Die Heirat im Omnibus



Erstes Kapitel

Was will ich schreiben?

Die Geschichte der Ereignisse von wenig mehr als einem Jahre der vierundzwanzig, aus welchen mein Leben bis jetzt zusammengesetzt ist.

Warum habe ich diese Aufgabe unternommen?

Weil ich glaube, daß meine Erzählung Gutes stiften kann; weil ich hoffe, daß sie früher oder später mit Nutzen zu Rathe gezogen werden wird.

Es hat Menschen gegeben, welche, ehe sie den Geist aufgaben, ihren Körper den Aerzten vermachten und der Wissenschaft gleichsam zum Opfer brachten.

Auf dieselbe Weise bringe ich mit diesen Blättern, die ich geschrieben, während alle Freude und alle Hoffnung in mir mit dem Tode ringt, mein Herz, welches von dem Seziermesser schon zerfleischt worden, der menschlichen Natur zum Opfer.

Ich wünsche meine Geständnisse zu schreiben. Vielleicht ist dies meine Entschuldigung, die ich vorzubringen wünsche.

Ich schicke mich an, die Geschichte eines Fehltrittes zu erzählen, der in seinem Beginne wenig tadelnswerth erschien, in seinem Fortgange strafbar und in seinem Ergebnisse verhängnißschwer und unheilvoll ward.

Ich würde mich sehr glücklich fühlen, wenn die offene und aufrichtige Darlegung, die ich machen will, die Gründe hervorhebt, welche mir zur Entschuldigung gereichen.

Wenn diese Blätter nach meinem Tode gefunden werden, so wird man sie nach ruhigem, wohlwollendem Durchlesen vielleicht so beurtheilen wie es Reliquien zukommt, welchen die eisige Kälte des Grabes etwas Feierliches und Ehrfurcht erweckendes verleiht.

Dann wird der über mich gefällte strenge Urtheilsspruch ohne Zweifel Reue erwecken. Die neue Generation, welche in unserem Hause heranwächst, wird gelehrt werden, von meinem Andenken mitleidig und menschenfreundlich zu sprechen, und wer weiß, ob man nicht beim stillen Nachdenken in den einsamen Stunden der Nacht einige Sympathie für mich empfindet.

Bewogen durch diese Gründe und andere, die ich fühle, aber nicht analysieren kann, mache ich mich schon jetzt an die Aufgabe, die ich mir gestellt habe.

Versteckt unter den fernen Hügeln des abgelegensten Westens Englands, unter den schlichten Bewohnern eines kleinen Fischerdorfes an der Küste von Cornwalls lebend, kann ich kaum erwarten, daß meine Aufmerksamkeit von meiner Arbeit abgelenkt werde oder daß meine Trägheit der raschen Lösung meiner Aufgabe hinderlich sei.

Ich lebe unter der fortwährende Drohung eines Schlages, der mich in jedem Augenblicke treffen und mein Schicksal enden kann, ohne daß ich weiß, in wie kurzer Frist und auf welche Weise er mich ereilen wird.

Ein tödlicher entschlossener Feind, der geduldig genug ist, um Tage, ja Jahre lang auf die günstige Gelegenheit zu warten, verfolgt fortwährend im Dunkeln meine Spur, und indem ich meine Bekenntnisse anfange, kann ich weder sagen, daß die nächste Stunde mir noch gehören, oder daß mein Leben bis zum Abende dauern werde.

Das Bedürfniß nach Thätigkeit verzehrt mich, ohne mir Ruhe oder Rast zu gönnen, und der Gedanke an den Tod stachelt mich an.

Nicht um mir die Zeit zu vertreiben, beginne ich daher meine Erzählung, und dieser Tag, wo ich sie beginne, ist mein Geburtstag. Heute vollende ich mein vierundzwanzigstes Lebensjahr, und zum ersten Male trete ich in ein neues Jahr, ohne mich durch eine einzige freudige Stimme begrüßen zu hören, ohne einen liebenden Wunsch zu beantworten zu haben.

Aber dennoch folgt mir noch ein Blick des Willkommens und liebkost mich in der Einsamkeit. Es ist der Blick der Natur an einem reizenden Morgen, so wie ich ihn von dem Fenster meines Zimmers aus sehe.

Die Sonne umsäumt die purpurnen Wolken mit immer heller funkelnden goldenen Fransen und durchbohrt sie mit ihren Strahlen.

Die Fischer spannen ihre Netze aus, um sie am Fuße der Felsen trocknen zu lassen. Die Kinder spielen um die auf den Strand gezogenen Boote herum und der frische, reine Hauch der Seeluft weht landwärts. Alles glänzt und schimmert und erfreut das Auge; alle Töne und Klänge ergötzen das Ohr in dem Augenblicke, wo meine Feder die ersten Zeilen schreibt, welche die Geschichte meines Lebens eröffnen.


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