In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Zweiter Teil

Erstes Kapitel

Der Meisterstreich der Modistin Grifoni war zwar gelungen, aber er bewahrte das große Etablissement nicht vor weiteren Unannehmlichkeiten; denn als Virginie acht Tage in dem Geschäft war, wurde sie krank.

Verschiedene Gerüchte gingen über diese Krankheit durch Pisa. Einige behaupteten, die neue Geschäftsführerin habe Gift erhalten; vielleicht von irgend einer Rivalin. — Die Krankheit war so ernster Natur, dass der Doktor die Genesene nach den Bädern von Lucca sandte, sobald es ging.

Glücklicher Weise hatte die Französin drei verschiedene Kleider vor ihrer Krankheit angefertigt, ein gelb seidenes Brokat-Kleid für eine Abendtoilette, einen schwarzen Mantel mit dazu gehöriger Kopfbedeckung vom allerneuesten Schnitt, und drittens, ein phantastisches Überkleid nach dem Schnitt, wie es die Prinzessin bei der Bluthochzeit in Paris getragen haben soll. Diese drei Gegenstände wurden nun in dem Verkaufslokale der Modistin gezeigt und die Damen von Pisa bewunderten und bestellten.

Die Direktrice blieb zwei Monate in Lucca und kehrte neu gestärkt nach Pisa zurück, um ihren Platz bei der Grifoni wieder auszufüllen.

Aber sie fand Manches verändert.

Ihre Freundin Brigitte hatte das Etablissement verlassen, trotzdem die Grifoni sie gern behalten hätte. Niemand konnte sagen, wo Brigitte sich aufhielt.

Monate vergingen. Es kam das neue Jahr, aber man hörte noch immer nichts von dem Flüchtling. Ja, es verging ein ganzes Jahr darüber, aber Brigitte blieb verschwunden. Gleich nachdem kam ein Brief an Virginie, in welchem Brigitte ihre Rückkehr nach Pisa anzeigte und den Wunsch aussprach, ihre Freundin Abends in ihrer Privatwohnung besuchen zu dürfen.

Die Einladung erging und Brigitte erschien auch pünktlich in dem Wohnzimmer ihrer Freundin. Brigitte fragte so leichthin nach dem Befinden ihrer Freundin, als wenn sie dieselbe vor einigen Tagen zum letzten Male gesehen habe.

Virginie lachte herzlich darüber und sagte: »Man nannte Dich stets im Geschäft der Grifoni »die Sorgenfreie!«

»Sage mir nur, wo bist Du gewesen? und warum hast Du nicht geschrieben?«

»Ich hatte Dir nichts Besonderes zu schreiben und dann hoffte ich auch, dass ich Dich hier bald wiedersehen würde,« antwortete Brigitte und lehnte sich behaglich in ihren Stuhl zurück.

»Also gut! Aber sage mir wenigstens, wo Du in dem ganzen Jahre gewesen bist? Warst Du in Italien?«

»Nein, in Paris. Du weißt ich singe, zwar nicht besonders, aber Du entschuldigst, wenn ich Dir sage, dass die Französinnen gar nicht singen können! Ich begegnete einer Freundin und diese stellte mich einem Theater-Direktor vor. Er engagierte mich und ich wurde auf seiner Bühne zwar nicht die Prima Donna, doch erhielt ich die zweiten Partien.

»Da Deine liebenswürdige Landsmännin mir auf der Bühne nicht schaden konnte, so intrigierte sie hinter meinem Rücken, wenn wir unbeschäftigt waren. In kurzer Zeit zankte ich mich nach einander mit dem Theater —Direktor, mit seiner Gattin, mit meiner Freundin, und so siehst Du mich nun wieder hier in Pisa mit wenig Geld im Beutel und ohne Plan für die nächste Zukunft.«

»Warum verließest Du uns?« erwiderte Virginie achselzuckend.

Brigittens Augen verloren den gleichgültigen Ausdruck, sie sah ihre Freundin bedeutungsvoll an und sagte: »Warum? — Jedes mal, wenn ich sehe, ich werde das Spiel verlieren, so gebe ich es vorher auf, um nicht geschlagen zu werden.«

»Ah, Du meinst, es war unmöglich, den jungen reichen Bildhauer zu fischen,« entgegnete Virginie. »Ich bin begierig, zu hören, was aus der ganzen Angelegenheit geworden ist. Du weißt, ich wurde krank und erfuhr bei meiner Rückkehr von Lucca nur, dass der junge Mann die Tochter des Bildhauer Lomi geheiratet habe. Daraus folgerte ich natürlich, dass Du die Partie verloren, Magdalene Lomi dagegen dieselbe gewonnen habe. —«

»Sage mir, ist das Paar glücklich, Virginie?«

»Man spricht wenig darüber. Sie hat alles, was ihr Herz sich wünschen mag: schöne Toiletten, Pferde und Wagen, einen kleinen Neger zum Bedienten und den reizendsten Bologneser als Schoßhündchen. Außerdem ist sie jetzt Mutter geworden. — Das Kind ist noch keine Woche alt.«

»Ich hoffe, es ist kein Knabe?«

»Nein, ein Mädchen.«

»Das freut mich! Das reiche Volk wünscht sich zuerst immer einen Stammhalter. Die werden Beide ärgerlich sein, dass es ein Mädchen ist, und das freut mich außerordentlich!«

»Wie vergnügt Du darüber zu sein scheinst,« sagte Virginie »Deine Augen glänzen ja förmlich.«

»Ja, ich freue mich über Alles, was denen unangenehmes geschieht, denn, ich hasse Beide über jede Schilderung! Doch jetzt sollst Du erfahren was vorging, sage mir nur erst, wie sich die Wöchnerin befindet.«

»Wie sollte ich das wissen?« entgegnete Virginie

»Modistinnen verkehren nicht mit Edelleuten, das weißt Du ja.«

»Richtig! Weißt Du nichts über unseren Dummkopf Nanina?«

»Ich habe weder von ihr gehört noch sie gesehen,« antwortete Virginie. »Es ist möglich, dass sie in Pisa ist. Hier bei uns war sie nicht mehr.«

»Das ließ sich voraussehen! Pater Rocco hat sie gewiss beseitigt, damit sie seiner Nichte nicht im Wege sei.«

»Was,« fragte die Geschäftsleiterin, »liebte Fabio dieses fadenscheinige Mädchen wirklich?«

»Mehr als fünfzig solche Weiber, wie er jetzt eins hat!« entgegnete Brigitte.

»Ich war in dem Atelier, als er die Abreise des Mädchens erfuhr.«

»Fabio erhielt einen Brief, in welchem ihm das Mädchen mitteilte, dass sie Pisa verlassen habe, weil sie nicht wollte, dass er mit seinen Bekannten und Freunden in Disharmonie gerate; denn das würde sicher geschehen, wenn er sie, die Arme, heiraten würde, wie er ihr versprochen habe. Natürlich wollte er durchaus nicht daran glauben, dass dies ihre Ansichten seien und er verdächtigte auch sogleich Pater Rocco, der mit dem jungen Mädchen gleichzeitig Pisa verlassen hatte. Ich sah nie einen Menschen in solcher Verzweiflung wie Fabio. Er schwor, dass er ganz Italien nach dem Mädchen durch forschen wollte und dass er Luca Lomi’s Atelier nie wieder betreten werde.«

»Was das Letzte betrifft, so hielt er sein Wort sehr schlecht,« warf Virginie ein.

»Als ich wieder in das Atelier kam, entdeckte ich zwei Dinge. Erstlich, dass Fabio das arme Mädchen wirklich geliebt hatte und zweitens, dass Magdalene Lomi in ihn verliebt sei. Ich stellte Vergleichungen zwischen mir und Magdalena an und fand, dass meine Figur hübscher sei als die ihrige; sie war groß, aber nicht schön gebaut; aber ihre Augen waren dunkler und glänzender als die meinigen, ihr Haar wie die Einzelheiten ihres Gesichtes waren schöner als die meinigen; denn meine Nase ist kurz, meine Lippen sind zu dick und meine Oberlippe hängt zu weit auf die Unterlippe; kurz, ich besitze Fehler im Gesicht, von denen sie frei ist; und dann hatte sie auch viel mehr Gelegenheit, den jungen Narren für sich zu gewinnen, als ich —«

»Wie?«

»Als er über den Verlust seiner Geliebten in dem Atelier auf und ab rannte, stand Magdalene mit niedergeschlagenen Augen schweigend da. Sie hatte die Nanina sicher gehasst, aber sie zeigte es nicht und das war sehr klug! — Wohin das Mädchen gekommen, ist bis jetzt nicht aufgeklärt.

»Ich suchte zunächst die Gunst des alten Lomi zu gewinnen und erzählte ihm, dass ich von meiner zartesten Kindheit an die Bildhauerkunst geliebt habe, und da ich nun in Erfahrung gebracht, dass ihm ein Modell zu einer Minerva fehle, sei ich gekommen, nur der Ehre, nicht des Geldes wegen, ihm zu sitzen. Ich weiß zwar nicht, ob er mir das glaubte, aber er fand, dass ich zu einer Minerva tauglich sei und nahm mit großer Höflichkeit mein Anerbieten an. Wir trennten uns mit der Verabredung, dass ich ihm im Laufe der Woche zum ersten Male sitzen möge. —«

»Warum wurde so viel Zeit dazwischen gelegt?«

»Ich wollte, dass der junge Verliebte schon wieder im Atelier sei, wenn ich dort beschäftigt sein würde. Was sollte ich denn ohne ihn dort? Das wäre ja ganz zwecklos für mich gewesen.«

»Ja, ja, ich vergaß. Wie lange dauerte es denn, bis er wieder kam?«

»Ich hatte ihm sogar zu viel Zeit gegeben; — als ich meine erste Sitzung hielt, fand ich ihn bereits wieder anwesend, und ich hörte, dass er schon ein Mal im Atelier gewesen sei, seit Nanina verschwunden war. Die erregendsten Männer sind ja immer am leichtesten zu versöhnen.«

»Machte er keine weiteren Anstrengungen das Mädchen aufzusuchen?«

»O ja, aber ohne Erfolg. Vier Tage ernsten Nachdenkens hatten ihn indes geheilt. Luca Lomi hatte ihm einen Versöhnungsbrief geschrieben, und gefragt, was er und seine Tochter Tadelnswertes begangen hätten, selbst in der Voraussetzung, dass Pater Rocco Nanina aus Pisa geführt habe. Magdalene war dem jungen Manne dann auf der Straße begegnet und hatte ihn nicht angesehen. — Kurz, er kehrte ins Atelier zurück, arbeitete still und ernst und schien über den Priester sehr erzürnt zu sein.«

»Ich bin begierig zu hören, wie Rocco sich rechtfertigte.«

»Pater Rocco ist nicht der Mann dazu, mutlos gemacht zu werden; denn an demselben Tage als Fabio ins Atelier zurückkehrte, besuchte der Priester dasselbe auch wieder zum ersten Male. Und er behauptete sogar, dass Nanina wie ein rechtschaffenes, gutes Mädchen gehandelt habe und er würde gewiss nichts über ihr Verschwinden berichten. Ja, er sagte, dass er Niemandem das Recht zugestehe, ihn darüber weiter zu befragen. Bitten, Drohungen, Alles war vergeblich dem Priester das Geheimnis abzuringen wo Nanina sich aufhalte. Du kannst glauben, Virginie Pater Rocco kann der liebenswürdigste und gefälligste Freund, aber auch der gefährlichste Feind sein. — Mich behandelte der Priester stets wie eine Dame, während andere mich wie eine — behandelten.«

»Still, stillt Werde nicht ärgerlich, Brigitte, und erzähle mir, wie Du Dich dem jungen Mann nähertest.«

»Ich schlug den verkehrtesten Weg dazu ein; ich teilte ihm mit, dass ich Nanina kenne, dann sagte ich ihm, dass sie ihn wohl nie geliebt hätte, denn einen Geliebten zu verlassen, sei etwas Unmögliches; wahrscheinlich habe er einen glücklicheren Rivalen gehabt. Er bestritt dies ernstlich und sehr eifrig, aber nachdem ich seinen Stolz verletzt hatte, gewann ich doch einiges Terrain für mich. — Es schien, als wollte er bekannter mit mir werden. —

»Der alte Lomi merkte Etwas und wurde kalt und zurückhaltend gegen mich; zuletzt sogar grob und rau, — Eines Tages hörte ich, dass Fabio und Magdalene über mich sprachen, als sie mich schon aus dem Atelier entfernt glaubten. Ich kann noch jedes ihrer Worte wiederholen und ich fühle noch heute, dass mein Blut heißer fließt, wenn ich an jene Unterredung denke. Erstlich lachten sie über mich und dann —«

»Still, Brigitte, nicht so laut, man könnte Dich hören! Ich kann mir denken was sie sprachen. Sie hatten entdeckt, wer Du bist?«

»Ja, und denke Dir, Alles durch sie, Alles durch Magdalene!

»Dann beschlossen sie, dass mich der Priester öffentlich rügen und zur Tür hinaus werfen sollte, da er stets so freundlich gegen mich war! Sie sagten, dass er erschrocken über mich gewesen sei, als sie ihm mitgeteilt, wer ich eigentlich sei. Dann lachten sie wieder laut auf.

»Das war das Letzte, was ich vernahm.

»Ich kehrte mich, wütend, mit dem Entschluss um, das Atelier nie wieder zu besuchen und — Pater Rocco stand hinter mir.

»Er musste es meinem Gesicht ansehen, dass ich Alles wusste. — Er fragte mich jedoch in seiner alten herzlichen Weise, ob ich Etwas verloren habe, und ob er mir sollte suchen helfen. Ich versuchte ihm zu danken und ging zur Tür. Er öffnete mir dieselbe und verbeugte sich vor mir so tief, als wäre ich eine Gräfin. — Es war Abends als ich das Atelier verließ. Am nächsten Morgen kehrte ich Pisa den Rücken.

»Jetzt weißt Du Alles!«

»Wusstest Du es, dass die Hochzeit zu Stande kam, oder erfuhrst Du es erst jetzt?«

»Ich weiß es bereits seit sechs Monaten. Es kam ein Sänger nach Paris, der in einem Konzert bei der Hochzeitsfeierlichkeit mitgewirkt hatte. Aber lassen wir diesen unangenehmen Gegenstand jetzt fallen; ich gerate stets in Fieber, wenn ich darüber spreche,« sagte Brigitte. »Du bist wohl hier nicht in besonders guten Verhältnissen? Dein Zimmer ist sehr eng und dürftig.«

»Soll ich ein Fenster öffnen?«

»Nein,« entgegnete Brigitte, »komm, lass uns ans Ufer des Arno gehen, es ist schon dunkel, Niemand wird uns erkennen und nach einer halben Stunde werden wir hierher zurückkehren.«

Virginie ging auf den Vorschlag ihrer Freundin ein und beide gingen fort.

Die Sonne war untergegangen und die Nacht kam schnell. Obgleich Brigitte kein Wort mehr von Fabio sprach, so lenkte sie ihre Schritte doch in die Nähe des Palastes Fabio d’Ascolis.

Als sich die beiden Frauen eben dem Eingangsthor näherten, kam von der anderen Seite eine Sänfte; ein Diener, der sie begleitete, ging in den Palast, während die Dame in dem Innern der Sänfte sitzen blieb.

Brigitte schlüpfte mit durch die geöffnete Tür und hörte den Diener das Folgende zu dem Portier sprechen:

»Die Marchese Melani lässt sich erkundigten wie sich die Gräfin d’Ascoli und das Kind heute Abend befinden?«

»Meiner Herrin geht es noch so wie heute Morgen, aber das Kind befindet sich wohl,« antwortete der Portier.

Der Diener ging zu der Sänfte zurück und begab sich dann noch einmal zu dem Portier.

»Die Frau Marchese wünscht zu wissen, ob noch weitere medizinische Hilfsmittel angewendet wurden?«

»Es ist noch ein Doktor aus Florenz berufen,« antwortete der Portier.

Virginie vermisste ihre Freundin plötzlich und sie war nicht wenig erstaunt, als sie sah, dass diese aus dem Palast schlüpfte.

Bei dem Lichte der Laterne sah man, dass Brigitte lächelte.


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