Das schwarze Häuschen auf dem Moor



Mein Vater war ein Steinhauer. Sein Häuschen stand einsam in einem Moor, eine und eine halbe Meile weit von der nächsten Wohnung entfernt. Da wir sehr arm waren, hatte diese Wohnung, trotz ihrer einsamen Lage, doch eine große Anziehungskraft für uns, weil wir keinen Mietzins dafür zu bezahlen hatten. Hierzu kam noch, dass die Steine, durch deren Behauen mein Vater seinen Unterhalt gewann, alle um ihn herum, so bequem vor seiner Türe, lagen, dass er seine Lage, so einsam sie war, fast für beneidenswert hielt. Ich kann nicht sagen, dass ich darin mit ihm übereinstimmte, obschon ich mich niemals beklagte. Ich liebte meinen Vater und der Gedanke, ihm nützlich zu sein, machte mir die Einsamkeit erträglich. Mrs. Knifton, unsere Gutsherrin, wünschte mich, als sie heiratete, in ihren Dienst zu nehmen; aber ich lehnte es — ungern genug — um meines Vaters willen ab. Wenn ich fortgegangen wäre, so hätte er niemand bei sich gehabt und meine Mutter hatte mir auf ihrem Todesbette das Versprechen abgenommen, dass ich ihn mitten auf dem traurigen Moor nicht allein lassen sollte. Unser Haus war trotz seiner Kleinheit aus Steinen des Moors fest gebaut und wohl verwahrt. Die Wände waren außen und innen mit Holz verkleidet, das Mrs. Kniftons Vater meinem Vater zum Geschenk gemacht hatte. Dieser doppelte Schutz war in unserer ausgesetzten Lage zur Abhaltung der kalten Winde, welche das ganze Jahr über, mit Ausnahme der Sommermonate, über das Moor hinstrichen, ein unerlässliches Bedürfnis, die äußere Verschalung, welche die rauhen Steinmauern bedeckte, schützte mein Vater gegen die Nässe durch einen Teeranstrich. Dies gab unserm kleinen Hause ein schwarzes, düsteres Aussehen, besonders, wenn man es von der Ferne sah, und so hatte man es in der Umgegend Schwarzes Häuschen genannt.

An einem wolkigen Herbsttag, zur Zeit, wo ich nicht mehr als achtzehn Jahre alt war, zwang meinen Vater eine größere Arbeit, für eine Nacht unsere Hütte zu verlassen, doch wollte er mich vorher nach der Moor-Farm bringen. Ich lehnte jedoch den Vorschlag ab. Diebe hatten sich noch nie bei uns sehen lassen, unsere Armut war ein hinlänglicher Schutz gegen dieselben und andere Gefahren gab es nicht. So überließ denn der Vater mir und meiner Katze Polly, für das Haus Sorge zu tragen.

Ich hatte den Tisch abgeräumt und mich, mit der Katze zu meinen Füßen, zur Arbeit niedergesetzt, als ich den Hufschlag von Pferden vernahm. An die Türe eilend, sah ich Mr. und Mrs. Knifton mit ihrem Reitknecht zu Pferde auf das Haus zukommen. Die junge Dame war gütig genug, mir, so oft sich eine Gelegenheit darbot, einen freundlichen Besuch abzustatten, und ihr nachsichtiger Gatte hatte gewöhnlich nichts dagegen, sie zu begleiten. Sie stiegen ab und traten ins Haus, in der besten Laune lachend und plaudernd. Sie sagten mir, dass sie nach derselben Grafschaftsstadt reiten wollten, wohin mein Vater gegangen war, und dass sie die Absicht hätten, einige Tage dort zu verweilen und dann zu Pferde auf demselben Wege nach Hause zurückzukehren, dass aber Mr. Knifton eine Summe Geldes bei sich trüge, die er unterwegs von einem seiner Pächter empfangen. Nach der Stadt wolle er dieselbe nicht nehmen, vom Hause sei er schon zu weit entfernt. Sie baten mich nun, das Geld für einige Tage aufzubewahren, das sie dann auf dem Rückweg wieder abholen wollten. Hierauf gab mir Mr. Knifton ein Taschenbuch, welches ich sofort in einem kleinen Glasschrank, dem einzigen wertvollen Möbel, das wir im Hause hatten, verschloss.

Obschon es nichts Neues für mich war, dass mir Mrs. Knifton Geld anvertraute (so lange sie ledig war, besorgte ich immer die Bezahlung der Rechnungen ihrer Putzmacherin), so war mir nach Entfernung der Herrschaften doch nicht ganz wohl zumut darüber, dass sie mir ein Taschenbuch voll Banknoten zur Aufbewahrung zurückgelassen hatten. Sobald ich allein war, begann der Anblick desselben in dem Glasschrank mich zu ängstigen und, statt zu meiner Arbeit zurückzukehren, quälte ich mich mit dem Gedanken ab, einen Platz zu finden, wo ich es aufheben konnte, ohne dass es den Blicken jedes Fremden, der zufällig ins Haus kommen würde, ausgesetzt wäre.

Das auszuführen, war keine leichte Sache in einer ärmlichen Wohnung wie die unsrige, wo es nichts Wertvolles unter Schloss und Riegel zu bringen gab. Nachdem ich im Geiste die verschiedenen Verstecke durchgegangen hatte, fiel mir meine Teebüchse, ein Geschenk von Mr. Knifton ein, die ich immer in meinem Schlafzimmer aufbewahrte. Statt aber das Taschenbuch zu der Teebüchse zu bringen, ging ich unglücklicherweise — wie sich später auswies — in mein Zimmer, um die Teebüchse zum Taschenbuch zu bringen. Ich tat dies aus bloßer Gedankenlosigkeit und ich wurde, wie es sich später ausweisen wird, schwer genug dafür bestraft.

Ich war gerade im Begriff, die unglückliche Teebüchse aus meinem Schrank zu nehmen, als ich draußen auf dem Gang Schritte vernahm. Ich eilte hinaus und sah zwei Männer in das Wohnzimmer treten, wo ich Mr. und Mrs. Knifton empfangen hatte. Ich fragte, scharf genug, was sie wollten, und einer von ihnen antwortete, dass sie zu meinem Vater wollten. Er wendete sich natürlich, während er sprach, mir zu und ich erkannte in ihm einen Steinhauer, der unter seinen Kameraden den Namen »Shifty (schlauer) Dick« führte und in der Gegend in sehr üblem Rufe stand. Er war ein großer, starker Mann mit finsterem, blatternarbigem Gesicht und großen, haarigen Händen — der letzte Besucher in der ganzen Welt, den ich unter irgendeinem Umstande gern gesehen hätte.

Sein Begleiter, den er mit dem Namen Jerry anredete, war ein Fremder — ein gewandter, schurkisch aussehender Mann, der mit spöttischer Höflichkeit seine Kappe vor mir abnahm und dabei einen sehr kahlen Kopf mit einigen hässlichen Höckern daraus zeigte. Ich misstraute ihm mehr als Shifty Dick und stellte mich zwischen seine lauernden Augen und den Glasschrank, als ich den beiden sagte, dass mein Vater ausgegangen sei und dass ich ihn vor dem folgenden Tag nicht zurückerwarte. Kaum waren diese Worte aus meinem Munde, als ich auch schon bereute, dass ich sie gesprochen hatte. Mein Eifer, mich der unwillkommenen Gäste zu entledigen, hatte mich unvorsichtig genug gemacht, einzugestehen, dass mein Vater die ganze Nacht ausbleiben werde. Shifty Dick und sein Begleiter sahen einander an, als ich so unkluger Weise die Wahrheit verriet, sie machten aber keine Bemerkung, sondern fragten bloß, ob ich ihnen nicht einen Tropfen Cider geben wollte. Ich antwortete scharf, dass ich keinen Cider im Hause habe. Ich hatte keine Furcht, ihnen ihr Verlangen abzuschlagen, da ich wusste, dass Leute genug in einem Steinbruch beschäftigt waren, der in der Hörweite von unserm Hause lag. Die beiden Männer sahen sich wieder an, als ich in Abrede stellte, dass ich Ihnen Cider geben könne, und Jerry (wie ich ihn nennen muss, da ich keinen Namen für den Burschen kenne) nahm wieder seine Kappe vor mir ab und sagte mit einer gewissen schurkischen Höflichkeit, sie würden das Vergnügen haben, am folgenden Tage, wenn mein Vater zu Hause sei, wieder vorzusprechen. Ich sagte ihnen so mürrisch als möglich guten Abend und zu meiner großen Erleichterung verließen Beide gleich darauf das Haus.

Sobald sie sich etwas entfernt hatten, beobachtete ich sie von der Tür aus. Sie schlugen den Weg in der Richtung von Moor-Farm ein und da es dunkel zu werden begann, verlor ich sie bald aus dem Gesichte. Eine halbe Stunde später blickte ich wieder hinaus. Der Wind hatte sich mit Sonnenuntergang gelegt; aber es erhob sich ein Nebel und ein heftiger Regen begann zu fallen. Niemals war mir das einsame Moor so düster und traurig vorgekommen als an diesem Abend. Niemals hatte ich eine Sache von untergeordneter Bedeutung so bedauert, als die Zurücklassung des Taschenbuchs von Mr. Knifton unter meiner Obhut. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich eine wirkliche Besorgnis hegte, denn ich hielt es für gewiss, dass weder Shifty Dick noch Jerry, als sie in der Stube waren, einen so kleinen Gegenstand, wie das Taschenbuch, bemerkt hätten; aber ein gewisses, unbestimmtes Misstrauen beunruhigte mich — eine Besorgnis vor der Nacht — eine Abneigung, allein zu bleiben, die ich früher nie empfunden hatte. Ich verriegelte sofort die Vorder- und Hintertüre und alle Läden im Hause. Als ich dieses Geschäft verrichtet hatte, zündete ich im Kamin ein helles Feuer und mein Licht an und machte es mir, als ich mich zum Tee niedersetzte, so bequem und behaglich als möglich. Ich vermochte jetzt in dem hell erleuchteten Gemach und in dem Gefühle der Sicherheit, das mir die fest verschlossenen Türen und Läden einflößten, kaum zu glauben, dass ich früher jemals die geringste Besorgnis gehegt hatte. Ich sang, während ich das Teegeschirr reinigte, und selbst die Katze schien von meiner guten Laune angesteckt. Das hübsche Geschöpf war noch nie so munter gewesen als diesen Abend.

Als das Teegeschirr weggeräumt war, nahm ich mein Strickzeug zur Hand und arbeitete so lange, bis ich endlich schläfrig zu werden begann. Das Feuer brannte so hell und warm, dass ich mich nicht entschließen konnte, es zu verlassen und zu Bett zu gehen. Ich blickte müßig in die Flamme, bis der plätschernde Regen draußen und das dumpfe Stöhnen des Windes immer schwächer in meinem Ohre wurde. Die letzten Töne, die ich hörte, ehe ich einschlief, waren das lustige Knistern des Feuers und das gleichmäßige Pustern der Katze, die sich am warmen Feuer gütlich tat.

Der Ton, der mich aufweckte, war ein lautes Klopfen an der vorderen Haustüre. Ich sprang mit pochendem Herzen und mit einem furchtbaren Schauder an der Wurzel meiner Haare empor — ich sprang empor, atemlos und fröstelnd, mit schweigender Spannung, schweigend etwas — ich wusste kaum was — erwartend; anfangs zweifelhaft, ob ich nur von dem Klopfen an der Türe geträumt, oder ob ich es wirklich gehört habe. Nach kaum einer Minute ließ sich ein zweites Klopfen, lauter als das erste, vernehmen. Ich eilte in den Gang hinaus. »Wer ist da?« rief ich.

»Lass uns ein,« antwortete eine Stimme, die ich sogleich als die von Shifty Dick erkannte.

»Warte ein wenig, meine Liebe, und lass Dir etwas sagen,« ließ sich eine zweite Stimme in dem tiefen, salbungsvollen, spöttischen Tone von Dicks Begleiter, dem kleinen, gewandten Mann, den er Jerry nannte, vernehmen. »Du bist allein im Hause, meine liebe Kleine. Du kannst Deine süße Stimme heiser schreien und Niemand ist in der Nähe, Dich zu hören. Sei vernünftig, mein Schatz, und lass uns ein. Wir wollen diesmal keinen Cider — wir wollen nur ein hübsches, kleines Taschenbuch, das Du im Besitz hast, und die vier silbernen Teelöffel, die Du immer so nett und glänzend auf dem Kaminsims aufstellst. Wenn Du uns einlässt, so werden wir Dir kein Haar krümmen, mein Cherub, und wir versprechen, sogleich wieder fortzugehen, wenn wir erhalten haben, was wir suchen, es sei denn, dass Du den besondern Wunsch hegen solltest, uns zum Tee zu behalten. Wenn Du uns aber nicht einlässt, so werden wir genötigt sein, ins Haus einzubrechen, und dann —«

»Und dann,« fiel Shifty Dick ein, »werden wir Dich zu Brei zermalmen.«

»Ja, wir werden Dich zermalmen, meine Schöne,« sagte Jerry. »Aber Du wirst uns gewiss nicht zwingen, dies zu tun. Nicht wahr, Du lässt uns ein?«

Diese lange Rede gab mir Zeit, mich von der Erschütterung zu erholen, welche das erste Klopfen auf meine Nerven hervorgebracht hatte. Die Drohung der beiden Schurken würde manchen Frauen vor Schrecken die Besinnung geraubt haben; auf mich brachte sie aber keine andere Wirkung als eine heftige Entrüstung hervor. Ich besaß, Gott sei Dank, ziemlich viel Mut und Selbstvertrauen und die kalte verächtliche Unverschämtheit des Mannes, der sich Jerry nannte, empörte meinen Stolz.

»Ihr feigen Schurken!« rief ich durch die Türe. »Ihr denkt, Ihr könnt mich erschrecken, weil ich nur ein armes Mädchen bin, das sich allein im Hause befindet. Ihr elenden Diebe, ich biete Euch Beiden Trotz! Unsere Riegel sind stark, unsere Läden dick. Ich bin hier, um das Haus meines Vaters zu beschützen, und beschützen werde ich es gegen eine Armee von Euch!«

Ich hörte jetzt Jerry lachen und Shifty schreckliche Flüche ausstoßen. Darauf trat eine Minute oder zwei eine lautlose Stille ein und dann griffen die beiden Schurken die Türe an. Ich eilte ins Zimmer und ergriff den Schürhaken und dann legte ich Holz auf das Feuer und zündete alle Lichter an, die ich finden konnte; denn es kam mir vor, als ob ich meinen Mut besser aufrecht erhalten könnte, wenn ich Licht genug hätte. So sonderbar und unwahrscheinlich es sei, das Nächste, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war meine arme Katze, die erschrocken in einer Ecke knurrte. Ich liebte das kleine Tier so sehr, dass ich es auf den Arm nahm, in mein Schlafgemach trug und in mein Bett legte.

Während dieser ganzen Zeit fielen die Schläge auf die Türe immer heftiger. Sie wurden, wie ich vermutete, mit schweren Steinen ausgeführt. Jerry sang zu seiner schurkischen Beschäftigung und Shifty Dick fluchte. Als ich das Schlafgemach verließ, nachdem ich die Katze unter die Bettdecke gelegt, hörte ich, wie die untere Füllung der Türe zu krachen begann.

Ich eilte ins Zimmer und steckte die vier silbernen Löffel in die Tasche; dann nahm ich das unglückliche Taschenbuch mit den Banknoten und verbarg es im Busen. Ich war entschlossen, das mir anvertraute Eigentum mit meinem Leben zu verteidigen. In diesem Augenblicke hörte ich, wie die Türe splitterte, und eilte, mein schweres Schüreisen mit beiden Händen schwingend, auf den Gang hinaus.

Ich kam gerade zur rechten Zeit, um zu sehen, wie Jerry seinen kahlen Kopf mit den hässlichen Höckern durch ein Loch in dem unteren Teil der Türe hereinsteckte.

»Zurück, Du Schurke, oder ich schlage Dir auf der Stelle das Hirn ein!« schrie ich, ihm mit dem Schüreisen drohend.

Mr. Jerry zog seinen Kopf schneller zurück, als er ihn hereingesteckt hatte.

Das nächste Ding, was durch die Öffnung hereinkam, war eine lange Heugabel, mit der sie von außen nach mir stießen, um mich von der Tür wegzutreiben. Ich schlug mit aller Kraft darauf und der Schlag musste die Hand von Shifty Dick bis hinauf zur Schulter getroffen haben, denn ich hörte ihn einen Zornes- und Schmerzensausruf ausstoßen. Ehe er die Gabel mit der andern Hand fassen konnte, hatte ich sie hereingezogen. Jetzt verlor selbst Jerry die Geduld und fluchte noch ärger als Dick.

Dann kam ein anderer Augenblick der Ruhe. Ich vermutete, dass sie fortgegangen seien, um größere Steine zu holen, und ich fürchtete, dass die ganze Türe eingeschlagen werden könnte.

Als diese Besorgnis mich ergriff, eilte ich in mein Schlafgemach, schleifte die kleine Kommode auf den Gang hinaus und lehnte sie vor die Öffnung der Türe. Auf diese stellte ich die große Werkzeugkiste meines Vaters, drei Stühle und einen Korb voll Kohlen — und endlich zog ich den Tisch aus der Stube und stemmte ihn, so gut ich konnte, gegen die ganze Barrikade. Sie hörten mich, als sie mit neuen Steinen zur Türe kamen. Jerry sagte: »Warte ein wenig,« und dann berieten sie sich flüsternd mit einander. Ich horchte aufmerksam, hörte aber nur diese Worte:

»Lasst uns dort den Versuch machen.«

Gleich darauf vernahm ich, wie sich ihre Fußtritte von der Türe entfernten.

Wollten sie jetzt einen Angriff auf die hintere Türe machen?«

Ich hatte mir kaum diese Frage gestellt, als ich ihre Stimmen auf der andern Seite des Hauses vernahm. Die hintere Tür war kleiner als die vordere, aber sie hatte in Bezug auf Festigkeit den Vorteil, dass sie aus dicken, eichenen Buhlen bestand, die innen durch eben solche Querbretter befestigt waren. Sie hatte keinen Riegel, wie die vordere Türe, sondern war durch eine eiserne Stange, die an beiden Enden in die Mauer eingefügt war, befestigt.

Sie müssen das ganze Haus einwerfen, ehe sie durch diese Türe einbrechen können, dachte ich bei mir.

Sie machten dies auch bald selbst ausfindig. Nachdem sie fünf Minuten lang an die Hintertür geschlagen hatten, gaben sie den ferneren Angriff von dieser Seite auf und warfen ihre Steine mit wütenden Flüchen auf den Boden.

Ich ging in die Stube und setzte mich auf den Stuhl am Fenster, um einen Augenblick auszuruhen. Die Besorgnis, die Ungewissheit und Aufregung begannen ihre Wirkung auf mich geltend zu machen. Der Schweiß brach in dicken Tropfen aus meiner Stirne hervor und meine Hände schmerzten mich, da ich sie an mehreren Stellen, während ich die Barrikade an der vorderen Türe aufrichtete, blutig geschunden hatte. Ich hatte noch nichts von meiner Entschlossenheit verloren, aber meine Kräfte begannen nachzulassen. Im Schrank stand eine Flasche Rum. Ich trank einen Tropfen davon. Niemals, weder vorher noch nachher, habe ich etwas über meine Zunge gebracht, das mir halb so gut tat, als dieser kostbare Mund voll Rum. — Ich saß noch immer auf dem Fenstersitz, als ich plötzlich ihre Stimmen hart neben mir hörte. Sie tasteten am Fenster herum. Es war gleich allen andern Fenstern im Hause durch eiserne Gitter und innen durch Läden geschützt. Ich horchte in schrecklicher Spannung auf den Ton von Feilen, aber nichts Derartiges ließ sich vernehmen. Sie hatten offenbar darauf gerechnet, mich so erschrecken zu können, dass ich sie gutwillig einlassen würde, und sich deshalb nicht mit Werkzeugen zum Einbrechen versehen. Ein neuer Ausbruch von Flüchen belehrte mich, dass sie sich von dem Hindernis der eisernen Gitter überzeugt hatten. Ich lauschte atemlos auf irgendein Zeichen, was sie zunächst zu tun gedächten; aber ihre Stimmen schienen in der Entfernung zu verhallen. Sie zogen sich von dem Fenster zurück. Entfernten sie sich wohl auch ganz von dem Hause? Hatten sie den Gedanken, einzudringen, in Verzweiflung aufgegeben? — Ein langes Schweigen folgte — ein Schweigen, das meinen Mut weit mehr auf die Probe stellte, als der Lärm ihres ersten Angriffs auf das Haus. Ein schrecklicher Verdacht bemächtigte sich meiner, dass sie imstande sein möchten, durch Verrat auszuführen, was sie durch Gewalt nicht durchzusetzen vermochten. So gut ich auch das Haus kannte, stiegen doch Zweifel in mir auf, ob es nicht Mittel und Wege gebe, gegen die ich nicht vorgesehen wäre, durch List und ganz in der Stille in dasselbe einzudringen. Das Ticken der Uhr und das Knistern der Flammen erschreckten mich. Ich blickte zehnmal in der Minute in die dunkeln Ecken des Ganges, meine Augen anstrengend, meinen Atem anhaltend, die unwahrscheinlichsten Dinge, die unmöglichsten Gefahren vermutend. Waren sie wirklich fort? oder strichen sie noch immer um das Haus herum? O, was hätte ich darum gegeben, wenn ich nur gewusst hätte, was sie während dieser Pause des Schweigens trieben. — Ich wurde endlich aus meiner Ungewissheit auf die furchtbarste Weise aufgeschreckt. Ein Ruf von einem derselben durch den Schornstein des Kamins drang mir plötzlich zu Ohren. Er kam so unerwartet, war so schrecklich in der Stille der Nacht, dass ich zum ersten Male seit dem Angriff auf das Haus laut aufschrie. Meine schlimmsten Ahnungen hatten mir niemals den Gedanken eingegeben, dass die beiden Schurken auf das Dach steigen könnten. »Lass uns ein, Du Teufelsbrut!« brüllte eine Stimme durch den Schornstein. Es trat wieder eine Pause ein. Der Rauch von dem Holzfeuer dünn und leicht wie er war in dem gegenwärtigen Zustand der glühenden Asche, hatte offenbar den Mann genötigt, das Gesicht von der Öffnung des Schornsteins zu entfernen. Ich zählte die Sekunden, während er, wie ich vermutete, wieder Atem schöpfte. In weniger als einer halben Minute kam ein neuer Ruf. »Lass uns ein, oder wir brennen Dir das Nest über dem Kopf ab!«

Es abbrennen! Was abbrennen! Es gab nichts leicht Brennbares als das Stroh auf dem Dach und dieses war vollständig von dem seit fünf Stunden ohne Unterlass gefallenen Regen durchweicht. Mir das Haus über dem Kopf niederbrennen? Wie? Während ich noch immer in wilder Aufregung darüber nachdachte, welche Gefahren mir möglicher Weise durch Feuer drohen könnten, kam einer der schweren Steine, welche auf dem Strohdach lagen, um zu verhindern, dass es durch die heftigen Winde weggerissen wurde, donnernd den Schornstein herab. Er streute die glühenden Kohlen auf dem Herd im ganzen Gemach umher. Ein reich ausgestattetes Zimmer mit Teppichen und andern brennbaren Stoffen würde sogleich in Brand geraten sein. Selbst unser nackter Fußboden und unsere rohen Möbel verbreiteten einen Brandgeruch bei dem Funkenregen, welchen der erste Stein nach allen Richtungen ausstreute. Einen Augenblick stand ich über diesen neuen Beweis teuflischer Erfindungsgabe der Schurken ganz entsetzt da. Aber die furchtbare Gefahr brachte mich sogleich wieder zur Besinnung zurück. In der Küche befand sich ein großer Eimer voll Wasser und ich beeilte mich, einen Topf voll zu holen. Bevor ich in das Gemach zurückkam, war ein zweiter Stein durch den Kamin heruntergeworfen worden und der Fußboden brannte an mehreren Stellen.

Ich war klug genug, zuerst mein ganzes Wasser auf das Herdfeuer zu gießen, ehe der dritte Stein herunterkam. Die Kohlen auf dem Boden löschte ich dann leicht aus. Der Mann auf dem Dache musste das Zischen des Feuers, als ich das Wasser ausgoss, gehört haben, denn nach dem dritten Stein kam keiner mehr herunter. Dass einer von den Schurken auf demselben Wege wie die Steine heruntersteigen sollte, war nicht zu befürchten, da der Kamin, wie ich wohl wusste, zu eng war, um einer andern Person, als einem kleinen Jungen den Durchzug zu gestatten.

Bei diesem tröstlichen Gedanken blickte ich empor —- ich blickte empor und sah so deutlich, wie ich jetzt das Papier sehe, auf das ich schreibe, die Spitze eines Messers durch das Dach kommen, gerade über meinem Kopf. Unser Häuschen hatte keinen oberen Stock und unsere Gemächer keine Decken. Langsam bewegte sich das Messer durch die trockene Innenseite des Strohdachs zwischen den Sparren hin und her. Es hielt dann eine Weile an und ich hörte, wie an dem Stroh gerissen wurde, das in Menge herunterfiel. Die große haarige Hand von Shifty Dick kam darauf durch eine Öffnung zum Vorschein. Sie war mit dem Messer bewaffnet, mit dem sie an die Balken klopfte, als ob sie die Stärke derselben prüfen wollte. Gott sei Dank! sie waren dick und lagen sehr nahe beisammen. Nur mit einem Beil hätte man einen Teil derselben entfernen können.

Die mörderische Hand untersuchte noch immer mit dem Messer, als ich einen Ruf von dem Schurken Jerry hörte — einen Ruf, der aus der Nähe des Steinschuppens meines Vaters hinter dem Hause zu kommen schien. Die Hand und das Messer waren im nächsten Augenblick verschwunden. Ich ging nach der hinteren Türe, legte das Ohr an dieselbe und horchte.

Beide Männer befanden sich jetzt in dem Schuppen. Ich strengte mein Gedächtnis an, um mich zu erinnern, welche Werkzeuge und andere Dinge, die gegen mich gebraucht werden konnten, dort aufbewahrt wurden; aber meine Aufregung verwirrte mich. Es fiel mir nichts bei, als die große Steinsäge meines Vaters, die viel zu schwer und unhandlich war, um auf dem Dach des Hauses verwendet werden zu können. Ich quälte noch immer umsonst mein Gehirn ab, als ich die Männer etwas aus dem Schuppen schleppen hörte. In demselben Augenblick, wo das Geräusch mir zu Ohren drang, erinnerte ich mich plötzlich einiger Balken, welche seit Jahren dort lagen, Ich hatte kaum Zeit, mich zu vergewissern, dass sie einen derselben entfernten, als ich Shifty Dick zu Jerry sagen hörte: »Welche Türe?« — »Die vordere,« war die Antwort, »sie hat bereits einen Bruch; wir werden sie jetzt in der kürzesten Zeit eingestoßen haben.«

Es gehörte gerade kein großer Scharfsinn dazu, aus diesen Worten zu schließen, dass sie im Begriff waren, den Balken wie einen Mauerbrecher gegen die Türe zu gebrauchen. Als sich mir diese Überzeugung aufdrängte, verlor ich endlich den Mut. Ich wusste, dass die Türe eingestoßen werden würde. Keine Barrikade, wie ich sie gebaut hatte, konnte länger als einige Minuten den Stößen mit einem schweren Balken widerstehen.

»Ich kann nichts weiter tun, als das Haus gegen sie halten,« sagte ich zu mir, während meine Knie zusammenschlugen und die Tränen meine Wangen zu netzen begannen. »Ich muss mich auf die Nacht und die dichte Finsternis verlassen und mein Leben durch Laufen retten, so lange es noch Zeit ist.«

Ich warf rasch ein Tuch über den Kopf und hatte bereits meine Hand auf der Eisenstange der hinteren Türe, als ein klägliches Miauen aus meinem Schlafgemach mich an meine arme Katze erinnerte. Ich eilte hinein und nahm sie in die Schürze. Ehe ich wieder in den Gang hinaus kam, fiel der erste Stoß mit dem Balken.

Die oberen Bänder der Türe gaben nach. Die Stühle und der Kohlenkorb, welche den oberen Teil meiner Barrikade bildeten, fielen rasselnd zu Boden; aber die unteren Bänder, die Werkzeugkiste und die Kommode behaupteten noch immer ihren Platz. »Noch einen,« hörte ich die Schurken rufen, »noch einen Stoß und wir haben gewonnen!« Gerade, als sie zu diesem den Anlauf nahmen, öffnete ich die hintere Türe und floh in die Nacht hinaus mit den Banknoten in meinem Busen den silbernen Löffeln in meiner Tasche und der Katze in meinen Armen. Ich verfolgte meinen Weg leicht genug durch die gewohnten Hindernisse des Hofs und befand mich draußen auf dem dunkeln Moor, noch ehe ich den zweiten Stoß vernahm und das Krachen sagte, dass die ganze Türe nachgegeben hatte.

Schon nach wenigen Minuten mussten sie meine Flucht mit dem Taschenbuch entdeckt haben, denn ich hörte Rufe, als ob sie mich verfolgten. Ich lief aus Leibeskräften und die Töne verloren sich sehr bald in der Ferne. Es war so finster, dass zwanzig Diebe statt zwei es nutzlos gefunden hätten, mir zu folgen.

Wie lange es dauerte, bis ich das Farmhaus, den nächsten Ort, wo ich meine Zuflucht suchen konnte, erreichte, vermag ich nicht zu sagen. Ich erinnere mich nur, dass ich auf meinem Weg den Wind immer im Rücken zu halten suchte, da ich am Abend bemerkt hatte, dass er gegen die Moor-Farm wehte! Hätte er sich geändert gehabt, so würde ich mich wahrscheinlich verirrt haben und vielleicht vor Erschöpfung und Kälte auf dem Moor umgekommen sein, denn ich war, nach dem, was ich ausgestanden, meiner Sinne nicht mehr mächtig. Glücklicherweise blies er noch immer aus derselben Richtung, wie seit Sonnenuntergang, und ich erreichte das Farmhaus ganz durchnässt und in fieberhaftem Zustand. Als ich an die Türe klopfte, waren alle bereits zu Bett gegangen mit Ausnahme des ältesten Sohnes des Farmers. Ich besaß gerade noch Kraft genug, ihm mit einigen Worten zu sagen, um was es sich handelte, und fiel dann ohnmächtig zu seinen Füßen nieder.

Der Ohnmacht — der ersten in meinem Leben — folgte eine schwere Krankheit. Als ich nach dieser meine Besinnung wieder erlangte, befand ich mich in einem der Betten des Farmhauses. Mein Vater, Mrs. Knifton und der Arzt waren im Zimmer, die Katze schlief zu meinen Füßen und das gerettete Taschenbuch lag auf seinem Tische an meiner Seite.

Es gab Nachrichten genug für mich, sobald ich im Stande war, sie anzuhören. Shifty Dick und der andere Schurke befanden sich im Gefängnis und erwarteten ihre Aburteilung bei den nächsten Assisen. Mr. und Mrs. Knifton waren über die Gefahr, der ich ausgesetzt gewesen und von der sie sich die Schuld beimaßen, weil sie so unüberlegter Weise das Taschenbuch bei mir zurückgelassen hatten, so bestürzt gewesen, dass sie meinen Vater überredeten, sein einsames Häuschen zu verlassen und eine Wohnung auf ihrem Gute zu beziehen, die wir mietefrei erhalten sollten. Die Banknoten, die ich gerettet, erhielt ich zum Geschenke, um für die Möbel, welche die Diebe ruiniert hatten, andere zu kaufen. Diese angenehmen Nachrichten trugen sehr viel dazu bei, meine Wiederherstellung so weit zu befördern, dass ich sehr bald im Stande war, meinen Freunden in dem Farmhause die Begebenheiten, die ich hier niedergeschrieben, ausführlich zu erzählen. Sie waren alle erstaunt und hörten mit lebhaftem Interesse zu; aber keiner zeigte, wie ich wahrzunehmen glaubte, eine so atemlose Aufmerksamkeit als der älteste Sohn des Farmers, dessen glückliche Gattin ich sechs Monate darauf wurde. So hat denn das nächtliche Abenteuer im schwarzen Häuschen mein Glück begründet.


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