In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Dritter Teil

Erstes Kapitel

Nachdem die Gräfin d’Ascoli etwa acht Monate begraben war, beschäftigte sich die lustige Welt Pisas mit zwei Gerüchten, welche die Erwartung, wie die Neugierde spannten. Das eine sprach von einem großartigen Maskenfest, welches im Palast Melani gegeben werden sollte, und zwar zu Ehren der Erbin des Hauses, die ihre Großjährigkeit feiern würde.

Die Freunde des Hauses waren schon im Voraus entzückt von dem Feste, weil der alte Marquis den Ruf hatte, der gastfreundlichste aber auch der sonderbarste Mann in Pisa zu sein. Jedermann war überzeugt, dass, wenn der Ball wirklich gegeben werde, auch das Vorzüglichste an Maskenaufzügen, Tänzen und allgemeinen Vergnügungen geboten werden würde.

Das zweite Gerücht sprach von der Rückkehr des jungen Witwer Fabio d’Ascoli, der nach dem Tode seiner Frau in fremde Länder gereift war und nun geistig gekräftigt zurückkehren sollte. Auf dem Feste der Melani’s sollte er zum ersten Male wieder die große Gesellschaft besuchen, hieß es.

Dies interessierte die Damen Pisas natürlich am meisten. Fabio hatte nun sein dreißigstes Jahr erreicht und man fand es natürlich, dass er sich eine Gattin und seinem Kind eine zweite Mutter suchen werde.

Die Einladungen der Melani’s ergingen gerade, als Fabio in seinen Palast am Arno zurückgekehrt war. Es schien, als wollte der alte Marquis Melani’s dieses Mal in der Tat seinen Ruf als Sonderling befestigen; denn er erfand die außer gewöhnlichsten Kostüme, welche seine intimsten Freunde tragen sollten, dann arrangierte er die groteskesten Tänze, welche von einer Truppe aus Florenz ausgeführt werden sollten.

Er komponierte sogar selbst eine Symphonie zu dem Feste, und noch nicht befriedigt von dem Allem, ließ er noch reizende arkadische Lauben in zwei Zimmern errichten, in welchen die schönsten Mädchen aus Pisa, als Schäferinnen verkleidet, Erfrischungen reichen sollten, und zwar als Schäferinnen aus der Zeit des Virgil. —

Der Marquis hatte angeordnet, dass für jedes Zimmer fünfzehn Schäferinnen erwählt werden möchten. Man würde in Pisa leicht die doppelte Zahl der Schönen haben finden können, wenn Schönheit allein die Wahl geleitet haben würde, aber die Hirtinnen sollten sich auch gleichzeitig eines unbefleckten Rufes erfreuen, einmal weil sie mit dem Silbergeschirr des Grafen in lebhafte Berührung kommen würden und ferner —

Der Intendant des alten Marquis war zwar in Verzweiflung, aber er war doch gezwungen seinem Herrn am Vorabende des Festes mitzuteilen, dass er trotz eifrigsten Forschens doch nur die Zahl Von zweiundzwanzig Schäferinnen zusammen gebracht habe. —

»Unsinn!« schalt der alte Marquis, »ich wünsche dreißig und nicht eine darunter! Was nützt Ihr Kopfschütteln, da die Kleider der Dreißig bereits fertig sind!

Dreißig Tuniques, dreißig Kränze, dreißig Paar Sandalen und seidene Strümpfe, dreißig Hirtenstäbe, alles Dies liegt bereit! Was soll ich mit der Zahl zweiundzwanzig? Sprechen Sie kein Wort! Sie geben mir entweder meine dreißig Hirtinnen oder Sie verlieren Ihre Stellung!« Mit diesen Worten wies der alte Mann nach der Tür

Der Intendant des Hauses Melani wusste sehr genau, dass er nicht weiter widersprechen durfte und ging.

Den ganzen Tag lief der Intendant zu seinen Bekannten umher und bat sie fast flehentlich um die Mitwirkung ihrer Töchter bei dem Feste seines Herrn, und so gelang es ihm nach sehr vielen Bemühungen nun auch, die Zahl der Hirtinnen bis auf neunundzwanzig zu bringen.

Jetzt fehlte nur noch die Dreißigste und fast verzweiflungsvoll ging er eben durch eine Nachbarstraße des Campo Santo dem Palais Melani zu, als er ein junges Mädchen an der Tür eines Hauses stehen sah. Es schien, als warte sie auf Jemand.

»Himmel!« rief der Intendant, »wenn doch dieses Mädchen die Zahl füllen möchte! Sie würde die Hübscheste von den Dreißig sein und ich könnte meine Schritte ruhiger nach Hause lenken. Anfragen kostet ja nichts,« sagte der Mann und richtete sich dann mit den Worten an das junge Mädchen:

»Warten Sie ein wenig!« das Mädchen wollte eben in das Haus treten, »und erschrecken Sie nicht! Ich bin der Intendant des Marquis Melani und in ganz Pisa als rechtschaffener Mann bekannt, wünschen Sie vielleicht leicht, angenehm und auf ehrliche Weise Geld zu verdienen? Denn Sie sehen nicht so aus, als ob Sie zum Erwerben zu reich wären.«

»Ich bin sehr arm und sehr geneigt, etwas zu erwerben,« lautete ernst und bestimmt die Antwort.

»Gut,« sagte der Intendant, »so wird uns Beiden geholfen sein. Doch sagen Sie mir jetzt, wer Sie sind, denn ich habe mich Ihnen bereits genannt.«

»Ich bin eine Arbeiterin und mein Name ist Nanina,« sagte das Mädchen.

»Wohnen Sie in Pisa?«

»Ja, Sir, jetzt, aber ein Jahr war ich in Florenz, um das Nähen zu erlernen.«

»Sie waren ganz allein dort?«

»Nein, mit meiner kleinen Schwester; ich wartete eben auf das Kind, als Sie mich ansprachen.«

»Haben Sie sich früher nie mit etwas Anderem, als mit der Nähnadel beschäftigt?«

»Ja, in den letzten acht Monaten war ich in dem Dienste einer Dame in Florenz und meine Schwester, die erst elf Jahre alt ist, war in der Kinderstube dieser Dame beschäftigt.«

»Warum verließen Sie den Platz?«

»Die Dame ging mit ihrer Familie nach Rom und wir Schwestern konnten ihr nicht beide dahin folgen und trennen wollten wir uns auch nicht, da wir noch stets zusammen lebten, denn wir stehen ganz allein in der Welt. So sind wir nun hier in Pisa!«

»Und sind unbeschäftigt?«

»Wir kamen erst gestern hier an.«

»Da sind Sie wirklich sehr glücklich daran, mich hier gefunden zu haben,« sagte der Intendant. »Ist Jemand in der Stadt, der für Sie gut sagen kann?«

»Die Wirtin dieses Hauses!«

»Wer ist sie?«

»Ihr Name ist Martha Angrisani, Sir.«

»Was, die alte bekannte Krankenwärterin? Das ist die beste Empfehlung, die Sie haben können, mein Kind. Sie pflegte den alten Marquis, aber ich wusste nicht, dass sie hier wohne.«

»Die Frau hat das Haus hier länger als ich denken kann,« sagte Nanina, »denn meine jüngere Schwester und ich wohnten hier lange Zeit, und ich wünschte, dass wir wieder hier wohnen könnten, aber unser ehemaliges Zimmerchen ist vermietet und ein anderes, welches hier leer steht, ist zu teuer für uns.«

»Wie viel kostet es?« fragte der Intendant.

Nanina nannte die Summe und der Mann an ihrer Seite lachte laut auf. »Für das ganze Jahr kostet die Wohnung so viel?« fragte er noch einmal.

Nanina antwortete erstaunt: »Ja!«

»Ich will diese Summe sogleich geben,« sagte der Mann, »dazu sollen Sie noch schöne Kleider und Erfrischungen auf dem Ball des Marquis haben. Wollen Sie kommen?«

Nanina trat stumm einige Schritte zurück.

»Sie müssen ja von dem Balle gehört haben? Denn er wird von den Reichen und Armen in Pisa seit langer Zeit besprochen. Es ist so lange die Rede davon, seitdem die Gräfin d’Ascoli gestorben und ihr Gatte ins Ausland ging, und das sind nun bereits acht Monate her,« sagte der Intendant und verabschiedete sich, um von der Hausherrin Etwas über Nanina zu erfahren.

Nanina stand noch immer gedankenvoll da. Sie hatte nur gehört, dass Magdalene gestorben, der Graf ins Ausland gegangen war, aber nichts von seiner Rückkehr, nichts von dem Feste im Palast Melani.

Als sie noch so dastand, kam Biondella mit ihrem Pudel zurück und der Intendant trat auch wieder mit der Wirtin auf den Flur des Hauses.

»Sehen Sie nur,« sagte die gute Wirtin zu dem Intendanten, »dort kommt die Schwester der Nanina; es ist ein höchst geschicktes, liebes und fleißiges Kind, vielleicht braucht Ihr Herr, seine Exzellenz, einmal Etwas von der Ware der Kleinen; sie flechtet die schönsten Tischdecken in Pisa. — Was hast Du mit dem Hunde gemacht, Kleine?« fragte die Frau.

»Ich konnte ihn nicht an den Fleischbänken vorüber bringen,« sagte Biondella, »er wollte durchaus die Wurst belecken und ich hatte so große Furcht, dass er eine Wurst stehlen würde.«

Der Intendant klopfte Biondellas Wangen:und nannte sie ein hübsches, ehrliches Kind.

»Wenn Se. Exzellenz noch vielleicht einen Cupido brauchte, sollte sie auch mit auf dem Balle sein,« schloss der Mann, nachdem er Nanina’s großes Lob aus dem Munde ihrer alten Bekannten mit angehört hatte.

Er versprach dann, dass sie die Wohnungsmiete erhalten würde und ordnete an, dass sie morgen im Palast erscheinen und ihr Schäferkleid anprobieren sollte.

Der Biondella versprach der gute Mann noch Konfekt und schöne Bäckereien von dem Feste.

Biondella klatschte in die Hände und rief: »O, geh’ zu dem Balle, Nanina! Gehe, ja!«

Nanina stand noch ein Weilchen zögernd, dann fragte sie die alte Frau: »Glauben Sie, dass auch Priester auf dem Balle sein werden?«

»Aber Kind, eher findest Du Türken in einer christlichen Kirche, als Priester auf einem Maskenball,« antwortete die Wirtin.

Nanina antwortete nicht.

Ihre größte Angst bestand darin, dass der Priester sie einst auffinden würde; denn sie hatte sein Misstrauen noch nicht vergessen. —

»Also morgen, im Palast Melani,« sagte der Intendant; nahm seinen Hut und ging.

Er freute sich, dass er nun seinem Herrn die gewünschte Zahl der Schäferinnen würde vorführen können.

Der Intendant fand in dem Palast viele Arbeiter mit den Zurüstungen für die Festlichkeit beschäftigt und es hatten sich auch schon Zuschauer auf der Straße eingefunden, unter denselben befand sich auch eine Dame, deren hübsches Gesicht dem Intendanten gefiel.

Während er sie noch betrachtete, kam ein Pudel herbeigelaufen, beschnüffelte die Dame und fing dann an zu bellen und zu heulen.

Der Intendant nahm seinen Stock und trieb das Tier fort.

»Das abscheuliche Tier!« rief die Dame aus und setzte hinzu: »Nanina muss nach Pisa zurückgekehrt sein!«

»Sie nannten eben den Namen Nanina,« sagte der Intendant, »meinen Sie damit vielleicht eine kleine Handarbeiterin, in der Nähe von Campo Santo?«

»Dieselbe!« entgegnete die Dame überrascht.

»So kann ich Ihnen sagen, dass sie eben nach Pisa zurückgekehrt ist, und dass ich sie eben für die morgen hier stattfindende Festlichkeit engagiert habe.«

Die Dame verneigte sich und ging weiter ohne noch ein Wort zu sagen.

»Das ist eine merkwürdige Person!« sagte der Intendant und trat in den Palast.


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