordinary type. It began to look possible, and more than possible, that she was worthy of a helping hand. The truth seemed to be in her. "I understand you, and feel for you." Having replied in those words, Iris wisely and delicately changed the subject.
»Lassen Sie mich jetzt hören, in welcher Lage Sie sich gegenwärtig befinden,« fuhr sie fort. »Sind Ihre Eltern noch am Leben?«"Let me hear how you are situated at the present time," she continued. "Are your parents living?"
»Mein Vater und meine Mutter sind tot. Miss.« »Haben Sie noch sonstige Verwandte?« »Sie sind alle so arm, dass sie vollkommen außer stande sind, für mich etwas zu tun.   Ich habe meine Ehre verloren - und ich muss mir jetzt selbst helfen.« »Angenommen nun, es gelänge Ihnen nicht, eine andere Stelle zu finden,« entgegnete Iris. »Es könnte leicht möglich sein, Miss.«"My father and mother are dead, Miss." "Have you any other relatives?" "They are too poor to be able to do anything for me. I have lost my character--and I am left to help myself." "Suppose you fail to find another situation?" Iris suggested. "Yes, Miss?"
»Wie wollen Sie sich dann helfen?«"How can you help yourself?"
»Ich kann das Gleiche tun, was so viele andere Mädchen schon getan haben.« »Was soll das heißen?«"I can do what other girls have done." "What do you mean?"
»Einige von uns verhungern als Näherinnen, einige treiben sich auf den Straßen herum, einige enden ihr elendes Leben im Wasser. Wenn es für mich keine andere Aussicht mehr gibt, dann werde ich wohl auch diesen Weg gehen,« sagte das arme Mädchen so ruhig, als ob sie von einer Aussicht, die sich ihr eröffnet hätte, spräche. »Es wird niemand geben, der mich betrauert - und der Tod durch Ertränken soll, wie ich gelesen habe, kein sehr schmerzvoller sein.«"Some of us starve on needlework. Some take to the streets. Some end it in the river. If there is no other chance for me, I think I shall try that way," said the poor creature, as quietly as if she was speaking of some customary prospect that was open to her. "There will be nobody to be sorry for me--and, as I have read, drowning is not a very painful death."
»Sie tun mir weh, Fanny,« sagte sie, »ich zum Beispiel würde darüber traurig sein!« »Ich danke Ihnen, Miss!«"You shock me, Fanny! I, for one, should be sorry for you." "Thank you, Miss."
»Und dann überlegen Sie sich doch,« fuhr Iris fort, »es könnten sich ja auch noch in der Zukunft günstige Gelegenheiten darbieten, welche Sie jetzt nur noch nicht sehen. Sie sprechen von dem, was Sie gelesen haben, und ich habe schon bemerkt, wie klar und richtig Sie sich ausdrücken. Sie müssen eine gute Erziehung genossen haben; war es in der Schule oder zu Hause?«"And try to remember," Iris continued, "that there may be chances in the future which you don't see yet. You speak of what you have read, and I have already noticed how clearly and correctly you express yourself. You must have been educated. Was it at home? or at school?
»Ich habe einstens eine Schule besucht,« antwortete Fanny nicht ganz bereitwillig."I was once sent to school," Fanny replied, not quite willingly.
»Eine Privatschule?«"Was it a private school?"
»Ja.«"Yes."
Diese kurze Antwort warnte Iris, vorsichtig zu sein.That short answer warned Iris to be careful.
»Schulerinnerungen,« sagte sie, gut gelaunt, »sind nicht immer die angenehmsten in unserem Leben. Ich habe damit vielleicht einen Gegenstand berührt, der Ihnen unangenehm ist?«"Recollections of school," she said good-humouredly, "are not the pleasantest recollections in some of our lives. Perhaps I have touched on a subject which is disagreeable to you?"
»Ja, Miss. Sie sind damit auf eines meiner vielen Missgeschicke gekommen; so lange meine Mutter lebte, war sie meine Lehrerin. Nach ihrem Tode schickte mich mein Vater in eine Schule. Als er Bankerott machte, war ich gezwungen, dieselbe wieder zu verlassen, gerade als ich eigentlich erst anfing, zu lernen und am Lernen Geschmack zu finden. Außerdem hatten die anderen Mädchen auch in Erfahrung gebracht, dass ich wegging, weil keine Mittel zu Hause mehr vorhanden waren, um das Schulgeld zu bezahlen - und das kränkte mich sehr. Es gibt noch vieles, was ich Ihnen von der Zeit erzählen könnte, aber ich habe allen Grund, meine Schulerinnerungen zu hassen. Ich darf auch jetzt die Erinnerung an die hinter mir liegenden traurigen Tage meines Lebens nicht von neuem auffrischen, da Sie mir durch Ihre Güte Gelegenheit geben wollen, sie ganz zu vergessen.«"You have touched on one of my disappointments, Miss. While my mother lived, she was my teacher. After her death, my father sent me to school. When he failed in business, I was obliged to leave, just as I had begun to learn and like it. Besides, the girls found out that I was going away, because there was no money at home to pay the fees--and that mortified me. There is more that I might tell you. I have a reason for hating my recollections of the school--but I mustn't mention that time in my life which your goodness to me tries to forget."
Alles dieses wurde so einfach und bescheiden gesagt und verfehlte nicht, auf Iris Eindruck zu machen. Nach einem kurzen Stillschweigen sagte sie:All that appealed to her, so simply and so modestly, in that reply, was not lost on Iris. After an interval of silence, she said:
»Können Sie erraten,Fanny, woran ich jetzt denke?«"Can you guess what I am thinking of, Fanny?"
»Nein, Miss.«"No, Miss."
»Ich habe mir soeben eine Frage vorgelegt. Wenn ich Sie nun in meinen Dienst nehmen wollte, würde ich es wohl jemals zu bereuen haben?«"I am asking myself a question. If I try you in my service shall I never regret it?"
Für den ersten Augenblick bemächtigte sich Fannys eine heftige Erregung. Die Stimme versagte ihr bei dem Versuche zu sprechen.For the first time, strong emotion shook Fanny Mere. Her voice failed her, in the effort to speak.
Iris fuhr fort:Iris considerately went on.
»Sie sollen den Platz eines Mädchens einnehmen, welches jahrelang bei mir gewesen ist - ein gutes, liebes Wesen, das mich nur verlassen hat, weil sie krank war. Ich darf nicht zu viel von Ihnen erwarten: ich kann nicht hoffen, dass Sie mir das sein werden, was mir Rhoda Bennet gewesen ist.«"You will take the place," she said, "of a maid who has been with me for years--a good dear creature who has only left me through ill-health. I must not expect too much of you; I cannot hope that you will be to me what Rhoda Bennet has been."
Fanny hatte sich jetzt wieder gefasst.Fanny succeeded in controlling herself.
»Ist es vielleicht möglich,« fragte sie, »dass ich Rhoda Bennet einmal sehen und sprechen kann?« »Warum wollen Sie das?«"Is there any hope," she asked, "of my seeing Rhoda Bennet?" "Why do you wish to see her?"
»Sie haben sie gern, Miss, das ist der eine Grund.«"You are fond of her, Miss---that is one reason."
»Und der andere?«"And the other?"
»Rhoda Bennet soll mir dabei helfen, dass ich Sie so bediene, wie ich Sie bedienen möchte; sie kann mir vielleicht Mut machen zu dem Versuche, ihrem Beispiele zu folgen.«"Rhoda Bennet might help me to serve you as I want to serve you; she might perhaps encourage me to try if I could follow her example."
Fanny hielt inne und presste die Hände heftig gegen einander; der Gedanke, welcher in ihr lebendig geworden war, zwang sie, zu sprechen.Fanny paused, and clasped her hands fervently. The thought that was in her forced its way to expression.
»Es ist so leicht,« sagte sie, »Dankbarkeit zu fühlen, und so schwer, sie zu beweisen!« »Kommen Sie zu mir,« antwortete ihre neue Herrin, »und beweisen Sie es morgen.« Von einem mitleidigen Gefühle bewegt, sprach Iris diese Worte, welche einem unglücklichen Mädchen die verlorene Ehre und die dadurch verscherzte Stellung wieder gaben."It's so easy to feel grateful," she said--"and, oh, so hard to show it!" "Come to me," her new mistress answered, "and show it to-morrow." Moved by that compassionate impulse, Iris said the words which restored to an unfortunate creature a lost character and a forfeited place in the world.


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