Gesetz und Frau



Zwanzigstes Kapitel.

Vergangenheit und Zukunft.

Da ich aus der Erinnerung schreibe, weiß ich nicht mehr ganz genau, wie lange wir im Auslande blieben. Jedenfalls mehrere Monate. Selbst als Eustace seine Kräfte schon wiedergewonnen hatte, bestanden die Aerzte auf ferneres Verbleiben in Paris, weil sie eine Schwäche des linken Lungenflügels entdeckt hatten, und deshalb der Ansicht waren, daß die trocknere Luft Frankreichs der feuchten Englands vorzuziehen sei.

So kam es, daß wir noch in Paris waren, als ich die nächsten Nachrichten aus Gleninch erhielt.

Diesmal wurden sie aber nicht durch einen Brief überbracht, sondern zu meiner großen Freude und nicht geringerem Erstaunen erschien eines guten Morgens der alte Benjamin selbst. Er benahm sich dermaßen ängstlich, namentlich in Gegenwart meines Mannes, daß dieser bereits mißtrauisch wurde, und ich den Augenblick herbeisehnte, wo ich den alten Freund allein sprechen konnte.

Später am Tage bekam ich hierzu Gelegenheit.

Mr. Benjamin war auf spezielles Verlangen von Mr. Playmore nach Paris gesandt worden, um mich über die Vergangenheit aufzuklären und über die Zukunft um Rath zu fragen. Von der Vergangenheit interessirte mich eigentlich nur ein Punkt. Mr. Playmore schrieb unter Anderem:

Obgleich Dexter bei dem Verhör feig genug war, den Freund im Verdacht zu lassen, zeigt er hier wenigstens noch den guten Willen, das Tagebuch zu zerstören, weil er dessen Folgenschwere bei dem Verhör voraussah. Der Gedanke war so mächtig in ihm geworden daß er sich selbst den Beamten bei Ausübung ihrer Pflicht widersetzte.

Dieselben Motive, welche ihn leiteten, sich der Beschlagnahme des Tagebuches zu widersetzen und seine Zeugen-Aussage zu Gunsten des Angeklagten abzugeben, veranlaßten ihn auch, den Brief zu bewahren bis das Urtheil gesprochen war. Noch einmal auf seine letzten Worte zurückblickend, können wir uns der Ueberzeugung nicht entschlagen daß, wenn das Urtheil »Schuldig« gelautet, er nicht gezögert haben wurde, den unschuldigen Gatten durch Vorzeigung des Briefes seiner Frau zu retten. Da das Urtheil aber »nicht bewiesen« lautete, war Dexter elend genug, den Brief, welcher seine Eitelkeit verletzte und ihn der Verachtung preisgab, zu unterdrücken, aber er war nicht elend genug, einen unschuldigen Mann dem Schaffot zu überliefern. Er war fähig, den verhaßten Nebenbuhler in der öffentlichen Meinung als Mörder gebrandmarkt zu lassen, aber er schreckte vor dem Gedanken zurück, ihn am Galgen zu sehen. Aus dieser Ideenverbindung ergiebt sich, wie er, obgleich ein gewissenloser Schurke, gelitten haben muß, als er das Bekenntniß der Frau las.

Seine Absicht ging dahin ihre Liebe zu dem Gatten zu untergraben. Und was hatte er erreicht? Er hatte das Weib, das er liebte, zu der letzten Zuflucht des Selbstmordes getrieben. Die Selbstvorwürfe, die ihn schließlich dem Wahnsinn verfallen ließen zeugen doch wenigstens dafür, daß das Bessere in ihm noch nicht ganz erloschen war.

Nachdem Benjamin dies und noch so manches Andere, was mich jetzt weniger beschäftigte, gelesen legte er das Papier fort und nahm die Brille ab.

»Wir haben es nicht für nothwendig erachtet, weiter zu gehen,« sagte er. »Ist Ihnen noch irgend etwas unklar geblieben?«

Ich dachte nach.

»Haben Sie mit Mr. Playmore jemals über meines Gatten frühere Zuneigung für Mrs. Beanly gesprochen?« fragte ich. »Hat Mr. Playmore Ihnen nicht gesagt, weshalb Eustace sie nicht geheirathet?«

Was Benjamin mir hierauf antwortete, stimmte genau mit dem überein was mir einst Miserrimus Dexter über die Sache gesagt. Mrs. Beanly war Zeugin der öffentlichen Entehrung meines Mannes gewesen; das war genügend, um seine Verheirathung mit ihr zu verhindern. Er brach aus denselben Gründen mit ihr, die ihn veranlaßt hatten, sich von mir zu trennen.

Endlich war meine eifersüchtige Neugier befriedigt. Mr. Benjamin begann jetzt, mir Fragen vorzulegen. Zuerst erkundigte er sich danach, ob mein Gatte von den Vorgängen in Gleninch eine Ahnung habe.

Ich erzählte ihm Alles, und wie es mir gelungen sei, einen Aufschub zu erlangen.

»Das wird gute Zeitung für Mr. Playmore sein,« sagte Benjamin freundlich. »Unser gemeinschaftlicher Freund ist sehr besorgt, daß unsere Entdeckungen Ihnen hätten Unannehmlichkeiten bereiten können. In einer Beziehung will er Eustace natürlich den Kummer ersparen den er bei Lesung des letzten Briefes seiner Frau empfinden muß. In der andern Beziehung aber ist es unmöglich, in den Augen Ihres noch ungeborenen Kindes, dereinst die Unschuld seines Vaters darzuthun, wenn wir dies wichtige Dokument unterdrücken.«

Mit dieser Bemerkung hatte Benjamin einen tiefen Schatten auf unsere Zukunft geworfen.

»Wie denkt Mr. Playmore dieser Schwierigkeit zu begegnen?« fragte ich.

»Er schlägt vor, das Original-Manuscript dieses Briefes zu versiegeln und einen genauen Bericht der Umstände beizufügen unter denen die Entdeckung gemacht wurde. Sie und ich müßten als Zeugen unterschreiben. Dies gethan bliebe es Ihnen überlassen wann Sie Ihren Gatten ins Vertrauen ziehen wollten. Schließlich käme es auf Eustace an, ob er den Brief lesen oder ihn versiegelt seinem Kinde hinterlassen wolle, demselben anheimgebend, das Dokument zu veröffentlichen. wann es Demselben räthlich erscheinen sollte. Sind Sie hiermit einverstanden oder wollen Sie Mr. Playmore den Auftrag der Angelegenheit überlassen.«

Ohne Zögern entschied ich mich, die Verantwortung selbst zu übernehmen. Benjamin stimmte meinem Entschlusse bei und wollte denselben sofort an Mr. Playmore mittheilen. Nun blieb nur noch die Frage zu entscheiden wann wir nach England zurückkehren wollten. Ich wollte den Arzt bei seinem nächsten Besuch darüber befragen.

Ehe Mr. Benjamin von mir ging, fragte ich ihn, ob er nichts von Miserrimus Dexter und Ariel gehört habe. Mein alter Freund seufzte bei der Berührung dieses peinlichen Themas.

»Das Beste, was dem unglücklichen Mann geschehen kann wird wohl bereits geschehen sein,« sagte er. »Wenn Sie nach England zurückkehren, werden Sie ihn wohl nicht mehr unter den Lebenden finden.«

»Und Ariel?« fragte ich.

»Ganz unverändert Vollkommen glücklich, wenn sie mit ihrem Herrn zusammen ist. Wie mir der Doktor sagt, hält sie Dexter nicht für ein sterbliches Wesen. Sie lacht, wenn man von seinem Tode spricht, und lebt der festen Ueberzeugung, daß er sie einst wiedererkennen werde.«


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