Antonina oder der Untergang Roms



Band 3

Erstes Buch.

(»—— das Volk starb ohne Hilfe; bei dem Mangel
an Hütern der göttlichen und menschlichen Gesetze
hatten die Verbrecher die Oberhand und begingen
ungestört Räubereien und alle möglichen anderen
Excesse; den Kranken fehlte es an der gehörigen
Pflege, denn es fehlte an Pflegern; ——«)

»—— la gente moriva senza rimedio; mancati i cu-
stodi delle leggi si divine. che umane, gli scele-
rati le conculcavano, commettendo rapine e ogni
altro eccesso liberamente; i pazienti mancavano
della debita cura, per mancanza di chi gli assi-
stesse;——«
Martinelli:
»Osservazioni sopra ll Decameron di
Giovanni Boccacci.«

Kapitel I.
Die Rückkehr durch die Mauerspalte.

Stumm und gleichgültig heftete der Wächter auf der durchbrochenen Mauer seine Augen auf die östlichen Wolken, als sich dieselben langsam in der anbrechenden Dämmerung erhellten. So trostlos auch das Aussehen des trüben, nebeligen Morgens war, bot er doch von allen den verschmachtenden Soldaten umgebenden Gegenständen das willkommenste Ziel für sein mattes Auge. Wenn er auf die Stadt hinter ihm zurückblickte so sah er ein ödes Gebeinhaus der Hungersnoth und des Todes. Blickte er auf den leeren Raum außerhalb der Mauern hinab, so sah er die Leiche des Gefährten seiner Wache, der von den Qualen des Hungers, die er die Nacht über gelitten, zum Wahnsinn getrieben, sich von der Zinne hinabgestürzt hatte, um einen willkommenen Tod am Fuße der Mauer zu finden. Hungrig und verzweifelnd lehnte der Wächter auf den Festungswerken, auf denen hinzuschreiten er jetzt nicht Kraft genug mehr besaß und um deren Vertheidigung er sich nicht länger kümmerte, indem er sich, nach der Nahrung sehnend, die zu erlangen er keine Hoffnung hatte, anf seinem einsamen Posten die graue Dämmerung beobachtete.

Während er noch so damit beschäftigt war, wurde das düstere Schweigen, welches ihn umgab, plötzlich von dem Tone herabstürzenden Gemäuers am innern Fuße der Mauer unterbrochen, worauf schwache Bitten um Gnade und Befreiung folgten, die seltsam mit unzusammenhängenden Ausdrücken der Herausforderung und des Triumphs, von einer zweiten Stimme gemischt, zu seinem Ohre aufstiegen. Er, wendete langsam den Kopf und sah, als er hinabblickte, auf dem Boden unter ihm ein junges Mädchery welches mit einem Greise rang, der es, nach dem Pincischen Thore, zu schleppte.

Auf einen Moment begegnete das Auge des Mädchens dem gleichgültigen Blicke des Wächters und sie erneuerte, mit einer letzten Anstrengung ihrer Kräfte und heftigerem Flehen ihr Hilfegeschrei, aber der Soldat bewegte sieh weder, noch antwortete er. Bei seiner Erschöpfung konnte ihn jetzt kein Anblick weiter berühren, als der Anblick von Nahrung. Er war, gleich den übrigen Bewohnern der Stadt, in die schwere Betäubung des Hungers versunken —— selbstsüchtig, gleichgültig, verthiert geworden. Kein Unglück vermochte, ihn niederzuschlagen, keine Abscheulichkeit ihn anzuspornen. Der Hunger hatte alle Bande der Gesellschaft zerrissen, hatte unter seinen belagerten Mitbürgern jedes menschliche Gefühl abgestumpft und er hungerte gleich ihnen.

Als die Bitten des Mädchens um Schutz jetzt schwächer und immer schwächer an sein Ohr schlugen, machte er daher keinen Versuch, seine matten Glieder zu bewegen. Er sah sie mit stumpfem, mechanischem Blicke hinweg schleppen, bis sie eine Biegung des Pfades am Fuße des Monte Pincio seinen Augen verbarg. Dann kehrten seine Augen langsam wieder zu dem bewölkten Himmel, zurück, welcher der Gegenstand. seiner früheren Betrachtung gewesen war, und sein Geist versank wieder in seine alte, peinlich, zwecklose Zerstreutheit, als ob kein Ereigniß kaum einen Augenblick vorher die geschwächten Fähigkeiten desselben angeregt hätte.

Wenn er in dem Augenblicke, wo das erste Licht der Dämmerung erschien, durch eine geheimnißvolle Kraft befähigt worden wäre, von der Zinne, auf welcher er seine müde Wacht hielt, nach den inneren Grundlagen der Mauer hinabzublicken, so hätte sich ihm dann ein Anblick bieten müssen, welcher selbst seines träge Beobachtungsfähigkeit zu starrer Aufmerksamkeit und unwillkürlicher Ueberraschung aufgeregt haben würde.

Zwischen zackigen Massen von morschem Mauerwerk bald aufwärts, bald abwärts gewunden, hier in die Schatten dunkler Schlünde versunken, dort über den Wölbungen aufsteigender Bögen heraustretend, würden sich die dunkeln, unregelmäßigen Gänge, welche Ulpius durch die morsche Mauer gebrochen hatte, seinen Augen gezeigt haben —— nicht bloß in öder Einsamkeit, nicht nur von den dem Orte angehörigen Kriechthieren bevölkert, sondern in allen ihren labyrinthischen Verschlingungen von Menschengestalten durchmessen. Er würde den wilden, entschlossenen Heiden wahrgenommen haben, wie er sichern, langsamen Ganges durch Dunkelheit und über Hindernisse schritt und das junge Mädchen, das durch sein unglückliches Schicksal in seine Gewalt geliefert worden war, gleich einem, seinem Willen gehorchenden Hunde nachzog. Er hätte dann sehen können, wie ihre halb ohnmächtige Gestalt zuweilen auf den höheren Stellen des Ganges lag, während ihr furchtbarer Führer vor ihr in eine Vertiefung hinabstieg und sich dann wendete, um sie nach einer noch finsteren und niedriger gelegenen Tiefe nachzuziehen —— zuweilen in flehender Bitte auf den Knieen, während ihre Lippen sich noch einmal mit einer letzten verzweifelnden Bitte bewegten und ihre Glieder, in der höchsten Anstrengung den unbarmherzigen Händen ihres Führers zu entgehen, bebten. Bei allem, was sich ihm entgegenstellte, würde dabei in jeder Handlung des Heiden die gleiche wilde Hartnäckigkeit sichtbar gewesen sein, die ihn fortwährend in seinem wahnsinnigen Entschlusse bewirkte, sein Opfer durch die Mauer mit sich zu ziehen, ihn stets mit seltsamem Instinkte über jedes Hinderniß hinwegführte, und ihn von jeder Gefahr aus seinem Pfade befreite, bis sie ihn triumphierend mit seiner, sich noch in seiner Macht befindenden Gefangenen hinausbrachte, und er wieder die verödeten Straßen betreten und sich unter die hungernden Bürger von Rom mischen konnte.

Und welche Hoffnung hatte Antonina nun, wo sie nach Gefahr und Noth wieder in ihrer Heimathstadt stand, ihre letzte Freistätte unter dem Dache ihres Vaters zu erlangen und ihren einzigen Trost in dem Versuche zu finden, die Liebe ihres Vaters wieder zu erringen? Sobald der Heide die durchbrochene Mauer hinter sich hatte, schien auch jede mit derselben verknüpfte Erinnerung in seinem Gedächtnisse verschwunden zu sein. An die Stelle seiner verlorenen Geisteskräfte war wieder eine eben so öde Wüste getreten, wie diejenige, welche sie in der Nacht überzogen hatte, wo er im Garten des Bauernhauses an dem Grabe des jungen Häuptlings stand. Er ging, ohne etwas zu beobachten, ohne zu denken, ohne Ziel oder Hoffnung und nur von einer geheimnißvollen Unruhe getrieben, vorwärts, vergaß dabei sogar Antoninens Gegenwart, hielt aber immer noch mechanisch ihre Hand fest und schleppte sie hinter sich her, ohne zu wissen wohin.

Aber auch sie machte keinen weiteren Versuch, um sich zu befreien. Sieh hatte gesehen, wie der Wächter auf der Mauer von ihren Bitten unbewegt blieb, sie hatte gesehen, wie die Mauern des väterlichen Hauses immer weiter vor ihren sehenden Augen zurückwichen, also sie Ulpius mitleidlos von der fernen Thür desselben weiter und weiter zog und sie verlor die letzte schwache Hoffnung auf das Wiedersehen, den letzten geringen Wunsch zu leben, über dem schwer auf ihrem Geiste. lastenden Gefühle ihrer. Hilflosigkeit. Ihr Herz war von dem jungen Krieger erfüllt, der erschlagen worden war, und von ihrem Vater, von welchem sie sich in der Stunde seines Zorns getrennt hatte, während sie jetzt schwach den Schritten des Heiden folgte und sich in ihrer höchsten Verzweiflung der schnellen Erschöpfung und dem Tode anheim gab.

Sie wendeten sich von dem Pincischen Thore ab und gelangten, auf den Campus Martius und hier zeigte sich das Aussehen der belagerten Stadt und die Lage ihrer unglücklichen Einwohner vollkommen und furchtbar ihren Blicken. Auf dem herrlichen Plage, der einst von geschäftigen Menschen erfüllt gewesen war, welche in jeder Richtung hin und her eilten, wie sie ihre verschiedenartigen Bestimmungen oder Launen führen mochten, waren jetzt keine zwanzig sich bewegenden Gestalten zu entdecken. Diese Wenigen, welche noch die Kraft oder die. Entschlossenheit besaßen auf dem größten Platze Rom’s umherzuschreiten, gingen unablässig mit in das Leere gerichteten hohlen Augen und auf den Mund gepreßten, abgemagerten Händen« einzeln, mißtrauisch, stumm, wüthend, wie eingekerkerte Tollhäusler rastlos, wie in der Ruhe gestörte Gespenster auf einem Friedhofe, auf und ab.

Von dieser Art waren die Bürger, welche sich noch auf dem Campus Martius bewegten; auf ihrem Pfade lag, überall; wohin sie sich wenden mochten, die grausige Menge der Sterbenden und Todten —— die bereits getroffenen Opfer der Pest, welche sich jetzt in der angesteckten Stadt erhoben und dem Hunger in seinem Werke der Verödung und des Todes angeschlossen hatte. Um die öffentlichen Brunnen, in denen das Wasser noch eben so kühlend und süß aufsprudelte, wie in der Sommerzeit des Wohlstands und Friedens, hatte sich hauptsächlich die ärmere Bevölkerung des belagerten Rom zum Sterben zusammengedrängt. Einige besaßen noch Kraft genug, um gierig am Rande der steinernen Becken zu trinken, über welche Andere —— mit in das Wasser getauchten Köpfen und Schultern —— todt, und ertrunken lagen, durch ihre Schwäche unfähig, sich nach dem ersten Zuge zurückzuziehen. Kinder stiegen über die Leichen ihrer Eltern, um bis an den Rand des Brunnens zu gelangen —— Eltern stierten blödsinnig auf die im Wasser, in welches sie unbeklagt, und ohne Beistand zur finden, gesunken waren, bald steigenden bald sinkenden Körper ihrer Kinder.

Auf anderen Theilen des Platzes an den offenen Thoren der Theater und Hyppodromen in den ungehüteten Vorhallen der Paläste und Bäder lagen die mißfarbigen Körper derjenigen, welche gestorben waren ehe sie die Brunnen erreichen konnten, —— besonders von Frauen und Kindern —— in entsetzlichen Kontrast von dem, Verlassen Hausrath der Ueppipgkeit und den bei Seite geworfenen Erfindungen des Lasters umgeben —— von vergoldeten Ruhebetten, —— von eingelegten Tischen —— von Juwelen besetzten Karniesen —— von obscönen Gemälden und Statuen —— von prächtig gebundenen, buntbemalten Manuskripten üppiger Lieder, die noch auf ihren gewohnten Plätzen an den hohen Marmorwänden hingen. Weiterhin in den Nebengassen und den abgelegenen Höfen, wo die Leiche des Krämers auf seinem leeren Ladentische ausgestreckt lag, wo der Soldat der Stadtwache erschöpft niedergesunken war, ehe er das Ende seiner Stunde erreicht hatte, wo der reiche Kaufmann von der Pest betroffen auf den letzten Ueberbleibseln widerlicher Nahrung lag, welche ihm sein Gold verschafft hatte, konnte man den Räuber und Mörder sehen, wie sie bald gierig das um sie her liegende Aas verschlungen, bald todt auf die Leichen niedersanken, welche sie vor kaum einem Augenblicke geplündert hatten.

Ueber das ganze Schauspiel in der Nähe, wie in der Ferne, so weit es sieh auch erstrecken mochte, was auch die Schrecken waren, welche es zeigte, breitete sich eine todte, unnatürliche Stille. Kein Laut war zu hören, die Lebenden waren eben so still wie die Todten, Verbrechen, Leiden, Verzweiflung waren gleich stumm. Die Trompete war nicht mehr im Wachhause zu hören, die Glocke ertönte nicht mehr von der Kirche, —— selbst der dichte, nebelige Regen, welcher jetzt aus den schwarzen, unbeweglichen Wolken niedersank, und die Umrisse entfernter Gebäude und die Zinnen der umfangreichen Paläste in kalte, Schatten hüllte, fiel geräuschlos auf den Boden nieder. Der Himmel besaß keinen Wind, die Erde kein Echo, die Alles durchdringende Verödung entsetzte das Auge, die öde Stille lastete dumpf auf dem Ohre —— es war eine Scene, als ob die letzte, noch übrige Stadt einer erschöpften Welt geräuschlos im Ur-Chaos zurücksinke.

Durch diese Atmosphäre der Finsterniß und des Todes, auf diesen Pfaden der Pest und des Hungers, Keinen betrachtend, von Keinem betrachtet, schritt der Heide langsam mit seiner Gefangenen nach dem, dem Monte Pincio gegenüberliegenden Theile der Stadt. Selbst jetzt noch erhellte kein Strahl des Gedankens die stumpfen Geisteskräfte des Ulpius er schritt gedankenleer vorwärts und das dem Sinken nahe Mädchen folgte ihm müde und matt.

In ihrem, aus körperlicher Schwäche und geistiger Verzweiflung gemischten Stumpfsinn sprach sie kein Wort, erhob weder den Kopf, noch blickte sie zur einen oder andern Seite. Sie hatte jetzt sogar aufgehört, den kräftigen, kalten Druck der Hand des Heiden zu fühlen. Schattenhafte Visionen, von überweltlichen Sphären in zauberische Schönheit gekleidet und mit seligen Geistern in ihrer alten irdischen Form bevölkert, in denen eine lange, den Tod nicht kennende Existenz glatt und träumerisch, ohne eine Spur von der Zeit oder eine Befleckung vom Schmerze, dahinzog, thaten sich ihrem Geiste auf. Sie verlor alle Erinnerung an Leiden und Unrecht, alle Besorgniß vor Gefahr, vor dem Wahnsinnigen, in dessen Händen ihr Schicksal lag, und so bewegte sie sich langsam vorwärts, wie sie der Wille des Heiden führte, ohne ihre gegenwärtige Gefahr zu bemerken und ohne wegen des ihr bevorstehenden Schicksals besorgt zu sein.

Sie kamen an dem großen kreisförmigen Gebäude des Pantheons vorüber, betraten die langen, engen Straßen, welche an das Ufer des Flusses führen, und gelangten endlich an den Rand des Tiber —— dicht bei der kleinen Insel, welche sich noch in der Mitte seiner Wellen erhebt —— hier blieb der Heide mechanisch zum ersten Male stehen und lenkte gedankenlos seine trüben, wie vom Traume befangenen Augen auf die Aussicht vor ihm, wo die Mauern sich von ihrer gewöhnlichen Richtung plötzlich nach Außen bogen und den Janiculum-Hügel, welcher mit seiner unregelmäßigen Gebäudemasse auf dem entgegengesetzten Ufer des Flusses aufstieg, umschlossen.

Bei dem plötzlichen Uebergange von der Thätigkeit zur Ruhe erschlafften die überreizten Kräfte, welche bisher die Glieder Antoninens mit einer unnatürlichen Ausdauer begabt hatten. Sie sank hilflos und stumm nieder; ihr Kopf neigte sich dem harten Boden zu, wie einem willkommenen Kissen, fand aber keine Stütze, da der der eiserne Griff, mit welchem der Heide ihre Hand faste, eben so unnachgiebig wie bisher blieb. So gebrechlich er euch war, schien er doch in diesem Augenblicke nichts davon zu wissen, daß seine Gefangene jetzt an seiner Seite niederhing. Jeder mit ihr in Verbindung stehende Gedanke, jede Erinnerung an seine Stellung zu ihr im Hause ihres Vaters war seinem Gedächtnisse entschwunden. Ueber sein körperliches Wahrnehmungsvermögen schien eine noch dunklere Blindheit herabgesunken zur sein, seine Augen rollten langsam, von einer Seite der vor ihm ausgebreiteten Aussicht zur andern, erblickten aber nichts, seine keuchenden Athemzüge rangen sich voll und schnell empor, seine eingesunkene Brust hob sich, als sei eine tiefe, furchtbare Qual in ihr eingekerkert —— offenbar war eine neue Krisis seines Wahnsinns nahe.

Iu diesem Augenblicke erschien eine von den Räuberhorden —— eine Schaar von den verzweifelten Verbrechern der Hungersnoth und Pest, die noch in der Stadt nach Beute suchten, in der Straße. Ihre zitternden Hände griffen nach ihren Waffen und ihre abgezehrten Gesichter erhellten sich, als sie den Heiden und das Mädchen erblickten. Als sie ihnen aber näher kamen, sahen sie in den Gestalten der Beiden auf den ersten Blick genug, um ihre Hoffnung, ihnen Beute oder Nahrung abzunehmen, zu verzichten. Auf einen Augenblick blieben sie bei ihren bei ihren beabsichtigten Opfern stehen, als überlegten sie, ob sie dieselben, um des bloßen Mordes willen, ermorden sollten, doch der Anblick von zwei verstohlen, ein tiefer in der Straße gelegenes Haus verlassenden Weibern, die einen mit zerrissenen Gewändern bedeckten Korb trugen erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie wendeten sich augenblicklich ab, um den Trägerinnen des Korbes zu folgen und von Neuem blieben Ulpius und Antonina allein am Ufer des Flusses zurück.

Der Anblick der Mörder war, wie jedes andere Schauspiel oder Ereigniß in der Stadt, nicht im Stande gewesen, die Geistesfähigkeiten des Ulpius anzuregen. Er hatte sie weder angeblickt, noch war er vor ihnen geflohen, als sie ihn umringten, aber jetzt, wo sie fort waren, wendete er langsam den Kopf der Richtung zu, in welcher sie sich entfernt hatten. Sein Auge schweifte über die nassen Steine der Straße, über zwei in geringer Entfernung von einander auf ihnen ausgestreckte Körper, über die Gestalt einer Sklavin, die verlassen an der Mauer eines von den Häusern lag und ihre letzten Kräfte aufbot, um von dem trüben Regenwasser zu trinken, welches in der Rinne neben ihr hinablief, immer noch blieben aber seine Augen ohne Verständniß desjenigen, auf was sie trafen. Der nächste Gegenstand, welcher zufällig seine kindische Beachtung erregte, war ein verlassener Tempel. Auf dieses einsame Gebäude heftete er augenblicklich seinen Geist, —— es war dazu bestimmt eine neue und warnende Scene in dem düsteren Trauerspiele seines dem Ende nahen Lebens zu eröffnen.

Auf seinem Wege durch die Stadt war er achtlos an vielen Tempeln vorüber-gekommen, deren Lage weit auffallender, deren Bauart weit imposanter war als dieser. Das Gebäude besaß weder besondere Ausdehnung noch außerordentliche Schönheit. Seine schmalen Säulenhallen und sein dunkler Thorweg waren geeigneter, das Auge abzustoßen, wie es einzuladen; aber es besaß eine Anziehungskraft, die mächtiger war, wie alle Herrlichkeiten der Baukunst und alle Großartigkeit der Lage, um in ihm die umherschweifenden Geisteskräfte zu fixieren, deren strengere und höhere Zwecke jetzt auf ewig verschwunden waren, es war dem Serapis geweiht, —— dem Essen, welcher der Gegenstand seiner ersten Anbetung und der Begeisterung seines letzten Versuches für die Wiederherstellung seines Glaubens gewesen war. Das Bild des Gottes mit dem von einer Schlange umschlungenen dreiköpfigen Ungeheuer, gehorsam unter seiner Hand, war über der Vorhalle ausgehauen. Welche Fluth von Empfindungen auf den verödeten Geist des Heiden in dem Augenblicke einströmten, wo er das lange geliebte, wohlbekannte Bild des egyptischen Gottes erblickte, verrieth auf einige Zeit äußerlich nicht das mindeste Zeichen. Seine moralische Gefühllosigkeit schien nur noch tiefer zu werden, als sich sein Blick jetzt mit starrer Aufmerksamkeit auf die Vorhalle des Tempels heftete. So blieb er unbeweglich stehen, als ob ihn das, was er sah, versteinert und an den Boden geheftet habe, als die Wolken, welche sich mit dem vorrückenden Morgen in immer tieferer Schwärze zusammengezogen hatten, um noch, von Elektricität erfüllt, das Gewitter von der vorigen Nacht fortzusetzen, plötzlich über seinem Haupte einen lauten Donnerschlag entluden.

Bei diesem warnenden Tone schrak er, als ob derselbe das übernatürliche Zeichen gewesen wäre, welches er erwartet hatte, um sich erwecken zu lassen —— als ob es in einem kurzen Augenblicke die Erinnerung an alles das, was er in der vergangenen Gewitternacht so entschlossen versucht, erweckt hatte, zu augenblicklich Munterkeit auf. Sein Gesicht erhellte sich, seine Gestalt richtete sich auf, er ließ Antoninens Hand fallen, erhob seinen Arm in rasendem Triumph zu dem zornigen Himmel, schwankte dann vorwärts und sank am Fuße der Tempeltreppe auf die Kniee nieder.

Welche Erinnerungen an seinen Weg durch die Mauer an dem Monte Pincio und die demselben gefolgten Mühen und Gefahren sich auch, als ihm der Donner ins Ohr schallte, in seinem Gedächtniß belebt haben mochten, so waren sie doch jetzt eben so sehnell verschwunden, wie sie sich erhoben, und hatten seinem Erinnerungsvermögen Freiheit gelassen, sich den Seenen zuzuwenden, welche das Serapisbild zurückzurufen am geeignetsten war. Erinnerungen an seine jugendlichen Freuden im Tempel von Alexandrien, an seinen Jünglingsenthusiasmus, an die Triumphe seiner ersten Mannesjahre blitzten, zwar zusammenhanglos und schwankend, aber strahlend, herrlich berauschend, vor seinem halbzerstörten Geiste auf. Thränen, die ersten, welche er seit seiner glücklichen Jugend vergossen hatte, folgten einander schnell auf seinen welken Wangen. Er drückte entzückt seine heiße Stirn. Er klopfte mit seiner vertrockneten Hand auf die kalten nassen Stufen vor ihm. Er flüsterte athemlose Ausrufungen, er hauchte ein seltsames, liebkosendes Murmeln aus. Er warf sich in seinem jubelnden Entzücken an den Mauern des Tempels nieder, wie ein Hund, der seinen verlorenen Herrn wiedergefunden hat und sich liebkosenden dessen Füße schmiegt. So verbrecherisch er auch war, bot doch diese Freude in seiner Erniedrigung, dieser Stolz in seiner elenden Isolation von der Menschheit, einen mitleiderregenden Anblick.

Nach einiger Zeit veränderte sich seine Stimmung. Er stand auf, seine zitternden Glieder spannten sich in Jugendkraft, als er die Tempel-stufen erstieg und in den Eingang des Gebäudes gelangte. Er wendete sich auf einen Augenblick um und schaute hinaus auf die Straße, ehe er das Heiligthum seiner krankhaften Phantasie erreiehte. Für ihn erglänzte jetzt der wolkenumzogene Himmel über ihm mit den Strahlen des sonnigen Orients. Die sich vor ihm ausbreitenden leichenerfüllten Straßen von Rom waren von hohen Bäumen verschönert und von glücklichen Gestalten bevölkern und auf den dunkeln Fließen unter ihm, wo noch die Leichname lagen, für die er kein Auge besaß, sah er bereits die Priester des Serapis mit seinem verehrten Lehrer, seinem geliebten Macrinus an der Spitze, ihm entgegen ziehen und ihn in den Hallen des egyptischen Gottes bewillkommnen. Visionen, wie diese, zogen herrlich an den Augen des Heiden vorüber, während er so triumphierend auf den Stufen des Tempels stand, und erleuchteten mit Mittagshelligkeit die düsteren Gewölbe desselben, als er sich nach kurzem Verweilen von der Straße abwendete und durch die Thür des Heiligihums verschwand.

Der Regen strömte stärker als vorher herab, der einmal erweckte Donner erschallte jetzt in tiefen häufigen Schlägen, als sich Antonina vom Boden erhob und in der Erwartung, daß die gefürchtete Gestalt des Ulpius ihren Augen begegnen müsse, umsah. Aus der Straße war kein lebendes Wesen zu erblicken, die verstoßene Sklavin lehnte noch an der Mauer des Hauses, wo sie zuerst erblickt worden war, als der Heide in die Nähe des Tempels gelangte, jetzt aber war sie todt. Die Räuberbanden waren verschwunden. Nach allen Richtungen hin, so weit das Auge reichte, herrschte eine ununterbrochene Stille.

In dem Augenblicke, wo Ulpius Antoninens Hand losgelassen hatte, war sie hilflos und resignirt, aber nicht so weit erschöpft, daß sie alle Kraft der Empfindung oder alle Fähigkeit zum Denken verloren hatte, auf den Boden gesunken. Während sie auf dem kalten Pflaster der Straße lag, verfolgte ihr Geist immer noch die Visionen eines baldigen Todes und eines nach demselben kommenden ruhigen Lebens im Tode, in einer andern Welt; als aber die langsamen Augenblicke vergingen und keine rauhe Stimme in ihr Ohr schallte, keine mitleidlose Hand sie vom Boden aufriß, keine Unheil verkündenden Schritte in ihrer Nähe hörbar wurden, trat allmälig eine Verwandlung in ihren Gedanken ein. Der Instinkt der Selbsterhaltung lebte langsam in ihr wieder auf, und als sie sieh aufrichtete, um auf das düstere Schauspiel um sie her zu blicken, regte sie die Aussicht auf ungestörte Flucht und gegenwärtige Sicherheit, welche ihr durch die Einsamkeit der Straße geboten wurde, gleich einer ermuthigenden Stimme, gleich einem unerwarteten Versprechen der Hilfe an.

Ihr Wahrnehmungsvermögen für äußere Einflüsse stellte sich wieder ein; sie fühlte den Regen, welcher ihre Gewänder durchnäßte, es schauderte ihr bei, dem Donner, welcher über ihrem Haupte rollte; sie bemerkte mit Entsetzen die vor ihr auf den Steinen liegenden Leichen. Sie wurde von einem unwiderstehlichen Verlangen belebt, von dieser Stelle zu fliehen, dem trostlosen Schauspiele, welches sie erblickte, zu entrinnen, selbst wenn sie durch die Anstrengung erschöpft, in der nächsten Straße zusammensinken müßte. Langsam erhob sie sich —— ihre Glieder zitterten vor Schwäche, aber sie gelangte auf ihre Füße. Sie schwankte, dem Flusse den Rücken zukehrend, vorwärts, schritt verwirrt zwischen langen Reihen verlassener Häuser dahin und kam vor einem öffentlichen Garten an, in welchem ein kleines Sommerhaus lag, dessen verödete Vorhalle ihr einen Versteck und ein Obdach gewährte. Hier suchte sie daher Zuflucht, kauerte in den dunkelsten Winkel des Gebäudes und verbarg ihr Gesicht in den Händen, wie um die traurigen, wiewohl veränderten Scenen, welche sie umgaben, auszuschließen.

Qualvolle Gedanken und Erinnerungen wirbelten jetzt schwindelnd in ihrem Kopfe herum. Alles, was sie gelitten hatte, seit sie von Ulpius ans dem Bauernhause in der Vorstadt fortgeschleppt worden war —— die nächtliche Wanderung über die Ebene —— der furchtbare Weg durch die Mauer —— belebten sich jetzt in ihrem Gedächtnisse im Gemisch mit jetzt zum ersten Male erweckten formlosen Ideen von der Pest und Hungersnoth, welche die Stadt verödeten, und plötzlich erweckter Besorgniß, daß Goiswintha ihr immer noch mit dem Messer in der Hand durch die einsamen Straßen folgen könne, während sich, über alle diese wechselnden Quellen der Pein und des Entsetzens die Todesscene des jungen Häuptlings wie ein kaltes Gewicht auf ihr schweres Herz legte. Der feuchte Rasen seines Grabes schien noch an ihre Brnst zu drücken, sein letzter Kuß bebte noch aus ihren Lippen, sie wußte, obgleich sie nicht auf dieselben hinabzuschauen wagte, daß noch die Flecken seines Blutes ihre Gewänder färbten.

Mochte sie sich aber bemühen aufzustehen und ihre Flucht fortzusetzen, oder wieder in der Vorhalle niedersinken und sich auf einen bittern Augenblick darein ergeben, durch Goiswinthens Messer umzukommen, wenn Goiswintha in der Nähe wäre, oder wieder in die Hände des Ulpius zu fallen, wenn Ulpius ihr bis zu ihrem Zufluchtsort nachspüren sollte, so wurde sie bei alledem doch nie von dem niederschmetternden Gefühl verlassen, daß sie ihres geliebten Beschützers auf ewig beraubt —— daß der Freund ihrer kurzen Tage des Glückes für sie auf ewig verloren —— daß Hermanrich, der sie vor dem Tode bewahrt hatte, in seiner Jugend und Kraft an ihrer Seite ermordet worden war. Seit dem Morde im Bauernhause, befand sie sich jetzt zum ersten Male allein, und jetzt erst fühlte sie das volle Gewicht ihres Unglücks, und wußte wie trostlos das Leichentuch war, welches sich über jede Bestrebung ihres künftigen Lebens ausbreitete.

So dauernd und fast ewig auch die Wucht ihrer Verödung jetzt geworden zu sein schien, sollte sie doch durch Gefühle einer zarteren Wehmuth und eines resignirteren Schmerzes ersetzt werden. Die angeborene, unschuldige Charakterstärke, welche sie unter der Strenge ihrer Jugenderziehung geduldig und unter den Prüfungen, die von der Verbannung aus dem Hause ihres Vaters an auf sie einstürmten, hoffnungsvoll gemacht, die sie nicht eher verlassen hatte, als bis sich die furchtbaren Scenen der verflossenen Mord- und Todesnacht in triumphierendem Grausen vor ihren Augen erhoben, und die selbst da nur betäubt, aber nicht zerstört worden war, sollte jetzt wieder ihren heilenden Einfluß auf ihr Herz gewinnen. Während sie in ihrem einsamen Zufluchtsorte kauerte, belebte sich plötzlich die Hoffnung, die Sehnsucht nach der Wiederkehr zu ihrem Vater und seiner Liebe, welche sie auf dem Grabe des jungen Häuptlings bewegt und ihr die letzten Anstrengungen, um sich zu befreien, eingegeben hatte, als sie von Ulpius durch den Gang in der durchbrochenen Mauer geschleppt worden war, von Neuem.

Sie erhob sich und blickte auf die verödete Stadt und den Sturmhimmel hinaus, jetzt aber mit milden, furchtlosen Augen. Ihre Erinnerungen an die Vergangenheit sänftigten sich in ihrem jugendlichen Kummer, ihre Gedanken für die Zukunft wurden geduldig, ernst und heiter. Das Bild ihres ersten und jetzt einzigen Beschützers ihrer alten, trauten Heimath, ihrer Garteneinsamkeit auf dem Monte Pincio breiteten sich schimmernd, wie Ruheplätze für ihr müdes Herz, vor ihrer Phantasie aus. Sie stieg die Stufen des Sommerhauses hinab, ohne Besorgniß vor ihren Freunden zu hegen, ohne an ihrer Entschlossenheit zu zweifeln, denn sie kannte den Leuchtthurm, welcher sie jetzt in ihrem Laufe leiten sollte. Ihre Augen erfüllten sich mit Thränen, als sie in den Garten hinaustrat, aber ihr Schritt schwankte nicht, ihre Züge verloren nie den Ausdruck von stillem, mit milder Hoffnung vereinigtem Schmerze. So gelangte sie wieder auf die gefahrvollen Straßen und begann vor sich hin-flüsternd:

»Mein Vater! mein Vater»als ob in diesen einfachen Worten die Hand, welche sie führen und die Vorsehung, welche sie bewahren solle, enthalten sei, ihren einsamen Gang nach dem Monte Pincio.

Es war ein rührendes, schönes, ja erhabenes Schauspiel, wenn man dieses junge Mädchen betrachtete, das erst seit wenigen Stunden auf gefahrvollen Pfaden und durch verbrecherische Hände aus Scenen befreit worden war, die mit Verrath begonnen hatten, um im Tode zu enden, und jetzt entschlossen und allein durch die Straßen einer großen, von Allem, was es in menschlicher Pein Qualvolles und im menschlichen Verbrechen Abstoßendes giebt, überzogenen Stadt dahinschritt. Es war ein herrlicher Beweis von der kräftigen Herrschaft über die Welt und ihre Gefahren, womit die einfachste Zuneigung das schwächste Wesen bewaffnen kann, wenn man bemerkte, wie sie so über alle Schrecken der Verödung und des Todes, welche ihren Pfad umstellten, erhaben, ihren Weg verfolgte, und unbewußter Weise in dem leise geflüsterten Vaternamen, welcher immer noch von Zeit zu Zeit von ihren Lippen fiel, den reinen Zweck entdeckte, welcher sie aufrecht erhielt —— den festen Heldemuth, welcher die Gefahren ihres Pfades hinwegräumte. Die Stürme des Himmels entluden sich über ihrem Haupte, die Verbrechen und Leiden Rom’s verdunkelten ihren Pilgerweg, aber sie schritt festen Fußes durch alles bin, wie ein himmlischer Geist, der in der strahlenden Unverletzlichkeit seiner göttlichen Sendung und seiner heiligen Gedanken über das irdische Gebiet hinwallt —— wie ein Lichtstrahl, der in der Kraft seiner eignen Schönheit die Stürme und Finsterniß einer fremden Sphäre durcheilt.

Von Neuem betrat sie den Campus Martius, von Neuem kam sie an den öffentlichen Brunnen vorüber, die noch immer unnatürlicher Weise zu Betten für die Sterbenden und Gräbern für die Todten dienten. Von Neuem durchschritt sie die Straßen, wo die stärkeren Mitglieder der hungernden Einwohnerschaft in grimmigem Schweigen und ungeselliger Absonderung hin und her schwankten. Kein Wort wurde an sie gerichtet, kaum ein Blick auf sie gelenkt, als sie so ihren einsamen Pfad verfolgte. Sie war einsam unter den Einsamem verlassen unter den Verlassenen.

Der Räuber sah, wenn er an ihr vorüberkam, daß sie für seine beutesüchtige Hand eben so werthlos war, wie die Aermsten von den sterbenden Bürgern um ihn her. Der schwach seinen Palasthallen zuschwankende Patrizier wich ihr aus, wie einer neuen Bewerberin um das Almosen, welches er jetzt nicht mehr geben konnte, und beschleunigte seinen Schritt, sobald sie sich ihm näherte. Unbeschützt, aber doch unbelästigt aus ihrer Einsamkeit und von ihren bitteren Erinnerungen hinweg der Freistätte, der Liebe ihres Vaters zueilend, wie sie als Kind vor ihren ersten Besorgnissen des Schmerzes, der Zuflucht in ihres Vaters Armen zugeeilt sein würde, gelangte sie endlich an den Fuß des Monte Pincio —— stieg die Straßen hinauf, welche sie in ruhigen alten Tagen so oft betreten hatte.

Die Thore und Nebengebäude von Vetranio’s Palaste boten, als sie daran vorüber kam, einen auffallenden ominösen Anblick. Hinter den hohen Stahlgittern, welche das Gebäude beschützten schwankten und strauchelten die vom Hunger erschöpften Sklaven des Senators unter vollen Weingesäßen, die sie sich nach den innern Gemächern zu tragen bemühten. Von den Balkonen hingen bunte Teppiche herab, die Statuen der Marmorfronte waren mit Epheuguirlanden bekränzt. Mitten in der belagerten Stadt und in sündigem Hohn der Hungersnoth und Pest, von welcher Hütten wie Palaste verheert wurden, gingen in diesem Hause die Zurüstungen für ein glänzendes Fest vor sich.

Ohne den auffallenden Anblick, welcher ihr in Vetranio’s Palaste geboten wurde, zu beachten, mit unverwandt nach einer einzigen Gegend gerichteten Augen, mit in jedem Augenblicke schneller und schneller eilenden Schritten näherte sich Antonina dem Vaterhause, aus welchem sie in Furcht verbannt worden war und nach welchem sie in Schmerz zurückkehrte. Noch ein Augenblick der Anstrengung, der alle anderen Gefühle verdrängenden Erwartung, und sie gelangte an die Gartenthür!

Sie strich das vom Regen über ihre Stirn gespülte schwere Haar zurück, sie warf einen schnellen Blick um sich, sie sah das Fenster ihres Schlafgemachs, wo noch der alte einfache Vorhang an seinem gewohnten Platze schwebte, sie erblickte die wohlbekannten Bäume, die sorgfältig gepflegten Blumenbeete, welche jetzt welk unter dem Gewitterhimmel dastanden. Ihr Herz pochte zum Zerspringen, der Athem schien ihr plötzlich in der Brust zu stocken, als sie den Gartenweg betrat und die Stufen des Hauses erstieg.

Die Thür war nur angelehnt; mit einer letzten Anstrengung stieß sie dieselbe auf und stand wieder, ungestützt und unbewillkommnet, aber doch von Hoffnung auf Trost, Verzeihung und Liebe erfüllt —— in ihrem ersten und letzten Heiligthume —— in den Mauern ihres Vaterhauses!



Kapiteltrenner

Kapitel II.
Vater und Kind.

So verödet es auch dem äußern Anblicke an dem Morgen, von welchem wir jetzt schreiben, zu sein scheint, ist Numerian’s Haus doch nicht unbewohnt. In einem von den Schlafgemächern liegt der Herr des Hauses auf seinem Bette, ohne daß Jemand an seiner Seite wacht. Als wir ihn zuletzt auf unserer Schaubühne erblickten, war er unter die hungernde Gemeinde in der St. Johannes Laterankirche gemischt, und suchte unter der Verwirrung der öffentlichen Nahrungsaustheilung während der ersten Stufen des Unglücks des belagerten Rom noch immer nach seinem Kinde. Seit jener Zeit hat er sich viel gemüht und gelitten und jetzt sind endlich die Tage der lange hinausgeschobenen Erschöpfung, die Stunden hilfloser Einsamkeit, vor denen er in so steter Furcht geschwebt hat, endlich erschienen.

Von der ersten Zeit der Belagerung an, blieb er, —— während Alles, was ihn in der Stadt umgab, düster, immer finsterere und finsterere Veränderungen durchschritt, während die Hungersnoth in Pest und Tod überging, während mit jedem folgenden Tage die menschlichen Hoffnungen und Vorsätze sich allmälig verminderten und schwächer wurden, stets von demselben Zwecke beseelt —— war er der Einzige unter seinen Mitbürgern, auf welchen sein äußerliches Ereigniß gut oder schlimm, Hoffnung oder Furcht erregend einwirken konnte.

In allen Straßen Roms, zu jeder Stunde, unter allen Klassen des Volks sah man ihn fortwährend die gleiche hoffnungslose Aufgabe verfolgen. Als der Pöbel wüthend in die öffentlichen Getreidemagazine brach, um sich der letzten Kornvorräthe zu bemächtigen, die für die Reichen aufgespeichert worden waren, stand er an den Thüren und beobachtete die Herauskommenden. Als ganze Häuserreihen von Allem außer den Todten verlassen wurden, erblickte man ihn innerhalb derselben, wie er von Fenster zu Fenster ging und jedes Zimmer nach seinem verlorenen Schatze durchsuchte. Als sich einige wenige Bewohner der Stadt in den ersten Tagen der Pest zu dem fruchtlosen Versuche vereinigten, die auf den Straßen umherliegenden Leichen über die hohen Mauern zu werfen, mischte er sich unter sie, um die starren Gesichter der Todten anzublicken. An einsamen Orten, wo Eltern, die noch nicht jedes liebevolle Gefühl verloren hatten, ein sterbendes Kind von der wüsten Straße unter den Schutz eines Daches trugen, wo die noch ihren Pflichten getreue Gattin in stummer Verzweiflung den letzten Athemzug ihres Gatten bewachte, sah man ihn an ihnen vorübergleiten und sie einen kurzen Augenblick mit aufmerksamen, kummervollen Augen betrachten. Nirgends, wohin er auch gehen, was er auch sehen mochte, verlangte er Theilnahme oder bewarb er sich um Hilfe. Er ging seines Weges als Pilger auf einem einsamen Pfade, als unbeachteter Bewerber um ein Gut, um dessen Mitgenuß sich kein Anderer kümmern konnte.

Als sich die Hungersnoth in der Stadt fühlbar zu machen begann, schien er ihre Annäherung nicht zu bemerken, er machte keinen Versuch sich im Voraus mit Lebensmitteln auf ein paar Tage zu versorgen. Wenn er den ersten öffentlichen Vertheilungen von Nahrungsmitteln beiwohnte, so geschah es nur, um unter der ihn umgebenden Menge das Suchen nach seinem Kinde fortzusetzen. Er hätte mit den ersten schwachen Opfern des Hungers umkommen müssen, wenn ihn nicht auf seinen einsamen Wanderungen einige von den Mitgliedern der Gemeinde getroffen hätten, die in früheren Zeiten seine Frömmigkeit und Beredtsamkeit gesammelt hatte.

Von diesen Personen, deren Bitten, sein hoffnungsloses Suchen einzustellen, er stets mit der gleichen festen, geduldigen Weigerung beantwortet, wurde er sorgfältig auf seinen Wegen beobachtet und seine Bedürfnisse aufmerksam befriedigt. Von jeder Portion von Nahrungsmitteln, die sie zusammenzubringen vermochten, wurde ohne Ausnahme stets ein Antheil nach seiner Wohnung gebracht. Sie erinnerten sich ihres Lehrers in der Stunde seiner Niedergeschlagenheit, wie sie ihn früher in den Tagen seiner Kraft verehrt hatten; sie bemühten sich eben so eifrig, sein Leben zu erhalten, wie sie sich bestrebt hatten, von seinen Belehrungen Vortheil zu ziehen. Einst hatten sie ihm als Schüler gehorcht, jetzt waren sie ihm als Kinder dienstbar.

Aber diese, wie alle anderen Werke der Menschenliebe, brachte die Hungersnoth langsam aber sicher zum Aufhören. Die von der Gemeinde aufgespeicherten Nahrungsvorräthe wurden Unheil verkündend mit jedem Tage geringer. Als die Pest ihre düsteren Spuren zu zeigen begann, wurde die Anzahl Derjenigen welche ihren bekümmerten Lehrer in seiner Wohnung aufsuchten, oder ihn durch die verödeten Straßen folgten, immer geringer.

Jetzt nahmen, wie die Nahrung, welche ihn so erhalten, und die Wachsamkeit, welche ihn so beobachtet hatte, geringer wurde, auch die schwer geprüften Kräfte des unglücklichen Vaters schneller und immer schneller ab. Jeden Morgen waren beim Aufstehen seine Schritte schwächer sein Herz wurde ihm schwerer in der Brust, seine Wanderungen durch die Stadt wurden weniger und immer weniger entschlossen und kürzten sich immer mehr ab. Endlich verließen ihn die Kräfte gänzlich, die letzten noch existierenden Mitglieder seiner Gemeinde fanden ihn, als sie sich seiner Wohnung mit den letzten Ueberbleibseln von Nahrung, welche sie besaßen, näherten, an seinem Gartenthore erschöpft ausgestreckt, liegen. Sie trugen ihn auf sein Bett, legten ihre Liebesgaben neben ihn hin, ließen einen aus ihrer Zahl bei ihm, um ihn vor Räubern und Mördern zu schützen, und verließen verzweiflungsvoll das Haus.

Einige Tage lang blieb der Hüter getreulich auf seinem Posten, bis die Leiden des Hungers seine Wachsamkeit überwältigten, In der Furcht daß er in seiner, äußersten Noth versucht werden könne, das Wenige, was noch von den geringen Mundvorräthen des Greises vorhanden war, zu berauben, floh er aus dem Hause, um, auf den Straßen Nahrungsmittel, wie Ekel erregend sie auch sein mochten, zu suchen und von jetzt an war Numerian schutzlos in seiner einsamen, Wohnung geblieben.

Als wir ihn das erste Mal auf der Bühne dieses Buches erblickten, war er ein Mann von strengen Vorsätzen, von unermüdlicher Energie, ein muthiger Reformator, der allen Hindernissen, welche sich seinem Wege entgegenstellten, Trotz bot, ein triumphierender Lehrer, der Jeden, welcher seine Worte anhörte nach Belieben leitete, ein Vater, der stolz, die künftige Stellung betrachtete, welche er für sein Kind bestimmt hatte. Ganz anders erschien er jetzt. Für seinen Ehrgeiz, verloren, gebrochenen Geistes, hilflosen Körpers, von seiner Tochter durch seine eigne That getrennt, lag er in todtähnlicher Lethargie auf seinem unbewachten Bett. Der kalt durch sein geöffnetes Fenster wehende Wind erregte in seinem erstarrten Körper keine Empfindungen —— der Becher mit Wasser und die geringen Ueberbleibsel von grober Nahrung standen seiner Hand nahe, aber er besaß nicht die Aufmerksamkeit, sie zu unterscheiden. Seine offenen Augen blickten fest nach Oben, und doch lag er da, wie in tiefem Schlaf versunken, oder wie bereits dem Grabe geweiht, außer wenn von Zeit zu Zeit seine Lippen sich langsam in einem sich lang peinlich heraufwiegenden Athemzuge bewegten oder die Fieberhitze seine hohle Wange mit jeden Augenblick wechselnden Farben überzog.

Während er so dem äußern Anscheine nach, zwischen Leben und Tod zu schweben schien, bewahrten seine Geistesfähigkeiten im Innern immer noch eine schwache Lebenskraft. Durch keine äußere Einwirkung angeregt und von dem zügelnden Verstande nicht beherrscht, erschufen sie jetzt eine seltsame, räthselhafte Vision, die ihm handgreiflich wie ein wirkliches Ereigniß vorkam.

Es schien ihm, als liege er nicht in seinem eigenen Gemache, sondern in einer räthselhaften Welt, die mit einer für seine schmerzenden Augen unaussprechlich beruhigenden und milden Zwielichtatmosphäre erfüllt war. Durch dieses sanfte Licht hin konnte er in langen Zwischenräumen schattenhafte Vorstellungen der Scenen verfolgen, welchen er bei dem Suchen nach seinem verlorenen Kinde beigewohnt hatte. Die düstere Gefühle erweckenden Straßen, die den unbegrabenen Leichen überlassenen, einsamen Häuser, welche er durchforscht hatte, erschienen und verschwanden vor ihm in feierlicher Reihenfolge, und von Zeit zu Zeit hörte er, wenn eine Erscheinung verschwand, und ehe die andere vor ihm aufstieg, in weiter Ferne einen Ton wie von sanften Frauenstimmen, die in ernsten, feierlichen Klängen flüsterten, »Die Nachsuchung ist in Buße, in Geduld, in Gebet geschehen und nicht vergeblich gewesen. Die Verlorene wird zurückkehren —— die Geliebte wird Dir wieder gegeben werden.«

So währte die Vision, wie sie begonnen hatte, eine lange Zeit. Bald gingen die Scenen, durch welche er gewandert war, langsam an seinen Augen vorüber, bald murmelten die sanften Stimmen mitleidig in sein Ohr. Endlich verschwanden die Ersteren und die Letzteren verstummten, dann erfolgte ein langer, traumloser Zwischenraum und dann wurde das graue, ruhige Licht langsam an einer Stelle heller und aus dieser sah er die Gestalt seines verlorenen Kindes auf sich zuschreiten.

Sie kam an seine Seite, sie beugte sich liebend über ihn, er sah ihre Augen mit ihrem alten, geduldigen, kindergleichen Ausdrucke kummervoll auf ihn herabblicken. Sein Herz lebte zu einer Empfindung unaussprechlicher Zerknirschung, zu Gefühlen sehnsüchtiger Liebe und schmerzlicher Hoffnung auf, die Rebe war ihm wieder gegeben, er flüsterte bebend:

»Kind! Kind! ich habe in bitterem Weh das Unrecht bereut, welches ich Dir gethan, ich habe Dich in meiner Einsamkeit auf Erden den langen Tag und die dunkle Nacht hindurch gesucht, und jetzt hat Dich der barmherzige Gott gesendet, um mir zu verzeihen! ich habe Dich geliebt, ich habe um Dich geweint.«

Seine Stimme erstarb, denn jetzt belebten sich seine äußeren Gefühle von Neuem. Er fühlte wie warme Thränen auf seine Wange niederträufelten, er fühlte, wie zarte Arme ihn umschlangen, er hörte den liebevoll wiederholten Ruf:

»Vater sprich zu mir, wie Du es gewohnt warst, —— liebe mich, Vater, und vergieb mir, wie Du mich geliebt und mir verziehen hast, als ich ein kleines Kind war!«

Der Klang der wohlbekannten Stimme, die stets liebevoll und ehrerbietig zu ihm gesprochen, die ihn das letzte Mal in Tönen verzweifelnder Bitte angeredet, die er kaum je wieder auf Erden zu vernehmen gehofft hatte, durchdrang sein ganzes Wesen wie erweckende Musik in der Todtenstille der Nacht. Seine Augen verloren ihren starren, geistesleeren Ausdruck, er richtete sich plötzlich auf dem Lager empor, er sah, daß das als Vision Begonnene in Wirklichkeit ausgegangen war, daß sein Traum sich als unmittelbarer Vorläufer seiner Erfüllung erwiesen hatte, daß ihm seine Tochter wirklich wiedergegeben war, und sein Kopf senkte sich und er zitterte und weinte in der überwältigenden Fülle der Dankbarkeit und des Entzückens an ihrer Brust.

Während einiger Augenblicke bemühte sich Antonina, die mit dem entschlossenen Heldenmuthe der Liebe die sich ihr aufdrängenden Empfindungen des Schreckens und der Furcht beschwichtigte, ihren dem Erlöschen nahen Vater zu trösten und ihm beizustehen. Das Entsetzen drückte sie fast zu Boden, als sie bedachte, daß er jetzt wo sie nach Schmerz und Gefahr ihn endlich wieder erlangt hatte, in ihren Armen das Leben aushauchen könne. Aber selbst jetzt noch verließ sie ihre Entschlossenheit nicht gänzlich. Die letzte Hoffnung ihres kurzen, bitteren Lebens war jetzt die, ihren Vater der Welt zurückzugeben und sie hielt sich mit der Ausdauer der Verzweiflung daran fest.

Sie beruhigte ihre Stimme, während sie ihn anredete, sie beschwor ihn sich zu erinnern, daß seine Tochter zurückgekehrt sei, um über ihn zu wachen, um seine gehorsame Schülerin zu sein, wie in früherer Zeit. Vergebliches Mühen! Selbst während die Worte über ihre Lippen gingen, erschlafften seine Arme, womit er sie an sich gedrückt hatte, wurde sein Kopf schwerer auf ihrer Brust. In der Verzweiflung des Augenblickes riß sie sich von ihm los und blickte um sich, die Hälfe zu suchen, welche zu leisten Keiner in ihrer Nähe war. Der Becher mit Wasser, die letzten Ueberbleibsel von Speise lenkten ihren Blick auf sich. Mit schnellen Instinkte ergriff sie dieselben. In diesen geringfügigen Resten lag Hoffnung, Erfolg, Rettung. Sie drückte ihm die Nahrung in den Mund, sie benetzte mit dem Wässer seine vertrockneten Lippen, seine fieberheiße Stirn. Während eines Augenblickes entsetzlicher Ungewißheit sah sie ihn noch bewußtlos, dann stellten sich die Lebensfunktionen wieder ein; seine Augen öffneten sich und hefteten sich gierig auf die elende Nahrung vor ihm. Er verschlang sie heißhungrig, er leerte den Wasserbecher bis auf den letzten Tropfen, er sank, wieder auf das Lager zurück. Aber jetzt bewegte sich das erstarrte Blut von Neuem in seinen Adern. Sein Herz schlug weniger und weniger schwach, —— er war gerettet. Sie sah es, als sie sich über ihn beugte —— gerettet von dem verlorenen Kinde in der Stunde der Heimkehr! Es war eine Empfindung von entzücktem Triumph und Dankbarkeit, die keine schmerzlichen Erinnerungen in ihrem glänzenden, plötzlichen Entstehen zu verbittern vermochten! Sie kniete, fast ihren eigenen Gefühlen erliegend, neben dem Bette nieder. Auf dem Grabe des jungen Kriegers hatte sie ihr Herz in Qual und Kummer zum Hinnnel erhoben und jetzt schüttete sie an der Seite ihres Vaters ihre ganze Seele in bebenden Stoßgebeten der Dankbarkeit und Hoffnung vor dem Schöpfer aus!

So blieben Vater und Tochter lange. —— Jener langsam wieder zum Besitz des Lebens und der Kräfte gelangend, die noch in seinem geschwächten Körper vorhanden waren, diese noch von ihrem allumfassenden Dankbarkeitsgefühle erfüllt. Und nun ließ auch, wie der Morgen dem Mittag zueilte, der Sturm allmälig nach, langsam und feierlich rollten die mächtigen Gewitterwolken auseinander und der heitere blaue Himmel zeigte sich durch ihre phantastischen Risse. Die kleiner werdenden Regentropfen fielen leicht und silbern auf die Erde nieder, und Wind und Sonnenschein zogen stoßweise über die pestvergiftete Atmosphäre von Rom. Noch schimmerten die Sonnenstrahlen, von den fliegenden Wolkenschatten gemildert, weich in die Fenster von Numerian’s Gemach. Sie spielten wärmend und neubelebend wie Auferstehungs- und Hoffnungsboten des Himmels, dem sie angehörten auf seinen abgezehrten Zügen. Das Leben schien sich unter ihrem erfrischendem milden Einflusse von Neuem anzuregen. Nochmals richtete er sich auf und wendete sich seinem Kinde zu und jetzt klopfte sein Herz in gesunder Freude und seine Arme umschlossen es, nicht in der Hilflosigkeit der Schwäche, sondern in der Bewillkommnung der Liebe.

Seine Worte fielen, als er sie anredete, anfänglich fast unartikuliert von seinen Lippen —— sie vermengten sich in verworrene Ausdrücke der Zärtlichkeit, der Reue, des Dankes gegen Gott. Der ganze Enthusiasmus seines Charakters, die ganze schlummernde Liebe für sein Kind, welche jahrelang durch seine religiöse Strenge unterdrückt, oder durch seinen Ehrgeiz von ihrem Gegenstande abgelenkt gewesen war, gelangte endlich zum Ausbruch.

Antonina lag zitternd und stumm in seinen Armen und versuchte umsonst seine Liebkosungen und seine bewillkommnenden Worte zu erwidern. Erst jetzt erkannte sie, wie tief die Liebe ihres Vaters zu ihr war; sie fühlte wie fremd seiner wahren Natur die Strenge gewesen sei, welche er in ihrem früheren Verkehr angenommen hatte und das schnelle Einströmen neuer Gefühle und alter Erinnerungen, welche das entzückende Erstaunen der Entdeckung zur Folge hatte, sah sie sich der Sprache beraubt. Sie vermochte nur begierig und athemlos seinen Worten zu tauschen. So stammelnd und verworren dieselben auch klangen, waren es doch Worte der Liebkosung, wie sie noch nie von ihm gehört, es waren Worte, wie sie seine Mutter je an ihrem Kinderbette gesprochen hatte und sie sanken göttlich tröstend, wie Boten der Verzeihung von Engellippen in ihr Herz.

Allmälig wurde Numerian's Stimme ruhiger. Er erhob seine Tochter in seinen Armen und heftete seine aufmerksamen, mitleidigen Augen liebevoll auf ihr Gesicht.

»Zurückgekehrt! zurückgekehrt!« murmelte er, »Um nie wieder zu scheiden! Zurückgekehrt, schön und geduldig, gütiger und liebevoller als je. Liebe mich und verzeihe mir, Antonina! Ich habe Dich in bitterer Einsamkeit und Verzweiflung gesucht. Betrachte mich nicht wie ich war, sondern wie ich bin. Es gab Tage, wo Du ein Kind warst, wo ich keinen Gedanken hatte, als wie ich Dich lieben und erfreuen könne, und jetzt sind diese Tage wieder gekommen! Wir werden Freunde und frohe Genossen finden, wir werden das Glück überall hintragen, wo man uns sieht. Du sollst keine strengen Aufgabenbücher mehr lesen, Du sollst Dich nie wieder von mir trennen, Du sollst süße Musik auf der Laute spielen, Du sollst Dich mit Blumen, die ich Dir pflücken werde, bekränzen, Gottes Segen geht von Kindern, wie Du, aus —— er ist mir zu Theil geworden —— er hat mich von den Todten erweckt. Meine Antonina soll mich lehren wie man ihn verehrt, wie ich es ihr einst gelehrt habe. Sie soll des Morgens und Abends für mich beten und wenn sie nicht daran denkt, wenn sie schläft, so werde ich leise an ihr Bett kommen und über ihr wachen, damit sie, wenn sie die Augen aufschlägt mich erblickt. Es sind die Augen meines mir wiedergegebenen Kindes. Es gibt auf Erden nichts, was mir Frieden und Glück verkünden könnte, wie sie!«

Er hielt einen Augenblick inne und blickte auf ihr ihm zugewendetes Gesicht. Seine Züge trübten sich dabei ein wenig und er nahm ihr noch vom Regen feuchtes und verwirrtes langes Haar in seine Hände und drückte es an seine Lippen, an sein Gesicht, an seine Brust. Dann, als er sah, daß sie zu sprechen versuchte, als er die Thränen erblickte, welche jetzt ihre Augen erfüllten, zog er sie dichter an sich und fuhr hastig in leiseren Tönen fort.

»Still, still! kein Schmerz, keine Thräne mehr; sage mir nicht, wohin Du gewandert bist —— sprich nicht von dem, was Du gelitten hast, denn würde nicht jedes Wort für mich ein Vorwurf sein? und Du bist gekommen, um mir zu verzeihen und nicht um mit Vorwürfe zu machen! Zwinge mir nicht von Deinen Lippen die Erinnerung daran auf, daß ich es war, der Dich verstieß, laß uns nur daran denken, daß wir einander wieder gegeben sind, laß uns daran denken, daß Gott meine Reue angenommen und mir meine Sünde verziehen hat, indem er meinem Kinde zurückzukehren gestatten. Oder wenn wir von den vergangenen Tagen der Trennung sprechen müssen so erzähle mir von den Tagen, die Dich ruhig und sicher gefunden haben, erfreue mich Durch die Erzählung, daß nicht bloß Gefahr und Schmerz in dem bitteren Schicksale vorhanden war, welches mein sündiger Zorn meinem eignen Kinde bereitet hatte! Sage mir, daß Du in der Stunde Deiner Flucht sowohl Beschützer wie Feinde gefunden hast —— daß nicht Alle hart gegen Dich gewesen sind, wie ich —— daß diejenigen, welche Dir um Obdach und Schutz gebeten, Dein Gesicht, als eine Bitte um Wohlthätigkeit und Güte, von Freunden, die sie lichten, betrachtet haben! Erzähle mir nur von Deinen Beschützern, Antonina, denn darin wird Trost liegen und Du bist gekommen, um mich zu trösten.«

Während er auf ihre Antwort wartete, fühlte er, wie sie an seiner Brust erbebte, sah er, wie ein Schauder über ihre Gestalt hinzuckte. Die Verzweiflung in ihrer Stimme drang kalt in sein Herz, wiewohl sie nur die einfachen Worte entgegnete:

»Es gab Einen!« —— und dann weiter zu sprechen unfähig verstummte.

»Ist er nicht in der Nähe?« fuhr er hastig fort. »Warum ist er nicht da? Wir wollen ihn ohne Zögern suchen. Ich muß mich in meiner Dankbarkeit vor ihm demüthigen. Ich muß ihm zeigen, daß ich es werth war, daß mir meine Antonina zurückgegeben wurde.«

»Er ist todt!« schluchzte sie, in die sie umfassend die Arme niedersinkend, als die Erinnerung an die letzte Nacht sich wieder in allen ihren Schrecken ihrem Gedächtniß aufdrängte. »Man hat ihn an meiner Seite ermordet. O Vater, Vater! er hat mich geliebt! er würde Dich beschützt und geehrt haben.«

»Möge ihn der allbarmherzige Gott unter die seligen Engel aufnehmen und ihn unter den heiligen Märtyrern ehren!« rief der Vater, indem er seine thränenvollen Augen flehend emporrichtete. »Möge sein Geist, wenn er noch die Dinge auf Erden wahrnehmen kann, wissen, daß sein Name neben dem meines Kindes in meinem Herzen eingeschrieben sein wird, daß ich an ihn wie an einen geliebten Gefährten denken und um ihn trauern werde, wie um einen mir entrissenen Sohn!.«

Er schwieg und blickte auf Antonina nieder, die noch ihre Züge vor ihm verbarg. Beide fühlten, daß das, was sie gesprochen, ein neues Band gegenseitiger Liebe uns sie gewunden hatte, aber Beide schwiegen.

Während dieser Pause schweiften die Gedanken Numerian’s von den Gegenständen ab, welche ihn bisher in Anspruch genommen hatten. Die wenigen, krummervollen Worte, welche seine Tochter gesprochen hatte, waren hinreichend gewesen, um die Fülle der Freude aus seinem Herzen zu verbannen, und ihn von der beglückten Betrachtung der Gegenwart den düsteren Erinnerungen an die Vergangenheit zuzulenken. Mit seiner Dankbarkeit und Hoffnung vermischten sich jetzt unbestimmte Zweifel und Befürchtungen und unwillkürlich kehrten seine. Gedanken zu dem zurück, was er gern auf ewig vergessen haben würde —— zu dem Morgen, wo er Antoninen aus dem Hause vertrieben hatte.

Grundlose Besorgnisse der Rückkehr des verrätherischen Heiden und des Wüstlings, welchem er sich verkauft hatte, sobald sie hören würden, daß ihr Opfer zurückgekehrt sei, die verzweifelnde Ueberzeugung von seiner Hilflosigkeit und Gebrechlichkeit stiegen erschreckend in seinem Geiste auf. Seine Augen schweiften unstät im Zimmer umher, seine Hände schlossen sich zitternd um die Gestalt seiner Tochter, dann ließ er sie plötzlich los, sprang wie von einem panischen Schrecken geschlagen auf und rief:

»Die Thüren müssen geschlossen werden —— Ulpius kann in der Nähe sein —— der Senator kann zurückkehren. —— Er versuchte das Zimmer zu verlassen, aber seine Kräfte reichten zu dieser Anstrengung nicht aus, er lehnte sich, um sich zu stützen an die Wand, wiederholte athemlos: »Schließe die Thüren! —— Ulpius! Ulpius!« und winkte Antoninen hinabzusteigen.

Sie gehorchte ihm zitternd. In der Erinnerung an ihren Weg durch die Mauer und die furchtbare Reise durch die Straßen von Rom, theilte sie die Besorgnisse ihres Vaters und stieg daher eiligst hinab.

Die Thür war halb offen, wie sie dieselbe beim Eintreten in das Haus gelassen. Ehe sie dieselbe hastig schloß und verriegelte, warf sie noch einen Blick auf die Straße. Die abgezehrten Gestalten der Sklaven bewegten sich noch mit den fest1ichen Vorbereitungen für Vetranio’s Palast beschäftigt hin und her und hier und da lagen einige gespensterhafte Wesen auf dem Boden und betrachteten sie mit schwächlichem Erstaunen. In allen andern Theilen der Straße besaß noch die Todesstille des Hungers ihre Herrschaft.

Antonina eilte wieder zu ihrem Vater, um ihm zu versichern, daß sie seinen Geboten gehorcht habe und daß sie jetzt vor allem Eindringen von außen sicher seien. Während ihrer kurzen Abwesenheit war aber vor dem Geiste des alten Mannes eine neuere und ominösere Aussicht auf Unglück getreten. Als sie in das Zimmer trat sah sie daß er auf sein Bett zurückgekehrt war und die kleine hölzerne Schale, welche seinen letzten Vorrath an Nahrung enthalten hatte, jetzt aber leer war, vor sich hielt. Er richtete, als er sie eintreten hörte, kein Wort an sie, seine Züge waren starr von Schrecken und Verzweiflung, und während er auf die leere Schale hinabblickte, murmelte er vor sich hin:

»Es war die letzte Nahrung, die sich noch hier befand und ich war es, der sie verbraucht bat! Die Thiere des Waldes tragen ihren Jungen Nahrung zu, und ich habe nur einem Kinde den letzten Bissen geraubt!«

Augenblicklich drängte sich die über der ersten Freude des Wiedersehens vergessene Trostlosigkeit ihrer Lage wieder mit entsetzender Lebhaftigkeit vor Antoninens Geist. Sie versuchte ihrem Vater Trost und Hoffnung zuzusprechen, aber die furchtbare Wirklichkeit der Hungersnoth in der Stadt trat jetzt handgreiflich vor sie hin und hielt die eiteln Worte des Trostes auf ihren Lippen zurück. Mitten in dem noch volkreichen Rom, angesichts der sie umgebenden Felder, wo die gütige Sonne stündlich die Vegetation der fruchtbaren Erde ihrer Reife mehr und mehr zuführte, wo Aecker und Magazine ihre reichlichen Vorrathe erkennen ließen, blickten Vater und Tochter jetzt einander an, eben so unfähig ihre erschöpften Mundvorräthe zu ersehen, als ob sie schiffbrüchig auf einem Floß in einem unbekannten Meere umhergeworfen würden, oder auf eine wüste Insel verbannt wären, deren Produkte von verpesteten Winden verwelkt waren und um deren dürre Küsten zerstörende Gewässer von der Art flossen, wie sie über den »Städten der Ebene« hingerollt sind.

Die Stille, welche lange im Zimmer geherrscht hatte, die bitteren Reflexionen, welche noch immer den verzweifelnden Vater und die geduldige Tochter sprachlos erhielten, wurden endlich durch eine hohle, traurige Stimme von der Straße unterbrochen»welche folgende Worte ausrief:

»Ich, Publius Dalmatius, Bote des römischen Senats verkünde, daß der Präfekt um die Straßen, von den Todten zu reinigen, dreitausend Sesterzien für jede zehn Leichen geben wird, welche über die Mauern geworfen werden. Dies ist die Verfügung des Senats.«

Die Stimme schwieg, aber es antwortete ihr kein Laut des Beifalls, kein Summen der Aufregung des Volkes. Nach einiger Zeit vernahm man sie nochmals aber schwächer, da der Bote weiter gegangen war und das Dekret in einer andern Straße ausrief und dann sank das Schweigen wieder entsetzlicher und allgemeiner als vorher über Alles herab.

Jedes Wort der Ankündigung hatte, sowohl als sie aus der Ferne wiederholt, wie als sie vor seinem Fenster gesprochen wurden, Numerian’s Ohren erreicht. Sein bereits in Verzweiflung versinkender Geist wurde mit einem eben so unwiderstehlichen Zauber auf das, was er von der Wehe verkündenden Stimme des Herolds gehört hatte, geheftet, wie der, welcher das Auge des bereits schwindelnden Reisenden auf dem Gipfel einer Klippe dem Schauspiele der klaffenden Schluchten unter ihm zulenkt. Als die Töne der Proklamation endlich ganz und gar verklungen waren, ließ der unglückliche Vater die leere Schale, welche er bis jetzt mechanisch vor sich gehalten hatte, fallen, blickte schreckerfüllt auf seine Tochter und stöhnte vor sich hin:

»Die Leichen sollen über die Mauern geworfen, die Todten den Winden des Himmels anheimgegeben werden! —— In der Stadt ist für uns keine Hilfe mehr! O Gott! Gott! —— sie kann sterben! —— ihre Leiche kann hinausgeworfen werden wie die Uebrigen und ich den Anblick davon erleben!«

Er erhob sich plötzlich von dem Ruhebette; seine Vernunft schien auf einen Augenblick erschüttert zu sein, als er auf das Fenster zuschwankte und rief:

»Speise!, Speise! —— Ich will mein Haus und Alles was es enthält, für einen Bissen Speise dahingeben. Ich habe nichts, um mein Kind zu ernähren, —— es wird, morgen noch vor mir verhungert sein, wenn ich keine Speise erhalte. Ich bin ein Bürger von Rom —— ich fordere von dem Senate Hilfe. ——»Speise! Speise!«

So fuhr er fort in immer leiser werdenden Tönen aus dem Fenster zurufen, aber keine Stimme antwortete ihm theilnehmend oder verhöhnend. Von dem ganzen Volke, das sich jetzt in zunehmender Zahl auf der Straße vor Vetranio’s Palast, versammelt hatte, wendete sich kein Einziger, um ihn auch nur anzublicken. Seit, vielen Tagen schon hatte man fruchtlose Forderungen, wie die seine, unbekümmert zu jeder Stunde und in jeder Straße von Rom, bald in deliriösem Geschrei die Luft durchschallend, bald in dem legten, stammelnden Murmeln der Erschöpfung und Verzweiflung gehört.

So hätte Numerian lange um Hilfe und Mitleid bei einem Volke flehen können, welches aufgehört hatte, die eine zu gewähren und das andere zu fühlen, jetzt aber näherte sich ihm seine Tochter, zog ihn sanft seinem Bett zu und sagte in milden, aber feierlichen Tönen:

»Erinnere Dich, Vater, daß Gott die Raben ausgesendet hat, um Elias mit Speise zu versehen, und das Oelkrüglein der Wittwe von ihm gefüllt worden ist. Er wird uns nicht verlassen, denn er hat uns einander wiedergegeben und mich nicht hierher gesendet, um in der Huugersnoth umzukommen, sondern um über Dich zu wachen!«

»Gott hat die Stadt und Alle, die sie enthält, verlassen,« antwortete er verzweiflungsvoll; »der Engel der Vernichtung hat unsere Straßen betreten und der Tod folgt ihm wie sein Schatten! An diesem Tage, wo sich uns Beiden Hoffnung und Glück aufzuthun schien, ist unsere kleine Haushaltung dem Verderben geweiht worden. Junge wie Alte, Müde und Wachsame liegen auf den Straßen umher, —— der Hunger hat sie alle bezwungen —— der Hunger wird uns bezwingen —— es gibt keine Hilfe, keine Rettung mehr! Ich, der ich geduldig für die Wohlfahrt meiner Tochter gestorben sein würde, muß jetzt in Verzweiflung sterben und sie freundlos in der weiten öden, gefahrvollen Welt in der traurigen Stadt der Pein, des Schreckens, des Todes zurücklassen —— die der Feind von außen bedroht und die im Innern von Hunger und Pest verwüstet wird! O Antonina! Du bist nur auf kurze Zeit zu mir zurückgekehrt, der Tag unserer zweiten Trennung naht heran.«

Auf einige Augenblicke senkte sich sein Haupt und Schluchzen erstickte seine Stimme, dann erhob er sich mühsam von Neuem. Achtlos gegen Antoninens Bitten versuchte er wieder das Zimmer zu durchschreiten, aber nur um nochmals seine schwachen Kräfte unzulänglich zu finden, um ihn aufrecht zu erhalten. Als er keuchend auf einen Stuhl zurücksank, nahmen seine Augen einen wilden, Unnatürlichen Ausdruck an —— Verzweiflung des Geistes und Körperschwäche hatten sich vereint, um seine Kräfte aus den Fugen zu treiben. Als sich ihm seine Tochter erschrocken näherte, um ihn zu beschwichtigen und ihm Beistand zu leisten, winkte er ihr unmuthig zurück und begann mit dumpfer, heiserer, eintöniger Stimme zu sprechen, indem er die Hand fest auf seine Stirne preßte und seine Augen unablässig von einem Gegenstande, von einem Theile des Zimmers zum andern schweifen ließ.

»Höre Kind, höre!« begann er hastig. »Ich sage Dir, daß im Hause und in ganz Rom keine Nahrungsmittel vorhanden sind! Wir sind belagert —— der Feind hat uns die Getreidemagazine in den Vorstädten und die Kornfelder auf den Ebenen genommen —— in der Stadt herrscht eine große Hungersnoth —— diejenigen, welche noch essen, genießen seltsame Speisen, bei deren Nennung es dem Menschen übel wird. Ich würde selbst solche zu erlangen suchen, aber ich habe nicht Kraft genug, um hinaus aus die Straßen zu gehen, und sie andern mit der Spitze der Schwertes abzuringen! Ich bin alt und schwach und mein Herz ist gebrochen ich werde zuerst sterben und meine gute, liebe Tochter, die ich so lange gesucht und die ich als mein einziges Kind geliebt habe, vaterlos zurücklassen!«

Er schwieg einen Augenblick, nicht um auf die Worte der Ermuthigung und Hoffnung zu hören, welche Antonina mechanisch an ihn richtete, sondern um seine zerstreuten Gedanken zu ordnen, um seine ihn verlassenden Kräfte zu sammeln. Seine Worte wurden schneller und seine Züge ließen eine plötzlich erwachte Energie und Eindringlichkeit des Ausdruckes wahrnehmen, als ob ihm ein neuer Plan vor den Geist getreten sei und nach einer Pause fuhr er folgendermaßen fort:

»Wenn aber auch mein Kind verwaist, wenn ich auch in der Stunde sterben werde, wo ich mich am meisten sehnte für sie zu leben, so darf ich sie doch nicht hilflos zurücklassen, ich werde sie unter meine Gemeinde senden, die mich verlassen hat, die aber, wenn sie hört, daß ich todt bin, Reue fühlen und Antoninen — um meinetwillen aufnehmen wird. Höre mich an —— höre, höre! Du mußt ihnen sagen, daß sie sich an Alles erinnern, was ich ihnen einst von meinem Bruder enthüllt habe, von dem ich in meinen Knabenjahren geschieden bin, von meinem Bruder, den ich seitdem nie wieder gesehen habe. Er kann noch am Leben sein —— vielleicht ist er zu finden, —— man muß nach ihm suchen, denn er würde für die Vaterlose ein Vater und für die Unbehütete ein Schützer sein. Vielleicht ist er jetzt in Rom —— vielleicht ist er reich und mächtig vielleicht hat er Nahrung, die er entbehren kann und ein Haus, welches gegen alle Feinde und Fremde gut ist. Achte auf meine Worte, Kind! In den letzten Tagen habe ich viel an ihn gedacht, ich habe ihn im Träumen gesehen, wie ich ihn zum letzten Male in meines Vaters Hause sah. Er war glücklicher und wurde mehr geliebt als ich, und ich verließ meine Eltern in Neid und Haß und trennte mich von ihm. Du hast davon nichts gehört, aber Du mußt es jetzt hören, damit Du, wenn ich todt sein werde, weißt, daß Du einen Beschützer hast, den Du aufsuchen kannst. Ich nahm meines Bruders Lebewohl im Zorne auf und floh mein Vaterhaus —— jene Tage waren mir einst wohl erinnerlich, aber jetzt wird mein Gedächtniß für Alles stumpf —— lange Jahre des Drängens und Treibens gingen vorüber und ich habe ihn nie gesehen und Menschen von vielen Nationen sind meine Genossen gewesen, aber er war nicht unter ihnen. Dann wurde mir viel Kummer zu Theil und ich bereute und lernte Gott fürchten, und ging nach dem Hause meines Vaters zurück. Seitdem sind Jahre vergangen, wie viele weiß ich nicht. Ich hätte sie zählen können, als ich mit ihm, —— mit meinem früheren Freunde bei der St. Peterskirche sprach, wie wir, ehe die Stadt belagert wurde, auf den Sonnenuntergang hinausblickten und von den früheren Tagen unserer Genossenschaft redeten. Jetzt aber verläßt mich das Gedächtniß, der Hunger und Tod, von dem wir mit Trennung bedroht werden. verdunkelt meine Gedanken, aber höre mich, höre mich geduldig, —— um Deinetwillen muß ich fortfahren.

»Mein Vaterhaus war verschwunden, als ich ankam, um es wieder zu sehen, andere Häuser standen an dem Orte, wo meines Vaters Haus gewesen war, Niemand konnte mir etwas von meinen Eltern und meinem Bruder sagen; dann kehrte ich. zurück und meine früheren Genossen wurden meinen Augen verhaßt. Ich verließ sie und sie verfolgten mich mit Haß und Spott. —— Höre, höre! ich ging heimlich und bei Nacht mit Dir fort, um ihnen zu entrinnen und meine Besserung vollkommen zu machen, wo sie nicht in der Nähe sein würden, um mich daran zu hindern, und wir reisten viele Tage lang weiter, bis wir nach Rom kamen und ich nahm dort meine Wohnung; aber ich fürchtete, daß meine Genossen, die ich verabscheute, mich wieder entdecken und verfolgen könnten und in der neuen Stadt meines Wohnens nannte ich mich mit einem andern Namen, als demjenigen, welchen ich trug, und so wußte ich, daß jede Spur von mir verloren gehen und ich vor Menschen, an die ich jetzt nur wie an Feinde dachte, sicher sein würde. Gehe hin! geh schnell! —— bringe Deine Schreibtafel und schreibe die Namen, welche ich Dir nennen werde, nieder, denn dadurch wirst Du Deinen Beschützer entdecken, wenn ich gestorben bin! Sage ihm nicht, Du seist das Kind Numerian’s, er kennt den Namen nicht. Sage, Du seist die Tochter Cleander’s, seines Bruders, der in der Sehnsucht starb, ihm wieder gegeben zu werden. Schreibe schreibe sorgfältig, Cleander —— das war der Name, den mir mein Vater gab, —— das war der Name, den ich trug, bis ich meinen bösen Genossen entfloh und ihn aus Furcht vor ihrer Verfolgung veränderte! Cleander! schreib und erinnere Dich: Cleander! Ich habe in Träumen gesehen, daß mein Bruder entdeckt werden wird. Ich werde ihn nicht entdecken, aber Du wirst ihn finden! Deine Schreibtafel! Deine Schreibtafel, schreibe seinen Namen und, den meinen, —— er heißt: ——«

Er hielt plötzlich inne. Seine, zwischen Erstarrung und Belebung schwankenden, von den Prüfungen, welche sie überstanden hatten, erschütterten aber nicht überwältigten Geisteskräfte, sammelten sich plötzlich, nahmen wieder etwas von ihrem gewohnten Gleichgewichte an und erwachten zu einem Gefühle ihrer eignen Abschweifung. Seine unbestimmten Enthüllungen aus seinem früheren Leben —— die der Leser als seine im ersten Bande erzählten Mittheilungen, gegen den flüchtigen Landmann, über denselben Gegenstand, ähnlich erkennen wird, traten jetzt in aller ihrer Zusammenhanglosigkeit und Nutzlosigkeit vor ihm. Sein Gesicht nahm einen niedergeschlagenen Ausdruck an, er seufzte bitterlich vor sich hin:

»Die Vernunft beginnt mich zu verlassen! -— meine Urtheilskraft, die mein Kind führen —— meine Standhaftigkeit, die es aufrecht erhalten sollte, verläßt mich! —— wie soll sie meinen Bruder finden, der mir seit meinen Knabenjahren verloren ist! Gegen die Hungersnoth, wovon wir bedroht werden, kann ich Dir nur eitle Worte bieten! schon sinken ihre Kräfte, ihr Gesicht auf das ich zu blicken liebte, erbleicht vor meinen Augen! Gott sei uns gnädig! —— Gott sei uns gnädig!«

Er kehrte schwach auf sein Lager zurück, der Kopf sank ihm auf die Brust; von Zeit zu Zeit ging ein leises Stöhnen über seine Lippen, aber er sprach nichts weiter:

So tief auch die Erschöpfung war, in welcher er sich jetzt befand, war es doch für Antoninen weniger peinlich sie zu erblicken, als die zusammenhangslosen Enthüllungen zu hören, welche vor kaum einem Augenblicke seinen Lippen entfallen waren, und die, wie sie in ihrem Erstaunen und Schrecken gefürchtet hatte, die entsetzlichen Zeichen des Umsturzes der Vernunft ihres Vaters sein konnten. Als sie sich wieder neben ihm niederließ, fühlte sie mit Beben, daß ihre eigene Ermüdung nahe daran war, sie zu überwältigen, aber sie fuhr fort mit ihrer wachsenden Verzweiflung zu ringen, bemühte sich fortwährend, nur aus Fähigkeit zum Leiden und Aussichten der Erlösung zu sinnen.

Die Minuten zogen jetzt traurig durch das trübe Schweigen hin, die schwachen Lüftchen erhoben sich und verschwanden in langen Zwischenräumen, wie man es an den durch das offene Fenster herein dringenden Lufthauche erkennen konnte. Die Sonnenstrahlen erglänzten und trübten sich abwechselnd, wie die Wolken in lustiger Reihenfolge über das Antlitz des Himmels zogen. Die Zeit schritt streng in ihrem bestimmten Gange vorwärts und die Natur bewegte sich ruhig; durch die ihr zugewiesenen Grenzen der Veränderung; aber immer noch beschäftigten ihren Geist keine Hoffnungen, keine rettenden Pläne, nichts als dunkle Erinnerungen und schmerzliche Erwartungen.

Schon senkte sich ihr müdes Haupt dem Boden zu, —— schon schienen Bewußtsein und Stärke und der Schmerz selbst, in einem traumlosem todtähnlichen Schlafe unterzugehen, als sich plötzlich ein letzter Gedanke, dessen Verbindung und Grund sie nicht zu ersehen vermochte, in ihr erhob, und sie belebte, erweckte, begeisterte. Sie sprang auf.

»Der Garten, Vater, der Garten»rief sie athemlos, —— erinnere Dich an die Nahrung, die unten in unserm Garten wächst! Tröste Dich, wir haben noch Mundvorräthe! Gott hat uns nicht verlassen!«

Er erhob bei ihren Worten den Kopf; seine Züge nahmen einen noch traurigeren und hoffnungsloseren Ausdruck an; er blickte mit ominösem Schweigen auf sie und legte seine zitternden Finger auf ihren Arm, um sie zurückzuhaltem als sie hastig das Zimmer zu verlassen versuchte.

»Verbiete mir nicht, mich zu entfernen!« bat sie ängstlich, »mir ist jeder Winkel des Gartens bekannt, denn in glücklicheren Tagen war er mein Besitzthum —— unsere letzten Hoffnungen beruhen auf dem Garten und ich muß ihn ohne Säumen durchsuchen.«

»Habe Geduld mit mir,« fügte sie mit leisem wehmüthigen Tönen hinzu; »habe Geduld mit mir, theurer Vater, bei dem, was ich jetzt thun möchte. Ich habe, seit wir von einander geschieden sind, einen bitteren Schmerz erlitten, welcher sich dunkel und schwer an alle meine Gedanken hängt. Für mich gibt es keinen Trost mehr, als das Vorrecht für Dein Wohlergehen zu sorgen. —— Meine einzige Hoffnung auf Glück liegt in der Beschäftigung, um Dich zu unterstützen.«

Die Hand des Greises legte sich, während sie ihn anredete, schwerer auf ihren Arm, als sie aber schwieg, sank sie von demselben nieder und er neigte mit sprachloser Fügung in ihren Willen das Haupt. Einen Augenblick verweilte sie noch und sah ihn eben so stumm an, wie er selbst war, im nächsten verließ sie mit hastigem ungewissen Schritten das Zimmer.

Als sie in den Garten gelangte, schlug sie, ohne es selbst zu wissen, den Pfad ein, welcher nach der Bank führte, wo sie einst gern insgeheim auf ihrer Laute gespielt, nach den fernen Bergen hinaus-geblickt hatte, die in der warmen Atmosphäre ruhten, welche die Sommerabende über ihre blaue Kette ergossen. Wie beredt sprach die kleine Stelle, von den stillen Ereignissen, die jetzt aus ewig verschwunden waren, von den Hoffnungen, den glücklichen Beschäftigungen welche sich mit dem Tage, der sie verzeichnet, erheben und gleich diesem Tage vergehen, um nie wieder als dieselben zurückzukehren! —— die das Gedächtniß allein aufzubewahren vermag, wie sie waren, und die das Herz nur in veränderter Form wieder aufnehmen kann, wo sie der Gegenwart des Gefährten, des Verfalles des entschwundenen Augenblickes beraubt sind, der den Zauber der Vergangenheit bildete und die Unvollkommenheit des Gegenwärtigen ausmacht.

Zart und dicht gedrängt waren die Erinnerungen, die die Gegenstände im Garten heraufbeschworen, als die trübe Herrin desselben wieder auf ihr kleines Gebiet blickte. Sie sah die Bank, wo sie sich nie wieder mit den gleichen Gefühlen zum Singen niedersetzen konnte, wie sie einst ihre Musik begeistert hatten —— sie sah die welken Blumen, die sie nie wieder mit demselben kindergleichen Genusse an der Arbeit zu pflegen vermochte, welche dieselbe in früheren Stunden erheitert hatte! So jung sie auch noch war, konnten doch die Empfindungen der vergangenen Jugendtage nie wieder belebt werden, wie sie einst existierten! Sie waren wie Gewässer aufgequollen und Gewässern gleich hinweg geströmt, um nie wieder zu ihrer Quelle zurückzukehren. Gedanken an diese vergangenen Jahre —— an den jungen Krieger, der kalt unter der Erde lag, —— an den entmuthigten Vater, der hoffnungslos im oberen Zimmer trauerte, legten sich dicht an ihr Herz, als sie sich von ihren Blumenbeeten abwendete —— nicht wie in frühem Tagen, um ihr Glück zur Musit ihrer Laute ausströmen zu lassen, sondern um mühsam nach Mitteln zur Erhaltung des Lebens zu suchen.

Als sie sich über die Stellen des Gartens niederbeugte, wo sie wußte, daß Früchte und Gemüse von ihrer eignen Hand gepflanzt worden waren, wurde sie von ihren Thränen fast blind gemacht —— sie strich dieselben hastig aus den Augen und blickte sich begierig um.

Ach! Andere hatten das Feld abgeerntet, von welchem sie Ueberfluß gehofft hatte.

In den ersten Tagen der Hungersnoth war Namerian’s Gemeinde in den Garten gekommen und hatte für ihn gesammelt, was derselbe enthielt. Seine köstlichsten Produkte waren eben so gut erschöpft, wie seine gewöhnlichsten. Auf der kahlen Erde lagen welke Blätter, und nackte Zweige schwankten über ihnen in der Luft. Sie wanderte von Pfad zu Pfad und suchte unter den Dornen und Disteln umher, welche bereits dem verlassenen Garten das Aussehen einer Ruine gaben; sie erforschte seine verborgensten Winkel mit der peinlichen Ausdauer der Verzweiflung, aber überall, wohin sie sich wenden mochte, breitete sich die gleiche Unfruchtbarkeit um sie aus. Auf der einst fruchtbaren Fläche, welche sie mit so freudigem Glauben an ihre Hilfsquellen betreten hatte, waren nur noch einige halb verdorbene Wurzeln zu finden, die vergessen unter verschlungenem Unkraut und verwelkten Blumen lagen.

Sie sah, als sie die Wurzeln einsammelte, daß sie kaum für eine spärliche Mahlzeit hinreichend waren und kehrte langsam nach dem Hause zurück. Kein Wort entfloh ihr, keine Thräne floß über ihre Wangen, als sie die Stufen wieder hinaufstieg —— Hoffnung, Furcht, Denkkraft, ja das Bewußtsein selbst, waren in ihr von dem ersten Augenblicke an betäubt, wo sie entdeckt hatte, daß im Garten, wie im Hause, die letzten Aussichten auf Hilfe von der unerbittlichen Hungersnoth geraubt worden waren.

Sie trat in das Zimmer und ging mit den verdorbenen Wurzeln in den Händen mechanisch auf ihren Vater zu. Während ihrer Abwesenheit waren seine Geistes und Körperkräfte der Ermattung gewichen, —— er lag in einem tiefen, schweren Schlafe. Ihr Geist fühlte eine schwache Erleichterung, als sie sah, daß die schlimme Notwendigkeit, das Fehlschlagen der Hoffnungen, die sie selbst erweckt hatte, zu gestehen, ihr noch auf einige Zeit erspart blieb. Sie kniete neben Numerian nieder und glättete sanft das Haar auf seiner Stirn, —— dann zog sie die Gardine über das Fenster, denn sie fürchtete selbst, daß das hereinwehende Lüftchen ihn aufwecken könne. Eine seltsame, geheimnißvolle Freude über die Idee, ihren Vater jeden Augenblick der Zeit und jedes Theilchen der Kraft zu weihen, die ihr noch geblieben sein mochte, eine bereitwillige Ergebung in den Tod, in das Sterben für ihn, breitete sich über ihr Herz aus und trat an die Stelle aller andern Wünsche und Gedanken.

Sie bewegte sich jetzt mit einer vorsichtigen Stille, welche nichts unterbrechen konnte, durch das Zimmer, sie bereitete ihre Wurzeln mit einer geduldigen Aufmerksamkeit, die nichts abzulenken vermochte, zur Speise. Durch das tiefe Elend ihrer Lage, ihrem frischem Schmerze und ihrer gegenwärtigen Besorgniß entrissen, konnte sie noch instinktmäßig die einfachen Geschäfte der Gattin und Tochter verrichten, wie sie es unter einem friedlichen Volke und in einer behaglichen Familie gethan haben würde. So überleben sich die erstgeborenen Neigungen des Herzens, die Erschöpfung aller der stürmischen Gefühle, aller aufstrebenden Gedanken späterer Jahre, die den Geist zu beschäftigen, aber nie gänzlich auszufüllen im Stande sind.

So spricht ihre freundliche, vertraute Stimme, wenn der Lärm der streitenden Leidenschaften verklungen ist, wieder ruhig und stützend, wie in alter Zeit, wo der Geist sich in den Grenzen seiner angeborenen Einfachheit sicher bewegte und das Herz noch in der reinen Stille seiner ersten Ruhe lag.

Das letzte, kärgliche Maß von Nahrung war bald bereitet, es war, als sie es kostete, bitter und unschmackhaft, —— das Leben konnte selbst bei den Kräftigsten, kaum durch so geringe Nahrung bewahrt werden, aber sie setzte dieselbe so sorgfältig bei Seite, als ob es die feinste Leckerei des reichlichsten Mahles gewesen wäre.

Während ihrer einsamen Beschäftigung hatte sich nichts verändert —— ihr Vater schlief noch, auf der Straße herrschte noch das frühere düstere Schweigen. Sie stellte sich an das Fenster und zog theilweise den Vorhang bei Seite, um die warmen Lüfte von außen auf ihrer kalten Stirn spielen zu lassen. Dieselbe unnennbare Resignation, dieselbe unnatürliche Ruhe, welche seit ihrem Eintreten in das Zimmer über ihre Kräfte herabgesunken war, überzog dieselben auch jetzt noch. Die sie umgebenden Gegenstände vermochten ihre Aufmerksamkeit nicht anzuregen, alle Erinnerungen und Ahnungen waren in ihrem Geiste zum Stillstande gekommen. Auf ihren Zügen herrschte Marmorstarrheit; mitunter schweiften ihre Augen mechanisch von der Speise neben ihr, auf ihren schlummernden Vater, als ihre einzige Idee in seinem Dienste zu wachen, bis die schwachen Pulse des Lebens den letzten Schlag gethan haben würden, abwechselnd auflebte und schwächer wurde —— sonst aber waren an ihr keine Zeichen körperlichen Lebens oder geistiger Thätigkeit mehr zu erblicken. Es gab Momente, wo sie, wenn man sie in dem halbverdunkelten Zimmer mit ihren blassen, ruhigen Zügen, mit ihrer, in kalte weiße Gewänder gehüllten, bewegungslosen Gestalt neben dem Bette, auf welchem ihr Vater ruhte, erblickt hatte, ausgesehen haben würde, wie eine von den frommen Büßerinnen der Urkirche, die zum Wachen im Hause der Trauer bestimmt, durch das Erscheinen des Todes ein ihrer heiligen Vigilie überrascht worden wäre.

Die Zeit verfloß —— die monotonen Stunden des Tages schritten wieder der Nacht zu und Pest und Hungersnoth verkündeten ihr Verstreichen aus den vom Unglück geschlageiieti Straßen und Plätzen Roms. Für Vater und Kind war der Sand im Stundenglase dem Verrinnen nahe und keines von Beiden bemerkte dessen Verminderung. Der Schläfer ruhte immer noch und die Wächterin an seiner Seite wachte fortwährend —— aber jetzt lenkte sich ihr matter Blick unwillkürlich durch den Ton von Stimmen angezogen, die endlich von Zeit zu Zeit von der Straße aufstiegen, hinab auf das Licht der Fackeln und Lampen, die in dem großen Palaste des Senators sichtbar wurden, als sich die Sonne allmälig zum Horizonte senkte und die feurigen Wolken des Abends in den Dünsten der vorschreitenden Nacht erloschen. Sie blickte fest auf das Schauspiel unter und vor ihr hinab, aber selbst jetzt noch bewegten sich weder ihre Glieder, noch wurde der bewegungslos feierliche Friede ihrer Züge gestört.

Das weiche, kurze Zwielicht senkte sich auf die Erde und ließ den kalten Mond erblicken, der einsam am sternenlosen Himmel schwebte, —— dann stieg, auf das blasse Zeichen seines Erscheinens leise die Finsterniß auf, und umschloß langsam die Stadt des Todes.



Kapiteltrenner

Kapitel III.
Das Banket des Hungers.

Von allen Prophezeihungen trifft wohl keine seltener ein, als die, welche wir uns am leichtesten erlauben, wenn wir die Einwirkung äußerer Ereignisse auf den Charakter der Menschen vorher sagen wollen. Keine Form unserer Vermuthungen trügt häufiger, als solche Bemühungen, im Voraus den Einfluß der Umstände auf das Benehmen nicht nur Anderer, sondern sogar unserer selbst abzuschätzen. Das Ereigniß tritt ein und Menschen, die wir aus dem Gesichtspunkte betrachten, welcher uns unsere frühere Beobachtung derselben gewährt, handeln unter dem Einflusse desselben, wie lebende Widersprüche ihres eignen Charakters. Der Freund unsers täglichen, geselligen Verkehrs im Leben und der Lieblingsheld unserer historischen Studien, setzen uns glei sehr in Erstaunen, übertreffen oder täuschen unsere Erwartungen gleich stark. Wir erkennen es als eben so vergeblich, für die willkürlichen Widersprüche in dem Charakter der Menschen einen Grund vorauszusehen, wie demselben eine Grenze anzuweisen.

Wiewohl aber, das Aufstellen von Vermuthungen über das künftige Benehmen Anderer unter bevorstehenden Ereignissen nur zu oft an den Tag legt, wie trügerisch unsere weisesten Erwartungen sind, so ist doch die Betrachtung der Art dieses Benehmens nachdem es stattgefunden hat, ein nützlicher Gegenstand unserer Wißbegier und kann vielleicht sogar zu einer fruchtbaren Quelle von Belehrungen gemacht werden. Gleichartige Ereignisse, die einander in verschiedenen Perioden folgen, werden durch die stets wechselnden Wirkungen, welche sie auf den menschlichen Charakter ausüben, von Einförmigkeit befreit und erlangen durch dieselben neue Wichtigkeit. So finden wir in Bezug auf das große Ereigniß, auf welches sich unsere Erzählung gründet, in der Belagerung von Rom, als einen bloßen historischen Vorfall betrachtet, nur wenig, wodurch es sich bedeutend von irgend einer frühem Belagerung der Stadt unterschiede —— dasselbe Streben nach Ruhm und Rache, Reichthum und Gewalt, welches Alarich vor die Mauern der Stadt führte, hatte vor ihm auch andere Eroberer hergezogen. Beobachten wir aber die Wirkung des gothischen Einfalles in Italien auf die Bewohner seiner Hauptstadt, so finden wir reichlichen Stoff zu neuen Betrachtungen und unbegrenztem Erstaunen.

Wir erblicken als überraschendes Beispiel der Widersprüche im menschlichen Charakter, das Schauspiel eines ganzen, bereits von dem höchsten Gipfel des Nationalruhmes, zu den niedrigsten Tiefen der Nationalentartung, herabgesunkenen Volkes, welches an seiner Thür von einem übermächtigen fremden Einfalle bedroht wird und doch trotz allem was die weit verbreitete Niedrigkeit seines früheren Charakters uns hätte erwarten lassen sollen, seinen Feinden, um der Ehre des römischen Namens willen, den es seit Jahrhunderten entehrt hatte, mit unbeugsamer Hartnäckigkeit Widerstand leistet. Wir sehen Männer, die bisher selbst das Wort Patriotismus verlacht haben, jetzt entschlossen für ihr Vaterland dem Hungertode entgegen gehen; die vor keiner Schurkerei zurückbebten, um Reichthum zu erlangen, jetzt anstehen, ihren übel erworbenen Gewinn zum Erkaufen des wichtigsten aller Genüsse —— ihrer eignen Sicherheit und des Friedens anzuwenden. Man könnte aus allen Klassen, von den niedrigsten bis zu den höchsten, Beispiele der unahnbaren Wirkung ziehen, welche das Ereigniß der Belagerung Roms auf die Bewohner der Stadt übte, wenn wir dieselben aber hier mittheilen wollten, würde der Fortgang unserer gegenwärtigen Erzählung eine zu lange Unterbrechung erleiden müssen. Wenn wir über einen solchen Gegenstand auf Einzelheiten eingehen sollen, so darf es nur in einem Falle geschehen, welcher mit den wirklichen Erfordernissen unserer Geschichte im klaren Zusammenhange steht und ein solcher Fall ist gegenwärtig in dem Benehmen des Senators Vetranio unter dem Einflusse der äußersten Leiden, von welchen die Blockade Roms durch die Gothen begleitet wurde, zu finden.

Wer, könnte man fragen, —— wenn man den früheren Charakter dieses Mannes, seine Frivolität, sein üppiges Verlangen nach ununterbrochenen Genuß und Behag1ichkeit, seinen Schrecken vor der leisesten Annäherung des Schmerzes oder Unglücks kennt, —— könnte sich ihn als fähig vorstellen, geringschätzig alle Aussichten auf gegenwärtige Sicherheit und künftiges Wohlseim die ihm seine unbegrenzte Macht und sein ungeheurer Reichthum selbst in einer von Hungersnoth verheerten Stadt hätte verschaffen können, von sich zurückzuweisen und plötzlich mit dem Entschlusse das Leben in dem Augenblicke als werthlos aufzugeben, wo es nichts mehr den ruhigen Fortgang früherer Jahre besaß, den höchsten Gipfelpunkt der verbrecherischen Verzweiflung zu besteigen! Und doch war er jetzt zu diesem Entschlusse gelangt und hatte, was noch außerordentlicher erscheint, andere patricische Standesgenossen gefunden, die sich ihm bei der Ausführung desselben anschlossen.

Der Leser wird sich seiner phantastischen Ankündigung von der bevorstehenden Orgie gegen den Präfekten Pompejanus, während des ersten Theiles der Belagerung entsinnen, diese Ankündigung sollte jetzt ausgeführt werden.

Vetranio hatte seine Gäste zum Banket des Hungers geladen. Eine auserwählte Anzahl von den Senatoren der großen Stadt wollten ihren Muth dadurch an den Tag legen, daß sie als die Genußmenschen starben, als welche sie gelebt hatten, daß sie verächtlich alle Aussichten auf das Verhungern, wie der gemeine Haufen, an einer täglich geringer werdenden Quantität widerlicher Nahrung von sich warfen, daß sie in Weinfluthen ertränkt und von dem Feuer des reichsten Palastes von Rom beschienen, triumphierend ein beengtes, genußloses Leben verließen.

Man hatte die Absicht gehabt, über diesen rasenden Entschuß das tiefste Geheimniß zu bewahren, die ungeheure Katastrophe gleich einem Wunder des Himmels auf die noch übrigen Bewohner der Stadt hereinbrechen zu lassen, aber die mit der Organisation des Selbstmörderbankets beauftragten Sklaven, waren mit Wein zu ihrer Aufgabe geneigt gemacht worden und hatten in der Sorglosigkeit des Rausches, das innerhalb der Palastmauern Gehörte mitgetheilt. Die Neuigkeit ging von Mund zu Mund. Die Aussicht, den brennenden Palast und den trunkenen Selbstmord seiner verzweifelten Gäste zu erblicken, war hinreichend, um selbst die erstarrte Neugier des verhungernden Pöbels zu beleben.

Am angesetzten Abend schleppte das Volk seine matten Glieder aus allen Theilen der Stadt dem Monte Pincio zu. Viele starben unterwegs, Viele gaben den Entschluß, sich bis ans Ziel des Weges zu begeben, auf und suchten mürrisch in den leeren Häusern am Wege ein Obdach, Viele fanden Gelegenheit zum Raube und Verbrechen, welche sie von ihrem Bestimmungsorte ablockten, —— aber Viele verharrten in ihrem Vorsatze und die Lebenden schleppten die Sterbenden mit, die Verzweifelten trieben die Feigen in boshaftem Scherze vor sich hin, bis sie vor die Palastthore gelangten. Ihre, von der Straße aufsteigenden, Stimmen hatten die dem Erlöschen nahen Geisteskräfte Antoninens aufgeschreckt, wenn auch nicht belebt, und dort auf den breiten Pflastersteinen lagen diese Bürger einer fallenden Stadt, eine Gemeinde der Pest und Sünde —— eine verhungernde, grausige Schaar.

Der durch die zunehmende Finsterniß glänzender hervortretende Mond erleuchtete jetzt die Straßen vollkommen und enthüllte auf engem Raume ein wechselndes, eindrucksvolles Schauspiel.

Die eine Seite der Straße, in welcher Vetranio’s Palast stand, war an beiden Enden, so weit das Auge bei Nacht reichen konnte, mit den Hainen und Nebengebäuden, die zur Wohnung des Senators gehörten, besetzt. Die Gärten des Palastes gingen am höheren, von dem Pincischen Thore entfernteren Theile der Straße auf einem breiten Bogen über dieselbe und dehnten sich nach rückwärts bis zu den Bäumen des kleinen Gartens am Hause Numerian’s hin. Mit diesem Hause in einer Linie, aber durch einen schmalen Zwischenraum getrennt, stand eine lange Reihe von Gebäuden, die stockwerkweise an verschiedene Bewohner vermiethet waren und sieh zu einer ungeheuren Höhe erhoben, denn im alten Rom, wie im modernen London, konnten die Baumeister in Folge der hohen Bodenpreise einer übervölkerten Stadt einem Hause nur dadurch Geräumigkeit verschaffen, daß sie seine Höhe unbehaglich vergrößerten. Jenseits dieser Miethshäuser sah man die Bäume, welche einen andern Patrizierpalast umgaben und über dieselben hinaus machte die Straße einen plötzlichen Bogen und es war in gerader Linie außer den nebeligen, unbestimmten Gegenständen der Fernsicht nichts mehr zu erblicken.

Das ganze Aussehen der Straße vor Vetranio’s Palast würde, wenn die zurückstoßenden Gruppen, die sich jetzt darin gebildet hatten, weggefallen wären, zu der Stunde, von welcher wir jetzt schreiben, ausnehmend schön gewesen sein. Die herrliche symmetrische Fronte des Palastes selbst, mit ihrer graziösen Reihe von langen Säulenhallen und kolossalen Statuen, im Contraste mit dem malerisch unregelmäßigen Aeußern der gegenüberliegenden Wohnung Numerian’s und der hohen Häuser, in deren Nähe die weichen undeutlichen Laubmassen, welche an den oberen Enden der Straße mit einander parallel dahin liefen und durch den schwebenden Garten über dem Wege, auf welchem eine Gruppe hoher Pinien ihre gigantischen Häupter gegen den durchsichtigen Himmel abzeichneten, begrenzt und verbunden waren, das glänzende Licht, welches aus den bunt behangenen Fenstern Vetranio’s auf die Straße herabströmte und im unmittelbaren Gegensatz der ruhige Mondschein, von welchem die Fernsicht erhellt wurde —— alles dies zusammengenommen bildete ein Gewölbe, in welchem sich Natur und Kunst in den köstlichsten Proportionen mischten, —— ein Gemälde, dessen unaussprechliche Poesie und Schönheit in jeder anderen Nacht das Auge hätte bezaubern und den leichtsinnigsten Geist erheben können. Jetzt aber, wo es von hohläugigen, hungerbetagten und von Krankheit entstellten Volksgruppen überdeckt, wo es in dumpfen Zwischenräumen durch Schreie der Bitte, der Herausforderung und Verzweiflung belebt wurde, schienen seine glänzendsten Schönheiten der Natur und Kunst nur mit bitterem Spott das menschliche Elend, welches ihr Glanz erblicken ließ, zu beleuchten.

Mehr als hundert Menschen, —— meist aus den untersten Volksklassen, waren vor der dem Untergang geweihten Wohnung des Senators zusammengedrängt. Einige von ihnen gingen langsam in der Straße auf und ab und ihre Gestalten glitten schattenhaft und feierlich durch das sie umgebende Licht, aber bei weitem die größte Zahl lag aus dem Steinpflaster vor Numerians Palaste und den Thorwegen der hohen Häuser in seiner Nähe. Von dem grellen Lichte aus den Palastfenstern beleuchtet, nahmen diese in den verzerrten Stellungen des Leidens und der Verzweiflung zusammengedrängten Gruppen ein furchtbares, gespensterhaftes Aussehen an. Ihre eingeschrumpften Gesichter, ihre zerrissene Kleidung, ihre hier am Boden liegenden, dort halb erhobenen hagern Gestalten waren in ein gleichmäßiges rothes Licht getaucht. Hoch über ihnen an den Fenstern der hohen jetzt in jedem Stockwerke von Todten erfüllten Häuser zeigten sieh einige Gestalten —— die erkauften Hüter der Sterbenden in den Gemächern —— die sich vorwärts beugten, um auf den Palast gegenüber zu schauen, und deren abgemagerte Gesichter vom hellen Mondlichte mit einem bleichen Glanze übergossen wurden. Zuweilen hörte man ihre Stimmen spöttisch der Volksmasse unter ihnen zurufen, die festen, stählernen Thore des Palastes aufzubrechen und den vollen Weinbecher von den Lippen seines Herrn zu reißen. Zuweilen antworteten die auf der Straße Befindlichen mit Verwünschungen, die im wilden Gemisch mit den Wehklagen von Frauen und Kindern, dem Stöhnen der von der Pest ergriffenen und der Bitten der Verhungerten um Almosen und Hilfe an die hinter den Palastgittern hin und her gehenden Sklaven, emporstiegen.

In den Pausen, wo der Tumult der schwachen Stimmen theilweise schwieg, hörte man ein dumpfes, regelmäßiges, klopfendes Geräusch, welches diejenigen hervorbrachten, welche auf ihrem Wege nach dem Palaste trockene Knochen gefunden hatten und sie an geschützten Stellen auf dem Pflaster zerpochten, um dieselben zur Nahrung zu verwenden. Der Wind, welcher den Tag über erfrischend gewesen war, hatte mit Sonnenuntergang umgeschlagen und fegte jetzt in heißen, schwachen Stößen pestbeladen von Osten her langsam über die Straße hin.

Theile der zerlumpten Kleidung, von auf dem Boden liegen den Gestalten, die ihm am meisten ausgesetzt waren, schwebten langsam hin, und her, wie vom Tode auf der dem Ergeben nahen Citadelle des Lebens aufgepflanzte Paniere. Er zog heiß und mephitisch, wie von dem Hauche der wüthenden und schlechten Worte, welche er in die Bankethalle der leichtsinnigen Gäste des Senators trug, vergiftet, durch die offenen Fenster des Palastes. Ueber solche Scenen, wie die sich jetzt unter ihm ausbreitenden, getrieben, nahm er von ihnen eine Unheil verkündende Bedeutsamkeit an —— er schien, wie eine aus den glühenden Tiefen des Erdmittelpunktes hervorgetriebene Atmosphäre zu wehen, und düstere Verkündigungen einer ungeheuren Convulsion in dem ganzen Gebäude der Natur über die Menschen erfüllte, traurige Straße zu hauchen.

So sah es vor dem Palaste aus und dies waren die Zuschauer, welche sich in düsterer Erwartung des Unterganges der Wohnung des Senators versammelt hatten. Mittlerweile nahte im Innern des Gebäudes der Anfang der Todesorgie.

Die Sklaven, die während der Noth in der belagerten Stadt mit vollkommener Straflosigkeit in ihrem gewohnten unbedingten Gehorsam gegen ihren Herrn erschlafft waren, hatten sich ausbedungen, daß es ihnen, sobald ihre vorbereitenden Arbeiten beendigt sein würden, freistehen solle, ihre eigene Sicherheit zu Rathe zu ziehen und den dem Verderben geweihten Palast zu verlassen.

Schon konnte man einige von den Schwächsten und Furchtsamsten von ihnen durch die Hinterthüren in den Garten hinaus eilen sehen, wie Ingenieure, die eine Pulverleitung angezündet hatten und entflohen, ehe die Explosion ausbrach. Diejenigen von den Dienstleuten welche noch im Palaste geblieben waren, beschäftigten sich noch größentheils mit Trinken aus den Weingefäßen, die man ihnen vorgesetzt hatte, um ihre Kräfte bis zum letzten Augenblicke zu bewahren.

Der Hohn des Festes war selbst bis auf ihre Gewänder ausgedehnt worden. Grüne, von kirschrothen Gürteln zusammengehaltene Livreen bekleideten ihre abgezehrten Körper. Sie tranken im tiefsten Schweigen. Unter ihren Reihen war nicht der mindeste Schein von Lustigkeit oder Berauschung zu erblicken. Verwirrt, zusammengehäuft, wie um sich gegenseitig Schutz zu gewähren, warfen sie von Zeit zu Zeit scharfe Blicke des Argwohns und der Besorgniß auf sechs bis acht von den höheren Dienern des Palastes, die am äußern Ende der von ihren Kameraden eingenommenen Halle auf und ab gingen, und von Zeit zu Zeit bis an die Vorderthüren des Gebäudes schritten, wo sie verstohlene Zeichen mit einigen Mitgliedern der Menge auf der Straße austauschten. Es waren unbestimmte Gerüchte von einer geheimen Verschwörung im Umlaufe, die einige von den ersten Sklaven, und eine Anzahl von Bösewichtern unter dem Volke, eingegangen sein sollten, um alle Bewohner des Palastes zu ermorden, sich der Schätze desselben zu bemächtigen, den Gothen die Stadtthore zu öffnen und in der Verwirrung beim Plündern von Rom mit ihrer Beute zu entfliehen.

Bis jetzt war noch nichts Bestimmtes entdeckt, aber die wenigen Diener, die sich von den Uebrigen abgesondert hielten, wurden von allen ihren Kameraden beargwöhnt, und jetzt von diesen beim Weine mit ängstlichen Augen beobachtet. So verschieden auch die Scene unter den noch im Palaste gebliebenen Sklaven von dem Anblicke des auf der Straße befindlichen Volkes war, verkündete doch das Eine, wie das Andere, in seiner Art mit gleicher Düsterkeit ein bevorstehendes Unglück.

Die große Bankethalle des Palastes war jetzt zwar zum Feste gerüstet, hatte aber ein verändertes Unheil verkündendes Aussehen angenommen.

Die massiven Tische liefen noch immer von üppigen Ruhebetten umgeben, wie in früheren Zeiten durch die ganze Länge des Zimmers, auf ihrer glänzenden Oberfläche war aber keine Spur von Speise zu erblicken. Kostbare Vasen, Flaschen und Trinkbecher bedeckten mit Wein gefüllt allein die festliche Tafel. Von der Decke hingen tief zehn große Lampen herab, die der Anzahl der versammelten Gäste, der einzigen, herbeizuschaffenden Vertreter der Hunderte von Festgenossen, welche in den jetzt auf ewig vergangenen glänzenden Nächten auf Vetranio’s Kosten geschmaust hatten, entsprachen. An dem unteren Ende des Zimmers, der Hauptthür gegenüber, hing ein dicker schwarzer Vorhang, der zum Verbergen eines dahinter befindlichen geheimnißvollen Gegenstandes bestimmt zu sein schien. Vor dem Vorhange brannte eine kleine, gelbe Glaslampe auf einer hohen vergoldeten Stange und rund umher war an den Wänden und über einen Theil des Tisches eine bunte, wirre Masse von kostbaren. Gegenständen aufgehäuft; die Alle von mehr oder weniger brennbarer Natur und mit wohlriechenden Oelen besprengt waren. Hunderte von Ellen prächtig bunter Stoffe, Rollen über Rollen von Manuskripten glänzende Kleidungen von jeder Farbe, Spielereien, Werkzeuge, unzählige Hausrathgegenstände von seltenen schön eingelegten Hölzern, waren nachlässig durch einander an den Wänden des Zimmers hingeworfen worden und erhoben sich bis nahe an die Decke.

Auf allen Theilen der Tische, welche nicht von den Weingefäßen eingenommen waren, lagen goldene, Juwelen besetzte Zierrathen, die das Auge durch ihren Strahlenglanz blendeten, während in außerordentlichem Contrast mit der so grenzenlos entwickelten Pracht in einer der oberen Ecken der Halle ein alter hölzerner, mit einem groben Tuche bedeckter Tisch erschien, auf welchem ein paar Schüsseln von gemeinem Töpfergeschirr gestellt waren, die ein Gemisch von gekochter Kleie und eingesalzenem Pferdefleisch enthielten. Der widerliche Geruch, welcher sich aus diesem seltsamen Gemisch hätte erheben können, war von den verschiedenen im Zimmer verbreiteten Wohlgerüchen verdrängt, die im Verein mit dem durch die Fenster von der Straße hereinkommenden heißen Winde, eine so drückende und schwächende Atmosphäre erzeugten, daß sie trotz ihrer künstlichen Lockungen für den Geruchssinn der Luft eines Kerkers oder den Ausdünstungen eines Sumpfes glich.

Die auffallende Veränderung in dem gegenwärtigen Aussehen der Bankethalle war nur ein schwaches Abbild der Verschlimmerung in dem Aeußern des Festgebers und seiner Gäste. Vetranio lag in einen Scharlachmantel gehüllt, an der Spitze der Tafel. Eine gestickte Serviette mit purpurnen Quasten und Franzen, die durch goldene Ringe mit einander verbunden waren, hing über seine Brust und seine Arme waren von silbernen und elfenbeinernen Armbändern umschlossen. Die Gewänder waren jedoch Alles, was man noch von dem früheren Menschen erblickte. Sein Kopf war wie altersschwach vorwärts gebeugt, seine abgezehrten Arme schienen kaum das Gewicht der an ihnen schimmernden Zierrathen tragen zu können. Seine Augen hatten einen wilden unstäten Ausdruck angenommen und eine Todtenblässe überzog die einst runden jovialen Wangen, welche in früheren Zeiten so viele Frauen mit eigennützigem Entzücken geküßt hatten. Sowohl dem Gesicht, wie dem Benehmen nach, war der elegante Genußmensch seit der Bekanntschaft, die wir am Hofe von Ravenna mit ihm gemacht haben, gänzlich zum Schlimmeren verändert. Von den übrigen acht Patriziern, die auf den Ruhebetten theilweise ausgelassen und leichtsinnig, theilweise düster und abgestumpft, um ihren veränderten Wirth lagen, hatten Alle ohne Ausnahme, gleich ihm, in der Prüfung der Belagerung, der Hungersnoth und Pest gelitten. Dies waren die Mitglieder der Versammlung, welche durch neun der von der Decke herabhängenden brennenden Lampen vertreten wurden. Die zehnte und letzte Lampe verkündete die Anwesenheit noch eines Gastes, der von den übrigen etwas entfernt lag.

Dieser sehnte war bucklig, sein knochiges, mageres Gesicht stand in einem abstoßenden Mißverhältnisse mit seinem winzigen Körper, der in ein weites, grellfarbiges Gewand gehüllt, doppelt verächtlich aussah. Der niedrigsten Hefe des Pöbels entsprungen, hatte er sich allmälig durch seine Geschicklichkeit in groben Possenreissereien und seine Bereitwilligkeit, den schlimmsten Lastern Aller zu fröhnen, die sich seiner zu bedienen Lust hatten, in die Gunst Höherstehender gedrängt. Da er während der Belagerung den größten Theil seiner Gönner verloren hatte, und sich von allen Seiten dem Hungertode Preis gegeben sah, war er jetzt als letztes Hilfsmittel um die Erlaubniß eingekommen, an dem Banket des Hungers Theil zu nehmen, es durch eine letzte Schaustellung seiner Lustigmacherei zu erheitern und mit seinen Herrn zu sterben, wie er mit ihnen gelebt hatte, als der Sklave der Schmarotzer und der Nachahmer ihrer niedrigsten Laster und schlimmsten Verbrechen.

Zu Anfange der Orgie hörte man außer dem Klappern der Weinbecher, dem leisen unterbrochenen Flüstern der Zecher und den von der Straße durch das Fenster heraufdringenden undeutlichen Stimmen des Volkes nur wenig. Die Gäste wurden jetzt durch das Verzweifelte ihres Bundes, da die Ausführung desselben wirklich begonnen hatte, unwillkürlich in Beklemmung versetzt. Als endlich ein Verstummen aller Töne eingetreten war —— als sich eine vorübergehende Ruhe über den äußern Lärm gebreitet hatte, —— als die Weinbecher geleert und auf einen Augenblick niedergesetzt worden waren, ehe sie wieder gefüllt wurden, —— stand Vetranio schwach auf, verkündete mit einem spöttischen Lächeln, daß er im Begriff sei, eine Leichenrede über seine Freunde und sich selbst zu halten, und deutete auf die Wand unmittelbar hinter sich, als einen zur Erweckung des Erstaunens oder der Heiterkeit seiner mürrischen Gäste geeigneten Gegenstand.

An dem obern Theile der Wand waren verschiedene kleine Statuen von Bronce und Marmor befestigt, die alle den Eigenthümer des Palastes darstellten und mit goldenen Platten behängt waren. Unter ihnen erblickte man das Verzeichniß der Einkünfte seiner Güter in verschiedenartigen Farben auf weißes Pergament geschrieben und unter diesem war in schwachen unregelmäßigen Zügen kein geringerer Gegenstand als seine eigene Grabschrift auf den Marmor eingegraben. Sie kann folgendermaßen übersetzt werden:

Steh Wanderer!
Wenn Du ehrerbietig die Freuden des Geschmack« ge-
nossen hast,
so verweile bei den Ruinen dessen was einst ein Palast
War.
Und lies mit Achtung auf diesem Steine
die Grabschrift
des Senators Vertranio.

Er war der Erste, der eine gute Nachtigallensauce erfand,
Sein kühner und schaffender Geist vervollkommnete
die Kochkunst
und würde sie noch mehr vervollkommnet haben.
Aber zum Unglück für die Interessen der Wissenschaft
lebte er in den Tagen, wo die gothischen Barbaren
die kaiserliche Hauptstadt
belagern.

Der Hunger
ließ ihm keine Stoffe mehr zu Experimenten des
Geschmackes
und die Pest beraubte ihn der Köche, die er hätte auf-
klären können.
Auf allen Seiten von der Gewalt widriger Umstände
gehemmt,
fand er sein Leben von keinem weiteren Nutzen
für
die kulinarischen Interessen Roms;

Er rief seine erwählten Freunde zum Beistande herbei,
trank gewissenhaft jeden Tropfen Wein, der noch in
seinem Keller war,
entzündete den Scheiterhaufen für sich und seine Gäste
in der Bankethalle seines eigenen Palastes
und starb, wie er gelebt hatte,
als ein patriotischer
Cato
der Gastronomie seines Vaterlandes!

»Seht« rief Vetranio, indem er triumphierend auf die Grabschrift deutete, —— »seht in jeder Zeile jener beredten Worte zugleich das Siegel meiner entschlossenen Anhänglichkeit an das uns hier vereinigende Bündniß und die Begründung meines gerechten Anspruches auf die Ehrerbietung der Nachwelt, für die nützlichste der Künste, die ich zum Wohle meines Geschlechts geübt habe! Lest, Freunde —— Brüder —— Mitmärtyrer des Ruhms -— und freut Euch, während Ihr lest, mit mir über die Stunde unsers Scheidens von dem entweihten Schauplatze, der es nicht mehr verdient, daß man auf ihm die Spiele des Lebens feiert! Hört mich jedoch, ehe das Fest seinen Fortgang nimmt, an, —— ich halte meine letzte Rede, als Richter unserer Leichenspiele, als Wirth bei dem Banket des Hungers!«

»Wer möchte gemein unter dem langsamen Drucke des Hungers erliegen, oder den Untergang von dem blitzenden Stahl des Schwertes der barbarischen Eroberer finden, wenn sich seiner Wahl ein Tod, wie der unsrige, bietet? Wenn der Wein schimmernd fließt, um das Gefühl in Vergessenheit zu begraben und ein Palast mit seinen Schätzen zugleich die Schaubühne des Gelags und den glänzenden Scheiterhaufen darbietet? Die großen Philosophen von Indien, die begeisterten Gymnosophisten —— starben, wie wir sterben werden! Calanus vor Alexander, Zamarus vor Augustus zündeten das Feuer an, welches sie verzehren sollte. Wir wollen ihr ruhmvolles Beispiel befolgen! An unsern Körpern werden keine Würmer zehren, bei unsern Begräbnissen werden keine gemietheten Klageweiber ein mißtöniges Geheul erheben, von dem ewigen Feuer gereinigt, werden wir Feinden und Freunden triumphierend entschwinden —— als Wunder für die Erde, als herrliche Vision für die Götter selbst!«

»Ist jetzt ein Lebenstag mehr oder weniger für uns von Wichtigkeit? Nein, unsere Bestrebungen können sich nur dem leichtesten und herrlichsten Tode zuwenden.«

»Unter unserer Zahl befindet sich jetzt kein Einziger, der sich noch weiter mit den Sorgen der Existenz befassen möchte! —— «

»Hier, zu meiner Rechten, liegt mein schätzbarer Genosse bei tausend früheren Festen, Furius Balburius Placidus, der, wenn wir auf dem Lucriner See fuhren, sich über unerträgliche Leiden zu beklagen pflegte, wenn sich eine Fliege anf seinen vergoldeten Sonnenschirm niederließ, der sich nach einem Lande Kimmerischer Finsterniß sehnte, wenn ein Sonnenstrahl die seidenen Schirmdächer seiner Gartenterrasse durchdrang und der sich jetzt mit dem geringsten seiner Sklaven, um einen Bissen Pferdefleisch balgt und die prächtigsten von seinen Villen für einen Korb mit erbärmlichen Broden dahingehen würde!«

»O, Furius Balburius Placidus, was kann Dir das Leben noch weiter nützen?«

»Dort, zu meiner Linken, erkenne ich das veränderte, wiewohl noch ausdrucksvolle Gesicht des entschlossenen Thascius —— desjenigen, der einen Sklaven mit hundert Peitschenhieben züchtigt, wenn ihm nicht augenblicklich, nachdem er es befohlen, sein warmes Wasser gebracht wurde, —— er, der durch seine erhabene Verachtung gegen jedes Mitglied des Menschengeschlechts, mit Ausnahme seiner selbst, einst zu den größten Philosophen gehörte —— selbst er wandert jetzt unbedient in seinem Palaste umher und fällt dem Plebejer, der ihm ein Maß erbärmlicher Kleie verkauft, schmeichelnd zu Füßen!«

»O, bewundernswürdiger Freund, o, richtig berechnender Thascius, sage, ob es in Rom noch etwas gibt, wodurch Du Deine Reise nach den elisäischen Feldern noch verschieben möchtest.«

»Weiterhin am Tische sehe ich, während meiner Rede mit heftigem Trinken beschäftigt, Deine einst volle, runde Gestalt, o, Marcus Moecius Moemmius! Du, der Du einst gewohnt warst, Dich über die Länge Deines Namens zu freuen, weil er Deine Freunde in den Stand setzte, um so mehr zu trinken, wenn sie einen Becher auf jeden Buchstaben desselben leeren wollten. Sage mir, welche Bankethalle Dir außer dieser jetzt noch offen steht? und was sollte Dich, der Du so trostlos in der Stadt Deiner Triumphe zurückgeblieben bist, abgeneigt machen unser festliches Beisammensein als Dein letztes Gelage auf Erden zu betrachten!«

»Auch Du, spaßhafter Buckliger, Fürst der Schmarotzer, unskrupulöser Reburrus, wo kann Dir Deine Lustigmacherei jetzt noch einen Trunk erquickenden Weins verschaffen, außer bei diesem Banket? Deine Herren haben Dich dem Düngerhaufen, auf dem Du geboren bist, wieder überlassen! Du wirst nicht mehr für sie schmeicheln, wenn sie borgen, oder grob sein, wenn sie bezahlen.«

»Du wirst keine Anklagen der Giftmischerei oder Zauberei mehr schmieden, um ihre lästigen Gläubiger ins Gefängniß zu bringen. O, dienstfertiger Sykophant, Deine Beschäftigung ist zu Ende.«

»Trinke, so lange Du kannst und überlaß dann Deinen Cadaver dem Kothe in welchen er gehört.«

»Und Ihr, meine fünf übrigen Freunde, die ich da es mich nicht nach weiterer Zögerung gelüstet, zusammen anreden will —— denkt an die Tage, wo der Verdacht einer ansteckenden Krankheit, bei irgend einem Eurer Gefährten hinreichend war, um Euch selbst von dem Liebsten derselben loszureißen, wo die Sklaven, die aus ihren Palasien zu Euch kamen, lange Waschungen bestehen mußten, ehe sie sich Euch nähern durften und bedenkt bei der Erinnerung daran, daß die meisten von uns, vielleicht wir Alle, die wir heute hier zusammen kommen, schon von der Pest angesteckt sind und dann sagt, welchen Vortheil es gewährt, sich nach der Verlängerung eines Lebens zu sehnen, welches Euch nicht mehr gehört?«

»Nein, meine Freunde, meine Brüder im Banket, Ihr fühlt, daß es Thorheit wäre, fortzuleben, wenn das Leben werthlos geworden ist, Ihr könnt nicht vor dem erhabenen Entschlusse. durch welchen wir mit einander verbunden sind, zurückbeben —— ich thue Euch schon durch den Zweifel Unrecht!«

»Erlaubt mir jeßt vielmehr Eure Beachtung auf einen würdigern Gegenstand zu lenken, —— auf die Nennung der festlichen Ceremonien, welche den Gang des Bankets bezeichnen werden. Sobald diese Aufgabe erfüllt ist, schließe ich mich Euch wieder zu der letzten Huldigung vor der Gottheit unseres geselligen Lebens, dem Gotte des Weines an!«

»Es ist Euch, die Ihr in den Tischgebräuchen des Alterthums gelehrt seid, nicht unbekannt, daß es bei Einigen von den Alten gewöhnlich war, daß ein Meister der Philosophie, als Lehrer, wie als Gast, bei ihren Festen den Vorsitz führte. Ich habe dafür Sorge getragen. diesen Gebrauch wieder zu beleben, und wie diese unsere Versammlung in ihrer heroischen Absicht nicht ihres Gleichen hat, so war es auch mein Bestreben zu ihr eine, sowohl als Lehrer, wie als Gast unvergleichliche Person einzuladen. Durch eine originelle Idee angefeuert, von meinen Sklaven unbemerkt, und nur von meinem Sängerknaben dem treuen Glyco, unterstützt, ist es mir gelungen, hinter jenen schwarzen Vorhang einen Genossen unseres Gelags zu bringen, wie Ihr noch keinen gehabt habt —— dessen Erscheinen im rechten Augenblicke Euch unwiderstehliches Erstaunen einflößen muß, und dessen Reden —— nicht bloß menschlicher Weisheit —— von den mitternächtlichen Geheimnissen der Gruft eingegeben sein werden. Neben mir auf diesem Pergamente liegt das Formular der Fragen, welche Reburrus, sobald der Vorhang zurückgezogen sein und, an das Orakel der Mysterien anderer Sphären richten soll!«

»Vor Euch seht Ihr in diesen Gefäßen Alles, was noch von dem Inhalte meiner einst wohlversehenen Keller enthalten ist und was ich dem Gaumen meiner Gäste bieten kann! Wir sitzen bei dem Banket des Hungers und an der bachanalischen Tafel findet kein gröberer Genuß, als der des begeisternden Weines Zulaß. Sollte aber Einer von uns in seinen letzten Augenblicken schwach genug sein, seine Lippen mit Nahrung zu beflecken, wie sie nur des Gewürmes der Erde würdig ist, so möge er den erbärmlichen kleinen Tisch, das Sinnbild der erbärmlichen kargen Speise, welche ihn bedeckt, dort in der Dunkelheit hinter mir aufsuchen. Dort wird er —— im Ganzen kaum für das ärmlichste Mahl eines Menschen hinreichend —— die letzten Bissen der erbärmlichsten Nahrung finden, wie sie noch im Palaste vorhanden sind. Was mich betrifft, so steht mein Entschluß fest, —— nur der köstliche Weinbecher soll sich meinen Lippen nähern! Ueber mir sind die zehn Lampen, die der Anzahl meiner hier versammelten Freunde entsprechen. Eines nach dem andern, wie uns der Wein überwältigt, werden diese brennenden Bilder des Lebens von den Gästen verlöscht werden, welche der Flüssigkeit noch nicht erlegen sind und der Letzte von ihnen wird seine Fackel an der letzten Lampe anzünden und das Banket zu Ende bringen und seinen glänzenden Schluß feiern, indem er den Scheiterhaufen meiner Schätze, welcher dort an meinen Palastmauern aufgehäuft ist, in Brand steckt.«

»Wenn mich meine —— Kräfte eher verlassen sollten, als Euch die Eueren, so schwört —— mir, daß derjenige, welcher von Euch noch im Stande sein wird, den Becher an seine Lippen zu erheben, nachdem er den Händen der Uebrigen entfallen ist, den Scheiterhaufen anzünden will! Schwört es bei Eueren verlorenen Geliebten, Eltern verlorenen Freunden, Eueren verlorenen Schätzen und bei Eueren eigenen, den Freuden des Weines und der Reinigung des Feuers geweihten Leben.«

Als Vetranio mit blitzenden Augen und geröthetem Gesicht auf sein Lager zurücksank, erhoben sich seine Genossen, von dem bereits getrunkenem Weine angefeuert den Becher in der Hand und wendeten sich ihm zu. Ihre mißtönig gemischten Stimmen sprachen zusammen den Eid aus und dann wendeten sich, als sie ihre früheren Lagen wieder annahmen, ihre Augen in glühender Erwartung dem schwarzen Vorhange zu.

Sie hatten den düsteren sarkastischen Ausdruck im Auge Vetranio’s, als derselbe von seinem versteckten Gaste sprach, bemerkt, sie wußten, daß der Bucklige Reburrus unter seinen übrigen belustigenden Fähigkeiten noch die Bauchrednerei verstand, und sie vermutheten die Gegenwart der häßlichen und grotesken Bildsäule eines heidnischen Gottes oder Dämons in der verborgenen Nische, welchen die Gauckelei des Parasiten mit der Kraft der Rede begaben sollte. Sie erwarteten gotteslästerliche Kommentare über Leben, Tod und Unsterblichkeit. Vetranio bemerkte das allgemeine Verlangen nach dem Zurückziehen des Vorhanges, er winkte den Gästen mit der Hand Schweigen zu und rief gebieterisch:

»Die Stunde ist noch nicht gekommen, es muß mehr getrunken werden, es müssen mehr Libationen verschüttet worden sein, ehe das Geheimniß des Vorhangs offenbart wird.«

»He, Glyco,« fuhr er zu dem Sängerknaben gewendet, der schweigend in das Zimmer getreten« war, fort; »jetzt ist der Augenblick gekommen. Stimme Deine Leier und singe meine letzte Ode, die ich an Dich gerichtet habe. Die Reize der Dichtkunst mögen den Vorsitz über das Fest des Todes führen.«

Der Knabe trat zitternd vor. Sein einst von der Röthe der Gesundheit strahlendes Gesicht war farbloß und eingefallen, seine Augen hefteten sich mit einem Blicke starren Entsetzens auf den starren Vorhang, seine Züge zeigten deutlich die Gegenwart einer geheimen furchtbaren Erinnerung an, die alle seine übrigen Fähigkeiten und Wahrnehmungskräfte erstickt hatte. Er wendete fortwährend und fast wie schuldbewußt sein Gesicht von dem seines Herrn ab und stand —— ein schwaches gefallenes Wesen, ein trauriges Schauspiel schlecht an gewandter Gelehrigkeit und entwürdigter Jugend, —— an Vetranio’s Lager.

Den Pflichten seines Berufes getreu, ließ er jedoch seine magern zitternden Finger über die Leier streifen und spielte mechanisch die Einleitung der Ode. Während der aufmerksamen Stille, die jetzt eingetreten war, drang jedoch das wirre Geräusch von dem Volke auf der Straße deutlicher in den Banketsaal und in diesem Augenblicke erhob sich über Alle —— rauh, rasend, entsetzlich —— die Stimme eines Mannes.

»Sprecht mir nicht von aus dem Palaste kommenden Wohlgerüchen!« schrie sie —— »faule Dünste strömen daraus herab! —— Seht, sie senken sich erstickend über mich. Sie baden Himmel und Erde und die Menschen, die sich um uns bewegen, in grausigem, grünen Lichte!«

Hierauf unterbrachen ihn andere schrille, wilde Männer- und Weiberstimmen: ——

»Ruhe, Darus, Du erweckst die Todten um Dich her! verbirg Dich in der Finsterniß, Du bist von der Pest getroffen, Deine Haut ist verschrumpft, Dein Zahnfleisch ist zahnlos. Wenn der Palast angezündet wird, so sollst Du in die Flammen geworfen werden. Damit Dein verfaulter Leichnam gereinigt wird.«

»Singe!« rief Vetranio wüthend, als er den Schauder bemerkte, welcher den Körper des Knaben durchlief und ihn sprachlos erhielt —— »schlage die Leier an, wie Timotheus vor Alexander! ersticke das Bellen der Köter, die auf der Straße auf unsern Abfall warten, durch wohlklingende Töne!«

Der entsetzte Knabe begann schwach und mit häufigen Unterbrechungen sein Lied, zu dessen heidnischer Philosophie das wilde anhaltende Gelärme der stöhnenden Stimmen vor dem Hause eine schaurige Begleitung lieferte. Er lautete ungefähr so:

An Glyco.

Was, Glyco, soll Dein Blumenkranz
Wie bald verbleicht sein bunter Glanz
Zu Staub und todtem Wust.
Doch schneller noch verweht im Wind
Das erdgebor’ne Himmelskind,
Die Freud’ in unsrer Brust!

Die Wolke, die am Himmel zieht,
Die warm im Sonnenschein erglüht,
Und plötzlich dann vergeht;
Sie ist des Menschenlebens Bild,
Das heut das Wohlsein fröhlich schwillt
Und morgen schon verweht!

Wie Blinde tappen wir umher,
Beherrscht vom blinden ungefähr,
Das spöttisch uns verlacht.
Doch zu verlassen diese Welt,
Wenn sie uns einst nicht mehr gefällt,
Das steht in unsrer Macht!

Ist der wohl klug, der träge sinnt
Bis seines Lebens Sand verrinnt,
Wenn’s seine Lust verliert?
Nein, wenn der äußre Glanz verschwand,
So werft das Spielzeug aus der Hand,
So leicht wie Ihr’s geführt!

»Auf Glycos Gesundheit! einen vollen Becher auf den Sänger, der vom Himmel auf die Erde herabgekommen ist!« riefen die Gäste, sobald die Ode zu Ende war, indem sie ihre Weinbecher ergriffen und dieselben bis auf den letzten Tropfen leerten.

Ihr trunkener Beifallsruf drang jedoch nicht bis in das Ohr, für welches derselbe bestimmt war. Die Stimme des Knaben hatte beim Singen des letzten Verses der Qde plötzlich einen schrillen, fast schaurigen Ton angenommen, war dann plötzlich wieder bei den letzten wenigen Roten fast unhörbar geworden und jetzt, als die Zuhörer sich ihm mit beifälligen Blicken zuwendeten, sahen sie ihn kalt, starr und tonlos vor sich stehen. Im nächsten Augenblicke verzerrten sich seine Züge, sein ganzer Körper sank, wie von einem inneren Krampf zerrissen, zusammen —— er fiel schwer auf den Boden nieder. Die Gäste näherten sich ihm mit schwankendem Gange und hoben ihn in ihren Armen auf. Seine Seele hatte die Fesseln des Lasters zersprengt, in welche sie von andern geschlagen worden war, die Stimme des Todes hatte dem Sklaven der großen Despotin, Sünde, zugeflüstert: »sei frei!«

»Wir haben den Schwan seine eigne Leichenhymne singen hören,« sagte der Patrizier Placidus, indem er mit trunkenem Mitleid von der Leiche des Knaben zu dem Gesichte Vetranio’s aufblickte, welches jetzt einen unwillkürlichen Ausdruck von Schmerz und Reue wahrnehmen ließ.

»Unser Wunder der Schönheit und Götterknabe der Melodie ist vor uns nach den elisäischen Feldern gegangen!« murmelte der bucklige Reburrus in rauhen sarkastischen Tönen.

Während der kurzen Stille, die jetzt eintrat, wurden die Stimmen von der Straße, an welche sich nun das Geräusch nahender Schritte auf dem Pflaster schloß, wieder deutlich hörbar.

»Etwas Neues! etwas Neues!« riefen die frischen Hilfstruppen, der schon vor dem Palaste versammelten Schaar. »Haltet Euch zusammen, wenn Ihr auf Euer Leben noch Werth legt! Es sind einzelne Bürger von fremden Männern in einsame Straßen gelockt worden und nie wieder zum Vorschein gekommen. In einem Fleischerladen hat man Krüge von frischgesalzenem Fleisch gefunden, die von keinem Thiere in der Stadt kommen konnten, da keines mehr lebt. Bleibt bei einander! bleibt bei einander!«

»Die Leiche meines armen Knaben soll von keinem Kannibalen unter dem Pöbel entweiht werden»rief Vetranio, der sich jetzt aus seiner kurzen Lethargie des Schmerzes aufraffte. »Komm, Thascius! Marcus! die Ihr noch stehen könnt, wir wollen ihn auf den Scheiterhaufen tragen. Er ist zuerst gestorben, seine Gebeine sollen zuerst zu Asche werden!«

Der Körper wurde nach dem unteren Ende des Zimmers getragen und quer über den Tisch, an den schwarzen Vorhang und zwischen die Haufen von gewebten Stoffen und Hausrath gelegt, die dort an den Wänden aufgethürmt waren. Als die Gäste wieder aus ihre Plätze zurück schwankten, rief Vetranio, der an der Seite des Leichnams zurückgeblieben war, indem er ein kleines Weingefäß in seine zitternden Hände nahm, in Tönen wilden Triumphes:

»Die Stunde ist gekommen, das Banket des Hungers ist zu Ende, das Banket des Todes hat begonnen! Aus die Gesundheit des Gastes hinter dem Vorhange! Schenkt ein! Trinkt! seht!«

Er that einen tiefen Zug aus der Vase und zog die schwarze Draperie über sich bei Seite. Den berauschten Gästen entfloh ein Schrei des Schreckens und Erstaunens, als sie, in dem jetzt vor ihre Augen tretenden Raume, die weißgekleidete Leiche eines alten Weibes auf einem hohen schwarzen Throne, mit ihnen zugekehrtem Gesicht und künstlich unterstützten, wie strafend über den Bankettisch ausgestreckten Armen, erblickten.

Die gelbe Glaslampe, welche hoch über dem Körper brannte, warf ein grelles flackerndes Licht auf denselben. Die Augen standen! offen, die Kinnlade war herabgefallen das lange graue Haar hing schwer zu beiden Seiten der weißen hohlen Wangen herunter.

»Seht!« rief Vetranio auf die Leiche deutend, »seht meinen geheimen Gast! Wer eignet sich besser zum Vorsitze beim Banket des Todes, als die Todten? Ich habe Glyeo zur Hilfe gezwungen, von der freundlichen Nacht umhüllt, mich der ersten Leiche bemächtigt, die auf der Straße vor mir lag, und dort, von Allen ungeahnt, das passend sie Idol unserer Verehrung und den Philosophen bei unserm Feste hingesetzt! —— Noch eine Gesundheit auf die Königin des Todesgelages, auf die Lehrerin der Geheimnisse unsichtbarer Welten, die davon erlöst, unbegraben zu verwesen, mit den Senatoren von Rom in den geweihten Flammen untergehen wird! Auf die Gesundheit der Todten ehe sie die mystischen Enthüllungen beginnt! Schenkt ein —— trinkt!«

Durch das Beispiel ihres Wirthes angefeuert, von ihrem vorübergehenden Grausen zurückgekommen und durch die tolle Lustigkeit des Gelages bereits entflammt, sprangen die Gäste von ihren Ruhebetten auf und entsprachen Vetranio’s Aufforderung mit bachantischem Geschrei.

Die Seene näherte sich in diesem Augenblicke dem Uebernatürlichen. Die wilde Unordnung der schätzebeladenen Tische, der aus umgestürzten Gefäßen auf den Boden strömende Wein, die hell und ruhig die Verwirrung unter ihnen beleuchtenden Lampen, die feurigen Gebärden, die erhitzten Gesichter der Zechen wie dieselben in rasendem Triumphe die juwelenbesetzten Pokale über ihren Köpfen schwangen und dabei der entsetzliche grausige Anblick am unteren Ende des Saales, —— der schwarze Vorhang, das einsam auf seiner hohen Stange brennende Licht, die auf dem festlichen Tische liegende Knabenleiche, neben der der Herr des Hauses stand und gleich einem bösen Geiste spöttisch aufwärts nach dem weißgekleideten Körper des Weibes deutete, der sich in seiner Unnatürlichen Lage über Alle erhob, mit seinen ausgestreckten dürren Armen, mit seinen sich zu bewegen scheinenden Zügen, über die das schwache flackernde Licht der Lampe spielte —— Alles dies zusammen-genommen, bildete eine Combination von Gegenständen, welche aussahen, als ob sie kaum der Erde angehörten und deren Wirkung man eher malen, als beschreiben kann. Es war die Verkörperung der Vision eines Zauberers, —— eine Apokalypse der über die letzten Ueberreste der Sterblichkeit in den Hallen des Todes triumphierenden Sünde.

»An Deine Aufgabe, Reburrus!« rief Vetranio, als der Lärm sich gelegt hatte; »gehe unverzüglich an Deine Fragen! sieh den Lehrer, mit dem Du zu sprechen hast! lies das Pergament in Deiner Hand sorgfältig durch —— frage! frage laut —— Du sprichst zu einer apathischen Leiche.«

Der Buckelige hatte schon vor dem Sichtbarwerden des Leichnams eine Zeitlang an dem einen Ende des Banketsaales, dem schwarz verhangenen Raume gegenüber, gesessen und die Liste von Fragen und Antworten durchgesehen, die den Dialog bildeten, welchen er mit Hilfe seiner Bauchrednerkunst, mit der geschändeten Todten halten sollte. Als der Vorhang zurückgezogen wurde, hatte er aufgeblickt und das Schauspiel, welches sich hinter demselben aufthat, mit einem Lachen brutalen Spottes begrüßt, worauf er sofort zu der Durchsicht des ihm anvertrauten blasphemistischen Formulars zurückgekehrt war. In dem Augenblicke, wo Vetranio seinen Befehl an ihn richtete, stand er auf, schwankte der Leiche zu, eröffnete, als er in ihre Nähe gekommen war, das Gespräch und begann in lauten höhnischen Tönen:

»Sprich, erbärmliches Ueberbleibsel gebrechlicher Sterblichkeit.«

Er hielt, nachdem er das letzte dieser Worte gesprochen, inne, und blickte, da er eine Stellung eingenommen, von wo das Licht der Lampe die steinernen Züge des Leichnams deutlich erkennen ließ, trotzig zu demselben auf. Plötzlich aber kam eine furchtbare Veränderung über ihn, das Manuscript entsank seiner Hand, sein mißgestalteter Körper zitterte und schwankte und ein kreischender Schrei des Wiedererkennens, der eher dem Heulen eines wilden Thieres, als einer Menschenstimme glich, entfloh seinen Lippen.

Im nächsten Augenblicke, als die Gaste aufsprangen, um ihn zu befragen oder zu verspotten, wendete er sich ihnen langsam entgegen.«So verzweifelt und berauscht sie auch waren, schreckte sie doch sein Blick in das tiefste Schweigen. Sein Gesicht war eben so bleich, wie das der Leiche über ihm —— große Schweißtropfen rannen auf demselben herab, wie Regen —— seine trockenen, glühenden Augen schweiften wild über die entsetzten Gesichter vor ihm, er streckte seine geballten Fäuste gegen sie aus und murmelte mit einem tiefen, stöhnenden Flüstern:

»Wer hat das gethan? —— meine Mutter! meine Mutter!«

Als diese wenigen Worte, von furchtbarer Bedeutung, wenn auch einfacher Form, in die Ohren derjenigen, welche er anredete, fielen, blickten die noch nicht ganz in Gefühllosigkeit Versunkenen einander für den Augenblick fast ernüchtert und sprachlos an. Jetzt hörte man nicht einmal mehr das Klappern der Weinbecher auf dem Bankettische, —— man vernahm nichts, als die noch immer bald anschwellenden, bald leiser werdenden Töne der Stimmen des Schreckens, des Spottes und der Pein von der Straße her und die heiseren convulsivischen Laute des Buckeligen, der noch von Zeit zu Zeit ausrief: »Meine Mutter! meine Mutter!«

Endlich redete Vetranio, der sich zuerst wieder erholte, den entsetzten und entarteten Elenden vor sich in Tönen an, die unwillkürlich bebten und gezwungen herauskamen:

»Wie, Reburrus!« rief er, »bist Du schon bis zum Wahnsinn betrunken, daß Du die erste Leiche, die ich zufällig auf der Straße gefunden und hierher gebracht habe, Deine Mutter nennst? War es, um von Deiner Mutter zusprechen, die wir, mag sie nun todt oder lebend sein, weder kennen, noch um die wir uns kümmern, daß Du hier zugelassen bist? Sohn der Dunkelheit und Erbe der Lumpen, was gehen uns Deine plebejischen Eltern an?« fuhr er fort, indem er seinen Becher wieder füllte und sich zu erheucheltem Zorn aufreizte. »Geh ohne Säumen an Dein Gespräch, wenn Du nicht aus dem Fenster geworfen werden willst, damit Du Dich unter den Pöbel, zu dem Du gehörst, mischen kannst.«

Der Buckelige beantwortete die Drohungen des Senators weder mit einem Worte, noch mit einem Blicke. Für ihn war die Stimme der Lebenden durch die Gegenwart der Todten erstickt. Die Vergeltung, welche ihm zu Theil geworden war, hatte sein moralisches Leben getroffen, wie ein Blitz sein physisches niedergeschmettert haben würde. Seine Seele rang in Folterqualen, als er an das furchtbare Schicksal dachte, welches die todte Mutter zum Gerichte über den entarteten Sohn herbeigeführt —— welches die Hand des Senators gelenkt hatte, ahnungslos die Leiche der mißhandelten Mutter zum Gegenstande der verbrecherischen Lustigmacherei des ruchlosen Sohnes gerade am Ende seiner sündigen Laufbahn zu machen. Sein früheres Leben stieg vor ihm zum ersten Male, wie ein häßliches Gespenst, wie ein Alp des Schreckens, der Schmach und des Verbrechens vor ihm auf. Er schwankte, sich an der Wand hintastend, als ob mitternächtliche Finsterniß seine Augen geschlagen hatte, das Zimmer entlang und kauerte an dem offenen Fenster nieder. Unter ihm erhoben sich die Unheil verkündenden Stimmen von der Straße, um ihn breitete sich der dem Verderben geweihte Prunk seiner Herren aus. Vor ihm stand die strafende Erscheinung der Leiche.«

Er würde nur kurze Zeit an seinem Zufluchtsorte unbelästigt geblieben sein, wenn die Aufmerksamkeit Vetranio’s und seiner Gäste nicht durch ein neues Ereigniß von ihm abgelenkt worden wäre. Sie hatten heftig getrunken, um jede Erinnerung an die so eben gesehene Katastrophe zu ertränken, und drei von den Zechern waren bereits den schlimmsten Folgen eines Excesses, welchen ihre geschwächten Körper nicht mehr ertragen konnten, erlegen. Einer nach dem Andern fiel in kurzen Zwischenräumen bewußtlos auf sein Ruhebett zurück und in dem Maße, wie sie kampfuntüchtig wurden, verlöschte man die drei ihnen zunächst brennenden Lampen. Für ihre übrigen Gefährten, mit Ausnahme Vetranio’s und der beiden zu seiner Rechten und Linken lehnenden Patrizier schien die gleiche, schnelle Beendung der Orgie in Aussicht zu stehen. Jene drei bewahrten noch den Schein der Fassung, auf ihren Gesichtern war jedoch bereits eine ominöse Verwandlung eingetreten. Der Ausdruck wilder Lustigkeit und Leichtsinnigkeit war von ihren Zügen verschwunden —— sie beobachteten einander schweigend mit wachsamen argwöhnischen Augen und Jeder berührte, wenn er seinen Weinpokal füllte, bedeutsam die Fackel, mit welcher der letzte Trinker den Scheiterhaufen anzünden sollte. Mit dem Abnehmen der Zahl ihrer Rivalen und dem Verlöschen einer Lampe nach der andern, erlangte auch der Wettstreit um die höchste selbstmörderische Würde ein mächtiges Interesse, über welchem alle übrigen Zwecke und Absichten in Vergessenheit geriethen. Die Leiche am Fußende des Bankettisches und der in seiner Verzweiflung am Fenster kauernde Elende blieben jetzt gleich unbeachtet. In dem verwirrten und verthierten Geiste der Gäste herrschte nur noch ein Gefühl, —— die bange Erwartung, welche dem Ausgange eines tödtlichen Kampfes vorangeht.«

Bald aber wurde von dem Buckeligen die Aufmerksamkeit erweckt, welche ihm sonst vielleicht nie wieder zu Theil geworden sein würde, als er, von dem Geiste der Reue in seinem Innern bewegt, mit stöhnender Stimme eine seltsame Beichte der Entartung und Sünde ablegte, die an Keinen gerichtet, von seinem Bewußtsein oder Willen unabhängig, aus den Tiefen seiner zu Boden gedrückten Seele hervordrang. Er richtete sich halb auf und heftete seine eingesunkenen Augen auf die Leiche, während von seinen Lippen die Worte fielen:

»Es war das letzte Mal, daß ich sie lebend erblickte, als sie sich mir einsam und schwach und arm auf der Straße näherte und mich anflehte, in den Tagen ihres Greisenalters und ihrer Einsamkeit zu ihr zurückzukehren und mich zu erinnern, wie sie mich in meiner Kindheit gerade meiner Mißgestalt wegen geliebt, wie sie mich auf den Straßen von Rom bewacht hatte, damit mich Keiner unterdrücken oder verspotten möge! Die Thränen liefen über ihre Wangen herab, sie kniete auf dem harten Pflaster vor mir nieder und ich, der ich sie wegen ihrer Armuth verlassen hatte, um mich in Palästen zum Sklaven der verfluchten Reichen zu machen, warf ihr Geld zu, wie einer Bettlerin, die mich langweilte, und ging weiter! Sie starb trostlos —— ihr Körper lag unbegraben da, und ich wußte es nicht! Der Sohn, der die Mutter verlassen hatte, sah sie nicht eher wieder, als bis sie sich dort vor ihm erhob —— rächend, entsetzlich, leblos! ein Anblick des Todes, welcher ihn nie wieder verlassen wird! Wehe, wehe dem in seiner Mißgestalt Verfluchten, dem durch die Leiche seiner Mutter Verfluchten!«

Er schwieg und fiel sprachlos wieder zu Boden. Der tyrannische Thascius betrachtete ihn mit von trunkenem Zorne verfinstertem Gesicht, ergriff eine leere Vase, und schwang sie in seiner geschwächten Hand, um sie auf die am Boden liegende Gestalt des Buckeligen zu schleudern, als sich wieder ein einzelner Schrei —— der eines Weibes, über den zunehmenden Stimmenaufruhr auf der Straße erhob und kreischend und durchdringend den Banketsaal durchschallte. Der Patrizier verschob, als er hinhörte, die Ausführung seiner Absicht und lauschte mechanisch mit der halb verdummten, halb schlauen Aufmerksamkeit des Rausches.

»Hilfe! Hilfe!« kreischte die Stimme unter den Palastfenstern. »Er folgt mir immer noch, er hat mein todtes Kind in meinen Armen angefallen! Als ich mich auf den Boden darüber warf, sah ich ihn die Gelegenheit abwarten, um es bei den Gliedern unter mir vorzuziehen! —— Hunger und Wahnsinn waren in seinen Augen —— ich trieb ihn zurück —— ich floh —— er folgt mir immer noch! —— rettet uns! rettet uns!«

In diesem Augenblicke wurde ihre Stimme plötzlich durch wildes Geschrei und heranstürmende Schritte erstickt, woraus ein furchtbarer Lärm von schweren Schlägen folgte, die an mehreren Punkten gegen die Stahlgitter vor dem Palastthoren gerichtet waren. Zwischen den Schlägen, die in regelmäßigen Zwischenräumen langsam und gleichzeitig geführt wurden, konnte man die wüthenden Bösewichter, die ihre letzten Kräfte dazu aufs Aeußerste anstrengten, einander athemlos zuschreien hören: —— »Schlagt stärker! schlagt länger! die Hinterthore werden vor uns von unseren Kameraden bewacht, die an unserer Stelle zur Plünderung des Palastes eingelassen worden sind. Wer an der Beute Theil haben will, möge kräftig zuschlagen! Die Steine sind zu Euern Füßen, die Eingangsthüren geben nach.«

Mittlerweile wurde ein wirrer Lärm von schwer auffallenden Füßen und streitenden Stimmen aus den unteren Gemächern des Palastes vernehmlich. Thüren wurden mit Heftigkeit geschlossen und geöffnet —— Geschrei und Verwünschungen hallten in den hohen steinernen Gängen wieder, die von den Sklavengemächern nach der Haupttreppe führten; der Verrath zeigte sich in dem Gebäude eben so offen, wie sich von Außen in dem Sturme auf die Thore noch die Gewaltthätigkeit wahrnehmen ließ. Die ersten Sklaven waren nicht ohne Grund von ihren Genossen beargwöhnt worden, die Banden der Plünderung und des Mordes hatten sich in dem Hause der Ausschweifung und des Todes organisiert, ihre auserwählten Anhänger von der Straße waren insgeheim durch die Gartenthüren eingelassen worden und hatte sie zum Schutz vor dem Eindringen Anderer verbarrikadiert und Wachen daran gestellt —— den dem Tode geweihten Senatoren nahte ein anderes Ende, als das, welches sie sündiger Weise für sich selbst bereitet, von den Sklaven, die sie bedrückt und den Plebejern, die sie verachtet hatten.

Beim ersten Lärme des Sturmes von Außen und der ersten Wahrnehmung der Verrätherei im Innern sprangen Vetranio, Thascius und Marcus von ihren Ruhebetten auf, während die übrigen Gäste, zum Denken, wie zum Handeln gleich unfähig, in stumpfer Bewußtlosigkeit daliegend, ihr Schicksal erwarteten. Diese drei waren die Einzigen, welche die sie bedrohende Gefahr begriffen und forderten, vom Weine zum Wahnsinn getrieben, in ihrer rasenden Verzweiflung, den ihnen drohenden Tod heraus.

»Horcht, er kommt! der Pöbel, der sich gegen unsere Herrschaft aufgelehnt hat!« rief Vetranio verächtlich. »Er will das Leben nehmen, welches wir verschmähen, und die Schätze, die wir aufgegeben haben. Die Stunde ist gekommen! ich werde hingehen und den Scheiterhaufen anzünden, der unsere Mörder der gemeinschaftlichen Vernichtung mit uns weiht!«

»Halt!« rief Thascius, indem er ihm die Fackel aus der Hand riß; »zuerst muß der Eingang geschützt werden, wenn nicht die Sklaven hier sein sollen, ehe die Flammen entzündet sind! Laßt uns alles Bewegliche, Ruhebetten, Tische, Leichen vor die Thür werfen!«

Mit diesen Worten stürzte er auf die schwarz verhangene Nische zu, um durch das Ergreifen der Weiberleiche seinen Genossen das Beispiel zu geben, er hatte jedoch kaum die Hälfte des Zimmers durchmessen, als der Buckelige, der ihm unbemerkt gefolgt war, von hinten auf ihn einsprang, mit einem kreischenden Schrei seine Finger in die Kehle des Patriziers schlug und ihn zerfleischt und besinnungslos auf den Boden schleuderte.

»Wer wagt es den Körper, der mein ist, anzurühren!« kreischte der mißgestaltete Elende, indem er sich von seinem Opfer erhob und mit seinen blutbefleckten Händen Vetranio und Marcus bedrohte, die verblüfft und für den Augenblick unschlüssig, ob sie zuerst ihren Kameraden rächen oder die Thür verbarrikadieren sollten. »Der Sohn wird die Mutter retten! Ich gehe um sie zu begraben! Buße! Buße!«

Er sprang bei diesen Worten auf den Tisch, zerriß mit unwiderstehlicher Kraft die Stricke, womit die Leiche an den Tisch befestigt war, nahm sie in seine Arme und befand sich im folgenden Augenblicke an der Thür. Mit wildem, unartikulirtem Geschrei, halb der Pein und halb des Trotzes riß er sie auf und wollte eben hinabsteigen, als ihm am oberen Ende der Treppe die Mörderbande begegnete, welche mit blanken Schwertern und lodernden Fackeln zu ihrem Raub und Mordwerke heraneilte. Er stand vor ihnen —— seine verzerrten Glieder waren so fest gegen den Boden gestemmt, als rüste er sich mit einem Satze bis an den Fuß der Treppe hinabzuspringen —— die Leiche war hoch erhoben, ihre gespenstischen Züge waren ihnen zugewendet und ihre nackten Arme noch ausgestreckt, wie sie es über den Bankettisch gewesen waren, ihr graues Haar flatterte rückwärts und vermischte sich mit dem seinen —— in dem ungewissen Licht der Fackeln, welches roth und flackernd auf ihm und seiner furchtbaren Last spielte, sah es aus, als ob die Todte und der Lebende in eine monströse Gestalt zusammengefügt wären.

Die Mörder standen einen Augenblick zusammengedrängt bewegungslos auf der Treppe; das Rache- und Wuthgeschrei erstarb auf ihren Lippen und sie starrten mechanisch mit stieren Blicken auf das grausige Bollwerk, welches sich ihrem Eindringen auf die Opfer, die sie so leicht überraschen zu können, erwartet hatten, entgegenstellte —— im nächsten Augenblick bemächtigte sich ihrer ein abergläubischer Schrecken, als der Buckelige sich plötzlich auf sie zu bewegte, um hinabzusteigen, schien die Leiche, wie es ihren von Entsetzen geblendeten Augen vorkam, auf dem Punkte zu stehen, sich einen Weg Durch ihre Reihen zu brechen. Mit ihrem Eindringen in den Palast unbekannt, und mit neubelebter, sklavischer Furcht glaubend, daß sie das gespenstische Erzeugniß der magischen Beschwörungen der Senatoren über ihnen sei, wendeten sie sieh wie von einem Entschlusse getrieben und flohen die Treppe hinab. Der Lärm ihrer Schreie wurde schwächer und schwächer, als sie durch die geheimen Pforten auf der Rückseite des Gebäudes dem Garten zueilten dann wurde das schwere regelmäßige Auftreten des Buckeligen, als er ihnen durch die einsamen Gänge mit seiner Todeslast nachschritt, in entsetzlicher Deutlichkeit hörbar, dann verklang und erstarb auch dieser Ton und man hörte in dem Banketsaale nur noch das scharfe Klirren der immer noch von der Straße aus gegen die Stahlgitter geführten Streiche.

Jetzt wiederholten sich aber auch diese immer seltener, das feste Metall widerstand siegreich den äußersten Anstrengungen des erschöpften Pöbels, welcher es bestürmte, die Streiche wurden schnell schwächer und die Zahl derjenigen, welche sie führten, geringer; bald verminderten sie sich bis auf drei einander nach langen Pausen folgende, bald auf einen von tiefen verzweifelten Verwünschungen begleiteten und dann senkte sich eine Grabesstille auf den Palast und die Straße, wo vor wenigen Augenblicke noch solcher Lärm und Verwirrung das nächtliche Echo aufgeschreckt hatte.

Im Banketsaale ging diese schnelle Reihenfolge von Ereignissen, —— die auf einige Minuten zusammengedrängten Wunder —— an Vetranio und Marcus vorüber, wie Visionen, welche ihre Augen erblickten, die aber von ihrem Geiste weder aufgenommen noch begriffen wurden. Starr in ihrer hartnäckigen Gleichgültigkeit verharrend, von dem Schauspiele der ihnen drohenden, aber unschädlichen, entsetzlichen aber schnell vorübergehenden Gefahren, die sie umgaben, betäubt, bewegte von den Senatoren keiner eine Muskel, sprach Keiner ein Wort und diese Stille dauerte von der Periode an, wo Thascius dem Angriffe des Buckeligen unterlegen war, bis zu dem, wo der letzte Streich gegen die Palastgitter und die letzte Stimme aus der Straße verstummt waren. Dann lenkte sich der wilde Strom trunkenen Jubels, welcher während dieses kurzen Zwischenraumes unterbrochen gewesen war, wieder doppelt heftig in sein altes Bett. Sobald die warnenden, entsetzlichen Scenen, die sie erblickt hatten, vorüber waren, für dieselben bewußtlos, wendete sich Einer dem Andern mit einem Blicke triumphierender Leichtfertigkeit zu:

»Horcht!« rief Vetranio, »der Pöbel draußen ist bis zum letzten Augenblicke schwach und feig und gibt seine erbärmlichen Anstrengungen, meine Palastthore zu erbrechen, auf. Seht, unser Bankettisch ist immer noch vor dem Eindringen der empörten Sklaven geheiligt und mein Gast von den Todten hat sie vor sich hingetrieben, wie ein Hund die Heerde Schafe! Sprich Marcus, habe ich nicht wohl daran gethan, die Leiche an den Fuß unseres Bankettisches zu bringen? Welche Wunder hat sie nicht gethan, als sie der rasende Reburrus wie ein Panier der Heerschaaren des Todes vor uns her gegen die feigen Sklaven trug, deren passendstes Erbtheil die Unterdrückung und deren einziges Gefühl die Furcht ist! Seht, es steht uns frei das Banket, wie wir es beabsichtigt hatten, fortzusetzen und zu beenden! Die Götter selbst sind eingeschritten, um uns in Sicherheit über die übrigen Sterblichen, die wir verachten, zu erheben! Noch eine Gesundheit auf unsern geschiedenen Gast, der unter den Auspicien des allmächtigen Zeus das Werkzeug unserer Erlösung war.«

Von allen Zechern entsprach Marcus allein Vetranio’s Aufforderung. Diese beiden, —— die letzten noch kampffähigen Streiter des Gelages, gingen, nachdem sie ihre Pokale auf die vorgeschlagene Gesundheit geleert hatten, langsam zu beiden Seiten des Zimmers hinab, blickten verächtlich auf ihre bewußtlosen Genossen nieder und verlöschten alle Lampen, bis auf die beiden über ihren Ruhebetten brennenden. Hierauf kehrten sie wieder nach dem oberen Ende des Tisches zurück und nahmen ihre Plätze wieder ein, um sie nicht eher zu verlassen, als bis der Todeskampf entschieden und der Augenblick zum Anzünden des Scheiterhaufens gekommen sein würde.

Die Fackel lag zwischen ihnen, und neben ihnen standen die letzten Gefäße mit Wein. Die tiefe wieder im Palast herrschende Stille wurde durch kein Wort von ihren Lippen unterbrochen. Mit düster forschend auf einander gehefteten Augen leerten sie langsam und regelmäßig ihre Becher. Die Orgie, welche bisher ein Schauspiel brutaler Entartung und wilder Lust geboten hatte, nahm jetzt, wo sie sich bloß auf zwei Männer beschränkte, an denen die eben erlebten Schreckensscenen gleich eindruckslos vorübergegangen waren und die mit einander wetteiferten, wem der höchste Grad der Entartung zu Theil werden sollte, —— ein Aussehen kaum menschlichen Frevels an, sie wurde zu einem Kampfe um eine satanische Ueberlegenheit in der Sünde.

Eine Zeitlang war auf den Gesichtern der Nebenbuhler um den Selbstmord nur geringe Veränderung zu erblicken. Sie waren aber jetzt bis zu dem äußersten Punkte des Excesses gelangt, wo der Wein entweder als sein eigenes Gegengift wirkt, oder die Pulse des Lebens todtähnlich erstickt. Für beide nahte die Krisis des Kampfes und der Erste, über welchen sie hereinbrach, war Marcus. Vetranio bemerkte wie eine dunkle purpurne Röthe sein bisher blasses, fast farbloses Gesicht überzog. Seine Augen dehnten sich plötzlich weit auf, er rang nach Athem. Die Weinvase, aus der er mit einer letzten Anstrengung seinen Becher zu stillen versuchte, rollte aus seiner Hand auf den Boden. Er richtete sich halb auf und blickte seinen Genossen leichenstarr an, im nächsten Momente aber sank er ohne Wort oder Seufzer rückwärts auf sein Lager nieder.

Der Kampf der Nacht war entschieden. Der Wirth des Bankets und Herr des Palastes blieb allein aufgespart, um das Eine zu beenden und den Andern anzuzünden.

Ein boshaft triumphierendes Lächeln zog über Vetranio’s Lippen, als er jetzt aufstand und die letzte außer seiner eignen noch brennenden Lampe verlöschte. Sobald dies geschehen war, ergriff er die Fackel. Seine Augen schweiften, als er dieselbe erhob, träumerisch über seine prunkend aufgestellten Schätze und die Gestalten seiner todten oder bewußtlosen patrizischen Zechgenossen, die durch seine That im Feuer untergehen sollten. Das Bewußtsein seiner feierlichem nächtlichen Einsamkeit in seinem, dem Verderben geweihten Palaste begann wechselnde, lebhafte Eindrücke auf seinen Geist hervorzubringen, der jetzt unter der physischen Reaktion, die eben das Ausschweifende des nächtlichen Excesses in ihm hervorbrachte, wieder einen Theil seines gewohnten Scharfsinns erlangt hatte. Sein Gedächtniß begann in wirrer Reihenfolge die Scenen heraufzurufen, mit welchen das Gebäude, das er eben zu vernichten im Begriff stand, zu weit oder nahe zurückliegenden Perioden verbunden gewesen war. In dem einen Augenblicke stellte sich der Pomp früherer Gelage, die joviale Versammlung von seitdem entfernten oder gestorbenen Gästen vor ihn hin, in dem andern schien er wieder seine geheime Entfernung aus seinem Palaste in der Nacht von seinem letzten Feste, seine verstohlene Rückkehr mit der aus der Straße heraufgeschleppten Leiche, seine Mühe beim Aufrichten derselben hinter dem schwarzen Vorhange und dem Schreiben des Dialogs, der von dem Buckeligen hatte gesprochen werden sollen, durchzuspielen. Bald wendeten sich seine Gedanken den geringfügigsten Umständen der Verwirrung und dem Schrecken unter den Mitgliedern seiner Haushaltung zu, als sich die erste Noth der Stadt fühlbar zu machen begann; bald kehrten sie ohne deutlichen Zusammenhang oder Grund plötzlich zu dem Morgen zurück, wo er die einsamsten Pfade seines Gartens durcheilt hatte, um mit dem Verräther Ulpius an Numerian’s Gartenthür zusammenzutreffen. Von Neuem wurde das Bild Antoninens, das sich, seit das Original seinen Augen entschwunden war, so oft vor seine Einbildungskraft gestellt hatte, deutlich und wie handgreiflich vor ihm sichtbar. Er dachte an sie, wie sie zu seinen Knieen dem Klange seiner Laute lauschte —— wie sie verwirrt und entsetzt in seinen Armen erwachte —— wie sie verzweifelnd vor dem Grimme ihres Vaters floh wie sie jetzt nur zu gewiß todt in ihrer Schönheit und Unschuld unter den tausend Opfern der Hungersnoth und Pest dalag.

Diese und andere Gedanken, welche einander mit Sturmeseile in seinem Geiste folgten, brachten in der Todesabsicht, die sie aufhielten, keine Veränderung hervor. Sein Zögern beim Anzünden der Fackel war der bewußtlose Verzug des in seinem Entschlusse festen Selbstmörders, ehe er den Giftbecher an seine Lippen hebt, —— wo das Leben als etwas Vergangenes vor ihm aufsteigt, und er einen furchtbaren Augenblick lang auf der dunkeln Schwelle zwischen der Gegenwart und Zukunft steht —— nicht mehr der Pilger der Zeit, —— noch nicht der Erbe der Ewigkeit.

So stand der einsame Herr des großen Palastes in der dämmernd erleuchteten Halle, umgeben von den Opfern, die er vor sich dem Tode zu gejagt hatte, und so sprachen die geheimnißvollen Stimmen seiner letzten irdischen Gedanken in seinem Innern. Allmälig wurden sie leiser, endlich hörten sie ganz auf und Stille und Oede legten sich wie dunkle Schleier über seinen Geist. Er schrak wie aus einem Traume erweckt auf, er fühlte wieder die Fackel in seiner Hand und von Neuem wurde in seinen Augen der Ausdruck wilder Verzweiflung sichtbar, als er dieselbe, ohne zu beben, an der Lampe über sich anzündete.

Der Thau sank rein auf die befleckte Erde nieder, der leichte Morgenwind sang seine leise Dämmerhymmne im Laube an die Macht, welche ihn hervorgerufen; die Nacht war verblichen und der Morgen bereits aus ihr geboren, als Vetranio mit der brennenden Fackel in der Hand auf die angehäuften Brennstoffe zuschritt.

Schon hatte er den größten Theil des langen Zimmers durchmessen, als plötzlich ein schwaches Geräusch von Schritten die eine nach dem Palastgarten führende und mit dem unteren Ende der Bankethalle durch eine kleine Thür mit eingelegtem Elfenbein in Verbindung stehende Treppe heraufstiegen, seine Aufmerksamkeit erregte. Er zauderte in seinem Todesbeginnen und lauschte auf den langsam und regelmäßig näher kommenden Ton, der so schwach er auch war, doch in dem öden Schweigen, welches ihn umgab, geheimnißvoll eindringlich an sein Ohr schlug. Mit hoch über den Kopf, gehaltener Fackel heftete er seine Augen in gespannter Erwartung auf die Thür, sie öffnete sich und vor ihm stand die Gestalt eines jungen weißgekleideten Mädchens. Auf einen Moment blickte er es mit verwirrten Augen an, im nächsten sank die Fackel aus seiner Hand und glimmte unbeachtet auf dem Marmorboden fort —— es war Antonina.

Ihr Gesicht war von einer seltsamen durchsichtigen Blässe überzogen —— ihre einst weichen runden Wangen hatten ihre mädchenhafte Schönheit der Form verloren, ihr unaussprechlich wehmüthiger, hoffnungsloser, milder Ausdruck warf eine einfache geistige Feierlichkeit über ihre ganze Erscheinung. Sie war für den ausschweifenden Senator eine ganz Andere, furchtbar Andere geworden, als das Wesen seiner früheren Bewunderung, aber in ihren verzweifelten Augen war noch genug von dem alten Blicke der Sanftmuth und Geduld vorhanden, der alle Qual und Furcht überlebt hatte, um sie selbst so, wie sie jetzt war, mit ihrem früheren Wesen in Verbindung zu erhalten. Sie stand als ein schwaches hilfloses Geschöpf in dem Gemache der Ausschweifung und des Selbstmordes, zwischen dem Scheiterhaufen und dem verzweifelten Manne, der ihn anzuzünden gelobt hatte, aber gewaltig war der Einfluß ihrer Gegenwart in einem solchen Augenblicke und in einer solchen Gestalt, als rettender, tadelnder, mit der Allmacht des Himmels zur Umschmelzung der Pläne des Menschen bewaffneter Geist.

Eingeschüchtert und mit Erstaunen, als erblicke er eine Erscheinung des Grabes, schaute Vetranio auf das junge Mädchen, welches er mit der am wenigsten selbstsüchtigen Leidenschaft, die er je gehegt, geliebt hatte, die mit dem aufrichtigsten Kummer, den er je gefühlt, schon längst als verloren und todt beklagt worden war, die er jetzt in dem Augenblicke, wo er sich dem Tode weihen wollte, verändert, trostlos, flehend —— mit Empfindungen die ihn in sprachloser Verwunderung und selbst Furcht erhielten, vor sich stehen sah.

Während er noch stumm auf sie blickte, hörte er sie in leisen wehmüthigen, stehenden Tönen zu sich sprechen, die nach den Stimmen des Schreckens und der Verzweiflung, die sich die Nacht über um ihn erhoben hatten, auf sein Ohr fielen, wie Töne, die noch nie an dasselbe gerichtet worden waren.

»Numerian, mein Vater, erliegt dem Hunger,« begann sie; »wenn ihm keine Hilfe gewährt wird, so stirbt er vielleicht noch vor Sonnenaufgang. Du bist reich und mächtig. Ich komme zu Dir, da ich außer seinem Leben jetzt nichts mehr habe, wofür ich leben möchte, um Nahrung für ihn zu erbitten!«

Sie hielt, für den Augenblick unfähig weiter zu sprechen, inne und heftete ihre Augen sehnsüchtig auf des Senators Gesicht. Dann, als sie sah, daß er sich umsonst bemühte ihr zu antworten, senkte sich ihr Kopf auf ihre Brust nieder und ihre Stimme sank noch leiser, indem sie fortfuhr.

»Ich habe die lange Nacht hindurch, die jetzt vergangen ist, unter Kummer und Schmerz nach Geduld gerungen; meine Augen waren schwer und mein Geist war schwach; ich würde gern in meiner Einsamkeit und Schwäche meinen Geist an Gott, der ihn geschenkt, zurückgegeben haben, wäre es nicht meine Pflicht gewesen, jetzt für mein und meines Vaters Leben zu ringen, da ich ihm, nachdem ich alles Andere verloren, zurückgegeben bin! Ich konnte weder denken noch mich bewegen, noch weinen als ich auf Deinen Palast herauf schaute und die Stunden der Finsterniß durchwachte und durchharrte, aber als der Morgen graute, wurde Last auf meinem Herzen leichter. Ich gedachte, daß der Palast, den ich vor mir sah, der Deine war, und wenn auch die Thore geschlossen waren, wußte ich doch, daß ich ihn durch Deinen Garten, der an meines Vaters Land stößt, erreichen konnte. Ich hatte in Rom Keinen, bei dem ich um Mitleid zu bitten wußte, als Dich und ich habe mich daher schnell aufgemacht, ehe mich meine Schwäche überwältigte. Ich gedachte, daß ich von Deinen Händen viel Elend erlitten, aber hoffte, daß Du mich um das, was ich geduldet, bedauern würdest, wenn Du mich wieder sähest. Ich bin müde und matt durch den Garten gekommen. Es dauerte lange, ehe ich mich hierher fand, willst Du mich eben so hilflos, wie ich gekommen bin, wieder zurücksenden? Du hast mir zuerst gelehrt, meinem Vater ungehorsam zu sein, indem Du mir die Laute gabst, wirst Du Dich jetzt weigern mir zu helfen und ihn zu unterstützen? Er ist Alles, was mir in der Welt geblieben ist! Habe Erbarmen mit ihm! habe Erbarmen mit mir

Von Neuem blickte sie in Vetranio’s Gesicht auf, seine bebenden Lippen bewegten sich, aber noch immer drang aus ihnen kein Laut. Auf seinen Zügen herrschte noch immer der Ausdruck der Verwirrung und der Verschüchterung, als er langsam nach dem oberen Ende des Bankettisches deutete. Für sie war diese einfache Handlung beredter, als es alle Reden gewesen sein würden. Sie lenkte ihre schwachen Schritte augenblicklich der von ihm angedeuteten Richtung zu.

Er sah sie im Lichte der einzigen noch brennenden Lampe stark in der beschirmenden Begeisterung ihrer guten Absicht zwischen den Körpern seiner Selbstmordgenossen hindurchgehen, ohne auf ihrem Pfade zu verweilen. Als sie an das obere Ende des Zimmers gelangt war, nahm sie eine Flasche Wein von dem Tische und von dem hölzernen Gestell dahinter die Schüssel mit Nahrung, welche die Gäste des Todesbankets verschmäht hatten. Hierauf kehrte sie augenblicklich wieder zu der Stelle zurück, wo Vetranio noch immer stand. Hier hielt sie einen Augenblick an, als wolle sie noch einmal sprechen, ihre Stimme wurde aber von ihren Empfindungen erstickt. Aus den Quellen, die die Verzweiflung und das Leiden vertrocknet hatte, flossen die lange eingekerkerten Thränen, auf das Gebot der Dankbarkeit und Hoffnung, noch einmal wieder hervor. Sie blickte eben so stumm wie der Senator zu ihm auf, und der Ausdruck, welchen sie in diesen« Augenblicke zeigte, war dazu bestimmt, —— in seinem Gedächtnisse zu bleiben, so lange er dieses selbst noch hatte. Darauf entfernte sie sich mit schwankenden, hastigen Schritten auf dem Wege, den sie beim Kommen eingeschlagen hatte, und er blieb von Neuem in dem großen Palaste, den sein schlimmer Einfluß über den Willen Anderer zu einem Gebeinhause gemacht hatte, allein.

Er machte keinen Versuch, ihr zu folgen oder sie zurückzuhalten, als sie ihn verließ. Die Fackel glimmte noch neben ihm aus dem Boden, aber er beugte sich nicht hinab, um sie aufzuheben; er sank von dem, was er erblickt hatte, betäubt auf ein leeres Ruhebett nieder. Das, was weder Bitten noch Drohungen, noch grimmiger, gewaltsamer Widerstand bei ihm zu bewirken vermocht haben würden, hatte das Erscheinen Antoninens hervorgebracht Es hatte ihn gezwungen, in dem Augenblicke der Ausführung seines Todesplanes innezuhalten. Er erinnerte sich, wie sie von dem ersten Tage an, wo er sie gesehen, einen geheimnißvollen Einfluß auf seinen ganzen Lebensgang geübt, wie sein Streben, sie zu besitzen, seine Beschäftigungen geändert und seine Unterhaltungen unterbrochen hatte, wie alle seine Energie und sein ganzer Reichthum nicht im Stande gewesen waren, sie zu entdecken, als sie aus ihres Vaters Hause floh, wie die ersten Gefühle der Reue, die er je gekannt hatte, durch sein Bewußtsein des Antheils, den er an der Herbeiführung ihres unglücklichen Schicksals gehabt, verursacht worden waren. Als er sich Alles dies ins Gedächtniß zurückrief, als er bedachte, daß sie, wenn sie sich ihm zeitiger genähert haben würde, von dem trunkenen Lärm seiner Genossen erschreckt, zurückgetrieben worden sein würde, und wäre sie später gekommen, seinen Palast in Flammen gefunden hätte. Als er zu gleicher Zeit an ihre plötzliche Gegenwart in dem Banketsaale dachte, während er sie für todt gehalten hatte, und wo ihr Erscheinen in dem Augenblicke des Anzündens des Palastes den unwiderstehlichsten Einfluß auf seine Handlungen geübt hatte, durchbebte ihn das unbestimmte Gefühl abergläubischer Furcht, welches instinktmäßig im Geiste aller Menschen existiert, aber bis her in dem seinen noch nie erweckt worden war. Seine Augen hefteten sich auf die Thür, durch die sie sich entfernt hatte, als erwarte er ihre Rückkehr. Ihr Schicksal schien bedeutsam mit dem seinen verflochten zu sein, —— sein Leben schien sich auf ihr Gebot zu bewegen, sein Tod auf dasselbe zu warten. In den Empfindungen, welche jetzt seine Körperkräfte unthätig erhielten, lag keine Reue, keine moralische Reinigung, —— er war für den Augenblick von einer geistigen Lähmung geschlagen.

Die rastlosen Augenblicke zogen weiter und weiter und immer noch verschob er die Vollendung des Verderbens, welches die Orgie der Nacht begonnen hatte. Allmälig wurde es heller und das Licht des Tages beschien in warmer Schönheit die kalten, in der stummen Halle ausgestreckt daliegenden Körper und trübte den schwachen Schein der verglimmenden Lampe, kein schwanzer Rauch, keine rothe, verzehrende Feuergluth stieg auf, um den hellen Schein des Morgens zu verdunkeln, kein Flammengebraus unterbrach die murmelnde Ruhe der Natur, oder schreckte die auf dem Straßenpflaster liegenden, erschöpften Auswürflinge aus ihrem schweren Schlafe auf. Der herrliche Palast stand in seinen festen Grundlagen noch unerschüttert da, die Zierrathen seiner Säulenhallen und seine Statuen schimmerten, wie vor Alters, in den Strahlen der aufgehenden Sonne, und immer noch hing die Hand des Herrn, welcher geschworen hatte, ihn zu vernichten, wie sich selbst, müßig ohne die Fackel, die bereits zu unschädlicher Asche zu seinen Füßen ausgeglimmt war, herab.



Kapiteltrenner

Kapitel IV.
Die letzten Versuche der Belagerten.

Wir kehren auf die Straße, vor dem Palaste zurück. Die unheilvollen Wirkungen der Belagerung waren schwer auf die herabgesunken, welche die Nacht über dort gelegen hatten. Von der lärmendem wüthenden Menge des vorigen Abends war jetzt nicht einmal mehr ein Ton zu vernehmen. Einige, die von Erschöpfung und Bewußtlosigkeit in ihrem Hungerparoxismus ergriffen worden waren, lagen mit halb in den Mund gepreßten Händen da, als hätten sie in ihrem heißhungrigen Wahnsinne versucht, von ihrem eigenen Fleische zu zehren, Andere erhoben von Zeit zu Zeit matt ihre schweren Augen und beachteten auf dem gegenwärtigen äußersten Punkte ihrer Leiden nicht mehr das Gebäude, dessen Vernichtung zu erblicken sie sich versammelt hatten, sondern erwarteten eine phantastische Verwirklichung der Träume von reichgedeckten Tischen und schneller Hilfe; die das Delirium des Hungers und der Krankheit wie im Spotte vor ihnen heraufbeschworen hatte.

In Kurzem und ehe sich noch die Sonne hoch über den Horizont erhoben hatte, wurde die Aufmerksamkeit der Wenigen unter dem Volke, die noch einige Wahrnehmungsfähigkeit für äußere Ereignisse bewehrten, auf das Erscheinen eines unregelmäßigen Zuges gelenkt, welcher zum Theil aus Bürgern, zum Theil aus Senatsbeamten bestand und von zwei Männern angeführt wurden, die langsam von dem nach dem Innern der Stadt führenden Ende der Straße herankamen. Der Zug hielt vor Vetranio’s Palaste an, und jetzt vernahmen diejenigen Mitglieder der Menge, welche noch nicht gänzlich von der Hoffnung verlassen waren, die erfreuliche Nachricht, daß der Zug, welchen sie erblickten, ein Friedenszug und die beiden Anführer desselben der Spanier Basilius, ein Provinzialstatthalter und Johannes, der oberste kaiserliche Notar, zu Gesandten ernannt seien, um einen Vertrag mit den Gothen abzuschließen.

Als diese Nachricht erschal1te, standen Männer, die bisher der geringsten Bewegung unfähig erschienen waren, mühsam, aber entschlossen auf und drängten sich um die beiden Gesandten, wie um zwei, sie von der Knechtschaft und dem Tode zu befreien, vom Himmel herabgestiegene Engel. Mittlerweile hatten sich einige von den Senatsbeamten, da sie die vorderen Thore des Palastes verschlossen fanden, nach den Garteneingängen aus der Rückseite des Gebäudes, verfügt, um Einlaß bei dem Besitzer zu erlangen« Die Abwesenheit Vetranio’s und seiner Freunde von den Regierungsberathungen war ihrem Widerwillen über den hartnäckigen, nutzlosen Widerstand, den man noch den Gothen leistete, zugeschrieben worden. Seht, wo man sich zur Unterwerfung entschlossen hatte, war es sowohl für räthlich, wie für leicht gehalten worden, sie peremtorisch zu ihren Pflichten zurückzurufen. Außer diesem Grunde, um das Innere des Palastes aufzusuchen, hatten die Diener des Senats dort noch einen andern Auftrag zu verrichten. Der weit herumgekommene Entschluß Vetranio’s und seiner Genossen, sich in dem Delirium einer letzten Orgie durch Feuer umzubringen, der so lange man die dringenden Gefahren der Stadt hatte berücksichtigen müssem unbeachtet geblieben war, wurde jetzt zu einer Quelle von Besorgniß und Aengstlichkeit für die geschäftsführenden Mitglieder des römischen Senats, seit ihr Geist von einem Theile der Veranwortlichkeit, welche auf ihnen gelastet hatte, durch ihren Entschluß, sich um den Frieden zu bewerben, befreit worden war.

Die jetzt nach dem Palaste gesendeten Personen erhielten demnach den Auftrag, seine Zerstörung zu verhindern, wenn dies wirklich beabsichtigt worden war, so wie die darin Befindlichen auf ihre Plätze im Senatshause zurückzurufen. In wiefern sie, zu der Zeit ihres Eindringens in, den Banketsaal ihre doppelte Sendung auszuführen vermochten, kann sich der Leser leicht berechnen. Sie fanden Vetranio noch immer auf dem Platze, welchen er eingenommen hatte, seit er von Antoninen verlassen worden war. Durch ihr Kommen aus der Betäubung aufgeschreckt, welche bisher auf ihm gelastet hatte, kehrte sein verzweifelter Vorsatz wieder zurück und er machte einen Versuch, die noch schwach brennende Lampe von ihrem Orte herabzureißen, und allem Eindringen zum Trotz den Scheiterhaufen anzuzünden. Seine bereits aufs Aeußerste angespannten Kräfte verließen ihn jedoch, er fiel, ohnmächtige Drohungen des Trotzes und der Rache ausstoßend, bewußtlos in die Arme der Senatsbeamten, welche ihn zurückhielten. Einer von ihnen wurde, während seine Collegen in dem Palaste zurückblieben, augenblicklich wieder fortgeschickt, um sich mit den Anführern des Zuges auf der Straße in Vernehmen zu setzen. Nachdem er seinen Bericht abgestattet hatte, trennten sich die beiden Gesandten von dem sie begleitenden Zuge und begaben sich langsam und nur von wenigen erwählten Dienern gefolgt —— eine traurige, entwürdigte Gesandtschaft von dem Volke, welches der östlichen und westlichen Welt einst seine Herrschaft, seine Gebräuche und selbst seine Sprache aufgezwungen hatte —— hinaus, um mit den Barbaren, die von ihren Vätern geknechtet worden waren, einen schmachvollen Frieden zu erhandeln.

Nach der Entfernung der Gesandten begaben sich alle noch der Anstrengung fähigen Zuschauer nach dem Forum, um dort ihre Rückkehr abzuwarten und trafen daselbst Mitglieder der niedrigen Volksklasse aus andern Theilen der Stadt. Man wußte, daß die erste Nachricht von dem Resultate der Gesandtschaft auf diesem Platze gegeben werden würde, und in ihrer eifrigen Begier, sie zu hören, in dem peinlichen Verlangen ihrer letzten Erlösungshoffnung schien selbst der Tod auf eine Zeitlang in seinem verderblichen Gange durch die Reihen der Belagerten gehemmt worden zu sein. In Schweigen und Besorgniß zählten sie die trägen Augenblicke des Verzugs und sahen mit bangem Blicke die Schatten kürzer und kürzer werden, als sich die Sonne allmälig am Himmel bis zum Mittagspunkt erhob.

Endlich nach einer Abwesenheit, welche von endloser Dauer zu sein schien, kamen die Gesandten wieder in die Stadt. Als sie bei ihrer Rückkehr durch das Volk schritten, sprach weder der Eine noch der Andere, aber ihre Blicke des Entsetzens und der Verzweiflung waren für Jeden, der sie sah, beredt genug —— ihre Sendung war mißlungen.

Eine Zeitlang schien kein Mitglied der Regierung Entschlossenheit genug zu besitzen, um aufzutreten und das Volk über die erfolglose Gesandtschaft anzureden. Nach einem langen Zwischenraume trat jedoch der Präfekt Pompejanus selbst, theilweise von den selbstsüchtigen Bitten seiner Freunde getrieben, theilweise auch von der kindischen Prunkliebe, die bei allen seinen jetzigen Aengsten und Besorgnissen noch nicht verschwunden war, bewegt, auf einen von den unteren Balkonen des Senatshauses, um die unter ihm stehende Volksmasse anzureden.

Die erste Magistratsperson von Rom war nicht mehr die pomphafte, stattliche Person, deren Eindringen bei Vetranio zu Anfange der Belagerung, im zweiten Bande beschrieben worden ist —— das wenige überflüssige Fleisch, welches sein Gesicht noch zeigte, hing um dasselbe her, wie ein schlecht angepaßtes Gewand, sein Ton war weinerlich geworden, er hatte die rednerischen Gebärden, mit welchen er seine früheren Ansprachen reichlich auszuschmücken gewohnt gewesen, alle aufgegeben, und von dem ursprünglichen Menschen war jetzt nichts mehr vorhanden, als der Bombast seiner Sprache und die unverschämte Selbstgefälligkeit seines Eigenlobs, die jetzt im verächtlichen Kontrast mit seiner niedergeschlagenen Haltung und seiner entmuthigenden Erzählung von Entwürdigung und Niederlage hervortrat.

»Ihr Männer von Rom, möge Jeder von Euch in seiner Person die heroischen Tugenden eines Regulus oder Cato üben,« begann der Präfekt »Es steht nicht in unserer Macht, einen Vertrag mit den Barbaren zu schließen. Die Geißel des Reiches, Alarich selbst befehligt das Heer der Eroberer. Vergeblich waren die würdevollen Vorstellungen des ernsten Basilius, fruchtlos war die überredende Rhetorik des schlauen Johannes, bei dem blutdürstigen, ruhmredigen Gothen! Als die Gesandten vor ihn gelassen wurden, verbreiteten sie sich, um ihn zu einer Kapitulation zu schrecken, mit klugem und lobenswerthem Patriotismus, über die Erfahrenheit der Römer im Gebrauch der Waffen, ihre Kriegsbereitschaft und ihre ungeheure Anzahl innerhalb der Stadtmauern. Ich erröthe die Antwort des Barbaren zu wiederholen. Er lachte unmäßiger und antwortete: Je dicker das Gras steht, desto leichter läßt es sich mähen! Ohne sich schrecken zu lassen, sprachen die Gesandten mit veränderter Taktik gutmüthig von ihrer Bereitwilligkeit, einen Frieden zu erkaufen. Bei diesem Vorschlage überstieg seine Unverschämheit alle Grenzen barbarischer Anmaßung: »Ich werde die Belagerung nicht eher aufgeben,« rief er, »als bis mir alles Gold und Silber in der Stadt, alle Waaren darin und alle Sklaven aus den nördlichen Ländern ausgeliefert sind.« »Was, o König, willst Du uns denn lassen?« fragten unsere entsetzten Gesandten. »Euer Leben»antwortete der unerbittliche Gothe. Als sie dies hörten, gerieth selbst der entschlossene Basilius und der weise Johannes in Verzweiflung. Sie verlangten Zeit, um sich mit dem Senat in Vernehmen zu setzen und verließen das feindliche Lager ohne Verzug. Dies war das Ende der Gesandtschaft, dies die anmaßende Verruchtheit des barbarischen Feindes.«

Hier hielt der Präfekt aus Schwäche und Mangel an Athem inne. Seine Rede war jedoch noch nicht zu Ende. Er hatte das Volk durch seine Erzählung desjenigen, was den Gesandten zugestoßen war, muthlos gemacht, er ging jetzt daran, es durch die Mittheilung eines ihm selbst begegneten Umstandes zu trösten, und fuhr nach einiger Zeit fort.

»Aber selbst jetzt noch, ihr Bürger von Rom, brauchen wir nicht zu verzweifeln! Es bleibt uns noch eine Aussicht auf Befreiung und diese Aussicht ist von mir entdeckt worden. Ich hatte das Glück, während der Abwesenheit unserer Gesandten einige Männer, aus Toskana zu treffen, die wenige Tage vor dem Anfange der Belagerung nach Rom gekommen waren und die von einem Plane zur Befreiung der Stadt sprachen, den sie nur dem Präfekten mittheilen wollten. Da ich stets für das öffentliche Wohl besorgt bin und zum Vortheile meines Amtes von Seiten Fremder Trotz biete, gewährte ich diesen Leuten eine geheime Unterredung Sie erzählten mir ein erstaunliches, wunderbares Ereigniß. Die Stadt Neveia, die, wie Ihr alle wißt, auf der direkten Straße der Barbaren lag, als diese nach Rom marschierten, wurde vor ihren Räuberbanden durch einen furchtbaren Gewittersturm beschützt. Dieser Sturm entstand nicht, wie Ihr vielleicht denken werdet, aus einem zufälligen Kampfe der Elemente, sondern wurde durch die ausdrückliche Einmischung der Schutzgottheiten der Stadt auf die Köpfe der Feinde geschleudert, nachdem die Einwohner in ihrer Gefahr wieder zu ihrer alten Religion zurückgekehrt waren und Jene angerufen hatten. So sagten die Männer von Toskana und solche fromme Hilfsmittel, wie die von dem Volke von Neveia angewendeten, empfahlen sie dem Volke von Rom! Ich meinestheils gestehe Euch, daß ich an ihren Plan glaube. Das Alterthum unserer früheren Religion ist meinen Augen immer noch ehrwürdig; die Gebete der Priester unseres neuen Glaubens haben zu unserm Besten noch keine Wunder bewirkt, ahmen wir daher das Beispiel der Bewohner von Neveia nach und schleudern wir durch die Macht unserer Gebete die Donner Jupiters auf das barbarische Lager! Laßt uns unsere Erlösung von der mächtigen Einwirkung der Götter erwarten, welche unsere Väter verehrt haben und die das Verlassen ihrer Tempel durch unser jetziges Unglück rächen. Ich gehe, um ohne Verzug dem Bischofe Innocentius und dem Senate die öffentliche Ausübung feierlicher Opferceremonien auf dem Capitole vorzuschlagen! Ich verlasse Euch in der freudigen Ueberzeugung, daß die durch unsere zurückgekehrte Treue für ihre Altäre beschwichtigten Götter den übernatürlichen Schutz, welchen sie den Einwohnern einer Provinzialstadt gewährt haben, dem römischen Volke nicht versagen werdend!«

Dem merkwürdigen Vorschlage des Präfekten, die Stadt durch den öffentlichen Glaubensabfall der Belagerten von der Belagerung zu befreien, folgte kein Ton der Billigung oder der Mißbilligung. Als er verschwand, wendete sieh die Zuhörerschaft wortlos ab. Eine allgemeine Verzweiflung überwältigte sich ihnen selbst die letzten Kräfte der Uneinigkeit und des Verbrechens, sie fügten sich mit der düsteren Gleichgültigkeit von Wesen, in denen alle menschlichen Empfindungen, alle menschlichen Leidenschaften, die guten sowohl, wie die bösen, erloschen waren, in ihr Schicksal. Der Präfekt entfernte sich um dem Bischofe einer christlichen Kirche die Rückkehr zum Heidenthume vorzuschlagen, aber weder die Regierung noch das Volk machte einen nutzbringenden Versuch, um Hilfe zu erlangen.

Und so neigte sich auch dieser Tags trauriger und unglücklicher und noch mehr mit Gefahr, Elend und Pein beladen, als alle diesem vorhergegangenen, seinem Ende zu.

Der folgende Tag dämmerte herauf, aber auf dem Capitol waren keine Vorbereitungen zu den Ceremonien der alten Religion zu erblicken. Der Senat und der Bischof nahmen Anstand, sich der Verantwortlichkeit auszusetzen, eine öffentliche Wiederherstellung des Heidenthums zu autorisieren, während die Bürger, die alle himmlische, wie irdische Hoffnung auf Hilfe verloren hatten, gegen Alles, was um sie her vorging, so achtlos wie die Todten blieben. In Rom befand sich ein Mann, dem es vielleicht gelungen sein würde, ihre matten Kräfte zum Glaubensabfalle aufzuregen, aber wo war er und womit beschäftigte er sich?

Jetzt, wo die Gelegenheit, für welche er eine lange Existenz des Leidens, der Entwürdigung und des Verbrechens hindurch entschlossen, wenn auch vergebens, gearbeitet hatte, sich lockender und günstiger, als selbst er in seinen wildesten Träumen von Erfolg je zu hoffen gewagt, von selbst darbot —— wo war jetzt Ulpius? verborgen vor allen menschlichen Augen gleich einem giftigen Kriechthiere in seinem Verstecke in dem verlassenen Tempel, bald um seine Idole in wüthendem Wahnsinn rasend, bald in blödsinniger Anbetung vor ihnen ausgestreckt —— für die Interessen seiner Religion in der Krisis ihres Schicksals schwächer als das schwächste Kind, welches verhungernd durch die Straße kroch, —— das Opfer seiner eigenen bösartigen Machinationen gerade in dem Augenblicke, wo sie ihn zum Triumphe hätten führen können —— der Gegenstand der schlimmsten irdischen Wiedervergeltung der, durch welche die Gottlosen vermittelst ihrer eignen Sünden in ihren Plänen verhindert, verurtheilt und bestraft werden.

Es vergingen noch drei Tage. Der Senat, dessen Mitgliederzahl in der Pest schnell abnahm, verwendete die Zeit auf unnütze Berathungen oder schwieg finster. Jeden Morgen blickten die müden Wächter in der vergeblichen Hoffnung, die lange versprochenen Legionen von Ravenna auf Rom zu marschieren zu sehen, von den Mauern hinab und jeden Morgen faßten die Verheerung und der Tod unter den unglücklichen Belagerten festen Fuß. Endlich am vierten Tage gab der Senat alle Hoffnung auf fernern Widerstand auf und beschloß sich zu unterwerfen, was auch die Folgen davon sein mochten. Es wurde bestimmt, daß eine zweite Gesandtschaft aus dem ganzen geschäftsführenden Senate bestehend und von einem bedeutenden Gefolge begleitet, zu Alarich gehen solle, daß man noch einen Versuch machen wolle, ihn zu bewegen, statt seiner die Besiegten in das Verderben stürzenden Forderungen weniger härtete zu stellen, und wenn dies mißlang, die Thore zu öffnen und in Verzweiflung die Stadt und das Volk seiner Gnade anheim zu geben.

Sobald sich der Zug, dieser letzten römischen Gesandtschaft auf dem Forum bildete, vermehrte sich ihre Zahl fast augenblicklich trotz allen Widerstandes, durch diejenigen unter dem Volke, welche noch im Stande waren, ihren schwachen, kranken Körper zu bewegen und die, auf dem Gipfel der Verzweiflung angelangt, beschlossen hatten, auf jede Gefahr hin das Oeffnen der Thore zu benutzen und aus der Stadt der Pestilenz in welche sie eingemauert waren, zu fliehen, mochten sie nun unter den Schwertern der Gothen umkommen oder beistandslos im freien Felde verschmachten. Alle Fähigkeit, die Ordnung aufrecht zu erhalten, war längst schon verschwunden, die wenigen um die Senatoren versammelten Soldaten machten einen. vergeblichen Versuch das Volk zurück zutreiben und stellten dann jeden weiteren Widerstand gegen dessen Willen ein.

Schwach und schweigend bewegte sich jetzt der niedergeschlagene Zug auf den breiten Straßen hin, die so oft unter dem Schmettern kriegerischer Musik und dem Beifallsgeschrei der Menge von den Triumphzügen des siegreichen Rom betreten worden waren, und auf jeder Straße schlossen sich ihm unterwegs abgezehrte Gestalten aus dem Volke wie Gespenster an. Unter diesen befanden sich, als die Gesandtschaft dem Pincischen Thore nahte, zwei, aus deren Schicksale in der gefallenen Stadt unsere Aufmerksamkeit besonders gerichtet gewesen ist, die herbeieilten, um mit ihren Leidensgefärhrten hinauszuziehen. Zur Erklärung ihrer Anwesenheit auf dem Schauplatze —— wenn eine solche Erklärung nöthig ist —— müssen wir auf einen Augenblick von dem Fortgange der Ereignisse während der legten Belagerungstage zu dem Morgen abschweifen, wo Antonina sich aus Vetranio’s Palaste entfernte, um mit ihrem Vorrathe an Nahrung und Wein nach dem Hause ihres Vaters zurückzukehren.

Der Leser kennt bereits aus ihrer eigenen kurzen und einfachen Darstellung die Geschichte der letzten Stunden ihrer traurigen Nachtwache an der Seite ihres erliegenden Vaters und die Beweggründe, welche sie bestimmten, den Palast des Senators aufzusuchen und verzweiflungsvoll denjenigen um Beistand zu bitten, dessen sie sich nur als des ausschweifenden Vernichters ihrer Ruhe unter dem Dache ihres Vaters erinnerte. Es ist daher jetzt am geeignetsten, ihr auf ihrem Rückwege durch den Palastgarten zu folgen. Außer ihr betrat kein lebendes Geschöpf die berasten Pfade, auf welchen sie mit schwankenden Schritten hineilte, die Pfade, welche sie sich undeutlich erinnerte zuerst durchwandert zu haben, als sie sich in vergangenen Tagen herauswagte, um den fernen Klängen der Laute Vetranio’s zu folgen. Trotz ihrer unbestimmten, schwer auf ihr lastenden Gefühle der Einsamkeit und des Kummers blieb diese Erinnerung ihrem Geiste schmerzlich gegenwärtig und vermischte sich auf unerklärliche Weise mit den dunkeln traurigen Besorgnissen, die ihr Herz beim Vorwärtseilen erfüllten, bis sie wieder die Wohnung ihres Vaters betrat und jetzt, als sie sich von Neuem seinem Lager näherte, verschwand jedes andere Gefühl über der niederdrückenden Besorgniß, daß sie, aller ihrer Ausdauer und ihres Erfolges auf ihrem Wege kindlicher Liebe ungeachtet, doch zu« spät zurückgekehrt sein könne.«

Der Greis lebte noch, —— seine matten Augen öffneten sich froh gegen sie, als sie ihn aufweckte um die Schätze von dem Bankettische des Senators zu genießen. Die elende Nahrung, welche die selbstmörderischen Gäste verschmäht hatten und das einzige Gefäß mit Wein, welches sie leichtsinnig auf einen Zug geleert haben würden, wurden von dem Vater sowohl wie von dem Kinde als rettendes und stärkendes Unterhaltungsmittel für viele Tage betrachtet. Nachdem sie von ihrem geringen Vorrathe so viel verzehrt hatten, als sie wagten, wurden die Ueberbleibsel sorgfältig aufbewahrt. Es war das letzte Zeichen und Versprechen des Lebens, welches sie erwarten konnten, der geringe, aber kostbare Vorrath, in welchem sie allein das Unterpfand ihrer ferneren Bewunderung vor den Qualen des Hungers und der Trennung des Todes auf einige Tage erblickten.

Und jetzt, wo sie ihren geringen Vorrath von Speise und Wein gleich einem Leuchtthurme der Rettung vor sich sahen, breitete sich über ihren Geist eine tiefe, traumartige Heiterkeit —— der Schlaf der unterdrückten und ermatteten Kräfte. Unter ihrem geheimnißvollen, beruhigenden Einflusse verblichen alle Eindrücke der Trauer und des Elends in der Stadt, der sie umgebenden grausigen Beweise der anhaltenden Belagerung vor ihrem Wahrnehmungsvermögen, wie nebelhaft zurück weichende Gegenstände, die dem Auge in weiter Ferne entschwinden. Allmälig begannen, als sich der Tag der ersten erfolglosen Gesandtschaft neigte, ihre Gedanken sanft zu der Welt vergangener Ereignisse zurückzuströmen, welche im Laufe der Zeit in Vergessenheit versunken waren. In Antoninens Gedächtnisse lebten die ersten Erinnerungen an ihre früheste Kindheit wieder auf und vermischten sich dann seltsam mit den Tränenvollen Andenken an die letzten Worte und Blicke des jungen Kriegers, der an ihrer Seite das Leben ausgehaucht hatte und mit ruhigen feierlichen Gedanken, daß der geliebte Geist aus der Sphäre der Schatten erlöst, jetzt in der Nähe des stillen Gartengrabes schweben möge, wo sie ihre bittersten Thränen der Einsamkeit und des Kummers vergessen hatte, oder daß er sich in unsichtbarer, seliger Gegenwart um sie bewegen könne, während sie zu den Füßen ihres Vaters saß und ihre irdische Trennung beklagte.

In den so erweckten Empfindungen lag weder Bitterkeit noch Pein —— sie beruhigten und reinigten das Herz, durch welches sie hinzogen. Sie konnte jetzt dem Greise zum ersten Male ihre Tage der Abwesenheit von ihm, die kurzen Freuden und langen Schmerzen ihrer Stunden der Verbannung erzählen, ohne in ihrer traurigen Geschichte innehalten zu müssen. Zuweilen lauschte ihr Vater ihren Worten mit trüber sprachloser Aufmerksamkeit oder forderte sie, wenn sie schwieg, zum Trost und zur Hoffnung auf, wie sie ihn unter seiner Gemeinde hatte sprechen hören, als er noch stark in seinem Entschlüsse war, Alles für die Reformation der Kirche aufzuopfern. Zuweilen gab er sich dem Einflusse seiner Gedanken hin, wie sich dieselben zu vergangenen Zeiten wendeten, und enthüllte ihr wieder die wechselnden Ereignisse seines frühem Lebens, nicht wie das erste Mal mit schwankender Stimme und unstäten Augen, sondern mit einer Ruhe des Tones und einem Zusammenhange der Darstellung die ihr das Zweifeln an der seltsamen überraschenden Erzählung, welche sie hörte, verbot. Nochmals sprach er von dem Bilde seines verlorenen Bruders, welches noch so vor seinem Geiste stand, wie da, wo er sich in seiner Jugend von ihm getrennt hatte, von dem Lande, welches er in späteren Jahren verlassen, von dem Namen, den er aus Cleander in Numerian verwandelt, um seine frühem Gefährten irre zu leiten, wenn sie ihn noch verfolgen sollten, und von der glühenden Sehnsucht, wieder den Genossen seiner ersten Heimath zu erblicken, was jetzt, wo ihm seine Tochter wieder gegeben, wo keine andere irdische Bestrebung als diese, mehr unbefriedigt war, am Schlusse seines Lebens der letzte Wunsch seines Herzens blieb.

Dies war der Verkehr, in welchem Vater und Tochter die Stunden ihrer kurzen Gnadenfrist des gegen die Stadt ihrer Wohnung ergangenen Urtheils des Hungers zubrachten, so lebten sie so zu sagen in einem stillen Zwischenraume der Existenz, in einer ruhigen Pause zwischen der Mühe, die in der schweren Arbeit des Lebens vorüber ist, und derjenigen, welche noch kommen soll.

Aber das»Ziel dieser kurzen Tage der Ruhe nach langen Leiden und Kummer nahten schnell. Der kleine Speisevorrath nahm eben so eilig ab, wie diejenigen, welche vorher in banger Furcht zusammengebracht worden waren, und am Morgen der zweiten Gesandtschaft zu Alarich war sowohl das Gefäß mit Wein, als die Schüssel mit Nahrung, geleert; der kurze Traum der Sicherheit war vergangen und verschwunden, die entsetzliche Wirklichkeit des Kampfes um das Leben war, wieder in ihre Rechte getreten!

Wo oder von wem konnten sie jetzt Hilfe verlangen? Die Belagerung dauerte immer noch fort, die so eben genossenen Speisereste waren die letzte Nahrung, die sieh auf dem Tische des Senators befunden, hatte, wenn sie den Palast wieder aufgesucht hätten, so würden sie sich dem Mißlingen, vielleicht gar der Beleidigung als Resultat einer zweiten Bitte um Hilfe, wo alle Macht, dieselbe zu gewähren, jetzt nur zu sicher verschwunden war, ausgesetzt haben. Dies waren die Gedanken Antoninens, als sie die leere Schüssel wieder an ihren früheren Ort, stellte, aber sie drückte dieselbe in Worten nicht aus. Sie sah mit Grausen, daß derselbe Ausdruck der Verzweiflung, ja fast der Raserei, welcher die Züge ihres Vaters am Tage ihrer Heimkehr zu ihm entstellt hatte, wieder auf denselben herrschte. Abermals schwankte er dem Fenster zu und murrte in seiner bitteren Muthlosigkeit gegen die trügerische Sicherheit und Hoffnung, die ihn während der wenigen letzten Tage für die Interessen seines Kindes müßig erhalten hatten. Als er jetzt aber auf die belagerte Stadt hinausblickte, sah er das Volk unten auf der Straße, so schnell es die ausgemergelten Glieder tragen wollten, einhereilen, um sich der Gesandtschaft anzuschließen. Er hörte wie Einer den, Andern aufmunterte, die letzte Gelegenheit zu benutzen, um durch die geöffneten Thore dem Schrecken der Hungersnoth und Pest zu entgehen und wurde von der rücksichtslosen Verzweiflung angesteckt, welche seine Leidensgefährten von einem Ende Roms bis zum andern ergriffen hatte.

Er wendete sich augenblicklich zu seiner Tochter, erfaßte ihre Hand und zog sie aus dem Zimmer, indem er ihr befahl, mit ihm zu kommen und sich der Flucht der Bürger anzuschließen, ehe es zu spät sei. Durch seine Worte und Handlungen erschreckt, bemühte sie sich, wahrend sie gehorchte, vergebens, ihm die Furcht vor den Gothen einzuflößen, welche ihr von ihrer eigenen bitteren Erfahrung eingegeben wurde, seit ihr einziger Beschützer unter ihnen erkaltet in seinem Grabe lag. Bei Numerian wie bei dem übrigen Volke wurden alle Besorgnisse, alle Zweifel, jede Anwendung der Vernunft von der einen Idee überwältigt, dem Verderben bringenden Gebiete von Rom zu entfliehen.

So mischten sie sich unter die Menge, die sich, von Furcht getrieben, der Gesandtschaft angeschlossen hatte, und folgten ihren Reihen so gut sie konnten. Die Sonne schien hell von dem heitern blauen Himmel herab, der Wind trug die schmetterndem drohenden Töne der Trompeten aus dem gothischen Lager in die Stadt, als das Pincische Thor den Gesandten und ihrem Gefolge geöffnet wurde. Die Menge versuchte sich in Masse hinter ihnen hinaus zu drängen, jetzt aber bewegte sie sich in einem engeren Raume und fand bei einer bedeutenden Verstärkung der Stadtbesatzung Widerstand. Nach einem kurzen Ringen war sie überwältigt und die Thore wurden geschlossen. Einigen von den Kräftigsten und den Gesandten Nächsten gelang es, diesen zu folgen, der größte Theil blieb jedoch auf der inneren Seite des Thores zurück und drängte sich in seiner Ungeduld und Verzweiflung dicht an dasselbe wie Gefangene, die ihre Befreiung erwarten oder aus ihrem Gefängnisse brechen wollen.

Zu den Letzteren gehörten die Schwächsten der Schwachen —— Numerian und Antonina, die durch die sie umgebende Menge eingeengt, sowohl von der Flucht aus der Stadt, wie von der Rückkehr nach Hause abgesperrt waren.



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