In der Dämmerstunde

Die Erzählung des Professors von der gelben Maske



Zweites Kapitel

Das Atelier des Meister Luca Lomi bestand aus zwei großen Zimmern, welche durch eine Bretterwand getrennt waren. Eine thorartige Öffnung bildete den Durchgang von dem einen Raum zu dem andern.

Während die Arbeiterinnen der Grifoni moderne Kleider anfertigten, arbeiteten die Bildhauer in Meister Lomi’s Werkstatt in Gips und Marmor. In dem kleinen Raum arbeitete der junge Edelmann, der im Atelier nur Fabio genannt wurde, an einer Büste. Nanina saß als Modell zu dieser Büste vor ihm.

Er hatte nicht den finsteren italienischen Typus, sondern seine Haltung wie sein Aussehen waren frisch, frei und angenehm. Intelligenz glänzte aus seinen Augen und ungezwungen Heiterkeit ließ sich von seinen Lippen lesen. Mit wenigen Worten konnte man ihn als einen talentvollen, liebenswürdigen jungen Mann bezeichnen.

In dem andern Zimmer arbeitete Meister Luca Lomi an seiner Minerva und sah dabei zuweilen auf die Arbeit seiner Gehilfen, die an andern Bildwerken arbeiteten. Sein Bruder, Pater Rocco, arbeitete in der Nähe der Durchgangs-Öffnung, an der Statue einer Madonna.

Magdalena Lomi hatte eben ihre Sitzung zu dem Gesicht der Minerva beendet und schritt durch das Zimmer, um sich in den kleinen Raum zu begeben.

Die drei Verwandten hatten eine große Familienähnlichkeit, sie waren groß, hübsch, hatten dunkle Augen und schwarzes Haar und ihre Gesichtszüge waren auch sehr übereinstimmend.

Magdalenens Gesicht zeugte von Leidenschaftlichkeit, aber gleichzeitig von Großmut. Ihr Vater verband mit dem leidenschaftlichen Ausdruck noch etwas von versteckter Schlauheit.

Pater Roccos Antlitz zeigte nur Milde und Ruhe. Dem angemessen war auch seine Haltung und seine Bewegung.

Das Gesicht der Tochter Lomi’s ließ vermuten, dass sie in einem Augenblicke bis zur Leidenschaft erzürnt sein konnte, aber in dem andern wieder zu verzeihen verstände.

Auf dem Gesicht ihres Vaters stand: »Ärgere mich und ich werde Dir niemals verzeihen!«

Der Priester sah so aus, als ob er nie erzürnt werden könnte und auch nie dazu kommen würde, Jemand zu erzürnten.

Luca rief seinem Bruder zu: »Sieh nur, Rocco meine Minerva wird Sensation erregen!«

»Ich bin erfreut, das zu hören,« antwortete der Priester trocken.

»Es ist eine ganz neue Art der Kunst,« fuhr Luca fort, »andere Künstler benutzen zu klassischen Gestalten auch stets klassische Gesichter. Ich machte es anders und nahm den Kopf meiner hübschen Tochter als Modell. Sie wird zwar keine ideale Schönheit vorstellen, aber das Gesicht besitzt Individualität. Man wird mir vorwerfen, eigene Wege eingeschlagen zu haben, aber ich wünsche das eben; außerdem finde ich, dass Magdalena einer Minerva gleicht.«

»Die Ähnlichkeit ist wunderbar!« sagte Pater Rocco und trat vor die Minerven-Statue.

»Es ist das Mädchen selbst,« sagte der Vater, »denn es ist kein Haarbreit Unterschied zwischen dem Original und der Minerva.«

»Was wird aber aus dem Körper der Minerva werden?« fragte Rocco.

»Die kleine Nanina hatte mir eben die Adresse einer Frau gebracht, die zu der Minerva sitzen möchte.« entgegnete Luca Lomi.

»Wirst Du das Anerbieten annehmen?«

»Ja, wenn sie die Größe meiner Tochter hat und wenn ihr Körper zu einem Modell tauglich ist. Wer mag sie nur sein? Sie hat Nanina verboten mir weder ihren Namen noch ihre Wohnung zu nennen. Ich halte sie entweder für eine Abenteurerin oder für eine Kunstenthusiasten. Was sagst Du, Rocco?«

»Ich? Nichts! Ich verstehe mich darauf nicht!«

»Wo ist Magdalene?« fragte Lomi

»In Fabio’s Zimmer. Soll ich sie rufen?« fragte Rocco.

»Nein, nein,« entgegnete Lomi schnell.

Dann sah er nach den Gehilfen und ging dann zu dem Priester zurück, diesem zuflüsternd:

»Ich wünschte Magdalene ginge, statt hier in Fabio’s Zimmer, dort drüben in seinen Palast, jenseits des Arno! Rocco, schüttele nicht den Kopf! Ich werde sie zu des reichen Edelmanns Braut zu machen suchen, und Du, heiliger Mann, sollst sie mit dem Ringe und Deinem Segen an ihn für immer fesseln.«

»Ich bin betrübt,« sagte der Priester, »dass Du Dich mit diesen Dingen beschäftigst, Luca, sei vernünftig! Wenn wir allein im Atelier sein werden, will ich mit Dir über den Gegenstand weiter sprechen, jetzt lass mich ruhig arbeiten.«

Luca zuckte mit den Achseln und ging zu seiner Minerva zurück.

Pater Rocco mischte Gips und bereitete sich vor, eifrig zu arbeiten.

Nachdem seine Mischung die gehörige Zähigkeit erreicht haben mochte, durchschritt er den Raum und nahm aus einer Ecke des Zimmers einen kleinen Spiegel, den er versteckt bis zu der Türöffnung trug und ihn dann schnell so befestigte, dass er die Personen im Nebenzimmer beobachten konnte.

Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass Pater Rocco dieses Experiment ausführte.

Er knetete aufs Neue in den vor ihm liegenden Gips, hatte aber seine Augen dabei fest auf den Spiegel gerichtet.

Magdalene Lomi stand hinter dem jungen Künstler und beobachtete den Fortschritt seiner Arbeit. Zuweilen nahm sie ihm das Werkzeug aus der Hand und sagte ihm mit ihrem süßesten Lächeln, dass sie als eines Bildhauers Tochter, auch etwas von der Kunst verstehe; dann beugte sie sich zu der Statue, dass sein Haar und das ihrige sich berühren mussten und zeigte ihm Schönheiten oder Fehler an seiner Arbeit.

Pater Rocco senkte den Spiegel um zwei Zoll und nun erblickte er auch Nanina und bemerkte, wie deren Wangen erbleichten und wie krampfhaft sie das Band zerknitterte, welches ihr Kleid zusammenhielt, als Magdalene mit dem jungen Künstler so harmlos umging.

»Sie ist eifersüchtig, ich merke es seit Wochen,« sagte Rocco zu sich.

Er wandte sich nun ab und arbeitete kräftig in seinem Gips. Als er wieder in den Spiegel sah, bemerkte er, dass Magdalene das Werkzeug ergriffen hatte und selbst an dein Haar der Nymphe zu arbeiten begann.

Fabio sah ihr zu, blickte aber dann auf Nanina. Diese sah ihn vorwurfsvoll an, er aber antwortete ihr mit einem Zeichen, welches ihr Gesicht lächeln machte.

Magdalene hatte den Wechsel in dein Gesichtsausdruck des jungen Mädchens bemerkt, und warf ärgerlich das Werkzeug weg und sagte zu dem jungen Bildhauer, der wieder zu arbeiten anfing:

»Signor Fabio, wenn Sie das nächste Mal wieder vergessen wollen, was Sie sich und ihrem Rang schuldig sind, so sagen Sie mir das gefälligst vorher, dann werde ich sogleich Ihr Zimmer verlassen!«

Mit diesen Worten trat sie in das große Zimmer und Pater Rocco hörte, dass sie sagte:

»Ich habe Einfluss auf meinen Vater, dieses Bettelmädchen darf hier nicht mehr länger herkommen!«

»Auch eifersüchtig!« sagte Rocco. »Hier muss Etwas getan werden, sonst endigt die Geschichte schlecht.«

Er sah in seinem Glas, dass Fabio Nanina winkte, sich ihm zu nähern. Sie ging zu ihm, aber er kam ihr schon auf halbem Wege entgegen, ergriff ihre Hand und sagte ihr leise Etwas ins Ohr; dann berührte er ihre Wangen mit seinen Lippen und gab ihr die Mantille über Kopf und Schultern.

Dann trat er zu Rocco ein und sagte: »Ich gebe Nanina heute einen halben Tag frei!«

Magdalene hatte mit ihrem Vater gesprochen, hörte aber sogleich auf, als sie Fabio sah, und mit einem Blick auf Nanina, die zitternd in der Tür stand, verließ sie das Zimmer.

Lomi rief Fabio zu sich und Pater Rocco arbeitete weiter, als er aber Nanina zum Fortgehen bereit sah, fragte er: »Mein Kind, gehst Du nach Hause?«

Sie nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Nimm dies mit, für Deine kleine Schwester,« fuhr Pater Rocco fort, und übergab ihr einige Silbermünzen.

»Ich habe einige Kunden gefunden für die hübschen Flechtarbeiten der Kleinen; Du brauchst sie mir nicht zu schicke, ich werde heute Abend zu Euch kommen, wenn ich meine Pfarrkinder besuche. Du bist ein gutes Mädchen, Nanina, warst immer gut und so lange ich lebe, werde ich Dein Beschützer bleiben.«

Nanina dankte dem Priester mit feuchten Augen; er legte seine Hand auf ihr Haupt, nickte ihr freundlich zu und ging dann zu seiner Beschäftigung zurück.

»Vergessen Sie meine Botschaft an die Dame nicht!« rief Luca Nanina zu, als sie an ihm vorüberging, um das Zimmer zu verlassen.

Nachdem sie fort war, trat Fabio zu dem Priester.

»Morgen wird Ihre Arbeitslust wiederkehren,« sagte Rocco. »Ich hoffe, Sie haben sich nicht über Ihr Modell zu beklagen?«

»Nein,« entgegnete Fabio, »ich beklage mich nicht über sie. Im Gegenteil, sie hat den schönsten Kopf, den ich je sah, und wenn ich noch viel geschickter wäre, würde ich diesen schönen Kopf doch nicht gehörig nachahmen können.«

Mit diesen Worten ging er wieder zu seiner Büste und betrachtete dieselbe ein Weilchen, dann kehrte er in den großen Raum zurück. An der Türöffnung standen drei Stühle, zwei derselben berührte Fabio absichtlich, als er schon vorüber war, kehrte er zurück und fasste auch den dritten Stuhl an der Rückseite an.

Pater Rocco lächelte sarkastisch und sagte: »Signor Fabio, ich hätte Sie nie für abergläubisch gehalten!«

»Meine Amme war es,« entgegnete der junge Mann lachend. »Sie lehrte mich diese albernen Dinge.«

»Abergläubisch!« wiederholte sich Rocco still und ging dann an das Fenster und blickte auf die Straße. Links geht es nach Fabio’s Palast, rechts nach Campo Santa, in dessen Nähe Nanina lebt. Der Priester sah, dass Fabio den Weg rechts wählte.

Nach einer halben Stunde verließen die Gehilfen das Atelier und Rocco war mit seinem Bruder allein.

»Wir wollen jetzt zu der Unterhaltung zurückkehren,« sagte Rocco zu seinem Bruder.

»Ich habe nichts mehr hinzuzufügen,« antwortete Lomi

»So höre aufmerksam zu, was ich Dir sagen werde,« begann der Priester. »Ich verwerfe Deine Absicht, den jungen Mann mit Deiner Tochter zu verbinden, aber noch mehr muss ich diese Absicht verwerfen, weil es nur des Geldes wegen geschehen soll.«

»Du willst mich mit Deinen Phrasen zum Besten haben, aber sie machen keinen besonderen Eindruck auf mich,« entgegnete Lomi. »Magdalene wird durch diese Heirat reich werden, deshalb wünsche ich dieselbe und wir Alle werden Nutzen daraus ziehen.«

»Was sollte mir Wohlstand nützen? Was sind Menschen mit Geld, was ist Geld selbst für einen Mann meines Standes,« sagte der Pater.

»Geld ist für Jeden ein nützliches Etwas,« entgegnete Lomi.

»So? Hast Du schon gehört, dass ich mir je Geld wünschte? Gib mir so viel, dass ich mir das tägliche Brot kaufen, meine Wohnung und die notwendigsten Bedürfnisse bezahlen kann, gib mir noch Einiges für die Armen und ich wünsche darüber hinaus für mich nichts weiter.

»Hast Du mich schon einmal geldbedürftig gesehen? Helfe ich Dir hier nicht unentgeltlich, nur aus Liebe zu der Kunst und aus Liebe für Dich? Habe ich Dich nicht stets nur um einiges Geld für meine Armen gebeten? Was nützt einem Manne Geld, den seine Oberen heute nach Rom oder an das äußerste Ende der Erde schicken dürfen, und welcher auch in jedem Augenblick bereit wäre, ihrem Rufe zu folgen. Was soll einem Manne Geld, der weder Weib noch Kind besitzt und nur die geheiligten Interessen der Kirche zu vertreten hat.«

»Das ist sehr schön und edel, gedacht,« entgegnete Lomi, »aber ich denke anders.«

»Und jetzt erkläre mir doch, weshalb Du dennoch wünschtest, dass Magdalene Fabio heirate, da Du andere Leute, die weniger reich waren als er, und die sich um ihre Hand bewarben, niemals als Magdalenens zukünftige Gatten anerkennen wolltest.«

»Ich sagte Dir das bereits ja vor Monaten!« entgegnete Rocco, »als Fabio zuerst hierher kam.«

»Das war sehr unbestimmt; willst Du es mir heute nicht bestimmter mitteilen?«

»Ja, ich will es! Erstlich gefällt mir der junge Mann; er ist vielleicht etwas launenhaft und unbestimmt, aber er hat keinen Fehler an sich, den er nicht ablegen könnte.

»Außerdem muss ich Dir nun noch sagen, dass Alles, was Fabio von seinen Vorfahren erbte und was er jetzt rechtmäßig sein Eigentum nennen darf — von Betrügereien und Raub an unserer heiligen Mutterkirche ausgeübt, herrührt.«

»Tadele seine Vorfahren dafür, aber nicht ihn!« entgegnete Lomi.

»Ich werde ihn so lange tadeln, bis er diesen Raub zurück erstattet.«

»Woher weißt Du übrigens, dass sein großes Vermögen nur aus dieser Quelle floss?«

»Ich habe sorgfältiger als irgend Jemand die Bürgerkriege Italiens studiert: daher weiß ich es bestimmt, dass die Ahnen Fabio d’Ascolis der Kirche in deren schwachen Tagen viele Schätze abnahmen. So verlor die Kirche Land und Geld, und ich werde Alles daran setzen, dass die heilige Kirche zurück erhalte, was sie verlor.«

»Was antwortet denn Fabio auf diese Forderung, Bruder?«

»Ich habe nie mit ihm über diesen Gegenstand gesprochen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich bis jetzt noch keinen Einfluss auf ihn habe. Hat er ein Weib, so wird dieses für mich handeln.«

»Du denkst an Magdalene, glaubst Du, dass sie das für Dich tun wird?«

»Habe ich sie nicht erzogen? Sie kennt die Pflichten, welche die Kirche verlangt, sehr genau.«

Lomi zögerte, dann sagte er: »Ist die Summe, welche Du der Kirche wieder zuführen willst, bedeutend?«

»Ich werde Dir das später beantworten, Luca,« entgegnete der Priester, »Du weißt jetzt genug, weshalb ich diese Heirat durchaus wünsche, ohne selbstsüchtige Interessen, wie Du sie leider hegst. Von den großen Reichtümern, welche Fabio der Kirche zurückgeben wird, soll auch nicht ein Paoli in meine Tasche wandern. Ich bin ein armer Priester, ich kämpfe nur so eifrig für die Kirche, wie ihr Weltmenschen dies für irdische Güter zu tun pflegt.«

Mit diesen Worten verließ er seinen Bruder und sprach nicht mehr; er ging zu seinem Werktische zurück, zog ein Stück Papier aus dem Tischkasten und schrieb darauf: —

»Komm morgen in das Atelier. Fabio wird hier sein, aber Nanina wird nicht mehr zurückkehren.«

Dann schrieb er die Adresse darauf und übergab den Zettel zusammengefaltet seinem Bruder mit der Bitte, es seiner Tochter abgeben zu wollen. — Das Blatt trug keine Unterschrift.

»Sage mir, Rocco,« fragte Lomi und drehte dabei das Blatt zwischen seinen Fingern, » glaubst Du, dass Magdalene mit Fabio glücklich sein wird?«

»Es ist möglich!« entgegnete Rocco.

»So, nur möglich! Glaubst Du?«

»Ja, wahrscheinlich!« entgegnete Rocco, gab seinem Bruder die Hand und verließ das Atelier.


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