Namenlos



II.

Nora Vanstone an Miss Garth.

Portland-Platz.

Meine liebe Miss Garth!

Noch mehr Kammer, noch mehr vergebliche Hoffnungen! Ich bin eben von Aldborough zurück, ohne eine Entdeckung gemacht zu haben. Magdalene ist noch immer für mich verloren.

Ich kann dies neue Scheitern meiner Hoffnungen keineswegs einem Mangel an Ausdauer und Umsicht beimessen, den ich mir beim Anstellen der nöthigen Nachforschungen etwa zu Schulden kommen ließ. Meine Unerfahrenheit in solchen Dingen wurde sehr freundlich und unerwarteter Weise durch Mr. George Bartrams Beistand unterstützt. Durch ein seltsames Zusammentreffen war auch er gerade in Aldborough anwesend und stellte Nachforschungen nach Mr. Noël Vanstone an, ganz zu derselben Zeit, wo ich dort war und nach Magdalenen forschte. Er schickte mir seine Karte zu und da, als ich den Namen sah, mir einfiel, daß er mein Cousin sei, wenn ich ihn so nennen darf, dachte ich, daß es nicht unschicklich sei, ihn zu sehen und ihn um seinen Rath zu bitten. Ich unterließ es um Magdalenens willen, in Einzelheiten einzugehen, und machte daher keine Anspielung auf den Brief von Mrs. Lecount, welchen Sie statt meiner beantworteten. Ich sagte ihm nur, daß Magdalene vermißt werde und zuletzt aus Aldborongh von sich hören gelassen habe. Die freundliche Theilnahme, welche er dadurch, daß er sich ganz meinem Beistande widmete, an den Tag legte, ist über alle Beschreibung. Er behandelte mich in meiner verzweifelten Lage mit einer Zartheit und einer Achtung, welche ich in dankbarem Herzen nimmer vergessen werde, wenn er auch vielleicht längst selber unser zufälliges Zusammentreffen aus der Erinnerung verloren haben wird. Er ist noch jung —— nicht älter als dreißig, sollte ich meinen. In Gesicht und Gestalt erinnert er mich ein wenig an das Bild meines Vaters auf Combe-Raven, ich meine das Bild im Speisesaale von meinem Vater, als er ein junger Mann war.

So nutzlos, wie unsere Nachforschungen waren, so liegt doch ein Ergebniß vor, das einen wunderbaren und tiefen Eindruck aus meinen Geist hinterlassen hat.

Es scheint, daß Mr. Noël Vanstone kürzlich eine junge Dame, Namens Bygrave, die er in Aldborough getroffen hatte, geheirathet hat, und zwar unter geheimnißvollen Umständen. Er ist mit seiner Gattin weggegangen, ohne Jemand außer seinem Advocaten zu sagen, wohin. Dies hörte ich von Mr. George Bartram, welcher bemüht war, seine Spur ausfindig zu machen, um ihm die Nachricht von der schweren Erkrankung seiner Haushälterin mitzutheilen, welche letztere beiläufig dieselbe Mrs. Lecount ist, deren Brief Sie beantworteten. So weit ist Nichts, werden Sie vielleicht sagen, was ein besonderes Interesse für uns Beide haben könnte. Allein ich meine, Sie werden so erstaunt sein, als ich es war, wenn ich Ihnen sage, daß die von den Leuten zu Aldboroitgh gegebene Beschreibung von Miss Bygrave sehr anffallend und unerklärlich der Beschreibung von Magdalenens Aeußern ähnlich ist.

Diese Entdeckung, zusammengehalten mit all den uns bewußten Umständen, hat auf meinen Geist einen Eindruck gemacht, den ich Ihnen nicht beschreiben kann, den ich mir selbst nicht klar zu machen wage. Ich bitte, kommen Sie und besuchen Sie mich! Ich habe mich nie so unglücklich gefühlt um Magdalenens willen, als gerade jetzt. Die Anstrengung muß meine Nerven auf wunderbare Weise zerrüttet haben. Ich fühle die trübsten Ahnungen wegen der geringfügigsten Dinge. Diese zufällige Aehnlichkeit einer ganz fremden Person mit Magdalenen erfüllt mich in manchen Augenblicken mit ganz entsetzlichen Ahnungen, lediglich weil Mr. Noël Vanstones Name zufällig damit in Verbindung gebracht ist. Noch einmal, ich bitte, kommen Sie zu mir —— ich habe Ihnen so viel zu sagen, daß ich weder im Stande bin, noch wage, es dem Papiere anzuvertrauen.

Dankbar und herzlich die Ihrige,

Nora.


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