Gesetz und Frau



Zweites Capitel.

Die Vertheidigung von Mrs. Beanly.

Die Tage, welche dem Diner des Major Fitz-David vorangingen, waren mir sehr kostbar.

Meine lange Unterhaltung mit Miserrimus Dexter hatte mich doch mehr angegriffen, als ich anfangs geglaubt. Erst mehrere Stunden, nachdem ich ihn verlassen, fühlte ich, wie nervös mich die Zusammenkunft gemacht. Beim geringsten Geräusch fuhr ich erschreckt empor; bei der kleinsten Gemüthsbewegung brach ich in Thränen aus. Absolute Ruhe war das was ich brauchte, und glücklicherweise konnte ich mir diese gewähren. Ich hielt es für selbstverständlich, daß ich meinem alten Freunde Benjamin nicht eher von meinem Besuch bei Mr. Dexter erzählte, als bis ich mich vollständig erholt haben würde. Ich empfing keine Besuche Mrs. Macallan kam zu mir, und Major Fitz-David machte mir seine Aufwartung, die Eine, um zu hören, was zwischen mir und Miserrimus vorgefallen, der Andere, um mich mit Stadtneuigkeiten zu unterhalten, ohne daß Einer von Beiden vorgelassen wurde. Benjamin nahm es auf sich, mich zu entschuldigen. Nachmittag nahmen wir einen offenen Wagen und machten eine erfrischende Spazierfahrt. Die folgenden Tage brachten wir damit zu, Domino zu spielen oder von alten Zeiten zu plaudern. Als der Tag des Diners herankam, hatte ich mich wieder vollkommen erholt und war begierig, Lady Clarinda vorgestellt zu werden.

Benjamin sah etwas betrübt aus, als wir zum Major Fug-David fuhren.

Die Erinnerung, welche mir von den Personen und Ereignissen des Diners geblieben, ist ziemlich unklar. Ich entsinne mich nur, daß wir sehr lustig waren, als wenn wir schon lange alte Freunde gewesen. Ich entsinne mich, daß Madame Mirliflore in ihrer prachtvollen Toilette und in der Art und Weise, wie sie dem splendiden Diner des Majors Gerechtigkeit widerfahren ließ, hoch über allen andern stand. Ich erinnere mich des Majors junger Primadonna, deren Anzug noch extravaganter, deren Stimme noch schärfer geworden war. Ich erinnere mich des Majors selbst, der fortwährend unsere Hände küßte, fortwährend schöne Redensarten sagte und von Anfang bis zu Ende den alternden Don Juan spielte. Ich erinnere mich, daß der alte Benjamin vollständig aus dem Häuschen kam, sich vor Madame Mirliflore fürchtete, vor Lady Clarinda schämte, dem Major Unterwürfigkeit zeigte, beim Gesang der Primadonna Zahnschmerzen bekam und sich von ganzem Herzen nach Hause sehnte. Am deutlichsten steht Lady Clarinda vor mir. Ich entsinne mich jedes Wortes, das ich mit ihr gesprochen, als wenn es gestern gewesen wäre.

Ich sehe ihre Kleidung, ich höre ihre Worte Sie trug einfachen weißen Mousselin über weißem Atlas, ohne irgend welchen Besatz oder sonstige Verzierungen. Ein kleines weißes Band, vorn durch eine Diamant-Broche zusammengehalten. Sie war außergewöhnlich schön, dennoch hatte ihre Schönheit etwas von dem harten und eckigen Character, dem man so oft in der englischen Aristokratie begegnet, die Nase zu dünn, das Kinn zu vorstehend und zu scharf geschnitten, die hübschen großen grauen Augen voll Geist und Würde, jedoch der Sanftmuth und Zärtlichkeit entbehrend. Ihr Benehmen athmete den ganzen Reiz, welchen feine Erziehung mit sich bringt und dabei die leichte Unbefangenheit, welche das Gespräch mit ihr so angenehm und flüssig machte. Sie gab ein Bild einer vornehmen Frau, die vollkommen frei von Stolz und Aufgeblasenheit ist.

Wir unterhielten uns vortrefflich miteinander. Verabredeter Maßen war ich ihr als Mrs. Woodville vorgestellt. Noch ehe das Diner vorüber war, hatten wir einander versprochen, uns besuchen zu wollen.

Es fehlte mir nur noch die Gelegenheit, das Gespräch auf Mrs. Beanly zu bringen.

Spät Abends kam diese Gelegenheit.

Nach dem Gesang der Primadonna hatten wir uns in ein kleines Hinterzimmer zurückgezogen. Wir saßen nebeneinander, beide ganz allein in dem Gemach, ungehört und ungesehen von der Gruppe, die sich um das Piano gesammelt hatte. Zu meinem unaussprechlichen Vergnügen brachte Lady Clarinda das Gespräch auf Miserrimus Dexter. Dann ging die Unterhaltung ebenso natürlich auf Mrs. Beanly über.

Welche Belohnung wurde mir endlich zu Theil! Während ich jetzt an meinem Pult sitze, und schreibe, sinkt mir das Herz in der Brust, wie es mir an jenem nie vergessenen Abende sank. —

»Also sprach Dexter wirklich zu Ihnen von Mrs. Beanly?« rief Lady Clarinda. »Sie glauben nicht, wie Sie mich dadurch in Erstaunen setzen.«

»Darf ich fragen warum?«

»Er haßt sie! Als ich ihn das Letzte mal sah, wollte er mir nicht erlauben, ihren Namen auszusprechen. Es gehört dies zu seinen zahllosen Seltsamkeiten. Und doch sind sie beinahe für einander geschaffen, denn wenn Mrs. Beanly in Extase geräth, sagt und thut sie Dinge, deren Dexter in ähnlichem Zustande sich nicht zu schämen hätte. Ich bin neugierig, ob sie Ihnen gefallen wird.«

»Sie sind so gut gewesen, mich einzuladen, Sie zu besuchen, Lady Clarinda. Vielleicht habe ich das Vergnügen, Mrs Beanly in Ihrem Hause zu begegnen.«

Lady Clarinda lachte, als ob sie diese Idee amüsirte.

»Ich hoffe, daß Sie nicht warten werden, bis der Zufall es so fügt,« sagte sie. »Helena’s letzte Laune besteht darin, sich einzubilden, daß sie die Gicht hat. Sie hat sich nach einem böhmischen oder ungarischen Bade begeben, dessen Namen ich vergessen. Und was sie nachher beginnen wird, ist ganz unmöglich vorher zu sagen. Liebe Mrs. Woodville! Ist es Ihnen hier zu warm? Sie sind ganz bleich geworden.«

Ich hatte das selbst gefühlt. Die Abwesenheit der Mrs. Beanly hatte mir einen Schlag gegeben.

»Wollen wir in das andere Zimmer gehen?« « fragte Lady Clarinda.

In das andere Zimmer gehen hieß der Unterhaltung ein Ende machen. Dahin durfte ich es nicht kommen lassen. Es war ja immerhin noch möglich, daß Mrs. Beanlys Mädchen nicht mit nach Ungarn gegangen sei, oder den Dienst ihrer Herrin bereits verlassen habe. Das mußte ich jedenfalls noch in Erfahrung bringen. Ich rückte meinen Stuhl etwas vom Feuer ab und nahm einen Handschirm vom Tisch. Wenn noch mehr dergleichen Nachrichten kamen, war es besser, wenn ich mein Gesicht maskiren konnte.

»Ich danke Ihnen, Lady Clarinda. Mir war allerdings etwas heiß. Sie setzen mich wegen Mrs. Beanly in Erstaunen. Nach dem, was Mr. Dexter mir sagte -—«

»Oh, Mr. Dexter müssen Sie durchaus keinen Glauben schenken,« unterbrach mich Lady Clarinda. »Er liebt es, seine Hörer zu mystificiren und hat auch Sie ohne allen Zweifel irre geführt. Wenn alles, was ich vernommen, wahr ist, muß er mit Helena’s Seltsamkeiten und Capricen vertrauter gewesen sein, als die meisten Anderen ihrer Bekannten Beispielsweise belauschte er sie einst auf einem ihrer Abenteuer in Schottland, das mich lebhaft an Auber’s reizende Oper . . . Gott, wie heißt sie doch? . . . erinnert. Ich glaube, ich werde nächstens noch meinen eigenen Namen vergessen. Ich meine die Oper, in der die beiden Nonnen aus dem Kloster entwischen, um auf den Ball zu gehen. Hören Sie doch! — Ist das nicht seltsam? — Indem Augenblick, wo wir darüber sprechen, singt das gewöhnlich aussehende Mädchen die Castagnetten-Arie aus dem zweiten Akt. Major! — Bitte, sagen Sie mir doch . . . aus welcher Oper ist das Lied!«

Der Major war höchst mißgestimmt über die Unterbrechung.

»Pst! Pst! meine schöne Lady!« flüsterte er auf den Zehenspitzen in das Hinterzimmer tretend. »Aus dem »schwarzen Domino.« — Dann schlich er auf den Fußspitzen wieder zurück.

Ich hatte es ebenfalls gewußt, aber nicht die Kraft zum Sprechen gehabt. Wenn, wie ich vermuthete, das von Lady Clarinda erwähnte Abenteuer der Mrs. Beanly mit den geheimnißvollen Vorgängen am Morgen des 21. October zusammenhing, befand ich mich allerdings auf der Schwelle der wichtigen Entdeckung, der ich jede Stunde meines Lebens geweiht. Ich maskirte mit dem Handschirm mein Antlitz und sagte dann in dem ruhigsten Ton, dessen ich Herrin zu werden vermochte:

»Bitte, erzählen Sie mir doch das Abenteuer.«

Lady Clarinda fühlte sich geschmeichelt durch, mein eifriges Verlangen, die Geschichte hören zu wollen.

»Ich hoffe, daß meine kleine Erzählung sich des Interesses werth zeigen wird, das Sie die Güte haben, ihr zuzuwenden,« sagte sie. »Wenn Sie Helena doch kennten; es sieht ihr so ähnlich. — Sie müssen nämlich wissen, daß ich die Geschichte von ihrem eigenen Mädchen habe. Sie hat ein neues Mädchen mit nach Ungarn genommen, das fremde Sprachen spricht; die alte Dienerin wurde mir unterdessen anvertraut. Ein förmlicher Schatz! Ich würde sehr glücklich sein, sie in meinem Dienst behalten zu können, wenn sie nicht einen Fehler hätte . . nur einen einzigen, sie heißt nämlich Phöbe. Doch nun zur Sache! Helena und Phöbe hielten sich nämlich in einem Landhause bei Edinburgh auf, das, wenn ich mich recht entsinne, Gleninch hieß. Die Besitzung gehörte jenem Mr. Macallan, der später angeklagt wurde, seine Frau vergiftet zu haben. . . Sie erinnern Sich vielleicht des scandalösen Vorfalls. — Doch fürchten Sie Sich nicht, meine Erzählung wird nichts damit zu thun haben; sie beschäftigt sich nur mit Helena Beanly. Eines Abends also, und zwar während ihres Aufenthalts in Gleninch, wurde sie von einigen englischen Freunden aufgefordert mit ihnen zu diniren. An demselben Abend fand in Edinburgh ein Maskenball statt. Den Namen des Wirthes habe ich aber wieder vergessen. Wenn dies Ereigniß in dem strengsittlichen Schottland überhaupt schon verpönt war, so wurde es noch mehr in den Augen des Publikums, weil es eine ziemlich bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sein sollte. Damen von zweifelhaftem Ruf, und Gentleman, die ganz damit zufrieden waren. Helena’s Freunde hatten trotzdem nicht der Versuchung widerstehen können, sich Einlaßkarten zu verschaffen und vertrauten dann dem Schutz ihrer Masken. Helena war natürlich auch zur Theilnahme aufgeforden worden, und da grade eine wilde Laune über sie kam, nahm sie sich vor, derselben Folge zu leisten. Es kam ja nur darauf an, das Abenteuer in Gleninch nicht bekannt werden zu lassen, da Mr. Macallan ein äußerst strenger Sittenrichter war und die Ansicht ausgesprochen hatte, daß jede Lady, die einen solchen Ball besuchte, ihres guten Rufes verlustig ginge. Helena fädelte die Sache aber ganz geschickt ein. Sie fuhr von Gleninch zum Diner nach Edinburgh, nachdem sie Phöbe bereits dahin vorausgesandt. Als das Essen vorüber und es Zeit war, wieder nach Hause zu fahren, setzte sie ihr Mädchen in die Kutsche und ließ es, statt ihrer, nach Gleninch zurückkehren. Die Täuschung konnte dadurch ermöglicht werden, daß Phöbe Mantel, Hut und Schleier ihrer Herrin anlegte. Das Mädchen wurde dahin instruirt, daß es gleich nach seiner Ankunft die Treppe hinauflaufen solle, nachdem als Entschuldigung, einen von Helena selbst geschriebenen Zettel auf den Flurtisch gelegt habe. Herrin und Dienerin waren von gleicher Größe, so daß das Gesinde in Gleninch leicht getäuscht wurde. Phöbe gelangte unangefochten in das Zimmer der Mrs. Beanly. Hier hatte sie die Weisung zu warten, bis das Hans zur Ruhe gegangen sei, und dann sich zu ihrem eigenen Zimmer hinabzuschleichen. Während des Wartenes schlief das Mädchen jedoch ein und wachte erst um zwei Uhr morgens oder noch später wieder auf. Schnell ging sie auf den Fußspitzen hinaus und zog die Thüre hinter sich zu. Noch ehe sie am Ende des Corridors war, kam es ihr vor, als wenn sie ein Geräusch hörte. Sie wartete eine Weile und blickte dann verstohlen und unbemerkt nach oben. Da gewahrte sie Dexter auf den Händen umherhüpfend und durch die Schlüssellöcher guckend, zweifelsohne in der Absicht, die Person zu entdecken, welche um 2 Uhr morgens daß Zimmer verlassen, und ebenso zweifelsohne Phöbe, welche vergessen Mrs. Beanly’s Hut und Mantel abzunehmen, für deren Herrin haltend. Am andern Morgen in aller Frühe kehrte Helena in einem Miethsfuhrwerk und in geborgtem Hut und Mantel nach Gleninch zurück. Sie stieg auf der Landstraße aus und gelangte durch den Garten unbemerkt in das Haus. Nun, hat die Geschichte nicht Aehnlichkeit mit dem schwarzen Domino? — Am andern Tage fand das schreckliche Ereigniß der Vergiftung statt. — Aber Sie werden schon wieder bleich, liebe Mrs. Woodville. Es ist zu heiß im Zimmer. Nehmen Sie mein Riechfläschchen; ich will ein Fenster öffnen.«

»Bitte, lassen Sie mich hinaus in die frische Luft, und sagen Sie nichts!« konnte ich nur mit Mühe hervorbringen.

Ich gelangte auch unbemerkt auf den Flur und setzte mich auf eine Treppenstufe, um mich ein wenig zu erholen. Einige Minuten darauf fühlte ich eine sanfte Hand auf meiner Schulter und erblickte Benjamin, der traurig auf mich herabsah.

Lady Clarinda hatte ihn meinetwegen in Kenntniß gesetzt und ihn gebeten, mir seinen Beistand angedeihen zu lassen.

»Mein liebes Kind, was ist Ihnen?« flüsterte er mir zu.

»Bitte, bringen Sie mich nach Hause, dann will ich Ihnen Alles erzählen.« Mehr vermochte ich nicht zu sagen.


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