In der Dämmerstunde



Die letzten Blätter aus Leah’s Tagebuch.

Am 3. Juni. — Unsere Geschichten sind zu Ende. Es ist ein lieblicher Sommernachmittag. Die große Halle im Pächterhause, die sonst stets so bevölkert war, ist nun leer geworden. Ich sitze allein an meinem kleinen Arbeitstische, mit ängstlicher Besorgnis und zitternden Händen. Unser Manuskript ist versiegelt und abgesendet, ich nenne es unser drittes Kind, es ist nun in die Welt geschickt, um sich sein Heil zu versuchen.

Kurz vor 12 Uhr gestern Abend, dictirte mir mein Mann die letzten Worte der gelben Maske. Ich legte dann die Feder nieder und faltete das Papier gedankenvoll zusammen. Wir waren Beide so still, dass wir das Rauschen der Bäume durch die stille Nacht hörten.

Williams Vorrat von Erzählungen ist noch nicht halb erschöpft; aber wir wollen erst warten, ob das Publikum die Geschichten auch freundlich aufnehmen wird.

Der Doktor zeigte die beiden ersten Erzählungen, als wir sie vollendet hatten, dem Herausgeber einer Zeitung, und dieser soll sich sehr günstig darüber geäußert haben; denn er machte William den Vorschlag, solche Anekdoten durch seine Zeitung veröffentlichen zu lassen, welche sich nicht zur Aufnahme in ein Buch eignen.

Mein Mann verdiente damit so viel Geld, wie wir zu den kleinen Ausgaben im Pächterhause benötigten. Unsere Freunde wollen uns nun gern so lange Kredit gewähren, bis wir das Geld für das Buch erhalten. Das ist ein großes Glück!

Williams Augen sind durch die lange Frist der Ruhe überraschend gestärkt, und er nimmt nur noch den Augenschirm bei starkem Sonnenlicht oder wenn Kerzen brennen.

Mein Mann freut sich kindisch auf den Augenblick, wo ihm erlaubt sein wird, Pinsel und Farben wieder in Bewegung zu setzen.

Mit diesen angenehmen Aussichten ist es fast ein Unrecht, von Traurigkeit sprechen zu wollen. Aber, wenn ich vorhin sagte, dass mein Herz beklommen ist und meine Hand zittert, so ist dies nur von dem Trennungsschmerze.

Ich nehme von dem Buche an dem ich so manche Stunde schrieb, Abschied, wie von einem theueren Freunde. Ich packte das Manuskript diesen Morgen in starkes braunes Papier ein, weil ich fürchtete, es könnte dem lieben Gegenstande auf der langen Reise ein Leid geschehen. Ach! Es sah so billig, so gewöhnlich aus, wie ein anderes Paket, dieses Kind unserer Arbeit.

Gerade als wir zu Mittag gespeist hatten, kam der Doktor mit dem Verleger.

Der Pächter erfuhr, dass das Buch nun nach London gehen sollte und es wurde eine Flasche von ihm herbeigeholt und aus guten Erfolg des Werkes rund um den Tisch getrunken. Nur der Buchhändler trank nicht mit auf den Erfolg.

Er war zwar sehr höflich, aber doch ein wenig gemessen und fast kalt; er teilte mir mit, dass er das Erscheinen des Buches bereits öffentlich angezeigt habe.

»Denken Sie, dass es gedruckt werden wird?« fragte ich.

»Meine liebe Frau,« erwiderte er, »die Sache ist ja abgemacht, das Buch ist so gut wie gedruckt.«

»Es tritt jetzt die Frage auf, wie das Publikum dasselbe aufnehmen wird,« sagte mein Mann und lehnte sich gedankenvoll zurück.

»So ist es! Mister, so ist es!« rief der Buchhändler, »Alles hängt von dem Publikum ab, auf mein Wort!

»Sie sehen wieder so zweifelhaft aus, Mister Kerby,« sagte der Doktor; »es gibt hier keinen Zweifel mehr!«

Damit gab er dem Manuskripte einen leichten Schlag, als der Buchhändler sich mit demselben entfernte.

Die ganze Gesellschaft verließ mich und ich blieb allein in der Halle zurück.

Publikum, o Publikum, Alles hängt von Dir ab! Die Kinder sollen neue Kleider haben von Kopf bis zu den Füßen; ich werde mir eine schwarze seidene Jacke kaufen; William braucht ein dunkles Arbeits-Beinkleid; dann wird die Miete bezahlt, und jeder unserer Freunde im Pächterhause soll ein kleines Geschenk erhalten. Unsere zukünftige schwere Lebensbahn erschließt sich viel leichter, wenn das Publikum die Erzählungen des armen reisenden Portrait-Malers freundlich aufnimmt, die sein treues Weib in der Dämmerstunde niederschrieb.



Kapiteltrenner


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