In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Zweites Kapitel

Während Marchese Melani sich nach dem Befinden der Wöchnerin erkundigte, saß Fabio in dem Wohnzimmer, welches als ein Lieblingsaufenthalt Magdalenens galt. Dasselbe war mit gelb seidenen Tapeten und mit gelb überzogenen Sesseln ausgestattet. Der junge Mann wartete auf den Ausspruch des Arztes.

Obgleich Magdalene nicht seine erste Geliebte war, und obgleich ihm das Mädchen nur durch Schlauheit zugeführt worden war, so schien die Ehe dennoch eine ziemlich glückliche zu sein.

Seine Frau verstand es, sich in seine Launen zu schicken und bewies ihm stets erst dann sein Unrecht, wenn er wieder ruhiger war. Sie war früher eifersüchtig gewesen, aber jetzt zeigte sich keine Spur dieser Leidenschaft mehr. Sie war nun die Mutter seines Kindes geworden und das Band der Liebe hätte sich von jetzt ab gewiss noch fester um die Gatten geschlungen; aber Magdalene lag nun gefährlich krank, und der junge Mann harrte ängstlich darauf, was der Doktor sagen würde.

Er läutete und es wurde ihm Licht gebracht.

Er fragte den Diener, wie es in dem Krankenzimmer stehe. Der Mann berichtete, dass die Gräfin schliefe; mit diesen Worten legte er einen versiegelten Brief auf den Tisch. Fabio fragte: wann derselbe angekommen sei. Er erhielt die Antwort, dass er bereits seit zwei Tagen auf dem Schreibtische des Ateliers gelegen habe und dass er ihn jetzt noch einmal übergebe.

Der Diener ging.

Fabio erinnerte sich daran, dass der Brief mit der unbekannten Handschrift vor zwei Tagen angekommen sei; da aber seine Gattin damals gerade so sehr leidend gewesen war, so hatte er ihn unbeachtet liegen lassen. Er öffnete den Brief und sah nach der Unterschrift.

Er kam von Nanina.

Er erbleichte: »Ein Brief von ihr! Warum kommt er gerade jetzt?« Er blickte nach der Richtung des Krankenzimmers und zögerte mit dem Lesen. Fabio war ja abergläubisch. — Doch er las:

»Habe ich Unrecht Ihnen zu schreiben?

»Gut, so werfen Sie das Stück Papier ins Feuer und denken Sie nicht weiter daran. Warum ich Sie verließ? Damit Sie das arme Mädchen nicht heiraten sollten. Mein Herz wollte zwar brechen, doch ich erhielt mich bei der Erinnerung, dass dies zu Ihrem Wohle geschehe. Ich dachte Tag und Nacht daran.

»Oft beschloss ich nach Pisa zurückzukehren und Ihnen zu sagen, dass Nanina nicht herzlos und undankbar sei, dass Sie Mitleid mit ihr haben und sie nicht länger lieben möchten.

»Ich konnte Ihnen das nur mündlich sagen, da ich nicht zu schreiben verstand. Ich lernte es jetzt erst heimlich. Dann schrieb ich meinen ersten Brief an Sie; als er beinahe vollendet war, erfuhr ich, dass Sie geheiratet haben, da verdarb ich das Schreiben mit meinen Tränen und schrieb nicht weiter.

»Ich hatte ja kein Recht, Sie und Ihre Gattin mit einem Briefe zu belästigen, ich durfte nur für Ihr Glück beten. Sind Sie glücklich? Ich nehme es an, denn welche Frau sollte Sie nicht lieben?

»Es wird mir sehr schwer, Ihnen zu sagen, warum ich nun doch schreibe.

Ich hörte, Ihnen sei ein Kind geboren und ich dachte, bei dieser Gelegenheit ist es wohl geeignet, dass ich Ihnen schreibe. Ich wünsche dem Kind Glück und Heil!

»Ich lebe bei guten Leuten und verdiene mir das tägliche Brot. Die Biondella ist nun so gewachsen, dass sie nicht mehr auf Ihren Schoß gehen müsste, um Sie zu küssen; ihre Decken versteht sie jetzt schon viel schöner und feiner zu flechten. Unser alter Hund lebt noch bei uns und hat zwei neue Kunststücke zu erlernt.

»Ich muss schließen. Wenn Sie den Brief bis zu Ende lesen sollten, so entschuldigen Sie die schlechte Schrift. Er enthält keine Adresse, weil ich finde, es ist besser, wenn ich keine Antwort erhalte. Ich segne Sie und bete für Sie und sage Ihnen ein Lebewohl. Können Sie an mich wie an eine Schwester denken, so tun Sie es zuweilen.«

Fabio seufzte bitterlich, als er den Brief gelesen hatte. Warum muss der Brief gerade jetzt kommen, sagte er. Tränen kamen in seine Augen. Er hob den Brief eben zu seinen Lippen auf, da wurde an die Tür geklopft. Ein Diener trat ein.

»Meine Herrin ist erwacht,« sagte der Mann mit sehr ernstem Gesicht, »und der Herr Doktor —«

Bevor er noch seine Botschaft ausrichten konnte, trat der Arzt auch in das Zimmer.

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen bessere Nachrichten bringen,« sagte er zu Fabio.

»Hat sich die Krankheit verschlimmert?« fragte der junge Ehemann und sank in seinen Sessel zurück.

»Sie ist nach dem Schlafe viel schwächer geworden,« antwortete der Doktor. »Ich gebe freilich noch nicht alle Hoffnung auf, aber —«

»Warum sollen Sie sich mit falschen Hoffnungen trösten,« sprach der zweite Arzt, den man aus Florenz berufen hatte und der eben auch ins Zimmer trat, »die Gräfin liegt im Sterben. Kommen Sie zu ihr!«

Bleich und stumm erhob sich Fabio und machte eine bejahende Bewegung. Der Doktor musste ihn führen, so zitterte er am ganzen Körper.

»Hat Ihre Herrin Verwandte in Pisa?« fragte der fremde Doktor den Diener.

»Ihren Vater, den Signor Luca Lomi und ihren Onkel, den Pater Rocco,« entgegnete der Mann. »Sie waren beide heute hier, bevor die Kranke einschlief.«

»Können Sie sie herbeirufen?«

»Ja, Signor Lomi ist in seinem Atelier, Pater Rocco in seiner Wohnung.«

»So schicken Sie gleich nach ihnen! Wo wohnt der Beichtvater der Dame?« setzte der Doktor hinzu.

»Ihr Beichtvater ist Pater Rocco.«

»Gut! So holen Sie sie schnell. Es sind nur noch wenige Minuten, die Ihre Herrin zu leben hat.«

Der Doktor setzte sich dann in den Stuhl, den Fabio so eben verlassen hatte.


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